Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, October 25, 1912, Zweiter Theil, Image 9

Below is the OCR text representation for this newspapers page. It is also available as plain text as well as XML.

    Nebraska
z Staats-Anzeiger und . Akt-old
Jahrgang 33.
mincr ll
seit-i ceas
» Von L. M. Schulze.
Ame-. bleiche- Gkas, im Winde
irternd, winlst du rnir den Grußl —
as wir uns zusammenzindem
Nis- rst du leise meinen asz.
Nr tt dich weich znrn Sik mir breiten
Pelle« Gras. —- nnd tinsternd spricht
äeder halm von alten Zeiten
nd du willst mich lassen nicht
mer laster rauschst du. —- recktest
Und-ich höher-. — giltst nicht Rub;
Und ich weiss, warum? — Du decktest
Gern rntch lind für immer su.
In Händ-dem
Dumoresle von Adolf Thielr.
Es war lein Zweisel daran, streut
ler hatte ein Geheimnis. Nicht lange
aber, da entdeckte er es mir, seinem
besten Freunde: er liebte.
Wir waren schon seit Jahren
Freunde, schon seit der Quinta her,
wo wir uns einmal furchtbar geprü
elt hatten und dann gleich Freund
chast schlossen. Jeyt freilich, als
Oderprimaner, sahen wir aus jene
seit mit Verachtung herab.
Es war eigentlich eine schöne Zeit,
der Frühling jenes ahtesz das
«Ochsen onst Abitur« parten wir
uns site Derdst und Winter aus und
fest hnldigten wir, da die Klasse keine
grossen Anforderungen stellte, dem
nnnneln und dem Gesange.
Kreutler sang Tenor nnd ich Bari
ton, und so wirkten wir denn iin
Sängerchor des Gnmnasiums eifrig
mit.
Ulfo Kreutler genaan rntr fern we
heimnis. Sie wa: ein junges Mäd
chen — in eine Witwe mit Gefchöft
und vier Kindern diirfte sich mein
achtzehnjähriger Freund nicht verliebt
haben —- und sie wohnte in einer
siillen Gartenftraße der Vorstadt.
Nun wußte ich auch, warum Kreutler
bei halbwegs nassem Wetter immer fo
Hehmugige Stiefel hatte: wenn er
Fensterpromenade machte, fo blickte er
nur hinauf zu ihr, und feine Füße
tten ed im wahrsien Sinne des
ortes auszubadem
Natürlich war ich neugierig, sie ein
mal zu fehen; und Kreuiler, der sie
fchon als die Seine in Anspruch
nahm, geftattete Ulix giitigft auch ein
mal an ihrem Fensier vorbeizugehen
Nun, ed war fa ein ganz hiibfches
Mädchen, frisch, munter, anscheinend
auch —-nach Aeuglein und Röslein
zu urteilen —- recht luftig. Daß sich
Kreutler fo sierblich in sie verlieben
konnte, lapierte ich zwar nicht; aber
wer erforfcht das Wefen der Liebei
Sie hatte ein Stumvfniischeri und
Kreutler einen ziemlich langen, krum
men »Zinlen«, wie es einmal ein
Mitfchiiler nannte, und dies mag
upole fein herz zu dem ihren geführt
n
Eines Tages trat Kreutler erregt
in meine Bude und rief: »Du, ich
habe eine Jdeei«
. «Verftelle dich nicht!« erwiderte ich
gemiitlich.
»Weißt du wass« fuhr er lebhaft
fort. »Wir bringen ihr ein Ständ
chen!«
»Deiner Logilwirtini« fragte ich
mit boshafter Einfalt.
»Aber nein doch,« brauste der Lie
bende auf, »der Dame in der Hagel
gartenfttaße!«
»Ach fo. Na, denn losl Aber was
meinsi du zu einem Quartetti«
Kreutler sprang ordentlich in die
Luft vor Begeisierung dann aber
wurde er wieder ruhig und zapfte sich,
wie er dies in lritifchen Momenten
u tun pflegte, an feinem liihn ge
chwungenen »Zinlen«.
