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About Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918 | View Entire Issue (Sept. 13, 1912)
Oine Ersöblung aus den Oerbfttagen des Ja ei 1870. Von Ernst von Hammer-. Das ganze elsiissische Dorf hatte Schmua angelegt, und um seinem Derrn »Mairr«, dem Gemeindevorsta her Spinnen recht feierlich Glitckf wünschen zu können, errichteten dies Gratulanten vor seinem hause eines Ehrenpforte aus Tannenniasten und! schmückten sie mit Herbstlaub. Punkt stoölf Uhr mittags zog die gesamte männliche Bevölkerung Lideldingens heran, während die Frauen Spalier bildeten und in ftummern Staunen, die Kinder an der Hand oder auf dem Arm, ihre Ebentiinner und Söhne be wunderten. wie sie, rnit Sträußchen im Knopfloch geziert, die Ehrengabe siir den »Mair"e« eslortierten Das tvar ein gewaltiger Reichsadler, aus Zement geformt und mit schwarzer Farbe bekleidet. Dieses Symbol der Negierungsgewalt sollte seinen Horst finden auf einer Sandsteinvyramide im Gärtchen des Amtshauses. Der Vorsteher Spinner, nach Landeösitte «Maire« betitelt, erwartete seine Un tertanen bereits im feierlichen schwar zen Rock, der der Bedeutung des Au genblicks entsprach, denn Spinner sei erte seine silberne Hochzeit. Die feierliche Ansprache, die dem Dorflehrer zugefallen war, nahm Spinner würdevoll entgegen und lud die Gratulanten, zu denen ich. ein auf Vogesentoanderung befindlicher Leut nant, auch gehörte. in das Sitzunass zimmer ein zum Festtagstrunb Die Wände waren rnit Kaiser- und Statt hatteroorirars geziert. Am meinen aber fiel ein Landschafisbild in die Augen, das offenbar Wert besasz und »Sie Maulin de Courmelles« betitelt war. Am Fuße waldiger hiigel brach aus dunklem Tannensorst ein silber beller Bach hervor und eilte iiber mov siges Gestein der alten Mühle zu, de ren schräg hängend-s Dach ein mäch tiges Holzrad beschattete. Wie Sil bertropfen sprühten die Wasser iiber die glisernden Schauseln des Rades, und es war mir, als miisse das takt miiszige Klappern des Mahlwerles das Zimmer erfüllen. Jm lauschigen Obst garten aber, zwischen Nebenranten und Psirsichlaub, stand die Figur ei nes Weibes in der malerischen Tracht der französischen Aisne-Landschaft. Ein junges, feines Gesicht, die Wan gen rosig angehaucht. lrönte einen klas sisch schönen Hals, deisen Grazie und schlanke Kraft überraschten Die Fi gur lehnte an einem Nebenaeliinder. und das herbstlich gefärbte Laub wölbte sieh iiber einem Kopfe von rein ovaler Form. Schwarze, sprechend Augen blickten mit sinnigem Ausdruck in die Weite. Fesselte schon der Blick und das feine ProfiL so wurde ich noch mehr in Anspruch genommen durch den wunderbaren Silberglanz des leicht ergrauten Haares, dessen Kolorit einen seltsamen Kontrast zu der Jugend der Erscheinung schuf. Das Bild packte, und die erste Pause in denFestansvrachen u. Dantesermide« rungen wollte ich benutzen, Vater Spinner nach dem Ursprung und dem Schöpfer des Wertes auszuforschen, als mein Blick an der Gattin des Ju bilars haften blieb. Wie? Sah ich rechts War das nicht dasselbe an ziehende, finnende Frauenauge, wie es auf jenem Bilde dort iiie Französin hatte? Waren nicht auch Gesichtsform und Haartracht die gleiche? Wäre nicht das silberne Grau der etwa fiinfi undvierzigiiihrigen Frau Spinner hel ler und bleicher erschienen, ich hätte wetten mögen, dasz ihr Ebenbild dort aus dem Rahmen heraussah. Noch mehr Grund also, nach der Heriunft des Bildes zu forschen. Jch benutzte den Abschied der Gratulanten. um meinen Glückwunsch persönlich der Dame auszusprechen. Bei dem Danl wölbten sich ihre Lippen wie diejeni gen der Schönheit aus der Bism Landschaft zu Courmetles. »Meinen Dani, mein herri« erwi derte sie in schmeichelndem Alt, und dann lam ein »die-rat beaucoup« von so unversiilschtem Ton, daß mir des Mittels Lösung gefunden schien. »Frau Spinnen Sie sind jene schö ne sunge Französin im Garten der Mtihleim . :«-W us »Ich bin es, mein Herr, »ei le Monlin de Courmelles« ist meine Heimai.