Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, November 24, 1911, Zweiter Theil, Image 14

Below is the OCR text representation for this newspapers page. It is also available as plain text as well as XML.

    Der Kunstreiter
Erzählung
von Friedrich Gerstäcker
(W. Fortsehung.
»Ich, ei war wohl ein leichtsertiger,
slter Mensch, der sich den bösen Trunk
Wer-Ihm hatte und nicht davon los
fen wollte, und wenn mon’s recht be
denkt, ist ei vielleicht ein Glück siir ihn
nnd uns Alle, daß ihn der liebe Herr
Fott zu sich genommen bat; wenn es
nur nicht aus eine gar zu traurige
Weise geschehen wäre. Und dann wo
ren wir doch mit einander Geschwi
stertind, und gestern noch hat ihn der
gnädige herr aus dem hose schaffen
lassen. weil er im Trunle herausge
kommen war und sich wohl unanstän
dig oder unebrerbietig betragen hatte.«
»Das thut mir recht leid, Sibylle«,
sagte Georgine, Jetzt aber seien Sie
so gut und schicken Sie das Frühstück
siir den herrn heraus »s- Sie haben
doch das blaue Zimmer heizen los
sen?« -
»Ach du mein Himmel, das habe ich
in dem Schreck- gnsnz vergessen!«
»Dann müssen Sie es hier herein
schossen. Jn die eisialte Stube tön
nen wir den Herrn nicht sühren.'·
»Gott gleich Alles besorgt werden!«
rief Sibylle. die in dem Augenblicke
selbst den armen Tobias über das
Frühstück vergaß. Jm nächsten An
genblick schoß sie auch schon wieder den
Gang entlang, und Herr v. Silber
glanz nthmete sreier. Vergebens such
te er aber das Gespräch aus den trit
heren Gegenstand zurückzuletem Geor
giree wich ihm entschieden aus, nnd
bald wurden draußen wied:r Schritte
tout, denn die Honssmogd kam mit den
bestellten Speisen, deckte den Tisch mit
zwei Couderts tin-d blieb, aus Georgi-«
Lens Befehl, im Zimmer-, fzlls noch
etwas gebraucht werden sollte, bis ihr
cost gegessen nnd getrunken hätte-.
Georgine selber nippte nur an einem
Bisse Wein, das Herr v. Silberglanz
fst sie eingeschentt.
,Erssl wie er abgegessen, verließ die
Mand das Zimmer wieder, um das
Geschirr sortzutragen. und Georgine
wandte sich setzt an ihren Gast:
« MVer-r d. Silberglanz«, sagte sie,
nnd so kalt und ruhig sie dtbei blieb,
beste doch ihre Stimme und verrieth
Ue Aufregung. in der sit sich besond,
»ich muß Sie W bitten, mich zu ver
W need heute nicht zu mir zurück
kakkenck ' —
«Den ganzen Tag nicht — und
« W Sie meinen Tod?«
Y: Besen Sie fest M nekttkeh
dumm« - unterbrach ihn die Frau,
und ihre Brauen zogen sich finster zu
fammen. « »Sollte ich noch in den Fall
warmen, Ihren Beistand in Anspruch
zu nehmen, so müssen Sie dabei wie
ein Mann, nicht wie ein junger ver
tiebter Geck handeln. und vor Allem
diirfen wir hier keinen Verdacht erre
gen. Sind Sie in eigener Equipage
get-unmens«
»Nein, mit einem Lobntutscher von
der lebten Eifenbahnftation."
»Beste besser. Haben Sie irgend
einen vernünftigen Born-and, sich
heute den Tag über hier im Orte auf
zuhalten?«
»Vortreftlichen.« lautete die rasche
· Antwort: »ich eriundige mich nach den
Kornvreifen und sehe mir das Ge
treide an, kaufe auch. wenn ich es zu
einem annehmbnren Preise bekommen
kann und adressire es an eine Firma
in »Ob«
»Seht gut. Flnf wie lnnne haben
Sie Ihren Miticher aemiethet?«
»Auf unbestimmte Zeit; ich lann
ihn gleich wieder fortschicken, oder ihn
und seine Pferde so lange behalten.
wie und wohin ich sie brauche. — Oh,
wenn ich hoffen dürfte .
