Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, October 04, 1912, Zweiter Theil, Image 11

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    Die Mausefalr.
si: dem Wienee Leben von Edrnunisil
Sturatvix I
herr Ferdinand Schellinger, J
Junggeselle und »möblierter Kam
merherr«, war wieder einmal auf der
Wohnungssuche. Nun gibt es viele
Mens en, die ein derartiger Anlaß
schreckt ch nerviis und «z’wider"
macht. Dem war bei unserem Jung
- gesellen nicht so! Er war daran ge
w«hnt, ja —- er rechnete sogar im
mer mit Bestimmtheit darauf, das
bisher innegehabte msblierte heim
in iiirzesier Zeit unfreiwillig verlas
sen zu miissen. Es mußte so kom
men und konnte nicht anders sein!
Das lag in der Natur der Sache.
Die Schuld lag durchaus nicht aus
seiner Seite. Er war ein stiller, ru
higer Mensch, der pünktlich seinen
Zins bezahlte und niemanden etwas
in den Weg legte. Die Ursache war
deshalb anderswo zu suchen.
Schellinger war ein lebenslustiger,
junger Mann, und da er nur in der
Umgebung von holder Weiblichteit
atmen konnte, schlug er sein Lager
nur in solchen zimmervermietenden Fa
milien aus, die mit Töchtern, je mehr,
defto besser, gesegnet waren. Da ihm
nun bisher in kurzer oder längerer
Zeit die Kündigung übermitteit wur
de, könnte in vielen der Verdacht rege
werden, daß er das so nah liegende
Gute dazu benii i hätte, um mit
den unterschiedli en Töchtern leicht
fertige Liebeleien anzuiniipfen. Keine
Jdeei Er war zwar nicht ganz ab
geneigt, in absehbarer Zeit die Last
der Ehe aus seine Schultern zu neh
men, in Gottesnameni Aber er war
wie die meisten Junggesellen unge
heuer dorstchti ,,. mißtrauisch und
wantelmiitig. Immer war er ängst
lich darauf bedacht, in den Herzen
heiratsföhiger Mädchen auch nicht
die leiseste hoffnung zu werten und
niemals wich er vom Wege des sepa
rierten Zimmers ab, um hinter dem
Rücken der Eltern zu techtelmechteln.
So schwanlte er zwischen der gol
denen Freiheit und den rosigen Ebe
sesseln hin und her, wie ein Rohr im
Winde. Freilich wäre es am einfach
ften gewesen, die drohende Gefahr
nicht aufzusuchen und ihr in weitem
Bogen aus dem Wege zn gehen, aber
dazu konnte er sich nicht verstehen.
Schellinger wußte die Annehmlichkei
ten eines Familienanschlusses wohl
zu schätzen. Abendliche Plauder
stündchen im Familientreise, kleine
Unterhaltungen, Gesellschaftsspiele in
Damengesellschast, freiwilliges Aus
besfern seiner Wäsche und Garderobe,
Einladungen zum Abendessen —- da
war alles so riesig angenehm und so
—- dtuigx
Und es gab Mütter darunter, die
sichs etwas tosten ließen. Der Mie
ter war nämlich eine sehr gute Par
tie. Er hatte von seinem verstorbe
nen Papa einige tausend Kronen ge
erbt, die in sicheren Papieren ange
legt waren; nebstbei betrieb er die
Vertretung eines sehr gangbaren und
zur Vermehrung der Menschheit viel
beitragenden Artikels —- er machte
nämlich in Eisenbetten und paten
tierten Kinderwagen —- welche Tä
tigkeit einen ganz anständigen Ge
winn abwarf.
Also —- die Mütter ließen sichs
was lofien und taten auch sonst, was
möglich war. Und einige Male war
der Junggeselle auch schon dem er
sehnten und doch gefürchteten Ehe
stand verdammt nahe und wenn eben
nicht die diversen Mütter gewesen
wären, die glaubten, in die Räder
des Schicksals vorzeitig eingreifen zu
müssen, wer weißs Aber in den
Momente, in dem er eine Absicht
merkte, wurde er verstimmt und er
niichtert. Da zog er wie eine er
schreckte Schnecke die ausgestreckien;
Füiähler ein und zog sich schnell zu-!
r . «
Die Folge dadon war immer die-l
— Kündigung l
Glücklich —- der ungeheuren Gesi
sahr wieder einmal entronnen zui
ein — machte er sich dann aus die
Wohnungsfuche. Er hatte in fol
chen Zeiten immer eine tannibalische
Freude mit seiner goldenen Freiheit.
