Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, June 07, 1912, Zweiter Theil, Image 9

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    U e b r a - kn
Staats-» Anzeiger und Il'cerold.
Jahrgang z
«
.) M h il.) » Nummer 43
Vie der Tag stirbt . . .
PonJohm henrh Mackah.
Ei ist ein Verdammern, so weich und
so schön,
Ohne Abschied ein Scheiben, ohne
Worte ein Gehn.
Ob heimlich die sonnige Schwester
ihm winkt,
Ob still er die nStrahlen des Mondes
noch trinkt,
Ob Nebel die siiehende Stunde um
spinnt,
Ob hin sie in Strömen von Regen
verrinnt —
Stets geht er in Schweigen. der seit
same Tag
"Der nichts sonst ais schreien und tör
men vermag
Ohne Hast, ohne Hamps, ohne Angst
ohne Schrei,
Des Tags Einerlei, nun vorbei, nun
vorbei!
Es ist des Entweichers iustlose Flucht,
Das Landen des Kabns in ver chron
gener Bucht:
Es springen die Menschen mit lautem
Gebrüll
An das User der Nacht. Der Kahn:
liegt still.
Er hat seine mühsame Arbeit voll
bracht
Und geht unentiohnt s in die Arme;
der Nacht. «
Ohne hast ,ohne Kampf-,- ohne Angst«
ohne Schrei,
Des Tags Einerlei, nun vorbei, nun
vorbei!
—-—-..-s
Yie Probe-.
Novellette von M. E n et h a use n.
Frau Agnes Winter sitzt allein in
dem sehr sein und zugleich behaglich
auggestatteten Solon ihrer reisenden
Villa äm Schifsgraben. .
Müßig ruhen ihre zarten Hände im
Schoße; sinnend sieht sie in den hüb
schen Garten hinaus, wo ihr einziges
Kind," die zehnjährige Beriha, Ball
fängt. Agnes Winter ist nicht hübsch,
auch nie hübsch gewesen. Das runde
Gesicht ist zu flach, die Züge unregel
mäßig, ohne pitant zu sein. Allein
die Augen geben ihnen zuweilen et-»
was Sympathisches, wenn der matte
Blick sich in träumerischer Sehnsucht
vertiest. Das kleine Mädchen irn
Garten gleicht der Mutter, doch sehlt
dein Kindergesichte noch mehr der le
bendige Ausdruck einer intelligentenj
Seele, obwohl das Mädchen sast im-’
mer lacht und seelenvergniigt das Le-:
ben genießt, das ihr noch keine Schat- i
tenseiten gezeigt.
Nicht lange, und mit schwachem
Lächeln haben die Blicke der Mutter
den ungelenten Sprüngen des ausge-;
schossenen Kindes zugeschaut, sehn
süchtig richten sie sich ans die Straße,
die sie von ihrem erhöhten Sihe weitf
überschauen kann. Und jeht leuchten;
die sardlosen Augen auf —- ein helles ;
Not särbt die blassen Wangen derl
Witwe —- sir haben eine iugendlichj
schlanke Männergestalt erfaßt, die aus
das haus zutomint Es tlingelt an
der haustiin Agnes Winter springt
aus, sie macht einen raschen Schritt
nach der Tür, urn ihren Mund fliegt
ein erwartungsvoll heißes Lächeln.