»Wer foll aber noch mitmacheni«
fragte er dann. «
»Auf sagte ich nachstnnend, »den
ersten Tenor machst du, der Meyer
könnte den zweiten machen, i mache
den ersten Base, und den zwe ten —
großartig! — den macht Beerebvom.«
»Beerebomi« ries Kreutler mit ge
lindem Entsedem
Allerdings ein merkwürdiger Ge
gensah: ein tomantisches Nachtstiinds
chen mit sehnsuchtsvotlen Liedern, und
dann Beereboom· dieser vieeschriitige,
seite. stets nur tneipende Kerl mit
einem Doppellinn und seinen Schüs
augen!
»Entschuldige,« sagte ich jedoch,
Beereboom singt den besten zweiten
Bas; aus dem anzen Pennal,-nota
bene, wenn er n chtern i .«
Um uns der Verschwegenlseit der
beiden Mitwirkenden u dersichern,
war Kreutler, der ein sehr reichliches
Taschengeld besaß, entschlossen, diesl
zu opsern und sogar noch Schulden
zu machen. Meyer, ein armer Densel,
hatte Leide schast sitt Schmetterlinge,
und streut er versprach, ilsm ein gro
ßes Schmetterlingsbuch zu lauten und
es ihm am Tage nach dem Stündchen
zu überreichen.
Meyer machte also begeistert mit.
Beereboom wurde mit anderem Speck
esangen: ihm wurde derä rochen,
ß er während der Proben nterlserj
so viel Bier und Zigarren haben
sollte, wie ihm zu vertilgen nur mög
lich wäre. Beeredooms Aeuglein wur
den del dieser Aussicht noch kleiner
als sonst, ein Zeichen, daß er glücklich
war.
Nun handelte es sich um die Lieder
,,Jn einem liihlen Grunde7« fragtH
der unglückliche Liebende.
«Ach, das alte Mühlrad ist schon»
zu ab eleiert!"
,getdenröeleinf« »
« as hat schon zu oft gebliihtl· "
«Aennchen von Thataui«
Ach, das gute Aennchen ist schon
viel zu adgedtoschen!«
«Weißt Du, wir nehmen Schu
bert-: »Ich hört’ ein Bächlein rau
schen.«
«Famos!«
»Ist denn keine Linde in dem Ga«
ten?" fragte Meyer sanft.
»Ja, es ist eine dal« erwiderte
Kreutler.
»Dann können wir also noch:
»Ach Du llarblauer immel" nehmen,
sagte Meyer, »weil a der Sänger
das Liebchen unter dem Lindenbaum
stehen sieht. «
»Nun aber noch etwas Melancho
lischei!« schlug Kreutler nor
«Melancholisches?« mischte sich der
diile Beereboom ein. »Da singen wir:
Reinen Tropfen im Becher mehr!«
,.,Ach Unsinn!n sagte der aufgeregte
Kreutler tolerant »Wir diirsen doch
beim Ständchen nicht ang Trinlen
denkenl«
Beereboom erschral bei dieser Zu
mutung, schenkte sich ein großes Glas
voll mit dem Gesangsprobe - Freibier
und schüttete es hinunter.
»Wie wäre es denn mit: «Spinn,
spinn?« sragte Meyer harmlos.
«Nein.« rtes ich, »du heißt es:
»Niemals lam ein Freiersmann.«
Das könnte sie übelnehmen, denn
sitzen bleiben will leine!"
Endlich Liede nun als drittes
Lied: »Es liegt ein Weiter sern im
Grund« gewählt, und nun ging’s ans
Ueben. Wir waren wirklich fleißig,
Kreutler aus Begeksterung der Liebe,
ich aus Freundschaft zu ihm, Meyer
»von wegen« des Schmetterlings
Buches, das schon beim Buchhandler
bestellt worden war, und Beereboom
»von wegen« des Freibieres und der
Gratis - Zigarren.
Aber nicht nur in meiner Wohnung
iibten wir —- Kreutler hätte sich, als
echter Liebender, in der seinigen zu
sehr geniert, — sondern auch im
Freien.
