Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, September 29, 1911, Zweiter Theil, Image 14

Below is the OCR text representation for this newspapers page. It is also available as plain text as well as XML.

    D e r K unwer r Z
!
z Erzählung
; von Friedrich Gerstöckev
W
. (18. FortseiungJ
«Thtt’ ich noirkliethm spottete ihm
III-l nos, «gst, dann komm doch
Jenseit früh an mein Zett, Onkel,
ad M wich - - willst Du?«
»Da sMgt’s«Eins«. rief Miit-ten
der froh schien dieses Gespräch abbre
Cen zu können. »Wir müssen hinüber.
Jedes ist Sonntags immer aus die
Minute bei Tische.«
»Dann dürfen wir natürlich als ge:
horsame Diener unseres Herrn nicht
säume-M spottete Karl.
»höre, mein Bursche«, sagte der
Alte ernsthaft, indem er sich zum Ge:
ihen rüstete, »sei nicht übermüthig!
Wenn ich die Beine unter eines An
dern Tisch stecke, muß ich auch thun,
wie der Andere mich heißt so lange
ich nämlich keinen eigenen habe.«
»Und stehst Du, das ist der Haten!«
ries Karl, »denn ich habe von nächster
Woche an einen eigenen. und will
dann nur abwarten, toie lange Du
Dich hier wirft füttern lassen. Royazet
hat gar keinen ordentlichen Clown
mehr. Sie find ihm alle davongelaus
sen, und wenn er schon in Frankreich
enorme Sagen zahlte. kannst Du Dir
denken, dass er in Rußland nicht we
niger geben wird. Jetzt weißt Du
tpas Dir zn wissen noch thut, und nun
msch’, was Du willst: ich rede tein
Wort weiter drum."
Mühler, der den trotztiipfigen un
bändigen Charakter des Knaben nur
zu gut kannte Und schon oft darunter
gelitten hatte, schritt mürrisch den
Gang entlang, dem Eßzimmer zu.
Georgine aber, Karls- Arm ergrei
fend, hielt ihn noch einige Sekunden
zurück, bis ihr Vater so weit doran
war, sie nicht mehr hören zu können.
dann siiisterte sie rasch: »Schreib’ mir
von dort, Karl, willst Du?«
»Gewiß will ich, und ausführlich«
«Gut, ich werde Dir nach Tische ei
nen Zettel geben, auf dem eine Anzahl
Fragen stehen. Schreib mir die Ant
wart darauf -- aber vergiß keine und
s-- lass mich nicht lange warten.«
»Und Du willst kommen?« fragte
der junge Bursche mit glänzenden Au
gen. »Du weißt am besten, wie sich
Rahazet darüber freuen würde.«
»Ich kann nichts Bestimmtes sagen.
—- Wir müssen auch fort. Georg darf
nicht ahnen, daß ich mit Dir darüber»
gesprochen-«
, «Hab’ keine Furcht«, lachte Karl.
awir Beide stehen aus keinem solchen
Fasse mit einander, daß wir uns un
sere Geheimnisse anvertrauen, und ich
besorge es Dir —— daraus kannst Du
Dich derlasfen.«
»Ich danke Dir, « — ich werde nach-«
hee wieder herüber-kommen und Dir
Reifegeld bringen Du mußt we
nigstens einen Zehrpfennig haben, daß
Du nicht als Bettler dort ankam-ist«
.Defto besser«. lachte der Knabe
still vor sich hin, »aber auch ohne ei
nen Schilling in der Tasche hätt ich
meinen Plan durchgeführt.'«
Oeorgine antwortete ihm nichts
darauf, sondern eilte dem Vater nach,
die streng gehaltene Essensstunde nicht
zu versäumen. Karl folgte ihr lang
smr. Was lag ihm daran. wenn er
auch zu spiit kam and Georg böse
» darüber wurde es war das letzte
.. Mal heute, und wenn er sich iiber ihn
ärger-te, desto besser!
18.