st. «herrin!« es ist ein Ruf
h pannter Freude. Er tritt ein,
die Augen glänzen blau aus dem sti
schen, jungen Gesicht, in dem sich ein
Bärtchen über- den Lippen kräuselt,
dunreivlonv wie pas weiche, ioacge
haar. hastig hat er die Tür geöff
net, doch dann stockt sein Fuß; demü
tig harrend steht er vor der eleganten
Dame. Schon oft hat er ihre Lippen
:-« geiüßt, er, der arme Volksschuliehrer
" die Lippen der Patriziersrau, der
Mutter seiner Schülerin. Sie hat
ihm gesagt, daß sie ihn liebe —- sein
F- Weib werden wolle. —- Er liebt sie
auch —- ihre sehnsüchtig veriangenben,
verheißenden Augen haben die Liebe
in seinem noch unberührten Herzen ge
weckt. Er liebt sie, weil sie sich, nach
seiner bescheidenen Meinung, zu ihm
herabneigt. Er de i dabei nicht an
ihren Reichtum, her er sieht sie in
dem ftir ihn märchenhast schönen
Rahmen ihres heims, ihrer geschmacki
vollen Totletten, und findet sie darin
schän. Er liebt sie, demütig in seinem
Glitt-ex er wagt nicht« sie eigenmächtig
in seine Arme zu ziehen, zaghast nur
« tüszt er ihre hand. Sie wirft sich an
seine Brust. »Ernst!« itammeite sie
:-:-; glühend, und durstige Lippen sinden
Lsich wieder und wieder.
Jst-s
.Mama!« ein iriihender Rns aus
dem Garten schreckt die Beiden aus.
»Warum tvmmt here Dammers nicht
beraus? Die Bücher liegen schon in
er Laube.«
gnes Winter macht sich von ihm
los; sie schiebt den jungen Lehrer nach
der Tür.
»Geh'!« sliisterte sie. »Ich erwarte
meine Mutter — noch darf ich Dich
nicht halten, wie ich begehre —- aber
bald, bald trennen wir uns nicht
mehr. Geh’" —- halte die Stunde in
sder Laube — ich tann Dich dort vom
Fenster aus sehen.«
Nach einmal preßten sich die beiden
Lippen auseinander, dann eilt er sort.
Sie sitzt wieder am Fenster, den
Blick nach der Laube gerichtet, wo ihr
Kind belehrt wird von ihrem Gelieb
ten, heimlich Verlobten. Bertchen lacht
bei dem Unterricht, es lacht eigentlich
immer, sinnlos, grundlos —- der Leh
rer hat es nicht leicht. Die Mutter
sieht nur ihn! Sie bemerkt es nicht,
daß eine alte Dame ins Zimmer ge
treten ist und sie beobachtet, erregt, er
bittert die Lippen zusammenpressend.
«Agnes!«
Man hört es der Stimme der alten
Dame an, man sieht es in dem seinen,
stolzen Gesicht, wie mühsam sie sich
zwingt. ihren Unmut zu ziigelin
Ihre Tochter springt aus, dunlel er
rötend
»Ich hörte Dich nicht lommen,
Muttert«
Um die Lippen der Stadträtin
Wellmer zuckt es bitter.
»Nein, Du warst zu sehr in An
spruch genommen. Deinem Kinde galt
der entriickte Blick nicht — leider
nicht, ich weiß es. Jch erfuhr genug
durch Bertchen’s arglos verratende
Reden. Agnes« —- der alten Patri
zierin Stimme schwillt zornig an —
«was willst Du mit diesem jungen
Menschen? Du —"
» Sie stockt, ihre Tochter hat sich un
gestiim aufgerichtet. »Heiraten will
ich ihn!« stößt sie trotzig hervor. Du
magst ei wissen, hindern wirst Du
mich nicht, Du nicht, und Niemand.
Jch liebe ihn, und ich will gliicklich
sein, nach langen, öden, liebeleeren
Jahren endlich glücklich."
Die alte Frau zuckt zusammen.
»Liebeleer?" Schmerzlich empört
wiederholt sie das Wort.
»Du ast Dein Kind, wenn Du
mich nich rechnest!«
Agnes weist die Mahnung mit ei
ner heftigen Geberde ab.
»Daß ich Dich und mein Kind lieb
habe, weißt Du· Du aber bist alt und
Dein herz ist immer lithl gewesen.
