Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, May 17, 1912, Zweiter Theil, Image 11

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    Im Moorgarten
Ein Roman am- dem
ceben
Von
couise Both
(7. FortsesungJ
Sie merkte wohl nicht« daß seine
Linse ihre auf feinem Arm ruhende
hand fest umspannt hielt. So schrit
ten sie nebeneinander her.
Plöhlich zuate sie zusammen.
Schimmerte da nicht ein roter Bluts
tropfen an Hans Jochens Hand?...
Jhre Schwäche war mit einem
Schlage überwunden. Heftig riß sie
ihren Arm aus dem seinigen und
trot, Qoweit der Raum nur gestattete,
von i m zurück.
»Du hift angegriffen. liebe Nut,
hier im Wartesaal ist es still." .
Ein ieindseliger Blick aus düsteren
Augen ließ Hans Jochen veritumrnem
Die geheugte Gestalt straffte sieh und
drückte Protest gegen jede Annäherung
sus. Der junge Mann biß sich auf
die Lippen sp-— er verstand. Rut wollte
ihm gleich von vornherein zeigen, daß,
trotzdem Wolf nicht mehr war, sich in
ihren Beziehungen nichts geändert
Hatte. Eine peinliche Verlegenheit
llsckllllll IML
Wie von einer unwiderstehlichen
Macht gezwungen, sah Rut immer
wieder nach feiner hand... Ach, sie
war ja ganz töricht. Ein Sonnen
strahl hatte den Rubin in dem alten
Täubnerfchen Erbring, den hanc
Jochen von jeher getragen, aufleuch
ten lassen.
Frau Grete hatte schnell ihre Un
befangenheit « wiedergefunden. »Gut,
daß dein Abschiedsgesuch abschlügig
beschieden ist, du würdest sehr un
glücklich gewesen fein«, sagte sie.
Ein melancholisches Lächeln glitt
um Hans Jochens Mund. «Nächste
Woche gehe ich nach Südweftafrita."
»Klirrend entsiel Rats Hand der
Löffel.
Hans Jochen hatte sie nicht mehr
beachtet. Nun sah er nach ihr hin.
Wieder fiel ihm das Gebrochene in
sihrer Haltung auf Wie sehr
mußte sie Wolf geliebt haben. Ein
bitteres Gefühl gegen den Bruder
regte sich in ihm.
Die Maiorin wurde lebhaft. Für
den einzigen Sohn war es Pflicht, im
Vaterlande zu bleiben. ,.Verhungern
und verdursten wirft du« oder die
hereko schießen dich hinterrücks tot«,
rief sie, Tränen rannen über ihre
Wangen.
»Nun, dann hat man nicht vergeb
lich welebt und seinem Vaterland als
wackerer Mann gedient. Jch folge ei
nem inneren Zwange«, sagte hans
Jochen mit fcharser Betonung.
Der Portier rief den Zug nach
Weimar ab.
Nut stand sogleich aus. Jn ihren
Bewegungen war Energie, rasch
fchritt sie voran zum Zuge.
Frau Grete nahm weinend Abschied
von hans Jochen. »Jeden Tag will
ich für dich beten, ich belästige den
lieben Gott nicht oft, aber sür dich
will ich es tun."
han« ochen wandte sich zu Nut.
»Zum Ab chied wirst du mir doch we
nigstens eine Hand geben?« Als fie
nur zögernd die Rechte in die seinige
legte, fügte er bitter hinzu: »Vielleicht
sehen wir uns in dieser Stunde zum
iehtenmal.:a
-e ·. -
Smen Atome-u qieir er sie ganz
fest, ties sah er in ihre Augen, in sei
nem Gesicht zuate es.
»Leb wohl«, sagte sie mit erstickter
Stimme.
Der Schafsner schloß die Tür.
An Fenster stand Frau Grete und
winite, solange sie Hans Jochen se
hen konnte.
Rut hatte den Kopf in die Kissen
gedrückt, sie weinte bitterlich. Die
Mutter streichelte liebevoll ihr Haar.
»Es-eine Fahrt nach Südwestasrita ist
ein Siihnegang. Glaub’ mir, Nut,
er konnte nicht anders gegen Wolf
handeln, der war so seige", sagte sie
leise.
