Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, September 06, 1912, Zweiter Theil, Image 9

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    Nebraska
Staats— »An-Zeiger und 71 set-old
Jahrgang MS Grund Island. Mehr-, 6. September 1912 sskweitcr TlpeitJ Nummer 4
--
sei-fest «
Von Jfa Madeleine Schulze
ss fang der Wind in dieser Ida t:
-Sach’ auf. —- komm« in den en.
Mk wollen wir bei Wende-pracht
Das alte Glück erwarte-IF —
Und «Den!st du drei-VI und »Weißt
du noch?· —
klang? leis aus Busch und Bäumen
Und vor knit fie! der Jahre Joch
Jeh stand m Jugendttäumev. —
Uckk wu t« ich no von s«wekek Pflicht,
Was n von s- mld uns Qualenl —
Dee Jugend hellstes Mot.denlieht
, büßt mich mit Silberftmhlen. —
SI ist nicht wahr-. daß alt und kalt
ch wtzkd in Groll und Schmerzen,
in bei er Strom, der wogt nnd wallt
Und str mt und stürmt zum Herzen
Mb neig« das soegenmüde Haupt
Dem kühlen Wind entspqu —
Ganz still —- und meine «ee!e glaubt
Und fühlt der Oetmat Segen.
Oh auch am Ta die Zeit mir drob·
Mit ihrem Scheit, dem hatten »
Nachts wen ich jung, nachts war ich froh
» Ja meinem Oefmatsgartem
I
III-Im
—
Ssizze .on A. Gaben
Frau Louise Wang, die wahrhaft
etsinderisch war im Entdecken von
neuen Beweier ihrer großen Men
schenliebe, hatte etwas ganz Beson
deres gema: Sie hatte die Klavier
tehterin ihrer Nindeiz Fräulein Bet
ta Schködet, auf die Sommerteise
- mitgenommen
»So-r armes Maoe1,« sagte
beim Abschiednebmen zu ihren Freun
dinnen, mit denen sie sub allwöchent
lich einmal im Tiergarten zum ge
miitlicben Kasseekränzchen traf, «so«n
armes Ding kann’s brauchen. Erst
recht!« und dabei blihten ihre Augen
kampfbereit, obwohl noch niemand tm
Wort dagegen geäußert hatte. »Nein,
so ’ne Klavierkebrerin dass wirklich
nicht leicht. Tagaus, tagein muß sie
von einem zum andern pilgern, und
niemand denlt daran, das; so ein
armes Wesen auch hunger und Durst
kriegt dabei. Na, bei uns bekommt
sie immer Rasse und ein Kuchen
stiickchen dazu. Das bab’ ich ein
siir allemal so bestimmt Ach, Sie
glauben ja gar nicht, wie dankbar sie
ist. — Als ich sagte, dasz wir ver
teisen würden und die Stunden aus
sallen müßten, da sah sie ganz nie
dergeschlagen und tiestraurig auM
»Alle reisen sie fort, alle!« sagte sie.l
Und da konnte ich nicht anders; ichs
sagte zu ihr: »Fräulein, Sie sollen
auch verreisen. Sie müssen mit uns
nach Schandau kommen. Sehen Sie,
dann haben Sie eine Lustderiinde
rnng —- und Schandau ist ein seiner
Kurort, wo es ziemlich teuer ist und
nicht all und jeder hingeht. Da sind
Sie siir die Ferientage aller Sorgen
ledig, die Kinder können ihre Stun
den weiternehmen, und ich habe fe
mand· mit dem ich sprechen kann.'·
Sie sah mich ganz erschrocken an.
