Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, May 24, 1912, Zweiter Theil, Image 9

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    Nebraska
Staats- Anzetger und I cerold
Ja ggggggggg
cMentt
Geht der Abend durch den blonden
Tag,
Löscht die Helle, die ihn stören mag,
Bringt den Lärm Egid gll die Hast zur
U -
Deckt die wilden Wünsche leise zu.
Aus den Händen, die to brav geschafft,
Löst et lächelnd jede Willensltaft,
Uebettounden kalten sie sich still,
Weil es Feierabend werden will.
Ruhe, Frieden. Dort ein stilles Lied.
Zier ein Lachen, das in’sWeite flieht-—
esse — leise kommt die Nacht herauf
Und dte Sehnsucht fehflögt die Augen
au
---—
Fritzl ’5 Drlebnis
. Eine Knabengejchichte von Claike
henrttaWebeL
Iril schlendert in dem herrlichen
Bett-u tsein, daß vie hausausgaben
erledigt und abgetan sind, die ruhige
Straße entlang. Um seine runden,
festen Backen streicht ber frische Miit
zenwinb und bläst lustig in die beiden
rosigen Löcher der geistlich nufgestiilp:
ten Nase hinein. Frihls blauer Ma
trosenanzug bläbt und wölbt sich in
mutwilligen Formen; mit ver Bluse
treibt der Wind sein Spiel, die hole
aber beult sich durch Fritzens geballte
Lände, die in der rechten Tasche ein
iiellein voll Murmeln, in der linten
einen Gummibnll umiassen Jetzt zieht
er den Ball Heraus es ist ein farb
loser Invalide, tauglich genun. urn die
Ansangsgründe Des Fußballspielens
daran zu erlernen.
Frist-l Augen blitzen umher und
suchen einen Spieltameraben Er
bleibt stehen und pfeift u wiederhol
ten Malen eine lurze VZelobie zu ei
nem der Häuser hinaus. Endlich er
scheint in einein Fenster des ersten
Stocks ein Frauenlops:
»Der Karl ist nicht hier. Vor zehn
Minuten ist er fort, ins Theater -—-"
Jnö Theater! Aus Fritzle belle
Laune legt sich ein Schatten.
heute Nachmittag in Kindervorneri
lung: Nübezahi. »Aus allgemeinen
Wunsch wiederholt« hatte aus den
Zetteln gestanden, die heute morgen in
der Pause im Schulhos herumgereicht
wurden. Furchtbar lustig sollte es
sein! Alle die Glücklichen, die die erste
Ausführung des »Rübezahl" genossen
hatten, erzählten begeistert von den
wunderbaren und drolligen Dingen,
die lich da dor ihren Augen ereignet
hatten.
Und Frihl hatte. glühend vor Be
gierde, zugehört und seine sehnsüchti
gen Wünsche mit nach hause gebracht
und bei Tisch dem Vater unterbreitet.
Ach, wenn er an des Vaters, unruhige,
betrübte Miene dachte, an seine wie
zählend die große Tischeunde umspan
nenden Blicke da wünschte Fritzh lie:
ber nichts gesagt zu haben.
Soviel wußte er auch schon mit sei
nen zehn Jahren, dasz ein Kanzlist mit
süns Kindern leinen übrigen Groschen
hat besonders, wenn die Kinder
gute Schulen besuchen, trästig essen
und ordentlich getleidet sein sollen.
Und aus diese drei Dinge sahen die
Eltern.
Fritzl zieht schnell seinen Ellbogen
herum; nein, der lunstooll ausgesetth
sast unbemerlbnre Fluten ist nicht wie
der durchgewehtl Fritzl atmet aus
die »Mutter hat immer io schrecklich
viel-Jst u nähen sür ihre Fünsr. »Für
euHlle würde der Theaterdesuch eine
Ma losten««, hatte der Vater gesagt.
