Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, March 08, 1912, Zweiter Theil, Image 10

Below is the OCR text representation for this newspapers page. It is also available as plain text as well as XML.

    Ein Roman aus dem
cebm
Auf ererbters Scholle J
Von
l Reinhold Ortmann l
( 10. FortsetzungJ
»Hu Gras Kurt von Dolden
deig fragte er, nachdem er seinen
R gegen Jrene gelüstet hatte, mit
t e deshnender Stimme, während
eine blisenden Augen sich sest auf das
Tätig erstaunte Antlitz des An
sndeten richteten·
»Der bin ich! Aber was soll die
Froeei Und was wünschen Sie von
mir
M ehe er antworten konnte sah
Horst jest auch seinen Bruder in Be
Zeitung eines ebenfalls berittenen
ieners als sden letzten im Zuae an
der Wiegung erscheinen. Wie ein
Ausdruck der Genugtuung glitt eg
iiber sein Gesicht, denn eben noch hatte
er im Stillen bedauert, daß seine
suseinandersetzung mit dem Beleidi
get Marthos nicht in Gegenwart
Zwalds stattfinden konnte.
»Schulden Sie sich nur noch einen
Un«,genblick Herr Graf«, erwiderte er,
«dnnn sollen Sie es mit aller wün
schenswetten Deutlichkeit erfahren.n
Und mit erhobener Stimme fügte er
binzm
»Nein Dich ein wenig, Erbale
Ich wünsche, dasz Du mich diesem
herrn hier in aller Form vorstellst,
daier in mir, wie es scheint, etwas wie
einen Wegelagerer vermutet.«
Es war ungewiß, ob auch Jrene
diese Worte noch gehört hatte, denn
sie hatte bei dem Erscheinen des Unbe
kannten, in dem sie wohl taum» ihren
Oheim vermutet hatte, ihr Pferd nicht
angehalten, sondern war den Voraus
eeitenden gefolgt, so daß sie bei der
Dichtheit des Baumbestandes den su
riickgebliebenen schon in den nächsten
Minuten völlig aus den Augen ent
schwand. Sicherlich war dieser Um
stand nicht danach angetan, die Laune
des Grasen zu verbessern, und mit ei
ner höchst ungedulidigen Kopfbewegung
wandte er sich nach Ewald von Bruch
hausen um, wie wenn er von ihm zu
erfahren erwarte, was dieser sonder
bare Austritt bedeuten solle.
Er sah in ein bleiches, entsetztes
Antlit, auf dem die Furcht vor einem
kommenden Unheil in leserlichen Zit
gen geschrieben stand. Und nun hegte
er keinen Zweifel mehr über die Person
des seltsamen Fußgängers, wenn er
auch noch weniger als zuvor begriff,
weshalb der heimgekehrte Oheim
Jrenenz gerade ihm in dieser eigen
tümlichen, beinahe drohenden Haltung
in den Weg getreten war.
Der Baron war herangekommen.
und er mußte ernchtlich seine ganze
Seibstbeherrschung aufbieten, um eine
leidliche haltung zu bewahren und
nicht schon beim ersten Wort seine
Seelenangft zu offenbaren
»Guten Morgen, horsti«' rief er.
indem er dem andern vom Pferd
herab die Hand entgegen streckte. »Ich
bin ein wenig überrascht, Dich hier zu
treffen, denn nach den Mitteilungen
meinerFrau mußte ich glauben » s-«
»Ich hatte ihr versprochen, Dein
us zu verlassen s— sonst nichts'«,
« el ihm Vorst. der die dargebotene
band nicht zu sehen schien, kurz und
hart in die Rede. »Aber lassen wir
das fest beiseite; denn nachdem ich er
kannt habe, daß man mich schmählich
hintergangen hat, halte ich mich auch
an dieses Versprechen nicht mehr ge
bunden. Jch sagte Dir schon, daß ich
den Wunsch habe, durch Dich dem
deren Grafen vorgestellt zu werden«
- «Erlauben Sie mir also, lieber
Sohn, Sie mit meinem Bruder Horst
bekannt zu machen, vhn dessen uner
, warteter Rückkehr ich Sie ja bereits
in Kenntnis gesetzt habe.«
Stets und förmlich lüstete Graf
saldenderg seinen Hut, während
Oser von Bruchhaufen auch jeht jede
derartige Höflichkeit verschmähte.
