Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, May 19, 1911, Zweiter Theil, Image 14

Below is the OCR text representation for this newspapers page. It is also available as plain text as well as XML.

    F —
Sin Roman
WW
Äneue Menschen
Von A. Flach
l14. Iortsekung und Schlus« (
Mathiide rief jedes Mal in freudi- l
set Unruhe Herein, wenn an die Thiir ·
Mochi wurde. .sie erwartete im
Aet, daß Robert eintreten würde !
Uker es war einmal der Diener, ein«l
ander Mal das Mädchen ein drittes
Mal eine Pensionsgenosssikz. .
Freyung lag, vom Schmerz über
Mathilden-s Verfchwinden betäubtJ
auf dem Bett die Augen unverwandt
zur Thüre gerichtet So oft die Klin
gel ertönte richtete er sich ein wenig
auf und laufchte doch er vernahm
nie den leichten Schritt feiner Ma
thilde und sank jedesmal aufftiihnend
zurück. Um die Mittagsstunde trat
der Wirth ein und verlangte ruhig,
aber entfchieden die Begleichung der
Wirthe Freyung gab ihm vorläufig
einen Theil und erlangte auf die Ver
sicherung daß er jeden Abend in einer
Concerthnlle Gelegenheit finde, recht
viel Geld zu erwerben, und an jedem
Morgen den dritten Theil davon ab
liefern wolle, die Erlaubniß, is der
Wohnung big auf weiteres zu bleiben
Eine Uhr im anstoßenden Zimmer
cschlug zwei Mal. Frehnng hielt es
fest nicht mehr zu Haus aus. Er
sprang auf und eilte auf die Straße,
von Gewissensbissen gepeinigt; vor
dem Haufe blieb er unschliifsig stehen
— » was sollte er beginnen, die Spuren
Mathildens aufzufinden? Sollte mir
der Zufall nicht auch einmal ein ein
gigej Mal in meinem Leben gewogen
sein und mich meine arme Mathilde
rgendwo finden lassen? dachte et und
W frisch darauf log. Wenn er von
item eine blonde Dame fah« die der
Genau nach Mathcwe ähnlich sah,
rannte er wie toll hin und blieb dann
plötzlich bitter enttiiuscht stehen« Zwei
Stunden lang war er schon in vielen
Straßen hin und her gelaufen; er
hatte auch den Centralpark und die
Anlagen der Battery abgesucht, da kam
ihm. plößlich Ur Gedanke: Am Ende
ift Mathilde schon zu Hause? Er besaß
nicht mehr die Geduld auf einen Zug
zu warten, der ihn rasch in die Nähe
seiner Wohnung gebracht hätte, son
sdern rannte nach Hause. Er stiirmte die
fünf Treppen hinan und als er Ma
thilde nicht vorfand« wußte er nicht,
ob et wieder nach ihr suchen oder auf
H- Ie zu Hause warten soll. Er entschied
TO für das Letztere. Stunde um
Stunde verrann langsam· Draußen
bade es schon dunkel. Freyungi Be
fargniß und Unruhe steigerten sich bis
zum Unertrijalichen Er hatte schon
use Möglichkeiten durchdacht, blos die
Vermuthung, daß sie sich das Leben
genommen hätte, war ihm bisher so
entseßlich vorgekommen, daß er sich
rnit ihr gar nicht besassen wollte. JeWt »
aber mußte er auch das in Betracht
ziehen und da verlor er alle Kraft des
Charakters und brach in Schluchzen
aus. Er beschimpfte sich dabei laut
mit den häßlichsten Worten, er ver
wünschte seine Leidenschaftlichkeit,
welche ihn zu rauher Behandlung Ma
thildeni veranlaßt hatte. er hieß sich
einen beschränkten. eingebildeten
Menschen. welcher das Zarte ihres
Wesens nicht erfassen konnte. er schalt
sich einen Schurken. Da klingelte es
im Korridor dann pochte-es an der
Thiir . . . eisi Telearamni wurde ihm
Eber-reicht tkr Nackte mit iitteruden
Händen Licht sente sicli an den Tisch
und entiattete mit qnaehaltenemAtbem
das Telearamm . . . Zornia zertniillte
er das Papier und warf es zu Boden.
Wenn Mathilde dagewesen wäre.
hörte ihm die Mittheilung unsaabare
Freude bereitet. Er blieb eine Weile;l
regungslos sißen. Dann erhob er sich,
nahm das Papier vom Boden auf
scattete es und las das Telegramnr
Doch einmal mit Aufmerksamkeit Mr.
