Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, January 05, 1912, Zweiter Theil, Image 10

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    E Ein Roman mi- dem
cebm
z
Auf ererbters Schelle
· Von
Reinhold Ortmann
(1.« FortsehungJ
s
ha« könnte man einen ganzen
« hlen. wenn man alle die Ge
« wiederholen wollte, die iiber
Umlauf sind. Jedenfalls war
Qitztopf dem es niemals da
mäam, einen Gegner niederzu
« , und ein toller Schiirzenjiiger
rein. Er soll der besondere
ing des alten Barons gewesen
, aber mit seinem Bruder hat er
« wie man sagt, immer herzlich
chlecht gestanden. Es heißt, daß er
n unsere jehige Frau Baronin ver
liebt gewesen sei und dasz sie ihn auch
sehr gern geheirathet hätte. Aber es
Dnrde nichts aus der Sache, und als
f- sich eines Tages mit seinem älteren
Bruder oerlobte, ging er auf und
davon«
.Was Sie sagen! Erzählen sich
das die Leute? Und was ist denn
ans ihm geworden ?«
«Er soll sich in Amerika als Kut
scher oder als Kellner eine Zeitlang
durch geschlagen haben, bis man über
haupt nichts mehr von ihm hörte."
Wieder strich der Fremde seinen
grauen Bart.
»Natürlich — ein Adliger, der «aus
Europa entflieht. kann jenseits des
großen Wassers nur Kutscher oder
Qellner werden. Das scheint nach der
in Deutschland herrschenden Ansicht
nun einmal unerläßlich Hat ihn
denn kaand bei dieser ehrenwerthen
Beschäftigung gesehenisp
»Das weiß ich nicht, aber man hört
es ganz allgemein. Jedenfalls wäre
er wohl nach des alten Barons Tode
wieder gekommen, um sein Erbtheil
in Empfang zu nehmen« wenn er noch
nicht ganz verlumpt gewesen wäre.
Vielleicht war er damals auch schon
todt-«
»Das mag wohl das Wahrschein
lichere sein, denn selbst der ärgste
Lump pflegt sich doch einzustellen,
wenn es seine Erbschaft qu erheben
gäh«
Der Fremde schwieg eine Weile«
dann deutete er hinüber nach jener.
Stelle arn Horizont, wo ein paar hohe
Schornsteine sich schlank von dem
Abendhimmel abzeichneten.
»Was ist das?« fragte er. »Ich
erinnere mich nicht, diese Schlote
friiher gesehen zu haben-«
»Das kann auch nicht wohl sein,
denn sie stehen daerst seit fiinf oder
sechs Jahren. Es ift die Fabrik des
Herrn Berringer —- ein großes Eta
blifsernent und eine thahre Quelle des
Segens für unsere Gegend. Da tön
nen unsere Burschen und Mädchen
doch ein ganz anderes Stück Geld ver
dienen alö mit der elenden Tagewer
tierei auf dern Gute.«
»So? Zahlt dieser Herr Betringer
seine Arbeiter so gut?«
»Er zahlt sie vielleicht nicht besser
als andere, aber die Leute sind jeden
falls zufrieden, und daß er ein guter
nrenschenfreundlicher Mann ist, tann
ihm Niemand bestreiten Wer feine
Pflicht thut und sich ordentlich auf
führt, der ist- bei ihm tothgeborgen.
Er läßt keinen braven Arbeiter ins
Elend gerathen und wo die verschie
denen Kassem die er gegründet hat«
nicht ausreichen, da greift er stets ohne
Bedenken in die eigene Tasch·, urn
vorhandene Noth zu lindern« Kra
tehler und Unruheftifter giebt es ja
atn Ende überall, aber die Mehrzahl
der Arbeiterschaft ginge für ihn
durchs Feuer.«
»Das ist erfreulich zu hören. Wenn
ich mich nicht über ihre Lage täusche,
befindet sich die Fabrik auf Rhinower
Terrain?« ·
»Gott bewahre! Das ist Ja even oer
Aerger des Herrn Barons, daß sie
hart an der Grenze seines Vorwerkes
erbaut worden ist. Die ganze An
lage ist ihm ein Dorn im Auge, und er
siihrt schon seit thren einen großen
Prozeß gegen den Fabrikanten, wird
ihn aber wahrscheinlich verlieren.«
In diesem Augenblick ging raschen
Schrittes ein junges Mädchen an dem
Gasthause vorüber, von dem Wirth
mit großer Ehrerbietung begrüßt.