Nach und nach wurde ihm die Sa
che förmlich zu einem Sport, zu ei
nem Bedürfnis Er tannte die Tat
tit der Miitter schon ganz genau und
lächelte diabolisch iiber deren Bemü
huMem ihn hernmtriegen zu wollen«
it einigen Abweichungen wickelt
sich die Geschichte immer in derselben
Ordnung ab: Gefiel Schellinger das
Zimmer. so suchte er unauffällig her
auszukriegen,, wie es in der Familie
mit dem Ewigweibli en stünde. Fiel
die Antwort unbefrie igend aus, to
gebrauchte er einen plausiblen Var
wand, um sich zu empfehlen; nsns
elehrt aber nahm er das Zimmer so
ort auf.
Und nun ging alles seinen e
wohnten We . Einige Tage verte
fen ruhig. as dauerte aber nur
o lange, bis die fiirsorgliche Mamn
dur dorsichtiges »Austosten« iiber
die erhöltnisse des neuen Mieter-s
im Klaren war. Dann nahm das
Verhiin nis seinen Laus·
Da Folperte dann eines Abends
sicher der Familiendater zu ihm ins
immer und meinte unter vielen Ent
chuldigungem
»Entschuldt en schont . .. Fad’ san
die langen d', wass Rix iir
nnguati . . . half nur rag’n wo ’n,
ob ma net zu an ,, trohmandel«
oder tm Notfall zu an ilan «Schnap
ser" an Gspan ham tönnt’?... Ah
—- das is aber g’scheidt! Js Jhnas
eh a fad', was? Na ja —- so ganzl
allan und in aner fremden UmgeJ
hung! Wann’s a noch fo g'miiatl chj
is, ’s is halt doch net wia z’Haus’,’
net wahr? Das sag’ i allerweilt« ’
Nun wurde im Zimmer des Mir-H
ters ein Spielchen gemacht. Natür
lich mußte die Annert oder wie sie
sonft hieß, dem Papa die zufällig
vergessene Pfeife oder das Bier her
iiderdringen. Später fanden dann
die Spielabende in der Wohnung
des Bermteters statt, «weil’s da viel
»praktischer ts und ma all’s mehr bei
der Hand hatt«
! Da konnte der Herr Schellinger
idann so zufällig die Geschicklichkeit
Jder Tochter bewundern, »die sich die
jganze Aussteuer-an ganzen Häus
ktasien voll —- selber macht! Und all’s
» Reinleinen!«
, »Und kochen kann das junge Ding,
daß’s aus und g’scheg’n is!" meinte
Idee Papa stolz und mischte dabei eif
Erig die Karten. »An Millirahm
HstrudeL was alsdann ane von den
Ischtverften Mehlspeisen is, weiks
rleicht patzert wird und schligig den
siegt s’ Jhna her, dafz am’s Wasser
jim Maul z’samm’rinnt!«
» »Efsen S’ gern an Millirahmstrus
Edel? as Dann soll f’ morg’n an
imachen.« seinndierte die Mutter.
s Das ging so fort bis — nun, bis
ider faumseltge und unentfchofsene
therr Schellinger die — Kündigung
thane
; - e i
I Er war also wieder einmal auf
» der Wohnungssuche.
f Nach langem herumsuchen fand er
endlich etwas Passendes. Die eine
von den beiden Töchtern hatte er
ygleich am ersten Tage tennen gelernt.
IEin reizendes und ganz ausnehmend
ischönes Mädel. Das Zimmer war
iwohl ilein. dumpfig und feucht —
iin einer Ecke konnte er sogar eine
Anzahl »Schwammerl« bemerken, die
ineugierig mit ihren Köpfen in die
jWelt guckten —- aber das tttmmerte
.ihn wenig! Diesen »Schwammerln«
.wollte er schon ab und zu einige
inusgetvachsene »Schwammerl« gegen
überstellem daß sie beschämt von ihrer
Winziaicit Reißaus nehmen mußten!
Das Zimmer war nicht schön, desto
schöner war das Mädel!
Schellinger freute sich schon wie
ein Satan, und harrte hohnlöchelnv
der kommenden Dinge.