« Jetzt iam Vater Spinner heran. Die sreudige Ueberraschung, die wohl aus meinen Zügen sprechen mochte veranlaßie ihn, mir zuzuirinlem »Ja, herr Leuinani, das dort ist meine Frau, ehe ich sie eroberie nach dem Fall von Soiiions. Sie war eine »dem-its aimable", eine liebend wiirdige Schönheit diese meine ver iiinliche Siegezbeuie aus Franlreichs Fluren. Ein guies Los ist mir gesallen ers anno 70 mobi? gemacht wurde Als Nheinpreuße gehörie ich der Land wehr an, hatte zwei Kriege miige macht und war, wie es wohl verständ lich ist« etwas seldzugömiidr. Und doch höiie ich beileibe gern den Siegeölaui durch «La belle France", das s öne, herrliche Frankreich, miigemachi, enn daß es einen Einzug in Paris geben würde, das siand bei uns alten, seueri erprobten preußischen Landwehrleuter von vorher-ein sesi. Wie stolz war ich daher, als ich Order bekam, als Schreiber eines Ariillerie-Brigadeiias bei mich su melden. Meine Fahrt ging in einem Atem bis Straßburg Gleichzeitig mit meinem General von der Fußartllerie larn ich dort an, ge rade als die «tounderschöne Stadt« lapituliertr. Wir hatten keine Zeit den Jubel der Belagerungstruppen mitzumachen, denn sogleich hieß est »Mit» nach Paris!« Da die Züge mit Transvorten überladen waren und ost lange Zeit aus freiem Felde hal ten mußten, zog mein General es vor, mit seinem Adjutanten, vier Trainsoldaten und mir, seinem Pri gadeschreiber, über Land zu reiten. Unser Gepack, der Attenlasien und vie Fonragr wurden aus einen der im Lande gebräuchlichen stoeiriidigenKars ren verladen. So ging es ins schöne Herbsttvetter hinein. Aus der Etappe Neuillv erreichte uns der Befehl, zunächst in die Bela gerung von Soissong einzugreisen, und am 6. Oktober erreichten tvir das Dorf Eourmelles, wo wir unser Standauartier ausschlagen. Der Ort war eng belegt, und mein General gestattete mir, das Bureau in der Mühle, die zehn Minuten entfernt lag. einzurichten Das war ein idnl lischer Ort. Sehen Sie dort hin, Iherr Leutnant, das Gemälde gibt IJhnen einen guten Eindruck von dem ; Liebreiz der Landschaft. Pdre Bont "bon. der Müller trat mir freundlich »entgegen. Ein Mann von hohem Wuchs und würdigem Aussehen war er, und obgleich Patriot, doch taitvoll genug, seine Einquartierung des Lan des Niederlage nicht entgelten zu lassen Schon am ersten Abend saß ich an seinem Tische. Wir sprachen über die Belagerung von Paris-« »Bons ne l’aurez jaweis, eest im possible!« »Ihr werdet es niemals! bekommen, das ist unmöglich!« rief er « mit Energie, und seine neroige Faust hämmerte den Tisch. Akte gleich dar auf bot er mir höflich ein Glas »Wir- - chenwasser« an und lachte herzlichs mit mir, als ich ihm den Jrrtum erst klärte, den seine französische Zunge ibn gespielt hatte die das Wort »Ar schenwasser nicht aussprechen konnte. s Uebrigens kam mir mein bißchenFram ; zösisch gar sehr zu ftatten. j Pdre Bourdon bediente mich selbst. ’ Kein weibliches Wesen schien in der» Mühle anwesend zu sein. Ich glaubte’ zwar öfter, den Schatten eines Frau engewandeö in der Nähe der Küche zu erspähen doch versicherte der Mül ler seine einzige Tochter vor den jPrufsieng nach La F· re geschickt zu haben Jn der zweiten Nacht weckte mich