Crolrnan forderte ihn auf, für einen
Mr erkrankten Sold-Geiger eines
Insektan sofort, das iit heute
Abend um 9 Uhr, einzutreten; hone
rat pro Abend 20 Dollarg, wovon der
Agent den vierten Theil für sich in
Anspruch nahm. Voll Bitterkeit
fragte sich Fremingk konnte das nicht
um zwei Tage früher kommen? Er
war nun etwas gefaßten nahm für
alle Fälle feine Geige und ging fort
Er kaufte sich vor Allem mehrere Zei
tungen und fuchte beim Lichte eines
rieuchtetewSchaufenfters in den
«·iken, wo Unglücksfälle und
Seldftmorde gemeidet werden. mit
’pochendem herzen nach dem theuren
Namen -- Gott fei Dank -—«-- er fand
ihn nicht. hieran begab er sich z m
Wen Polizei-Office und erstaiäte
Ue Anzeige Jeht regte sich in ihm
Mder hunger. er hatte ja den
pur-en Tag nichts zu sich genommen.
M Wie er sich in einer Bierdalle
Ist fast dann zum Konzert. Gegen
et- Uhe Meier machte er sich auf
des Dein-weg mit der leifen Hoff
W das ihn zu hause eine erfreu
Tse W erwartet. Er erlebte
T - siedet eine WEBER-um schlief aber
kssxs sur dem Kummer des Tages, vom
RM nnd vom«Svieles müde
»Hm Zufammenfintea. bald ein.
. seine sen-scheu fah er vom Bett
M MI, tin-nach der helle die
XI sie erratben —- er Iadm au. daß
- nat-te Stunde vorbei war. Er
.W Ich rasch an nnd eilte in den
Korridor, nochzufehem ob von Ma
thilde Nachricht da war. Nichts. Er
verließ dald feine Wohnung und wie
der los er mit ängstlicher Neugier die
Zeitungen. Nichts. Auf dem Poli
zeiamt wußte man auch nichts von
Mathilde. Das gab ihm die Hoff
nung. daß ihr nichts Hofes wider
fahren ift und sie irgendwo Aufnahme
gefunden hat. Diefe Meinung ver
ftiirtte sich in ihm immer mehr und er«
lomhinirte fogar, daß Mathilde von
den Eltern hat Geld kommen lassen,
um nach haufe zu reifen. Diefe Muth- i
maßung bereitete ihm faft ebenfovielj
Seelenpein wie feine früheren Beil
fürchtungen. Er ging in den Zentral-«
parl. suchte ein ftilles Bläschen und«
saß ftundenlang faft unbeweglich da,
in fchmerzliches Brüten versunken.
Grimmiger Zorn breitete sich auf fei
nem vom Kummer verzerrten Gesicht
aus, fo oft er an die Tücke des Schick
fals dachte, das ihm um einen Tag zu
foät die Stellung im Konzertorchefter
verschafft hatte.
Er ging noch haufe. griff zur
Geige. Jn feiner wehmüthigen Auf
reaung fand er weiche. melancholiiche
Töne. welche die namenlofe Trauer
feiner Seele um die Geliebte in herr
licher, fein eigenes Herz bewegender
Weife fchildertem und es war ihm,
als ob die Elegie. die er fast unbewußt
auf der Geige improvisirte, ihm den
Schmerz oerfiißtr. Und er spielte die
traurige Weifetvieder und fo entstand
ein eigenartiges Tonftücl, das er Ma
thilden-Elegie nannte.
Er gab es endlich aus, nach Ma
thilde zu sahnden, er glaubte sie schon
aus der Reise nach Europa und wollte
nicht einmal Ertundigungen einziehen
-—-« sie läßt nichts von sich hören, da
ziemt es ihm nicht, sich ihr auszu
drängen.
Der Zeitpunkt des Konzertes in
Lang : Brauch war nun sehr nahe.