Der alte Miihier suchte an dem
Nachmittage noch durch alle seine
Ueberredunggkiinste dem Knaben den
Entschluß des Fortlaufeng auszure«
den, aber vergeblich. Karl, mit dem
neuen, freien Leben vor sich, und des
Zwanges, dem er sich hier baite fügen
mässem lange müde, bebarrte nicht
allein fest auf seinem einmal gefaßten
sorfaye sondern überredete sogar den
Alten, daß er ihn bis nach Schiidbeim
shimtnier begleitete, um dort selber
feine neugefundenen Freunde zu tref
fen. Das mußte natürlich heimlich ge
schehen; der Präcepror störte sie dabei
nicht, da dieser die Sonntags-Nach
- mitiage gern zu feinen Studien be
uutte und Karl dann immer auf fei
nes Onkels Stube war. Ueberdies
konnte Die Zufammentunft nur eine
kurze feis, denn mit der Dämmerung
machten sich die »Künf21er« schon wie
» der auf den Weg, um im nächsten
’ fDorfe zu übern-schien und den an
dern Morgen rechtzeitig die nächste
Eifenbabnstaiipn zu erreichen. Georg
»Ika satkc Flucht auch erst am
andern Warst-. und zwar durch den
— reitet-eh der feinen Zögling verge
--I sur Stundenzeit erwartete und
» » dass ebenfalls ohne Erfolg bei
-: W Onkel sachte. Der alte Mühler
« M H gesichedings darauf ge
· f ds- Hcftise See-te mit feinem
· MX bestehen zu müssen,
· ej um Larks Flucht ge
,- M der Hand. Gebt er
wij dicht nun-genehm über
, ' i ers-set samt-I vie Geor
If MAX-e Bill-e davon
is «« We » M allerdings,
,Msee V ROTHE erhol
Hm Missetat-! Abend
»Ja-r es WI- IMIY II der
WW
Absicht, ihn wieder einzusangeM
Wenn das der Fall gewesen sprach er
mit Riemandem darüber-, und selbst
beim Zbendessea erwähnte er des
Iliiehtlingz mit keiner Silbe. Gedr
gine glaubte nicht mit Unrecht, daß er
selber froh war, den lästig werdenden
Knaben, ohne eigenes Zuthun, aus
seiner Nähe entfernt zu wissen.
So vergingen die nächsten Wochen.
Der Candidat, dessen Zögling aus so
seltsame Weise abhanden getan-mein
war entlassen worden, und das Leben
aus dem Gute ging wieder im alten.
sstillen Geleise Allerdings suchte jetzt
Georg seine Frau in mancher Weise
zu zerstreuen und führte sie wieder
mehr als im letzten Monate aus die
benachbarten Güter, deren Jnsassen
auch Schildheirn manchmal aussuch
ten aber Georgine sand keine Freude
mehr daran. Die alte Sehnsucht war
in ihr erwacht; es drängte sie fest
mehr, allein und ungestört zu sein«
um ihre eigenen Pläne und Träume
zu iiberdenten, als sieh durch fremde
gleichgültige und ihr oft langweilige
Menschen zerstreuen zu lassen. und
während Georg dieses Zurückziehen
von der Gesellschaft mit Freuden sah
und zu seinen Gunsten deutet-, briitete
ihr Geist iiber Trennung -—--— Flucht
von ihm.
Nicht fo bald hatte der alte Mühler
den Knaben vergessen, an den er sich
einmal gewöhnt « an dem herz hing.
Er fehlte ihm auf Schritt und Tritt
--— Tag und Nacht mußte er an ihn
denken, und um die Zeit zu tödten,
mit der er jegt weniger anzufangen
wußte als je, ging er nun häufiger in
den «Stern« hinunter, in des alten
Tobias Gesellschaft, feine eigenen
mürrifchen Gedanken zu vergessen.
Gevrg mußte das. endlich bemerken,
und um ihn davon abzuziehen, fuchte
er den Alten im Gute felber zu be
schäftigen. Er wollte ihn nach und
nach an eine geregelte Thätigleit ge
xwiihnen —- aber das ging nicht mehr.
IMiihler hatte fich in seinem ganzen
iLeben noch nie nützlich befchöftigt,
lund dachte gar nicht daran, auf feine
lalten Tage etwas Derartigeg zu be
Hginnew War er dem nun früher fo:
viel als möglich ausgewichen, fo tam
les ihm jetit.—rnit den Gedanken an den
Lentlaufenen Neffen und das lustige
Leben, in dem dieser schwelgte, doppelt
zuwider var. Alles ihm Aufgetragene
führte er deshalb nachliifsig oder gar
nicht aus ,und der heftigteit Gevrg’s
begegnete er mit einer ftörrifchen
Gleichgültigieit, die eben Alles,iiber
sich ergehen ließ. Nach vierzehn Tagen
aber hielt er felbft das nicht mehr aus.
