Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, September 08, 1911, Zweiter Theil, Image 14

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    Der Kunstreiter
Erzählung
von Friedrich Gerstäckev
(15. FortsesungJ
»Ihr meint den Jnsiinlt.«
aDen mein ich nicht, ich meine Vet
Lkandf bedanke der Alte; «Jnsiinlt ift
ein Wort. das prächtig für die Akt
m Leuten paßt, die in den Stödten
die dicken Bücher schreiben, und deren
eigener Verstand still steht, wenn sie
einmal zu uns in den Wald kommen
nnd das Leben und Treiben der
Thiere zu sehen kriegen. Wir aber.
die wie eben diese Thiere näher len
nen, wissen das wohl besser. Glan
ben Sie zum Beispiel, gnädiger Heer,
daß Ihnen das kluge Pferd da etwa.
nur ans Instinkt folgt?« ;
»Ein Pferd-? nein, das hat gewiß
Verstand-X
»Schön, das sagen Sie, weil Sie
näher mit ihm bekannt geworden
sind; würden Sie meine lieben Wald
ihim so gut kennen lernen, so fänden
Sie gar bald, daß wie ihn denen noch
viel weniger absprechen diitfen —
Det Mensch aber, was ich vorhin sa
gen wollte, hat seinen vollen Verstand
und Geist und Vernunft nnd Seele,
»und wie er es sonst noch nennt, vom
lieben Gott erhalten, und wie ge
den»ucht et das Alles nur zu oft!'«
..Und nur die wilde Katze sent Ihr
noch an bösartigen Eigenschaften
über den Menschen?« lächelte Georg.
»Vielleicht half ich Unrecht«, sagte
der Alte. »aber ich kann mir einmal
nicht helfen, wenn ich die Katzen mehr
als anderes wildes Gethier nasse und
verabscheue Aber gerade sie, meer als
Schuhu und RaubvögeL zerstören mir
im Frühjahr die junge Brut meiner
lieben kleinen SingvögeL und wenn ich
dann so ein armes Thierchen neben
seinem zerrissenen Restchen sitzen und
trauten und die zerbrochenen Eier
sschalen unter dem Baume liegen sehe.
kann überläuftamich immer, ich weiß
eigentlich selber nicht wie, und ich
schwör’3 den Katzen- Mardern und
Jltissen zu, daß sie wiss büßen fal
len fiir alle Zeit - wo ich sie nämlich
erwischen lann.« I «
»Und Jhr habt die Singviigel so
gern, Forstwart?«
;Ja, gnädiger Herr. und mitRecht«,
sagte der alte Mann, und es rpar fast.
als ob seine Stimme bei den Worten
zitterte· « »Die kleinen Waldsänger
find mir die liebsten Thiere in der
Welt; vielleicht. weil esidie einzigen
Freunde sind, die ich in der Welt
bade«, setzte er langsamer hinzu. »und
bei denen wäre es denn schon nicht
mehr als Schuld-isten, daß man ihnen
nieder Anhänglichkeit bewiese. haben
He doch auch Niemanden hier weiter
wie mich, der ihren Feinden nachstellt
und sie schüht und beschirmt, wo es
twth thut-«
»Und weiter habt Ihr keine Freun- «
de, Barthole«
Reine weiter«, sagte der alte Mann
und schüttelte dazu langsam den grei
fen Kopf.
»Aber der-Graf hat mir sebr freund- .
lich von Euch gesprochen und Euch mi- E
warm empfohlen.«
»Der Graf ist ein wackerer, braver
Herr«, meinte der Forstwart, »und ich
werde ihm ewig danken, was er an
mir gethan mehr, als Sie und je
mand Anders wissen kdnnenx aber
—- den Herrn kann ich doch nicht zu
meinen Freunden zählen!«
»Nicht? und weshale«
»Liebe: Gott, weshale Der Graf
ist mir ein lieber und gnädiger Herr
—-— aber er«ift eben ein Herr, und noch
daer ein recht vornehmer-, wenn auch
wohlwollend und herablaifenn und
da kann mit Unser-einem von Freund
Ifehaft nicht die Rede sein. Unter
ennden, mein gnädiger Heer, ver
he ich zwei Theile. die vor einander
Ieise Geheimnis haben, die einander
nittheiIem was see freut. was sie
Wi, die einander helfen, wo sie
Bauen —- nicht nur der eine Theil
dem andern, sondern auch umgekehrt,
nnd die beisammen ausharren in
HeenV und Leid —- fv lange eben
dieses works-e Leben noch zufammen
hslt nnd das heez nicht aufgehört hat
Zu schlagen« E
»Aber unter der Bedingung, Forst: l
wart, dürft Jhr die Vögel des Wal:’
des-, Und wenn sie noch so lieb und
freundlich singen, doch nicht zu Euren!