Einmal stellten wir uns im halb
dunlel leise vor einem einfachen
hause aus, das anscheinend unbe
wobnt war, und wollten eben begin
nen, als aus einem Fenster plöhlich
das Gerippe eines Bitcklings heraus
ktnd mitten in das Quartett hinein
log.
Statt der siißen Lieder erscholl nun
ein mächtiges Schimpsen, wobei
Beerebooms Stentorsttmme besonders
hervortrat; wir warst-r dem unbe
wußten Spender der BlicklingssNelts
quie so ziemlich den ganzen zoologi
schen Garten an den Kopf.
Endlich war nun das Quartett
prächtig eingesungen, und am lie
stimmten Abend um zehn Uhr schil
chen wir der stillen Dutzelgartens
strasze zu.
Aus unser Zureden ::ars endlich
Beereboom dte Gratis - Zigarre sort,
dagegen mußten wir Mayer erst ein
sangen, als er mit einem in der sche
nen Juninacht umherschweisenden
Nachtfalter dasselbe tun wollte.
sat- tvir an va- etnzein negenre
Haus berantomen, sahen wir, daß
das erste Stockwerk, in dem die Ange
betete unseresFreundes und ihreMut
ter wohnten, hell erleuchtet war. Wir
stellten uns nun an einem dunteln
Ort aus« Kreutler schlug mit der
Stimm abel an einen Baum, Beete-i
boom rausperte sich, daß ein paar»
schlafende Sperlinge erschreckt ausslos
gen und der Liebende ganz zornig
wurde. i
Gleich darauf erklang: »Ich hört’;
ein Bächlein rauschen,« und die mun-!
ter dahingleitende, graziöse MelodieH
og durch die stille Nacht. l
An dem erieuchteten Fenster erschie
nen einige Köpfe, verschwanden aber;
wieder; man lauschte in Stille. !
»Nun recht gesilhlvoll!« sliistertH
uns Kreutler zu, und es erllasigs
durch die Nacht: »Es liegt ein Weilers
sern im Grund,« wobei Kreutler das
»O Röslein jung, p Röslein schön«,l
besonders seelenvolL hervorheb. i
Nun erschienen dte Köpfe wieder;
am Fenster und lauschten weiter; und
als wir geendet hatten, hör
ten wir Ruse der Bewunderung
ertönen. Dies ermutigte uns, und
mit frischer Kraft stimmten wir en:
»Ach, Du llarblanerx himmel.« Bei
der Stelle: »Und da sah ich mein
Lieb unterm Lindenbaum steh'n«, trat
Kreutler ganz tiibn vor und schmet
terte die Stelle nur so hinaus zu den
enstern.
F Das srbbliche Lied ermuntertg auch
die Zuhörer, und eine weibliche
Stimme ries: »Wie schön, wie wun
ders öni Möchten Sie nicht noch«
ein ied singen-i«
»Das ist stei« flüsterte Kreutler
bebend. »Was wollen wir aber nun
singent«
Da war guter Rat teuer, denn wir
hatten nur die drei Lieder eingeitbt.
»Laßt mich nur machen!« sagte da
Beereboomz allein trat er. vor und
stimmte mit seinem etwas heiseren
Bafz an: »Im tiefen Keller sttz’ ich
hier.« —
Vergeblich wollte ihn Kreutler u
riickhalten, unter dem Gelächter r
Zuhörer sang der Bassist weiter. Als
er geendet hatte, erschien ein älterer
Mann in der Tür, trat höflich grü
ßend auf uns zu und fragte: »Mit
wein habe ich denn die Ehre? Wem
haben toir tenn den Genuß zu dan
Xeni«
Kreutler wurde von uns anderen
vorgeschohen und ftammelte: »Emil
;Kreutler, Ghmnasiast!"
; »Und Ihre Wohnung, Herr Kreat
;ler?« frtgte der Herr freundlich wei
»ter.