»Mutter, sprich nie, nie davon«,«
slehte sie, »hans Joche-is Schuld ist
ja doch weit größer, als Wolss je
mals gewesen ist.«
Zwölftes Kapitel.
.,3euge sein für den Bengel, jetzt
mitten in der Ernie, daß ich’s beinahe
vergessen hätte!« Der Amtsrat trock
nete sich den Schweiß von der Stirn,
er kam vom Felde. Ermüdet wars er
sich in einen Korbsessel
Aus der Terrasse. aus der Linda ie
den Nachmittag in Rats Gesellschaft
verbrachte, herrschte angenehme stähle.
Tie Glocke vorn Gesindehause läu
tete Feierabend
«Oniel Jochen, glaubst du wirklich,
daß Deckert es getan hat?« sragte Rut.
Der Angeredete guckte die Achseln.
«Zuzutrauen ists ihm. Jch soll nur
bereugem daß er von jeher ein roher.
iiihzorniger Mensch war, und das
kann ich, ohne einen Meineid zu
schwören. Wer sinnlos aus Tiere los
schliigt, schlägt auch blindlingi aus
Menschen. Er wird wohl dem Rei
senden im Wäldchen seine Faust
gründlich zu kosten gegeben haben, und
da er obne Verdiextzsnzgn hat er ihm
Ger und Uhr abgeriiiinmen.« Jochen
Titubner ging ins Hans.
Frau Linda richtete sich von der
Chaiielonaue. aus der sie mit wachs
Ifeichein Gesicht ruhte, empor, lau
sschend hob sie den Kopf. »Wenn
Täubner hier ist, höre ich es nicht, ich
meine das Rauschen vom Bach — nun
Jist es wieder da. hörst du. Rats«
) »Ja dieser Entfernung höre ich es
sniemals. Tante Linda.«
i »So sprichst du stets, und ich höre
Jes doch immer, Tag und Nacht. Du
igehst noch jeden Tag an den Bach
I nicht wahr-i«
; »Ja, Tante, ich gehe jeden Tag
» hin.«
» »Das bist du Wolf schuldig. Jch
iönnte dich ja begleiten. aber ich will
I nur die Stätte sehen, aus der er «ledte,
und nicht die, aus welcher er starb.«
Frau Linda weinte, wie jedesmal,
« so ost sie Wolf nannte und sie nannte
z täglich seinen Namen.
s Nut hörte der unglücklichen Frau
Lmit unermüdlicher Geduld zu. »Du
mußt nicht soviel weinen, liebe Tante.
deine Augen sind schon ganz trübe.
Jch will sie die mit einem nassen Tuch
iiidlen.«
Wie ein Kind ließ Linda sich von
Rat umsorgen.
Gegen Abend weilte Jochen Taub
ner allein auf der Terrassr. Er hatte
in den letzten Jahren noch rastloser
als früher gearbeitet. So hoffte er,
die schweren petuniiiren Verluste, fo
wie den Kummer in seiner Brust zu
bezwingen. Sehr bald erkannte er,
daß der materielle Schaden sich mit
der Zeit ausgleichen würde, der Kum
mer hingegen blieb immer derselbe.
Nur diese eine Stunde, nachdem das
Tagewert vollbracht war, wenn der
Abend sank und die Nacht herauszog,
sasz er müßig. Jedesmal zündete er
sich eine Zigarre an, aber schon nach
den ersten Zügen legte er sie aus der
Hand. Er dachte an Hans Jochen.
Würde er wiederkehren? Bedeutete
Südwestafrila nicht fiir jeden Solda
ten einen TodesgangZ . . . Und doch
hatte er den Sohn, als er kam und
ihm sagte, daß er hinüberwolle, nicht
zurückgehalten
Jochen Täubner war an die Brü
stung der Terrasse getreten. Hier war
der Blick freier. Hoch spannte sich das
tiefblaue Zeit. Hans Jochen hatte
geschrieben, daß die Gestirne drüben
heller als in der Heimat leuchteten. Er
war rnit Leib und Seele Soldat, trotz
aller Strapazen und Entbehrungen
voll Glauben an den Erfolg. Am
Waterberg hatte er sich Lorbeeren ge
holt. Begeiftert schrieb er von der
Tapferkeit und Hingabe der Offiziere
und Mannschaften, der Aufopferung
eines jeden einzelnen. Ein guter Geist
herrschte unter den Tapferen.
