Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, December 29, 1911, Zweiter Theil, Image 13

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    REME- T
Dein unanstren, letn tsltit rets !
; III uck der Jahre-wen ! -
- Fu ntetsturny tn S ee und Et
f nd ihre Pracht etn En e.
Der Halm tft well, die Aehre leer,
F- Un Busch und Bäumen prangen
Dte goldnen Früchte längst nicht mehr,
Die leuchtend hter gehangen.
Doch llage nichts Das neue Jahr
Wird wiederum sich schmücken
Und wird dich, wiss tm alten war,
Mit neuer Frucht beglückenl
Max hattung (Leipzig).
oHinsamet Hvlvesten
Cum-stelle von Reinhold Ort
manm
Jl- der kleine Radi, der hoffnungs
volle Sprößltng des Groß
Dtstillateurs Plünle, nach überstande
ner etnsttlnsdiget Qual glücklich seine
lehtewlalsche Note gegriffen hatte, und
als olf BrendeL sein jugendlicher
Musiklehrer. sich eben noch den Angst
chwetß von der Stirn trocknete, um
im hinaustreten auf die winterlalte
Straße einer Erlältung zu entgehen,
erschien herr August Plüknte in ge
wichttger Person auf der Schwelle der
guten Stube.
»Schön hat er wieder gespielt, mein
Rudi nicht wahrt Seit ’ner halben
Stunde schon höre ich vom Nebenzims
mer aus zu. Und ich muß sagen, d’Al
hert hat mir auch nicht viel besser ge
grllen Sie machen was aus dem
ungen, Herr Brendel Und jeder Ar
heiter-ist seines Lohnes werth. Wenn
Sie den heutigen Shlvesterabend bei
mir verieben wollen, sollen Sie mir
angenehm sein - nicht als Klavier
vieler, sondern als richtiger Gast.
st«s Ihnen recht?««
Rolf Brendel aber. statt in demü
thiger Freudigkeit die ehrende Einla
dung anzunehmen, schüttelte mit einem
kleinen verlegenen Lächeln das dunkel
lockige haupt
«Jch danke Jhnen fiir die freund
liche Adsicht, Herr Pliimte; aber seit
dem ich aus das Glück eines trauten
Familienlebens verzichten muß, ver
bringe ich solche Abende lieber allein.
Jch hoffe, Sie werden mir die Ableh
nung nicht veriibeln.'«
»Gott bewahre! Jeder nach seinem
Geschmack! Wenn Sie mehr fiir die
Einsamkeit sind, als für lustige Gesell
schaft --- meinetwegen! Was Jhnen
sugedaeht war, wird Jhnen darum
nicht entgehen.«
Ohne sich iiber den Sinn dieser leh
ten bedeutungsvollen Worte lan e den
Kopf zu zerbrechen, machte Rolf ren
del seine Adschiedsoerbeuaung und
ging. Es war die letzte Stunde ge
wesen, die er an diesem letzten Tage
des Jahres zu geben hatte, und er zö
gerte nicht« seine Schritte heimwärts
u lenken. Denn was er herrn
litmke geantwortet hatte, war nicht
etwa eine leere Ausflucht gewesen. Ge
nau dasselbe hatte er heute Mittag
am Gasthaustifche den Freunden er
widert, die sich seiner Gesellschaft zu
einer lusti en Shlvesterseier versichern
wollten. r war nicht gestimmt, dem
scheidenden Jahre ein fröhliches Lebe
wohl nachzurusem Denn niemals hat
te er so deutlich empfunden, dasz der
schwere Kampf, den er nun schon seit
zwei Jahren lämpstr, seine Kräfte zu
rreiben drohte. Früh verwaist und
m hause eines reichen, verwittweten
Oheims ausgezogen, den er wie einen
Vater geliebt, hätte Rolf Brendel die
angenehmsten und bequemsten Lebens
vfade wandeln können, wenn ihn nicht
seine leidenschaftliche Liebe siir die
Musik bestimmt hätte, den kaufmänni
schen Beruf auszugeben. Von dieser
vermeintlichen Undankbarleit im tief
sten herzen getränkt, hatte der Kom
merzienrath seine Hand von ihm ge
sogen und den nach Künstlerruhm
Dürstenden seinem Schicksal uverlassen
» vielleicht in der Erwartung, daß
Noli sich bald seiner Verirrung be
wußt werden und reuig zu ihm zurück
tehren werde. Rolf aber wollte lieber
rnit Ehren zu Grunde gehen, als dasz
er seinen hohen Jdealen untreu wur
de« Er studirte und arbeitete mit ei
serner Beharrlichteit, seinen bescheide
nen Lebensunterhalt durch Stunden-—
ehen und Notenschreiben bestreitend.