; »Oberstraße 19!« fliisterte Kreutler
!zuriick, und dann zogen wir, von den
jLeuten an den Fenstern herzlich ge
-griißt, nach Kreutler’z Wohnung.
i Meyer erhielt sein Schmetterlings
zhuch. Betreboonrt Vorschlag, noch
keinmal einzutehren. wurde von Kreat
sler durch Ueberreichung eines Thalers
zbeschwichttgh und der Ewigdurstende
sverschwantx um seine Stammtneipe
;aufzufuchen.
s Als ich bald daraus ebenfalls ging,
isliisterte mir Kreutler entzückt zu:
!,,Es muß Eindruck aus sie gemacht
ihabem auch Beerebooms Taktlosigkeit
Ikonnte dies nicht zerstörent Ueber
haupt — sie hat mich in letzter Zeit
immer so eigen angebliekt; glaube
mir, sie —- liebt mich!«
Am nächsten Tage in der Klasse
zeichnete Meyer heimlich unter der
Bank Schmetterlinge, und Beereboom
sprach sehr heiser, Kreutler dagegen
»sehlte. War er erkrankt?
! Mittags eilte ich zu ihm und sand
ihn totblaß und ganz geknickt aus sei
nem Zimmer.
Was hast Du?« Was ist Dick«
rief ich teilnahmsvoll.
Der Zusammengesunkene wies aus
einen zerknitterten Bogen, der aus der
Erde lag. Ich las:
»An den Herrn Gymnasiasten Emil
Kreutlerk
Meine liebe Braut hat mich gebeten,
Ihnen und Ihren Kollegen schönen
Dank zu sagen siir das schöne Ständ
chen am Verlobungs - Abend. Ver
bindlichsten Dank, es hat uns sehr ge
sreut, siir Jhre Bemühung erlaube
mir, Jhnen ein kleines Geschenk zu
:senden, bitte, nicht iibel nehmen, und
wollen Sie ein Glas Wein aus«die
Gesundheit meiner Braut trinken.
- Mit Achtung, Gustav Weichbrod,
! Justanationsgeschiist.«
l Jch mußte hell auslachen, und als
»ich mich umwandte, sah ich, daß der
unglücklich Liebende sein Haupt stöh
nend im Deckbett vergrub. Tröstend
hob ich ihn empor und sang ihm zur
»Lasz singen, Gesell, laß rauschen, und
wandere fröhlich nach! Es gehen ia
Mithlenriider in jedem klaren Bach!«
ffv
Optim.
Von LouisiFrederie (Sauvage).
genügt-—- Dex napitiiu Foxs
schlug mit seiner kräftigen Fausts
aus en Tisch « so heftig, daß die
Gläser klirrten und durch die halb-,
offene Tite, die zu dem Aufwand-:
raurn siibrte, ein Boy mit erschreck-»
ten, einfältigen Augen bereinbliekte
und dann, an seinem Teller weiterL
trocknend, näher schritt. »K’onig«,’
sagte der Kapitön noch einmal. Und
das war augenscheinlich ein strikter
Befehl, denn ohne ein weiteres Wort
abzuwarten, brachte der Boy ein
neues Glas Wbisky und eins Flasche
lScädch deren Kapsel er ausspringen
re . «
Aber weshalb soll ich Jdre Auf-«
merksamkeit durch derartig bekam-I
lose Ein elbeiien ermüdens Den;
Kapitiin ox kennen Sie gakz sicher
überhaupt nicht, und von den Tec-!