»Das tann ich nicht. Und allein wirst
Du nicht gehen wollen, Fritzl?«
Allein, als Bevorzugter von den
Geschwistern, nein, das wollte Friyl
ganz gewiß nicht. Und er hatte seine
Theatergeliiste mit den töstlichen Brat:
tartofseln zusammen ganz-tapfer und
vergnügt hinuntergeschluctt.
Aber daß der Karl in den ,,Riibe
zahl« durfte, das wdr doch wieder ein
empfindlicher Stich.
Frihl wirst seinen Ball zur Erde
und schleudert ihn mit einem gewal
tigen Tritt quer über die Straße, aus
der außer einem gemiichlichen Last
tuhrwett nichts hemmendes zu er
"ilicken ist.
Drüben bobst der Ball über die nie
dere Trottoieeinsassung und bleibt vor
Schutzes Geschirrladen liegen
Eben überlegt Fett-l ob er statt des
unerreichbaren Karl den ihm weniger
lieben Paul Schutze herausrusen solle,
da tritt Paul vor die Tür. Von innen
tönt ihm die Stimme von Frau
Schulze nach: »Na laus auch Paul
chen, daß Du hübsch vorn zu schen
lammstt"
Paulchen schneidet eine Grimasse, so
daß unter seinem hübschen Mund se r
schadhnste. gelbe hue siein Bursche n
samtnen. Das b ondumkrauste, blasse
Knabengesicht mit den großen, wasser
blauen Augen erinnert in feiner stum
pfen Regelmäßigleit an einen Wachs
engel.
Pauls schmächtiger Körper steckt in
einem weiten, wenig sauberen Anzug,
bäutifch lange Hosen dededen bis zur
halben Wade die statt nach einwiitts
gebogenen Beine.
»Gehst Du auch ins Theaters« frag
te Feitzh der feinen Ball wieder ein
gesteckt hat, an Pauls Seite weiter
schreitend.
«Mh1n. Du auch?«
»Nein ich hab’ lein Geld!"
«Och- Du haft nie Geld!« macht
Paul gekingichäsiH Dann macht ein
unschönes Grinsen seine Züge scharf,
und ee erzählt:
»Ich geh’ gar nicht ins Theater, ich
hin ja vorgestekn dein gewesen. Jch
habe mir nue von meiner Mutter das
Geld geben lassen." Und ek läßt in
seiner aeössneten hand zwei Groschen
stiicke sehen. ,,Dafüe kaufe ich mir
fest etwaö.« Sie bogen in die beleb
teke Haputsteaße ein, und Paul über
flog im Vorbeigehen die Schaufenster
mit der Miene des Besitzenden, der
nur zu wählen braucht. »Da sind
Murmeln!
Er verschwand in einem Laden und
handelte für Zehn Pfennig ein Häus
lein bunter N urmeln ein, die er ver
gnügt in die Hosentasche versentte.
Fritzl sah die glatten, farbigen Kugeln
mit Gleichmut in PaulsBesitz über
gehen. Er umsaszte mit stillem Stolz
sein Säcklein voll Murmeln die
waren nicht gekauft oder geschenkt, die
waren alle in ehrlichem Spiel gewon
nen, durch seine Geschicklichkeit erwor
ben! Und manche von Pauls neuen
Klickern würde sich wohl Frihl in
den nächsten Tagen erobern. Aber daß
der Groschen verauggabt war,« das
war schade. Für zehn Psennig gnW
kein Theaterbilett, und Frihl - hatte
bisher immer noch eine leise hoffnung
gehabt »s- —
Nun hielt Paul vor einer Konditos
rei und deutete mit Kennerblick aus
eine Schla rahmtortr. «Die.ist sein!«
Er zog k rihl mit hinein in den La
den. Alt-er ein Stück Schlagrahm
torte kostete zwanzig Pfennig, und so
mußte sich der Näscher mit einer Cre
mesrhnitte begnügen.
Schmausend ging er weiter, Fritzl
mit einem immer stärker drückenden
Zestihl heftigen Verärgertseins neben
r.