ber die Anstrengungen und Entbeh
rungen singen an, seine Gesundheit
In untergraben. Vor einigen Wochen
war er ernstlich ertrantt, und es wür
de iibel urn ihn bestellt gewesen sein,
wenn nicht eine menschensreundliche
Nachbarin, die wenig hegüterte Witt
we eines sriih verstorbenen Privatm
lehrtew sich in jenen kritischen Tagen
mt rührender Opferwilligieit seiner
angenommen hätte. Nun war er zwar
genesen, aber der alte Jugendmuth
und die rechte Lehenssreudigteit hatten
sich nicht wieder einstellen wollen· Na
mentlich vor aller lauten und ausge
l: enen Geselligleit hegte er eine ge
ra zu uniiberwindliche Scheu.
Als er je t die Treppe zu seinem
irn dritten toctweri gelegenen Zim
merchen emporstieg, begegnete ihin der
in der zweiten Etage wohnhaste haus
Fry der Geheime Yechnungirath
rohanter, etn von seinen Miethern
nicht eben abgötttseh geliebter re.
perahlassend erwiderte er den hösl chen
A
- (
Stuf des jungen Mannes, uisn sich
dann mit einer energischen Bewegung
nach ihm umzuwenden: (
»Was ich lagen wollte, Derr Brenq
del: Bortges Jahr wohnte oben in
hrem Zimmer ein Maler, dem es ein
el, sich zum Sylvesterabend ein j
Duhend Kumpane einzuladen und mit
ihnen bis um Morgengrauen einen
wahren höelenspeitatel zu vollführen.
Meine Frau war noch acht Tage nach
her lrani von dem Aerger. Wir haben
doch wohl von Jhnen nichts Derarti
ges zu fürchten?«
»Gewiß nicht, Herr Rath!« konnte
Rolf mit ruhigem Gewissen versichern.
»Sie werden durch nichts gestört wer
den« denn ich verbringe den Abend
mutterseelenallein.«
Als Rolf sich eben anschickte, droben
die Schwelle feines sehr geräumigen,
aber nur dürftig möblirten Zimmers
zu überschreiten, hörte er das Knarren
einer Thür zu feiner Rechten, und
gleichzeitig schoß ihm eine Blutwelle
heiß ins Gesicht. Denn er kannte den
leichten Schritt, ebensogut, wie er die
süße, weiche, fchiichterne Stimme kann
te, die ihn gleich darauf mit leisem
Gruße anredete. Ein reizendes junges
Geschöpfchen war es, das da dvr ihm
stand, zweifach reizend in der holden
Berwirruna.
»Ich sollte Jhnen einen Gruß von
meiner Mutter ausrichtem herr Bren
del«, brachte sie mit sichtlicher Anstren
gung hervor, »und sollte Sie in ihrem
Namen fragen, ob Sie wohl Lust hät
ten, den heutigen Abend bei uns zu
verbringen. Natürlich nur, wenn Sie
nichts Besseres vorhaben; denn Sie
würden teine andere Gesellschaft sin
den als Mama und mich.«
Etwas Besseres! Wenn er die Wath
gehabt hätte unter allen Genüssen und
JVergnügungen der Welt, so würde
Rolf Brendel doch leinen Augenblick
gezögert haben, dieser Einladung den
JVorzug zu geben. Denn ein Abend in
IFriiulein helene Hartwigs Gesellschaft
sbedeutete in sein:rVrftellung nicht viel
weniger als einen Aufenthalt im Pa
radiese. Aber eben, weil es so war,
,sagte er ohne alles Besinnen und in
seinem sonderbar trockenen Ton: »Wal
len Sie die Liebenswiirdigleit haben,
der Frau Doltor meinen herzlichsten
Dank für ihre große Güte zu übermit
teln! Jch weiß diese neue Freundlich
leit nach ihrem ganzen Werthe zu
schätzen; aber ich ich würde den
Damen heute ein zu wenig unterhalt
samer Besucher sein, und ich möchte es
darum vorziehen, allein in meinen vier
Pfählen zu bleiben."
