Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, June 23, 1911, Zweiter Theil, Image 10

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    Lcim Erzählun- g E t It Fr i e d e It S st" o r e r ? Von Victor Bläthgen
Wsnfn
l. s 4
Dir klare herbstsonne schien aus
Velchow so warm, wie sie nur je einein ;
War erschen Gutsdprse den Nach-J
chrn des Sommers gespendet.H
lich stand sie im Augenblicke ausj
der Höhe ihrer Mission; denn es wars
en drei Uhr Nachmittags Bei der
allenen Klarheit. welche die Lust
in dieser Jahreszeit namentlich in Ge
genden hat, wo die Nähe der See sich
bemerllich macht. gewinnt der unge
diimpste Sonnenschein leicht etwas
siendendes, und wohl darum zog das
junge Mädchen, welches vorn Herren
hause her über den Gutsbos schlen
derte, an einer Gummischnur den vor
dern Rand des gelben Schwingers
Mulichsi tief iiber das hübsche, leb
haft gefärbte Gesicht.
Sie nahm den Weg zum Dorsaus
sange. iiber uraltes holpriges Stein
pslaßer, zwischen dessen Ritzen in drei
ster Ueppigteit Gras, Löwenzahn und
Uegebreit wucherten; rechts die Ber
basvng des Kuhringes linls ein
gänzlich sich selbst überlassenes Stiiet
Land« das die ziemlich verfallene und
perbriickelte Lehmrnauer des Gutes ab
schloß. Der Kuhring war leer: die
Kiilse konnte man weit jenseits des
hoses im Wiesenlande beobachten, wo
sie eingeioppelt mit erbobenen
Schwänzen berumgaloppirien oder
friedlich weideten. Nur Spatzem
Tauben und Hühner trieben sich in
Ringe umher. in diesem Augenblick
das einzige Lebendige« welches die
junge Dame aus dem Hose gewahrte;
denn die Störche, welche während des
Sommers das halbe Dutzend struvpi
Nr Nester aus den Scheunen und
Ställen da oben bewohnt hatten, wa
ren bereits vor geraumer Zeit aus die
Wanderlchast gegangen. Das öde
Stück Land links, zwischen Herren
haus und Mauer, war durch Nesseln
fast unzugiinglichz dieselben beschiiyten
mit ihrer abschrertenden Eigenschaft
ein paar Obstbaumruinen, welche
kaum noch Blätter, geschweige denn
riichte trugen, und gegen die Mauer
eine Wucherung settstroyender
llundersiräucher, deren bläulich
tles Grün den bekannten satalen
Geruch bis zu der Spaziergängerin
herüberstrsmta s
Jhr feines Räschem das nur ein
wenig kurz gerathen war« guckte denn
auch mißmuthig während die muntern
braunen Augen mit Wohlgefallen dem
Fluge etlicher Nesselfüchie und
Jfauenaugen folgten;, die Finger
machten sogar einmal den Versuch, ei
nes der lettern einzufangen, wiewohl
vergeblich. Diefe Finger waren gut
geformt, verrietben aber den Einfluß
von Luft und Sonne: denn sie zeig
ten die Farbe leicht angerauchten
Meerschaums. Eine andere Hat-Obe
tleidung als diefe halbbandfchube aus
Zwtrnmafchen, toie fie jetzt den vom
Fermel nicht bedeckten Unter-arm
schätzten, hatte die junge Dame wohl
nur ausnahmsweise getragen.
Sie trat durch den Thorweg dessen
in Ziegel aufgemauerte Pfeiler durch
zwei stattliche Findlingsblöcke aus
Sranit als Prellfteine geschützt ma
ren; von den nicht fo gut verwahrten
Pfeilerlspfen war der eine herabge
stürzt, das Material bis auf den
Rumpf des Sandfteinlöwen, der in
Gras und Neffeln halb verborgen
ruhte, verschleppt worden« Der an
dere Löwe hatte feinen Platz behaup
tet· zeigte sich aber —- vermuthlich
durch Steinwiirfe der Jugend — bis
sur Unienntlichleit verstümmelt Allesl
trug den Charakter des Rutnendaf
ten, selbst die Thorflügel deren halb
vermorschtes aschgraues Holz mit
grünglänzendem Movse bewachsen war
und an ein paar Stellen in breiten
Lilcken klaffte.