Anfangs ging alles programm
mäßig. Die Frau Michler holte
langsam aus ihm heraus, was sie
wissen wollte. Das war aber auch
alles· Keine weitere Frage mehr,
keine Anspielung, kein vorsichtigeg
Manövrieren — nichts! Es war wie
abgeschnitten; nirgends eine gelegte
Schlinge, die feine Junggesellenherr
lichkeit zu Falle bringen sollte.
Der junge Mann wartete und war
tete, aber es ereignete sich nichts auf
fälliges. Weder der Herr Michler —
wie er bestimmt wußte, ein großer
«Spielraß« vor dem Deren —- wollte
kommen, noch eine teuflisch-harmlos
mvtivierte Einladung oder eine noch
so kleine Aufmunterung. Er fah
keine gefüllten Wäschekasten mit Rein
leinen, keine Milchrahmftrudeln und
was das Schmerzlichfte war, er konn
te auch mit der schönen Bertha nur
gelegentlich einige Worte wechseln.
Aber diese derräterische Röte und
Verlegenheit des Mädchens reizte ihn
um Nachdenken. Er fühlte es, das
Stäbchen war ihm gut. Und er fand
noch viel mehr Gefallen an ihr. Nach
einiger Zeit kam er sogar daran-,
daß er bis über die beiden Jungefei
lenohren verliebt war; fo verliebt,
daß er auch vor dem Aeußerften —
vor der Ehe —- nicht mehr zurück
schreckte.
Aber bei den Eltern zählte er
augenscheinlich nicht. Die sahen in
ihm nur den —- 3immerherrn! Das
konnte er nicht ertragen. Daß man
ihn, der überall eine bevorzugte Rolle
gespielt hatte, so ganz links liegen
ließ, ihn, den verhätscheiten und ver
zärtelten Liebling aller zimmervcrH
mietenden und tächterbesißenden Fa- i
milieni Ja —- war er denn derJ
Niemand, daß man es nicht einmalJ
der Mühe wert fand, mit der Even
tualität zu rechnen, ihn ais künftigen I
Schwiegersvhn anzusehen? Wolltens
denn diese Leute auf einen Prinzen
warten, der si in ihrem möblierten
Zimmer der C ampignonzucht wid
men soll — unt der Champignoni
zuchti --— indessen ihr armes Kind
älter und älter wird und langsam
dahinfiechti
Eine kurze Zeit hielt es Schellin
ger noch aus, dann raffte er sich zu
einem festen Entschluß auf
Eines Tages trat er vor die El
tern hin, steckte eine feierliche Miene
auf und sagte einleitend:
»Jetzt werd'n S’ bald das Zim
mer wieder ’naushsängen müssen-,
Frau Michler.«
Er hatte heimlich gehofft, daß die
se Worte wie eine Bombe plaßen
wilkvm Ader ek »Ein sich mit vie
ser Annahme gehör . Jn Berthaö
gügen zeigte sich freilich großer
chreek, aber die beiden Alten blie
ben ganz ruhig. Die Mutter fagte
nur gleichgiltig: »So, so... Paßt«s
Jhna nimmer, herr Schellingeri«
»Das g’rad net, aber wissen S«,
icht wferd' mich wahrscheinlich verhei
ra en.«
Abgesehen von der reizenden der
tha, der es einen furchtbaren Riß
gab, machten diese schwerwiegenden
Worte wenig Eindruck. Die Frau
Michler machte wieder nur »so, so«
und der Vater «hm, hm«. Als nun
gar die Mutter an ihn die Frage
richtete, ob er sich diesen Schritt gut
überlegt nnd den tristen Zeitpunkt
in Betracht gezogen habe, da brauste
der junge Mann aus:
»Erlaub’n S« mir, eFrau Michlerl
Jch bin alt g’nug, um selber X
wissen, was ich z« tun hab’! Und
wann ma schon in die Sechsund
dreißig is, wird das doch ka Mensch
silr an' Jugendstrach anschau'n! Und
was das Mater-teile betrifft, kann ich
in den schönsten amtlien anklopsenl
Manns Jhnen velleicht a net paßt,
ich heirat' Jhre Bertha z’ Tagi«
Nun war es heraus. Die ertha
stieß einen Freudenschrei aus und
wars sich der Mutter weinend an
die Brust. Die Frau Michler blieb
ruhig und sagte: »So, so... Also
dieSBertha... Na, was manst,.- Al
ter «
»Na, ja,« entgegnete der Gesragte
und drückte mit dem Zeigesinger die
Asche in seiner Psetse nieder, «wann
s’ ’n mags«
Natürlich wollte sie! Daran war
nicht zu zweifeln.
i I
II
Die Verlobung verlies sehr stdel,
noch sideler die H eit. Der neu
l ebackene glückliche hemann hatte
ktch sogar einige Flaschen »Scham
spuk« geleistet. Dieser ungeahnte
Furige Trank brachte die vor Stolz
rahlende Schwiegermutter in eine
sehr redselige Stimmung.