Es war immerhin gut, daß er ver
mied, Fräulein pelene anzusehen, denn
wer weiß, ob nicht der Ausdruck
schmerzlicher Enttäufchung auf ihrem
lieben Gesicht doch vielleicht all seine
schwer erlämpften heroifchen Ent
schlüsfe noch im letzten Moment über
den Haufen geworfen hätte· Jn der
selben Stunde, da er sich seiner zärt
lichen Liebe zu der Tochter der freund
nachbarlichen Helferin bewußt gewor
den war, hatte er sich auch gesagt, daß
er als rechtschaffener Mann diese Liebe
niemals durch ein Wort oder einen
Blick verrathen dürfte. Denn er würde
nach aller menschlichenVoraussicht noch
in vielen, vielen Jahren nicht daran
denlen dürfen, einen eigenen Herd zu
errichten.
Nun aber, da er sich allein in seinen
dürftigen vier Wänden sah, überlam
ihn eine so gewaltige Traurigleit, wie
er sie wohl noch an teinem Sylvester:
abend seines Lebens empfand· Er hatte
nicht einmal Energie genug, die Lampe
anzuzünden, und er lag noch im Fin
stern auf der Otlomane, als ihn ein
energisches Klopfen aus feinen wehmü
thigen Grübeleien auffahren ließ. Er
ging hin, um zu öffnen, und war nicht
wenig erstaunt, als er einen jungen
Menschen mit einem wohlgefüllten
Flaschenlorbe vor sich stehen sah.
»Einen Gruß von Herrn August
Plümle, unsd Sie sollten sichs schme
cken lassen. Trintgeld darf ich nicht
Jannehrnem Guten Abend!«
« Der Mensch setzte den Korb nieder
und stolperte schon wieder die Treppe
hinunter. Eine nähere Besichtigung
ergab, daß Herr Pliimte drei Flaschen
Punsch-Extralt, zwei Flaschen Rhein
wein und eine Flasche deutschen Cham
pagner geschickt hatte. Das war mehr,
als Rolf Brendel nach seinen bisheri
gen Gepflogenheiten im Lause eines
ganzen Jahres hätte tonsumiren tön
nen. Und sür den heutigen Abend be
deutete es ihm jedenfalls ein völlig
werthloses Angebinde. Seufzend stellte
er den Korb in eine Ecke und wollte
eben zu der Ottomane zurückkehren, als
es abermals klopfte.
Diesmal war es einer seiner nähe
ren Betannten, der junge Bildhauer
hans Letten. Sein erstes Wort war:
»Du erwartest doch leine Besuche?
Denn alsdann wiirde ich gleich wieder
gehen. Anderensalls aber wäre es mir
lieb, wenn ich eine Weile dableiben
diirste. Bloß um mich vor mir selbst
zu schützen. Denn ich bin in einer ver
teufelten Stimmung und ich weiß
nicht, was ich angestellt hätte, wenn
ich in meiner ungehei ten Bude noch
länger allein geblie n wäre. Jm
Uebrigen werde ich Dich durchaus nicht
geniren. Du thötest mir sogar einen
Gesallen, wenn Du von meiner Anwe-«
senheit nicht im Geringsten Notiz neh
men wolltest. Jch sehe ja, daß Du
Dich ungefähr in derselben Gemüthsi
versassung besindest wie ich.«
Nols hatte sich nun doch entschließen
niiissem die Lampe ansuziindem und es
»P- 1s:"lmäs"-1nmi"
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war sehr zweckmäßig daß er’s gethan!
hatte, denn zwei Minuten später tlop-s- «
te es abermals, und aus seinen Zurus
erschien in der Thiir das blitzsaubere
Dienstmädchen des Herrn Geheimrath
Krabanter mit einer Schüssel voll
warmer, appetitlich dustender Pfann
luchen.
»Die gnädige Frau Geheimräthin
hat gehört, daß Sie heute ganz allein
wären. Da schickt sie Jhnen das, da
mit Sie wenigstens nicht zu hungern
drauchen.«
Rolf Brendel durste den mächtigen
Hausherrn natürlich nicht durch eine
Ablenhung tränken; aber als das
Mädchen hinaus war, ries er: »Hm
sich denn heute alle Welt verschworen,
mir gegen meinen Willen Theilnahme
und Wohlthaten zu erweisen? Was.
um des Himmels willen, soll ich mit
dem Zeug beginnen?«
»Du kannst es ja zum Fenster hin
ausweesen«, brummte der lebensiiber
drüssige Bildhauer. »Aber ebensogut
können wir es auch essen. Allerdings
—«s- wenn man nichts har, um oas sage
Geschlecker hinabzuspiilen - s«
Rois deutete aus den Flaschentorb
in der Ecke.