dumpfes Stimmenaeräufch Da ich Izu ebener Erde schlief, sprang ich vom. ZLaaer. kleidete mich an und ergriff k meine Pistole. Das Mühlrad llapperte Hund der Bach rauschte, aber doch ;lonnte ich ans dein Stimmengewirr xentnehmem Bdaf; es sich um Wichtiges Ihandeltu Betrat und lieberfall der Einquartieruna von Courmelles war Igeschehem Und laum hatte ich dies erfahren, als in der Ferne vom Dorfe I her ein lebhaftes Patrouillenfeuer her- « überllang Eiliaft packte ich meine Atten, machte mich marschfähig und’ trat um nach den Pferden zu sehen und den Trainsoldaten zu werten, auf die Diele der Mühle hinaus Alles! war finster Nur in der Küche ein! schwacher Schein vom Herdfeuer ’ Durch ein Fensterchen in der Tiir er- ! kannte ich die hohe Gestalt des Mül lers Unbewaffnet stand er vor einem gefchmeidigen Blufenmann, dessen ha stiae Gesten und hervorsprudelnde! Worte höchste Erregung verrieten. Er? Iwar bis an die Zähne bewaffnet und» s stritt mit Pfsre Bourdon. j s »Sie werden sofort gehen, Mon-; )sieur!« befahl der Müller. »Ich biete( Imeine Hand nicht zu Jhrem Plan. jMein Dach schützt den Prussien, und ich werde ihn verteidigen gegen Jhre Tollheii.« f »Das ist Verrai!« zischte der Klei ;ne. »Man wird Sie kennzeichnen. iMonsieur Bourdon. Antoinetie aber Jwerde ich mit mir nehmen. Sie denkt » wie ich, mein Herr.'« » Der Blusenmann trat zurück und der Feuerschein der herdslammen fiel auf das blasse Gesicht eines Mädchens, das mit gerungenen Händen auf ei nem Schemel saß. Also war doch eine Frau im Hause! Jetzt erhob sie sich und machte eine abwehrende Gesie gegen den Frank tireur. »Monfieut Jörome rast, mein Va ter. Mag er in die Wälder ziehen und das Vaterland verteidigen. Hier äu unserer Mühle soll kein Blut flie en.« »Du wirst mit mir fliehen, An toinettel Sofort! Jch will est Oder. . .« Bei diesen Worten zerrte der Fremde das Mädchen zur Tite, die zum Hofe führte. Gerade in diesem Moment stolperte mein Franz, der Trainfoldat, über die Schwelle. »New fommes trahi!« schrie der Franzose. »Wir sind verraten!« und mit Blißesschnelle flog fein Stilett aus dem Gürtel und dem braven Franz in die Brust. Dann stitrzte der Mör der iiber den iaumelnden Mann ins Freie hinaus. Gleichzeitig mit dem Schrei des Ge troffenen und dem der Mademoifelle stiitmte ich in die Küche, um den Mörder zu packen. Aber vergeblich war mein Bemühen, mich in der fin steren Nacht zurechtzufinden. Als ich aus dem Garten zurückkam, hatten Vater und Tochter Bonrdom denn Antoinette war des Müllers Einztge —- hier streichelte der alte Spinner feiner Silberbraut über das fchZUk Haar —- den verwundeten Tut-isol daten bereits gebettet. Jch bat den Alten, fofort in das Dorf zu geh-U und ärztliche Hilfe zu holen, und fsh mich nun Antoinette allein gegenüber. Einzelheiten bemerkte ich damals noch nicht an ihr. Die Aufregung tnftslge des Ereignisses und meine Kamera den- und Vorgesetztenpflicht nahmen mich völlig in Anspruch. Aber das fah ich sogleich: Sie war eine seltsam fes felnde Erscheinung Und das junge Gesicht wurde umrahmt von einem Kranz silbergrauen haares, das zu leuchten fchien in der unheimlich-n Dämmerung der Krankenftube. Als ich mich um den noch immer Bewußtlos bemüht hatte nnd nun an feinem Lager faß, die gefpannte Pi stole auf den Knieen, schien Antoinette zu fühlen, »daß sie mir Aufklärung schuldig sei. Sie brach in Weinen aus; raffte sich aber sogleich wieder auf und klagte leise: »Oh, rette guerre, e’est un malheur pour nons, pour vons. pour tousU O, dieser Krieg ist ein ein Unglück für uns, für euch, für allei« Und dann lam die Beichte, die sie voll Würde und Trauer mir ab stattete. Der Blusenmann war ihr Verlob ter gewesen. Ein Maler, gebürtig aus Marseille. Als glühender Patriot hätte er zu den Waffen gegriffen und wollte auch sie und den Vater hinein ziehen in den Krieg aller gegen alle. Und als vor einigen Wochen die er sten Deutschen zur Umllammerung von Paris durch die Landschaft zogen; — da —- da war das Schreckliche passiert: Jerome hatte einen Deut-» sek, en ermordet. Draußen wurde es laut. Ein ,,.ballo, Sergeant Spiner!