Ein leichter Schritt weckte den
Amtsrat aus feinen Gedanken.
Rut kam. Sie trug die brennende
Lampe in der Hand
Onkel Jochen, soll ich dir die Zei
! tung vorlesen?«
»-!— DIE-L L- « ----- I
J »Ju, IIIGIII Utah-, ju, (k lUUlp II
gleich wieder in der Wirtlichteit.
’ Mit den Nachrichten ans Südweit
.asrita begann Rut allabendlich die
Lettiire. So saßen die beiden Men
"schen ganz allein, der alte Mann mit
den weißen Haaren und das junge
schöne Mädchen, dessen Gesicht die
traurigen Erlebnisse einen ernften sin
nenden Ausdruck gegeben. Ringsum
her die Stille der Nacht·
ileber Jahr und Tag weilte Rat
schon im Moorgarten. Sehr bald
hatte Jochen Täubner sie zurückgew
sen. Sie war sogleich gekommen. Fest
hatte sie die Zähne zusammengebissen
und das Leben mit aller Energie auf
genommen. Sie wollte nicht in der
Erinnerung leben. dem Schicksal nicht
Amboß sein«
Ohne daß Rui es merkte. wurde sie
der Troft der beiden einsamen Men
schen, sie hätte den Tag dehnen mö
gen, so beschäftigt war sie. Ermüdet
suchte sie abends ihr Lager auf und
schlief fogleich den gesunden Schlaf
der Jugend. So wurde sie gesund an
Körper und Seele.
Den nächsten Morgen fuhr Nut mit
Dntel Jochen in die Stadt.
Das Korn stand in Puppen, und
der Wind fang leise sein legtes Som
merlied iiber den vollen Garben. Ein
rotbliihendes Kleefeld erregte Nuts
Freude. ,,Ontel Jochen, jedesmal,
wenn ich mit dir über die Felder fahre,
sehe ich etwas Neues.«
Er lächelte. »Gebt mir ebenso. Wer
Sinn fiir die Natur hat, zu dem
spricht sie. Jn ihrer gewaltigen
Sprache fordert sie auf zum Nachden
ten, zur Arbeit, zum ihmpr
Rat und Jochen Täubner verstanden
sich, auch wenn sie nicht viel zusammen
sprachen.
Ein Hase lief auer über den Weg.
»Wir werden Malheur haben," rief
Rut lebhaft.
»Bist du abergliiubisch? Eine gute
Jagd steht fiir diesen Winter in Aus
sicht««
Viele Blicke folgten Rut, als sie in
der Stadt durch die Straßen schritt.
Obgleich man sie nur selten sah, war«
sie doch allgemein bekannt. Jn Cafeg, I
am Biertisch, iiberall war lange oon
dem Unglück gesprochen worden. Daßl
der Bräutigam, der schöne Täubner,«
sso« kurz vor der hochzeit so elend um- ;
;lotnmen mußte. Rut war, ohne daß«
sie es ahnte, ein Gegenstand lebhaften
Jnteresses. Sondetbat war nur, daß
sie nach dem Unglück nach ebenso aus- i
sah wie vorher. j
»Prachtvolle Erscheinung, wie so n«
edles Rassepserd, « dachte Rittmeisten
von Ceossen, als er Rut in einiger»
Entfernung sah. Er kam gerade vom I
Dienst. Amtstat Tänbnet stieg stetöJ
sim Adler ab, soviel wußte er Der
IRittmeistet beschloß sogleich, heute
Idort und nicht im Kasino zu Mittag»
zu essen.
l Er machte sorgfältig Toilette. s
I Mit dem schönen Wolf Täubner»
konnte er sich freilich nicht messen, aber .
der war tot, und er selbst war doch
ein ganz stattlicher Kerl von tadello
ser Familie und gutem herzem Kiith
wirbelte er den Schnurrbart, er war(
mit seiner Ausmachung zufrieden. »
Die schöne Hollnegg trug wieder
lichte Gewänder, ein Zeichen, daß sie
sich von neuem dem Leben zugewandt.