»Bitte du magst dich bedienen.
Gliiser sindest du dort im Schrani.«
Hans Lettens düster nmwöiite
Stirn begann sich auszuheiteem aber
seine Stimme klang noch immer gra
beshohh
»Du bist also ein heimlicher Alsoba
literi Ich habe mir schon immer so
was gedacht. Aber meinetwegen!
Wenn du gelobst, das; wir ihn schwei
gend trinken werden, braue ich uns in;
Gottes Namen einen Punsch·« s
Gleich daraus slackerte das Spiri-!
tussliimmchen unter dem WassertesselJ
und in schwermiiihig stumme-n Brü-;
ten saßen die beiden Freunde einander»
gegenüber, wobei hans Letten jedochs
nicht unterließ, von Zeit zu Zeit
dumps stöhnend einen Arm auszu
strecken und sich einen Psanntuchen
von der Schüssei zu holen.
»Psui Teuse1!« sagte er jedesmal,
wenn er ihn aufgegessen hatte. Und
zwei Minuten später nahm er einen
weiteren.
Eben fing das Wasser an zu singen,·
da lam es von mehreren festen Schrit
ten die Treppe herauf und hämmerte
alsbald von kräftigen Fausten gegen
die Thür.
»Du hast also doch Besuch erwartet,
Verräther!« fuhr Hans Letten auf.
»Aber ich bleibe trotzdem. Jn meiner
Stimmung ist mir nun schon alles
eins.«
Drei von Rolfs Freunden waren es
die lamen, weil sie trotz feiner Ableh
nung am Mittag noch einen letzten
Verfuch machen wollten, ihn zu ir
gendeinem lustigen Snlvester-Gelage
zu holen· Der Anblick der gefüllten
Flaschen, des brodelnden Wassertessels
und der duftenden Pfanntuchen ver
anlaszte auch sie, den jungen Musiker
einen heuchlerischen Ductmäufer und
schnöden Verräther zu nennen. Rolf
aber bestimmte sie zu der feierlichen
Erklärung. daß ste, ihm zur Strafe,
nicht früher vom Platze weichen wür
den, als bis der letzte Tropfen vertilgt
sei.
Nachdem Nols das erste GlasPunschH
getrunken hatte, sing er an, die widri.-;
gen Schickungen diesesSylvesterabenst
etwas weniger ingrimmig anzuseheni
Aber er ahnte freilich nicht, was ihmi
In solchen Schickungen noch weiter be
schieden sein sollte.
Man war noch nicht ganz bis aus
den Grund der ersten Punschbowle ge
langt, als es wiederum die Treppe
herausstiirmte, diesmal wie die rich-»
tige wilde Jagd, und als Rols mitl
Entsetzen sehen mußte, das fünf wei-s
tere Mitglieder der mittägigen Tafel-»
runde bei ihm eindrangen, um sich, wies
sie sagten, nach dem Berbleib der vor-.
hin ausgeschickt-n und nicht zurückge
kehrten Deputation zu erlundigem
Mit lautem Jubel begrüßten sie das
heitere Bild des wohlbesetzten Tisches,
und vor lauter Händeschiitteln wurde
Rols erst nach einigen Minuten ge
wahr, daß hinter den fünsen ganz
stille noch ein sechster geflissentlich im
halbdunllen Hintergrunde des Zim
mers hielt.
Nun aber machte der Anblick dieses
letzten Besuchen ihn mit einem Schla
ge alles andere vergessen. Er eilte«
auf ihn zu und blieb dann doch in
zaghast ungewissein Zaudern stehen«
» ,,Onkel lieber Onkel! Du
»hier bei mir - l«
« Der Kommerzienrath Vrendel aber
streckte ihm lächelnd beide Hände ent
gegen.
»Mit-hastig - - wie du siehst. Und
Jhoffentlich nicht gar zu unwillkommen.