« rief mich an die Tür. Eine siarte Jnfanterie Patrouille unter Führung eines Offi ziers verlangte Eintritt in die Mühle. Durchsuchung und Verhaftung des Müllers und seiner Familie. Denn im Dorfe hatte man ihn als Führer der Franttireurbande bezeichnet, die vor einer Stunde die Wache übernim pelt und verwundet hatte. »Das ist unmöglich!« rief ich. »Den Müller sah ich gerade zu dieser Zeit hier in feiner Mühle.« »Einerlei!« rief der Leutnant. »Der mit dem Kerl und den roten Hahn auf sein Dach, wenn wir hier Genossen seiner Bande sinden.« Die Durchsuchung des Hauses be gann. Jch selbst half dabei. Als ich ins Zimmer zurückkam, war Antri nette verschwunden und ein Arzt ein getroffen, den Pisre Bourdon herbei geführt hatte. Das war wahrlich ein Zeichen der Unschuld des Müllers Aber der Leutnant bestand auf seiner Verhaftung und Vater Bourdon wur de von zwei Mann, die ihn gefesselt hatten, in die Mitte genommen. Die anderen trugen den verwundetenFranz ins Feldlazarett. Jetzt war ich ganz allein in der un heimlichen Mühle. Noch einmal durch forschte ich mit der Laterne alle Räu me, die Stallungen und den Garten. Antoinette blieb verschwunden. War sie schuldig; hatte ihr Gewis sen sie zur Flucht getrieben? Oder trieb sie die Liebe zu dem Blasen mann hinaus in die finstere Nacht und in ein ungewisses Schicksals Ich muß gestehen, dafz mir dieser letzte Ge danke schon damals recht das Gemüt bedrückte. Antoinette war eine Nr scheinung, die man nicht vergaß, wenn man sie einmal gesehen hatte. So saß ich denn, immer kampfbereit, im Lehnstuhl des Pdre Bourdon am Ka min und lauschte, grübelte und » seufzte. Da weckte mich gegen Morgen, als mich wider Willen der Schlaf über rascht hatte, ein leiser Tritt. Antei nette stand vor mir und siel, als ich aufsprang, mir weinend zu Füßen. Sie wußte, was ihrem Vater begra net war, und flehte um meine Hilfe und mein Entlastungszeugnis. Und dann erzählte sie in sliegender Hast weiter von dem Erlebnis, das einige Wochen zurücklag. »Ich habe mich losgesagt von Jako me. Jch bin seine Braut nicht mehr. Er ist ein schrecklicher Mann. Das Blut, das er vergessen hat, würde über mein Haupt und das des Vaters kommen. Retten Sie meinen Vater» — oh, retten sie ihn, mein Herr! Beis Gott —- er und ich —- wir habens nichts zu tun mit jenen Bluseuniän nern. Als damals in jener Schrei tensnacht mein Haar erbleichte —- als ich Jörome aus seinem Opfer sah — es war ein deutscher Ossiziert —- da habe ich geschworem Nie soll Gemein schaft uns verbinden! Rie! »Oh mon Dien, qu’est-re que je dois satte-« Was soll ich beginnen?