Freunden zählen, denn Jhr mögt ih-J
nen so viel klagen und gestehen, wie
Ihr wollt, ihr Mund bleibt stumm
fiir Euch, und mit der Hülfe und dem
Beistand-, die sie Euch leisten könnten,
steht es auch nur windig aus«-K
« »Meiaen Sie, gnädiger Herr?« sag
te der alte Mann und lächelte dabei
gar still nnd heimlich vor sich hin;
»aber U lWien Sie sich doch vielleicht «
-geirrt, denn nicht allein verstehen die-f
Vögel mich, wenn ich bei ihnen einmal !
Hier draußen dein gedrückten Versen
Luft mache, nein, ich verstehe sie eben
To gut, ob die paar BAUER-ebenen
nrcke nun im kalten Winter ihr Leid,
oder im Sommer den Verlust eines
lieben Angehörigen klagen, oder mir
is zeithling die beimtebrenden Wans
Ietet W Jubel, ihre Seligkeit ent-«
«» - —. . «- Sir. Ausdin
W sitts- eiaentlich seit langes-, lan
"MEt-tdersrpe, mit dem schneidet;
darüber rede, weil -— weil mich etwas
zu Jheeeu zieht; dem ich keine Worte
Alten kann-. für das ich eigentlich leine
Ursache hobe. Früh-n ja« sprach ich
mich offen den-Idee gegen Jeden aus«
aber mein Lohn wac, daß ich von dem
unwissenden Volke verlacht und aus
gespottet wurde. Da behielt ich, was
ich wußte, lieber file mich, und zog
mich mehr und mehr nur auf mich«
selbsi utück.«
»und Jhk glaubt wirklich, daß Ihrs
»die Sprache der Thiere verstehen tönnt ]
H -- -— daß sie Euch wieder verstehen. wenn
thr mit ihnen sprecht?«
»Ich glaube es nicht nur«, sagte zu
versichtlicb der alte Mann. »ich weiß
es ganz gewiß. Stunden lang hab’ ich
schon draußen aus der Wiese bei den
Störchen gesessen und mir von ihren
Reisen erzählen lassen — -— Stunden
lang dem muntern, manchmal ein bis
chen leichtsertigen Stieglitz zugehöri,
und »was meine alte treue msel be
trisst, die mir eigentlich die Liebste ist
von Allen zusammen, so verstehen wir
Beide wohl jede Silbe, die wir mit
einander reden.«
»Die Amsel ist Euch die Liebste?«
fragte Georg, der unwillkürlich Inte
resse an den Phantasien des alten
Mannes nahm.
»Gewiß«, erwiderte dieser. »Die
Amsel ist eines von den bescheidenen
anspruchslosen Wesen in der Welt, die
trotz ihres eigenen Verdienstes, eben
ihrer Zurückhaltung wegen. es doch
nirgends zu ’wa-S Ordentlicheni brin
gen und stets zurückgesest und über
sehen werden. Und wie treu hält sie
bei uns in Frost und Kälte aus; wie
bescheiden biivst sie in ihrem an
spruchslosen schwarzen Kleidchen ein
ber, und was siir eine lieblich grüne
Stimme hat sie dabei!« J
»Eine grüne Stimme?« fragte
Georg. dem dieser Ausdruck neu war.