IGestern erst habe ich durch einen hiesi
;gen Freund zufällig von deiner Er
trantung gehört s— und auch noch et
liches andere, was mir ans Herz ge
sgriffen hat« Da hin ich denn ohne
llangeg Besinnen hergefahren, um wie
der mal einen Sylvester mit dir zu
verleden. Daß ich dich in so fröhli
cher Gesellschaft finden würde, hatte
ich allerdings kaum erwartet. Aber
wenn diese Herren deine Freunde sind,
ist es ja um so besser. Jch werde ih
nen dann zu meiner Rechtfertigung
gleich den Beweis liefern können, daß
ich doch vielleicht nicht der silzige und
hartherzige Komödien- Onkel bin, als
den du mich wahrscheinlich bei ihnen
ver-schrieen has .«
Die Erlebnisse dieses Sylvester
abends begannen den jungen Musiker
schier traumhaft anzumuthen. Aber
da er an ihrer Wirklichkeit nicht wohl
zweifeln konnt-e, würde er sich bald
als einen der glücklichsten Menschen
gefühlt haben, wenn ihm nicht plötzlich
der Gedanke an die beiden einsamen
Frauen in der Nachbarwohnung
schwer aus die Seele gefallen wäre.
Als der Oheim etwas Näheres über
seine Lebensführung und über die
Umstände seiner letzten Krankheit wis
sen wollte, zögerte er nicht, seinem be
drückten Herzen Luft zu machen und
mit all der warmen Beredtsamkeit, die
seine Empfindungen siir Fräulein He
lene ihm eingaben, von seiner großen
Daniel-schuld gegen die menschen
freundlichen Nachbarinnen zu erzäh
len. Auch die wohlgemeinte Einla
dung silr den heutigen Abend vergaß
er nicht, Und nie hatte er seinen On
kel inniger geliebt, als in dem Augen
blick, da er ihn sagen hörte:
»Nun wohl, so ist es selbstverständ
lich eine Anstandspslicht, die beiden»
sDarnen jetzt unsererseits zu Gaste zs
laden. Wenn du mich zu ihnen be
gleiten lvillst, mein Junge, werde ich
das sogleich in eigener Person besor
gen. Und ich werde mich, nachdem wir
ihre Zusage erlangt haben, auf ein
Viertelstündchen beurlauben, um für
die nöthige frische Zusuhr aus einer
benachbarten Weinstube zu sorgen. Jch
sehe ja, daß wir nicht nur mit dem
edlen Stoff, sondern auch mit Glä
sern nnd dergleichen hier ein wenig ins
Gedränge tommen·«
»Ich kenne Sie nicht näher, mein
Herr ,aber ich sehe, daß Sie ein edler
Mann sind«, sagte der lebensiiberdriiss
sige Hans Letten, indem er dem Kom
merzienrath die Hand drückte. »Sie
haben mir den Glauben an die-Mensch
heit wiedergegeben Wenn Sie ge
statten, beweise ich Jhnen meine Dank
barkeit dadurch, daß ich mitgehe, um
Jhnen die Sorge für den Eintausxder
eßbaren Viktualien abzunehmen.«
Lachend acceptirte der alte Herr das
freundliche Anerbieten. Und als eine
weitere halbe Stunde verflossen war,
bog sich der große Tisch iuRolfBrens
delg dürftigem Zimmer unter einer
Fülle von Herrlichkeiten. An seinem
oberen Ende saß der Kommerzienrcith
neben Frau Dr. Hart-vier und ihnen
gegenüber Fräulein Helene neben dem
in Glückseligkeit strahlenden Rolf, der
jetzt, nach der vollständigen Aussöhs
nung mit dem Onkel, guten Gewissens
wagen durfte, dem geliebten Mädchen
durch heiße Blicke und verstohlene
Händedriicke zu offenbaren, wie es
um seine Gefühle bestellt war.
Beim Schlage der zwölften Stunde
aber nnd noch lange, lange nachher
ging es hier oben bei Rolf Brendels
»einsan1er Syloesterfeier« so übermit
thig geräuschooll zu, daß ihm der Ge
heime Rechnungsrath Krabanter in
aller Frühe des Neujahrsmorgens in
einem geharnischten Briefe die Woh
nung lündigte, nicht ohne eine bittere
Bemerkung über die von seiner rau
Gemahlin in übel angebrachtem it
leid gespendeien, gewissermaßen hin
terlistig erschlichenen Pfannluchen sin
fließen zu lassen.