« Jch suchte das weinende junge Weib, das vor mir aus den Knien lag, zu trösten, wollte sie -- ich gestehe es — mit liebendem Blick emporheben und zum Sessel führen. Aber mit Augen voll ernster Trauer und erha bener Frauenwiirde entwand sie sich mir. Und ich mußte mit Scham der deutschen Frauen gedenken, die aus der Fahrt zur Grenze mein Mißfallen er regt hatten durch ihre eitle Kotetterie mit französischen Gefangenen, Turtos und Zaudern Da hatte ich deutsche rauen gesehen. die tändelnd den Feinden der Nation entgegengirrten, o daß jedes gesunde Manmsgesühl« den Unmut wachsen süblte gegenüberl solchem Sichvergessen. Und nun dieses junge einsame Weib! Welch hohes Taktgesüblt Leise buschte Antoinette hinaus-, nnd bald sah ich sie im Morgennebel dems Dorfe zueilen, nur ein leichtes Kopf-« kuch über den silbergrauen Scheitel ge egt. Sobald der Tag anbrach, begab ich mich zu meinem General und meldete die Vorgänge der Nacht, denn ich konnte meinen Attentasten der Bewa chung des neu eingetroffenen Trenn soldaten überlassen. Aber es stand schlimm um Pdre Bourdon. Der Matte, selbst in der Mordnacht auf der Straße ergriffen, bezeichnete den verbasteten Müller als das Haupt der Bandenorganisation des Departements und vor allem als künftigen Schwie gervater des Malers Jisrome Pirois. Allein meine wichtige Aussage über den Aufenthalt Bourdons in seiner Mühle anstatt im Dorse während des Uebersalled bewog das Kriegsgericht die standrechtliche Erschießung des al ten Müllerö noch binausznschiebenx die Hast aber blieb bestehen, denn im merhin fiel ihm zur Last, mit dem Franktireur Järome Pirois verhandelt zu haben. Viel lam auf das Zeugnis Antoinettens an. Aber die Müllerin von Courrnelles, wie man sie nannte. blieb verschwunden seit jener flehents lichen letzten Bitte an mich. Jch hätte viel daraum gegeben, ihren Aufenthalt selbst erforschen zu können. Aber der Fortgana der Belagerung von Sait sons nahm meine ganze Zeit oft auch während der Nacht, in Anspruch Ich hatte meinen General in die Batterien zu begleiten und hielt mich stunden lang in seinem Gefolge in den Ver bindungsgriiben auf. die dem feindli chen Feuer ausaefetzt waren Eine schlimme Kampfepisode am 12. Otto ber verschaffte mir eine Armwunde, aber auch mein Kreuz hier auf meiner Brust. Da hatte ich eine Depefche aus dem Beobachtungsstand nach rück wärts zu befördern, gerade, als ein wütendes Feuer aus der Festung uns »iiberfiel. Der General rief mich zu riick Aber ich bat, den Befehl aus führen zu dürfen, denn das Tele jaramm war von äußerster Wichtigkeit. »So lroch ich denn auf allen Bieren den schmalen Berbindungsgang ent lang, als ein brummendes Herausw sen eines schweren Geschosses hörbar wurde Gerade hatte ich noch Zeit auf die Brüstuna zu klettern und dem Stabe ein Warnungszeichen zu neben, als eine riesige Bombe schwer-l sten Kalibers, sie war aus einem BL 3entimeter-Mörser geschossen, mit ei nem wahren Geheul in den nahen Batteriehof fchlua. Der Boden er zitterte und eine furchtbare Explosion erfolgte. Grelle Feuerstreifen aus schwarzen Rauchwolkem Holzsplitter, Erdllumven und Sprenasiiicke benah men mir den Atem. Ein Klatsch aes »gen meinen linken Arm! Ein Reaen ;niederfallender Erde verschüttete mich ;fast. Als ich zu mir kam, sickerte Blut ’aus meinem UniformärmeL Aber ich iriß alle Kraft zusammen und es ar .lana mir, meinen Weg fortzusetzen, bis »ich die Depefche aus dem Gefahrbereich ;heraus·aebracht hatte. Dann bin ich vhntnächtig zusammengesunlem und man brachte mich in mein Quartier Von Courmelles, wo ich, schön ver bunden, ganz fröhlich erwachte und mir von meinem Trainsoldaten er zählen ließ, wie ich hierherkommen war. Am M. Oktober siel Soissons in unsere Hände und der Stab brach so fort auf nach Paris. Jch aber mußte bleiben, wo ich war, und hatte Aus sicht, noch zwei Wochen meinen Arm schonen zu müssen· Für den Soldaten war das schlimm, aber siir den —-— Verliebte-i nicht. Denn daß ich es nur gleich gestehe: Es verging keine Stunde des Tages, wo ich nicht nach Rücklehr der Mülle rin mich sehnte. Jetzt wandelte ich wie ein Nuheloser durch Haus