Schade wär’s um sie, wollte sie dem
ertrunlenen Bräutigam ihr Leben-lang
nachtrauern. Der Rittmeister war
willens, sich rasch in die Bresche zu
legen, ehe ihm ein anderer zuvorlam.
Leicht war’s nicht. Die Hollnegg hatte
eine ganz insame Art, über die Men
schen hinwegzusehen.
»’n Tag, Herr Amtsrat. Wie gehn-?
Wie befinden sich die verehrten Da
mens« Die Blicke des Rittmeisters
fuhren suchend im Zimmer umher.
Rut war nicht da. Sollte er sich vor
hin geirrt haben . . . Aber das war ja
nicht möglich — die Hollnegg hatte
ihren ganz besonderen Typ.
»Berfluchter Kerl! Er braucht nur
’nen Kleiderzipsel von Rut zu sehen,
sofort ist er da wie die Bienen am
Honig« brummte der Amtsrai inner
lich, seine Begrüszung war nicht ge
rade liebenswürdig
Crossen setzte sich ihm gegenüber
und ließ sich das Mittagessen servie
ren. »Die Herren Agrarier sieht man
im Sommer nur selten in der Stadt.«
esJch war Zeuge beim Schwurge
ri t.'«
»Jnteressanler Fall, wie?«
»Nein, gar nicht. nen jungen Ben
gel zu sanderthalb Jahren Zuchthaus
dertnacki «
Jochen Täubners Ton war wenig
verbindlich. Der Rittmeister schien
nicht zu merken, daß er allein die
Kosten »der Unterhaltung trug. Hos
fentlich lam die Baronesz bald, um
zwei Uhr mußte er wieder zum Dienst.
Crossen sprach von einem Kameraden,
der von Südwesiasriia heimgelehrt
war und mit Hans Jochen im Feuer
gestanden hatte. Hans Jochen würde
demnächst Major werden, hatte sich
mächtig ausgezeichnet. Na überhaupt,
»du draußen ist ja der Mann noch
was wert «
Der Amtsrat wußte das alles schon
längst, »er liigt so und soviel dazu«,
dachte er ärgerlich.
Rut trat herein. Der Rittmeister
sprang auf. »Baroneß, lange nicht
mehr die Ehre gehabt. Außerordents
lich erfreut, Gniidigste zu sehen«, er
llappte die Harten zusammen und ver
neigte sich tief.
Ein liihles Kopfnicken dankte ihm
»Ich hoffe du hast nicht auf ni ci)
gewartet, Onlel Jochen«, an seinem
Gesicht fah Nut sogleich, daß er über
etwas versiimmt war.
»Frauen sind nie pünktlich, das sit
nun mal ihr Vorrecht«, entgegnete er
mit mühsam verhaltenem Verdruß.
» ,,Bildschön ist sie! Und wie sie den
jAlten zu nehmen weiß«, ganz heiß
.iiherlief es den Rittnieister. Er liesi
isich nicht abschrecken von Nutz ilte
Jservr. »Tiiuhner ist ein Desvot, viel
leicht emanzipiert sie sich gern von
»ihm«, laliulierte er. Daß er doch
Gelegenheit fände, sich ihr zu nähern.
»Herr Amtsrat, wollte schon laine
mal fragen, oh Sie nicht nein passen
den Gaul fiir mich haben. Darf ich
mir vielleicht in den nächsten Taieii
"Jhren Bestand ansehen?«
« »Gewiß dürfen Sie das. Reiten
Sie nur ’mal rüher nach dem Vorwerl
Neulrug, dort ist die Kot-pel. Tei
Jnspeltor nimmt Jhre Wünsche ent
gegen.«
! Der Rittmeister fluchte innerlich
der Alte war schrecklich widerhaarig
Er hatte bestimmt aus eine Einladung
nach dem Moorgarten gerechnet. Aber
Täubner sollte nicht denlen, daß er sich
abschreclen ließ. Erne Frau wie Rut
l gab man nicht so leicht auf. Gut Ding
will Weile haben. herrgott, ihr so
geaeniiber zu sitzen! Und wie sie sich
Itrug Hellgraues Tuchiostüm mit
iweißen Ausschiiigen, sehr schick. Wolf
Täuhner war wirklich ein Esel, acht
Tage vor der stock-mit zu ertrinlen.