Für das junge Mädchen hatte das
offenbar nichts Befremdliches. Mit
der heiterm Unbetümrnertheit ihrer
Jahre —- fre konnte deren taum mehr
als achtzehn zählen —- furnmte sie ir
gend etwas vor sich hin, während der
Mund wiederholt wie von einem
munteren Einfall in leisem Lächeln
zuckte und die braunen Augen nach
Art den Kinderaugem bald hier, bald
da. an irgend etwas Unbedeutendem
hafteten, das ihre Aufmerksamkeit er
regte. Sie schritt links an den ver
witterten Kopfweiden eines Tümpels
hin, dessen tintenfarbenez Wasser zur
Dälfte mit Wasserlinsen bedeckt war,
Wegen zur Rechten aus einem funk
pfisen Terrain die Stämme von
sw, Etlen und Bitten ragten, die
Mtter bereits von den Farben des
herbstes angetrckntelt
Am Teiche faßen Kinder und belu
ftckp damit, Kllirnpchen von dem
Moses-preisen Erdreich des We
- set lissqun und sie nach den En
- werfen welche zwischen den
Mttertera
»Es-leite Amte-Mark Fräulein
.Iss·-MM!« Mär-IRRLICHT Abtei
- UW i r a «
« M. W Ding von etwa
» » wem zu der Mag-Isidor
stic- M Atti-·- Its
FIMJWWWUI a
Augen halb verlegen, halb vergnügt
an. «
»Na. Dirning, wie geht es Dir?
Du bist schon lange nicht aus dem
Hofe gewesen. Gott bewahre, wie
siehst Du aus! Den halben Shrup hat
sie wieder im Gesicht.«
»Ich kann's auch noch, Frölens
nickte das slachshaarige Ding und
machte ganz verschmiyte Augen dazu.
»So? Na. da sag’s mal aus!«
Und ohne Stocken plapperte das
Kind:
«Gösselten, Glattsnut,
Süht so gel als Rand ut,
Hei ’n Kleed von Sanstmanschester;
Schenl mi dat sör mine Swester!'«
»Gehst DU, was Du tlug dist,
FriedingS Du mußt nun wohl bald
zum herrn Mederoto in die Schule
gehen. Wenn Du wieder zu mir aus
den Hos kommst, sollst Du was Neues
lernen. Wo hast Du denn LiittiJes
hann heute gelassen?«
»Da,« sagte die Kleine, nachdem sie
den Finger aus dem Munde genom
men, und deutete zu einem dürftigen
kleinen, vielleicht. anderthalbjiihrigen
Geschöpf hinüber, welches aus dem
Bauche im Grase lag und das junge
Mädchen aus großen Augen wie ein
Meerwunder anstarrte.
Die nicht allzu schlanke. blühende
und doch unbewußt vornehme Gestalt
glitt mit einer weichen Bewegung nie
der, um den ziemlich schmußigen Lilit
Jehann aus die andere Seite zu dre
hen, woraus sie ihn nach einer weite
ren Anstrengung glücklich zum Sigen
brachte.
»Wie der Junge gewachsen ist!«
ries sie mit naioem Staunen. »Wie
kann so ’n lleiner Kerl in ein paar
Monaten so wachsen! Aber ein kleines
Fertel hist Du, mein süßes Pathchen,
und ich wollte Dich wohl gern abwa
fchen, wenn ich nicht vorher wüßte,
daß Du siins Minuten nachher gerade
wieder so aussehen würdest, wie seit.