und Mühle, durch Garten und Hof und suchte nach Spuren des geliebten Mäd-! chens. Nur ein Zimmer hatte ich bis her nicht zu betreten gewagt: Antoi-s snettens Kammer-. Sie lag abseits-! über dem großen Mühlenrad, das jetzts trocken und traurig sich mit Moosgriim bedeckte. »Vielleicht findest du biers Spuren ihres Aufenthaltes und solche, die zu ihres Vaters Entlastung die nen könnens« sagte ich mir und wagte es, die Tür gewaltsam zu öffnen. Eine dumpfe Luft drang mir entge gen, und überall zeigten sich Spuren eiligen Aufbruchs. Doch nichts fesselte mich so sehr wie ein Gewölbe, das, von der Herbstsonne beschienen, dem Fenster gegenüber hing. Sie sehen es dort an der Wand, Herr Leutnant. Wir haben es aus allen Fährlichteiten heraus gerettet, u. es ist das lostbarste Stück meiner privaten Kriegserinne rungen. Sie haben erkannt, was und wen es darstellt, und ich kann jetzt hinzufügen, daß jener Järome Pirois es malte. Fast noch feucht waren die Farben, als ich es entdeckte, denn kurz vor dem blutigen Ereignis in der. l Mühe von Courmelles war es vollen det worden. Von nun an saß ich stundenlang in Antoinettens Stäbchen vor dem Ge mälde, und immer mehr, je näher ich den Tag meiner Genesung und mit ihm meiner Abreise herankommen« Ehlte wuchs meine Sehnsucht nacht m Modell. »Du mußt sie finden, koste es, was es wolle!« schwor ich, und noch an demselben Abend ging. ich, den Atrn in der Binde und die Pistole in der gesunden Faust, auf Patrouille. Jch durchstreifte die Felder und den Busch in der Nähe der Mühle, dann zog es mich ins Dorf und zum Etap pengefängnis hin, wo Pdre Bourdon fchrnachtete. Ich umkreiste das finstere Gebäude der Kommandantur und stand lange vor einer Wölbung in der umfchließenden hohen Mauer, durch die der Mühlbach von Courmelles hin durchalitt. Der Bach verband mich mit Pisre Bourdon, von dessen Un schuld ich überzeugt war und den ich verehrte, weil er Antoinettens Vater sich nannte. Langfam und sinnend ging ich am Bache entlang, stromauf wärts der Mühle zu, als mir auffiel, wie seicht das Wasser heute Nacht war Jm Miihlenquartier angelangt, ent deckte ich des Rätsels Lösung. Die Schützen waren niedergelassen und der Bach ftrömte breit in den Umflutara ben hinein. der im weiten Bogen das Dorf umging. »Wozu das? Und wer hat Jn teresse an solchem Tun?« fragte ich mich. Da fiel mir plötzlich die mit dem Bachwasser ausgefüllte Wölbung in der Gefängnismauer ein und blitz artig stand mir vor Augen,Perd-Bour don will entfliehen! Und wer anders konnte diesen Plan ersonnen haben, als Antoninette, sein Töchterchens So glaubte ich und kämpfte einen schweren Kampf — dann wußte ich, was ich zu tun hatte. Mit Aufbietung aller HKrast meines gesunden Armes schloß ich den Zugang zum Abflutqraben und ’brausend rollten die Fluten des fMühlbacheS in ihrem alten Bette zu Tal Dann stürzte ich selbst auf dem Wege zum Etappengefiingniß von Courmelles davon. Ich war früher als die Wogen des Baches an der kritischen Stelle. Noch war die Wölbung in der Mauer nicht mit dem steigenden Wasser gefüllt» und gestattete noch recht gut das Hin- « ein- und Hinausschlüpfen eines Men-? schen. Jch verbarg mich am Ufer hinter Weidengestrüpp und hielt den Atem an, in bangfreudiger Erwar tung, Antoinette bald zu begegnen. Nicht lange blieb ich allein, aber kein Weib, sondern Männer, gebückt und vorsichtig heranschleichend. Jch er kannte im Mondlicht ihre Blufen und ihre Waffen im Gürtel. Vor der Mauerwölbung angekommen, berieten «sie. Dann stieg der lleinere von ih nen in das noch seichte Wasser des Baches hinein und versuchte in ge bückter