»Meinen Sie es ehrlich und auf
richtig mit mir?«
Eönnen Sie zweifeln, Holdeste der
Frauen?« rief Herr v. Silberglanz,
und schien nicht übel Luft zu haben,
sich wieder auf ein Knie vor ihr nie
derzulassen; Georginens Ernst aber
hielt ihn zurück.
«Wollen Sie mir nur meiner felbsi,
nicht anderer eigennütziger Absichten
wegen helfen?« fuhr die Frau fort.
Aber-, tbeuerste Georgine.«
Antworten Sie mir tlar und deut
iiO auf die Frage«
»Ich befchwöte Sie.«
»Ja oder mini·
Ja denn; iiinnen Sie etwas An
leeres glaube-W
»Oui« erwiderte die junge Frau,
Essen ein tiefer Seufzer ihre Brust
pi, JO wili es mgen.«
·«,Vefehlen Sie über mich. «
W nicht Thau Sie, was ich
gesagt habe. Befchästigen Siel
M ausschließlich mit dem Ge
inschildheia Morgen frlih
sit- sit case schicken Sie Ihren
Ist Um W M spit
« M Iris um ciWsten
Ist Hase rass- Kreise-That
— feine
Worte fand, seine Bereitwilligleit aus
zudrücken. »Und morgen?«
»Wer-gen sriih um zehn Uhr korn
Men Sie wieder zu mir, das Weitere
zu ersahren,« erwiderte Georgine. die
kalt und besonnen ihren Plan über-!
dachte. »Ich weiß nicht, wie weit ichs
selber irrt-Stande sein werde, bis da-I
hin meine Vorkehrungen zu treffen.i
— Aber noch Eins: Nehmen Sie3
heute die Gelegenheit, einen Spazier
qang in den Wald zu machen. Dort
lassen Sie sich die Zaubereiche zeigen
und merken Sie genau den nächsten
Weg dorthin. Einen Führer finden
Sie überall.«
»Schön, sehr schön: es soll Alles
viinltlich ausgeführt werden; aber
oehre Pläne, gnädige Frau! Wollten
Sie nur die Güte haben, mir in Ei
was —- in der größten Kleinigleit
dehre Pläne mitzutheilen, daß ich meine
eigenen Maßregeln . . .«
«Morgen.« erklärte Georgine be
stimmt. »Mein Kovs brennt mir:
l-itte. lassen Sie mich seht allein, daß
ich Zeit habe mich zu sammeln, lieber
Baron.«
»Ihr Wille ist mir Besehll« rief d.
Silberglanz, der dem lieben Baron
nicht widerstehen konnte· »Holt-e
Georgine, Sie baden mich in Jhrer
stand —- Sie tönnen mich um den
tleinen Finger wickeln — Sie können
Alles, Alles mit mir machen — ich
kenne Hugo v. Silberglanz nicht mehr
—- Hugo v. Silberglanz ifl ein ande
rer Mensch geworden —- er ist eigent
lich gar lein Mensch mehr, er ist ein
Gott —- er geht nicht mehr auf der
Erde, er fliegt-—- er schwimmt in ei
nem ganzen Orean voll Wonne.«
Er hatte Georainenz band eraris
ken und bedeckte sie rnit seinen Küssen:
aber es war kein Liebesblich der dabei
aus ihren Augen aus ihn fiel. Wieder
snckte der schmerzlich-böse Zug um
ihre Linden und ihm ihre band end
lich entstehend, deutete sie rnit einer
bittenden Bewegung nach der Thür.
v. Silberglanz vermochte jetzt auch
nicht länger ihrem Wunsche zu wi
kderftrehen Gern wäre er freilich
spnoch liihner geworden, aber der Frau
ernste Haltung entmuthigte ihn wie
der — er mußte ihr erst Zeit lassen.
Wiorgen —- morgen sollte er seinen
ITriurnvh feiern, und mit einem
Fichrnachtend süßen Blick aus das von
ihren Gesiihlen erreate, wirklich wun
derschöne Weib gtisi er seinen Hut
kaut und verließ rasch das Zimmer
sund das Gut.
i
c
Hugo v. Silberglanz befand sich,
als er Georginen verließ, wirtlich in
einem außergetoöhnlichen Grade von
Aufregung, der nicht allein den Nei
zen des schönen Weibes, fondern auch
noch feinen durch sie plötzlich über
stiirzten Plänen und Geschäften« wie
all’ den Verwickelungen galt, in bie
er dadurch gezogen werden konnte.