häusern Singapores haben Sie ver-H
mutltch auch nur eine recht nebel-;
baste Anschauung. Stellen Sie sich
also einen niedrigen, dreißig Fußl
langen und wöls Fuß breiten Saalj
vor, dessen Linde mit Strohmatten
ausgeschlagen sind, und an denen
sich kleine Tische und Bänke ans
Rohr entlang ziehen. Da die Nacht
hereinbrach, so brennen bereits gro
ße Laternen aus Neispapier, das die
helle der Lichtstrahlen dämpft. Die
Lust ist drückend von den schweren
Optumi und Wacholderbranntwein
düster so drückend, dasz auch der ge
tgide Geruch des Steinkohlenteers,
»durch eine aus die Reede hinaus
gehende Derandatilr hereinströrnt,
sene herben Dünste nicht zu vertrei
ben vermag. Und selbst die nächt
liche Abliihlung vermag der brüten
den Hihe dieses Saals nichts anzu
haben
Aus dem Abhang dreier Hiigel
schichtet die »Stadt der Löwen« ihre
fiinfundzwan ig Stadtviertel über
einander- auf, und wenn Sie sich
iiber das Bambusgeländer beugen
nnd die Strohvorhänge ein wenig
entfernen, so sehen Sie die ungeheuer
große Stadt, in der alle Menschen
tassen durcheinander wimmeln, den
iantischen, von Speichern tief be
tcsatteien und mit Mastwerl über
äien Oasen, den langen Steg und
den großen Leuchtturm aus grauem
Stein«
Schauen Sie hin, —- die Nacht
Ischeint aus den Wogen emporzustei
EFL Die großen Jnseln in der
eerenge liegen ruhig wie schlum
mernde Alligatoren da. Die elektri
schen Bogenlampen leuchten anfangs
Jzaghaft, allmählich immer deutlicher
;aus und die verworrenen Klagetöne,
»die mit der tiefer sinkenden Dunkel
)heit zuzunehmen scheinen, werden
durch die Arbeit der Menschen und
das ewige Geräusch der Wogen her-—
dorgerufen.
Aber Sie liinnen Jhre Blicke nicht
von Kapitiin Zox abwenden. Wie
Sie ihn heute a vor sich haben, so
be ich ihn osi schon in diesem sel
n Teehause, vor demselben Tische,
vgoischen einer Karaffe Whisly und
elterwasserflaschen sitzen sehen. Er
trank bedächtig, ohne Ieoe Vase uno
s ne Schwäche, als wahrer Herr der
tunde. Und sobald er den letzten
Schluck hinuntergegossen, schlug er
mit der Faust aus den Tisch und
stieß immer denselben Ruf aus, die
ses lurze, llingende »König«, das die
Bertrauten des Hafens so gut len
nen.
Sie sagen, daß er ein gewöhnlicher
Trunkenbold sei? Sehen Sie sich
bitte, den Kapitiin Fox ein wenig
ausmerlsamer an. Vierzig Jahre der
Schiffahrt haben sein Gesicht wie
;ein altes Stück Leder gegerbt, und
fseine rasierte Oberlippe und der
Hurze Bart, der sein Gesicht wie mit
seiner Krause umgibt, unterscheiden
»ihn recht wenig von den anderen
;Seebären, die Sie kennen mögen
Jch gebe zu, daß seine Mütze mit
der Silbertresse und seine weite
Jacke von gewöhnlichster Art sind.
Aber betrachten Sie, bitte, seine Au
gen. Wie seltsam ist der Blick, der
unter den halbgesenlten Augenlidern
hervprschießtl ,Er läust langsam an
den Dingen entlang, nimmt sie ganz
in Besih und ist plötzlich spitzig wie
eine Flamme, und plötzlich wieder
ebenso ermattet. Es ist, als ob alle
Neslexe der Meere, aus denen er die
vielen Jahre geruht hat, in ihm
nachzittern. Von Kindheit an hat
Fox kein anderes Vaterland gehabt
als die Schiffe, die ihn, ein Spiel
der Wogen und der Winde, davon
trugen. Jch vermute, daß es keinen
Ozean gibt, den er nicht als Schiffs
junge, Matrose, zweiter oder erster
Kapitän durchschisst hat. Ob seine
Zchisssladungen nun Holz, Speze
reien, verbotene Waren, Altohol, Pe
t-oleum oder Menschensleisch waren,
er hat sich allem angepaßt. Wenn
die Sprühregen seine Haut hart und
widerstandssiihig gemacht, so haben
