Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, November 08, 1912, Zweiter Theil, Image 10

Below is the OCR text representation for this newspapers page. It is also available as plain text as well as XML.

    M Tag der Ver
gelte-reg.
op- Ists-.
(4. Fortsetzung.)
De- Zettel enthielt die folgenden
Worte:
KeineinniggeliebteFlvral
»Diese Edelsteine, welche einst
Stanhspes Mutter trug, widme
ich Dir an unserem Hochzeitstage,
nicht um ihres Wertes oder ihrer
Schönheit willen, sondern als den
höchsten Beweis meiner Bewunde
rung und Verehrung. Dich linbe
ich gewählt, damit du den Platz
in meinem Herzen einnimmst, der
bisher der Gattin meiner Jugend
gehört hat. Möchtest Du den
Schmuck einmal im Jahre an die
sem Tage tragen, als Beweis-. daß
Du das Gefühl begreifst. welches
mich treibt, Dir diese teuerste Gaoe
darzubieten, welche ich zu verschen
ken habe.« —— ·
»Mir sollt eine schwere Lan foorn
herzen,« flüsterte Flora nach tur
zem Stillschweigen, »nun vermag ich
auch zu weinen. Aber es war doch
ein feltsamer Gedanke, mir den
Schmuck zu schicken. und tragen lann
ich ihn nie. Behalten Sie ihn,'«
fügte sie rasch hinzu, als sie sah, wie
Stanhope noch einmal den Deckel
b, um das Geschmeide zu betrach
en, das so viele Erinnerungen in
ihm wachrief· »Von Rechts wegen
gehören diese Steine Ihnen, und in
Ihrem Besitz sind sie am besten auf
gehoben.«
»Ich danken Jhnen.« versetzte er
und ließ das Kästchen in seine Tasche
gleiten. »Das Gedächtnis meiner ed
len Mutter ist mir heilig und teuer.«
Floras Augen füllten sich mit
Tränen. »Werden Sie jetzt glückli
»cher sein?«' fragte sie ernst
»Ich hoffe es. Der Brief, den
Sie die Güte hatten mir zu zeigen,
soll mir ein Beweis sein. daß-ich
iiber meines Vaters Gemütszuftand
und die Ursache seines Plötzlichen To
des im Irrtum war. Er sah nicht
dem Tode entgegen, sondern dem
Leben — einem Leben an Jhrer
Seite.«
Sie seufzte schwer-. »Bis das Be
gräbnis vorüber ist,werden wir einan
der kaum wiedersehen. Leben Sie
wohll«
i Neuntes Kapitel.
Das braune Patet.
Nicht Enge blieb Stanhope allein
nnd seinen Gedanken überlassen.
»Den Hollister wünscht Sie zu
fprechen«, meldete der eintretende
Diener.
Jack war in fieberhaftet Erregung,
doch fiel ihm sofort die günstige Ver
änderung im Wesen seines Freundes
auf. »Du siehst aus, als hättest du
entdeckt, daß deine Befürchtungen un
begriindet sind,« rief er erfreut.
.Mein Schmerz ist ruhiger gewor
den, ich kann jetzt den Verlust meines
Vaters betrauern, ohne zu denten,
daß er in Verzweiflung von uns
geschieden ist," gab Stanhope zur
Antwort.
»Das erleichtert mir die Pflicht,
dir dies Schreiben zu übergeben,«
versetzte Jack, indem er ein Papier
aus der Tasche zog. »Der Adressat
des einen der Briefe, die dein Vater
gestern zur Post gab, ist gefunden.
Dieser eine war an mich gerichtet und
enthielt diese Einlage fiir dich. —
Aber um des himmel willen, Stan
kppe was hast du« was-« sehn dire«
fuhr er erschreckt fort, als er sah,
daß sein Freund, der inzwischen den«
Brief geöffnet hatte, mit bleichem Ge
sicht und wie geistesabwesend die
Schriftziige anstarrte.