»Wissen S', Mutter, daß ich mich
ost damisch g’iirgert hab' über Ih
na?« sagte der Schwiegersohn tin
Laufe der Unterhaltung zu ihr. »Ur
berall, wo ich noch g·wohnt hab’, ham
die Mütter alks mögliche tan, damit
s’ ihre Töchter an mich anbringenl
) Sie war’n die Anzige, die nichts der
gleichen ’tan hat! Das hat mich ost
g"fuchlt!«
»Hehe!« lachte die Mutter und
leerte ein volles Glas aus einen Zug.
»Hab’s sriihre a so g’macht, hehe!....
Aber da hab’n die jungen Männer
den Braten g’rochen und san bei
Zeiten ausg’rissen! . . .. Was stoßt
)D’ mich denn immer in d’ Seiten,
Alter? Trink’ —- und gib an’ Ruahl
Ja —- mein lieber Ferdinand,« wen
dete sie sich wieder an ihren Schwie
gersohn, ,,da hab’ ich mir dann denkt:
lProbierst es amol —- um’tehrt! Viel
Ileicht geht’s so besser! Und richtig
Jis 's ’gangen! Hehehe!«
» Der gute Schellinger machte ern
J urdummeg Gesicht.
« Aber er hatte keine Ursache, seine
Wahl zu bereuen. Seine Bertha war
ein liebes, treues Weibchen, das an
der ganzen Sache so unschuldig war
wie ein neugeborenes Kind.
Erst viel später hörte der glückliche
Ehemann, daß das Zimmer allge
lmein »die Mauöfall’n« genannt wur
de
Die Regensihirmsprache.
Die Augensprache, die Fingensprache,
die Blumensprache, die Briexrnartens
und ähnliche Sprachen wer en von
den derselben Kundigen bewußt ge
sprochen; nun gibt es aber noch eine
unbewußt geübte Sprache: die Re
genschirmfprache. Sie ist kinderleicht
und ohne jede Mühe nnd Uebung ver
ständlich. hier ist sie:
Ein rasch geöffneter Regenschirm
bedeutet: Nimm Dich in Acht, wenn
Dir Deine Augen lieb sind.
Ein rasch ges lofsener Regenschirm
ist gleichbedeuten mit einem toder
mehreren) vom Kopfe gestoßenen »Hü
ten.
Ein Regenschirm« den ein Herr iider
eine Dame derart hält, daß ihm der
Regen in den Nachen tropft: ein Lie
bespaar.
Ein Regenschirm, der dem Herrn
Schutz und seiner Begleiterin keinen
Schirm bietet: ein Ehepaar.
Ein 50 Eents - Regenschirm, der
ganz zufällig neben einen kostbaren
seidenen Schirm zu stehen kommt, be
deutet: iver tauschen will, will betrü
gen.
Einen Regenschirm laufen heißt so- :
viel wie: Jch bin ein Ehrenmann.
Einen Regenfchirm Jemandem let-«
hen, heißt: Jch bin ein Narr. »
Einen geliehenen Regenschirm sei-.
nem Eigentümer zurückerstaiten . . ?
das bedeutet überhaupt nichts, weil es
das nicht gibt. »
Einen Regenschirm wagrecht nn
term Arm tragen, bedeutet Unglück —s
fiir den, der hinter Dir ht. !
Einen Regenschirm lüs g nachschlei- i
sen, bedeutet Un liict — tir die Spka ;
Deineg Regenfch rmes, d e der Hinter- j
mann abtreten wird. »
Ein Regenschirm im Futteral«
heißt: der Schein trügt. . . der tadel·!
lose Schein des Futteralg trügt iiber f
die mangelhafte Beschaffenheit des!
Schirmes. !
Ein Regenschirm für Zwei: geteil-»
teg Leid ist doppelteö Leid. «
Ein Regenschirm in der Hand bes
dentet s önes Wetter.