»Sie wissen fest, daß ich kein
lseindit bin, here Graf! Und da ich
.. »sehr dringend mit Jhnen zu sprechen
jede, Sie aber aus Gründen. die Sie
, Hchts angehen, nicht im Herrenhause
-. m Ich-know aussuchen mag. so gestat
« im Sie mir wohl, die fragliche Ange
» heit gleich hier zur Erledigung zu
be regen. Mein Bruder der auch
obs-ges Interesse daran haben dürfte,
M uns bei der Unterredung Gesell
- M leisten.«
Woldenberg erwartete offenbar ei-I
nen entschiedenen Einspruch von Sei
ten des Bat-Ins. Da dieser aber nichts
erwiderte, sondern sich«in schlecht mas
tirter Berlegenheit mit dem Zaum
zeug seines Pferdes zu schaffen mach
te, sagte er, sich gegen Horst wendend-.
»Ich muß gestehen, herr Baron,
das Ihr Ersuchen, und noch mehr die 1
sprin, in der Sie es vorbringen, mich ;
einigermaßen befremdet. Es kanns
Ihrer Aufmerksamkeit kaum entgan-:
; sein, daß wie diesen Spazierritt.
Gesellschaft von Damen unternom
men haben, Und schon aus diesem
Ins-de möchte ich Jhnen vorschlagen,
die Unterredung, die ja für mich unter
Leim Umständen eine wichtige ist,
us einen passenden Zeitpunkt und
essen passenden Ort zu verlegen.« i
Obwohl er sich mit Micksicht auf
Ists-gespart Evalds einigen Zwang
schickst-, war doch ein beleidigender
nicht nur in der Fassung
Esset-vorn sondern noch mehr tn
III-I seiner Stimme. Was
ihm seine Großmutter von diesem mä- H
lprenen Sohne der Familie Bruchham
sen er ählt hatte, gab ihm offenbar
nach feiner Ueberzeugung ein RechtJ
denselben usit underholener Gering-»
schäkung zu behandeln Und wenn
zart vielleicht noch vor zwei Minuten
illens gewesen war, sich zu beben-l
schen, so riß ihm die beleidigende Art
des anmnßenden Burschen jesi wieder !
Beine Absicht sogleich zum seußersien
in
Indem er an die linke Seite-des
Pferdes und hart an Woldenberg
herantrat, sagte er:
»Man sengt nicht viel nach Ort und
Stunde, Herr Gras. wenn es sich da
rum handelt, einen Ehrlosen zur Rede
zu stellen. Erinnern Sie sich eines
Mädchens, das Sie zuerst wie ein
Lügner und Meineidiger betrogen
und gegen das Sie sich dann gleich
einem brutalen Plebejer vergangen
baden? Erinnern Sie sich ihrer oder
wünschen Sie. daß ich Jhrem Ge
dächtnis nachhelfe, indem ich Ihnen
den Namen der Getäuschten und Miß
handelten nenne?'«
Seine Augen gluhten. und aue
Musteln seiner hohen Gestalt schienen
sich gestrasst zu haben, so daß er noch
größer aussah als sonst. Ewald von
Bruchhausen kannte aus vergangenen
Tagen diesen Gesichtsausdruck und
diese haltung; denn auch ihm hatte
der Bruder mal so gegenüber gestan
den, und die Erinnerung an jene
Stunde bildete fürwahr teine von der
erfreulichen Erinnerungen seines Le
bens. Darum machte er, von einer
entsetlichen Angst gepackt. Miene. sich
aus dem Sattel zu schwingen. um zu
rechter Zeit zwischen die beiden Män
ner treten zu können. Aber er war
doch nicht schnell genug gewesen. das
Fürchterliche zu verhüten. -
Mit brennender Röte hatte sich bei
der Beleidigung, die lDurst ihm entge
gengeschleudert, das gelblich blasse
Gesicht des Grasen überzogen, und
seine Neitveitsche wie zum Schlage
erhebend, hatte er ihm mit heiserer
Stimme zugeruien:
»Einem Betrüger und Fälscher
antworte ich nicht. Aus dem Wege
--- oder « - «
Er hatte wohl nicht im Ernst die
Absicht gehabt zu schlagen, denn er
würde den goldenen Griff der Gerte
sonst wohl fester gepackt haben, so daß
ihm horst nicht« wie es fest geschah.
mit einem Ruet das Instrument hiitte
entreißen können.