Da waren ne vor dem Lyeaier. soon
allen Seiten strömten Schultinder in
Gruppen, kleinere Kinder in Beglei
tung ihrer Mütter herbei.
Frihls Seele wurde immer gepreß
tee. Er hätte heulen mögen, und weil
er über sich selbst wütend war, machte
er ein sinsteres Gesicht und stellte sich
möglichst liimmelhaft in den Torein:
aang. —« Paul stopfte den Rest seiner
Cremeschnitte jn den Mund und zog
denl triegerischen Gefährten am Aet
me.
»Du«, er lachte mit vollem Mund
und zwinterte mit den Augen, »tomm
mit hinein, an die Kasse. Vielleicht
schenlt uns eine von den seinen Da
men was, wenn wir recht verlangende
Gesichter machen - «
Halb widerwillig, halb mit einer
von schlechtem Gewissen beeinträchtiq
ten Hoffnung, läßt Fritzl sich hinein
ziehen
Dicht neben der Kasse stellt Paul
sich aus und schaut mit tläglichem
Ausdruck in den blauen Augen bit
tend die tartenlösenden Frauen an. - -
Frist lehnt an der Wand, mit trotzig
vorgeschobenem Mund, die hände in
den Taschen vertrampst.
Jetzt geht Paul an eine freundlich
aussehende Dame heran, die gerade
mit einem tleinen tveifzaetleideten
Mädchen spricht.
Er hebt seinen hellgelockten Wachs
enaeltopf und fragt schüchtern: »Was
tostet ein Platz?«
Die Dame blickt aus den hübschen,
blassen Jungen im ärmlichen Anzug.
»Du möchtest wohl auch gern ein
mal ins Theater«, lächelt sie und sucht
in ihrer Börse.
Paul nickt stumm mit erbärmlicher
Miene. Da drückt ihm die Dame mit
einem herzliche-i »Hier, mein Junael«
einige Münzen in die Hand und wen
det sich dann ab zur Kasse.
Paul dreht sich um. »Da schau,
fest stan ich mir die Schlagrahm
torte«, raunt er dem verblüfften Frihl
zu.
Da aber fühlt Frihl etwas in sich
bersten. Wild und unbeherrscht stürzt
er über den vom Geschick so unver
dient Begünstigten her und sucht ihm
das geschenkte Geld zu entwinden.
Pauls Kreischen und Zetern macht
die Umstehenden auf den Kampf auf
mertsam, nnd gerade tommt auch die
frei ebige Dame von der Kaer zurück.
hend vor Entrüsiung giebt sie
Frist einen Stoß -
»Schiimst Du Dich nicht! So ein
Rüpel — will dem armen Jungen
dnäelseld stehlen, das ich ihm geschenkt
Und laut in die Runde ziirnt sie:
»Diese Brutalitiiti Wie der starke,
gutgetleidete Bengel über das armse
lige Kerlchen da herfiillt!« Beschiihend
geleitet sie Paulchen an den Schulter
und dann in den Theaterraunn
Frihl aber, von unwilligen Stim
men umdroht, springt schleunigst hin
aus auf die Straße und dann mit
heißem Kopfe immer weiter, eine an
steigende Seitenstraße hinauf, bis die
Häuser fpiirlicher werden und der Blick
sich weitet.
Er stnpft an Gärten und Feldern
vorbei, beschämt erst und in nachllin
gender Erregung, dann aber immer
ruhiger-, heiterer, bis er zuleht -—— in
der Erinnerung an Paulchens betteln-:
de Miene ein helles Lachen über
das vom Frühling gesegnete Land
sendet.
Wie würde Paulchen sich nun är
gern, statt der Schlngrnhmtorte den
Nübezahl genießen zu müssen —- wie
wenig würde die erschlichene Freude
ihn befriedigen! Beinahe rnitleidin
denlt es Fritzi. Er fühlt seine ne
sunde, ehrliche Kraft und atmet tief
und fröhlich auf. Nun schlägt er ei
nen heimführenden Feldweg ein.