Sie war nicht wie eine Dorsbewoh
nerin, sondern in ein einfaches dunkles
Kleid von stödtischetn Zuschnitt geklei
det, und auch ihr seines, etwas blas
ses und derbiirrntes Gesicht ließ erken
nen, daß sie nicht der ländlichen Be
völkerung angehören konnte. Auch
der Fremde hatte seinen but gezogen
und rnit einem eigenthiimlich nach
denklichen Ausdruck blickte er ihr nach.
»Wer war das. herr Wirth?«
·sragte er, als sie außer Hörweite war.
»Es ist kaum denkbar, daß ich sie schon
einmal gesehen hätte, und doch wollte
ihr Gesicht mir merkwürdig bekannt
erscheinen.«
»Es ist die Tochter des verstorbenen
Pastor Lammert von Rhinoto Sie
wohnt bei ihrer Mutter drüben tin
Predigerroittwenhanse nnd ist von
Herrn serrinaer angestellt, mn die in
der Fabrik beschäftigten Kinder täglich
ein Mr Stunden zu unterrichten.«
»Es-weni« wiederholte der Frem
de. Die Denn er in seinem Sedschtntise
suchte. zle ich zur-i lestenmace hier
Quar; Habe-. wenn ich nicht irre, einen
sites M IMM-«
Wiss-H I, . :
»Ganz recht, er kam als Vitar nach
Rhinow und heirathete die Tochter
des damaligen Pfarrers, dessen Nach
folger er wurde. Aber er war immer
lriinklich und vor vier Jahren ift er
gefierben.«
Der Graubärtige fuhr fich mit der
band über Stirn und Augen, dann
ftand er plötzlich auf. «
»Ich danke Jhnen fiir die ange
nehme Unterhaltung Herr Wirth!
Nun möchte ich noch einen kleinen
Spaziergang machen. Jch denke wohl,
daß ich acht oder vierzehn Tage hier
bei Ihnen bleiben werde.« »
Er fchlenderte die Dorfstraße ent-;
lang, an dem kleinen epheuumranttenl
Predigerwittwenhaufe vorüber. Ubert
als er etwa fünfzig Schritte davon«
entfernt war, kehrte er wie von einer
plöhlichen Eingebung oder einem un
widerstehlichen Verlangen getrieben
wieder um und ftieg die wenigen
Stufen zu der Eingangsthiir des
Häuschens empor-.o
Ein Glockenzeichen ertönte. als er
sie öffnete, und aus einem der auf die
Diele mündenden Zimmer trat das
felbe junge Mädchen, das er vorhin
vor dem Wirthshause gegrüßt hatte.
»Ich bitte um Verzeihung, wenn ich
störe, mein Fräulein,« fagte er, »aber
ich möchte fehr gern die Frau Paftorin
auf einige Augenblicke fprechen.'«
»Wollen Sie gefölligft eintreten,«
erwiderte sie mit einer freundlichen,
; nur etwas rniide und traurig klingen
;und überfchritt die Schwelle des fehr
magere Frau, in deren ehedem viel
.Schmerzen und Enttäuschungen eines
harten, freudearmen Daseins ihre
den Stimme. »Meine Mutter ift hier
drinnen.«
Er leiftete der Einladung Folge
einfachen, doch überaus traulichen
Stäbchens. Eine schwarz gekleidete,
leicht fehr anmuthigen Antlitz alle
Spuren zurückgelassen zu haben fchie
nen, wandte fich ihm zu.