Ein Aufschrei, zugleich von desti
gem, törperlichem Schmerz und sinn
lofer Wut erpreßt. gellte durch den
Wald — und ein breiter, blutigroter
Streifen, der sich quer über das
5llntliy Woldenbergs zog, bezeichnete
die Spur des furchtbaren siehes, den
horst ihm mit feiner eigenen Peitsche
versetzt hatte.
.Kanaille ——- elende, das bezahlst
Du mit Deinem Leben!« heulte der
Geschlagene aus« und in derselben Se
tunde noch war er aus den Bügeln,
um sich auf seinen Beleidiger zu
stürzen. Ewald ,der sich zwischen die
Beiden werfen wollte, lam zu spät;
denn Gras horst war nicht um einen
Zoll breit vor dem Angreifer zurück
gewichen, und mit einer Kraft, die der
geringen Stärke des zierlichen Grasen
um ein Gewalti es überlegen war,
hatte er Wolden rg an beiden Ar
men gepackt und ihn von sich geschleu
dert, so daß er nur durch einenBaum
stamm, gegen den er getaumelt war.
vor dem Niederftiirzen bewahrt blieb.
»Sieh Dich vor. armseliger Wicht·.
rief er ihm zu. «Diesmal hast Du es
mit einem Manne zu tun, nicht rnit
einem wehrlosen Madchen.«
Nun ern denn das alles war kas
das Wert weniger Augenblicke gewesen l
—- stand Ewold bei dem Bruder! Und
treidebleichen Antliges flehte er mit
erhabenen höndem
«horit um des Himmelswillen
J-— so tornm doch zu Dir! Du bist
ja von Sinnen.«
Mit einer einzigen verächtlichen
Handbeweguna aber schob ihn der
Andere zur Seite.
»Geh und hilf dem Jammergesel
len, dem Du Dein Kind verlaufen
wolltest. Und fag’ ihm, daß Horft
von Bruchhausen weder ein Betrüger
noch ein Fälscher ist, sondern ein
matelloser Edelmanm der ihm die
verdiente Ehre erweisen wird, ihm
mit der Waffe Genugtuung zu geben,
falls ihm nach einer eindringlicheren
Aktion verlangt als es diese war.«
Graf Woldenberg hatte sich straff
aufgerichtet. Sein linnener has-tra
gen war nicht weißer ais sein Gesicht,
von dem sich unheimlich dunkel die
purpurne Spur des Peitschenhiebei
abheb. Er hatte eingesehen, daß es
kein Mittel für ihn gab, den uner
hörten Schimpf auf der Stelle zn
rächen und seine aristotratifehe Erzie
hung hatte ihm die Kunst der Selbst
heherrfchung in en endem Maße ge
lehrt, um ihn se bft n diefer fiir ihn
fs furchtbar beschämenden Situation
seine haltung schneller wieder finden
zu lassen. als es unter taufend ande
nen auch nur einem einzigen möglich
genesen witte.
III wäre horst fiir ihn gereicht
mehr vorhanden, wandte er sich an
den in mitleidstpiirdiger Fassungsisi.
sigieit und Zerknirschung bestehenden
Gutsherrn von Rhinvm I
»Ist es die Wahrheit. was jener
kr dort soeben sagte? Können Sie
ch mit Ihrer eigenen Ehre dafiir veei ·
bürgen, Derr Baron daß er noch
fatisfaiiionsfiihig isii«
.Nun, so sprich doch!« mahnts
Dorfs in rauhem, befehlendem Ton, 1
da Emald unschliissig mit der Unt-!
wori zauderte. Ober willst Du, daß!
ich statt Deiner die nötigen Aufklsii
rnngen gebei«
Die letie Frage hatte dem Baron
mit einem Male die Zunge gelöst
»Alletdingi, Oerr Graf, ich iiinnitl
mich mit meiner eigenen Ehre bafiir
verbürgen Aber es darf nicht zn
einem Zweikampf zwischen Ihnen unx
meinem Bruder kommen. Das ist «
ganz undenibar! Dieses unglückseii
Mißverständnis muß sich doch an
klären lassen. und — s—
»Hier kann von einemMißverstiindi
nie und von einer Aufklärung selbst
verständlich teine Rede sein, Here Ba
ron! Jch werde also auf Jhre eben
abgegebene Versicherung hin sofort die
erforderlichen Schritte tun ,und das
Weitere wird sich finden vorausge
segt, daß jener Herr wirklich den Mut
t, sich auf einen Kampfvlah zu stel
en, auf welchem andere Faktoren ent
scheidend sind als seine vielleicht in
irgend welcher Tageliihnerarbeit ents
wickelten Muskeln« Möchten Sie
vielleicht Ihrem Diener Befehl geben.