»Ich vegrerse nicht —- rote sou ch
das verstehen —« stammelte Stan
hope verwirrt. Jack siirchtete ein
neues Unglück; er nahm ihm das
Billet aus der Hand und las:
»Es isl mein bestimmtes Verlan
gen, mein größter und dringendster
Wunsch, daß Du —- rvenn Du
überhaupt heiratest —- ein Mäd
chen Namens Nathalie Yeloerton
zur Frau nimmst. Sie ist die Toch
ter des Stean Yelverton, von detn
Du wahrscheinlich bald nach mei
nem Tode hören wirst. Suche
nicht zu erforschen, warum ich dies
von Dir begehre. Daß ich es
wünsche und Dir jede andere Hei«
rat untersage. sei Dir ein Beweis
daß Du nur durch diese Verbin
dung Dein Glück finden and die
Ehre unseres Namens aufrecht er
halten kanns "
»Dein Dich liebender Vater
Samuel WhiteI
«Nathatie Yelvertoni -- wer in
der Welt ist denn das?" war Jaets
überraschier Unser-L
Zehn-Zieh nicht; der Name ist mir
ans lannt,« murrnelte Stau
pe wie betäubt »Meine Gott, ich
hätte diese Zeilen nie zu Gesicht he
itrer-arm — Warum soll ich diss
fremde MIdchen heiraten? Wonach
L Erz-W Mk —- Was hat
bedeuten? Wahr-heftig
ists-at vorher schon groß
etn fo re llktlrlicher Ein
JÆFM de-« mass-. rem
W Most
kkkkk
s »gen- Gens km dich zwinge
tdxefe Ehe einzugehen Ich meines
Iteile würde wenigstens erst genau
!pkiikeu, so diese Rath-ne- Heiden-w
Hauch volle Ansprüche befriedigt, wel
HFellich an meine tänftige Gattin
; e e.« «
. »Mit einem Mädchen, das Nathalie
heißt, werde ich mich niemals ver
mökzten,« versicherte Stanhope mit
Fesiigkeit
Jack fah ihn betroffen an: »Das
klingt ja fass. als ob — ist etwa
dein Herz nicht mehr frei?«
Der andere lächelte bitter: »Und
wenn dem fo wäre?«
Jack besaß Zartgefühl genug um
zu begreifen, daß dies nicht der Au
genblick war, sich in des Freundes
Vertrauen zu drängen; so bezwang er
denn fein Verlangen mehr zu wissen
und schwieg.
»Noch eins,« rief Stanhape nach
einer Weile, aus dumpfen Sinnen
erwachend, »was stand in den Zei
len, die an dich gerichtet waren.
Jack?
»Nun daß er sich zu einer Reise an
schicke, bei der ein Unsall nicht aus
geschlossen sei. Er bat mich. im Fall
seines Todes-, dir die Einlage zu
übergeben. Was damit geschehen
solle, falls ihm nichts zustiesze, er
wähnt er nicht, und das ist doch selt
sam, wenn man es recht bedenkt.«
»Schlage es dir aus dem Sinn«,
versetzte Stanbope mit bleicher Miene.
»Ich muß versuchen, das Kreuz zu
,·tragen, das mir auferlegt worden ist;
aber tein Wort mehr darüber, Jack,
wenn du mich liebft.«
Mancherlei Fragen und Zweifel
ftiirrnten auf Stanhope ein, als er
allein blieb. Sein-Vater hatte vor
ausgesehem er werde nicht mehr am
Leben sein, wenn Jack den Brief er
hielt. War dies keine bloße Ahnung.
sondern eine furchtbare Absicht. so
tonnte dieselbe nur aus der plötzlichen
Erkenntnis des herzenszustandei sei
ner jungen Frau entsprungen sein
Was anders als Eifersucht — eine
grundlose Eifersucht auf seinen eige
nen Sohn — tonnte« r Beweggrund
fiir den seltsamen Befehl sein, der
ihm jetzt noch nach dem Tode des
Vaters zulam?
War die rätselhafte heirat, die er
ihm vorschrieb, nicht vielleicht nur·
ein Born-and, um ihn überhaupt von
der Ehe zurückzuhalteni
Daß die Trauung stattgefunden
und here White noch zum Abschied
Worte voll Vertrauen und liebevoller
ssiirtiichteit an seine junge Frau ge
irichtet hatte, diente nur dazu. Stan
ihrpe in feiner Vermutung zu bestär
tken. Er kannte die ritterliche Natur
seines Vaters. der es nicht iiber sich
Ivermocht hätte, den leiseften Schatten
i auf die Ehre und den guten Ruf einer
lFrau zu werfen. Auch wenner wirt
flich Grund zur Eifersucht zu haben
»meinte, würde er sich nicht an der
jUngetreuen gerächt haben. Die ein
inge Genugtuung, die er suchte, be
kstand darin, daß er den Sohn in sei
Inen Handlungen beschriimtr.