Zwei Tage vorher besuchte Freisng
dem Manager und bat, daß die »Ma
thilden - Elegie« aus das Programm
gesetzt werde. Mr. Grolman str"ubte
sich dagegen, das sehe geschma los
aus, nichts hindere herrn Fredung
sie als Zugabe zu spielen. Dieser aber
bestand daraus, er fühlte, daß seine
Komposition bedeutend war, war
überzeugt. daß sie rasch belannt wer
den würde, daß andere Geiger sie
auch spielen würden und glaubte hof
sen zu diirsen, daß Mathilde, mag sie.
noch diesseitsv des großen Meeres
oder schon in Europa weilen, früher
oder später davon hören würde —
und diese Komposition soll siir sie eines
Huldigung und eine Bitte um Ver-I
zeihung sein. Als Mr. Grolnran da
raus nicht eingehen wollte, nahm
Frehung eine gerade im Ossire befind
liche Geige zur Hand und trug die
. Elegie vor. Der Agent ging ärgerlich
iiber den Zeitverlust ans Fenster und
? blickte hinaus. Während der Einlei
Itung der Elegie drehte er sich um,
s dann trat er näher an Irebung heran
und starrte ihn, sichtlich bewegt. an.
Frehung war-zu Ende. Mr. Grol
man blieb eine Weile regungslos ste
hen. Hieraus sagte er halblaut:
«Wahrhastig . . . . wunderbar . . .
Ja, ich sehe die Elegie aus das Pro
aramrn.«
Als Fteyung, eine ausgezeichnete
Geige unter dem Kinn. aus dem Po
dium stand. bereit, nach dem Vorspiel
des Klavierö einzusetzen, iiberslog er
mit raschen Blicken des Reihen des
vornehmen Publikums, und ein Ge
siihl des hasseö trat in ihm aus gegen
die Lebensfreude, welche die farbigen
Toiletten der Damen, das Junteln
ihrer Geschmeide, die eleganten hellen
Anziige der herren, die sorglosen Ge
sichter Alter verriethen. Jn dieser
Stimmung konnte er auch der ersten
Nummer des Programms, einer von
frischem Frohsmn durchwebsten Phan
tasie, nicht ganz gerecht werden und
eg war tein Wunder-, daß der Beifall
tu wünschen übrig ließ. Beim Vor
trage der anderen Kompositionen
wurde das Publilum allmählich wär
mer. Die legte Nummer bildete die
Elegie »Im ever Mathilde«. Freyung
war seltsam erregt, sein Gesicht bekam
einen schmerzlichen Ausdruck, die hohe
Gestalt war jetzt etwas zusammenge
sunten, dieLippen und die Nasenle
gel zuckten ihm. Er schloß die Augen
und legte den Bogen an. Wie aus
weiter Ferne her lamen diistere
Klänge eines Todtenmarsches, breite,
llagende Töne. langsam, in unheim
licher -Regelmäßigteit. Dann hörte
man eine schlichte, ergreisende Weise,
das führende Motiv der Elegie, das
llang wie gesprochene Worte . . . . .
Worte, die eine Mutter am Sarge ib
rei plöhlich in der Blüthe der Jugend
dahingerassten Kindes schluchzen mag.
Ein Schauer ergrtss die höret. Nun
übernahmen Variationen deu musika
lischen Grundgedanlen, bald klang es
wie das verzweifelte Seufzen eines
unternamenlosern Unglück zusammen
aebrochenen Menschen bald rote das
telige Seufzen glücklich Liebender. Als
Schluss- tehrte die Todtenllage der
Einleitung wieder, blos noch langsa
mer. noch nagenden noch herzzerreii
sener von Junung ans der S-Saite
l hervor-gesondert Während er den Bo
gen im leiten tin-klingenden Ton
über die G- Saite führte begannen
sihm die Thriinen zwischen den ge
schlossenen Wimpern hervorzusickern
»Er blieb dann wie in dumpfem
Schmerz versteinert stehen. Jm Publi
lum war es eine Weile still, Alles
stand unter dem Banne des schmer
zensreichen Gesange-J der Geige. eine
weihevolle, saft tragische Stimmuna
hatte sich unter diesen lebenssrohen
Genußmenschen ausgebreitet Plöt
lich hörte man einen Bravo-Ruf und
nun erhob sich ein enthusiastisches Ge
töse. Das brachte Freyung etwas zu
sich. er vergaß die übliche Verbeugung
und schwankte vorn Podium fort. Das
Beisallsgellatsche, die Rufe schmollen
immer mehr an, Mr. Grolmann. der
vor Ausregung seine Kaltbliiligleii
verloren hatte, stieß Freyung sörnilich
aus das Podium. er verbeugte sich
steis. deutete an, er sei zu erschöpft,
um die Elegie zu wiederholen nnd
ging wieder ab. Wieder-holen? dachte
er. So kann man nur einmal im
Leben spielen. Ach. daß Mathilde ihn
doch hätte hören können, sie hätte ihm
verziehen, was immer er gegen sie ge
sündigt.