Der Kellnee meldete den Wagen.
thssen ließ es sich nicht nehmen,
die Herr chaften hinaus zu begleiten.
,,Barone sind ganz im Mooraarten
eingebürgert, vermissen die Großstadt
nicht?«
»Nein, ganz· und gar nicht. "
»Nun bedienert er sie wahrhaftig
noch im Wagen« , Jochen Täubners
Laune war ganz schlecht.
s «Adieu, hert NittmeisterE
»Adieu, herr Amtsrat.«
. Die Pferde zogen an. »Geschieht
Ihm schon recht, wenn er zu spät zum
Dienst iommt'«, tonnte der Amtsrat
Nicht umhin mit innerer Befriedigung
zu denken.
Verdrießlich saß er in seiner Ecke.
»Ktischan, wie du mal wieder fährst:
Nimm doch das Handpserd schärfer
«k««M, du derdirbst es noch mit deiner
Lotterei", ries er dem Kutscher zu- IM
Mischen sah er wiederholt nach der
r.
Rat schwieg. Wohl war der Nim
bus, mit dem sie einstmals Onkel
Jochen umgeben, im täglichen Zusam
menleben geschwunden, aber ihr Ver
trauen zu ihm war dasselbe geblieben,
ihre Verehrung noch gewachsen. Sei
nen kleinen Schwächen brachte sieNach
sichi entgegen. Jeden herni, der sich
ihr näherte, behandelte er abweisend.
Nut erkannte darin, daß er sie nicht
pon sich lassen wollte, siejhm unent
.tat er stets, wenn er sich ihr gegenüber
ucqriccq geworden Mk. Ol- cmpfuuu
darüber eine stille Freude.
»Sieh, Onkel Jochen, hier lief uns
vorhin der Hase über den Weg, viel
leicht mußten wir deshalb mit dem
Rittmeister zusammentreffen.'«
Der Amtsrat verstand nicht sogleich
den Zusammenhang, er besann sich ein
Weilchen, nun lachte er fröhlich. er
hatte seine gute Laune wiedergefunden.
»Jn deiner Gesellschaft vergeht mir
die Zeit immer schnell", sagte er, als
der Wagen vor der Haustür hielt.
Ritterlich küßte er Rut die Hand. das
; verstimmt gezeigt.
Dreizehntes Kapitel.
Gerty war gekommen. Echauffiert
stieg sie aus dem Wagen. 1
.,Rut, ich glaubte, du würdest mich
von der Bahn abholen, mir beim Aus
steigen zu helfen. Lan hatte geradei
genug mit Klein-Lothar zu tun«, sagte ;
sie ärgerlich. «
»Es tut mir leid, daß du Mühe
hattest, ich konnte deine Mutter nicht
verlassen«, entgegnete Nut gehalten«
vie ihr gönnerhaft zum Kuß gebotene
Wange ignorieren-d. I
»Die eine Stunde hättest du wohl
abtoniinen können, mein Zustand mußt
auch berücksichtigt werden« Gerty er
wartete ihr zweites Kind.
Mit der heirat hatte sich eineWand
lung an ihr vollzogen, aus dem ehe
mals schüchternen jungen Mädchen
Logr eine selbstbewußte Frau gewor
en.
f »Gerty ist so laut«, klagte die Mut- ;
er.
Lothar hatte wenig Aussichten im
Avancement. Jeden Tag sagte Gerty
E dein Vater, daß ihr« Mann den Konr
miß herzlich satt habe. Als er nicht
verstehen wollte, sehte sie sich eines
Abends, während Rut die Mutter zu
Bett brachte, zu ihm und fiel direkt
mit der Türe ins Haus.
»Nicht wahr, Papa, wenn Lothar
den Abschied nimmt, schentst du uns
ein Gutt«
»Nein, mein Kind, einem, der nichts
von der Landwirtschaft versteht, über-s
gebe ich tein Gut«, sagte der Amtsrat
entschieden. -
»Aber Lothar will nicht untätig
sein.«
»So mag er erst lernen, von der
Piete auf dienen. Rsut bleibt lange
bei der Mutter«, brach Jochen Taub
ner das angeschlagene Thema kurz
ab. »Du könntest mal an ihrer Stelle
die Zeituna vorlesen.«
Gertn tlinaelte nach der Lampe.