E Entsetzliche Vermutungeni Eine
arauenvalle Möglichteiti Stanbope
schauderte vor Scham und Schmerz
bei dein bloßen Gedanken an den
Abgrund.von Verzweiflung und be
leid· tem Gefühl. welchem der Ent
Ifchiikå jene Zeilen niederzuschreiben·
Ientsprungen sein mußte. Denn sein
jVater hatte ihn stets geliebt und wiirs
J de das Glück seines Sohnes, auf den
Ver so große Hoffnungen sente, nicht
willturnch zerstort haben, wenn nicht
Groll und Bitterkeit ihm den Sinn
verwirrten. Die Wunde, die er dein
Sohne geschlagen, war weit tiefer
nnd schmerzlichen als er hätte ahnen
können. Nicht einmal der Neugier
gab Stanhope Raum, wer jene Na
thalie Yelvertvn wohl sein möchte.
Er glaubte nicht, daß eine solche Per
sönlichkeit überhaupt vorhanden sei;
für ihn war sie ein bloßer Name.
Seiner Ansicht nach verschloß ihm
also des Vaters Verbot überhaupt
jede Aussicht auf das Glück der Ehe,
für das er doch nicht nur durch seine
Lxcbe Zur Hör-Büchlein sondern auch
tnrch alle Eigenschaften des Herzens
und Geistes vorzugsweise geschaffen
schien.
Um nicht länger diesen auälenden
Gedanlen nachhangez zu müssen, be
gcnn er jetzt seine s heren Forschun
gen von neuem.
Er war überzeugt, das Palet, aus
welchem die Worte eigenhändig zu
iösfnen gestanden hatten, müsse die
P: stole, die tötliche Waise enthalten
haben. Es war assenbar des Vaters
;Wunsch gewesen« seinen Tod in ein
Geheimnis zn hüllen und den Ver
Idacht eines Selbsttnordes zu beratet
,den Aber Stanhope wollte Gewiß
)heit haben; er suchte nach dem Pisto
lentasten in allen Schiebladen und
Fächern und fand ihn endlich aus
dem obersten Bücher-hatt Was er
vermutet hatte bestiidtigte sich; der
Kasten paßte genau in die Falten des
braunen Umschlagö, den er nebst der
riinen Schnur im Papiertorb se
ine-den hatte. Der Kasten war neu
nnd trug aus seinem Boden die
AdrMe der Firma, bei welcher er ge
,lavst worden war.
So bestand denn jeyt sein Geheim
M Mr darüber, wai der Inhalt
MW sales- gmesenz unbe
- ZU IIM Mc
s Zehntes Kapitel.
) Veränderte Gefühle
! »Es war ein großartigei Leichen
begängnis. Flora kann sich wirklich
geehrt fühtem die Witwe eines Man
nes zu sein, den so viele berühmte
Leute zu Grabe geleitet haben.«
Mit diesem Ausspruch befriedigter
Eitelkeit verließ Frau Hastings das
Trauerhaus. Stanhope, der gerade
aus seinem Zimmer im oberen Stock
trat, hörte ihre Worte mit Schmerz
und Unwillen. Wenn die Mutter fo
weltlich gesinnt war, was ließ sich da
von der Tochter erwarten? Er hatte
die schöne Witwe feit dem Begräbnis
nicht wiedergesehen, doch hielt er es
für seine Pflicht, ihr mitzuteilen,
welche Pläne er fiir vie Zukunft ge
faßt habe. So ließ er sich denn ge
gen Abend durch Felix bei ihr an
melden. «
Er fand sie mitten in dem glänzend
erleuchteten Zimmer stehen; dir schlan
te Gestalt, in den eng anliegenden
schwarzen Gewändern, hob sich scharf
Sigm-von der »blaszgetben»Fatl-e der
P- -.Ä--- -
Utsscl UIIU ZUWUUL quc VII-uns
war würdet-aus sie trug den schönge
formten Kopf itolz erhoben. aber aus
ihren Augen sprach ein rührendes Fle
hen und die Lippen bebten.
»Wie freundlich von Ihnen, mich
aufzusuchen,« sagte sie, und es klang
ein so süßer Wohllaut aus den ein
fachen Worten, daß wohl manches
Mannesherz bis ins Jnnerfte bewegt
worden wäre bei solchem Gruß.
Stanhope aber achtete wenig dar
aus; ihm lag nur im Sinn, den be
sten Ausdruck zu finden füe das,
was er sagen wollte, und er übersah
die Hund« die sie ihm zögand entge
genstrerttr.