Es war ein Brief von Karl gekom
men, und Georgine hatte ihm den Jn
halt desselben mitgetheilt. Die Ber
fprechungen von dort lauteten dabei
fo verlockend, daß erxihnem mit der
Sehnsucht nach dem Jungen, nicht
länger widerftehen konnte, und er be
schloß, einen entfchiedenen Schritt zu
thun.
Das bequem, bis dahin gesiihrte
Leben hatte aber doch auch zu viel
Anziehendes fiir ihn gehabt, es so
ohne Weiteres, besonders ohne Sicher
heit, was er dafür eintnuschr. von der
Hand zu weisen eine Hinterthiir
beschloß er sich jedenfalls offen zu hal
ten, noch dazu, da ihm das zugleich
Gelegenheit bot, sich aus sriedlichere
Weise von Georg zu trennen. Schnell
deshalb mit seinem Plane im Reinen,
ging er noch an dem nämlichen Abend
zu seinem Schwiegersohne und er
tliirte ihm, daß ihn die Angst um den
Neffen nicht ruhen noch rasten lasse
und er ihn um die Erlaubniß bitte,
einen Versuch zu machen, ihn wieder
aufzufinden. Er verlangte nur vier
zehn Tage Zeit dazu, und habe er ihn
bis dahin nicht gefunden, so wolle er
ohne ihn zurückkehren
Georg war tlug genug, den Alten
zu durchschauen, denn daß dieser den
Aufenthalt des Burschen, oder doch
wenigstens wußte, wohin er sich da
mals gewandt, blieb gewiß. Wollte
er ganz fort von ihm? --— hatte er nicht
im Sinne zurüazukehreni s« Viel
leicht « er selber aber hätte Gott
gedankt,-den lästigen, satalen Men
schen auf solche Weise los zu werden;
lsdurste er dann doch weii eher aus ein
friedlich häusliches Leben rechnen.
und wurde noch dazu dersteten Angst
und Gefahr enthoben,· durch ihn seine
eigne Existenz gefährdet zu sehen. Nur
daß Georgine bei der Flucht des Vet
ters sowohl, wie bei der jetzt erklärten
Abreise des Vaters so ruhig und theil
nahmslos blieb, war ihm riithselhaft.
Trieb den alten Mann wirklich nur
die Sehnsucht nach dem Knaben, an
dem er, wie Georg recht gut wußte,
mit ganzem herzen hing —- und woll
te er in der That ihn zurückholeni
Oder fllhlte Georgine jeht selber, daß
ihr Vater den alten Possenreißer nicht
ve ssen. sich nun einmal in seinen
Ja n nicht mehr ändern könntei
Fühlte sie, das es zu ihrem und ihres
Gatten Wohl und Frieden sei, wenn
er sie verlaIef Oh, dann hätte er die
ses endliche Erkennen ihrer Pflichten
zu ihres und ihres Kindes heitern,
von present Herzen segnen wollen.
Wmffffffmäfv
Dem alten Manne gab et natürlich
mit Freuden die Erlaubniß zur Rei
se, wie Geld, sie zu bestreiten, abet
vergebens suchte et Georginem alt
Mühlee sie verlassen hatte, zu einem
offenen Gesiiindniß ihrer Gefühle zu
bringen. Georgine gal- ihm nur auc
weichende, ja fast leichtfertige Ani
tvotien, und hatte es ihn gedrängt,
fein iiheevolles Herz einmal gegen sie
offen ausschiiiien zu dürfen, so fiieß
sie ihn jeit mehr zurück, als daß sie
ihn etmuthigi hätte. Er konnte frei
lich nicht ahnen, daß der alte böse
Geist aufs Neue Besitz von der ehe
geizigen Seele der Frau genommen
hatte und sie in ihm, dem Gatten, nur
noch den Tyrannen fah, der ihrem wie
ihres Kindes Glück aus elendem Stolz
im Wege stand.
Georg war, das sah sie klar, seit
jener Zusammenlunft mit dem Gr --
sen ein durchaus Anderer geworden.