herr Baron. daß er mein Pferd unter
feine Obhut nimmt? Jch ziehe es.
vor, mich desselben nicht weiter zu be
dienen.«
Keiner hatte bis dahin auf den
Diener geachtet, an den die beiden An- !
deren erst durch diese Bemerkung des
Grasen wieder erinnert wurden. Nun
erst sah Vorst. daß es derselbe ältliche
Mensch mit den unangenehmen, der
iniffenen Zügen war, den er jiingst
bei feinem Besuch im herrenhause von
Rhinow aus eine so fühlbare Weise
an vergangene Zeiten erinnert hatte.
Dem Manne tonnte von allem. was
hier gesprochen und geschehen war,
nicht das Mindeste entgangen sein,
denn er hatte, nur wenige Schritte
entfernt, während der ganzen Zeit
steif und unbeweglich wie eine aus
Holz geschnittene Figur auf seinem
Pferde gesessen. Aber auf seinem Oe
sicht war nichts von dem Eindruck zu
lesen, den die unter vornehmen Kava
lieren ja gewiß höchst ungewöhnliche
Szene auf ihn gemacht haben mochte
----es sei denn, dass man das tückische
Glisern der fast beständig aus Vorft
von Bruchhausen gerichteten kleinen
Augen hätte siir einen Ausdruck seiner
Empfindungen nehmen wollen.
»Führen Sie das Pferd des Deren
Grafen sofort in das Schloß zurück,
erisch!« befahl Ewald. Und der
Diener stieg aus dem Sattel, um zu
nächst etwas an dem in Unordnung
geratenen Zaumzeug des Gauleö wie
der zu richten. Ei war das eine Ar
beit, die ausfallend viel Zeit in An-s
spruch nahm. Aber von den Dreien
war Niemand gestimmt, darauf zu
achten. 'und keiner von ihnen nahm
von der weiteren Anwesenheit des
Diener-s Notiz.
Der Graf hatte sich zum Gehen ge
wendet, und Baron Ewald machte
Miene, sich ihm anzuschließen Aber
mit einer nicht mißzuverstehenden Ge
bärde wies Woldenberg seine Beglei
tung zurück.
»Bemijhen Sie sich, bitte, nicht,
Herr Baron! Sie werden es jeden
falls vorziehen, die Unterhaltung mit
Ihrem Bruder fortzufehen und ielbft,
wenn ich mich in dieser Vermutung
täuschen sollte, möchte ich lieber allein
gehen. Was wir einander noch zu
sagen haben, erledigen wir wohl besser
schriftlich oder aber durch eine geeig
nete Mittelsperfon·«
»Wenn ich diefe Andeutung recht
verftehh herr Graf s "
»Ich bin vollkommen sicher, daß Sie
sie vollkommen richtig verstehen, herr
Baron! Nach der unerhörten, feigen
und brutalen Beschimpfung die mir
. von einem Angehörigen Jhrer Familie
;an Jhrem Grund und Boden und
,unter Ihren Augen zugefügt worden
ift, kann von einer engeren Verbin
dung mit Ihrem hause fin mich selbst
verständlich nicht mehr die Rede fein.