Munter reckt er den Kon in die Luft
und blickt weit hinaus in die besiedelte
sinndfckmfi.
Wie schön ist es rings um ihn, schö
ner als im herrlichsten Theater. Was
liimmert ihn jetzt noch ,,Der,!ltiibezahl«
und ein armseliger TortengenußJ
Möge beides dem braven, schmiegsail
men Paul gut bekommen. Er wird
dereinst schon zeigen, was er kann.
Nein, er braucht niemandes Hilfe!
Es ist ein ungekliirtes aber sicheres
Wissen in ihm: ihm gehört die Welt
und die Zukunft —- iind nicht dem
kleinen, klöglichen Schmaroder da
drinnen!
sue Insel seyen sah-scheiterten
Unter den zahlreichen Arzneieii, vie
der römische Schriftsteller Plinius ge
n Zahnschmerzen empfahl, befanden
ich auch verschiedene Sympathiemitiel, «
die amiisant genug anmuthen. Eine
susammenstellung davon findet sich in«
einer Monographie ,,iiber Zähne nnd?
Zahnbehandlung der alten Aegypter,
Hebräer, Jnder, Babylonier. Assyrer,
Griechen und Römer«, deren Verfas
ser, Dr. C. J. Grawinkel, aus Den
Schriftstellern der alten Völker eine
Unmenge Belege gesammelt und cur
aus eine kleine Geschichte der Zahn
heilkunde im Altertum konstruiert hit.
Wie bei uns noch heute, so verlief auch
bei den römischen Kindern das Zahiken
nicht ohne schmerzhaste Begleitersdiei
nungen. Als wirksamstes Mittel nier
gegen galt Butter mit honig gemei!-it.
Neben diesem gab es noch eine große
Anzahl von Sympathiemitteln, von
denen einige Kuriosa erwähnt seien:
l. Die den Pferden zuerst ausgesung
nen Zähne werden dein Kinde uiii:e
bunden, um das Bahnen zu erleichtern.
2. Zu gleichem Zwecke bestreichk iis in
das Zahnsleisch mit Ziegenmilch vier
Hasenhirn. B. Fördernd sitr die Ist-ski
nung wirkt eine Salbe aus Hinde
vermengt mit der Asche von Delptisrii
zähnen —- Als Mittel gegen die Ins-si
schmerzen Erwachsener empfiehlt Pli
nius folgende Kurent 1. Auf dein
Samentopf der Gallidrana, einer in
Sümpfen wachsenden Pflanze, bilden
sich im Sommer kleine Würmer· Ar
schliesit man von diesen Würmern ei
nen lebend in ein-er Kapsel und biiidet
sie mit Brod auf diejenige Seite, Po
der Zahn schmerzt, so lassen die
Schmerzen rasch nach. 2· Rasche un
derung bei Jahr-schmerzen bringt US
Ritzen des Zahnfleisches mit dem LU- ihn
eines Hingerichteten Z. Zu gleielsem
Zweck lassen sich die linken Zähne des
Krokodils verwenden. 4. Jn bisiile
Zähne stopft man Asche von Mäuse
kot oder trockene Eidechseleber. Auch
Schlangenhersz ist sehr wirksam, wenn
man daraus beifzt oder sich dasselbe
ausbindet. Wer aber ganz frei von
Zahnschmerzen bleiben will, soll zwei
mal im Monat eine ganze Maus es
sen. -—-— Zu solchen und ähnlichen
Quacksalbereien nahm man Zuflucht,
wenn die anderen Zabnmittel nicht
recht helfen wollten. Leider giebt es
auch heute noch abergläubische Leute,
Pie von dein Hokuspokus nicht ablas
en.
Der seleidistr.
Sie: »Wie, der unverschämie Herr
Küblet hat es gewagt, Dir Schnaps
anzubieten?«
Et: »Ja, so hat er mich beleidigt!«
s Fie: »Hast Du es Dir gefallen las
en «
Er: »Was sollte ich tun. Jch schluckie
die Beleidigung hinuntet!«
Die Rosenmacherin f
Bon Guy Chantepleure.