«Allerbings", versicherte der alte
Mann, »und zwar das ganz bestimmte
junge Waldesgrüm wenn ihm der
Frühling seinm—ersten Saft gegeben
nicht ein Mischmasch von Farben,
wie der Finte mit seinem Violet, oder
der Zeisig gar mit seinem schmutzig
gelben Ton ein reines. schönes, hel
les Grün, das mit seinem lieben
Klange meine alten Ohren auch noch
erfreut, wenn der Winter schon lange
das wirkliche Grün von den Zweigen
gesegt und seine weisie Schneedecke
über den Wald gebreitet hat.'·»
»So beurtheilt Jhr den Gesang der
Vögel nach den Farben?«
»Gewiß thue ich dai«. versicherte der
Greis, »und nirgends zeigen sich mir
die Farben deutlicher, als eben im Ge
sange. Die Grasmiicke singt roth. aber
kein brennend schmerzendes Rath wie
der Canarienvogel. sondern sanft und
doch leuchtend, wie ich nur einmal in
meinem Leben am nördlichen gestim
ten Himmel habe Strahlen schießen
sehen. Die Nachtigall singt dunkelblau
—- dunkleblau Zwie der Rachthimmel
selber, daß man die beiden kaum von L
unandee unterscheiden kann. Die
Lerche singt jenes wundervolle Korn
gelb der reifen Lichten das Noth
ichwiinzchen ein allerliebstes bläuliches
Grau, die Schwoihe weiß. der Nuß
hehet, der spöttische Gesell, ein tiefes
Schwan ich mag den geschwiiyigen
hirnlasen Burschen auch deshalb nicht
besonders leiden; die Drassel singt
dunielgkiin. und sast alle Farben fin
den sich unter den Sängeen des Wal
des, alle, mit ihren leisesten Schein
tungen —-— nur nicht hellt-law Kein
Vogel, und das isi etwas. watiidet ich
schon oft und lange nachgedacht, singt
hellblau, und nur ein einziges Mai,
und zwar eine einziqe Nacht. habe ich
eine Nachtigall gehöri, die hellblan
sang, und das war das schönste Hirn
eneiblau, das man sich nur denken
sann-«
»Und nie wieder hat sie gerade so
gesungen?« fragte Georg, den, er
wußte-selber nicht weshalb, ein eigenes
Gefühl der Theilnahme für den Greis
beschlich.
«Nie wieder«, sagte der alte Mann
«leise, «es war ibr Sterbelied gewesen,
denn am nächsten Morgen fand ich sie
todt in demselben Busche todt und
unverletzt, und habe sie auch dort, wo
ich sie sand, nachher begraben. - - Jch
werde den Tag nie vergessen; es war
derselbe Morgen, an dem die Kinder
wieder von hier erdreisten, und wie ich
da drüben unter dem Busche bei dem
stodten Vogel saß, liefen mir die hellen
;Thriinen die Backen herunter. Jch
weiß aber wahrhaftig nicht, ob ich über
»den Vogel oder über die Kinder ge
weint habe, die ich — wenigstens beide
ist-samtnen nicht wiedersehen sollte.«
Der alte Mann schwieg und sah
Jsiill und traurig vor sieh nieder, und
Hauch Georg wagte im ersten Augen
fbliete nicht die Stille zu unterbrechen
kson welchen Finder-i sprach der Greis,
Land me ei meht etwa gar die eigene
Jugend die an das her-z dieses alten,
arme Baldbewohneri gestopft und
die Erinnerung darin zurückgelasen
shattei —- Er nahte daeiiber Gewiß
xhsit W;
s »Das sin Kinder, Forstwart?«
Istagte er mit so viel Gleichgtiltigieit
Falk möglich im Tone.
; «Das eine kennen Sie, gnädiget
Herr«. sagte da der alte Mann, «ei
ist unser gnädigstet Herr Gras, den
Gott uns noch recht lange erhalten
möge. s— Wie hübsch und schlank und«
kräftig der emporgeschossen ist« und!
wie viel Freude er schon seiner braven
Frau Mutter gemacht hat. baß sie
wohl stolz aus ihn sein dars!" :
- »Und das anderes-» fragte Geatg
nach sichtlichem Widerstreben, als der.
alte Mann hartnäckig schwieg -—1
»was ist aus dem andern geworden?' !