Wo war.der todesoerachtende Muth
geblieben. mit dem er sich friiher den
verwegensten Künsten entgegenwarss
wo die frische, fröhliche Lebensluft, die
ihn den Augenblick genießen ließ, eben
des Augenblicks wegen, und nicht der
nächsten Stunden gedachte, viel weni
ger der niichften Jahre? So hatte sie
ihn kennen gelernt, so geliebt, und
fett? —— Sie haßte die Bücher, iiber
denen er halbe Tage grübelte, sie haß
te die friedliche Beschäftigung, in der
er feinen Frieden sand, und mit lei
nem solchen Ziele dor sich, wie er, in
diesem Leben ein oerloreneö Glück
wieder zu gewinnen. ziirnte ihr herz
im Gegentheil iiber das, was er ihr
geraubt, und sann und sann darauf,
es mit Gwalt oder mit List sich wie
der zu erobern .Aber sie war llug ge
nug den Gatten gerade das, was seit
ihre ganze-Seele erfüllte. nicht ahnen
zu lassen. Sie lannte den unbeugsa
men, starren Geist des Mannes; hier
aber erst hatte sie dessen Einfluß fäh
len gelernt; denn so lange ihre Bah
nen draußen in Licht und Jubel ne
ben einander hinflogen, war er ihr
immer störend in den Weg getreten.
Jetzt dagegen, wo sie ihm gehorchen
sollte. sie, die bis dahin nur gewohnt
gewesen, zu beiehlen, empörte sich ihr
aanzes Selbst gegen einen solchen
Zwanzi. und lein Wunder. daß sie
den Augenblick herbeisebnte, in dem sie
sich und ihr Kind demselben entziehen
konnte.
Der alte Mühler war indessen,
nachdem er Abschied von Georginen
genommen und von ihr heimlich nrehi
rere Briefe erhalten hatte, mit seinem
treuen Begleiter, dem Spitz, nach
Schildheim hinuntergegangen. Georg
erbot sich zwar, ihn bis zur nächsten
Eisenbahn-Station fahren zu lassen,
aber er lehnte es ab, und zwar unter
dem Vorwande. daf; er noch gar nicht
genau wisse, nach welcher Richtung er
sich wenden solle« Inder That aber
wollte er Georg teine Controlle geben,
wohin er gefahren sei; der Kutscher
tonnte ihn, wie er recht gut wußte,
nicht leiden, und würde jedenfalls an
der Station aufgepaßi haben, wohin
er sein Billet genommen.
Gepäck fiihrte er übrigens sast gar
tean bei si sondern hatte das Nö
thige deshal schon mit Georginen be
sprochen. Georg war oft auf halbe
Tage abwesend, und es fand sich dann
leicht eine Gelegenheit, seine sämmtli
chen Sachen nachzuschicken
Mühlet nun, seit langer Zeit zum
ersten Mal wieder mit einer Summe
Geldes in der Tasche, und mit voller
Freiheit, jeden beliebigen Gebrauch da
von zu machen, tonnte sich nicht «ent
schließen, trockenen Mundes am
»Stern« vorüber zu gehen. Fand er
Niemanden weiter dort, so war er
doch sicher, »den faulen Tobias« anzu
treffen, und seinen Abschiedstrunt
nahm er dann mit dem.
Der faule Tobias saß auch wirklich,
nach alter Gewohnheit, dicht neben
dem hinter einem der kleinen
schwer ische, ein Glas Branntwein
vor sich, und zwar nicht das erste.
Das«fpirituiise Geträni schien aber
keineswegs heute den sonst so beleben
den Eindruck auf ihn gemacht zu ha
ben, und während sich seither fein fal
tiges und etwas schmuhigei Gesicht
immer aufhellte, wenn er seinen
«Freund« Mühlee entdeckte, und nun
sicher war, ein daar Stunden ange
nehm mit erzählten Schauer-en und
Anetdoten zu verbringen, zogen sich
heute seine Augenbrauen wo möglich
nach sinsterer zusammen. Nur die
geballte Faust, die er auf dem Tische
liegen hatte; nahm er herunter und
steckte sie, geballt wie sie war, in die
Taf-by als ob sein Grimm und lAet
ger Wien-andern weiter gehöre als ihm
ielber, und er auch wish wo er ihn
hinthun könne.