Ein egens irni, dessen Ueberng
fehlt: wer unbe acht, wird ausgelacht
i
i
i
Bo shast. Kaufmann (zum
Freunde): »Der Kassierer, den Du
mir empfohlen hast, ist heute mit mei
ner Frau durchgegan en.«——Freund:
»Na, hab' ich Dir ni i gleich gesagt,
daß das ein Prachiierl sti«
Meister Scherf.
»Eure Hundegescht te, frei nach dem
i Französischeu. on Eduard Münz.
Eine Zugverfpätung nötigte mich,
drei Stunden in einem, von zwei
Bergen mit fchneebedeelten Gipfeln
eingeschlossenen Flecken des Kantons
Waadt zuzubringen
Was sollte ich während der Zeit
beginnens
» Jch fragte einen Bahnbeamten um
»Nat. »Sehen Sie sich den haudron
ant« war feine Antwort. »Das ift
der schönste Punkt der Umgebung!«
I Bei weiterer Etkundigung erfuhr
ich, daß sich der haudron auf halbem
Wege zu einem der beiden Berge be
Hfand Der Weg dahin war für einen
iFremden kaum aufzufinden, er führte
sbald rechts, bald links durch Dickicht
» und Gestrüpp. Der Beamte riet mir
daher, einen Führer zu nehmen, und
zeigte mir ein kleines weißes Häus
chen mit grünen Fensterliiden, in dem
der befte Bergführer der Gegend, na
mens Simon, wohnte.
Jch klopfte an die Tür des Häus
chens Eine alte Frau öffnete mir.
Als ich mein Antiegen vorgebracht,
bemerkte sie:
»Mein Sohn ist leider unpiißlich.
Er hat sich bei seiner letzten Tour das
Reißen geholt und kann nicht auf
stehen, aber Meister Scharf führt Sie
ebenfo gut zum haudronK
»Wohl ein Nachbari«
»Nein, Meister Scharf ist kein
Mensch.«
»Was? Kein Mensch?«
»Nein, herr, unser Hund«
»Aber ein hund kann mich doch
nicht führen?«
,,,Doch mein herr! Meister Scharf
nimmt es mit jedem Bergsührer auf.
Den Weg zumE Haudron kennt er
ausgezeichnet. rift daran schon
gewöhnt.«
f »Gewd’hnt?«
f »Ja, Simon nimmt ihn seit vie
len Jahren auf seinen Touren mit.
Er hat schon zahlreiche Reisende in
die Berge geführt, und jeder war mit
ihm zufrieden. Verstand hat Mei
sHer Scharf, Verstand « plauderte die
Alte naiv, »mehr als wir beide.
Sprechen kann er allerdings nicht,
aber das braucht ein Bergfuhrer auch
i nicht« Er macht Sie schon auf feine
Ari auf alle Naturschönheiten auf
zmerksam, und wie die einzelnen
Punkte heißen, ersehen Sie aus einer
» Karte der Gegend, die ich Jhnen mit
Igeben kann Außerdem sparen Sie
dabei Geld; meinem Sohn müßten
Sie mindesiens drei Francs für den
Weg zahlen. Meister Scharf wird Sie
nur halb fo viel kosten und Jhnen
ebenso viel Sehenswertes zeigen.« i
,,Me1netwegen. Doch wie kommt
sein Hund zu diesem sonderbaren Na
s men?«
’ »Weil sein Verstand und sein Blick
gleich scharf sind, haben wir das Tier
»Meister Scharf« genannt.«
»Wo ist denn das Wundertier?«
»Meisier Scharf liegt im Garten
in der Sonne. Er ruht aus, denn
er hat bereits heute morgen mit zwei
Engländern den Weg nach dem
haudron gemacht. Aber das schadet
nichts.«
»Meisier Schaer Meister Scharf!"
rief die Alte.
Ein unansehnlicher, langhaariger
Ritter kam sofort herbeigesprungen.
Sein Aeuszeres verriet von seiner
ungewöhnlichen Jntelligenz nicht viel,
doch lag in seinem Ausdruck etwas
Solides, Selbstbewußtes. Er blickte
mich scharf an, als wollte er sagen:
Jch weiß schon, was der Herr will,
es ist ein Reisender, der gern den
haudron besuchen möchte.
»Ich muß aber spätestens in drei
Stunden wieder auf dem Bahnhose
sein, da ich mit dem Bieruhrzuge ab
reisen will.«
,,Unbesorgt, Herr-, Meister Scharf
wird Sie noch pünktlich zum Zuge
heimführen.«
Der Bund spitzte zwar aufmerksam
die Ohren, machte aber keine Miene,
aufzubrechen.