.Guten Abend«, sagte der Fremde
nur, aber der letzte goldige Schein der
sinkenden Sonne fiel dabei voll aus
I-sein Gesicht, und nachdem sie ihn ein
paar Selunden lang unverwandt an
gesehen hatte, ries die Frau mit erho
benen Händen:
»Baron Horstl O mein gütiger
Gott —- ist es denn möglich?«
Jn den Zügen des Mannes malte
sich eine tiefe Bewegung und umsonsi
suchte er sie hinter einem scherzenden
Tone zu verbergen, als er entgegnete:
»Ja, ich hins. Aber Sie müssen
beneidenswerthe Augen haben, daß
Sie mich sogleich erkennen konnten
trotz der langen Trennung und trag
der Veränderung, die in diesen vier
undzwanzig Jahren aller Wahrschein
lichkeit nach doch in meinem Aeußeren
vorgegangen ist.«
Er war aus sie zugetreten und hatte
ihr zum Gruß die Rechte entgegenge
streckt. Sie nahm sie in ihre beiden
Hände; helle Thriinen rollten, ihr
selbst unbewußt, über die eingefalle
nen Wangen; ihr ganzes Antlih aber
verklärte ein wundersam sreudiger
Schimmer. Still ging das junge
Mädchen hinaus. Sie hatte den Na
men des verschollenen von Buchhan
sen ost genug gehört, um zu ahnen,
was die unerwartete Rücktehr des
Todtgeglaubten sitt ihre Mutter be
deute, und überdies hatte sie eine Em
pfindung, als ob die Beiden sich bei
ihrem ersten Wiedersehen Vieles zu sa
gen hatten, was ihnen die Anwesen
heit eines Dritten wenig erwünscht
machen mußte
Aber wenn es wirklich so war, so"
hatten sie es damit nicht gar zu eilig.
Lange standen sie einander gegenüber
—- jedes nach Kräften bemüht, seine
Bewegung zu bemeistern. Dann, als
die Wittwe seine Hand steigegeben
hatte, zog horst einen Stuhl heran
und setzte sich ihr gegenüber an das
Fenster.
»Ja, da bin ich nun wieder. Mar
garete,« sagte er. »Ich darf Sie doch
noch Margarete nennen wie damals,
als wir Spiellameraden waren?«
Die Pastorin nieste.
»Gewiß! Wie sremd würde mir je
der andere Name aus Ihrem Munde
klingen!«
Und dann, mit einem leisen Kopf
schiitteln siigte sie hinzu
«Vierundzwanzig Jahre! Eine lan
ge, lange Zeitl«
«Freilich! Und doeh ist mir’5 in die
sem Augenblick, al könnten kaum
ebenso viele Mona e vergangen sein,
seitdem wir gemeinsam Wald und
Feld durchstreisten wie sorglos stöh
liche Kinder. Also Sie haben den
Bilar Lammert wirklich geheiratheti
Jch hatte lurz vor meinem Fortgehen
von Ihrer Verlobung mit ihm getht,
Find ich konnte ei damals nicht begrei
en.«
Ein wehmüthigeo Lächeln huschte
über das Antlis der Frau.
»Wie hätten Sie es auch begteisen
solle-IT Jch heirathete ihn, weil meine
Eltern ei so wiinschten sind weil er
sich in einem In liei um mich be
, wo mir a es gleichgültig war.
ber ich hatte es nicht In bereuen. Er
Wo :
Ist-»
swar mir bis zu der lehten Stunde
Eseines Lebens ein guter und liebevol
ler Gatte. Mein Dasein ist in ge
wöhnlichen ausgetretenen Alltagsgelei
sen dahin gegangen. Sie aber, Ba
ron horst — — wie viel Kummer
»und Sorge haben Sie hier hinter sich
jzuriickgelassem und wie Schweres
müssen Sie in diesen vierundzwanzig
Jahren erlebt haben!«
«..O, es war damit gar nicht so arg.
sJch habe mich nicht einmal als Kut
scher oder Kellner versucht, wie sich’s
hier die Leute erzählen. Ein Jahr
lang trieb ich mich allerdings ziemlich
wild und planlos in der Welt umher.