Du lannst mir nicht geben, wonach ich
begehre, und Bertchen? oh« —— sie ver
schlingt lrampfhaft die Hände —,
»dentst Du wirllich, daß dieses arme,
einfältige Kind, bei aller meiner Mut
terliebe, mir viel sein kann? Mein
Herz brennt nach Mannesliebe, nach
heißem Glücke; es will sich hingeben,
und Hingabe empfangen in seliger Ge
meinschaft. Was nützt mir meine ge
sellschaftliche Stellung, was mein
Reichtums-' Jch habe alles, was man
mit Geld laufen lann« —- verächtlich
zeigt sie aus die tiinstlerischen Schätze
in dem Gemache —, »ich werfe Alles
hin fiir ein bischen Liebe!"
Die Mutter läßt sich müde in einen
Sessel sinlen. Jhr Stolz windet sich
in der Ahnung, daß sie, dieser Lei
denschaft ihrer Tochter gegenüber,
ohnmächtig sein wird: die stolze, stets
lorrelt empfindende Frau begreift ihr
Kind nicht, aber sie begreift, daß sie
lein Mittel besitzt, es unter ihre Auto
rität zu zwingen. Doch noch muß sie
madnen, warnen. x
»und Du ekhoiist dieses Gciick in de
Vereinigung mit diesem jungen, unrei
sen Menschen, Du, die verwöhnte,
sonst so kluge, ersahrene Frau? Kann
dieser — dieser Voltsschullehrer Dir
genügen? Sagt Dir Dein Verstand
nicht, daß dieser unsinnige Schritt
Dich nicht glücklich machen kann? Ja,
auch nur destiedigeni Jch habe Deine
Wiederverheiratung gewünscht, doch
Du hättest andere Gelegenheit ge
nug —.«
»Aber ich will diesen Mann!« un
terbricht die Tochter sie, trosiger aus
lodernd. »Gerade diesen! Ich liebe
ihn, wie ich hermann Winter nie ge
liebt — ich liebe ihn in der under
drauchten Frische seiner Jugend, in
dein reichen Schatz seines einfachen,
ehr ichen her-sent
Kramvfbasi zerlniillt die Stadtriis
tin ihr seines Batisttuch, sie lächelt
bitter.
»Und wie denlst Du Dir Dein Le
den in dieser Thei« fragte sie schars.
»Der größte Teil-Deines Vermögens
geht Dir, laut Testament Deines der
storbenen Mannes, verloren. Was be
deutet der Nest bei Deinen Gewohn
heiteni Hossst Du aus meine Hilfe?
Du würdest Dich oerrechnen.«
»Nein!« Agnes Winter hebt den
Kopf —- sie ist fast schön in diesem
Augenblick. »Ich rechne nicht aus Dich,
und Hermann Winters Geld entbehre
ich gern. Jn meines Geliebten Welt,
in seiner Einfachheit will ich das
Glück, daß Eure Schähe mir nicht ge
ben konnten, suchen und — ich weiß
es — auch finden. Ernst Dammers
liebt mich, nicht mein Geld. Er wird
mich anbeten, mir die hände unter die
Füße legen — stir das, was er mir
bietet, werse ich alles hin, auch die
Menschen, die mich, wenn ich Frau
Dammets heiße, nicht mehr tennen
wollen. Gieb es auf, Mutter, mich zu
überreden. Jch bin entschlossen —- ich
heirate denMann, selbst wenn Du mich
darum verstoßen wolltes .«
»Und Bertchen?« der alten DameT
Stimme zittert, »hast Du bedacht, daß
Du sie schädigst?«
»Nein!« rust Agnes Winter hoch-:
mittig, »das tue ich nicht. Ernst Dam
mers ist ein gebildeter Mann, was ihm
an Aeußerlichkeiten mangelt, lernt sich
leicht. Und seine Erziehung wird Bert
chen nur gut tun, ebenso die Einsa -
heit unseres künftigen Lebens. Spa
ter hat sie genug, um ihren Wünschen
frei folgen zu können. Laß mich doch,
(
Mutter.«
Nein, die Mutter läßt noch nicht ab
mit Vorstellungen, Warnungen; sie
bittet endlich nur um Aufschub —
umsonst ist alles, der Tochter Eigen
willen beugt sie nicht.