Und was würde Baron Silberglanz’
Vater dazu sagen, wenn er von die
fem tollen Streiche des Barong Sil
berglanz Sohn unglücklicher Weise ge
hört hätte? Bah! das- Unaliick wäre
zu ertragen gewesen; er war jetzt Ca
valier und mußte cavaliermäßig han
deln — wenn es ihm auch ein paar
Thaler kostete —- roelchen Preis er
oberte er außerdem nicht dabei für sich
— einen Preis. um den ihn die halbe
Residenz beneiden würde!
Hm —- ja — aber wohin? — Und
was zerbreche ich mir noch den Kopf?
Nach Paris —- tvollte ich doch nach
Variö, und habe den Umwea nur übert
biet gemacht —- jeyt reif ich in Ge
sellschaft, und tvas für Gesellschafti
Was liegt an den paar hundert Tha
lern —- und wenn’s tausend wärenli
Hugo v. Silberglanz ift nur einmal!
iung, und will auch fein Leben genie-;
ßen wie andere analiere. Ein Ge-(
fchiift brinat die ganze Sache zehnmalj
wieder ein.« Und mit dem Troste sich, I
theils der Kälte, theils feiner arme-(
nehmen Empfindungen wegen, diei
Hände reibend, eilte er in das Dorfl
hinein. dessen erfte Gebäude er fchort
erreicht hatte.
Durch und durch Geschäftsmann,
wurde es ihm hier nicht schwer, seine
Rolle als Getreidehiindler zu spielen;
aber zu wirklichen Räuer traf er,
woran ihm übrigens auch nicht viel
lag, keine günstige Zeit« da Baron v.
Grafeer wie ihm die Bauern sagten,
eben deshalb verreift fei, um einen
Handel fiir fein und ihr Geireide —
roenn ihnen der Preis nämlich zufage
—- abzufchließen Erft wollten fie
deshalb einmal hören, was fiir Ge
bote er bekommen has-. sb- sis sich M
einen dandel einliehen —- deu Zq
natürlich ausgenommen daß ihnen
hier ein febr annehmbar-es Gebot ge-]
macht wiirdr. v. Silberglanz war;
aber gar nichi geneigt. theuer einzu-;
lauft-. und unter diesen Umstänan
lief er Ich mir das noch vorbandeneJ
Oeteeide zeige-n via ei auf eine-i
Waar- tle St bei sich führte- unt-H
schrieb fis-b die verschiedenen Namenl
der-W sti, III-vielleicht Mer
zwei-may sie er sagte, einen hat«
de IV M This-schliessen j
,-——
Vorher schon hatte er seinem Kut
scher die, nöthigen Befehle gegeben, um
Georginens Austrag auszuführen
Das versprochene Gepäct kam auch ge
gen Abend an, und am nächsten Mar
gen, lange vor Tage, war der Wagen
schon unterwegs nach seinem Bestim
mungsorte, wobei der Kutscher stei
lich den Kopf schüttelte, daß er eine
Kiste und ein paar Koffer spazieren
fahren mußte. ·
Der Wirth im Stern wußte indeß
nicht anders, als daß der fremde here
—- von dein der Kutscher nur sagen
konnte. daß er ein Baron sei, und der
sich als «Baron Soll-ein' in das
Fremdenbmh geschrieben —- hier in der
Gegend die Rückkunst des herrn v.
Geizseln abwarten nzolltr.