Na, Adschiis, Frieding und laß Dei
nen Bruder nicht in’S Wasser fallen.
und ihr Kropzeug: werst mir die En
ten nicht todt, sonst sliegen sie in den
himmel und oerllagen Euch beim lie
den Gott«
«Adschiii. Frölen Anne-Marie!«
scholl es hinter ihr drein, immer poll
stimrniger, immer lauter und lustiger,
und gleich draus pats ten wieder ein
paar Erdtlumpen in as hoch aus
sprigende Waisen
Die junge Dame schritt lächelnd den s
Weg zwischen den häuschen des Dor
sek hin. Die niedrigen hätten, stroh
gedeckt, zum Theil sichtlich sehr alt,
gehörten sämmtlich zum Gute und
wurden oon dessen Arbeitern bewohnt
das war siir jeden aufmerksamen
Beobachteriauszer Zweifel, der ähnliche
Gntsdiirser in der Gegend einmal stu
dirt. Zwischen Fachweri und Lehm,
mit mehr oder weniger sauberern An
strich, überall dieselben niedrigen
Fenster, grüne, halbblinde Busen
scheiden, dahinter wohl die rothe
Blüthe von Geranium oder die lichtere
von Nelten. Nur die Schmiede, zu
gleich Stellmacherei oder Nadrnacherei,
wie man hier sagt, und Tischlerei,
zeichnete sich durch aparte Form aus:
zum Hause tam noch die angebaute
Werkstatt mit dem überdeckten Schup
pen daneben und einem Unterstands
dache vor der halben Fraun
Jn der Thür der Werkstatt stand
eine Frau; sonst war die Dorfstraße
wie ausgestorbem es war Herbstbe
stellung draußen, dazu der Anfang der
Grummetmahd. Die Frau hatte ein
rothes gebliimtes Kot-stach überge
bunden, und ihre Kleidung war die
einer einfachen Städte-rin. Sie sprach
noch ein paar Worte in den Raum
hinein, aus welchem der knirsehende
Ton des Hobels drang, wandte sich
dann herum und kam lebhaft die nie
drige Böschung heruntetgtsprungen
als sie hie junge Dorne gewahrte.
»Guten Tag auch, gnädiges Fräu
lein; ich wollte eben einen Gang zu
Jhnen thun: nun kann ich’z wohl
gleich unterwegs abmachen.«
Sie reichte der Aniommenden ver
traulich die hand; war sie doch mit ihr
als Pilegerin der Zwölijährigen nach
Pelchow getommen und in dieser
Stellung verblieben, bis sie den Rab
ntacher das Gutsiactotum, geheirothet
hatte, und bei Liitt:Jehann, ihrem
Jüngsten, hatte Anat-Mark von Leb
zow Gevatter gestanden. .
»Habt Jhr etwas auf dem Herzen,
Radinacherin ?« fragte bie junge Dame.
»Ich will ein Stichen in’s Holz hin
auf gehen. und Jhr könnt mich ja ein
Stück begleiten; da wollen wir-i be
sprechen. —- Ah, guten Tag, Herr Me
derow!«
Aus dem schmalen Wege, her hin
ter her Schmiede herum führte, stieß
eine dritte Person zu der Gruppe, eine
lang-, Mchtige Figur in ziemlich
est-gess- fchwotsem Zuzuge, wel
cht Ok Mit M Most-Wulst Hohes
w Minderheit dont Kopfe riß und
I ei- purtnol so tin versengte, daß
die langen Arme sast bis zum Erdbo
den nichten
»Ich erlaube mir. das gnädige
Fräulein devotest zu sragen,' stotterte
der Schullehrer, »vi) Dero Herr Onkel
zu Hause sind?"
»Ich bedaure, mein lieber herr Me
dervw. er ist seit gestern in Branis
aus der Jagd und wird frühestens die
sen Abend zurücklammen. Wünschen
Sie etwas von ihm?« l
»Ich möchte wohl sa kühn sein. Der
herr Baron haben die Gnade gehabt,;
mir zu versprechen. daß der Schweine-— ;
behölter hinter dein Schulgebiiude neu
ausgemauert werden sollte; das ist nun
schon ein Jahr her, und mittlern-teile
ist das Behältniß von Tage zu Tages
schadhaster geworden, bis vorhin auch?
die zweite Wand und mir ihr die Be-!
daehung dein ungestümen Drangen der
Viersiißler erlegen und eingestürzt ist.