Aus dem Französischen von Annte
Aurezednit.
Einige Stiche noch, um die große
Blumentrone aus hellem Taft an dem
dunklen, beinahe braunroten Blätter
zweig zu befestigen, dann beugte sich
Fräulein Lisa Doucette, um den Fa
den mit den Zähnen abzubeifzem
Die tyrannifche Disziplin des Nach
mittagsschläfchens erreichte nicht die
Höhe ihres kleinen Silbchens An die
sem Frühlingssonntag hatte Fräulein
List-, als es bei St. Germainsdes
Pres drei Uhr schlug, ihre fünfte Rose
beendet . . . . Die vier anderen lagen
vor ihr auf einem weißen Blatt Pa
pier, frisch und lebend wie wirkliche
Blumen, märchenhaft und koftbar wie
Blumen der Träume.
Jn der fernen Zeit ihrer Jugend, da
sie mutterlos mit einem blinden Vater
und einem noch kleineren Bruder lebte,
hatte Fräulein Lisa ihre Talente in
einem jener Ateliers verwertet, wo
tausende jener billigen Blumen verfer-.
tigt werden, um dann von den großen
Geschäften zum Verlauf gebracht zu
werden . . . Jetzt war sie allein; allein
und müde, arbeitete sie in ihrem Heim
Phantasiebliiten . . . zerknitterte Rosen, l
Rünsilerrosem zu denen sie weder be-;
fonderes Material, noch kompliziertes
Werkzeug, nur feine und leichte Fin
aer brauchte, schöne, weiche Seiden in
abgetönten Farben, Schattierungen
von rofa. rot, gelb, ja sogar malvew
farben und blau . . . Jn dem wunder
baren Garten Fräulein Lisas wunderte
man sich nicht iiber malvenfarbene Ro:
sen oder blaue Rosen, Rosen in den
Modefarben, die zu den modernen
Kleidern pckfzten . . . Es war unwahr
scheinlich und entzückend. Jn’s·Herz
der Blumen fügte Lisa ein wenig
tvohlriechenden Puder . . . All die
Phantasie, der ganze Geschmack der
’Pariserin sprach sich in dieer tollen
Schöpfungen aus . . . Lisa lebte knapp
von dieser Arbeit ohne zu viel Sorge
und Elend. Sie taufte die Blumen
mit einem Geister beschwörenden Na
men, der gefiel: die Rosen von Trin
non.
Da die schöne Blute terng war, trat
die Blumenmacherin an das Fenster
und hob den Mullvorhang mit dem
Wunsche, auch den zarten, grauen
Schleier heben zu können, mit dem der
Regen alles bedeckte . . . Dann nahm
sie eine kleine Flasche mit Tinte aus
der Kommt-de und einige Bogen eines
starken, bläulichen Briespapiers — des
Papier-s einer Dame! — und setzte sich
an den Tisch, wo noch kleine, zarte
Seidenrestchen umherlagen · . . Ader
sie schrieb nicht. Sie las den Brief
wieder, den sie vorige Woche bekom
men hatte und den sie nun beantworten
sollte. Dieser Brief begann folgender
maßen: »Meine teure und schöne
Freundin . . . wären Sie doch bei mir,
an diesem entzückenden Strande, wo
die Citronen blühen! Oder ich bei Ih
nen in dem kleinen, gotliischen Turm,
den Sie mir schildern . . . O, ich
glaube Ihre zarte Gestalt zu sehen.
Ihre blauen Augen, Jhre blonden
Haare . . » -
Unwilltiirlich hob Fräulein Lisa dce
Augen von dem Brief und iiberflog
das lleine Stiibchen -—- das nicht go
tisch war —-, um bei dem Spiegel
halt zu machen, in dem kin weites
Gesicht, von schneeweißem Haar uni
kabmt, anstauchte·
Fräulein Lisa war niemals schön
gewesen, aber sie war jung gewesen
und frische Jugend ist beinahe Schön
heit . . . Jetzt waren ihre Augen wie
welke Vergiß-neinnicht verblaßt, nnd
der Winter hatte iliren blonden Kopf
gestreift . . . Jetzt war sie alt.