m-«tt
So verging bei Tag —- ote Nachr,
nnd Hugo v. Silberglanz, während er
das neue Sonnenlicht mit Jauchzen
begrüßte. kannte die Zeit kaum er
warten, die ihm gestatten würde, wie
der zu Georginen zu eilen und den
Lohn fiir feine Aufopferung zu ern
ten. Punkt Zehn fand et fich oben im
Gute ein, und Georgine kam ihm,
heute ein ganz anderes Wesen als ge
ftern, lächelnd entgegen
«Nun?« fragte fie, »baben Sie Jbre
Getteideiiiufe glücklich beendet?«
»Holt-e Gern-gian fagte Hugo,
»reden Sie mir ietzt nicht von Ge
treide und Geschäften Jch versichere
anen, ich iann das Wort nicht bö
ren. Sprechen Sie mir von sich, gei
ftatten Sie mir. daß ich Sie ansehe,
daß ich Sie an mein herz .. .«
»Halt, mein befter Baron!« fagte
die Frau, ihn liichelnd abweist-end
»So weit find wir noch nicht. Haben
Sie Alles beforgt, was ich Ihnen auf
getragen?«
«Alles, bis aufs Lebte.«
»Im der Wagen fortt«
»Heute Morgen. zwei Stunden vor
Tage.«« I
Rennen Sie den Weg zur Zauber- ;
eiche?« H
»Wie meine Tasche —- ich bin hin-l
und hergegangen und fürchte beinahe,
ich balde mich dabei ertiiltet —- der«
Schnee war fo tief.« «
»Ist Jbr eigenes Gepiick mit fort
gegangen?«
«Alles, bis auf ein Töfchchen, das
ich am kleinen Finger tragen iann.« ;
.Voetrefflich! Sie sind ein Muster!
von Piinttlichteit, Baron. Zur Beil
tobuung fallen Sie nach heute eine j
Spazierfabrt mit mir machen. haben
lSik Lust dazu-es «
»Bis an g Ende der Wel
»Um Gottes willen, nein!« lachte
.Georgine. »So weit will ich Jhre
iGiite nicht in Anspruch nehmen«
»Aber wann brechen wir auf? —
Jetzt-i«
»Jetzt noch nicht. Jch muß einige
Leute los werden die mir hier im
Wege sind Um drei Uhr heute Nach
mittag wird der alte Mann, der ne
ftern oder vorgeftern verunglückt ist.
unten im Dorfe beerdigt werden.
Meine Wirthfchafterin und der alte
Verwalter werden mit zur Leiche ne
hen. Um drei Uhr fahre ich von hier
fort. Seien Sie um diefe Zeit, oder
bald nachher, an der Zaubereiche.«
»Aber warum ließen Sie mich mei
nen Wagen fortfchiclen?«
»Ich nehme mein eigenes Pferd
mit, das ich nicht zurücklassen möchte
und iomme in einem Schlitten, auf
dem wir Beide Plan haben. Fürchten
Sie fich, mit mir allein zu reifen?«
»Georgine!«
»Gut; ietzt isi alles Mithioe bespro
chen, und nun verlassen Sie mich.
Wir dürfen leinen Verdacht erwecken.«
»Nein wollen Sie mich fchon wieder
fortfchicten?« ·
»Sie werden meiner Gefellfchaft
noch überdriiffig werden« lächelte dies
Frau. »Ich bitte Sie, jeht zu gehen«
»Ich gehorche Jhnenf fagtev
Silberglanz resignirt; »olfo um drei
Uhr an der Zaubereiche. Jch werde
die Minuten bis dahin zählen.«
»Dann find Sie vollständig beschäf
tigt. th noch etwasi«
»Ja,« fahte o. Silberglanz, ent
fchloffen auf sie zugehend und ihik
band ergreifend. »Sie haben mich zu
Ihrem Befchiiher erwählt, Georginez
ich hin bereit, Alles daran u sehen,
Ihnen zu willfahren — feien Sie
nicht grausam!« Er legte feinen Arm
um fie und wollte fie an sich ziehen
»Wir find keinen Augenblick hier
sicher, überrofcht zu werden,« fagte
Wortsinn ihn von fich haltend; Herr
o. Silberglanz war aber nicht fo
leicht sitze-schütteln
»Und foll ich fo lange auch ohne den
kleinsten Lohn bleibeni« drängte der
verliebte. »Gewinn- hsoldee, gött
lichei Wesen, in wenig Stunden ietten
Sie Ihr Sefchis an do- meine, und
fett-« —- er driickie ihren Arm zuriick
nnd CH· sie es verhindern
sonstige eine Lippen mof die ihrigen.
Oeorglne dumte den Kuß, day-«
oder sichs oon ihm losde tiefg
Neien vernlinfiin somit
feses sich beneed Ich der nichten cefahe
one untern GMP lan scheitern ge
Sie fest, ei ist g
nug; um drei Uhr an der Zauber
eiche.« »
»Um drei Uhr," ries huga, der sie’
wie in einer Verzückung anstarrte,j
«um drei Uhr!« und mit Gewalt sichs
losreißend, eilte er, sa rasch er.lonnte,s
in das Dors zuviel, unkdort seines
Rechnung zu "dezahlen« seine lleinej
Tasche zu packen und zur bestimmten;
Zeit an der bezeichneten Stelle nicht zu!
schlen. :
Georgine blieb allein in ihrem Zim-!
mer zuriia und starrte, als Herr v.