Mhler merkte auf den ersten Blick,
da mit dem alten Burschen etwas
nizt richtig sei, und da ihm besonders
heute gar nichts daran lag. einen mikr
rischen, oerdresienen Trintgenossen zu
halten«-feste er sich hinkt-er zu ihm auf
die sank, wars seinen nt und das
Meine Wirbel, das er n der band
trug- hinter sich und sagte, während
ffff Iffffffffwfvmmvfff
Isein Spih aus einern Stuhl-neben ihm
ganz ernsthaft Plan nahm:
«Wirth, eine Flasche Wein, aber
von Eurem besten «—s- nicht etwa den
Rachenreißer wieder, den Ihr mir das
lehte Mal gegeben.«
Tobiaö wars ihm einen etwas er
staunten Seitenblick zu und riickte ein
wenig dei, urn ihm mehr Raum zu
geben, schien aber trahdem entschlossen,
in seinem Schweigen zu verharren.
und erwiderte nicht einmal den guten
Tag.·den ihm Jener hat.
»Na zum .Teusel'«, sagte Mithin-,
»was steckt Dir denn in der Krone,
heh? Hast Du die verkehrte Maul
sperre. Kamerad, oder kennst Du mich
nicht mehr-? Du schneidest ein Gesicht
heut, als ob Dir das Wasser ausge
hlieben wäre und Du jeht mit
Schnnpj mahlen mußtest, um das alte
.Rädekwerl im Gange zu halten«
»Jsi·ihm auch Evas Aehnlichei pas
sirt, Herr Mühler«, nahm da. fük
Tobia5, ein alter Bauer. der unsern
von ihrem Tische hinter einem Kruge
Bier saß, die Antwort aus, »das- Was
ser zum Mahle ist ihm freilich ausge
hliehen - nur mit dem Schnup
wird’s etwas dünn aussehen. Es
bleibt ihm schon nichts Anderes übrig,
wie eine Windmühle anzulegen«
»Auch tein schlechtes Geschäft, Ka
merad«, lachte Mühler, von dem ge
brachten Wein den Stöpsel ziehend s-—
«heh. noch ein Glas, herr Wirth! ---—
Sind samase Dinger, diese Windmüh
len, in denen Einem sriih die Morgen
sonne und Nachmittags die Abendson
ne in dasselbe Fenster scheint. «
»Du weißt den Henker davon«, suhr
Tobias mit einem tückischen Blick den
alten Bauer an. »Wenn ich Schnur-s
brauche, werde ich ihn auch bekommen.
Du Hungerleider giebst mir doch tei
-nen·« «
«
»Nein, Tobias, da hast Du Necht«,
lachte der Alte gutmiithig, »das wiire
auch dreimal weggeworfenes Geld,
und hättest Du nicht so viel von dem
bösen Stass getrunken, siihe es seht
auch besser mit Dir aus."
»Aber was ist denn vorgesallen?«
ries Mühler erstaunt.
»Nichts, als was wir Alle lange
vorher-gesehen haben«, sagte derBauer.
»Sein Geld, das ihm gehörte, hat der
Tobias durchgebracht, und wenn der
Miiller drunten auch genöthigt ist, ihn
bis an seinen Tod zu siittern, so hat
er sich doch geweigert, ihm von heute
ab einen Pfennig weiter zu geben« sein
liederliebes Leben zu unterstützen.«
»Der Müller ist ein Lump!« siel
hier Tobias wiithend ein, indem er die
geballte Faust wieder aus der Tasche
zog und damit aus den Tisch schlug «
»ich habe mich siir ihn ausgeodsert.
und jegt tommt er
»Der Müller ist ein Ehrenmann« .
unterbrach ihn ruhig der Bauer. indem
er von seiner Bant ausstand, sein
Bier austrant und seinen Hut vom
Nagel nahm« »er hat bis jetzt mehr
siir Dich gethan, wie Einer von uns
gethan haben würde, und Noth. Aet
ger und Schande außerdem dasiir ge
nug gehabt. Da er seht sieht, daß Du
tein anderer Mensch werden willst, so
mag er Dich wenigstens auch nicht
langer in dem liederlichen Leben un
terstühem und da hat er, sollt’ ich
denten, Recht. Daß Du anders dentst,
ist Deine Sache » Gott besohlen!«
Und seinen Hut ausstiilpend, verließ
der alte Mann das Zimmer.