IJch benage dar natürlich aufrichtig,
aber ich zweifle leinen Augenblick· daß·
Sie sich darüber bereits vollkommen(
tlar geworden waren, noch ehe ich ejj
ausgesprochen. Da ich außerdem
Ihre Gastfreundfchaft unter den ob
waltenden Umftiinden nur noch fo:
lange in Anspruch nehmen kann, alsi
ich Zeit brauche, einen Wagen für diej
Fahrt ur Station zu beschaffen, fo(
darf · Sie wohl erfuchew die ans-»
digfte Frau Baronin und die gnädigel
Baro e statt meiner von der heran-l
deeten lage zu unterrichten. Alles»
Weitere wird dann, wie fagt, aufs
liegend einem Irduungsmä igen Weges
geregelt werden. Ich habe die Ehre,i
friert Baron, mich Ihnen zu empfeh-l
est-«
Seinen hut ,tief in die Stirni
deutend, ing er, ohne horft eine-s
weiteren licht zu viedigeth eilig-n
Schrittes in der Richtung nach dem
Herrenhmrfe davon. Und als er sicher
war-, daß die Zurückgebliebenen ihn
nich trnehr beobachten konnten. schlug
er auch seinen Rocktragen in die höhe,
um so gut als möglich das Brandrnal
der Schande zu verbergen, doi er rnit
sich fortnahnn
Ewle von Bruchhaufem dessen
Antlis to lang und mager geworden
war, als märe er innerhalb biefeuoes
nigen Minuten unr ein Jahrzehnt ge
altert, trat dicht an seinen Bruder
heran und sagte in einem Ton. aus
dem die ganze dumpfe Verzweiflung
seiner Seele klang:
»Das habe ich Dir zu verdanken,
Horsik « Du kannst zufrieden sein mit
Deinem Werte»
.Ja!« tlang es talt zurück. »Ich
bin damit zufrieden. Du aber hättest
in der Tat guten Grund« mir zu
danten, weil ich Dich verhindert habe,
nun auch a n Deinem eigenen Kinde
eine Schutterei zu begehen.« .
-Was kannst Du davon wissenYi
Was giebt Dir ein Recht, so iibers
meine Handlungsweise zu urteilen?
Graf Woldenberg hat gestern Abend
um Jrene angehalten, und sie hat odne 4
Weiteres ihr Jawort gegeben. Jch
habe sie nicht dazu gezwungen. Wenn
er jedt zurücktritt. bin ich ein verlo
rener Mann, und mir bleibt nichts
mehr übrig als eine Kugel.«
Mit einem verächtlichen Blick streif
ten die Augen des Bruders-über seine
gebrochene, fast anz in sich zusam-(
mengesunlene Gestalt
»Es hätte, wie ich dente, in Deinem
vergangenen Leben mehr als eineni
Augenblick gegeben, wo der Gedanlel
an eine Kugel viel näher lag als jehL i
Wenn Du Dich damals dasiir ent
schieden hast, weiter zu leben, wirst
Du es auch jeht iiber Dich gewinnen
können. Aber wir haben noch mit
einander ein Wort zu reden, und da
es mir je t an Zeit dazu fehlt, manl
es heute bend sein. Unter das Dach
Deines hauses komme ich nicht mehr
und im «Goldenen Löwen«, wo ich
logiere, wünsche ich Deinen Besuch
nicht zu empfangen, weil man dort
nicht zu erfahren braucht. wer ich bin.s
Erwarte mich also um neun Uhr ans
der halbrunden Steinbanl im Pakt-?
Und sorge dafür, daß wir dort unge-l
stört sind. Denn ich wünsche, mit Dir;
zu reden -— nicht etwa mit Deinem;
Weibe. Und nur in Deinem eigenem
nicht in meinem Interesse liegt es,!
daß Du viinttlich zur Stelle bist."
eht erit schwang sich der Diener
wie r in den Sattelj Es war lein
Zweifel, daß ihm auch von den lettem
zwischen den beiden Brüdern gewech
selten Worten teines entgangen war«
und ehe er nun langsam davon ritt,—
den Gaul des Grafen neben dem sei
nigen am Zügel führend, sandte er
horst noch einen jener tückischen haß
ersiillten Blicke zu. die den Ausdruck
seines ohnehin schon so unangenehmen
Gesichts zu einem geradezu abstoßend
widerwiirtigen mochten.
horst von Bruchhausen aber schenk
te dem Gebärdenspiel des Menschen
leine Beachtung, und ee wartete sogar
nicht einmal eine Crwiderung seines
Bruders ab. Ohne Gruß lehrte er
ihm nach den lehten Worten den
Rücken und war schon nach wenigen
Selunden im Waldeödunlel ver
schwanden.
Dreizehntes Kapitel.
Als Jrene die Voraufreitenden ein
geholthattn war sie von ihrer Mutter
hastig nach dem Verbleib des Grafen
gefragt worden. Sie antwortete der
Wahrheit gemäß, daß er von einem
undelannten Manne angehalten und
zu einer Unterredung aufgefordert
worden sei, der sie nicht habe beiwoh
nen wollen«
Frau Leonie aber zeigte sich von
dieser Auskunft fehr wenig befriedigt.