Silberglanz sie schon lange verlassen
hatte. nach immer still und schweigend
var sich nieder; aber die Zeit siir sie;
war auch zum handeln gekommen, ein!
Rückschritt nicht mehr möglich, undI
das kühne. selbstständige Weib gewann!
mit diesem Bewußtsein auch ihre
ganze Energie und Entschlossenheitl
wieder.
»Frei —- frei —- frei!« flatterte ne·
wie eine Beschwörungöformel leise dort
sich hin-. «frei hin ich wieder. wie deri
Vogel in der Luft, wie das wilde Roß« ?
das die Steppe durchfliegt und der»
Verfolger lacht. Den Zwang habe ichs
abgeschiittelt, der mir die Seele wund;
gedrückt und Geist und Körper nieder-;
gebeugt hat, und schon fiihle ich den«
beweglichen Boden wieder unter mei
nen Füßen, fühle, wie der wehende»
Luft-Fug mir die Locken um den Nacken
peitscht — sehe die dichtgedrängte
Schaar der Zuschauer. höre ihr Jauch
zen, höre ihr Jubeln und fliege im
Triumph die alte Bahn dahin. —
Georg wird wüthen, wenn er zurück
tehrt und mich — wenn er sein Kind
nicht mehr findet, obgleich es ihm die
deutschen Gesetze zusprechen. Weder
Josephinx noch ich werden jemals wie
der deutschen Boden betreten. Und
will er im Schweiße feines Angesichts,
in ruhmloser Beschäftigung und Ar
beit fein Brod hierverdienem will er,
lann er vergessen, was er einst gewe
sen, als ich ihn liebte, dann verdient
er auch nicht. daß ich je mit einem
Athemzuge an ihn gedacht. Und nun
an’s Wert. denn nur noch wenige
Stunden sind meint« Und mit den
Worten, als ob fie damit Alles abge
worfen habe, was sie bis jeht noch ge
drückt, ging sie rasch und fröhlich
daran, den einmal sestheschloffenen und
eingeleiteten Plan sur Flucht auszu
führen.
--- '
Vorbereitet war er insofern schon
lange. als Georgine ihre Künstlergars
derobe gepackt in M siehen und dort
»die Weisung hinterlassen hatte, sie ihr
isviiter dorthin zu schicken, wohin ntan
Ieben die Weisung bekommen würde.
’Gesiern hatte sie diese ertheilt, und in
Iwenigen Tagen tonnte ihr Auftrag
vollzogen sein. Ihre, wie Josephi
nens nöthigste Kleider waren heute
Morgen mit dem Wagen des Barons
abgegangen· und was sie unterwegs
brauchten, tonnten sie recht leicht und
unbemerit mit in den Schlitten neh
men. ·
Allerdings war die Tour siir ihr
eigenes Pferd etwas starl, aber es
mochte sich nachher lieber wieder or
dentlich ausruhen, und auf andere
EWeise tonnte sie es doch nicht mit sich
fortfiihren. Josephine wußte freilich
noch tein Wort von der beabsichtigten
Flucht aus ihrer neuen Heimathz sie
Mitte vielleicht gegen ihre Gouvernante
nicht geschwiegen, und diese jedenfalls
versucht, die Ausführung des Planes
zu hintertreiben. War Josevhine
nicht mehr da. so fah sie sich natürlich
auch ohne Stellung —- ohne Brod;
und wer verliert das gern so leicht?
YDafz Josephine selber mit Freuden das
i
alte fröhliche Leben begrüßen, daß sie
den Vater bald vergessen würde, davon
glaubte Georgine sest überzeugt zu
sein. Ueberdieg hatte das Kind teinen l
eigenen Willen und mußte der Mut
ter dahin folgen, wo diese fiir ihr
Glück und ihre Wohlfahrt sorgen
wollte. .
Nur etwas mußte sie noch besorge-H
dann war sie mit Allem fertig, und
zwar von des Kindes Leibwiische ge-l
nügend fiir die erste Zeit bei Seite;
bringen« ohne daß es Mademoiselle
Adele bemertte. Ein Vorwand, diese
zu entsernen, war aber bald gesundem
Georg hatte in seiner Stube einige;
alte Kupferwerte, die dem Grasen?