»O, wie dumm! Beinah’ hätt’ ich
den Zucker vergessen!« rief die alte
Frau, brachte schleunigst vier Stücke
Zucker und gab sie mir mit den
Worten: »Erst wenn Meister Scharf
den Zucker bei Jhnen sieht, macht er
sich auf den Weg.«
»Der Herr will zum Haudrom
Haudrom haudrom und muß in
drei Stunden zum Fuge wieder hier
seini« wiederholte te lan sam und
mit Nachdruck, und der seltfame Hund
knurrte, gleichsam um zu zeigen, daß
er verstanden habe, was man von
ihm wolle.
Durch einen Blick aus seinen klu
gen Augen forderte er mich auf, die
Wanderung anzutreten. Wir schrit
ten durch das Dorf, Meister Scharf
voran, sich feiner Pflicht bewußt, ließ
sich weder durch die Zurufe der Dorf
kinder, noch durch das Gekliiff einiger
Kisten die sich mit ihm anfreunden
wollten, stören. Geringschätzig wies
er alle Versuchungen ab, als wüßte
er, daß er jetzt Wichtigeres zu tun
hätte, daß er jetzt Geld verdienen
mußte. Auch ich befand mich ganz
in seiner Gewalt. Er kannte den
Weg, der mir fremd war. Aus dem
Dorfe kamen wir auf eine staubige
Landstraße, die der Hund aber in
größter Eile durchmaß.
Meinen Versuch, mitten auf der
staubigen Landstraße unter einem
verkriippelten, dürftigen Schatten
spendenden Bäumchen Rast zu ma
chen, wußte mein vierbeiniger Füh
rer durch eindringliches Gebell zu
verhindern.
Bald aber geleitete er mich auf
einem herrlichen, schattigen Waldwege
zu einer prächtigen Lichtung, die ein
kleiner Wasserfall belebte. Hier stand
eine alte Holzbank. Meister Scharf
lud mich in seiner Art ein, da Platz
zu nehmen, indem er bald dieBank,
bald mich anblicktr.
Jch tat meinem Führer seinen
Willen, setzte mich aus die Bank,
steckte mir eine Zigarre an und
hätte beinahe Meister Scharf auch
eine angeboten, wenn mir nicht noch
rechtzeitig eingefallen wäre, daß ihm
ein Stiick Zucker wohl lieber sein
dürfte. Er sing es gewandt aus,
nagte daran, während er es sich zu
meinen Füßen bequem machte.
Genau zehn Minuten währte un
sere Rast, dann erhob sich Meister
Scharf und gab das Zeichen zum
Weitergehen. Langsam wanderten
wir durch die schönste Gegend desl
Waadtlandes.
Einmal passierte es ihm, daß eri
einen falschen Weg einschlug, dochs
dauerte es nicht lange, bis er seinen
Jrrtum bemerkte und Kehrt machte.
Dann führte er mich einen kleinen
steinigen Pfad zu einem Hügel hin-s
auf, ich folgte ihm, obwohl ich sofort i
merkte, daß wir vom Wege nachj
Haudron abwichen. Aber ich hatte;
dem intelligenten Hunde unrecht ge-s
tan; von der Spitze des Hügels hatte s
ich eine wundervolle Aussicht, undJ
diese durfte er als gewissenhafter’
Mentor mir nicht vorenthalten, seßte
aber alsbald die Wanderung fort,"
nachdem er mir genügend Zeit gelas
sen, die Schönheit der Gegend zu be
wundern.
Auf beschwerlichen Wegen zogen
wir weiter, Meister Scharf sprang
geschickt von Fels zu Fels, verlor
mich aber keinen Moment aus den
Augen« Plötzlich hörte man ein
Rauschen, der Hund bellte freudig
auf und machte einen Luftsprung, ein
Zeichen, daß wir am Ziele ware.1.
Ja, das war wirklich der Hau
dron, eine armselige Quelle zwischen
kahlem Gestein, die kaum die Miihe
des Weges gelohnt, wenn nicht mein
Führer mich immer lebhafter interes
siert hätte.
An beiden Seiten der Quelle gab’s
Milchwirtschaften, in der einen wal
tete eine blonde, in der anderen eine»
brünette Sennerin ihres Amtes.