»Aber, Frau Wang,« sagte sie, »das
geht doch nicht. Das kann ich ja gar
nicht annehmen.« —- »Na, dann muß
ich mir eben jemand anders suchen'«,
hab’ ich gesagt. »So ganz allein mit
den drei Kindern gehe ich nicht wie
der sort. Ach Gott, der glückliche
Blick. mit dem sie mich ansah.«
»Wenn’s so ist und ich Ihnen dien
lich sein kann. dann komme ich gern
mit, gnädige Frau« Na. sehen Sie,
meine Damen? So habe ich iemanv,
der mich begleitet und dem ich trau
en kann, der mir und den Kindern
beim Anziehen hilst und mir vorliest,
wenn ich in der Höngematte liege,
und die Kinder bekommen ihre Fila
vierstunden umsonst, und ich kann sie
mit dem Fräulein zu Hause lassen,
wenn ich Touren mache. lind neben
bei habe ich ein gutes Werk getan.«
So hatte Frau Luise Wang im
Kreise ihrer Freundin ten gesprochen,
O- und alle hatten ihr Tun sehr lobenö
wert gesunden; aber nachgemacht
hatte es ihr niemand.
Als sie in Schandau eingetroffen
waren, drohte das gute Einvernehmen
aber schon am ersten Tage ins Wan
ken zu geraten. Sie hatten mit Mii
he und Not zwei Zimmer gesunden,
in deren einem ein Klavier vorhan
den war. Leider lagen die beiden
Zimmer nicht nebeneinander, sondern»
waren durch die Länge des Korridors«
voneinander getrennt. Frau Wang
entschied also, daß die Kinder mit
Fräulein Schritder das eine Zim-«
mer beziehen sollten, während sie das
andere, in dem das Klavier stand,
itr sich wählte. Aber die drei Mii
lchen waren damit nicht einverstan
den; sie wollten bei der Mama schla-»
sen; und Fräulein Schrbder machte
ein anz verlegenes hilfloses Gesicht
« o seid doch vernünftig, liebe
- Kinder«, sagte sie. »Ich will sa ims
mer recht nett zu euch sein« Und ie-;
den Abend erzähle ich euch eine schö
nes Geschichte.« Das wirtte. Die
Wl sanden aus einmal den Sei«
danken, mit dem Fräulein zusammen f
zu schlafen, furchtbar fein und strit-»
ten sich auch sogleich um den Vorzug, !
wer von ihnen am nächsten neben
der Klaviertante schlafen dürfte. Sie’
hängten sich an Berta .Schriider fest
wie die Kletten und hatten lauter
Anliegem die ins Unheimliche wuch
sen, je schneller sie ihnen das gedul
dige Fräulein Schröder erfüllte.
j Frau Wang strahlte vor Seligleit.
;Sie erblickte hierin aufs neue den
Beweis, daß eine gute Tat sich selber
-belohne; und im Wohlgefallen über
ihr eigenes gutes Herz beschloß sie
auch sogleich, sich diese günstige Lage
der Dinge nach Möglichkeit nutzbar
zu machen. und sich in dieser schönen
Zeit mal so recht von herzen zu amti
sieren, da sie die Kinder in guter Ob
hut wußte.
Als ed Abend geworden war, und
die Kinderaugen allmählich lleiner
wurden im Banne der Müdigkeit,
flog zu Fräulein Schröder ein bit
tender Blick aus den Mut-nagen
herüber. Das Fräulein verstand so
fort, was die Gönnerin damit sagen
wollte. «
»Gewiß, gnädige Frau. Sie kön
nen mir die lleinen Geister in aller
Ruhe überlassen. Jch werde sie zn
Bett bringen. Oh, wir werden schon
zusammen fertig werden.«
grau Wang lächelte verbindlich.
»»ehr nett von Ihnen, liebes Fräu
lein. Jch möchte noch ein wenig zum
Kurpart herübergehen, ich glaube, es
ist heute abend ein Konzert irgend
wo.«
Fräulein Schröder verneigte sich
freundlich, und Frau Wang ging
fort. nachdcm sie ext:a sorgfältig
Toilette gemacht hatte. Sie war eine
sehr wohlhabende Witwe, stand noch
in den besten Jahren und wußte wirk
lich teinen Grund anzugeben, warum
sie ihr Leben jetzt vertrauern sollte,
nachdem sie durch die Krankheit ihres
verstorbenen Mannes und die Pflege
der drei heranwachsenden Kinder
wirklich genug schwere Tage hinter
sich hatte. Wer konnte es ihr ver
denken, daß sie nun ihr Leben mal
ein bißchen genießen wolltest
Arn andern Morgen rii ete sich
fFrau Wang zu ihrer ersten ander
tour. Sie wollte zum Kuhsiall hin- i
auf, in Begleitung einer reisenden.