Wie durch eine besondere Gnade ist
dem Vieh lein Schade weiter gesche
hen. nur daß dasselbe anjezt obdachi
los ist. So wallte ich denn unterwa
nigst ansragen, ab ich hassen diirste —«
»Mein guter Herr Mederow,« fiel
die junge Dame hier ein« «Onlel
Baddin ist jejt in einer schwierigen
Lage. Wie Sie wohl gehört haben,
geht in der Verwaltung des Gutes eine
Veränderung vor. und es ist ungewiß,
wieweit die Befugnisse des Onlelö
l
noch reichen —« die blühenden Wan
gen der Sprecherin übergoß plödlich
ein dunkles Rath, und zwischen die
Augen legten sich seine Fältchen des
Unmuthes — «lurz, ich wiirde Jhnen
nicht rathen, seht seine Hälse anzu
rusen. Warten Sie wenigstens ein
paar Tage noch!«
»Sie können die Schweine zu uns
her treiben. here Mederow: wir haben
Plad sür fie,« wandte sich die Rad
macherin an den Lehrer, »Ich habe
doch immer gedacht. daß das alte Ge
rümdel eines Tages zusammenbreehen
würde.«
»Wenn ich mir das erlauben
dürste,« sagte der Häsliche mit einer
Verbeugung zu dieser. »Wir müssen
die Ereaturen aber erst einsaugen. Ich
empfehle mich bestens und bitte, auch
dem Herrn Baron meine unterthiinig
ite Empfehlung auszurichten« »
»Adieu, herr Mederowl Grüßeni
Sie Jdkk Fkau schönsten-» nickt-(
Fräulein Blum-Mark und schritt miti
der Radmacherin weiter, während der
Lehrer den Rüeiweg antrat.
blaue-Mark stieß einen Seusger
aus. und ein Schatten lag aus ihremi
sonst so llaren Gesicht.
»Ich fürchte, ich sann auch Euch
nichts Besseres sagen, Radmacherin,«
meinte sie. »Was habt Ihr aus dems
Herzens« ·
Willch mein Mann wollte gern nochs
das zweite Stückchen Acker hinter un
serm hause dazu dachten. Es ist ge
stern umgepsliigt worden, und wir
möchten die Sache in s Reine bringen
ehe es vom Gute aus bestellt wird. Es -
wäre so vortheiihvit iiir uns; denn»
wir lönnten dann Alles, wag wir im
hause brauchten. selber ziehen. Der
Radmacher hat schon einmal mit dem
herrn Baron darüber gesprochen, und
er hat gemeint, er werde sich die Sache
bis zum Herbst überlegen. Und nun
wollte ich das gnädige Fräulein bitten
ein gutes Wort sür uns einzulegenK
Die junge Dame schüttelte traurig
den Kopf.
»Ihr tommt ein paar Tage zu spät. !
Radmacherin,« entgegnete sie, und es
mischte sich ein Klang von wehmüthi
er Resignation in ihre Worte. .Der«
Enkel dars bezüglich der Verwaltung
von Pelchow nicht mehr selbstständig
verfügen In den nächsten Tageni
wird ein Admtnisirator eintressen, der
ihm die Mühe abnehmen wird ein;
Vetter oon mit, von den Teteroweri
Boddiniz an den müßt Ihr Euch wen- E
den. Ich will aber wenigstens dem!
StatQalter sagen, dass er das Stück
vorläufig nicht bestellen soll. «
qNun aber!« machte die Radmache-;
tin verwundert »Das Gut gehört
doch dem gnädigen Herrn. und er lann »
doch daraus thun, was er will? Ich
habe wohl gehskiz -bah«so etwas imi
Gange m. aver ich nave oag sur dum
knen Schnack gehalten.«
»Ich lann Euch das nicht Alles so
aus einander sehen,« meinte Anne
Marie, der es sichtlich widersxrteth die
intimen Familienangelegenlze en zum
Gegenstande einer Erörterung mit der
Frau zu machen. »Aber es ist so.