Schon wollte ich bei der Blonden,
deren schöne Augen mir aufgefallen
waren, zu Gaste sein, als Meister
Scharf mir den Weg vertrat und so
lange bellte, bis ich ihrer Konkurren- «
tin den Vorng gegeben hatte. Eri
liebte also die Brünetten. Jch be-l
stellte ein Glas Milch. Als die Sen
nerin ins Haus ging, um es zu ho
len, folgte ihr Meister Scharf, der
teinen Blick von ihr gewandt hatte.
Durchs offene Fenster sah ich, wie
die Brünette ihn streichelte und ihm,
noch ehe sie meinen Auftrag ausge
führt hatte, eine große Schale mit
Milch hinstellte. Meister Scharf war
einfach bestochen.
Bald tam er, Milchtropfen am
Maule, zu mir und richtete einen er
wartungsvollen Blick aus mich· Jch
verstand, hier war er gewohnt, sein
zweites Zuckerstiiclchen zu bekommen.
Er hatte es ehrlich verdient. Ein
halbes Stündchen atmete ich die er
quickende Bergluft.
Meister Scharf ward unruhig, es
war Zeit, an den Heimweg zu den-!
len. Jch bezahlte die Milch und
wollte den Weg, den ich hergekom- !
men, wieder zurückgehen
Mißvergniigt knurrte der Hunds
und rannte nach der entgegengesetzten
Seite." Jch begriff, denn während
unseres zweistündigen Verkehrs hatte
ich ihn verstehen gelernt, daß er mir
sagen wollte: Du kennst mein Füh
rertalent noch lange nicht, wenn du
glaubst, daß ich dich auf demselben
Wege heimführen werde
Wir beschritten einen anderen, viel
schöneren Weg, und Meister Scharf
fah mich glänzenden Auges an
Vor der Hütte der Mutter Simon
blieb er stehen. Kaum hatte er je
doch bemerkt, daß ich zum Bahnhof
hinfah, geleitete er mich dahin, nahm,
als wir richtig zwanzig Minuten vor
Abgang des Zuges zur Stelle waren,
die beiden letzten Zuckerstiicle in
Empfang und trollte, nicht ohne mir
einen Abschiedsblick zuzuwerfen, im
Bewußtsein, feine Pflicht getan und
mir seine, nicht alltäglichen Fähigkei
ten gezeigt zu haben, von dannen.
Der Glückspilz.
Humoreske von Paul Bliß.
Eines Abends, als Herr Woldemar
schon ein bißchen angeheitert war,
hatte ein Händler, der in dem Stiefmu
rant allerlei Dinge feilbot, die Gele- .
genheit benutzt und ihm ein Los der
Wendenburger Pferdelotterie aufgere- l
det. Jch will die Sache kurz machen
das Los tam heraus und zwar mit s
einem Gewinn von 2000 Mart.
Jm Umfehen wußte das die ganze l
Zechgesellschaft Selbstver ltändltch 1
i
i
i
mußte dieses freudige Ereigni s nun
aber auch gefe ert werden, und so ließ
der Held des Abends dann aussahren,
was der Wirt nur immer zu geben
hatte.
Als endlich Herr Woldemar fein
Portemonnaie herauslangte, um die
Zeche zu bezahlen, da erst larn ihm
zum Bewußtsein, daß er bald den
fünften Teil des Gewinnes zum
besten gegeben hatte.
Arn nächsten Tage fuhr er nach
Wendenburg um seinen Gewinn, ei
nen bespannten einspännigen Jagd
wagen, in Empfang zu nehmen und
ihn möglichst gut zu verlaufen
Aber als er den schmucken Wagen
und den flotten Gaul fah, übertau
ihn eine ganz unbändige Lust, eine
kleine Spazierfafrt zu unternehmen
er lud also Herrn Mauer, den Haupt
kollekteur, ein und bestieg mit ihm
das leichte Gefährt.
Und wirklich, es gelang. Leicht
und flott fuhr er durch das Städtchen
zum Tore hinaus, in den kühlen
Wald hinein, der Forstschänke zu,
wo man Halt machte, unt sich etwas
zu erfrifchen.
Natürlich blieb es nicht bei einenr
Glase, und schließlich gerieten beide
Herren in recht heitere Stimmung
Anfangs ging die Rückfahrt ebenso
glatt von statten; als der Gaul aber
merkte, daß die Hand des Lenkerö dis
Zügel nicht mehr allzu stramm hielt,
wurde er ausgelassen, und als Herr
Woldernar elegant die Ecke nehmen
wollte, gab es plößlich einen Ruck,
und der Wagen sank zur Seite, der
Gaul stand und die Jnsafsen kutsch
ten hinteniiber. Man war gegen
einen Prellstein gefahren, das linke
Hinterrad war total zerbrochen, so.
daß an ein Weiterfahren nicht mehr-.
zu denken war.