Familie, die sie am Abend uoor
kennen gelernt hatte, und erta
Schröder ging unterdes» mit den
Kindern in den Wald. Sie siihlte
sich so unsagbar glücklich, aller Sor
gen los und ledig; so, als sei ihr
das Leben neu geschenkt und das alte
liege hinter ihr wie ein abgetrageneå
Kleid. Froh und frisch klang ihre
Stimme beim Singen der alten, lieb
vertrauten Wanderlieder, die ihre
:drei kleinen Schülerinnen herzhast
! mitsangen·
»Da geht der Verein »Schwache
sLunge«!« spöttelte ein etwa elfjähri
sger Knabe, der hinter ihnen drein
«schritt. Berta drehte sich um. »Willst
du nicht unseren schwachen Chor ver
stärien helfen?« fragte sie schlagfer
tig. Die Mädelchen licherten, aber
Fräulein Schröder hub unverdrossen
wieder an zu singen, und plötzlich fiel
auch der Knabe mit heller Stimme
ein und die Mädchen folgten seinem
Beispiel. So wanderten sie ein
Weilchen einträchtig zusammen.
Schließlich iamen sie an eine Bank,
die eine herrliche Aussicht bot. Lei
der war sie nicht mehr unbesetzt, denn
ein Herr hatte bereits darauf Platz
genommen. Jnr Nu hatte sich der
Knabe neben ihn gesehi. Fräulein
Sehr-öder zögerte einen Augenblick,
setzte sich aber dann und bedeutete
die Mädchen, ein gleiches zu tun·
Nach leisem Kichern und liebevollem
Schnbsen und Kämpfen um den Plan
an Fräulein Schrsders Seite waren
endlich zwei der Kinder placiert, aber
das kleinste von ihnen hatte keinen
Platz mehr auf der Bank gesunden-?
»Ihr wechselt euch abl« sagte Berta I
Schröder beschwichtigend. — Der?
Herr, der auf der anderen Seite der!
Bank saß, hatte der kleinen Szene
amiisiert zugesehen. Nun gab er dem
Jungen einen leisen Stoß. »Sieh
auf und last die Kleine neben ihrer
Mama sitzen!« «
Die Kinder ticherten von neuem,
ietzt noch stärker als vorher. Und
wie einer geheimen Verabredung fol
gend, wetteiferten sie ietzt darin, zu
Fräulein Schriider »Mamachen« zu
sagen. Bei-to fühlte sich eigentümlich
berührt davon. Eine hilflose Scheu
war ilber sie gekommen, die sie hin
derte, den Irrtum des Fremden zu
berichtigen, und das Ungewohnte der
Situation ve sehte sie in einen Zu
stand hetmlt r Errettung Die Mäd
chen riiclten unruhig hin und her und
neckten sich mit dem Knaben herum.
Bertas Augen begegneten denen des
Fremden, und eins las ins Blick des
anderen das frohe Verstehen der Kin
derlust; da zog er den But und stellte
fich vor. Martin Grasf war sein
Name. Daf- tie nach r noch eine
Meile miteinander um gingen, war
-s Aphis-USE b« ssksnil qkfckslnsspst
Freund chast der Kinder selbstver
ständli .
s Als Berta Schröder heimlam, wuß
; te sie schon die ganze Lebensgeschichte
des Fremden. Er war Magistraigi
setretiir und Hausbesitzer und seit
orer Jahren verminder; er hatte auuz
durchbliclen lassen, daß er nicht ab-;
geneigt sei, eine neue Erbe einzuge
hen. »Ist Jhr Herr Gemahl eben
falls hier? forschte er und sah Berta
dabei mit tiefem Blick in die Augen.
»Ich habe leinen Mann'«, bauchte
sie errötend. »Oh! Also Witwe.