Die Beschreibung, die ihr Jrene von
der Persönlichkeit des Fremden geben
mußte, machte es ihr beinahe zur Ge
wißheit. daß es tein Anderer als ihr
Schwager Horft gewesen fei. Und
darüber, daß er eine Unterredung mit
dem Grafen Woldenberg nur in einer
keineswegs freundlichen Absicht gegen
feine Angehörigen gesucht haben tön
ne, machte sie sich trog des scheinbaren
Erfolges, den sie vor zwei Tagen über
ihn davongetragen hatte, durchaus
teine Jllusivnen.
Um noch eine Reihe weiterer Fra
gen, von denen herta Woldenberg
nichts vernehmen sollte, an ihre Toch
ter zu richten, blieb sie geflissentlich
rnit Jrene hinter den beiden Anderen
zurück, und so geschah es, daß sich
Darald vlöglich zu feiner Ueberra
fchung mit der Kvmtesse allein sah.
Sie hatten während der ganzen
bisherigen Dauer des Sdizierrittes
nur ein paar leichgilltige Worte mit
einander gewe selt, und es schien, als
wollten sie fest, wo ihre Unterhaltung
teine Zeugen mehr gehabt hätte, völlig
vertiummenk «
Nach Berlan von« Minuten erst
brach rta das Schweigen, indem sie,
ihr Perd parteenln sagte:
»Deinen wir hier auf die Anderen
warten, baraldi s— Oder ist es Ihnen
recht, daß wir umbehren und ihnen
entgegenuitenk
Panz wie Sie es wünschen, Korn
liesse! , Aber ich halte ej siir wahr
- scheinlich. daß sie einen anderen Miet
weg nach dem Schlosse eingeschlagen.
und daß wir sie deshalb doch verfehlen
würden. Das Zweckmäßigste wäre
wohl, daß ivir hier gleich rechts ab
biegen. Wir werden dann ungesiibr
gleichzeitig mit ihnen zu Hause an
lpmmen.«
Da herta teinen Widerspruch er
hob verfuhren sie nach seinem Vor
schlage und wieder trabten sie eine
tleine Weile schweigend neben einander
ber. Aus Haralds biibschem, ossenem
Gesicht aber traten immer deutlicher
die Anzeichen eines gewissen inneren
Kampfes u Tage, und nach langem
Zaudern schien er sich endlich einen
bedeutsamen Entschluß abgerungen zu
haben.
,,Erinnern Sie sich noch des Ge
spräches, Komtesse«. sagte er, »das
wir vor einigen Tagen driiben am
See mit einander gesiibrl?«
»Ja, ich erinnere mich seiner. Aber
ich wiirsde es tiir besser halten, Harald,
wenn wir ibm leine Fortsetzung
gäben.«
Sie hatte ei nicht unfreundlich,
doch mit einer ruhigen Bestimmtheit
gesagt, die ihm keinen Zioeisel an der
Ebrenbastigleit ihres Wunsches lassen
konnte. Und sie schien überrascht als
er sich dennoch nicht in seiner Absicht
beirren ließ
»Warum wollen Sie es mir ver
wehren?" sagte er. Nachdem Sie da
mals einen so schweren Vorwurf gegen
mich erhoben. sollten Sie mir- nun
auch Jbren Rat nicht verweigern.
wenn ich anen gestehe, daß ich seiner
bedars.«
»Meines Rates bedürfen Sie, ha
rald? Jn Bezug woraus?«
»Jn Bezug aus den tiirzesten und
sichersten Weg, mir Jbre Achtung zu
gewinnenf
Der treuherzig schlichte und zualeichl
innige Ton in dem er dassagte,1
mußte wohl einen ganz eigenen Ein
druck aus sie gemacht haben, denn es
llang weder stolz noch abweiiend alsj
sie nach einem lleinen Schweigen zit
riickgab: j
»Ist-, ist Ihnen denn an meiner!