die Säbel bei der Landung sie dafür
bisweilen gekerbt. Seine Abenteuer
sind unzählbar. Die alten Stamm
reisenden des Stillen Ozeans len
nen ihn alle und erzählen gern, mit
verhaltener Stimme, wie er sast
durch ein Wunder einer Schlinge
entschlllpste, die sich ihm aus der äu
szersten Spise einer Segelstange um
den halt wand, so dasz er bereits;
hin und her banmelte. Glauben
Sie nicht, daß ich übertreibe. Wenn;
ich Ihnen diese Einzelheiten ander-s
traue, so geschieht eg, damit Sie ihn
um so schneller kennen lernen. Tre
ten Sie übrigens ohne Furcht näher:
er ist heute abend fürchterlich be
trunlen. Und zeigen Sie auch keine
Ueberraschung über den großen,
braunen Fleck, der seine Jacke besu
delt. —- — Der Bot) brachte ihm
einen neuen Whisly. Der alte See
bär schien ganz in die Betrachtung
eines Lackkästcheng versunken, das
er mit seinen ungeschickten Fingern
leise betastete. Als er mich erkannte,
ließ er. die kleine Schachtel mit selt
samen Lächeln in seiner Tasche ver
schwinden, und als ich ihm mit aug
gestreckier Hand entgegentrat, sagte
er mit dumpser, unsicherer Stimme:
»Ich- werde jene Spezerei nun nie
mehr rauchen, Gentleman.«
Er weidete sich einen Augenblick
lang an meinem Erstaunen, dann
glitt wiederum jenes seltsame Lächeln
wie ein Schauer über sein Gesicht. Er
rückte dicht an mich heran, und ein
Dunst von Whisth stieg mir in die
Nase. .
«Das ist ein ganz unwiderrusbarer
iEntschluß«, fuhr er in einein sehr be
sstininiten Tone sort, der bei dem be
stiunkenen Mann um so überraschen
jder wirkte. Er lehnte sich aus-die
Bank zurück, oersenkte die Hände in
seine Taschen und begann still zu la
chen, so herzlich, daß alle Muskeln
sseines Gesichtes zu beben schienen.
»Der Kapitän Fox war ein leiden
ischastlicher Opiumraucher, und bei
lunzijhiigen Gelegenheiten schon war
sich mit dein Fuß an ihn gestoßen,
wenn er gesiihllos aus einer Stroh
matte ausgestreckt lag und die kurze
sBarnbuspseise noch in seinen gekramp
ten Fingern hielt. Der beständige
übermäßige Genuß des Whisky al
lein erklärte es, daß er den durch eine
so verhängnisvolle Gewohnheit be
dingten Folgen nicht unterlag. Allo
hol ist in der Tat das sicherste Gegen
gist siir Opium. Wie sollte ich mir
also vorstellen, daß der Kapitän so
plöylich aus die thrannischste aller
Begierden verzichten wolltet — »Die
Spezerei«, wiederholte er.
Er tat, als ob er ein wenig Opiiim
nähme und es zu einer Kugel kne
tete, dann deutete er einen Nasenstii
ber an. —- »Es verhält sich wirklich
so«, entschied er, »ich werde nicht mehr
rauchen«. Er legte seine dehaarte
Hand aus den Tisch und ich sah, wie
seine von der Trunkenheit umnebelten
Augen sich sest aus den großen Fleck
hefteten, der seinen Aermel durchniiszt
hatte. Er leerte sein Glas aus einen
Zug.
»Passen Sie genau aus'«, sliisterte
er mir vertraulich zu. »Den echten
Chandoo finden Sie sast nirgends
anders mehr als in Ssiigapore,
Gentleinan, —- und das nur bei einer
tüchtigen Aushäusung von Piastern,
—- mitten im Chinesenviertel, bei dem
Händler Pha-Tschin, den Gott ver-I
nichten mögeL .. Ueberall sonst ist es
nur eine nachgemachte Masse, die mik"
Zutaten oder Tenko gemischt und
höchstens gut genug ist, uin von den
Ossizieren der Flotte getaucht zu
werden. Sie werden mir zugestehen,
daß ich mich als dreißigjähriger
Opiumraucher daraus verstehe. Pha
Tschin bewohnt die sechste Hütte des
engen Gäßchens, das hinter einein
Tempel mündet.«
Seine Blicke fielen aus seinen Aet
mel zurück. Dann erhob er die Augen
mit plötzlichein Ruck. .