Sehr angemme erwiderte er, und
seine braunen Augen strahlten sie so
dabei an, dasz sie es gar nicht übers
Herz brachte, ihm zu widersprechen.
Sie trasen sich nun jeden Morgen
im Walde und schlenderten nebenein
ander hin unter dem grünen Blätter
dach, während die vier Kinder von
Baum zu Baum tollten in frohem
Uebermut.
Frau Wang ging viel aus, und
besonders des Abends war sie nie zu
Hause, da Fräulein Schriider bei
den Kindern blieb. Die lonnte sc
wunderbare Geschichten erzählen, und
da jedes der Kinder seine eigene er
zählt haben wollte, während die zwei
anderen ausmerlsam zuhörten, mußte
sie immer dreierlei Geschichten in
Bereitschast haben. « .
wie Mutter war uoergiuanco, oag
das Fräulein ihr die Kinder so voll
ständig abgenommen hatte. Gleich
am ersten Abend hatte sie einen Herrn
kennen gelernt, der ihr ausnehmend
gefiel. Schon sein Aeuszeres war ihr
ungemein sympathisch; so schönes,
dunkelblondes Haupt- und Barthaar,
so hübsche, braune Augen hatte nicht
jeder. Er war Beamter, Hausbesitzer
und Witwen Daß er einen Sohn
von elf Jahren besaß, hätte Frau
Wang gern in Anbetracht ihrer eige
nen Kinderschar korrigiert, aber
schließlich fügte sie sich ins Unabän
derliche. Sie mußte ihm ja nun
zebensalls gestehen, daß sie drei Töch
ter habe, die sie täglich unter der
OFhut eines Fräuleins spazierengehen
la e.
) Zaum zwei Wochen waren vergan
gen, und Frau Wang war mit Herrn
Martin Grass verlobt. Jnr Ueber
rnaß ihres Glückes zeigte sie ihrem
Bräutigam sogleich die Photographie
ihrer drei kleinen Mädchen, die sie
in ihrem Handtiischchen mit sich siihrs
te. -
»Das sind deine Lochrerr fragte
er in höchstem Erstaunen Die Sa
che kam ihm doch recht seltsam vor.
Welche von den zwei Mamas war
denn nun die rechtes
Frau Wang bekam einen ärmli
chen Weintramps, als sie aus hetrn
Grasfs Munde hörte, daß er schon
eine »Mama' der drei Mädelchen
lenne. Ihrer Mädchen! Ihrer Kin
der! Nein, diese schamlose, freche
Person, die sich fremder Kinder be
diente, um sich einen Mann einzusans
gen. Denn auf was weiter hatte sie
es denn abgesehen?
Sie ruhte nicht eher, als bis sie
die Kleinen herbeigeholt hatte und
diese es bestätigten, daß sie ihre Ma
ma sei, ihre liebe, einzige Mamm»
Noch nn demselben Abend mußte
Fräulein Schröder, nach einer stiiri
mischen Szene mit ihrer Gönnerin,
abreisen. "
Herr Grais meinte dann, das ihm
die Sache mit dem Fräulein gleich
bedenklich erschienen sei. Aber die
drei niedlichen Kinder hätten es ihm
von Anfang an angetan: als ob er
geahnt hätte, daß es seine Kinder
werden wiirden».
Bei dem Wiedersehen mit den
Freundinnen am Kasseetisch ließ
Frau Wann den breiten Verlobungs
ring wohlgesiillig im Sonnenlichte
spielen.
»Und so eine sreche Person, diese
Schröderl Na. ich sage nur, ein
xmal und nicht wiedert«
Und alle waren mit ihr derselben
Meinung.
i
poiees guter sat
Mutter und Tochter befanden sich
an Bord des Ozeandampfers auf ho
her See; es war ihre erste Europa
reise.
Die Tochter stöhnte: »O Mama,
mir ist so elend zumute. Das ent
sehliche Gefühl kommt schon wieder!«
»Kindchen, hab Dich nicht so!