Die Dienstboten waren im Gartqy
niemand hörte
»Die Leute sind schlecht geschult,
Rut hält die Zügel zu lose«, sagte
Gertv verdrießlich ·
»Rut brinat die Lampe stets selbst,
ich will, daß die Dienstboten abends
Rude baben.«
Gerty tlingelte so lange, bis Dora
kam und das Gewünschte vor sie hin
stellte. Der ganze Ausstand ärgerte
Jochen Täubner, im Haushalt sollte
alles geräuschlos vor sich gehen.
Gerty sing an zu lesen. Sie sprach
die Namen falsch aus und tnitterte
mit der Zeitung, dazwischen gähnte
e.
Endlich tam Rut.
»Du hast mich lange warten lassen«,
sagte Jochen Täubner gereizt. »Lies
du jeßt."
Gertn legte sich in einen Korbsessel
und streckte die Füße aus. »Rut, gib
mir eine Fußbant.« -
Die Olnaeredete hörte nicht.
»Das von Südwestasrita hatten
wir schon.«
Wieder ignorierte Nut Gertys Ein
wurs.
»Wie es scheint, neigt der Krieg
dem Ende zu und die Brauen können
bald heimtrhren«, sagte sie, als der
Artikel beendet war.
»Meistens sind es nur gescheiterte
Existenzen«. ließ Gerty sich vernehmen.
»Wer einen Bruder unter den Tap
seren hat, sollte niemals so sprechen«,
verwies der Amtsrat. »Hat wirklich
dieser oder jener eine Schatte auszu
wetzem dort drüben bietet sich ihm Ge
legenheit dazu.« « Rut horchte auf.
»Willst du nicht zu Bett gehent Du
scheinst müde zu sein?«« forderte der
Vater die Tochter auf, als sie wiederj
gähnte.
»Ja. Rut soll mich in mein Zim
mer bringen«
Rut stand auf. Eine Frage brann
te auf ihren Lippen, die ie in Gertys
Gegenwart nicht an Onkel Jochenl
richten mochte. Gerty stützte sich aus
ihren Arm. »Du bist, wie ich be
merke, im Moorgarten ganz zu Hau
se«, sagte sie unterwegs in scharfem
Ton. »An eine neue Verlobung denkst
du wohl nicht?«
»Nein.«
»Du hast hier auch keine Gelegen
heit dazu und dann, ein Mädchen
ohne Vermögen!«
»Hier ist eine Stufe, Gerty«', un
terbrach Rut sie kühl.
»Nun find wir im gewohnten-Tritt«,
sagte der Amtsrat, als sie zu ihm zu
rücklehrte.
,,Onkel Jochen, glaubst du wirklich,
daß einer, mit schwerer Schuld bela
den, sagen wir mit einem Mord, sich
in dem schrecklichen Kriege rehabilitie
ren kann?« fragte Rut gespannt.
»Das kommt doch ganz darauf an,
aus welchen Gründen der Betreffende
gemordet hat. Schlägt einer seinen
Nächsten in schnöder Raub- oder
Mordgier tot, so’n Lsump trägt nie
mals seine Haut für eine gute Sache zu
Markte. Aber wie mancher wird
schuldig, weil er unter dem Zwange
der Notwendigkeit handeln mußte,
oder weil ihn in einem unbewachten
Augenblick die Leidenschaft Wer
Malllllc."
Das Haupt in die Hand gestützt,
blickte Mut still vor sich hin. Wenn
Hans Jochen zurückkehrte, ob sie an sei
ner Hand noch das Kainszeichen sehen
würde? Oder war es wegge
wischt?
»Hier, das schickst du morgen deiner
Mutter«, weckte Jochen Täubner sie
aus ihren Gedanken und legte ein Ku
vert vor sie hin.