»Ich tomme,« begann er, ohne den
Schatten zu bemerlen. der über ihr
Antlitz flog, »rein mich von Jhnen
zu verabschieden. Morgen früh ge
dente ich die Stadt zu verlassen.«
»Ist das nicht zu schnell,« entgeg
nete fie, ihre Bewegung geschickt ver
bergend. »Ich glaubte, Sie würden
wenigstens noch eine Zeitlang mit dem
Ordnen der Geschäfte Jhres Vaters
zu tun haben."
»Ich werde nicht lange fortbleiben«,
erwiderte er«langsam, —- .sehr bald,
vielleicht schon in einigen Tagen. kehre
ich zurück.«
Wenn er es auch nicht deutlich aus
sprach, daß er sich von ihr zu trennen
wünsche, so glaubte sie doch, seine Ab
sicht zu durchschauen. »Bei Ihrer
Rücklehr würden Sie das haus ver
mutlich gern leer finden« so daß Sie
sich nach Gefallen darin einrichten
;ti5nnen.«
« »Nicht doch«, entgegnete er schnell.
»,,Dies ist Jhr Haus; es wird, wie ich
thnen bereits sagte, einen Teil des
Erbes bilden, das Ihnen, als der
sWitwe meines Vaters, rechtmäßig zu
’s"cil1t.'
« »Aber —- wenn ich mich nun wei
gere es anzunehmen,·' —- ihre Stim
me bebte — «wenn ich überhaupt al
les zurückweise —« wie talt und un
nahbar er dastand —,,würde mir das
Jhre Achtung zurückgewinnen —
würden Sie mich dann —«
»Sie schlagen meine Meinung viel
zu hoch an,« unterbrach er sie, um
jeder unliebsamen Andeutung zuvor
3utommen. »Ich bitte Sie dringend,
nichts zu tun, mit Rücksicht darauf«
was ich dente oder glaube. Jhre
Stellung als Witwe meines Vaters
hebt Sie gänzlich aus dem Bereich
meiner Kritik.« —
uanger vermochte sie ihre Leid-en
schaft nicht zurückzuhalten: »Sie
hebt mich aus dem Bereich Jhrer
Teilnahme, Jhreå Mitqefiihls, Ihr-r
Liebe, wollen Sie sagen.«
Das Wort war ausgesprochen; es
übte einen überwäliigenden Eindruck,
und sie schwiegen. Doch atmeten
wohl beide freier danach — sie, der
Erleichterung wegen, die es gewährt,
las laut zu sagen, was man solange
in der Brust verschlossen hat, und er,
weil es ihm den besten Antnüpfunass
puntt fiir die Auseinanderfehungen
gab, die unter den Umständen drin
gend geboten waren.
»Und wenn dem so wäre,« erwi
derte er mit erzwungener Gelassenheit·
»so hätten wir allen Grund dani
bar zu sein. Jch darf mir nur noch
gestatten, wärmere Gefühle für meine
Freunde und Verwandten zu hegen
Das Glück der Liebe ift mir versagt.
Auf diesem Felde hin ich nicht mehr
herr meines Geschicks.«
Sie sah ihn mit großen erschrocke
nen Augen an; zum erstenmal emp
fand er, daß ihre Schönheit ihn rüh
re. Wie sollte er den Schlag mil
dern, der sie te sen mußtei Wie
sollte er es zur Klarheit zwischen ih
nen bringen, ohne sie aufs Tiefste zu
oerlehenf
Mit diifterer Miene zog er den
Brief feines Vaters hervor, den er
ihr etnhiindigte.