Das Konzert Frehungs bildete nicht
blos in Lang Brauch das Tagesges
spräch. Auch in New York hatten die«
Zeitungsberichte von dem Wundergeig
ger, von seiner Elegie und davon, dasz
er bei dem Vortrage geweint. in sast
allen Schichten der Bevölkerung Aus
sehen erregt. Frevung war mit einem
Male ein berühmter Mann und erhielt
glänzende Antrage. Ein New Yorler
Millionär ließ sich ihn vorstellen und
erbat sich die Ehre, ihm eine Geige von
wunderbarem Tone scheuten zu dür
fen. Freyung lehnte dankend ab; der
Mäcen ließ sich aber nicht abweisen
und bestand so lange aus seiner Bitte.
bis Frevung nachgab. Czr hatte aber
teine reine Freude an dem edlen Jn
strument mit dem weichen und doch
auch traftvollen Tone: er dachte web
miithig: Warum hat mir das Schick
sal ein« solches Instrument nicht sriis
ber schon gegönntZ Was sich nicht
pünktlich. zur rechten Zeit einstellt,
kommt immer um vieles zu spät. hat
durch sein Zögern unschähbaren Scha
den angerichtet.
Jn seiner Wonung wurde Frevung
nun von Jntervietverg überlauien: er
ließ aber keinen vor. Er haßle die
Oessentlichieit, die Menschen, machte
Niemand sehen, er wollte allein seinl
mit seinem Unglück, wag ist ihm Ruhm«
und was alles Gold. wenn dessen
Glanz nicht auch aus Mathilde sasnx
kann? Jn ohnmachtigetn Zorn gegen
T die Niedertracht des Geschickes tnirschte
er mit den Zähnen und stöhnte und
raste und schluchzte . . . I
Die Wärterin im Hospital war eine
eisrige Zeitungsleserim ihr entging
daher auch ein übrigens spaltenlanger.
romanhast ausgeschmückter Aussatz ih
res Leibjournals iiber Frehung nicht.
Der Name lam ihr belanni vor, ihr
schroaches Gedächtnis lonnte ihr aber
darüber nichts Näheres sagen. Erst
als sie später ihre Nebeneinnahmen zu
sammenrechnete und dabei aus 10 Dol
lars Trinkgeld von Mist Mathilde
Schtvendt stieß, erinnerte sie sich auch
der Visitentarte dieser Patientin Und
die Wärterin als eine neugierige
Frau die dahinter einen Roman wit
terte und als vrattische Amerilanerim
welcher die allerdings sragwiirdige
Aussicht aus eine neuerliche Nebenein
nahme winlte. dachte ernstlich nach, er
kundigte sich dann nach Frehungs
Wohnung und richtete an ihn einen
längeren Brief.
Der tacn Freyung zu, als er eben
seine Wohnung« den Geigentasten in
der Hand, verließ, um dem New
Yorter Mäcen zum Dant siir das Ge
schenk etwas borgt-spielen Frehung
mußte auf der Treppe stehen bleiben,
sich am Geländer festhalten; er mur
melte heiße Dantesworte s- an wen
wußte er selbst nicht. Dann fuhr er
ins HospitaL entlohnte die Wärterin
fürstlich und fuhr in die Pension, in
der Mathilde wohnte.
Mit ausgeregter Miene bat er den
Diener, ihn Misz Schwendt zu mel
den, und vergaß, seinen Namen zu
nennen. Der Diener, der davon
wußte, daß Robert sehnsüchtig erwar
tet wurde, hielt Freyung stir jenen
und führte ihn zu einer Thür.
Frehung klopfte. sein herz schlug
ihm bis in den hals
Bitte!« tlang es sanst heraus
Er öffnete die Thür, Mathilde
sprang mit einem turzen Schrei aus
.Beide standen wie angewurzelt.
Darf ich's« sragte dann zagast
leise. mit behenden Lippen tehung.
»Bitte« .treten Sie nii r« , erwi
derte nach einein Augenblick des Zö
gerns Mathilde, die leichenblaß war.
Sie deutete ans einen Stuhl nnd sant
in einen Zauienil
Ohne ein Wort zu wechseln, fassen
sie mehrere Minuten still da nnd blick
ten einander an.