,,Ontel Jochen, nein, das geht nicht
länger, du beschämst uns. Jedes Vier
teljahr die große Sendungen.«
«Bescha«men?, Warum nicht gar.«
Er wurde ärgerlich. »J1nmer bleibe
ich in deiner Schuld, durch mich ist
dein Leben getrübt. Nein, nein, wi
dersprich nicht. Mit lumpigen blauen
Scheinen ist’s freilich nicht gut zu
machen. Mit dem Rechnen haperte es
stets bei deiner Mutter unsd da wird»
es dir lieb sein, ihr zu helfen.« ’
,,anel Jochen, wenn du mir doch;
glauben wolltest, daß ich dein einst ins
mich gesetztes Vertrauen mein ganzes
Leben lang als eine unverdiente Aus
zeichnung empfinden werde.«
»Du hast es teuer genug bezahlen
müssen, mein Kind. Jmmerhin ist’s
mir ein Trost, daß du mir altem
Egoisten nicht gram geworden bis.«
Den nächsten Tag kam Tante Ede
line.
»Ich möchte etwas mit euch bera
ten«, sagte sie beim Nachmittags-tas
see.
»Hossentlich nichts Unangenehmes,
sonst laß es lieber«, wehrte Linda.
»Was du gleich ängstlich bist. Es
handelt sich um meine Stistsstelle,
wer sie nach meinem Tode einnehmen
soll. Seit mehr als hundert Jahren
ist sie von einer Hollnega besetzt ge
wesen. Verschiedene entfernte Ver
wandte haben sich bereits aemeldet,
natürlich dachte ich zuerst an Rut.«
»Das ist ja ganz prächtig! Rut,
etwas Besseres gibt’s gar nicht fiir
dich«, rief Gertn lebhaft.
»So lange ich lebe, bleibt Rut bei
mir«, sagte Linda entschieden, »nach
meinem Tode tann sie ins Stist ein
lkclclL
Ein bitteres Gefühl regte sich in
Rut. Ueber ihren Kon hinweg be
stimmten sie iiber sie.
Der Amtsrat trat herein.
»Papa, wir haben soeben beschlof
sen, daß Rut später in Tante Edeli
nens Stiftsftelle eintritt«, Gerty war
begeistert für den Plan.
»Das fehlte gerade noch! Für den
Jungfernturm ist mir Rut viel zu
schade«, der alte Herr war zornrot im
Gesicht.
»Erlauben Sie, bitte, Herr Amts
rat, ich bin auch in diesem Jungfern
turm«, sagte Tante Edeline mit schar
fer Betonung.
»Ja, ja, das ist recht gut, bleiben
Sie nur noch lange drin-«
»Eine vorzügliche Versorgung sür
Rut«- begann Tante Edeline wieder.
»Einer solchen bedarf es nicht«,
schnitt Jochen Täubner ihr kurz das
Wort ab.
»Aber, Täubner, bedenke, früher
gingen alle Mädchen, die eine unglück
liche Liebe hatten, ins Kloster«, rief
Linda pathetisch. »Im Stift Jsen
bühl tönnte Rut ungestört Wolss An
denken leben."
»Das würde ich nur bedauern. Zu
einer unglücklichen Liebe ist Rut gott
lob viel zu vernünftig.« Die pein
liche Verlegenheit in Rats Gesicht be
merkend, fuhr der Amtsrat entschieden
fort: »Ich betrachte sie als mein Kind
und habe daher in ihre Zukunfts
pläne mit einzusprechen.« Er gab
Rat die Hand, das Thema war sür
ihn abgetan.
,,Ueberleg dir’s, Kind. Hier bist
du doch bald überflüssig«, sagte Tante
Edeline beim Abschied.
»Ueberslüsstg!« Das Wort traf Rot
wie etwas körperlich Schmerzendes,
sast wie ein Schlag. Und doch hatte
Tante Edeline recht. Onkel Jochen
und Tante Lin-das Tage waren im
Abnehmen, bald würde Hans Jochen
hier gebieten oder Gerty mit ihrem
Mann -- dann war sie übersküssig.
Nach Lothars und Gertys Abreise
wurde es still im Moorgariem der
Verkehr mit den Gutsnachbarn war
eingeschlafen.