Warum tust Du nicht, was Papa
Dir sagte, als wir an Bord gingen?«
»Ich möchte ja so gerne, aber ich
weiß nicht mehr, ob er sagte, ich soll
tief atmen, wenn das Schiff hoch
geht, oder ob ich rasch ausatmen foll,
wenn es sich langsam nach unten
sentt.«
»Wenn’g hoch kommt, mein Kind
—,,Schweig, Mamat Um Gottesin
ten schweig! Ach, wenn ich doch tot
wäret«
Hist-, reitst- dritter-U
Humoreöle von Alfred inuhemann.
Man spricht soviel von Ahnungen
und Vorgesiihlen. Johann Jeremias
Padde aber hatte an jenem Tage
weder Unruhe noch Herzllopfem noch
Ohrensausen bersviirt Er war, als
der gebotene Gewohnheitsmensch, in
sein Stammcasez gegangen, zu der be
stimmten Stunde, um vie bestimmten
Freunde an dem bestimmten Tische
anzutreffen und sich mit ihnen ganz
gewohnheitsgemäsk iiber irgend eine
aufzukollende Frage zu zanken. Mit
toem auch soll sich ein unbeweibter
iMann sonst zanken?
An jenem ihm vom Schicksal als
einen Wendepuntt seines Daseins zu
gedachten Tage aber hatte Johann
Jeremias Padde zwar ebenfalls die
Absicht gehabt, sein Stammcaseä um
die gewohnteS tunde zu betreten —s
doch er kam garnicht erst dazu, son
rn blieb zwischen Tiit und Angel
stecken Ein richtiges Cases nämlich
muß heutzutage eine Drehtin beschen,
und damit eine solche ja ricktia funk
tioniert, ist meist noch zur Vorsicht ein
Schild daran befestigt mit der Aus
schristt »Bitte rechts drehen!« Und
der getvissenhaste und methodische
Padde drehte auch heute, sobald er in
das zwei Personen genügend Raum
bietende gläserne Abteil getreten war,
rechts herum. Aber laum hatte
Pabde zu schieden begcnnen, so
quietschte es aus und rückte sich dann
nicht mehr. Weder nach vorn, noch
nach hinten. So daß Padde zwischen
Holzwand und Glasiasten plötzlich in
einen: improvisierten Gefängnis s.aß.
Wie er aber deswegen noch lange
nicht Eden allerletzten Versuch machen
wollte« das Ding doch noch zum Dre
hen z«u bringen, geschah plötzlich auch
in seinem Rücken ein weichersDruch
der ihm sogar eine mollige Wärme
verursachte. War ihm die hintere
Scheibe der Drebtiir aus den Rücken
gefallen? Aber das hätte doch eher
Scherben als Wärme erzeugt! Er
sah sich-also, dadurch nur noch ver
trinket-, um und starrte ganz verwun
derte-in ein nettes Mädchengesicht —
oder vieismehr in das Antlitz von
einem Fräufeim das augenscheinlich
noch rasch in das Abteil hineinge
svrungen war, als Padde zu drehen
begonnen hatte — so wie es eben noch
nicht Geübte im Gebrauche solcher
neumodischen Zugangstiiren belieben,
und nun saß das Vögelchen bei ihm
im Käfig. Padde stammelte so etwas,
das wie eine Entschuldigung klang,
denn er mußte ja der Enge des Rau
mes halber der Fremden unverändert
den Rücken kehren, worüber sein An
standsgesiihl sich erst recht erboste.
Tarum begann er nun abermals um
so eisriger zu drücken und zu schieben,
um die widerspenstige Drehtijr zur
Vernunft und zur Freigabe der Ge
fangenen zu bringen.
Eber aber hätte er einen Stein er
weichen, das große Loos gewinnen
oder einen Baum herausklettern tön
nen, als ihren Widerstand besiegen.