Wer weiß, ob der Onkel je wieder die
Verwaltung zueiickbetoenrnen wird.«
»Na, Pelchpw bleibt Ihnen doch
mal,« nickte die Radnracherin lächelnd.
»O nein! Das stillt an die Temp
wet. Ich bin so arm wie eine Kir
chenmaus. höchstens was der Onkel
gespart hätte, das wiirde er mir geben
dürfen.«
»Das wird freilich nicht viel sein,«
sagte die Frau verbliisst. »Ja, dazu
mal, wo er noch durch die Straße von
Trebbtn geritten ist nnd die Jungens
mit harten Thalern gegen die Köpfe
geworfen hat —- aber er ist doch so
reich gewesen! Alles kann er ja wohl
nlqt —«
AnnesMarie machte eine ungedulsl
dige Bewegung
»Lassen wir die Frage, Radrnachei
rin! Das ist seine Sache. Was ich
Euch niigen kann, thue ich gewiß gern
»— das wißt Ihr. Jll.den nächsten
sTagen wird aller-let Umwälzung hei
uns vorgehen. MGott, ich wollte,
’die Aufregung siirff den Onkel wäre
serst vorüber!«
. Das Lehte sprach sie mehr zu sich
’selher, als zu ihrer Begleiterin, welche
etwas verschiichtert und stumm noch
ein paar Schrite weiter mitging und
endlich halt machte.
»Ja, da toll ich dann wohl wieder
umtehren, gnädiges Fräuletn?« sragte
sie. Entschuldigen Sie auch, daß ich
mir die Freiheit genommen habe! Ich
hin wohl schuld, daß Sie sich etwas
aufgeregt halten« aber ich wußte das
Alles nicht so.«
»Nein, nein,« wehrte Sinne-Mark
hastig ah, und ihr Gesichtchen zeigte
schnell wieder den ihm eigenen Zug
von Frische und Liebenswiirdigleit,
»Sie lönnen nichts dasiir, Radmache
rin, und vielleicht wird sich auch Alles
gut ahwickelw Die Männer sind nur
immer etwas unt-erträglich und hart
töpsig. Und was mein Onlel ist —
na Adschii5, Fielen!'«
»Adschiis auch. und nichts für un
gut! —- Nein« was sie doch siir ein
gutes Mädchen ist, und ein lluges
Mädchen, unsere Anne-Marie,« dachte
die Radmachetin vor sich hin, indeß
ihre Lippen glücklich lächelten: »und
Fielen hat sie mich wieder mal ge
nannt, gerade wie dazumal, als sie
noch io’n Gör war.«
Anne-Marie von Lebzow ging ra
scher dem Walde zu, dessen bunte Fär
bung schon von Weitem den Lachen
cksaraiter des Bestandes deutlich genug
aussprach Zuerst mochten es noch
trübe Gedanken sein, welche ihr junges
Herz beschäftigten: denn die Fältchen
hatten sich wieder zwischen die Augen
gelegt, und diese Augen waren unru
dig und nachdenklich, und einmal
sagte sie sogar vor sich bin: »Der
arme Onkel thut mir zu leid. Er ist
ja ein sonderbarer Mann. und mit
dem Gelde weiß er gar nicht umzuge
hen, aber daß sie ihm aus seine alten
Tage diese-i Aerger antbun —— ob das
wirklich ndtbig wars Jch verstehe stei
lich nichts ·don .Fideicommissen’ oder
wie die Dinger deißen.« —- Aber dann
kamen ein paar srische Athemziige. zu
denen die reine sonnige Lust so unab
weisbar einlud, und da spannte sich
-ein schneeweißei Band von Altweilxeri
sommet leicht schwebend quer iiber den
Weg und legte sich plöhlich iider Nase
und Wangen, daß sie ans dem Nach
denken ausschrak, und dann lachend die
herbstliche Ueberraschung adliiste, und
nun hatten himmel und Erde das ge
sunde junge Blut wieder. Sie merkte
mit einem Male, daß die llarblaue
Lust voll sliegenden Gespinnstes war.