Haltung in den Hof des Etap pengefäugnifses zu gelangen. Als er drinnen war, tönte ein leiser Psiff sund der zweite machte sich bereit, ihm zu folgen. Jch zweifelte nicht, der erste der Männer war Järome Pi rois. Den zweiten kannte ich nicht. Auch ihre Absicht schien mir wenig stens im Umriß klar: sie wollten Pssre .Bourdon zum Entweichen verhelfen. Warum aber? Jch glaubte an des Müllers Unschuld. Aber er mochte viel, alles wissen, was manchem die Fliuteniugel in die Rippen gejagt hätte, würde das Kriegsgericht es er xsahren So sollte er weniger zu seiner ISicherheit, als zur Sicherheit anderer "befreit werden, und dieBefreier waren die gesuchten Schuldigen. So schoß es mir durch den Kopf und ich folgte dem Gedanken sogleich. ,,Spaziert nur in eure Falle hinein«, murmelte ich ,,Dafiir, das; ihr nicht wieder herauskommt, werde ich schon sorgen«. Jetzt kroch auch der zweite der Miin ner durch die Mauerwdlbung, aber er Efchnauste schon gewaltig, dag Mühl wasser war im Steigen und ging ibrn bereits bis an die Kehle. Als ich zbeide auf dem Hof der Etappenkom mandantur vermutete, stellte ich mich, die Pistole im Gürtel, dicht vor die Maueröffnung an das gurgelnde Was ser und entloclte meiner Signalpfeife einen langen, schrillen Ton. Anfangs blieb alles still, als ich aber immer wieder das Signal ertönen ließ, hörte ich hinter der Mauer einen schweren Schritt. »Poften!« rief ich dröhnend. »Feind ist im Hof! Schnell alarmieren und feste zupaclen!« Kaum hatte ich gerufen und Ant wort erhalten, als es im Wasser zu plätschern begann, und kurz darauf wurde das struppige Haupt eines Mannes sichtbar, triefend vom Mühl wasser. Eine Faust hatte ich nur, aber die war artilleristisch gebildet, und so griff ich denn zu, als wenn es gelte, eine Fünfzehnzentimeter - Kanone zu heben. »Ah, mon ami! Halt mein Freund! Hier ist kein Durchgangs« Der Kerl wand sich und fuchelte mit den Fäusten in denen etwas Blan tes funkelte. Aber ich behielt die Ruhe und blieb bei Humor: »Warte, ich will dir ein bißchen das Köpfchen tühlenl« Und schnell tauchte ich den Zappelnden einige Selunden unter Wasser und saß dann am Mühlbach, als hätte ich einen fetten Karpfen an der Angel. Wie aber, wenn der andere Musen mann erschien? Diese tritische Situa tion wurde mir erspart, denn ein turzes »Halt! wer da?« klang zu mir Iiiber die Mauer herüber, dem ein ; ischarfer Schuß folgte, und gleich dar- ’ Iauf Wutgeheul: ,,Maudits prass fsiens!« Verfluchte Preußen!« »Ach haben wir'«, lachte die Stim nie des Wachhabenden, »und nun den andern Kerl!« »Den habe ich; Kamerad!« antwor tete ich und tauchte schnell noch eintrat den um sich greifenden Franz-nann, dessen Füße übrigens im steigenden Wasser den Boden verloren, ein biß chen unter, da kam schon die Wache im Laufschritt heran und nahm ihn in Empfang. Richtig! Wie ich vermutet hatte. fo, war es. Jch hatte den Monsieur Its-. rome Pirois gefangen, und der an dere war der Maire von Courmelles. Bei beiden fand man Papiere, die— sie schwer belasteten und Vater Vom-— dons Unschuld klar erwiesen. Zwei Tage darauf standen die beiden Uebel tötet an der Mauer der Etavpeniom mandantur und erhielten ihren ver-. dienten Lohn. Pssre Bourdon aber pilgerte an meiner Seite als ein freier Mann nach seiner Mühle zu rück. Brauche ich noch zu betonen, dasj der alte Müller mir in rührenden Worten fiir sein Leben dankte? Jch nahm gern diesen Dank in Empfang wiinschte aber als Belohnung vie! mehr: Antoinettens Aufenthalt wallte ich wissen. Endlich. am dritten Abend nach seiner Rückkehr, bei einer Fla sche roten Landweins, sprang Beste Bourdon vom Stuhle auf und stülpte sich seine Pelzmiitze auf die arauen Locken. Dann nahm er seinen Kno tenstock zu Hand und sagte, listig blinzelndt »Ob Mademoiselle Ante-i nette bald zurückkehrt? »Eh bien· qui vivra verrat« Wir werden es ja er-· leben!