»Sie sehen, es geht nicht, mein
Fräulein,« stotterte er völlig zers
tnirfchtxf
»Es wird schon gehen. Nur Ge
d:1ld!« sliisterte die an seinem Rucken
hijngende Unbekannte zurück und be
wies damit, daß sie in diesem Fall
der stärkere und vernünftigere Teil
vnn beiden war.
t
Inzwischen war man auch im Lo- »
tal auf den Vorgang aufmerksam j
sie-worden: Piccolo hatte zuerst ent- ’
bett, daß da zwei menschliche Schat- l
ten in der Drehthiir steckten, die sich
dort sehr wohl zu fiihlen schienen, l
denn sie wollten durchaus nicht aus
der Thiir heraus und in das Taf-s !
hinein. Der Piccolo hatte diese merk
wjirdiae Erscheinung zuerst mit offe
nein Munde anaestarrt, dann aber
war et zum Ober gelaufen und hatte
diesen an seiner Seroiette gezupft,
dabei sprachlos nach der Tür deutend.
Der Ober wollte dem Bengel zunächst
einen Katzenlopf verabfolgen, denn er
glaubte, er wollte sich einen unerlaub
ten Spaß mit ihm machen. Als aber
auch er sah, daß sich an der Drehtiir
etwas außergewöhnliches begab, eilte
er, jeden Zoll ein Ober, zum Eingang.
Zu seinem Erstaunen den Stammgast
Herrn Padde erkennend, noch dazu in
Gesellschaft einer ihm vertraulich an
tlebenden jungen Dame, fand er na
türlich höchst sonderbar, daß der sonst
so wohl erzogene Gast sich die Dreh
tiir zum Orte eines Stelldicheins er
wählt hatte und nahe daran war, da
durch in öffentliches Aergernis zu
verursa en.
»Aber so kommen Sie doch herein,
Herr Padde.« rief fast entrüstet die
Obrigkeit.
»Kommen Sie doch lieber heraus,
Verehrtester, und helfen Sie mir aus
der Klemme. Die Tür dreht sich
nicht mehr,« schrie Padde mi der
ganzen Kraft seiner Lunge zurück.
Waben Sie auch richtig nach rechts
gedreht?«
»Drehen Sie mal nach rechts und
Sie werden was erleben!«
Der Ober drehte und schob —- es
war nichts zu machen. Er schwenkte
mit der Serviette Hilfe herbei. Der
Untertellner lam, der Piccolo wollte
seine dürftigen Kräfte auch in den
Dienst der Befreiungssache stellen —
Profit! — selbst der runde Bauch des
Wirtes richtete nichts gegen die Dreh
tiir aus-.
Inzwischen konnte Padde als wohl
erzogener Mensch nichts anders als
seinen Kopf abermals nach rückwärts
drehen und: »Fatale Lage, in die wir
da geraten,« sagen. Aber des frem
den Fräuleins niedliches Gesicht mit
den sanft getöteten Wangen und den
blanten Augen lachte aus allen Poren.
»Wenn nicht die Tante warten
würde, fände ich diese Situation ge
radezu einzig —- vorausgesetzt, daß sie
nicht ewig dauert.« Und Padde rie
selte es immer wärmet über den
Rücken. .
»Wo ist denn diese Tante?« fragte
er.
»Sie wartet da drinnen auf mich
»Lassen wir sie warten — wir
müssen es ja auch,« meinte Johann
Jerenrias.
Und sie sollten es sogar noch ziem
lich lange müssen! Während welcher
Zeit der Piccolo natürlich längst
heimtüekisch zum Stammtifche Pad
»des gestürzt war und dort den Vor
sfall grinsend berichtet hatte: Herr
Padde steckt mit einer Dame in der
Drehtür und lann nicht mehr her
aus!
Und da gab es einen Ausstand am
Tische, wie ihn das Cafrz noch nicht
erlebt, und man rannte zur Ein
gangstür, schlug sich bei dem Anblick
des gefangenen Padde auf die Schen
kel, gab sich gegenseitig Rippenstöße
und brach in wieherndes Gelächter
aus. Anfangs verzog Padde sein
Gesicht zu einem süßsauren Lächeln,
dann aber färbte es die Röte des Zor
nes und die Verlegenheit. Er dachte
an seine Mitgefangene: »Ich bitte um
Verzeihung für diese Frechdachse. es
sind meine Freunde,« bai und erklärte
er. Laut aber rief er: ,,Schickt lieber
zum Schlosser, ihr Dummköpfe!«
»Ja, zum Schlosser,« echoten Wirt
und Kellner, als ging ihnen erst jetzt
der bekannte Seifensieder aus.