und dann aber war ich von allem ina
denhasten Ungestüm gründlich geheilt
und lernte den Segen rechtschaffener,
tüchtiger Arbeit begreisen. Jch war
zuerst in einer Faltorei aus den Sa
moainseln angestellt und dann sast
zwei Jahrzehnte lang in der asrila-.
nischen Handels - Niederlassung einesz
Hamburger hauses —- aus jenem Kil-l
stenstrich, iiher dem seht die deutsche
Flagge weht. Es war wirklich herz
lich wenig Romanhastes und Aben
teuerliches in meinen Erlebnissen.«
«Und nun werden Sie hier aus
Rhinotv bleiben?«
Das wohl taum. Jch bin eben ein
Kaufmann geworden und würde hier
schwerlich ein Feld siir lieb gewonnene
Thätigteit finden. Auch bin ich we
der als ein Krösus noch als Bettler
heimgekehrt, und vielleicht wäre nur
das Eine oder das Andere im Stande
gewesen, mich hier sest zu halten. Doch
wir sinden wohl noch Gelegenheit,
darüber weiter mit einander zu plan
dern. Fiir jetzt möchte ich vor allem
wissen. wie es um Sie bestellt ist,
Margarete.«
»Wenn Sie damit die äußeren Ver
hältnisse meinen, in denen ich lebe, so
habe ich keine Ursache zu klagen
Meine Wittwenpension ist gering,
aber meine Bedürfnisse sind noch ge
ringer, und meine Tochter verdankt
dem Wohlwollen des Herrn Verein
ger eine Stellung, die uns ermöglicht,
ohne eigentliche Sorge zu leben·«
Jch sah Jhre Tochter vorhin vor
dezr Wirthshause an mir vorüber ge
hen, und es schoß mir bei ihrem An
blick durch den Sinn, daß sie vor
sünsundzwanzig Jahren genau so aus
gesehen haben —- nur um Vieles
fröhlicher und frischer. Jhre Tochter
ist doch hossentlich nicht leidend?«
Die Pastorin schüttelte den Kopf.
»Körperlich wohl nicht, und wenn
sir.wirilich leidet, wie auch ich es nach
ihrem veränderten Aussehen fürchte
so kann es nur ein verschwiegener
Kummer sein, der die Schuld daran
trägt.«
»Ein herzenätummer vermuthlich.
—- Und hossentlich einer, der nicht un
heilbar ist. Aber haben Sie denn Jhr
Vertrauen in so geringem Maße, daß
Sie nicht einmal darüber unterrichtet
sind?«
»Es ist eine wunde Stelle die Sie
da mühte-» Baum Hotsus Ja, ich
muß wirklich gkauben,— daß ich das
Vertrauen meines Kindes verloren
habe, denn obwohl sie mir nicht der
bergen kann, daß sie leidet, ist es mir
doch nicht gelungen, sie zum Sprechen
zu bringen. Und ich versuche es auch
nicht mehr. denn sie hat bei all ihrer
Sanstmuth und herzensgiite einen
Kopf von Eisen.«
Die geheimen Kümmernisse dieses
jungen MädihenT das er heute zum
ersten Mal gesehen und mit dem er
nur ein paar gleichgültige Worte ge
wechselt hatte, schienen den Baron
merkwürdigerweise in sehr hohem
Maße zu interessiren, denn obwohl es
ihm nicht entgehen konnte, daß die
Wendung ihres Gespräches der Pasip
rin peinlich sei, hielt er doch noch im
mer an dem Gegenstande sest.