So weit und srei lag-aus beiden Sei
ten das Land, bis zu sernen Wäl
VIII. VIII Und Da All clclcknllcs Ue
spann; auf der Bruchwiese weit drüben
Arbeiter und Arbeiterinnen heim Heu
machen und ein Stück davon auf dem
Acker — richtig, da stelzten schon wie
der ein Dutzend Kraniche herum. Es
war doch eigentlich ein himmlischer
Tag und eine himmlische Welt!
Sie näherte sich dem Walde mehr
und mehr. Wie doppelte Erfrischung
wehte es von ihm her: selbst die leise
Beimischung von Sterdeduft hatte
nichts Störendes. Die stattlichen
Buchenlronen sahen noch so voll aus«
als dachten sie nicht an ein Kahlweri
den, und die Blätter der üppigen Ha
selhiische, welche sich unter ihnen fast
undurchdringlich dicht am Waldfaurne
hinzogem waren noch grün. Nur sel
ten rieselte ein abfallendes Blatt dro
hen und wirbelte zu Anne-Marie-nie
der, als sie vom Feldwege nach rechts
abbog und zwischen dem Waidrande
und einem tiei eingesenlten Wiesen
hande auf schmaletn Pfade hinschlen
derte. Jm Sonnenscheine gliperten
die Blätter der Dasel; bunte Falter,
HFliegen, seltsam langbeiniges Wespen
und Schnatenvolt flogen auf und ab,
lzuweilen einen Abstecher in die Wie
sensenlung hinab unternehmend. Auch
HssnesMarie stieg ein paarnial nieder«
!um leuchtend violette Orchideen zu
"pfliicken: mit den Blumen im Schooße
’saß sie dann eine Weile still tm Grase
jder Böfchung. Sie dachte an ihre
.verftorhenen Eltern, an die Jugendzeit
sin Greif-main an var wunderliche Le
tlten in der Nähe des Onlel Boddin,
tvas sie einst gefürchtet hatte. Und
sppch w» es hübsch in dek Bei-pude
kung unt sie herum; fie lonnte thun
und lassen, was fie wollte; die rauhe
Irt des Intens, seine Seltsamteiten
und Extravaganzen war sie snun ge
wohnt, und seine Derbheiten hatte er
ihr gegenüber verschluden gelernt. Als
Bettnittlerin zwischen den Leuten und
then war ihr sogar eine Art. von di
plomatischem Wittun Itreii einer
den, with-end freilich d alten iirten
Cchprtj sie von wirthschaftlichen Oesl
mitbringen eifersschtig fern hielt.
sie viirde es nun werdens
IIIIIIIOIIIIIIIOIIIIIIIIIII(
Jst der Buche iiber ihr rasselte und
knatterter es; einEichkäßchen hatte bro
ben den halt verloren und fiel dicht
neben ihr su Boden, daß sie erschrocken
zusammenfuhr-. Ein paar Secunden
genügten fiir das Thierchen, um sich
zu fammeln; dann richteten sich die
klugen Augen aus Ame-Marie, und
im dufch war das anmuthige Geschöpf
zwischen den Haselstauden verschwun
den. Die junge Dame lachte halb
laut; die Farbe kehrte in ihre Wangen
zurück« und sie erhob fich- um weiter
zu gehen.
Ein fchmaler Mg lockte fie in die
fonnendurchspielte Einsamkeit des
Waldes. höher kreischten in den Bu
chenwipfeln: Meifen schwangen sich
mit seinem Metalltone hin und her.