»Und ihr — ihr tut mir den Ge
fallen und zieht euch rückwärts!«
schrie Padde von Neuem die Stamm
tischgenosfen an. »Ihr seht, ich bin
nicht allein.«
»Sehen wir, sehen wir!« frohlock
ten die Unholde.
»Kurz, wenn ihr einen Funken von
Erziehung und Bildung habt, so
drückt euch, bitte! lind wenn ihr
dort wo eine einsame Tante auf die
ses Fräulein wartend seht, sagt
ihr.
»Wir lassen grüßen und kämen
bald nach,« ergänzte lachend eine helle
Stimme hinter ihm.
Und was Padde nicht erreicht, ge
lang dieser fröhlichen Stimme und
dem sich um Paddes Rücken verbeu-.
genden lieben Schelmengesichn Mit
; lomischem Respekt und noch immer
vor sich hinlachend, verbeugten sich
ihres Vordermannes Freunde undT
zogen ab. i
« Als die Ruhe auf diese Weise ver
hältnismäßig wieder hergestellt nnds
nach dem Schlosser geschickt wordenl
war, knüpfte Johann Jeremias alsl
aufmerksamer Mensch mit dem mitge
fangenen Vöglein eine regelrechte Un
terhaltung an. Jn lustiger Form
glossierte er die ,,Tücke des Objekts«,
die einem mitunter entsetzliche Verle
genheiten bereite, aber dann doch auch
wieder direkt angeneh . Situationen
herbeiführen könnte. nd vermaß
sich sogar bald, wesn es schließlich
nicht anders ginge, sein teure-«- Blut
durch Einschlagen der großen Tür
scheiben für die Mitgesangene ver
sprihen zu wollen, wozu er sich mir
ihr Taschentuch ausbitten wollte —
erstens damit seine Hand nicht zu
Schaden käme, und zweitens-, aus daß
er so ein ewiges Andenken an diese
Stunde bewahren könnte. ·
Als da plötzlich hinter beider
Rücken eine schrille Frauenstiinrne
ries: »Herta, Mädchen, was treibst
du denn da? Warum gehst du nicht
ins Cascs?«
»Die Tante,« stöhnte Padde, wäh
rend Herta jener rücklings den Vor
fall auseinandersetztr.
»Aber das ist ja standalös,« meinte
die Tante, ,,,,davon müßte man die
Polizei unterrichten.«
»Die kann der Tür auch nicht be
fehlen,« beruhigte Herta die Aufge
regte.
Jn demselben Augenblick ab es im
Innern des Cafess gleichfass einen
Ausstand-: Der Schlosser, der seinen
Weg durch die Küche genommen, kam
in Schurzsell und hemdiirrneln her
bei, gefolgt von dem ganzen Deerbann
der Obrigkeiten und der Gäste. Jeder
wollte dabei fein und sehen, ob und
wie die Gefangenen aus der Drehtiir
erlöst würden. Der Schlosser warf
zunächst einmal sein Werkzeug raf
selnd auf den Boden, stetnmte als- »
dann seine Fäuste in die Hüften und
blickte sich das böswillige Ding von
Tür kopfschüttelnd von oben bis unten
an. Der Moment war so feierlich,
dasz selbst die ungnädigc Tante drau
ßen verstummte. Als aber der Schlos
fer die Tür genügend betrachtet hatte,
folgte er dem Beispiele seines Wert
zeuges und war sich nun selbst auf
den Boden.
»Ich hab’s,« schrie er plötzlich
triumphierend. Alle Welt bückte sich
über ihn, um zu erforschen, was er
denn eigentlich l,ätte. Der aber ves
riet nichts-. Er griff zu einem langen
Stemmeifen nnd zum Hammer, schob
ersteres unter den Türflügel, der in
das Cas6 hineinragte, und schlug mit
dem letzteren kräftig zu — und siehe
da! gegen die Hühneraugen Padde’s
flog ein ziemlich dickes inetallenes
Gußstiick, das sich, von irgend woher
kommend, ausgerechnet unter den
Türsliigel geschoben und dort ge
tlemmt hatte.