»Da fragen Sie den lieben Herr-l
gott!« seufzte der alte Mann, »der
andere Knabe war sein Bruder. —
Aus ein haar sast glichen sich die bei
den jungen herren ,und so wild und
lebenslustig waren sie, und so gut. so
engelgut dabei! Der jüngste besonders
war ein herzig Kind ich sehe ihn
noch vor mir mit den langen dunkeln
Locken und den großen, sterngleichen
Augen -—-- und ich durste mit ihnen
durch den Wald gehen und ihnen das
Wild zeigen. und die Stellen, wo die
saftigsten Erdbeeren wuchsen, und der
kleinste faßte mich dann an der Hand
und fragte mich, wie hoch der Himmel
noch über den hohen Bäumen sei, und
ob es wahr wäre, daß die Sterne dort
droben die Augen von lieben Engel
chen wären, die herabschauten aus die
Kinder, ob sie auch brav und gut wä
ren und ihren Eltern Freude machten?
Und dann erzählte er mir von sei
nem Vater, daß er gestorben und zum
lieben Gott gegangen sei und sie, die
beiden Knaben, mit der Mutter hier
allein zurückgelassen hohe, und
Gottes Zorn!« murmelte der alte
Mann vor sich und wandte sich ab von «
Georg, denn er schämte sich vor dein·
Fremden, daß ihm, selbst in der Er
innerung an iene Zeit, die sein herz
mit einer eigenen Wehmuth erfüllte,
die Thriinen 1n’s Auge gelommen wa
ren.- Georg aber, der ihn mit schmerz
Ilieber Spannung beobachtete. war das
nicht entgangen, wenn ex auch that. als
ob er es nicht bemerte; hatte er doch
Milbe aenug, die eigene Rührung nie
derzulämpsen. Endlich, sich gen-akt
sam zwingend, saate er leise: »Und
von dem andern Knaben habt Ihr nie
wieder -s den andern Knaben habt
Jhr nie wieder gesehen?«
«Nein", erwiderte der Alte; »da
nrals blieben sie acht Wochen bei uns,
und kein Tag «verging, wo wir un
nicht zusammen hier draußen herum
geturntnelt hätten. Ein paar wilde
Burschen waren es alle beide, und tolle
Streiche haben wir mitsammen ausge
führt. Der jüngste besonders der
tleine Tolllops tonnte mit mir machen,
was er wollte —-— schien sein Herz an
mich gehängt zu haben. Aus mir ge
ritten ist er sogar, ost und ost, und
hat mir dann versprochen. wenn er
einmal groß wäre, wollte er mich zu
seinem Stallueister, und Gott weiß
was sonst noch machen. Dann gin
gen sie fort, nnd ich blieb hier zurück J
— als Fortwart, Waldlöuter oderr
was Sie wollen. -—— Ein paar Mal
noch ließen mich die Knaben, besonders
der kleine Georg -—-— er hieß wie Sie,
gnädiger Herr, Georg ss grüßen
dann war auch das vorbei. Ich selber
vergaß die Kinder wohl nicht« denn
wenn uan so ganz allein steht auf der
Welt, vergißt man nicht so leicht etwas,
an dem das Herz einmal so gehangen,
wie an den Kindern, besonders an
dein jungen her-rn. Während aus den
Knaben aber Männer wurden, hörte
ich endlich, daß der eine mein armer
kleiner Georg —- Deutschland gar-»
verlassen bade und —— in der Fremde
gestorben fei, und da lonnte ich denn
natiirlich nichts weiter thun, als —
utn ihn trauern.«
.Und habt Jhr seinen Bruder nie
nach ihtn gefragt?« sagte endlich nach
langer Pause, während die beiden
Männer schweigend neben einander
hingeschritten waren, Georg.
Der Alte schüttelte mit dem Kopfe.
»Das ging nicht gut'·, meinte et; »soll
te ich die Wunde im Bruderherzen wie
der aufreiseikt Und ich war froh und
glücklich, daß ich wenigstens den Einen
wieder hatte und mir in dessen heite
ren, männlich schönen Zügen das Bild
des Andern heraufrusen und festhalten
konnte. Die Jahre sind auch drüber
hingegangen, nnd wie der Hügel auf
dem Grabe des längst Entschlaienen
eingesunien sein wird, sind meine
Wangen eingefallen» ist mein baue
gehleicht, und ich dachte taum, daß ich
noch einmal so lebhaft wieder an ihn
denken wiirde, bis ——— bis Sie neulich,
gnädtger herr, mit unserem gnädigen
Grafen in den Hof einritten.«
»Ist-W rief Georg nnd suchte die
Bewegung zu verbergen, die seine
Stimme zittern machte.