Tohias schleuderte ihm mit einem
- boshasten Blick den bittersten Fluch
nach. aus den er sich besinnen konnte;
Mithin aber lachte und sagte: «Lasz
den Brummbiir tausen, Kamerad;
gut, daß er sort ist; der soll uns den
schönes Tag noch lange nicht verder
ben. Da trint, das ist der Sorgenbre
cher, besser als das verwünschte Bi
triatiil, das sie hier siir Schnaps ver
tausen. Der hier brennt nicht und
wärmt doch, und je mehr man tdavon
-trintt, desto leichter wird's Einem im J
"Kopse.« '
Tobias schien noch immer teine
rechte Lust zu haben, geselliger zu wer
den, wenn er auch das dargebotene
Glas.nicht verschmähte; mit jedem
Glase aber thaute er mehr auf, und
während sich Miit-lex in einer eigenen
Art von rauher herzlichteit, bemühte,
den alten niedergebrochenen Säuser
auszurichten. sing ihm selber der Wein
an zuschnteclen
«hol’ der heuter die Kosten!« lach
te er, als er die dritte Flasche bestellte.
»wo das hertommt, ist mehr, und so
jung fressen wir doch nicht wieder zu
sammen.«
»Wo das herkommt, ist mehr?«
sagte Tot-ins, ausmertsam werdend,
»der da droben« —- und er deutete mit
dem Daumen nach der Richtung des
Gutes hinüber -—— Jst wohl schmäh
lich reich?«
»Bist-, reichl« rief Miit-ten das
grosse Glas zum Rande siillend und
aus einen Zug leerend, »was heißt
reicht Was man hat, lann Einem die
nächste Stunde gestohlen werden« oder
sonst abhanden tornmen, aber was
man kann, Kamerad, daraus komm«
an, und das, was man tann, das
macht den Manu.tu
ffffffffffquvaI
»Nun, Kamerad«. lachte Tobiai,j
der bis seht noch viel nii erner als
Mühler war. troidem XII er schon
ungezählte Gläser Branntwein vorher
hinabgegofsen, «bis seht hast Du uns
aber noch nicht gezeigt, »was Du
tannst...«
»Vielleicht, habe ich nicht gewollt«,
schmunzelte Mühlen
»Und willst Du jetzt?"
«Nein«, schüttelte Miit-let mit dem
Kapit- indem er einen Blicl nach der
am Fenster spinnenden Wirthin hin
überwars. Der Wirth war Hausge
gangen, um nach seinen Getränken Qzu
sehen, und weitere Gäste nicht m
Zimmer « »Andere brauchen auch
nichts davon zu wissen-«
»Na, vor der darfst Du Dich nicht
geniren«, meinte Tobiaz, »wenn Du
sonst ein Geheimnis daraus machst
denn die ist stocktaub Aber weißt Du
----« wenn’s « ’was wäre, das man
zum Leben. und besonders zum Trin
ten gebrauchen könnte, verstehst Du,
da wär mir’s recht, wenn ich auch et
was davon ersiihre. Wer weiß. wie
man’s einmal gebrauchen tann.«
«Du?« lachte der Alte, dem der Ge
dnnte ungemeinen Spaß machte, sich
den »saulen Tobias« als «Kiinstler'«
vorzustellen; »hahahaha, das ist kost
bar -- Du, mit den lahmen Knochen.
Du wärst ein CapitaliExemplar siir
irgend eine Gesellschost!«
»Hoho!'· rief Tobias, leicht gereizt,
»ich weiß mich wohl in ieder Gesell
schast zu versehenem und Du hast noch
gar teine Ursache gehabt. mir das uns
ter die Nase zu teil-ein«
Gortsetzung solgt.)
, Mehlwürste gefällig!
, —
I Aus Wien wird geschrieben: Tem
;pora, mutantur. botuli mutantur in
!illis, zu deutsch: andere Zeiten, an
»dere Würstr. Iriiher, da war eine
Wurst eine Wurst. d. d. tleingehiicttes,
mit lediglich wiirzenden Zutaten ver
Jsehenes, in einen Darm gestopstee
Fleisch. Fleisch in dieser Form und
Bereitung übte von jeher aus deutsche
Gaumen einen besondern Reiz aug·
Wurstmachen und Wurstessen waren
daher seit alters deutsche Speziali
täten, und der hauswurst, die drollige
Volksgestalt der alten deutschen Steg
reisentomödie. die gewissermaßen eine
groteste Vertörpernng des Voltej sel
der ist, verdankt dieser Liedhaderei so
gar den Namen.