Jm nachsren ngenoua sprang
auch der Schlosser auf die Füße. denn
beinahe wäre Padde, seinem Käfige
unwillkürlich einen Druck gebend,
mitsamt Fräulein Herta, und wahr
scheinlich auch der ungeduldig drän
genden Taute, in das Lokal gestürzt.
Ein Sündenbocl aber fiir den fo
glücklich und schnell aufgetliirten Vor
fall mußte gefunden werden: so er
hielt denn der Piccolo vom Wirte fei
nen Katzentopf.
An jenem Tage nicht nur, sondern
auch noch an vielen folgenden aber
blieb Paddes Platz am Stammtifche
leer, denn Herta bestand darauf, daß
Johann Jeremias nun auch Kaffee
und Kuchen mit ihr und der Tant
teilie, wie vorher das Gefängnis.
Rapoleon - gerettet-m
Napoleon Bonaparte war erst
sechsundzwanzig Jahre.alt, als er den
Oberbefehl iiber die italienische Armee
erhielt. Einer seiner Freunde sagte
zu ihm bei seiner Abreise: »Du bist
fiir einen Befehlshaber einer Armee
noch viel zu jung.« ——— ,,Jch werde
alt zurückkehren,« versetzte Napoleoth
si- - se
Ein reitender Jäger hatte dem
Obergeneral Bonaparte Depeschen
nach Montebello überbracht und
wollte sofort wieder mit der Antwort
zurückreiten. Sein Pferd war aber
zuschanden geritten, weshalb Bona
parte ihm ohne Zögern sein eigenes
übergab, auf dem er eben hatte aus
reiten wollen. Der Jäger indes
weigerte sich und machte Schwierig
keiten, das Pferd zu besteigen. —
»Findest Du es etwa zu schön und
prächtig angefchirrt?« fragte Bona
parte. »Mir zu, Kamerad; es gibt
nichts in der Welt, was für einen
französischen Soldaten zu prächtig
wäre.«
sie sit Il
Nach der Schlacht bei Austerlih
warf sich ein junger russischer Offi
zier höheren Grabes vor Napoleon
auf die Knie und flehte ihn an, er
solle ihn erschieszen lassen. »Ich bin
univijrdia, weiter zu leben,« rief er
verzweifelt, »denn ich habe meine Ge
schijtze verloren!« ——— ,.Junger
Mann,« antwortete der Kaiser mit
Güte, »ich achte Ihre Tränen, doch
man tann von meiner Armee ge
schlagen sein und trotzdem Anspruch
aus Ruhm haben.«
ti- III sie
Ter spätere Marschall St. Chr
hatte im Glauben, er sei bei der Ar
mee in Neapel zurzeit entbehrlich, da
gegen in Paris für Napoleon von
Nutzen, ohne Befehl seine Truppen
verlassen und meldete sich in den
Tuilerien Der Empfang dort ent
sprach nicht seinen LIrwartungem
»Sie haben ohne Frage die Erlaub
nis des Kriegsministers, nach Paris
zurückzukehren?« -«— »Nein, Sire,
aber ich habe in Neapel nichts mehr
zu tun!« —- ,,Wenn Sie in zwei
Stunden,« donnerte ihn Napoleon
an, »nicht auf dem Wege nach Nea
pel sind. lasse ich Sie erschießen." —
Darauf ließ er den General stehen
und begab sich in fein Kabinett.
—- Nur. Gast: »Sind Sie der
Kellneri Jch warte schon eine halbe
Stunde.«
Der Angeredete: »Nein, ich bin nur
ver Wirt.«
-—— Jn der Verlegenheit.
Kommis: »Ich möckåze aus ein paar
Tage Urlaub, Herr rinzipali Meine
Großmutter ist gestorben!«
Prinzipal: Hören Sie, das ist nun
das vierte Mal, daß Ihre Großmut
ter gestorben ist!«
Kommis: »Ja — meine Großmut«
ier war eine mettwiievige Franks