»Was ist dass-« rief sie. »Ist denn
ein neues Unheil im Anzugei"
»Ich weiß nicht« von welchen fal
schen Voraussetzungen mein Vater
ausge angen ist, erwiderte er. »Bist
hier nd feine lehten Vorschriften ftir
mich, die er, wie wir bestimmt wisk
en, nur ein Stunden vor feinem
de nieder chriehen hat.«
Sie las; das Papier tnifterte in
ihrer hand, ihre Wart en entfärbten
fich, der Glanz ihrer ngen verriet
die leiden chaftiiche Ortes-ins
»Du i MICH- peipniouk titf
F- --
«Jch weiß nicht. ich habe ihren Ra
men nie zuvor gehört.«
.Eine Fremde.« murmelte sie in
maßlosein Staunen, «eine Unbekann
le!« Ihr durchdringender Blia schien
in seiner innersten Seele lesen zu
wollen. Aber eine solche Tyrannei
ist ja unerhört« sügle sie leise und
entrüstet hinznz .Sie können sich doch
durch diese unbegründete Forderung
grausam. Jhr Vater selbst würde
lunmöglich binden lassen. Es wäre
tSie jetzt davon entbinden? "
i Kalte Strenge lagerle sich aus
seinem Aulis »Ich tann den Wün
schen meines Vaters nie zuwiderhans
dein. Dabei könnte ich weder Glück
empfinden noch geben Mein iünstii
ges Geschick ist besiegelt. versuchen Sie
nicht, es zu iindernf
Sie sahsihn an und erkannte, daß
sein Entschluß unabänderlich sei. Die
letzten Worte ihres taten Gatten wa
ren siir sie ein Schicksalsspiuch ge
w sen so gut wie site ihn.
Hatte er sie denn nie geliebt? War
sie vdllig im Irrtum gewesen als sie
glaubte, daß er ihre Gefühle teilei
Wie verwerslich und unwiirdig stand
sie dann in seinen Augen da. Nein,
nein, das konnte ni t möglich sein,
se schwach und ver lendet war sie
nicht gewesen; gewiß, er hegte zärt
liche Empfindungen für iie, sonst
müßte sie ja vergehen vor Scham und
Reue.
Aber ach. in seinen Zügen stand
nichts davon zu lesen. Qual und
Verzweiflung spiegelten sich wohl dar
in, aber nicht sie war die Uursache;»
zwischen ihnen schien eine uniibersT
iteigliche Mast-zu gähnen. Ein an
derer Kutnmer erfüllte seine Seele, er
hatte andere Verluste und Enttiiui
schungen zu beklagen, von denen sie
nichts ahnte. Wie ein Blitzstrahlz
durchzuckte sie der Gedanle, undz
während ihi diese Vermutung zur
-Gewißheit wurde, ging eine große?
Umwandlung in ihrem Jnnern vor.
Trotz ihrer Aeuszerlichteit, ihres welt- J
lichen Wesens, ihrer törichten Re
gungen, besaß diese Frau doch eine
echt weibliche Natur; sie war imstan
de, ihre selbstsüchtigen Wünsche zu
Vergessen iiber der Teilnahme an desl
Freundes Geschick und bereit, mehr zu
geben als zu empsangen. Sie nöhertei
sich ihm mit dem Bries in der hand, -
und als er, aus seinem Sinnen aus
schrealend, ihn an sich genommen sag- ;
te sie mit innster Festigleit:
»Ich habe einen großen Jrrtum
begangen, das sehe ich jeht klar. Daß!
seine Folgen aus Jhr Haupt sallen i
bereitet mir den bittersten Schmerz s
Die Sehnsucht hält mich nicht ganz;
gefangen, und gern würde ich meins
ILeben opsern, um das Unrecht un
lgeschthen zu machen, das Sie erlei-(
Iden. — Doch genug der Worte. Sie
Jtönnen meine Torheit nie vergeben
und ich lann die Scham nicht ver-s
gessen, welche die Erinnerung daran
mir jetzt in die Wangen treibt. Aber
ich möchte Jhnen beweisen, Stanhope,
sdasz ich unser beiderseitiges Verhalt- "
nis jetzt begreife, wenn ich es auch
früher salich ausgesaßt habe. Gönnen
Sie mir ihre Freundschaft und den
Anteil an Jhreni Ergehen, der, trohs
meiner Jugend, mir zusolge unserer
Verwandtschaft gebührt. Meine Teil
nahme, meine Würdigung Jhreizi
Kummers werden mich lehren —"
Er sah die Träne des Mitgesiihls
in ihrem Auge und sein starrer Sinn
ward weich.
»Wie gut Sie sind!« rief er mit
Wärme.
Ste schuttelte den Lom. »O nein,
ich habe nur fiir die Eitelteit der
Welt gelebt; aber ich möchte gut wer
den« Wenn Sie mir vertrauen woll
ten, so wäre das meine beste hilf-.
Sagen Sie mir —- tenne ich das
Mädchens«
Wie sanft der Ton ihrer Stimme
klang, und doch erschrat er heftig.
»Wen meinen Sie?«
»Das Mädchen, welches Sie lie
ben.«
Er sah sie erstaunt, fast zornig an,
aber sie war entschlossen nicht zurück
zugeben, nun sie sich einmal so weit
gewagt hatte. ,
.Sie miissen lieben — Jbr Schmerz
wäre sonst nicht so scharf und bitter.