Endlich kam die Nachricht, daß
Jochen zur Heimsahrt rüste. Der
Amtsrsat war wieder verjüngt. Rut
hingegen beschlich eine tiese Bangig
leii. Sie sann nach einem Ausweg.
den Moorgarien zu verlassen. Doch
weder Onkel Jochen noch Tante Linda
wollten von einer Reise zu ihrer Mut
ter hören.
Als das Korn geschnitten, kam
Hans Jochen.
(Forifetzung solgt)
——- »so-OW« —
......
vavvvvv- s---s-- -)
Ein spannt-Horai siir
Obdachtose.
Man schreibt aus Paris-: Unter der
Führung einiger haudfester Detettivs
und estortiert von einem authentischen
Apachen der für die Sicherheit der
Ausfliialer biirgt, unternimmt fast »ic
de Nacht iraend eine Schar Fremder
oder dlasierter Müßiggiinaer vom Hal
lenviertel aus eine Extursivn, die zum
,,Ange Gabriel", zum ,,Chavearr des
Jnnoeents« und einem halben Dutzend
anderer beriichtigter Verbrecherspelun
ten führt. Und den Beschluß dieser
,,partie fine«, an der auch Damen teil
nehmen, bildet dann immer ein Abste
cher zu Fradin. Dies ist ein »Hotel«
in dem St. Perris-Quartier, aile Räu
me dieses Gebäudes sind völlig kahl;
kein Ofen, nicht einmal Tische oder
Bänke. nur Stricke, die in Stuhlhöhe,
in Abständen von je zwei Meteru,
quergespannt sind. Und dort sieht man
allnächtlich an die vierhundert Perso
nen zusammengepfercht schlaf-:n, gegen
ein Entgelt von vier Saus-Z, wofür je
der noch eine Schale Suppe erhält.
Fradin hält, mit einem derben Ochsen
ziemer bewährt, so streng auf Ord
nung, daß ihm die Polizei volles Ver
trauen schenkt und nächtliche Nazzias
ausgeschlossen sind. Fradin war Kit
chenches des Marschalls MrMahon.
doch seine Wandlung zum ,,Philan
thropen« gibt ihm keinen Grund zur
Klage, den sein Hotel bringt ihm eine
jährliche Einnahme von rund 30,000
Franck. Weniger bekannt ist das Ho
tel in der Rue Quinauamponx, dass
von den Sensationsjägern nicht aufge
sucht wird, da es ziemlich-en Komsort
aufweist, denn es enthält in 20 Sälen
je lZwanzig Betten. Das Schlasgeld be
trägt siinszig Centirnes und die Hy
giene ist, was Sauberleit und Wechsel
der Bettrviisrhe anbe!.ingt, durchaus be
friedigend. Dieses Hotel besteht nun
schon an die 36 Jahre und bat seinem
Besitzer, Bernh einen so hübschen Pro
sit eingebracht, daß er es sieh nun ge
statten tann, ebenfalls den Philantro
Den zu spielen. Er läßt sein Hotel
niederreißen und siir eine Million
Franc-s zu einem Palace i:iul1a!cen,msekj
dein Muster der internationalen stagn
oanserei in den ChampsiElysiiesk Das
Bizarre an der Sache ist, daß dieses
Gebäude vierhundert Zimmer zu je ei
nem Bett enthalten trird, wosiir der
Preis der gleiche wie jetzt ist, nämlich
—— fiinszig Centimest Die Einrichtung
ist behaglich und die Hygiene friert mit
Ventilatoren, Waschtabinen, Brause
bädern, Fliesenbelag, Desinsettiouss
räumen usw. wahre Triumphe. Ein
Restaurant, dessen Portionen 10, 530
und 80 Centimeg kosten, ein Sprech
faal, Bibliothet, Apotheke Vervollstän
digen die Einrichtung des merkwürdi
gen (ttel-iilideg. Die großen Spiegel in
den Zimmem die elektrischen Bogen
lampen in den Korridoren werden den
Gästen die eigene Armut in doppelt
peinlichem Gegensatz zum Bewußtsein
bringen« Ader an und siir sich ist die
Sache ein interessantes Experiment
und sicherlich auch -— ein gutes Ge
schäfti
-«—--——
L· ...... · , « «"-I·I"
»Anm, morgen früh wccken Sie mich
um icbcn Uhr-"
ce» itz, bitte nur du läuten, gnädiqck
tc