Es ist wohl mehr als ein Zufall,
daß wie der Wiener Hanåwurst, so
auch die Wiener Würste sich eines weit
reichenden Russ ersreuten., Der Wie
ner Hanstvnrst ist sogar setzt noch
nicht nur-gestorben. Als Wiener Oto
miter beherrscht er die Vrettl und die
Varitäz inner- und außerhalb Wiens
noch heute, und im Prater hxit er nicht
»nur sein eigenes Reich, sondern auch
seinen Namen sreilichtin der gering
Ischiiyi gen Deminutiosorm Wut-steh in
Tden Kasperltheatern des Wurstelpra
Itmz bewahrt. Von den Wiener Wür
isten hat heute wenigstens eine Sorte
idie ganze Welt erobert: Heiße Wiener
werden heute überall ausgerissen und
smit großem Appetit verzehrt, diese
Ifingerdiclen und zweisingerlangen,
zpaarweis gebundenen, wohlgewiirzten,
Fleichtgeselchten (geriiucherten), saf
Htigen Würstchen, die aus einem durch
eine Spiritusflamme beständig heiß
erhaltenen Wasserdade herausgesischt
und am liebsten steier Hand zu einer
»Semmel verspeist werden Jn Wien
»und Oesterreich dars man sie freilich
nicht unter diesem Namen verlangen;
»die hallische Lederwurst, die Braun
schweiger Metiwurst, der Wesisiilische
ISchinlen und die Pommersche Spiel
s gans entbehren ja am Erzeugungsorte
Iedenfalls der ehrenden Beigabe der
;Hertunstsbezeichnung, weil diese
selbstverständlich ist. Krenntoiirste
heißen sie hier, weil man sie tunstge
recht nie mit Mostrich, wie in« Deutsch
land, sondern mit geriebenem Krenn,
d. i. Meerrettich verzehrt, und wünscht
man sie paarweise und will mit seiner
Lolnltenntnis protzem so verlangt
man einfach in der Redeweise der
Fiater. die zu den Hauptvertilgern die
ser Würstchen gehören, »an’ ZwocIs
spiinner«, während man das einzelne
Würstchen als «Oanspiinner« erhält.
Aber, wie gesagt, andre Zeiten,
andre Würstr. Wenn die Wiener
Würstchen sich heute noch einmal die
Welt erobern sollten, wer weiß, ob es
ihnen gelingen würde. Heute sind sie
nur noch ein schwacher Abglanz ihrer
sriidern Natur. Ehemals hatte man,
wenn man in so ein Wiirstchen hin
einbiß, den ganzen Mund voll löst
lichen Fleischsaste-, nnd der Dust des
«geselchten Inhalts zog lieblich in die
Nase. Heute spürt man von alledem
nichts mehr. Man beißt aus eine
trockene Masse, deren bleichstichtige
iFarbe nnd charalterloser Geschmack
das Vorhandensein von Fleisch taum
erraten lassen. Und wie mit diesen, so
ist es mit andern Wiener Würsten, die
als Material siir den einst so beliebten
talten Wiener Anfschnltt dienen, den
Ertrawtirsten, den Knaetwiirstem den
»Alle-usw« den Schwaden-, den Leber
sund Blutroiirsten sowie, dem himmel
f fffmfffmvffff f f f fffs
sei’j geklagt. mit den Bratwiirsten, den
grob und den fein gehen-ten, die bor
dem ein so einfaches und so schmack
haftes Mittagsmahl lieferten. Will
man heute in Oefterreich gute Wie-let
Wiirste essen, muß man von Wien
aqu Land gehen. Denn die Provinz
hat es noch nicht nötig, als Wurst
oorzutäuschen, was telne Wurst mehr
ist« sondern ein Gemenge don Mehl,
Semmel. Kartoffelrnehl mit einem de
scheidenen Prozentsah gehacltesIleisch.
Ja, fa, die einst so guten Wiener
Würfte sind — Mehlwiirste geworden.
Das ist eine Entwicklung des letzten
Jahrzehnts gewesen« in dem sich die
Preise der landwirtschaftlichen Er
zeugnisse, vor allem die Viehpreise, ra
send aufwärtobewegt haben und zu
gleich die Steuern, die Grundpreife,
die Mieten, die Löhne und die Preise
sehe vieler anderer Dinge zu steigen
begonnen haben.