Da erhebt sie sich —- wieder ganz
stolze Patrizierin. »So tue, was ich
nicht hindern kann,« sagt sie kalt.
»Borwiirse kannst Du mir nachher
nicht machen, nur Dir selbst.«
»Borwiirse?« Agnez Winter lachte
glücklich aus. »Gliickliche machen keine
Vorwürfe. Toch, Mutter, Du sprachst
eben geringschätzig von den Verwand
ten meines Ernsts. Du meinst, ich
würde mich niemals in ihrer Sphäre
einleberu Jch kenne sie noch nicht, aber
Ernst spricht von seiner Mutter mit
zärtlicher Verehrung, von seinen
Schwestern mit großer Anerkennung
— und ich sollte sie nicht lieben ler:
nen? Die eine der Schwestern schnei
dert —- das ist mir nicht angenehm,«
unterbricht sie sich, die Farbe wech
selnd, als sie sieht, wie es in der Mut
ter Gesicht zuckt —- »aber es ist ja jeht
modern siir junge unbemittelte Mäd
chen, den Berus zu ergreisen. Jch
komme auch darüber hinweg. ich will
nicht lleinlich sein, und will dies be
weisen. Morgen gehe ich zu der Mut
ter meines Ernst und lade die ganze
Familie siir den Abend ein. Willst
Du kommen, Mutter? ich bitte Dich
darum.«
Die alte Dame will hochmütig ab
lehnen, doch sie besinnt sich.
»Ich werde iomment« erwiderte sie
kühl. —
Ausathmend bleibt die junge Frau
zurück. So ist der Würsel denn ge
sallent Sie hat gekämpst und gesiegt,
nun braucht sie ihr Glück nicht mehr
zu verbergen. Sie fliegt zum Fenster,
sie will den Geliebten rufen, ihm sa
gen, daß alles entschieden und sie un
widerruflich sein ist, bald sein gliick
seliges Weib — die Laube ist leer,
Bertchen springt wieder im Garten
umher. Die Stunde ist aus, Ernst
Dammers sort, zu andern Schülern
Für heute ist er nicht mehr zu errei
chen, das weiß seine Braut. Sie zit
tert vor Enttäuschung doch rasch eilt
sie zum Schreibtisch. Die Feder slieat
iiber das Papier —- sie schreibt glii
hende Worte-— selige.
Gegen Mittag des andernTageZ
llingelte Agnes Winter an der Komi
dortiir der Damtners’schen Wohnung.
Sie hat absichtlich ihr einfaches Stra -
eniostiim angelegt, doch als sie diej
schmale Treppe des start benutzten
Doppelhauses hinaussteigt, scheint es
ihr als wäre sie siir eine Besucherin
hier noch immer zu elegant QUnwill
liirlich rasst sie den seidenrauschenden
Rock höher vor einer kleinen Milch
lache. Sie lächelt bei diesem Rau
schen, lächelt sehr tapfer.
,,Spiiter werde ich wohl leine« Sei
deniutter mehr nehmen dürfen,« denit
sie. »Wir gleichgültig toird mir das
sein, wenn ich mit ihm zusammen bin,
vielleicht —- ja doch in einem etwas
angenehmeren hause.« Als sie geilin
gelt hat, lommen ihr Bedenken. Sie
hat nicht bedacht, wie sie sich eigentlich
bei den Frauen einführen soll, die
nichts von ihr wissen. Sich sosort
als Schwiegertochter und Schwägerin
erkennen geben? Oder —- ihr bleibt
zum Ueberlegen teine Zeit —- die Tür
wird geöffnet ————— . Zehn
Minuten später eilt sie die Treppe
wieder hinab, sehr bleich sehr erregt,
mit scheu umherirrenden Augen. Sie
atmet auf, als sie, ohne Jemand zu
begegnen, auf die Straße kommt. Wie
auf der Flucht eilt sie auf eine Droschte
zu und fährt nach Hause. Sie schließt
sich in ihr Schlafzimmer ein, wirft sich
aufs Bett und wühlt das glühende
Gesicht in die Kissen. Jhr ist Schreck
liches geschehen! —- —
Eine Frau hat ihr die Tür geöffnet,
eine Frau in einem abgewaschenen, am
Halse nachlässig geöffneten Nesseltleide,
mit einer angeschmutzten, feuchten
Küchenfchiirze mit Seifenfchaum an
den groben, verarbeiteten Händen.