«Ja«, sagte derGreis, und unwillkür
lich suchte sein Blick dabei den des Be
gleiter-O »wir ich Sie Beide zusammen
und neben einander, in alt' der Kraft
männlicher Schönheit, Beide einander
so ähnlich, und doch auch wieder se
verschieden auf einmal.por mir sah.
war ei plsslirh als ob eine Stimmei
f
in meinem Innern spräche: da sind sie
-- die Zeit iß wiedergetommen, die
’du so heiß ersehnt; er ist nicht todt,
der tleine Georg. sondern zurückge
-tebet, wie er es mir als Kind. seine
kleine hand in der meinen. fest ver
sprochen. ----— Jch hatte mich doch ge
iert; und nur daß Sie Geotg heißen,
ist ein mertwiirdiger Zufall. Fünf
undzwanzig Jahre sind freilich eine
lange Zeit; aber, lieber Gott! mein
alies herz bat sich doch geirrt. denn
was man eben wünscht, erboift man
ja auch gern.«
»Und Jbr habt den Knaben also
noch nicht vergessen- Barthold?«
»Ich? -- - das Kind? nein, mein
gnädiger Herr. Jch weiß nicht, wei
halb ----- es war nicht mein Kind und
ging mich auch weiter nichts an als
daß es eben der herrschaft angehörte
und vielleicht einmal später selber mein
herr geworden wäre; denn uns alten
Dienstboten geht es wie dem Jnventar
auf den Gütern, zu dem wir auch mit
gehören —-s wir wechseln die Besider
Aber ich glaube, der kleine Bursch hat
te es mir damals mit feinen llugen.;
treuen Augen angethan ----— vielleichts
mit einer Kleinigkeit die aber bei uns
Menschen ost wunderbaren Einfluß
ausübtf
»Und die war?« -
»Ich batte die Kinder gebeten. mich
» ich weiß eigentlich selber nicht wes
halb. bei meinem Vornarnen Franz zu
nennen, der Aetteste aber, unser gnä
diger here Gras ietzt, der auch schon
ein bischen besser mit den Leuten um
zugehen wußte, tonnte oder wollte es
nicht merken und nannte mich nicht
anders als Barthold oder Farstwart.
Der kleine Geotg aber — Sie dür
fen es mir nichtiiber deuten. daß ich
ibn noch so nenne, denn iiir mich ist
er der »kleine Georg« geblieben, alle
Zeit - that mir den Willen und
nannte mich Franz: und einmal, wie
er Abschied von mir nahm, hat er mich
sogar geküßt« und von der Zeit an, wo
ich die Kinder in die große Kutsche
steigen und mir nach einmal mit den
Tüchern winken sah, war ·es mir. als
ab Alles, was ich noch ans der Welt
mein nenne, mit dem Kinde auf Nim
merrviedersehen geschieden sei.---Aber.
lieber Gatt! ich schwatze und schwake
da von Dingen. die Euer Gnaden un
möglich interessiren können. Halte-i
Sie es einem alten Manne zu Gute,
dem ei überdies selten genug gestattet
ist« sein herz einmal einem Nebenmem
schen auszuschiitten Jch fühle, daß
ich Sie gelangweilt babe."
»Das habt Jhr nicht« Barthvld«,
sagte Georg, der gewaltsam die in ihm
aufsteigende Rührung niedertäinpsen
mußte, um fich nicht zu verrathen.
»Ihr habt mit überdies vorher gesagt,
daß Jhr Euer herz nur Euren Freun
den gegenüber öffnen möchtet, zählt
mich dazu vvn jetzt an, ich meine es
gut mit Euch. Nehmt meine lhand, sie
ist Euch gern geboten, wenn ich auch
« Euer tleiner Geora nicht bin,
für den Jhr mich gehalten.«
«Gna«diger Herr«, sagte der alte
erftrvart verlegen, indem er schüch
tern seine Hand in die ihm dargebo
tene Rechte seine-s Begleiter-? legte - -—
Sie sind so gütig . . ."