»Wäre ich an Jhrer Stelle, so wür
de ich troßdem nicht aushören, in sie
zu dringen,« sagte er in aussallend
ernstem Tone. »Man soll einem jun
gen Wesen, das man lieb hat, nicht
erlauben, sich ,in unausgesprochenem
Herzeleid zu verzehren. Gerade Jhre
Tochter sieht mir ganz so aus, als
gehörte sie zu denen, die immer in
tbsesahr sind, sich in der Stille zu ver
luten.«
Frau Lammert mochte wohl eine
Frage nach dem Sinn dieser lehten
Worte auf den Lippen haben, aber der
Wiedereintritt Marthcks machte es ihr
unmöglich, sie auszusprechen. Jrgend
eine unaufschiebbar häusliche Angele
genheit forderte die sofortige Entschei
dung der Passiorin und Baron Harst
schien der Meinung, daß sein erster
Besuch nun lange genug gewährt habe.
Er stand aus, um sich zu verabschie
den und man nöthigte ihn nicht, zu
bleiben. Die Hand der Wittwe in
der seinigen haltend, fragte er:
»Wie stehen Sie eigentlich zu Inei
nem Bruder und zu seiner Familie?
Sind Sie häufig drüben aus dem
Schlosses«
rau Lammert schüttelte den Kopf.
» iemalst Die herrschaften haben
jeden Umgang mit uns aufgegeben,
seitdem Martha irn Dienst des herrn
Beninger steht. Aber auch vorher
—
kwar von einem Verkehr kaum die
IRedr. Jn die glänzende Geselligteii
von Schloß Rhinow passen wir eben
gar zu schlecht hinein.«
»Wenn es so ist, brauche ich Sie
wohl nicht erst ausdrücklich um Ihre
Berscheoiegenheit zu bitten. Und ich
habe taum zu siirchten, daß noch ein
Anderer hier im Dorfe so scharfe Au
l gen m kiu so vortrefflich-s Gedächt
! nisz hat wie Sie.«
»Wir werden sicherlich schweigen.
s wenn Sie es so wünschen. Zu wem
l sollten wir denn schließlich auch davon
» reden! —- Aber —- verzeihen Sie mir
die Frage, Baron horst s- Sie lom
men nicht mit seindlichen Absichten
gegen Jhren Bruder, nicht wahr?'
Der Gesra te lächelte
»Muß ich ie dessen erst oersicherni
Nein, wahrhaftig, ich komme in der
steundlichsten Absicht von der Welt.
Die Zeit, die zwischen meinem Ab
schied und meiner Wiederkehr liegt.
war doch wohl lang genug, um auch
die Flammen der wildesien Leiden
schaft zum Berliischen zu bringen«
»Gott gebe es!« sagte die Pastorin
leise. und der Baron driiette ihr die
hand. Dann wandte er sich gegen
das junge Mädchen, und seine Stim
me hatte einen so warmen und herzli
chen Klang, daß Martha Lammert
sichtlich überrascht die Augen zu ihm
erhob.
»Aus Wiedersehen, mein Fräulein!
Sie werden sich schon darein ergeben
müssen. daß ich meine alten Freund
schastsrechte ein wenig auch aus Sie
ausdehne und Ihnen hier und da mit
meiner Gesellschaft lästig salle.«
Jn der Art, wie er sprach, und wie
er ihr feine Vand reichte. war trog
aller siir eine erste Begegnung viel
leicht etwas beseemdlichen Butten-lich
teit nichts Aufbeinglicheg, das sie un
angenehm hätte berühren müssen.
Sie hatte vielmehr eine Empfindung
als ob ihr aus den Worten und dem
Wesen dieses Fremden etwas von je
ner väterlichen Zärtlichkeit entgegen
ströme, die sie bei ihrem ernsten
schweigsamen und immer würdevollen
Vater eigentlich kaum kennen gelernt
hatte. Nie war jene angeborene
Scheu, die sie neuen Bekanntschasten
gegenüber ost beinahe unhiislich zurück
baltend machte, so rasch besiegt wor
den, als durch die zwingende Siebens
wiirdigkeit dieses in Rhinow so iibel
berufenen »milden Voraus-C Sie
fühlte kein Bedürfniß, ihm zu ver
sicherns dasz sein Besuch ihr immer
willkomnfen sein würde, aber er las
solche Versicherung wohl in ihrem
Blick und in dem freundlichen Lächeln
ihrer sonst so herb verzogenen Lip
n.