Geversiein hörten, und die er des
halb sar ltig hütete. Josephinej
durfte die Bilder nicht besehen, wennl
er nicht selber dabei war. heute er
laubte Georgine dem Kinde, hinüber
zugehen und sich die Kuvserstiche zu
betrachten, bat aber die Gouvernante
dabei zu bleiben, daß ia nichts mit
den suchern geschehe und die Erlaub
niß nicht mißbraucht werde. Adele
wandte allerdings ein, der her-r Ba
ron wiirde es vielleicht nicht gern se
hen und böse werden« wenn er es er
fiihre; Madame dagegen erklärte, die
Verantwortung allein auf sich nehmen
zu wollen,·und die Erzteherin konnte
sich natiirlrch nicht länger weigerte,
dein Befehl zu gehorchen.
Die seit, die Beide dort verbrach
ter-, genügte politainmew Georgine
packte atlee Mhige in zwei große
Yßsticke Acad schrieb dann die lehten
an Georg. Der Ortes war
skurz ’und inhaltschwerz ader mit sich
jim Reinen, griihelte sie nicht lange
Iliher die Fassung. Die Zeilen slogen
aus das Papier, dann saltete sie das
Blatt zusammen, überschried und sie
gelte ei, und legte ea, als Adele und
Josedhine Georg’s Zimmer wieder
verlassen hatten, aus ihres Mannes
Schreihtisch. . -
Nach dem Mittagessen ging sie noch
mit der Wirthschasterin durch die Ge
bäude und ordnete Einiges an, dann
zu der Erzieherin aus die Stube und
hat diese, Josedhine warm anzuziehen
da sie ein Stiindchen mit ihr im
Schlitten sahren wollte. Das war den
’Winter schon einige Male geschehen
und konnte keinen Verdacht erregen.
Josedhine selber steute sich auch dar
aus, und mit dem Schlage drei Uhr
hielt der eine Knecht, der den Austrag
dazu bekommen, mit dem kleinen leich
ten, mit Georginens eigenem Pferd
bespannten Schlitten vor der Thür.
kGeargineL trug selber den einen Fuß
saet hinunter und ließ den andern
dann. während sie das Pserd hielt
von dem Knechte nachholen. Adele
war noch beschäftigt, Josephine recht
warm etnzuhiillen, und wenige Minuss
ten später klingelte das muntere Thier
mit seiner leichten Last lustig zum
Thore hinaus und aus der glatten
Straße hin, dem Walde zu.
Unten im Dorfe läutete die Glocke
Heu dem Beariihniß des alten Tobias,
idem die Wirthschasterin und der alte
Verwalter pslichtschuldigst beiwohnten
und nach dem Beariibniß gingen die
Leute in’s Wirthshaus, tranken noch
ihr Glas und sprachen iiher den Ver
unaliictten und die Art seines Todes.
Von Schildheim ans schritt Herr d.
Silberalanz. sest in seinen Paletot
eingevaekt, und ein Paar Pelzstieiel,
wie sein kleines Tiischchen unter dem
einen, seinen aroszen Pelz iiher dem
andern Arm. einen schmalen Fußpfad
entlang gerade dem Walde zu. dass
ihm bestimmte Nendezdous richtig undz
pünktlich einzuhalten. l
i
CFottsehung solgt.)
Ein Spaziergang durch peking.
Von canrathlierti Sitte-rieth
Peling ist heutzutage die interessan- l
teste aller hauptstädte der Welt, ja!
vielleicht die einzige wirklich interes-(
sante, weil sie nämlich so ziemlich dies
einzige ist, die noch ein beinahe reine-i s
nnd unentstelltes Bild einer uns abso- «
lut emden und großen Kultur gibt.