»Meine Freundin, die ich nie gese
hen, von der ich so viel geträumt habe«,
so hieß es weiter in dem Brief, ,,lassen
Sie mich Jhnen ein Geheimnis ins
Ohr flüstern, das Sie vielleicht bereits
erraten haben . .- Jch liebe Sie!«
Fräulein Lisa las nicht weiter und
faltete das Papier zusammen. Sie
dachte an den Anfang des Abenteuers.
Einige Zeilen, die sie auf der vierten
Seite des ,,Kleinen Tageblatteö« er
blickt hatte: »Junger Künstler, der
einsam und traurig ist, wünscht Brief
wechsel mit jungem Mädchen von glei
cher Geistesdeschasfenheit Nach Na
men wird nicht gefragt werden. Zu
schrift unter gKleines Tagblatt« No
1209.«
Fräulein Lisa hatte den armen jun
gen Mann bedauert, sie hatte an das
junge, mitleidige Mädchen gedacht,
das seinen Ruf beantworten würde.
Fräulein Lisa besaß Einbildungslrafh
Sie hatte sofort bestimmt, daß dieer
junge Mädchen schön, edel und arm
sein, mit ihrem stolzen Vater in einem
alten, halb verfallenen Schlosse woh
nen und »Berengere« heißen müsse . . »
Und während sie ihre Rosen verfer
tigte, hatte Fräulein Lisa sich selbst
eine wunderbare Geschichte erzählt!
Die Gedanken, die Worte formten sich
in ihrem Geist, wie die Seide und der
Musselin von ihren Fingern geformt
wurden. "
Zum Zeitvertreib hatte sie dann den
Brief des jungen Mädchens geschrieben
und ihn belustigt, von der Versuchung
hingerissen, zur Post getragen. Und
bald hielt sie durch Vermittlung des
»Kleinen Tageblattes« eine Antwort in
Händen
Der Künstler dankte; er war glück
lich entzückt, getröstet. Und er flehte
Berengere an, ihm wieder zu schreiben,
feine Freundin zu sein.
So hatte sich dieses sonderbare,
briefliche Band geknüpft, das nun seit
sechs Monaten bestand.
shrem Freunde Rene — das war
der Name des Künstlers, ein vorneh
mer Name! — beschrieb Berengere ihr
einsames und romantisches Leben, die
Träume, denen sie sich überließ, wäh
rend sie Harfe spielte, Romane und
Gedichie las, in dem alten, einsamen
Port spazieren ging. —- Ob diese
Träume eines adeligen Mädchens-, das
auf einein alten Herrensitze lebte, nicht
von denen sehr verschieden waren, die
das bescheidene Stäbchen einer zwan
zigiahrigen Arbeiterin beleben, das
wußte die Künstlerin nicht, da sie
zweifellos von der Psychologie adeliger
Mädchen eine ziemlich unvollkommene
Vorstellung hatte
Er er reiste; er beschrieb seiner
Freundin Aegypten, Griechenland
Italien. .Zu den bezaubernden Ein
drücken gesellten sich liebenswürdige
Betenerungen von Dankbarkeit, Lie
be.
Erklärung. Die erste wahrhaftig,
die ziirtlich und voller Achtung in die
sem Leben des ehrsamen Mädchens
Erwähnung verdiente; dieses Mäd
chen, das zu arm und zu sehr von
Pflichten belastet war, um Freier an
zuziehen! . . . Die erfte, nachdem sie
fünfzig Jahre alt geworden war!
Fräulein Lisa hatte gelächelt; sie
hatte sich selbst ausgelacht; und doch
war sie ein wenig gerührt, gleichzeitig
aber erfreut! -—— Hatte sie, um diesen
Liebesbrief zu lesen, ihre jungen
Mädchenaugen wieder gefunden?