Jedenfalls lag ein sehr zusriedener
und heiterer Ausdruck aus seinem Ge
sicht, als er seinen Weg durch die
Dorsstraße hinunter fortsetzte, um
kopsniekend ein hier und da wohl ver- »
trautes Plähchen zu begrüßen und
um sich dann das Etablissement deös
Herrn Bertinger. siir das er ein be-»
sonderes Interesse zu empfindenE
schien, aus der Nähe zu betrachten.
DrittesKopiteL «
Die Baronin Leonie von Bruchhau
sen, eine troh ihrer stinsundvierzig
Jahre noch immer sehr schöne Frau
von imponirender vielleicht um ein
Geringes zu üppiger Gestalt, lag in
elegantem Negligee aus der Chaise
longue vertiest, daß sie den unerwar
teten Eintritt ihres Gemahls allem
Anschein nach nur als eine unange
nehme Störung empfand.
»Mein Gott, Ewald, wie Du mich
erschreckt hast!« sagte sie vorwurssi
voll· Er aber reichte ihr einen osses
nen, mit der goldenen Freiherrntrone
geschmückien seies.
»Da —- liei!" Ein Lebenszeichen
von Deinem theuren Sohnel«
Sie richtete sich ein wenig aus ihrer
bequemen Stellung aus und las.
Aber sobald sie an das Ende der er
sten Seite gelangt war, ließ sie die
band mit dem Platte sinken.
»Wenn er von nichts Anderem
schreibt, als von diesen langweiligen
Beim-wem warum soll ich es dann
en «
»Weil ich er für seht nützlich hatte,
daß Du endlich einmal erfährst, wie
ej urn vie Lebensgewohnheiten unt-I
den Charakter Deines lieben Sohnes !
bestellt ist.« -
»Mein Gott, warum nennst Du ihn
so beharrlich meinen Sohns Jch
denke, er ist ver Deinige ebensowohl.«
Der Baron von Bruchhousen
seuf ie.
» reilich! Und es wäre wohl mil
ßig zu untersuchen, wer von uns Bei
den vielen frevelhajten Leichtsinn auf
ihn vererbt haben ag. Wir haben
durch eine all zu Tichsichtige Erzie
hung wohl gteichrrinoßen an ihm ge
sündigt.«
»Es ist sehr freundlich, daß Izu
mich oufgesu t hast, um mir so- ir
beniwllrvige inge u sagen. oft
Du vielleicht noch itereg von r-f
elhen Gattung für mich in Bereit
chaftW
»Ich bin nicht gekommen, um Dir
Vorwürfe zu machen, sondern unt ein »
rrnstei Wort iiher die Zukunft mit»
»Dir zu reden. Denn so kann es un
möglich weitergehen. Jch will Dir
nicht zumuthen, diesen ganzen uner
sreulichen Brief zu lesen, aber ich er
suche Dich, einen Blick aus die legte
Seite zu werfen, wo harald nach der
langen Vorrede endlich dazu kommt,
die Summe zu nennen. die er wieder
einmal braucht um sich aus den Hän
den seiner Gläubiger zu retten.«
Die Baronin leistete der Aufforde
rung Folge, aber aus ihrem schönen,
lalten Gesicht spiegelte sich weder Ue
berraschung noch Schrecken.