»Die Waschfrau!« hat Agnes Win
ter gedacht. »Mein Gott, warum las
sen die Leutchen denn in der kleinen
Wohnung waschen? Dieser Dunst ist ja
entsetzlich — der Kohlengeruch wäre
schon reichlich genug.«
»Ist Herr Damme-s zu Hause?« hat
sie gefragt, in dem Gefühl, daß Alles
in feiner Gegenwart erträglich würde.
Die Frau hat geantwortet, sehr höf
»lich, sehr zuvorlominend: »Ne, mein
Sohn ist noch nich da, er muß aberst
bald lommen.«
Agnes Winter starrte in das gute,
doch recht gewöhnliche Gesicht, aus die
entsetzlichen, abgestoßenen fchwärzlichen
Nägel —- sie fand keine Worte.
»Aber Mutter, warurn führst Du
die Dame denn nicht herein?« rief da
eine helle Stimme, und durch die
Spalte einer halbgeöffneten Tür
beugte sich der Wuscheltopf eines sehr
jungen Mädchens.
»Die Anprobe der Frau Räthin ist
gewiß bald sertig." »Sie will gar nicht
nach Lina,« entschuldigte sich die
Frau. »Sie will was von Ernst,
Bd in dem feiner Stube hängt Wä
e.«
Nun«lam die Eigentümerin des Wu
schellopfes in verwaschenern Kleidchen
neugierig näher. Agnes Winter trat
aus sie zu —- sie wollte sich nicht zurück
schrecken lassen, nein sie wollte nicht!
Sie hatte eben einen unglücklichen Au- :
genblia getroffen. —- ,,Die alte Frau
hilft gewiß gerade in der Küche, weil»
Waschtag ist,« drängte sie ihre auf
steigende Bellommenheit zurück, und
da der Backfisch linlisch zum »Eintre
ten« ausforderte, lam sie näher. Jn
dem Augenblicke öffnete sich seitwärts
eine Tür, eine Dame rauschte heraus
— eine Dame, die Agnes Winters
kannte. —- Hastig, von einem ihr selbst l
nicht llar bewußten Gefühl getrieben,s
trat sie in die ihr angebotene Stube
Sie hörte noch die Dame im hochmüti
gen Tone sagen: »Ich bitte mir abers
; aus, daß Sie pünktlich liefern, Fräu
lein Dammers, und nicht zu hoch be
».rechnen, sonst brauchte ich nicht zu Ih
nen lommen.« ,
»Ja, gnädige Frau,« antwortete
darauf eine bescheidene Stimme, »ich
werde mich bemühen, gnädige Frau zu
sriedenzustellen.«
»Das ist meine Schwägerin,« dachte
Agnes Winter, und das Blut schoß
ihr heiß ins Gesicht.
Der Backfisch schob einen Stuhl
heran — zögerte Agnes? Nein, sie
setzte sich. »Ernst, ich will tapfer
sein!«
Sie sah sich um.
»Unsere Dienstmädchen haben es
hübscher!« Der Gedanke drängte sich
ihr auf — bleischwer legte er sich aus
ihre Brust. Und dort der gedeckte
Tisch mlit Wachstuchdecke, grauem ab
gestoszenen Geschirr, schwo:z::! Ga
beln, — dem Salzfäszchen ohne Heri
tel —. Die junge Frau wendete ent
setzt die Augen, und tröstete sich wie
der. »Bei uns braucht-es nicht so zu
sein.·«
Der Bocksisch hatte sich ans Fenster
gesetzt und stichelte emsig an einem
schwarzen Gegenstand. Er fühlte,
baß es schicklich sein würde, die Dame
zu unterhalten
»Mutter ist noch immer so tätig,
ariss sie lrampshast nach einem Ge
sprächsstoss, ,,Alles tut sie noch —- ob
wohl sie bald sechzig Jahre ist —- wa
schen und kochen und scheuern, weil
wir doch kein Mädchen halten können.