Achtung Ioirtlich so viel gelegen?« »
»Tausendmal mehr als an derj
guten oder schlechten Meinung der.
ganzen übrigen Welt«. versicherte deri
junge Offizier mit Wärme· «SieJ
haben mir einen großen. einen tin-«
schähbaren Dienst erwiesen, Komtesse..
indem Sie mir dd Augen siir die
Leere nnd Zweetlosigteit des Daseins
;iisfneten. das ich bis zu diesem Tage
saefiiljrt habe. Und ich bin Ihnen da
Hiir aufrichtig dantbar. obwohl ich ja
nicht verhehlen kann, daß es eine et
was harte Lettion gewesen iit. Nun
aber diirsen Sie nicht auf halbem
Wege stehen bleiben, sondern Sie
müssen das gute Wert, das Sie be
gonnen haben. auch vollenden. Es
lann ja nicht bloß Ihre Absicht gewe
sen sein, mich durch einen herben Ta
del zn demütigen. Und ich bin sicher,
daß Sie jenes vernichtende Urteil
iiber mich und meinesgleichen nicht
aefällt haben würden, wenn es nicht
Ihr Wunsch gewesen wäre, nrich zu
bessern-" "
Eine rosige Blutwelle hatte die
Wangen der Kvmtefse höher gefärbt.
Sie, die in ihrer stolzen Unnahbarteit
lonst so Sichere, erschien plötzlich be
fangen und verlegen wie irgend ein
lchiichternes junges Mädchen von ge-·
wödnlichem Schlage.
»Sie haben meine Worte vielleicht
zu ernst genommen, Harald«, sagte sie
zögernd. »Ich bin ja am Ende weder
berufen noch berechtigt. Ihre-Hof
meisterin zu machen.«
«Nicht meine hosmeisterim Heila,
aber vielleicht meine ltuge und gütige
Führerin, Sagen Sie mir, was ich
tun soll, urn aus dieser mastierten
Untiitigteit heraus und in ein ordent
liches Fahrwasser zu kommen. Ich
habe mir bis jett vergebens den Kops
dariider zerbrochen, wie ich es an
fangen könnte, Alles, was mir in der
einen Viertelstunde als möglich und
zweckmäßig erschien, mußte ich in der
niichsten wieder verwerten, weil irgend
ein uniidersteigliches hindernis bis
dahin meiner Ausmerllamleit entgan
aen war. Es ist ja so fchwer, da das
Rechte zu finden. Und ich bitte Sie
auchrfchtig, Verta: Geben Sie mir
einen Ratt«
Aber sie schüttelte zu leiner Be
trübnis abermals den Kopi. und ihr
schönes Gesicht wurde plöslich wieder
sehr ernst.
I »Nein, HaraM Jhnen hier einen
Rai erteilen, hieße eine Verantwor
tung übernehmen, der ich mich nicht
gewachsen fühle. Wenn Sie den Ve
toeis erbringen wollen« daß Sie aus
einem leichtsinnigen Knaben zum
Manne geworden find, so müssen Sie
damit beginnen, den Mut eines eige
nen Entschlusses nnd die Kraft zu ei
ner von seinem fremden Willen de
einilußien Tat zu zeigen. Ich danke
Jhnen iin das Vertrauen« das Sie
mit beweisen, indem Sie mich zu sy.
ter ührerin ausersehen wollen. Aber
ein ödchen soll nicht die Zähnin
eines Mannes sein. Es könnte exich
nichts Ersprießliches daraus erg en
mich.«
rald bemühte sich nicht, die Br
trit nis zu derdergen. in die ihre
Worte ihn derer hatten.
»So dade ich also doch Jhr Jntes
resse an meiner Person iiderfchiiht«.
sagte er, »und ei war eine Unma
ßung. an Ihre Freundschaft fiir mich
zuslaudenf
a drehte sie sich mit einer raschen
Wendung nach ihm um und reichte
ihm die hand.
»Nein, harald das war es nichts
Wäre ich nicht Jhre aufrichtige-Freun
din gewesen —— was hätte mich denn
veranlassen fallen, fp zu Jhnen zu
sprechen, wie ich es vor zwei Tagen
drüben am See aetanf Auf meine
Freundschaft diirfen Sie zöhl n s
ieht und immer! Ader ich wi nicht
daß Sie zu mir aussehen wie zu einem
Wesen, das Jhnen überle en ist und
von dessen Willen Sie d entschei
denditen Handlungen Jhres Lebens
abhängig machen« Jch mischte viel
mehr, daf; eines Tages gerade das um
getehrie Verhältnis zwischen uns ein
treten lönnie.« -
Er hatte ihre Hand ergriffen und
führte sie ungefiiim an feine Lippen.