»Weil-in führt dieser Weg?« unter
brach ihn jth Georg, der das Ge
spräch abzubrechen wünschte, denn er—
vermochte nicht länger dem Alten ge
genüber kalt und gleichgültig zu schei
nen.
»Mitten in den Wald«, lautete die
Antwort; »ich muß tausendmal urn
Verzeihung bitten, wenn ich Sie einen
falschen Weg geführt habe. Wir find
hier gleich an der Grenze, und ich;
wollte eigentlich nur nach eineml
Fuchsbau fehenz ich habe gar nicht da- ;
ran gedacht, daß Sie i
»Es schadet nicht-; ich habe nur ei
nen Spazierrttt gemacht, und jede
Richtung bleibt fich da gleich. Aber ich.
will jetzt umtebren. Adieu, Bartholo,
sorgt nur hübsch fiir Eure kleinen ge
fiederten Freunde, die SingvögeL denn
ich habe sie ebenfalls gern, und
wenn Ihr einmal etwas habt, das
Euch auf dem Herzen liegt und das
andere Hülfe verlangt. als sie Euch
gewahren können, dann tomrnt unge
scheut zu mir. Wenn ej in meinen
Kräften steht, helfe ich Euch. Lebt
wole Mit den Worten wandte er
sich zu seinem Pferde, das auf sein
Zeichen rasch berbeigetrabt kam,
schwang sichs in den Sattel und ritt
langsam den Weg wieder zurück, den
er mit dem Alten berausgetomtnen.
Barthold blieb noch lange, wie ihn
Georg verlassen hatte, im Wege stehen
und schaute ian schweigend nach, dann
feste er seine Pelzmtthe, die er betnti
Abschied sbgenarnrnem wieder auf und
murmelt, leise, während er sich fest tn
des Wald wandte: «Gerade so würde
mein tleiner Georg iwobl auch zu set
nem alten Freunde gesprochen haben;
gerade so sähe er vielleicht auch aus,
aber --«-— du lieber Gott! alter Franz,
was bilst eö dir? er tst ei ja doch
ntcht,- und wenn et wiedergetetnmen
waret -——— wer weiß, ob er dann noch:
so freundlich mit dem alten Forstwart, H
der ebenva dichte weiter als ein
Forstwatt ist, gesprochen hätte, und
dann -— dann hätt« es mit freilich
noch viel, viel weder gethan, als so
wo et gar nicht wichtig-kommen ist.
- Und Ieise noch viel mehr vor sich
hiuspteichend und langsam dazu mit
dem Kopfe nickenv, verfolgte er seinen
(Foktsehung folgt.)
Vom Crmkgeld und feiner Ge
schichte.
l
E Der berühmte Rechtel ehree Jhering
erzählt in seiner Streitschrift gegen.
»das Trinkgeld von einein Freunde, dee
sich für Reisen eine besondere Dinger-«
lasse eingerichtet hatte, aus der er aller
Ausgaben bestritt, deren Bezahlung
aus dem gewöhnlichen Poetmon-»
naiee ihm die gute Laune ge
eaubtf haben würde. Gewiß, dies
Trinlgeldersrage ist ein Erzseindx
des Neisedergniigens, sie wirft im!
Voraus einen Schatten aui die Fe-!
rienfreudr. Aber es iit nun einmal
nichts vollkommen ins. Leben und der
Touriit wird das Trinkgeld eben als
ein Opfer an die duntlen Gewalten
des Schicksals betrachten müssen, mit
welchen der Grieche den Neid der Göt
ter oersöhntr. Stammt doch das
Trinkgeld in seinen llrsptiinaen wahr
scheinlich vom beidnischen Opfer her!