Jch helfe ihr sonst, aber ich muß heute
sin Ernst diese Hose slicken. Das
mag ich gar nicht gern, und ich wallte,
Ernst könnte bald heiraten. Dann
muß seine Frau das tun, und auch
Strümpfe stopfen und alles.«
Da erhob sich Agneg Winter jäh-—
sie murmelte etwas —— von nicht war
ten können und schreiben wollen — —
Und nun liegt sie aus ihrem Bette
und schluchzt herzbrechend:
»Das tann ich nicht — das nicht —
O, Ernst, ich liebe Dich —- ich könnte
sterben siir Dich —- das tann ich
nicht!« .
Agnes Winter und Ernst Dammers
sind sein Paar geworden.
«
Reiterfest m —Yaris.
Jn den ersten Apriltagen fand, wie!
alljährlich in Paris der »Coneours»
hippique« statt, eine Beranstaltung,!
für die uns leider noch ein deutschesi
Wort fehlt. Denn ,,Roßschau« be
deutet bekanntlich etwas ganz ande
res. Jn diesem Jahre hatte der!
Concours eine womöglich noch:
größere Menschenrnenge —- trotzl
des hohen Eintrittspreises von fünf
Frank — angelockt, weil die militäri
schen Pat- ouillenreiter, die ungefähr
zur selben Zeit aus allen vier Winkeln
Frankreichs in Paris eingetroffen wa
ren, an einem Tage an der Veranstal
tung teilnahmen und sich dem Präsi
denten der Republik nochmals vorstell
ten, der sie schon am Tage ihrer An
licnft in ver Landesliauptstadt auf
dem Rennfelde Von Longchamp begrüßt
hatte. Jene Patrouillenritte der
französischen Kavallrrie hatten mit
dem »Concours hippique« an und siir
sich nichts zu tun; sie waren vielmehr
von einem Pariser Blatte veranstaltet
worden, das eine derartige Macht über
die Regierenden aller Parteien ausübt,
daß diese wohl oder iibel genötigt wa
ren, einen Teil der nationalen Armee
den Sonderzwecken jenes Blattes zur
Verfügung zu stellen, wie ganz ähnli
ches schon früher geschehen war. Doch
das nur nebenbei zur Erklärung
Jede jener Patrouislen bestand aus
einemOffizier —- Leutnant oder Ober
leutnant —— einem Unteroffizier und
vier Mann; nur einige Reginxenter
hatten einen Halbzug in Stärle von
etwa 20 bis 24 Pferden entsandt. Die
Ausgangspunkte der Reiterpatrouillen
waren so gewählt worden, daß jede
Abteilung ungefähr :200—225 Meilen
zu durchmessen hatte, wozu vier Tage
Zeit gegeben waren. Die durch
schnittliche Tagesleistung betrug dem
nach etsrsa 55 Meilen, was gewiß als
ein recht guter Marsch bezeichnet wer
den muß· Trotzdem befanden sich
weitaus die meisten Pferde in anschei
nend ganz guter Verfassung, als sie in
Paris einriictten, um zwei Tage nach
ihrer Ankunft bei dem ,,Concours hin
pique« mitzuwirken. Die französische
siavallerie ist bekanntlich fast durchweg
wit Pferden beritten, die einen starken
Einscblag arabischen bezw. berberischen
Vollblutes aufweisen eine sehr nütz
liche Folge der französischen Eroberung
den Algerien. Jhre Leistungsfähig
ieit und Ausdauer werden daher sehr
gerühmt, und die soeben vollbrachte
Leistung darf wohl als ein weiterer
Beweis fiir die Richtigkeit dieses Lobe-;
gelten. Mit den Pferden aber geht es
dem Laien ähnlich wie mit der Musik:
ie volltotnmener, höher stehend, ,.klas
iischer« die einen wie die anderen sind,
desto weniger werden sie von den Nicht