»Ich muß Jhnen gestehen, Gentle
man, daß meine Brigg »Halycon«
momentan mit einem zwanzig Fuß
tiefen Riß im Leibe aus dem Trock
nen ist. Die Brandung bei den Jn
seln ist ihr unheilvoll geworden, und
wäre es um drei Daumenlängen tie
ser gewesen, so wären wir senkrecht
hinuntergesahren l'«
Der Kapitiin las in meinen Augen,
daß ich diese Abschweifung nicht recht
zu erklären wußte.
«Verstehen Sie mich recht«, sagte
er, »das Fahrwasser ist mir vertraut,
und ich könnte mit geschlossenen Au
gen in Singapore einsahren. Doch
in jener Nacht habe ich meine übliche
Nation Whisky nicht in mir gehabt
und hatte zuviel Opium getaucht.
Eine Bewegung der Lenkstange —
und ich hatte meinen Zweimaster aus
die Risse ausgesahren. Verstehen Sie
mich, Gentlemani Der Chandoo hatte?
smeinen Blick getrübt. Da beschloß
sich, jenes Gist nie mehr zu rauchen. . .
sniemals mehr!«
« Er füllte sein Glas von neuem.
»Und Sie haben Jhr Wort gehal
ten, Kapitän?«
Er sah mir mit seinen unklar-en
Augen ins Gesicht und betrachtete ei
nen Augenblick lang seinen beschmutz
ten Aermel.
»Dazu müßte ich erst die Begier des
Rauchens töten!« sliisterte er mit lei
ser Stimme.
Er winkte mir hastig mit einem
Finger.
»Kommen Sie ein bißchen näher
.. . noch näher! Sie erfassen es doch,
nicht wahr? Man sagt: »Ich werde
nie mehr rauchen!« und trog aller
Schwüre führt die Spezerei Sie im
mer wieder in Versuchung. Die Be
gierde ist da, sie nähert sich, nimmt
Besitz von Jhnen und ihre gekrümm
ten Finger packen Sie an der Kehle.
Sie können Jhre Pseisen zerbrechen
und Whisty trinken, so viel Sie nur
wollen, die Begier bietet Jhnen die
Stirn. Sie wenden sich ab, ein son
derbarer Geschmack ist aus Jhrer
Zunge. » Sie schließen die Augen —
da erscheint Ihnen Pha-Tschin in sei
nem gelben Gewande mit einem
Opiumtästchen in der Hand« Was
soll man tun, so lange man seine Be
gier nicht getötet hat?«
Er brach in ein seltsames Lachen
aus« das ich seiner Trnnlenheit zu
schrieb.
,,Etnes Abends«, suhr er fort, »ist
dieser Gedanle mir gelommen, und
wenn ich es rnir überlege, so war eö
ein sehr seltsamer, eigentümlicher Ge
dan e. Jch hatte schon drei Tage lang
nicht getaucht, und das verdammte
Gesicht des Opiumhändlers verfolgte
mich ohne Unterlaß. Da mein Ge
liist mich nicht mehr losließ, so mußte
ich wohl schon zu einer List greifen. . .
PhasTschin ist der einzige, der den
echten Chandoo verkauft, und sein
Haus, ich sagte es Ihnen bereits, ist
das sechste des engen Gäßchens. Als
die Nacht herabgesunken war, schlug
ich dreimal laut an seine Hütte-»
Pha-Tschin öffnete die Tür, und der
Schein einer Laterne offenbarte mir
feine erschreckten Augen in seinem
Melonengesicht. »Ah, ah! Kapitän,
Sie kommen nach ChandooW Seine
Stimme nahm einen verführerischen
geheimnisvollen Klang an. »Ich habe
da ein Kästchen voll frisch geernteter,
noch flüssiger Ware. Fünfzig Muster-,
um nichts billiger! Sie haben einen
solchen Pflanzenauszug noch nie ge
toitett'«... Sie verstehen mich doch.