Zuweilen rafchelte et in dem morschen
Laube an ihrer Seite, und fie hätte
gern gewußt, ob es von Eidechfen oder
den feinen Schlönglein herrührte, die
sie wohl auch ichon hatte iiber den
sonnigen Pfad fchliipfen sehen
Eine halbe Stunde mochte Anne
Marie auf bekannten Wegen geschrit
ten fein —- da stand fie vor einer
Schneife wieder in der Nähe des Fahr
wegeö. Ueber ihr ragten Tannen; sie
fand Chamdignons und Steinpilzex
mit plöhlichern Einfalle zog sie ein
frisches Tafchentuch und begann zu
sammeln. Sie hatte kaum die ersten
Pilze aus dem Boden gezogen« alo sich
Wagengeraffel näherte. Jn rascher
Wendung fuhr sie empor, neugierig
den Einfpänner betrachtend, ein Dem
miner Fuhrwerk, das sie kannte; nur
den jungen Mann im Strohhute, der
hinter dem lahmen Lorenz im Wagen
fond lehnte, suchte sie in ihrem Ge
dächtniffe vergebens. Sie stand kaum
dreißig Schritte von der Straße ent
fernt. und der mäßige Trab des
Mietbgauls verstattete ihr recht wohl,
dieses nicht fehr volle, intelligent ge
fchnittene Gesicht mit dem Schmier
bärtchen und dem glemmer auf der
Nafe, der fo moauant faß, auf einen
Blick zu erfassen. , -
Amte-Mark ließ nch wieoer zu oen
Pilzen hinab: sie konnte« nicht leben,
wie der junge Mann sich erhob und et;
was zu dem Kutscher sagte, und nie
er aui dessen Antwort bin mit dem
Zeiaefinger aui dem Niieken dek Alten
tromrnelte. Aber ihr Kot-i boa sich
verwundert herum. da das Fuhrwerk
vlöhlich anbielt, und eine deklemmende
Ahnung iiberkam sie, als sie den
Fremden mit sehr entsrkrlotsener Be
wegung vom Wagen springen und kla
itiichen Schrittes aui sich zukommen
sah. Sie richtete sich haitia aus« nnd
in der Verwirrung schan sie das ani
geraiste Taschentuch aus einander und
ließ die Pilze zur Erde xollen
Der Ankömmling lächelte mit lei
sem Anslua von Spott, indem er ein
wenig den Strodhut liiitete. Er moch
te irn Anfang der Dreißiger stehen,
eine stattliche Figur, deren Formen
durch die Raschheit und knoppe Ent
schiedenheit des ganzen Auftretens
eckiger schienen, als sie in Wirklichkeit
waren. Nein: die breiten, zu wenig
abgeschriigten Schultern bedingten den
Eindruck wesentlich Init
»Den-e ich das Vergnügen, meine
Cousine Lebzow vor mir zu sehen?
Mein Name ist Curt von Boddin von
der Teterower Familie«, sagte er mit
etwas hartemAceent und einem schwa
chen Näseln im Ton. »Auch Doktor
von Boddin, wenn Sie wollen; denn
ich bin Jurist -von Studium und
Landwirth von Beruf. Jch weiß nicht«
ob Sie sich noch meiner Person erin
nern? Jch war vor zehn Jahren ein
mal bei Jhrer Familie in Greiiswald
zum Beiuch und mußte Ihnen täglich
eine Düte mit Bonbons liefern, welche
Sie gewissenhast ansahen-«
»Ach ja!« meinte AnnesMarie nach
kurzem Nachdenken, »ich erinnere mich
jeit dunkel.«
»Nun, dann wären wir ja iiber die
Personenfrage einig. Sind Sie ganz
stiexe hier im Walde, wenn ich fragen
ar «
Die junge Dame snh ihn verwun
dert an.
«Allerdings«, war ihre Antwort.
»Vin! Das sollten Sie aber nicht
sein. Eine Dame dors nicht so saus
tamn und ohne Schuh Aussliige in
die Wälder machen -- - aus verschiede
nen Gründen nicht«
»Ich siirchte mich nicht, Herr —
don Boddin.«
Sie wußte nicht« was sie eigentlich
verhinderte, ihn Vetter zu nennen.
Vielleicht, weil sein Auftreten so et
was halb Bäteritches, halb Polizei
mäßigei hatte
«Jch werde mir erlauben, Sie zu
begleiten«, fuhr er fort. »Das ich
Sie bitten. mein Fuhrwerk mit mir
zu brausen? Oder nein --« unter
brach er sich piöylichx »entschul«digen
Sie einen Augenblick ——— und er«"
wandte sich o ne weitere Umstände nd,
ging zu dein gen nriick nnd sprach
ein pur Worte zum osselenter, wor
aus dieser nickie. Die Peitsche tnalltez
der Schimmel zog an. nnd das Ge
sier rollte vorwärts curt von Bod
din war bereits wieder aus dem Wege
zu dem jungen Mädchen, das ihn mit
einem Gemisch von Interesse nnd
IOIIIIIIIIIIIIIIQ ---------
Scheu, urn nicht zu sagen heimlichee
Furcht, erwartete.