»Ja es ist viel -——— empörend viel siir
einen mit so reicher Zulage versehe
nen jungen Burschen wie Harald, und
jedenfalls zu viel, als daß ich es auf
bringen tönnte, ohne mich vollends
zu kuiniren.«
Seine legten Worte machten der
bisherigen Gleichgültigteit der schö
nen Frau plöMch ein Ende. Sie
sprang auf und fragte erregt
,.Was heißt das. Ewalds Es iann
doch nicht im Ernst Deine Absicht
sein« ihn im Stiche zu lasseni«
»Ich lann nicht anders. Wenn es
ihm gefiel, alle meine eindringlichen
Mahnungen leichtsinnig in den Wind
zu schlagen, so muß er-eben tragen,
was er sich selbst bereitet hat.«
»Und Du sagst das mit solcher Ge
lassenheitl Jch begreife in der That
nicht, swie ein Vater es über sich ge
winnen lann, so lieblose Worte zu
sprechen. Wenn Du von harald ver
langtest, daß er wie ein Pfarramts
Kandidat leben sollte, so hättest Du
ihn eben nicht zum Ossizier bestim
men dürfen.«
»Es siillt mir nicht ein. derartiges
von ihm zu verlangen, aber ich dars»
doch wohl verlangen, daß er sich als
ein vernünftiger Mensch einigermaßen;
nach den Verhältnissen einrichteH
Wie unbedacht er auch in den Tag
hineinleben mag, so weit lann eine
inabenhafte Weltunlenntniß unmög
lich gehen, daß er nicht wüßte. unter
einem wie furchtbaren Druck seit Jah
ren die deutsche Landwirthfchast
seufzt und eines wie schweren Un
rechts er sich schuldig macht, wenn er
die Last meiner Sorgen so leichtfer
tig vermehrt.«
»Mein Gott, wenn man Dich hort.
könnte man wahrhaftig glauben. Du
mußtest demnächst zum Bettelstab
greifen.«
»Nun, wer weiß, od dieser Glaube
all zu weit von der Wahrheit entfernt
wäret Nhinow ist mit Hypotheken
Hin solchem Maß-e belastet, daß ich
H wähtend der letzten Wochen umsonst
« die verzweifeltsten Anstrengungen ge
« macht habe, snoch ein weiteres Kapi
tal auszunehmen. Und was das
Schlimmste ist, ich bin seit mehr als
einem Jahre mit dem größten Theil
der hypothetenzinsen im Rückstande.
Es ist sast ein Wunder zu nennen.
daß die Leute sich so lange geduldet
haben.«
»Nun, sie werden sich auch weiter
gedulden. Die Verhältnisse müssen
sich doch einmal bessern und Du wirst
dann alles hezahlen.«
«Eine sehr tröstliche Zuversicht ,
schade nur, daß ich sie nicht zu theilen
vermag. Nein. meine liebe Leonie,
ich wiederhole Dir, so geht es nicht
weiter, um so weniger, als meine
Lage allem Anschein nach ausgehsrt
hat, ein Geheimnis- zu sein« Dieser
Bereinger würde es sonst schwerlich
gewagt haben, mir sein unverschämtes
Anerbieten zu machen.«
»Berringeri Derselbe mit dem
Du prozessirsti Und was sür ein
Anerbieten ist das qewesen?«
»Er schickte mir seinen-Sohn mit
dem Vor-schlage, unsere Zwistigteiten
damit zu beenden, daß ich ihm das
Vorwert vertauste. Aus den Preis
sollt-e es nicht ankommen. und ich soll
te von dem Geschäft auch sonst alle
möglichen Vortheile haben-«
»Nun? Und Du hast abgelckhntisp
«Selbstderstiindlich! Jch würde
eher verhungern, als dass ich diesem
Gesindek meine Rettung verdanke.
Oder hist Du etwa der Meinung, daß
ich hätte annehmen sollen-«
H
4----.
»O nein! Du we ßt daß ich von
diesen geschäftlichen Angelegenheiten
nichts verstehe und daß ich mich da
niemals einmische. Aber es interes
sirt mich, zu hören, daß der Dottvr
Bereinger bei Dir gewesen ist. Ber
ringer hat ja, sv viel ich weiß, nur
diesen einzigen Sohn. Ein hiibfcher
und angenehmer Mensch, nicht wahr?
Der Baron machte eine ungeduldi
ge Bewegung mit den Schultern.