Herr Woldemar war ärgerlich, ev
sah die Schadenfreude auf den Gesich
tern der Umstehenden, und um den
peinlichen Lage schnell zn entkommen,
übergab er Pferd und Wagen einemt
Diensttnann, der beides nach denn
Gasthof führen sollte.
So endete die erste Ausfahrt. Aber
der freundliche Herr Maeyr machte ein
paar Witze und brachte es dahin, daßl
Herr Woldemar darüber hinweglaim
und als man erst bei der Flasche saß
war der kleine Unfall bald gänzlichs
vergessen.
So Viel aber sagte ihm die kühl
Vernunft doch, nur so schnell als
möglich Pferd und Wagen losschla
gen!
Gleich nach Tisch kamen denn auch
die Kaufliebhaber, und da ergab sich
die interessante Tatsache, daß der
Nennwert des Gewinnes mit 2000
Mark zu hoch bezifsert war, denn nach
langemFeilschen erzielte man fiir Wa
gen und Gaul nur 900 Mark; das
war zwar schmerzlich, aber damit war
ja die Geschichte niin auch zu Ende.
Also nahm Herr Woldeinar sein Geld
und fuhr nach Hause.
Ein paar Tage ließ er sich in seiner
Stammtneipe nicht sehen, uin nicht
wieder von neuem zum besten geber
zu müssen, hauptsächlich aber, ums
nicht die Summe des Erlöses nennen
zu müssen.
Aber der Zufall führte Ihm einein
der Zechgenossen in den Weg.
»Nun, lieber Herr Woldemar, was
haben Sie denn nun herausgeholt aus
dem Gewinn?« wurde er gefragt.
»O, so nahezu eintausendsiebenhuns
Betst Mart,« antwortete er etwas zag
a t. -
Da jubelte der andere los: »Was!
Eintausendsiebenhundert Markt! Sie
Glückspilz! Das miissen wir sogleich
mal gehörig begießen!«
Und damit nahm er den armen
Mann unter den Arm und schlepptu
ihn trotz alles Sträubens in die
Stammlneipe, wo die Neuiglsrit
jubelnd betanntgegeben wurde·
Als Herr Woldemar fortging, war
er um 100 Mart leichter-.
Aber das iiberraschende Nachspiel
sollte nun erst beginnen.
Am nächsten Tage kam der Käuferk
des-Pfades um seinGeld zurückzufors
dern, denn der Gaul war an der sto
lit verendet, und der Arzt hatte nach
gewiesen, daß das Pferd die Krank
heit bereits gehabt hatte, als es ver
kauft wurde. Das alles hatte der
vorsichtige Bauer schwarz auf weiß,
vom Arzt und von der Behörde be
scheinigt.
Herr Woldemar war ein friedlic
bender Mensch« deshalb ging er zu
seinem Rechtsanwalt, erkundigte sich
über alles genau, und als er erfuhr,
daß das Bäuerlein im Recht sei,
zahlte ee anstandslos das Geld zurück«
womit der biedere Landmann abzog«
Nun aber vertlagte Herr Woldemae
die Lotteriekommifsion tn Wende-i
burg auf Schadenersatz, weil sie ihn
ein mjt Krankheit behaftetes Pferd
als Gewinn geliefert hatte.
Doch der gute Mann zog auch hien
wieder den kürzeren.
Die Lotterielommisfion ließ näm
lich durch ihren Arzt befestigen, daß
das Pferd, als es abgeliefert wurde,
gesund gewesen war; wenn es also
an der Kolik erkrankt wäre, dann
könnte es sich diese Krankheit eben nur
zugezogen haben, als es im Besitz des
Gewinners war, und somit könne die
Lotteriekommission siir leinen Scha
den verantwortlich gemacht werden.
Also lautete die Entscheidung des
Gerichts, und also hatte der Glücks
pilz nicht« nur sein schönes Geld per
loren, sondern er mußte auch noch ein
nettes Stimmchen für Gerichts- und
Anwaltskosten bekam-en «
Seit jener Zeit wird Herr Mom
mar rabiat, wenn man ihm wieder
ein Los zu einer Pserdelotterie anbie
yt