Gentleman: dieser plaitgedriickte Kür
bis, der in seinem gelbseidenen Ge
wande vor mir stand, war für mich
die lebendiggewordene Begierde! Ein
groß geöffnetes malaiisches Dolch
messer war in meinem Aermel ver
steckt. Und wenn Pha-Tschin gestor
ben war, wer tonnte mir dann wirt
lich noch Opium liefern?«
Ich schauderte, während ich mich
über den Arrmel seiner Jacke beugte;
dann berührte ich den Fleck mit ei
nem Finger.
»Kapitän«, a te i , ,,ii dies ier
nicht Blut?" fg ch s h
·Er sah mich mit stumpssinniger
Miene an.
»Wirllich«, erwiderte er, »das ift
Blut, und der gelbe Dämon ist zu
fammengebrochem ohne noch einen
TM VPU sich gegeben zu haben!«...
Aber die Begierde quälte mich immer
noch, und diese Begierde, Geistlemam
hatte ich töten müssen!«
Seine Augen hafteten immer noch
WIC festgenagelt aus seiner blutbe
schmutzten Jacke. Dann schüttelte er
den Kopf und neigte sich langsam zu
mir, bis er mir ins Ohr sprechen
konnte.
»Die Begierde lebte noch, nicht
wahr? . .. Da bin ich über den Kör
per hinweggefchritten und habe die
Hände ausgestreckt wie ein Dieb. Ich
wußte, daß das Chandoo sich in dem
kleinen Schranke, sorgfältig in ein
Lackkästchen verschlossen, befand. Ta
stend schritt ich vorwärts, denn die
Laterne war erloschen, aber die Be
gier leitete meine Hände-« Und
plötzlich schlangen sich Finger um
meine Beine, und Zähne schnappten
nach mir. Jch mußte mit dem Absaß
zuschlagen, schlagen, immer weiter
schlagen·.. Jch hielt das Kästchen
eng an meine Brust gedrückt und er
hob meinen schweren Stiefel. Der
verfluchte Händler stöhnte, ich schlug
stärker zu, und bald tonnte ich das
Gäßchen erreichen. Das Lackkästchen
hielt ich immer noch, und in ihm be
fand sich wirklich das Chandoo, und
welches Chandoo, mein Kamerad!...
Aber sehen Sie selbstl«
Er öffnete seine Jacke mit zittern
der Hand, und langsam, leidenschaft
lich, zog er eine ileine Schachtel und
einen malaiifchen Dolch hervor, der
noch ganz feucht von Blut war. Dann
öffnete er vorsichtig den Deckel und
stieß mit der Spitze des Dolches in
das Chandoo, zog die Klinae zurück
und ließ die Masse hinaussliefzen...
Am folgenden Morgen erfuhr ich,
daß man tatsächlich »den platten Kür
big im gelben Seidengewande« ermor
det habe. Es war wirklich sein Blut
gewesen. Man fand Pha-Tschin mit
durchschnittener Kehle und zertretenem
Kopfe in seiner Hütte... Aber es
handelte sich ja nur um einen Chi
nesen, und wie gewöhnlich schrieb man
diesen Mord irgend einer geheimen
Gesellschaft zu.
'
.-—-—
Das Gehei.
Professor Kapff - Essenther, der
berühmte Nervenfpezialift, flattete ei
ner Jrrenanftalt einen Besuch ab;
unterwegs gesellte sich ein Herr zu
ihm, der ihm über allerhand Einzel
heiten fo trefflich Auskunft erteilte
daß der Herr Professor sich über fein
gründliches Wissen fehr erstaunte.
Als er sich dankend von dem Manne
verabschieden wollte, flüfterte der ihm
geheimnisvoll zu:
»Herr Professor, würden Sie mir
einen Gefallen erweisen?«
»Aber gewiß, fehr gern. Was wün
fchen Sie?«
,,Haben Sie vielleicht ein Stück
Toafl oei sich's«
»Ein Stück Tonst?! Was wollen
Sie denn damit?«
»Ich bin nämlich furchtbar müde
und möchte mich gern setzen. Da ich
aber »ein Setzei bin, kann ich mich
doch nur auf ein Stück Toasi fehenl«
Und der Herr Professor verabschie
dete sich schleunigst mit der Erklä
ruräg daß er das Gewünschte holen
wo e.