Torw, die Hauptstadt Japans, ist »
s on so rnit Nachbildungen enro: -
paischer Muster durchsesh mit Stein-’
häuserm Basaren, Paris im westlichen »
Stil, Japaner in hosen und Röcken,:
daß es heute laum mehr als den Ein- ;
druck eines Misch- oder Uebergangstils
hervorruft. Ja Peting ist man, sowiel
i
man das nach europäischer Art er
baute, oolltommen siir lich abgeschlos
sene Gesandtschastsviertel verlassen
hat« mitten drinnen im Zentrunr der
Gelben Welt, und angesichts der ge
waltigen Mauern, der mit ungeheuren,
bergartigen Aufbauten getriinten Tho
re. der Holzhäuser mit den seltsam ge
schnitzten holzverziernngen an den s
Dächern, die meist die Gestalten von
Drachen wiedergeben, der langen Fah- :
nenstangen und der bunten hölzernenJ
Triumphbogen quer über die Straßen
könnte man sich in die Zeit des großen ;
Kublai ilhan und seiner Nachfolgeri
zurückversth fühlen. Aus stinken J
Pferden stürmen Reiter in der altchi-«;
nesischen Tracht, die tegelsörmigr. »
schweisgeschmiickte Mütze aus dem
haupt, einher und binden die Rasse an I
den eisernen Ringen der Äußeren »
Mauern der Paläste der Prinzen und;
Mandat-irre fest, bei denen siezuthun.
haben: ein Bild, ganz wie im Mittel
alter der europiiischen Städte. Durch
die staubigen Straßen der Stadt, die
sich bei Regen in undurchdringliche
Pfützen verwandeln, winden sich mit
Mühe und Noth die Rieksch13, die ein
Jzigenspdttm eingeborenenxnlio gezoge- »
"nen Wägelchen. und bei jedem Meter
vorwärts fliegt der Jnfaffe nach rechts
oder linls. Dazwifchen bewegen sich
schwerfällig die mit tonnenartigern
blauen Dach überfpannten, federloer
Karten, in denen ganze lsbinefenfamis
lien, die aus der Reise befindlich sind,
hocken. Jn den Straßen der Tannen
und der Chinefenstadt sieht man nur
ganz selten einen europiiisch getleideten
Menfchen —- ilberall tauchen die lan
gen, blauen Kittel der Chinefen auf.
Man fagt, daß China in Vezu auf
die menschliche Belleidung das f nur
rigste Land der Erde fei: die Männer
sehen in ihren raclartigen Gewändern
,rnit den langen Zöper wie Weiber
aus« und die Frauen in Hafen und
Jucken wie Männer. Nach kurzer
Uebung fchon lernt man bei den
Frauen dieAngehörigen der Mandfchu
und der chinesischen Rasse unterschei
den. Das wichtigste Merkmal ift der
Kopfpu : der mandschurifche lft eine
Art ge ickter breiter Daube, die mit
der elfassifchen eine entfernte Aehnlich
lett hat; der Kopfpuf der Ehinesin ift
dagegen rund und chmal. Auch an
den itfzen ertennt man die Verschie
den t der Rassen: die Chinelin bat
die vertriirnrnten Füsse, bei denen die
hen unter die Sohle gekrümmt sind
ie Itiße stecken bei ihr in ganz tier
nen, spitzen Schuhen« nnd das ganze.
ost sehr hübsche Persdnchen kommt
nur langsam trippelnd vorwarts. ethe
Mandschurin dagegen trägt dre«Fnße
unverstiirnmett und schreitet frei aus
Die vornehme Dame in China lasit die
Nägel unbeschnitten wachsen und
schiiht sie dann durch lange stillen aus
Gotdsiligram dies ist ein Zeichen des
Mithigganges, denn infChina ertennt
man die Bornehmbeit der Menschen«-an
zwei Dingen: daß er nicht arbeitet
und dass er nie Eile hat. Das Festgks
wand der vornehmen chinesischen
Dame besteht ans schwerster, über und
iiber herrlich gestielter Seide. -
Aus Ind an den Straßenent altet
sich das sesselnde Leben des O ents.
Die meisten Handwerker arbeiten ös
sentlich vor den Augen der Spazier
gänger: der Schmied beschlägt die
Pserde auf ossener Straße, die Zim
merleute zersiigen die riesigen Ballen
die schräg über Querbölzern aus e
baut sind, vor aller Blicken. us
Schritt und Tritt begegnet man den
seltsamsten Typen. Da tomrnt ein
taiserltcher Falkner, aus dessen Faust
der gezährnte Raubooael sitzt, mit dem
die taiserlichen Pein-ten aus die
Reiherberge gehen. Der Chinese liebt
auch in seinem heim die Thiere. Aber
unser treuer Hund wird im allgemei
nen entweder verachtet oder gegessen.