» aSie haben hoffentlich nichts dage
Hm Cousine, daß ich den Wagen vor
ausschicktr. Sie waren ja darauf ge
faßt, zu Jus nach Pelchow zurückzu
h;n. Wie weit rechnen Sie bis da
n is
»Auf direktenr Wege gehen wir viel
leicht dreiviertel Stunden«, war ihre
Antwort
QSoZ eh denie. wir wählen diesen
direkten g, also dermuthlich den
dort.« .
Er z te auf den Fahrweg, auf den
iich der efi des aufgewirbelten Stau
bes niederließ.
»Darf ich um Jhren Arm bitteni
Aber ich sehe, daß Jhre unglücklichen
Pilze noch immer da herumliegen. Jch
habe nicht die Absicht gehabt, Sie um « -
die Früchte Jhrer idhlliichen Bemüh
ungen behufs Vervollständigung der
Pelcholver Sveifeiamtner zu bringen«
Er trug Glaeehandschuhe von aufkl
griiner Farbe zu seinem lichtgrauen
herbstanzuge; diese apfelgriinen Fin
ger langten vorsichtig hinab. und nur
die III-reiten Spitzen faßten die ver
ftreuten Pilze und legten sie zu einem
Häufchen zusammen.
.So«, sagte der Vetter. während er
sich aufrichtete und den Klein-net wie
der auf die Nase feste, der ihm beim
Bärten entfallen war. »Und nun has
den Sie die Güte, mir Jhr Taschen
tuch zu überreichen. damit ich diese
Kinder des Waldes einwindeln lann!«
Arme-Mark von Lebzow stand ab
gewandten Gesichtes und blickte steif zn
dem Wege hinüber: als er etwas zur
Seite trat und mit einiger Verwunde
rung ihr Profit in’s Auge faßte, de
mertte er, daß ihr brauner Auge feucht
war, und daß es bitter um ihren
Mund guckte.
»ilrn·c immels willen, Cousine,
was ist J nen?« fragte er. »Tragen
Sie in Jhren jungen Jahren schon
Leid um die Unvollkommenheiten un
ferer irdifchen Laufbahn, oder besitzen
Sie sentimentale Anlagen ?"
Die junge Dame hatte die Herrichait
iiber ihre Empfindlichteit gewonnen,
welche von dieser salovrsen Art, mit
der man hier bei der ersten Beaegnung
fie zu behandeln beliebte, tief gereizt
war. So neu war ihr dieie Art, daß
sie aus dem Schwamm-« ob sie ihr
Tafchentuch hingeben sollte oder nicht,
erft herauilam als er dasselbe bereits
erfaßt hatte und auf dem Boden aus
breitete. Bald war es gefüllt: Curt
von Boddin tniivfte die Zipfel zu
sammen und nahm das Bündel auf.
Entsetzung folgt.)
Da alles fliegt, unternimmt auch
Fräulein Melan-se knien schüchternen
stugveciuch
Der Athlet Eisensmtit steckt sich sum
Pfinastnuötlug einen ganzen Matenbaum
m- nopf out-.
Ein Blatt im Osten legte vor eini
ger Zeit seinem Leierlreise die Frage
vor, weshalb eine Zeitung lei wie eine
Frau. Fiir die beste Antwort wurde
ein Preis out-gest t, und eineIrau hat
ihn gewonnen. - le von ihr gegebene
Antwort lautete: »Weil jeder Mann
eine site sich selbst haben und nicht der
seines Illuchbars nachlaufen loll.«
Dann rnnn othe-es Hund auch mit
eine-« Schüssel Ållrste allein lassen?«
—- .Warmn net; is eabm out jeden
soll lieber, alt wenn tngn zusehen-gu