Nein, gewiß nicht« aber vielleicht wa
ren die magischen Worte bis in ihre
Seele von einst gedrungen, in die
Seele ihrer 20 Jahre. die im Laufe
des Lebens eingeschlafen war und die
tein Märchenprinz je geweckt hatte? . .
Acht die naive Befriedigung Fräu
lein Lifag war von kurzer Dauer ge
wesen; bald hatten furchtbare Stru
pel ihr Herz geängstigt . . . Dieser
arme, junge Mann liebte Berengere.
Mußte man ihn nicht aufllären, dafz
Berengere nicht existierte . . . daß sie
nur in der romantischen Phantasieen
ner armen Arbeiterin lebte? Seit ei
sner Woche wurde Lisa von diesen Ge
idanlen gepeinigt. . Wie schwer
diinlte es fie, so eine Beichte abzule
Jgenl lznd wek weiß, ob es fiir sie nicht
ein Opfer bedeutete —- ein größeres-,
als sie selbft glaubte! — den Zauber
zu brechen, nicht mehr die Briefe Be
rengeres zu schreiben nicht mehr die
Briefe Renes zu lesan
Ein Geständnis-, eine Iennmenra
l
Dieser Sonntag vergina wie die
anderen, ohne das; Fräulein Lisa
Dotteette die Feder zur Hand genom
tnen hatte . . . Und des Abends
fühlte sie sich plötzlich so niederge
driictt und verdrossen, daß sie im Be
griffe war, ihre tägliche Pitettpartie
mit Herrn Petitbvi5, Lampenschirm
maler, ihrem alten Ziimnernachbar,
auszugeben Aber der arme Mann,
der etwas buckslia und ein wenig lahm
war, konnte seinen Lehnstuhl nicht
verlassen und fand die Abende so
lana. Fräulein Lisa stellte sich die
Enttiiusrhung vor, die sie verursachen
würde empfand überdies das Bedürf
nis, sich jeinandem anzuvertrauen und
sagte sich: »Ich werde meine Geschichte
dein Herrn Petitbois erzählen — er
wird mir guten Nat erteilen.«
Jn seinem zurückgezogenen Leben
hatte Herr Petitbois viel gelesen, viel
gedacht: er lam Fräulein Lisa tvie ein
Weiser vor. Sie verheimlichte ihm
nichts von ihrem verspäteten Roman.
Uebrigens nahm sie die Dinge sehr
ernst, wollte sieh nicht nur aus den
,,guten Rat« beschränken, den dieser
Gewissenhaste, jedem Betruge feind
liche Freund ihr geben würde. Und
e selbst kam dem erwarteten Rat
schng zuvor· »Die Täuschung soll
nicht langer währen," erklärte sie.
»Ich werde dem jungen Mann schrei
ben, daß —«
Aber zu ihrer größten Verwunde
rung schüttelte der nachsichtige und
überlegte Herr Petitbois den Kon . . .
»Und wenn es nicht ein junger Mann
ist?« sprach er langsam. Und da Lisa
sprachlos, sassungslos dasaß, fuhr er
fort: »Wenn es jein junger Mann
ist, esFräulein LisaZ Wenn es — TM
Gegenteil — ein alter Mann ist?
Ein von der Natur stiesrnütterlich Be
bandelter, der sich wünschte, siliön und
geliebt zu sein . . . ein armer Unbe
weglicher, der von der Ferne, von
Reisen träumte . . . ein Enterbter, der
nie glücklich gewesen . . . ein Greis,
der niemals jung gewesen?
» Beinahe unwillkürlich siüsterte
skraulem Unu:
»Wie Sie?«
»Wie ich, ja; so ist es·«
Und von einem Verdacht erfüllt.
der schnell zur Gewißheit wurde: »Ist
es möglich, mein Nachbar?« rief sie.