Besrndere Vorliebe bat der Chinese
siir Bogetbaltnng. Meist sind es
Wachtetn oder die sogenannten chine
sischen Nachtigallen. Der Chinese
liebt es, iie mit«aus·bie Straße zu neb
men, wenn er spazieren geyt oder Be
suche macht: er träat dann das Bauer
mit dem Thierchen in der Hand und
führt dieses an die Luft wie wir un
sere hunde. Die Zahl der sandten
die Zucker-rieth Wasser und alle
möeiichen Luxus- und Bedarssartiiei
ver aufers, ist Legian. und jede Art
hat ihre eigenen Sitten, Gebärden.
Ausrufe, Trachten. Ein ganz eigen
artiger Anblick. den man in Peting ie
den Tag genießen kann. ist ein chinesi
scher Beerdigungszug, der aus zahlrei
chen Bannertröaetn mit Emblemen
und Laternen an langenStiibem Prie
itern, Söniten, Rickichas usw. besicht. "
Die Lieblingeiiinite dei Verstorbenen.
sein Pferd, feine Frauen — alles
wird in feierlichem Zuge mitgefiihri,
die Trauernden sind in Weiß elleidet.
und vor dem Trauerlied-in auf offener
Straße wird ein Feuern-ers abge
brannt, nm die bösen Geister zu ver
treiben.
Welch wunderbare Stimmung
herrscht an den beiden großen Heilig
thiimern Pelings, dem großen Lamo
tenipel und dem himinelsaltarl Jrn
Lamatempel durchschreitet man weite
Höfe, in denen riesiae. wunderbare
Brausen stehen; man lommt vorbei an
langgestreciten, mit bunten Ziegeln ge
schmüaten Gebäuden, in deren halb
kunlel gewaltige Götzenbilder harren.
meist aus Holz geschnißt und über
und über vergoldet, und aus geheim
nisvollen Hallen schallt in Molltönen
der weiche, rezitierende Gesang der
ganz in Noth getleideten Priester-,
während dumpfe Gloain aus der
Ferne hereinhallen. Am entgegenge
setzten Ende der Stadt hüllen weite
Partanlagen den gewaltigen, aus wei
ser Marmor errichteten Rundbau des
Himmelsaltars ein, an dsm am Neu
iuhrsmorgen der chinesilche Kaiser als
höchster Priester des Landes nach
durchfasteter Nacht das große Opfer
darbringt. Eine feierliche und erha
bene Stille waltet hier, tein Laut in
weiter Runde stört die weihevolle, tiefe
Einsamleit, Thor nach Thor erschließt
sich, bis man an die Stätte der höch
sten Verehrung gelangt. ·
Das Stück der ri«:fiaenStadtmauer.
das das Gesandtfchaftsviertel ab
grenzt, ist wohl die interessantes-e Ge
gend· der ganzen Welt.
Felbsyzur Saifan in Monte Carla
sie i man auf engem Raum taum so
viele Völkerschaften vertreten, wie an
schönen Sommerabenden hier oben.
hier genießen die Mitglieder der ertra
ipäischen Kolonien frische Lust, freuen
sich der eigenartigen Aussicht über die
Jriefige Stadt mit ihren Pagoden,
Hihren weiten Paris zu ihren Füßen
; und dehnen den Spaziergang wohl bis
Tzur Sternwarte aus. die sich ein Stück
sweiterhin über der großen Mauer er
zhebt Jn ihren Khaliuniforrnen
sschreiten die Soldaten aller Gesandt
lschastiwarhen einber. denn seit dem
sgroßenBoxeraufitande von 1900 traut
! man den Chinesen nicht weiter. als die
IAugen der Europäer reichen: das Oe
isandtschaftsviertel ilt festungsartig
’abgeschlossen. Laternen europaischer
Truppen befinden sich darin, und man
vergißt keinen Augenblick, daß man
hier, fernvon aller europäischen Ord
nung und Sicherheit, wie auf einem
Vulkan sitt.
--
Eine englische Zeitung nennt die
Ameritaner das un ufriedenfte Voll
der Welt. Unzufrie nheit ist die
Quelle des Fortschritts.
An die Stelle der Zeit der Wunder
tlt im modernen Leben das —- Patent
M Wesen. « IN »k. -
I