Aber wer denlt, wenn er unwirlch die
Münzen in die hohlen Hände legt, an
alte Besuche. Das Trinlaeldgeben
diinlt ihm eine iinnlose llnfitte, gegen
die er als Einzelner machtlos ist und
in deren Bekämpfung er sich von allen
anderen schmählich im Stich gelassen
glaubt. Wie viele haben still und laut
gemurrt, seit mit dem Aufschwung des
Reiseoerlehrs vor etwa hundert Jah
ren auch diese Frage drohend an die
Gemüther oder vielmehr an dieIaFchen
pochte! Heine und Laube haben dar-—
über gespottet, Viktor Hugo und Guy
loio dagegen gewiitet. 1822 begann
dann Jhering mit seinem Aufsehen er
regenden Wertchen einen Kreuzzug
Reformhotels entstanden, Amt-Trink
geld- Vereine wurden gegründet, eine
Weile hilde das Thema eine stehende
Rubril in en Zeitungen nnd —-— alles
blieb beim Alten. Die Heißsporne, die
das Trinlgeld mit einem Schlage ane
rotten wollten, iibersahen. dass sie es
nicht nur mit einer Unsitte, sondern
mit einer Sitte zu thun hatten, die un
ter anderen Formen schon lange be
ltand und aus der ganzen Welt besteht
Ein solches Element läßt sich nicht ein
sach ausslreichem s
Das Alterthum freilich scheint von
dieser Einrichtung nichts- qetvußt zu
haben. Die fo völlig andergartige
Auffassung jener idealen Reiten leuch
tet hell aus der einen Thatsache hervor,
daß der Wirth feinem Gaste ein Ge
ichenk gab. Doch ans dieser ganz ent
gegengesetzten Sitte scheint sich dann
allmählich schon ein Virtuan des
Trinkgeldes entwickelt zu haben. Der
Gast revanchierte sich; er befchenite sei
nerseits Kinder nnd Sklaven dseWir
tes und es lag in der Natur der Sache,
daß die Geschenke des Gaste-, je mehr
die Gastfteundschaft in späteren Zeiten
gegen einen regelrechten Hotelheteieb
zurücktrat, immer größer. reichlicher
wurden, die des Wirthe-:- immer kleiner.
Die schlauen Diener-, wie sie in den
Komödien des Mennnder oder Plau
tus erscheinen, kenne daher, wenn auch
nicht das Wort, so doch den Begriff
des Trinkgeldes fehr genan, und auch
im Mittelalter taucht er halt-, wenn
auch unter anderen Namen, anf. Der
Mensch will ia nicht bloß trinkenJr
will auch essen und sich kleiden. So
tritt uns zunächst das Botenhrot ent
gegen; in anderen Ländern heißt die
freiwillige Zugahe zu einem Lohn
Handschuhgeld, so bei den Jtalienern,
Spaniern, Engländerm oder auch
Strumpfgeld oder Nadelgeld. Wie
Meint-qui in seinem Büchlein iihee das
Trinkgeld in Italien ausführt, han
delt es iich dabei urn Dinge, die in ei
ner noch nicht zur reinen Geldtvirth
fchaft gelangten Zeit an Stelle der
klingenden Miinze traten. Der Hand-— i
Muh, nach mittelalterilcher Symbolit !
der Vertreter der Hand und damit des j
ganzen Menfchen, bedeutete fs als Ge— ;
fchent eine besondere Ehrung; in ei- ’
neni materiellen Zeitalter war es
freilich dem Befchentten lieber, wenn
fich in dem handfchuh auch noch ein
Paar Geldftiiete befanden. Jn dieser
Zeit der Gaben inNaturalien hieß das
Trinkgeld auch vielfach Viehgeld und
im Orient wird noch heute bei der
Pilgerfahrt nach Metla ein Hammel
oder ein Lamm als eine Art Trintgeld
»für die Priesterdiener geopfert.
Für gute Dienste darf der Arbeiter
auch eine Belohnung verlangen. Nur
fiir gute Dienfte ward zunächst ein
Trinkgeld ge eben-· Ein Bote« der
willsornmene achricht iiberbrachte, er
hielt das Botendrot. Zuerst sicherlich
als Speife und Trank. Diese Quits
tierung ift dann im späteren Mittel
alter fo üblich, daß das Vorfetzen von
Wein und Brot fo viel bedeutet, wie
richtige Bestellung einer Botschaft
Ader rasch trat an die Stelle des Ef
lens der ilingende Dant. Jn! Ortnit,
’einern altveulschen Heldengedicksi. heißt
es: «l1nd wenn Dies recht nicht sa
gest, so geht es Dir ans Leben, sonst
will ich Dir zwölf Spangen Zum Bo
lenlrtote geben« Auch Siegiried bit
tet Kriernhild, da er die glückliche Ver
lobung Gunthers meldet. unt sein »be
tenbrot" und erhält 24 schwere goldene
f--«llrrnbänder. Noch reichlicher wurden
im Ribelnngeniied Etzels Boten, Wer
bel und Swernmel belohnt, und siir
eine gute Nachricht gibt ein Fiirst ist, ja
100 Mart inach unser-m Gelde 100
und 1000 Doilnrs) ols Trinkgeld.