- »O, herta, wenn dies Jhr Ernst
ift - -! Wenn Sie das für möglich
dalien2«
lForifetzung folgt.)
Die säume Des drei-les.
Ein bemerkenswertes Streiflichl auf
den franziisifch:fpanifchen Konflitl
iiber Marolko bringt Dr. Rent- Prevot
in den Mänchenee Neueften Nachrich
ten. inoem er aus-fährt, wie auch hier
Der englifche Bobrwurm wieder am
Werte ift, mit der Absicht, friiber oder
später einmal Immer zu besitzen, das
knit«feiner unvergleichlich ftralegifchen
Lage die Meerenge beberrfcht nnd von
viel größerer Wichtigkeit ist als der Be
sitz von Gibraltar, dessen feilenfefter
Rubin vor der modernen Kriegstechnik
zu verblnssen beginnt. In Fachkreifen
ift der Glaube an die englische unüber
nsindlirbe Specke merklich erschüttert.
Jn französischen Marinetreifen heißt
e- ein bekannter Admiral habe ten
iirategifchen Plan einer ausfichtsreis
eben Durchbrechnng bie- in alle Einzel
heiten ausgearbeitet »Das, beißt es
in deni Artikel, weiß England besser
eile- alle, und fein Wunsch, dies Tanger
in irgend einer Form unauffällig file
lieb zu «refervieren«, ift eine Selbst
nerftåndlichteit, die lich den anderen
englischen »Selbftverftändlichkeiten«
würdig zugesellt. Ob dann das er
sehnte Gibraltar wirklich an Spanien
Jaueu wird, ruewr arzuroarrerr
Dem Gesel,astchen hostet übriaens
gewissermaßen etwasSnmbolisches an.
Liuf jenenSiiulen, die einst den mntdos
logischen Himmel des alten Europa
tragen halsem ruht momentan Eng
IIInds nüchterne Realpolitit. Und da
Jwiederljolt sich etwas, was gar oft
»ich-m geschah: solcher Türpseiler sind
J gar viele, die irgend einmal berusen er
’scheinen, rie Kontinente der Welt in
saeschloisene Neviere Enalands zu ver
wandeln, —- in Entlaven jenes Prestis
rief-, das England bist-er selbst in Zei
ten zu wahren verstand, da die reale
Ilebermacht ihm zu entqleiten drohte,
aus dem es einen neuen seit Irr-sal
aar unangetasteten europiiischen »Mo
tbos« zu machen verstand.
Was dies Preftige wert ist, wissen
die Engländer nur zu gut· Wissen.
dafev es dar-tut weit netzt ankommt als
aus tatsächliche Macht. »Einzig und
Jltein aus dem Prestiae ruht unsere
Weltmacht.« saate einst Lord Rosebery,
«gerät dieses je ins Wanten. dann
jchliigt der Haß unserer Feinde über
uns zusammen-"
Und jenes »mytljische Prestige", das
die Welt erfüllt und leine eigenen
arundleqenden Realitätem Englands
immerhin bedinqte Unantastbarkeit,
weit überragt, das der Wind aller
Meere über alle Weltteile hintriiqt, es
ruht aus zwei Säulen von wirklich in
nerlicher Kraitr zunächst aus jener tra
dttionsstarten Monarchie, die alle ge
heimen Wege zu den tleineren Fürsten
heilen Europas beherrscht und die
Schlüssel zu sämtlichen Hintertüren
iuternationaler Verschwägerung besihh
--— und dann aus jener vollbewuszten,
willensstarten lonjtitutionellen Demo
lratte, die den wirtschaftlich-sozialen
Aufschwung des modernen Staatsge
danlens mit geradezu musterhafter
Konsequenz durchgeführt hat und so
dein alten Miniasland ermöglichte. das
»Clearinglzouse« des modernen Welt
verlehrs zu werden«
Das sind Englands herlullscheSiiuo
len, auf denen der politische Himmel
Europas ruht und der —- leider uuk
zu reale —- Mythoi unserer Inferiori
tat. Das tind die Pseiler innern
straft und Zulnnst, an denen auch tote
rcjtlos bauen müssen-"
Aus der Erklärung des Stahlfrusis,
er habe nie noch einem Monvpol ge
kirrt-L sieht man wiederum. wohin
man ganz wider Willen kommen sann.
i i i
Man sann zwar nicht stell roßmss
rig, wohl aber immer gerecht fän.