Es ist nicht Neugier, die mich zu
jener Frage treibt, sondern nur der
Wunsch, daß Sie sich die Brust in
Worten erleichtern möchten, damit die
Last nicht unerträglich wird· Wissen
Sie jemand anders, gegen den Sie
sich leichter aussprechen tönnten. dann
—« Jhr schmerzliches Lächeln schnitt
ihm in die Seele. Schweigend durch
masz er bis Zimmer mit großen
Schritten dann blieb er vor ihr ste
n
»Ich liebe ein junges Mädchen vo oz
ganzem Herzen,« sagte er mit äuß
rer Ruhe. »Schon vor meiner Reise
nach Europa liebte ich ste.«
Sie verstand was er meinte, und
dunkle Glut färbte ihr Stirn und
Wangens Zu jener Zeit hatten sie
einander noch nicht gekannt.
»Sie haben es nie erwähnt,«' sitt
sterte sie.
»Nein; von einem Traum spricht
man nicht«
»Und war ei nicht mehr als das-i«
»Der Traum wäre zur Wirklich
keit geworden, wenn dies nicht tm
Wege stande! Er deutete auf seines
Vaters Brief.
mSte mir tote es kamt«
ie
lich — er sollte von ihr reden und z
dieset Fran! Er schien sich selbst
»ein Nätselsnnd doch, wenn er in die»
ernsten. trenmeinenden Augen der»
jungen Witwe blickte tmn es ihm
ganz natürlich vor, daß et ihre Bitte
ersiillle.
»Ich sah sie vor einem Jahr ans
dem Lande. Sie gehört nicht zu
Jheee Belanntschost nnd heißt nicht
Nathalie Winetton.« «
»Ist sie jung und ich3n2« I
»Noch sehr jung und weiß und;
zart wie eine Schneeslvcke.« j
«Doch nicht so lolt,« versetzte Flo-;
to mit einem schmerzlichen Blick auf
den branngelockten herrlichen Manns
der ihre duntle Schönheit gering ach
tete.
»Sie zog mich- durch ihren Lieb
reiz nn, doch völlig unbewußt,« fuhr
Stanhope nach einer Pause sokt,
»denn sie ist noch ein Kind. Aber
aus den ersten Blick hat sie mein Herz
bezwungen.«
«Gliickliches Kind,« seuszte Flora
im tieiiten Innern.
»Es war.während meines Aus
enthalts in Bau Ridge, wo ich mich
in der Stille einige Wochen meinen
Studien widmete. Jch sah sie in
einem Heckenweg unter einem großen
Baume stehen« aus dem Arm trug sie
einen zahmen Vogel mit schwarzem
Gefieder, —- ein wunderbarer Korn
List zu der zarten Lichtgestalt in
m einfachen weißen Kleide. Bald
aber sah ich nichts, als ihr liebliches
Gesicht. desien wahrhaft rührender
Ausdruck sich meinem Gedächtnis un
ausläschlich eingeprägt hat. Sie wur
de der Leitslern meines Lebens und
ich hätte ihr Herz und Hand ange
boten, allein ——«
Stanhore hatte in steigendee Aus-.
regung gesprochen, plöylich stockte er.
»Was hinderte Sie?·'
»Jhre zarte Jugend. Sie war
kaum siehzehn Jahre alt. Wie hätte
ich mir ihre llnerfahrenheit zunuse
machen diirsen!«
Flora sah ihn verwundert an· War
er nicht der Sohn des großen Staats
mannes, der dein Mädchen, das er
liebte, alle Güter der Welt zu Füßen
legen darste, —- tannte er seine per
sönlichen Vorzüge nicht? —- »Und
wäre sie de Tochter des besten und
reichsten Bürgers ihres Landes —
der Antrag hätte sie geehrt,« sagte sie.«
»Für die, welche wir lieben, ver-»
langen wir nichi’ Ehre, sondern
Glück,« erwiderte Stanhope ernst
Welche leidenschaftliche Zärtlichkeit
sprach seht aus seinen Mienen. Kein;
Mädchen das er liebte, hätte ihm die
Gegenliebe verweigeen lonnen. H
.Wohnt sie noch an jenem Ort —
hat sie eine Mutter — einen Vaters«
»Ich weiß nicht, aber ich sollte es
bald erfahren. Die Lehrerein, inH
deren Schule nstait sie war hatte mir
versprochen, mich an ihrem 18. Ge- (
burtstag wissen zu lassen, wo ich sie
aussuchen könne. Jn November —»
ich weiß das Datum —- aber ietzt
darf ich mich ihr nicht nahen. Alle
solche tHossnungen sind siir mich zu«
Ende, doch der Traum wird mich
stets umschweben.«
»Und wird auch sie Ihrer geden
iens Trauern Sie auch um ihren
Schmerz?« T
»Ich weiß es nicht· Sie war so
jung — ich habe ihr nie gesagt —"
»Sahen Sie sie zu verschiedenen
Malen?«
»Ja, häufig; doch stets in Gegen-«
wart der Lehrerin Jch mußte wis
sen, ob dies liebreizende Kind auch
eine ebenso schöne Seele hätte.« »
«Fanden Sie, was Sie suchten?'