Botenbrot heißt bald jedes für einen
Diensi gegebene Geschenk Daneben
aber erschienen auch schon die Bibalia
und Biberngia, wie sie in lateinischen
Urtnnden des 10. und 11. Jahrhun
derts genannt werden, zu deutsch dass
Trinlgeld. Trinken, von alter-Hirn
eine haupifreude der Deutschen, ist
das Besie, was man einem Manne.
dem man wohl will. gewähren laan
Mit dem Zutrinlen wird sriib schon
eine Spende verlniipit das Einsehen
len nird zurn Schenken Eis · Kanne
gefüllt mit iöstlichem Naß :st das an
genehrnste Geschenk; depnalb degeanen
nsir dem Begriff in unserer uligemei
neren Bedeutung bei den meinen Völ
kern. Der Russe belomrni Simon
gelb, der Chinese Tbeege d der Tiirle
sinsseegeld. ver Ennlönder Zins-ein
der ilngar »auf Wein« ivorke.valo),
der Portugieie »Hu ei nein Tropf-UT
der Spanier nnd Italiens-r »: sm stn
ltinlen«. Lange erscheint auch neben
dem Botenbrot die Bezeichnung Wege
gelb.
»Es war im 16. Jahrhundert in den
verschiedensten Bernfen nnd Gesell
schaftstlassen durchaus etwa-J Natiir
lich-es nnd Gebrättchliches« um ein-.
Trintaeld zu bitten· Professoren nie
Pedelle thaten es bei Doltorprosn«tio-«
nen. Dürer geht den Patrizter Jalah
Helfer nach der Vollendung der sitt
inn aemalten AltartaseL der Hin-met
sabrt Mariae, um ein Trtntacld site
seine Frau, nnd seinen Bruder Don-.
der mitgebolfen, an; er bemertt: »Das
steht Euch zu«, dac- beistt. ers- bleibe
ibtn überlassen. aber er danlt dann,
wie für etwa-Z ganz Selbstncritiind
liebes. Auch zur Zeit Raben-, bestellt
noch das Handschuhaeldx als er mit
dem Antwerpener Domlaoitel den
Vertrag iiber die große Kreazabnabnte
schließt, erhält er für seine Frau Jia
della Brant »ein Paar schöne Hand
schub im Wer-the von 8 Gulden nnd 10
Stiiber.« Da der Brauch der Trink
aeldemdfanaens nach und nach besons
ders bei Beamten lZur Sitte wurde, to
entstanden daraus viele PriviLeaten
und Gewohnheit-Turbia wie es deren
in der Zeit des Absolutiomns io un
zählige gab. Sie verrathen sich zum
Theil.garnicht mehr als ursprüngliche
Trintgelder. doch bei manchen läßt es
sttld noch nachweisen Als die Gnaden«
fülle dieser Privilegien durcn die Re-:
volution und nachher mit eifernem Be
sen fortgesetzt wurde, da toar es nur
erklärlich, daß allmählich wieder ein
neue Form des Trittlaelderfeaens ans
trat. Sie ist heute das Privilea eines
bestimmten Standes, der Dienstboten,
und einer bestimmten Sphäre des Ho:
telz usw. geworden. Aber in diesem
Umkreis macht die Herrschaft des
Trinlgeldes nicht halt. Sein Reich
erstreckt sich iiber die ganze Wett· nir
aends versehtt es feinen Zweck und
seinen guten Einfluß: stets gleich
bleibt sein Zauber über die Menschen,
so wie damals, da es noch Botenbrot
und Wegeaeld hieß
Dr. Friedrich Spreen.
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Glück, daß Sie alfche Wut-l habet-!
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worum denn nich-, Kerlchen-«
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