»Ich habe mir natürlich nicht die
Miihe genommen, ihn daraufhin an
zusehen. Bist Du denn mit ihm be
tannti« «
»Ganz obersliichlich Er wurde
mir während des letzten Winters ir
gendwo vorgestellt, als ich in Berlin
war, um Jrene heim zu holen. Und
dann bin ich ihm ein paar Mal auf
Spazierfahrten begegnet. Er ist wirk
lich ein netter junger Mann und sitzt
zu Pferde wie ein husar.«
»Meinetwegen wie ein Kosakl Ich
denke, wir hätten besseres zu thun. als
uns um die Familie dieses famosen
Verrn Bertinger zu litmmern. Nach
idem Empfang, den ich ihm bereitet
»habe, wird sich der Doktors schwerlich
s versucht fühlen, noch einmal den Ber
imittler zwischen seinem Vater und
imir zu spielen. Und damit ist er für
mich abgethan. Jch brauche doch wohl
nicht zu fürchten, daß sich etwa hinter
meinem Rücken irgend welche Bezie
hungen zwischen meinem Hause und
jener Sippschaft anspinnen.«
»Wenn Du diese Mahnung an
Jrene richiest statt an mich, wird sie
ohne Zweifel besser angebracht sein.«
Die Stirn des Barons zog sich in
drohende Falten.
»An Jrene? Was willst Du damit
sagen?"
»O, nichts Besonderes! Aber sie
hat den Doktor Bereinger damals
ebenfalls kennen gelernt und sie mag
wohl öfter mit ihm zusammengetross
sen sein als ich. Es würde mir nicht
gerade unnatürlich vorkommen, wenn
er auf ein junges Mädchen noch gün
stigeren Eindruck machte als aus eine
Frau in meinen Jahren.«
»Hast Du irgend einen Anhalt für
derartige Vermuthungen? Jrene hat
Dir von dem Menschen gesprochen?«
»Ich erinnere mich laum. und
wenn es wirklich geschehen ist« war
jedenfalls nichts Aufsälliaes dabei.
Aber ich würde ja vermuthlich auch
die letzte sein, die sie ihres Vertrauens
würdigt.«
sFortsehung folgt·)
Sie erinnerte sich seiner sehr wohl.
Er war der Vagabund mit dem ehrli
lichen Gesicht. der vor einigen Mona
ten vorgesprochen und ihr Herz so ge
ruhrt hatte, daß sie ihm einige von
ihrem Manne abgelegte Kleidungss
stücte gab. «Ronimen Sie herein, Sie
Aermster«, sprach sie sreundtich, »und
ich will Jhnen eine heiße Tasse Kassee
und ein Butterbrot geben«. —- »Nein,
danke Madam«, antwortete der Land
streicher. »Ich will keinen Kassee und
Butterbrot. Ich bin nur hergekom
nien, um Jhnen zu sagen, dasz ich in
einer von den Taschen der Weste, die
Sie mir letzten Sommer gaben. einen
Hundertmartschein gefunden habet« —
»Hiininel!« rief die erstaunte Dame.
»Und nun sind Sie guter, ehrlicher
Mensch gekommen, um mir den Schein
zurückzubringen?«— »Nein, Madam«,
antwortete derVagabund, »das eigent
lich nicht, Madam. Jch wollte nur
fragen, ob Sie nicht wieder eine Weste
haben.«
-
sum Uebersluß ist nun auch. irn
Zu ammenhang mit der Bestellung
von Aeroplanen in Frankreich, die
Italien in der tripolitanischen Kain
pcgne verwenden will, die Frage aus
getaucht, ob die Lieserung nicht neu
tralitiitswidrig sei. Sodann, ob
Aeroplane nicht als Kontrebande an
zusehen, weil sie doch in gewissem
Sinne Waisen wären. Wie man es
nimmt. Die Dinger kennen als Mord
ntassen oder auch als Selhskmordwasi
sen angesehen werden«
q. ...;.s..7.««wM-II—
»Im-net heteinspqziertl iec ist u e en «t « -« . - .
Mann der Weltt« o « s h he Gmn Tun « du Vlchte
.,Na, « denn Sie das nicht«
-Jch? k dicke Man-« Den-fehl Ich bin ja bloß fein kleiner Lauijungel«