«Urteilen Sie selbst. Dort in der
Schule war-ein verwachsenes Piädi
chen, uranroeir uno zruonnn our-en
ihre Züge entstellt, sie war sast ab
schrectend häßlich. Math, so heißt
mein süßer Liebling, schlosz das elen
de Kind in ihr Herz, pflegte sie und
sorgte sür sie, bis sie wieder lernte
sich zu sreuen. Sie ging mit ihr
spazieren, sie ersand Spiele und
Beschäftigungen, welche die Kranke
nicht errnittieten, und entsagte man
;cheni Vergnügen« weil es Sosie nicht
teilen konnte. Jch habe selbst gese
.hen, wie sie von einer Aussahrt zu
-riickblieb, um Soiie ihren Platz im
i
l
s
l
i
IWagen zu überlassen.«
»Wie selbiilos,« murmelte Flora,
»und wie liebenswert.«
»Vielleiche würde ich- die Tren
nung weniger schwer empiinden,« suhr
Stanhope gedankenvoll sort, »wenn
ich gewiß wäre, dasz sie in guten
Händen ist. Jch sürchte, ihr Los war
lein glückliches Manchmal sah ihr
Blick so sorgenvoll aus, daß es mich
peinlich berührte bei ihrer sonst so
kindlichen heiterteit Was sie beuns
ruhigte, habe ich nie erfahren, aber
es quält mich seht, weil mir alle
Eittel genommen sind, ihr beizuste
n.«
Flora war ausgesprungen, ihr Ant
lih glühte. »Wie heißt sie, Stan
hope, sagen Sie es mirs«
»Maey —- Mard Essai-X
»Und wo ist ihre heimat —- von
wo lam sie's-«
»Aus Phimdelphim glaube ich.«
»Sie wissen es nicht bestimmt?«
»Die Lehrerin sagte mir, dass ihres
Vaters Brust meistens von dort tit
menz aber der Vater wechselte den
Wohnort höusigz Mary hatte leine
eigentliche Heimat, so viel ich weiß.«
upAlter siegt-nagt ihfzen jehigen
U pk ci- - II
..wi« i» vi- ssikeity ig
Zä
« »Dann tun Sie es, Stande-et H
wenn Sie sich ihrer nicht annehmen
können, so will doch ich ihr eine treue
Freundin sein —- verlassen Sie sich
daraus-«
»Ihr Wunsch soll ersiillt werden,«
sagte er, in- Jnnetsien gerührt durch
diese unerwartete Großmut, indem er
ihre hnno an seine Lippen zog und
mit ehrerbietrgecn Dank iiisztr. Zwi
schen ihnen war ietzt ein neues Band
geknüpft, das erkannten sie beide
Elftes Kapitel.
Ein neues Interesse.
»Was soll denn das bedeutenim
rief Jack, der ohne weiteres bei
Stanhope eintrat und ihn über einen
ossenen Kosfer gebückt solz.
»Ich muß fort. Schon morgen
srüh gedenk: ich nbzureisen; die Luft
hier bestärkt mich, ich bin unfähig zu
allem. —- Wos bringst du mir?«
»Ich war in dein bewußten Laden;
der Gehilse erinnerte sich noch genau,
daß er die Pistole verkauft hat und
Iwat letzten Dienstag nachmittag."
Efchck legte ein Päckchen aus den
t .