fachleuten gewürdigt. So erscheint
auch das ,,klassische«, das Nollbluts
pferd, wenigstens das französische Ka
valleriepserd, das ich in Hunderten von
Eremplaren aus dem »Concours hips
pique« zu sehen Gelegenheit hatte, dem
Nichtkenner als- ein eher häßliches oder
doch unansehnliches Wesen. Doch auf
die Schönheit kommt es beim Pferde,
und nun gar bei-n Krieaspserde, sicher
Zich weit weniger an als- auf Kraft und
Ausdauer. Und deshalb will ieh gern
glauben, was mir neulich etliche Fran
zosen sagten: daf; das französische Ka
valleriepferd das beste der Welt sei,
ebenso wie ich vcr Jahren englichen
und russischen Offizieren geglaubt
habe, die mir versicherten, die Pferde
ihrer Armeen seien die besten auf dem
ganzen Erdenrund. Jch glaube
nämlich alles-, wag man mir gesagt,
wenigstens in Feuilletons!
Die preisqekrönten französischen Ra
valleriepserde, denen neulich die Ehre
zuteil ward, vor dem Präsidenten über
tleine Hürden springen zu dürfen
hatten durchweg sehr steile Croupen
nnd ein Rückgrat, das wie die zaeligen
Schrofsen des Felsengebirgeg gen
Himmel ragte, während sich die
Schwänze fast ausnahmslos in einein
traurigen Zustande der Auszehrung
befanden, als feien die Motten hinein
gelommen. Auch die Pflege liess mei
stens zu wünschen übrig, denn gar viele
trugen noch die Staub-und Schmutz
fpuren an sich, die der lange Marsch
hervorgebracht hatte, obwohl, wie ge
sagt, zioifcken der Ankunft der Reiter
und ihrer Vorstellung im ,,Concours-z
l)ivpique« fast zwei Tage vergangen
waren. Jch nehme jedoch an, dafz
man die Tiere absichtlich in diesem
Zustande belassen hatte, um dem Pu
lslilum die überstandenen Anstrengun
gen recht deutlich Vor Augen zu fiihPl
ren. -
Was die Reiter anlangt, so saßenj
sic im allgemeinen ganz gut zu Pferde, s
nnd nur ein einziger iam, soviel ich zu
sehen vermochte, zu Fall, und zwar mit I
seinem Pferde, das über eine Hiirde
stürzte. Der arme Husar bekam bei
dieser Geleaenbeit einen ein«-as un
freundlichen Nasenstüber von seinem
Reittier ab, so daß er nicht wieder auf
stehen konnte, sondern aus der Bahn
getragen werden mußte. Zum Glück
hat er sich dann aber bald wieder er
holt. — Doch so etwas kommt überall
einmal vor. Aufsälliger war, wie
derum siir den Laien, daß mindestens
fünf oder sechs Reiter, darunter ein
Ofsizier beim Springen iiber Hinder
nisse von Hüsthöhe ihre Degen oder
Säbel verloren, die aus der Scheide
sprangen und ihnen nachgetragen wer
den mußten. So etwas könnte doch
leicht einmal zu einem Unglücksfalle
siihreni —- Auch die große Verschieden
artigkeit der Unisormierung und Aus
.r;istun»a mußte ausfallen: der eine
Reiter kam im Vlttila mit Heisarem
» schnüren aus der Brust, der andere, der
nämlichenWasse anaehörende, im Was
senrocte ohne Schniire; hier sah man
einen Offizier in einem ».,bla:!en« At
»iila, der aber so weiß war wie ein von
der Waschsrau etwas zu stark geblautes
Hemd, dort gewahrte-man einen seiner
Kameraden, dessen Attila fast so dun
kel war wie der der Mannschastenx
manche Draaoner trugen den Degen
auf der linken Seite, manche aus der