« Dann schritt er hinaus und« querfeldein. An diesem Abend noch traf mein Abmarschbefehl in der Mühle ein, und ich war in recht trübseliger Stim mung damit beschäftigt, meine sieben Sachen im Tornister zu verpacken. als der Trost für den Schmerz der Ab reise auch bereits eintraf, und zwar in Gestalt des »Monsseur Kirchenwasser,« wie ich den guten Vater Bourdon letzt bin getauft hatte. Er steckte seinen Grautopf durch die Tür und lachte bedeutungsvoll: »Monsieur Sergeant, voilü votre meuniksre de Courmelles!« Da ist Jhre Miillerin!«—— — — ..11nd nun, liebstte Antoinete er zähle du weiter!« lächelte der alte Spinner und nahm seine Frau Ehe liebste in den Arm. »Wir sind geworden sehr glücklich, ,,Monsieur Lieutenantt Et mon Pete le meunier de Courmelles«, mein Va ter, der Müller, er ist noch lange ge blieben am Leben. Oh, der gute Pdrc Bourdon!« - Und mit der sprudelnden Lefhaftig kesit derFranzöstn erzählte jetthadame Spinner weiter. Jhre dunklen Au gen suntelten und die schönen, vollen Lippen wölbten sich bei dem leiden sdiaftlichen Ausdruck ihrer Erinnerun gen. »Parbleu, monsieur mon lieuienant« —- siirivahr, hat gegeben noch eine harte Zeit. »Von-i la cominune!« Oh ich meine die Kommune in Paris, die» hat gehabt Freunde in Courinelles. Und die haben es gewußt, das-, Mon sieur Spinner ist geworden ,,mon trtss cher ami« —- mein bester Freund. ,,Sohez circonspect!« Geben Sie« acht! So haben unsere Nachbarn ge warnt· Aber in einer sinsteren Nacht —- da haben die ,,Communards« den Brand getan in unsere Mühle. »Ok) — nion cher moulin!« Meine arme, arme Mühle! Sie ist geworden ,,une pauvs ree ruine« -—— eine armselige Ruinel »Von-U »wir sind geslohen hierher, ,,.il’Alsace« —— in das Elsaß, weil die Männer von tsonrmelleg nnH vertrieben nnd geschrien zu meinem Vater »Que le diable l’in1porte!" Sie verstehen, ,,nion eher lieutenant«, »Der Böse soll ihn holen«, so haben die Männer lsit-re Bonrdon geioiinschtl Da habe ich geschrieben einen Brief an General von Monsieur Spinner und als tam ,,le lundi de Paques«, der Ostermontag — da ist er endlich gekommen nach Lideldingen, »mon brave camerade«. Er hat geholfen, eine neue Mühle lcusen und er hat gesagt: ,,J faut gagner son Pain« — wir müßten doch verdienen unser Brot. Und er That viel gearbeitet. —- comme un sgarcon mennier, wie ein Müllerlnecht.« sDa bin ich geworden sein Weib — »Und das Gliick ist eingezogen bei mis. s Aber Pere Bourdon — er ist ge storben dans ses vieux jours — in lseinen alten Tagen — mein guter Pere Bourdonl Aber wir sind geblie ben hier und haben die Mühle ver kauft. Dieses Haus aber, monsieur mon lieutnant — c’est notre Pay-H — das ist unser Sominersitz. Und mein lieber Spinner, er ist geworden Maire de Lideldingen, wei sie alle ihn haben so gern —— oh, so gernl«' Und mit einem tiefen, glückstrahlen den Blick aus ihren Gatten bezeugte die ehemalige Müllerin von Columel les noch einmal »Par ma soit Wahr hastigl Wir sind geworden sehr, sehr glücklich« . Noch einmal betrachtete ich gemein sam mit dem Hochzeitspaar die Ar beit des Herrn Jerome Pirois, der so kläglich enden mußte, dann stießen wir abschiednehmend die Gläser an einander und ich drückte den beiden Prächtigen Menschen die Hand, die sich inmitten des blutigen Krie es zuein ander gesunden und 25 gJahre im tiefsten Frieden miteinander get-U hatten.