Die Fleischselcher, so heißen in
Wien und ganz Süddeutschland be
lanntlich die wursterzeuaenden
Schweinefchlächter, wollten aber weder
mit den Wurstpreisen gleichfalls hin
aufgehen, was fa laum anfechtbar ge
wesen wäre, noch auch von ihrem
hohen, man kann wohl sagen zu hohen
Gefchiiftsgewinn etwas abschreiben.
sondern entschlossen fich zu dem we
niger dilligenswetten Anslunsthit
tel, die größern Ausgaben durch Ver
ringerung des Fleischgehalts der Ware
auszugleichen. Wasser und Mehl
wurden nun dem Fleisch zugelegt und
dadurch ein Gewicht und eine Menge
vorgetäuscht, die den Anschein erwecls
ten, als wäre alles beim alten. Das
Publikum fchimpfte freilich, ließ es
aber bei seiner bekannten Energielosigs
teit dabei bewenden: ich habe wenig
stens nie davon gehört, daß ein Sel
cher wegen dieses Verfahrens oon ei
nem Käufer angezeigt worden wäre.
Inzwischen hat aber die Behörde durch
das neue Lebensmittelgefetz eine Hand
habe erhalten. gegen den llnsua vor
zugehen. Sie hat jüngst zahlreiche
Stichproben gemacht. die in vielen
Fällen einen· hohen Prozentsatz von
Mehl in den Wurstwaren ergeben hat.
Sie hat daher diese Wurstwaren als
Wurstverfölschung in Beichlag genom
men und den Erzeuger wegen Leben-H
miitelverfiilschung angezeigt. Und
diese sind vom Gericht zu ziemlich
empfindlichen Strafen verurteilt wor
den.
Das wäre nun fiir die Selcher eine
schöne Gelegenheit gewesen, den Ab
weg. der den Ruf der Wiener Wurst
waren zerstört hat, zu verlassen und
zu dem alten guten Geschäftsbetrieb
zurückzukehren Dazu zeigen fie indes
sen keine Luft. Der Mißbrauch des
Mehlzusatzes zur Wurftware foll nun
mit einem Male ortsüblicher Brauch
fein. Weil ihnen das aber natiirlich
tein Mensch glaubt, haben sie sich noch
eine andere Begründung dafiir ausge
lliigelt. Dein Fleisch, das in Wurst
form bekanntlich kein anderes Binde
Inittel braucht als die Wurfthaut, soll
infolge des gegenwärtigen Viehrnans
gels und der gegen früher veränderten
Fütterunggverhältnifse die nötige
Bindelraft fehlen und deshalb bei der
Wursterzeugung ein zwei- bis dreipros
zentiger Mehlzusad erforderlich sein.
Alt- wenn es sich bloß um zwei bis drei
Prozent handelte! Diese eigenartige
Auffassung hat die Genossenschaft der
Wiener Fleifchfelcher einstimmig zum
Ausdruck gebracht und damit die Ver
wendung von Mehl zur Wursterzew
gung fiir unanfechtbar erklären wollen.
Ein erheiterndes Beiwerl ergibt sich
daraus, daß sie diesen ihren Beschluß
in der amtlichen Wiener Zeitung wie
eine rechtskräftig publizierende Be
hörde —- als Jnferat hat erscheinen
lassen. Nun wären sie, meinen die
wackern Leute« gegen die Anklage we
gen Lebenimittelverfälfchnng gefeit.
Die Lebensmitteluntersuchungsanftalt
dentt hoffentlich anders und wird
ihnen vielleicht doch noch beibringen,
daß sie nur die Konzeffivn haben fiir
die Erzeugung von Würften, nicht von
Mehlioitrften. Die Wiener Bevöl
kerung, die ohne Wurst beinahe nicht
leben tann, wiirde ihr sehr dankbar
dafiir sein.
Das Kreisblatt Rheiderland mel
dete in No. 94: »Die oftfriesifchen Fi
scher haben an Stelle der platten Boo
te Butter ungetauft und fahren
nzit diesen in das tiefere Wasser der
Ems.« Die ärnteren Fischer nahmen
statt Butter Pohl Yakgairinr.
Das SprottauerWochenblatt schrieb
in Rost über ein Turnfelt: »Die R e
gintentspelle hat das Einholen
der auswärtigen Turnvereine über
nommen.« Wo blieb die Regintentjis
warst?
I I i
Die Ledigen sehen die Ehe durchs
Fernrohr, die Verlobten durchs Ber
grbßerungsglas, dieEbentiinner durchs
Mitroflop.
i i i
Frauen sind nun auch als Schwim
metinnen aujdauernder als die Män
ner; daß sie es als Rednerinnen sind,
haben manche Ehentiinner erfahren, die
kttvas spät oder lebt friib nach hause
ameri. «