rechten, kurzum, es herrschte eine bunte
Mannigfaltigkeit in Unisormierung
und Ausnutz, so das-, man hätte glau
ben mögen, all das sei in das Belieben
des einzelnen gestellt und nicht durch
Estieqlenient vorgeschrieben
An jenem Taae, an dem die Abords
nungen der Kavallerieregimenter beim
Concours mitwirkten, hatten sich die
Zuschauer in ganz besonders dichten
Scharen zu dem interessanten Schau
spiele gedrängt, wobei auch das ele
aante weibliche Element stark Vertreten
Ersat, nnd jedesmal wenn eine der klei
nen Abteilunan eine Hiirde genommen
hatte, was sich natürlich ein paar hun
dertmal ereignete, brach eine dröhnende
Beisallssalve los. als gelte es. eine
GrosZtat zu feiern. Von diesen klei
nen Uebertreibunaen ahqesehen, kann
man aber sagen daß ein echter und un
verfälschter patriotischer Enthusias
mus herrschte, der namentlich auch
zum Schlusse der Veranstaltung zum
Ausdruike kam, als- sämtliche Kavalle
rieabteilunaen vereint in der weiten
Reitbahn des Strand Palais erschienen,
um vor dem Präsidenten der Republik
den Standartensalut auszuführen und
dann im gestreckten Galopp in Halb
zugssront nochmals alle vier Hinder
nisse zu nehmen. Diese Schlnßdar
stellung mit ihrer imposanten Massen
eutsaltuna von Rossen und Reitern
kann als sehr gelunqen betrachtet wer
den, und sie versehlte denn auch ihren
Eindruck aus die Tausende und Aber
tausende von Zuschauern nicht Der
Präsident der Republik überreichte
schließlich den Offizieren unter den
Teilnehurern Kunstaegenstiinde, den
Mannschasten kleinere Geld(--.escheiite,
womit das Reitersest sein Ende er
reichte.
Der Telegraphist Kaiser
Wilhetmi l.
der-im Kriege 1870—71 die Ausgabe
atte, die Kai ertelegramme nach Ver
l7in zu depeschieren, feierte dieser Tage
seine goldene Hochzeit Der Jubilcrr,
namens Dessanle5, lebt jetzt in Sande
bei Liibeck, und war viele Jahre im
Dienste der Staatstelegraphie, bei der
er. 42 Jahre alt, den Krieg gegen
Frankreich niitmachte. Seinen interes
santenAttfzeichnungen ist folgende Epi
sode aus den weltgeschirhtlichen Tagen
von Sedtn entnommen Es war am
? September, mittags gegen 2 Uhr,
als Oberst Graf Strachwitz, Komntan
renr deH 6. HusarensRegiments, zum
Feldtelegraphenatnt kam, Und folgen
des Telegramm König Wilhelm-S
brachte: »Königin Augustu, Berlin.
Großer Sieg; der Kaiser Napoleom
der verwundete Marschall Mac Mahon
sowie die französische Armee bei Sedan
gefangen genommen. Gott helfe uns
weiter. Wilhelm.« Nach etwa einer
Viertelstunde lief folgendesTelegrarnm
»ein: ,,Feldtelegraphenamt li, Cler
;rnont. Jst das Telegramm echt; ist
es vomKönige eigenhändig unterschrie
ben: darf ich Viktoria schießen lassen?
Berlin steht aus dem Kopf. Augusta.«
Die Antwort lautete: »Das Tele
gramm ist echt-! Es ist von Sr. Maje
stät eigenhändig geschrieben und unter
schrieben; aufzerdem steht der Ueber
bringer desselben Oberst Gras Stracks
witz, noch neben mir am Apparat.
Dessaules, Telegraphenselretär.«
Zeitgemäßer Ausruf.
Eine alte Mutter bittet ihren seit
drei Jahren verschollenen Sohn um
ein Lebenszeichen Die letzte An
sichtsposttarte trug den Poststempel
«Chicagol«