»Am Tage vor meines Vaters
Tode? Hat er sie denn selbst ge
tauft?« ,
»Nein. Man beschrieb mir den
Käuser als einen großen Mann von
ftattlichem Wuchs mit portennarbigem
Gesicht.«
Josephine wurde gerufen. Sie
mußte wissen, ob das Aeußere jenes
fremden Mannes zu der Beschreibung
paßte.
Jhre Aus-sagen ließen teinenZweifel
mehr über diese Tatsache aufkom
men.
So hatte denn herr White die
Pistole schon tags zuvor durch einen
besonderen Boten taufen lassen. —
Aus diesem Umstand konnte man die
verschiedensten Schlüsse ziehen, er
brachte iein Licht, sondern nur noch
mehr Duntel in das ohnehin schon
undurchdringliche Geheimnis
Wie gering auch Stanhopes Hofs
nung wa:, die Wahrheit je zu er
gründen, so beschwor er doch Jack,
nichts unversucht zu lassen, um die
Spur des pockennarbigen Mannes
aufzufinden.
Er geleitete feinen Freund die
Treppe hinunter und teilte ihm mit,
wohin er zu reifen gedente. Vor der
Tür der Jungen Witwe blieb er un
willkürlich stehen.
»Jart,« sagte er mit tiefem Ernst,
»sollte es dir in späteren Jahren
noch gelingen« jenes stolze Herz zu
erobern, so würdest du einen Schatz
befihem dessen eigentlichen Wert du
bis setzt kaum ahnft.«
Der Freund maß ihn mit ungläu
bigem Blick.
»Dentft du so iiber Flora Ha
stings?« fragte er verwundert.
Ein schwache-I Lächeln flog durch
Stanhopes Züge. »Nein, iiber Flora
White,« erwiderte er. »der Schmerz
hat ihr rine Seele gegeben; möchte es
dir beschieden sein« sie einst dein eigen
zu nennen.«
Am nächsten Morgen fuhr Stan
hope aus dem türzesten Wege nach
Bah Ridge hinüber. —Bei Fort Ha
milton verließ er die tleine Fähre
und ging an dem schönen Herdsttag
zu Fuß weiter auf dem schmalen
Heckenweg zwischen den grasbedeciten
Abhängen, das Herz voll töftlicher
Erinnerungeu. Bald stand er wieder
in dem geräumigen, altinodischen
Wohnzimmer, wo er vor.einem tur
zen Jahre das liebe Gesichtchen seiner
Marh so oft gesehen hatte, und ein
bitteres Web preßte ihm die Brust
zufammen· Während er noch Blicke
in dem ihm so bekannten, trauten
Raume umherschtveifen ließ, ging
hinter ihm die Tür auf und Fräulein
Grazia, die Lehrerin, trat ein. Jhr
gutes, freundliches Gesicht mit den
vielen Fättchen zeigte bei seinem Any
blick einen betümmerten Ausdruck
und nur zögernd erwiderte sie feinen
Gruß.
»Sie kommen wohl,'· ftammelte sie,
»mich nach der Adresse zu fragen,
welche ich Jhnen tor eine-n Jahr
versprach?«
Er verbeugte sich stumm und war
leineö Wortes mächtig. »Ich kann sie
Jhnen nicht geben,« fu r sie mit
ängstlicher Miene fort, »wir haben
Mary ganz aus dem Gesicht verlo
ren; seit drei Monaten sind unsere
Briese unbeantwortet geblieben-" I
»O, warum haben Sie mich nicht
früher davon unterrichtet,« tiefer
jetzt ungestüm, »ich hätte sie gefunden
und vielleicht gerettet. Wer weiß, ob
sie nicht krank ist oder tot."
»Es war unrecht von mir,« gestand
sie, »aber ich hoffte von Tag zu Tag,
Nachricht «u erhalten. Sie wollte
mir jede 1oche schreiben und zuerst .
tanien die Briese auch ganz regel
mäßig. Allmählich aber blieben sie
aus und unsere Briefe erhielten wir
meist zurückgeschickt«;« « «
; »Von wo aus hat sie zuletzt ge
»schrieben?« . ,
; »Aus Philadelphim hier ist die
Adresse, aber in jener Wohnung ist
Hi- uichi meh: aufzufinden Ich have
mich durch dortige Freunde nach ihr
Iertundigt nnd den Bescheid erhalten,
sdaß eine junge Dame des Namens
inie in jenem use gewohnt hat.««
I Er steckte d Karte, auf Welcher
HSttaße und Nummer derzeichnet wa
ren, mit zitterndee band in seine
Brusttaschr. «
z Eos-Minute
I