»Der junge Künstler . . , waren Sie!«
»Ich war es, Nachbarin . · . Ein
sehr dummer Einfall wahrhaftig, der
mir eines Tages-, da ich mich lang
weilte, durch den Kon gefahren ist
. . . Mein Gott, wenn ich geahnt
hätte . . .«
»Sie find es gewefen!« wiederholte
Fräulein Lisa, die sich kaum fassen
konnte. »Diese Briefe aus fernen
Ländern, Sie haben sie wenige
Schritte von meiner Tür entfernt ge
schrieben . . . Sie sprachen mir von
Aeghpten und von Griechenland, ohne
ihren Lehnstuhl zu verlassen!«
»So wie Sie mir von ihrem Schloß
erzählten . . . Fräulein, Jhre Briefe
waren entzückend!"
»Und die Jhren! . . . Ja, man hat
seinerzeit feine Schule absolvirt!«
Herr Petitbois lächelte ein wenig
melancholisch· ·
-.. « «
»Was imv wir oocy sur alte Aar
ren!« seufzte er
Doch Fräulein Lisa tortigierte
schnell:
»Keine Narren, lieber Nachbar! . . .
Die Zeit der Jllusionen war köstlich
. . . Das Leben hatte uns die Freude
versagt zu lieben, 20 Jahre alt zu
fein . . . Und um diese Freude zu
veriosten, haben wir vermocht auf das
Leben zu verzichten so wie ich auf
den Frühling verzichte, um Rosen zu
haben . . .
Und tiefe Stille herrschte im Stäb
chen. Man hörte die Uhr, die leise
in gleichmäßigen Schlägen wie ein
friedliches Herz ticlte . . .
! Thurm richtete sich Herr Petitbois
au :
»Und unser Piteti, Fräulein Lisa!«
So machten sie denn wie gewöhn
lich ihre Partie Pitett, mit ein wenig
verträumten Augen unier ihrem
fchneeigen Haar.
—
Die Sau-leichte der Zukunft
Von einer interessanten neuen Er
findung berichtet Chamber’H Journal
Nach langen Versuchen soll es gelun
gen sein, ein Verfahren zu entdecken,
durch das die Widerstandsfähigteit
und die Haltbarteit des Lederg, insbe
sondere des Sohlenleders, iiberraschend
gesteigert werden kann. Das Leder
wird nach dieser Behandlung vollkom
men wasserdicht, unempfindlich gegen
Kälte und Hitze, Vor Allem aber ver
größert sich die Haltbarteit des Soh
lenleders beim Tragen um 50 bis 200
Prozent. Die prattifche Bedeutung
der Erfindung liegt fiir den Einzelnen
aber vor Allem darin. daß durch die
Ausnutzung dieses Verfahrens die
Plage der abgetretenen Absätze so gut
wie vollkommen beseitigt wird. Der "
englische Erfinder hat angeblich Ab
sätze hergestellt, die durch ein einfaches
Verfahren in Sekunden am Stiefel
befestigt und ebenso leicht wieder ab
genommen werden können. Der Trä
ger der Schuhe oder Stiefel kann nun
die Absätze wechseln, kann nach einer
oder zwei Wochen mit einein einfachen
Handgriff den rechten Absatz an dem
linken Stiefel und den linken an dem
rechten Stiefel befestigen, so daß das
Schieftreten fortsällt und eine gleich
mäßige Abniitzung eintritt. Nach dem
selben Verfahren wird auch die Sohle
befestigt ohne Nägel und ohne Nährer
beit. Einzelheiten dieser neuen Er
findung werden naturgemäß noch ge
heim gehalten.
-—---·
Ein Ort-standha
Vesucher: »Alfo Papas Uhr haft
Du schon einmal zum Reinigen fortge
bracht; dahin könntest Du auch die
meinige einmal bringen!«
Der kleine Willit »Gewiß, es ist
ganz in der Nähe!« Nach einer Vier
telstunde kommt Willi triumphierend
zurück: »Onkel, drei Mart habe ich
darauf gekriegt!«