Sie haben, wie ich gelesen und ge
hört habe, einen grossen Sieg errun
gen« begann dann Mathilde. »Das
sreui mich aufrichtig-«
Irenung seufzte tief auf:
«Zu spät, zu spöt! Hätte sich das
Blatt um zwei Wochen früher gewen
det, so wäre mir mein ganzes Glück
nicht zerstört worden.«
Mathilde machte Miene. etwas zu
sagen, er bemertte das nicht« denn er
hielt den Kon gesenkt und seine
Blicke hefteten auf dem Boden. Er
sprach wie zu sich selbft weiter:
.Es verfolgt mich wie ein Fluch-i
daß ich niemals zur richtigen Zeit er
langen rann· was mein bete-stigm
Sehnen ist. Und immer, immer hat.
es sich um Geld gehandelt. das ich ver
achte nnd hoffe und doch so sehr lieben
muß. Wer da weiß, welch unerträg
liche Tortur es ist, zehn, fünfzeth
Jahre lang Tag fin Tag entsagen zul
müssen« wenn man hunger im Ma-l
gen fühlt, wenn der Durst nach Wissen
» nnd Können einem die Seele verdorrt f
,—— oh ich glaube nicht« daß ei ein
größeres Leid fiir ein Menfchenherz.
giebt llnd dabei fiihlt man in fich
diie Kraft der Größe man lechzt nach
Entwickelung und Ausbildung, man
iehnt iich iniiinltiv nach diefem oder
jenem Genuß nach einem Konzert, ei
jnem guten Instrument, nach einer
IReiie, nach Lettiire, man fühlt, wie
das die inneren Kräfte anfeuern und
» itärlen würde, und man tann es nicht
erlangen wegen des abfcheulichen Gel
. des. Man iampft mit der niedrigflen
Noth fünfzehn lange Jahre fünfzehn
ider allerfchiiniten Jahre des Lebens !
da Alles im Innern iproizt und zu
bliihen beginnt und vor dem rauhen,
I vernichtenden hauch der gemeinen All
I töglichieit geichiiizt werden iollte. Nein.
es giebt lein größeres Leid für einen
redlich itrebenden Menichenk
Er machte eine turze Pauie und
(
)fuhr dann in ruhigem Ton fort:
l »Ich lernte Mathilde tennen und
»fühlte mich zu ihr hingezogen. EI»
ivackte mich da wie Wirbelsturm War«
jbei dieser Liebe der Hintergedanle an
jden Reichthum im Spiele? Jch
ichwiire: Nein, wenigiteno war es mir
nicht bewußt. Dann freilich, ich ge
ftehe es offen, als ich wünichte, Ma
ithilde Schwendt möchte meine Lebens
gefährtin werden, da dachte ich mit
HFreuden daran, daß das Leben mei
iner Angebeteten frei von niederiger
fSorge verlaufen wird deren fchwere
Laft ielbft Kraftnaturen wie ich nur
Ieine bestimmte Zeit zu tragen vermö
gen. Und ich iagte mir freudig auch
sdak uniere Kinder das Elend nicht
! aus eigener Erfahrung kennen würden.
kbloi aus den Erzählungen ihres Va
Iterj . . . hatte ich denn das Recht
;anderi an die Ehe zu denken? Jit es
Inicht gewissenloi von einem armen
jManm ein Weib, das er liebt, und
die Spröleinge einer ungewissen, von
Noth und Kummer wahrfcheinlich
nicht freien Zutunft entgegenzufiihs
seeni Es wäre ja auch blos eine aus
gleichende Gerechtigkeit, wenn immer
nur Reiche und Arme einander heira- f
theienl Und darf ich denn ein Mädchen
nicht lieben, darf ich iie nicht heira- :
then wollen weil fie reich iit? Jn die ;
fem Sinne war ich geldgierig fiir uns?
Beide. Daneben aber lebte in mir
noch eine itiiriereGier nach Geld.
Dort itrebte ich als Menich fiir mich
und die Meinigen danach, hier der’
Kiinftler fiir die Kunst: Ohne Sorge
leben, iich ganz der Kunit widmen zu
können . . . blos eine Küniilerieele
vermag zu ermessen, welch faszinirende
Macht eine iolche Möglichkeit ausübt.
Als ich bemerkte, welche Abneigung
Jhre Mutter gegen mich empfand, be
fchloß ich, mir zu erobern, was man
mir nicht gütlich geben wollte —- mein
Gliick. meine Mathilde. Ich wußte,
das hies; der sinnst untreu werden« zu
früh die Virtuosenlaufbahn einschla
gen. Jch entsagte nicht leichten Her
zens dem schönen Traum von einem
sorgenlosen Künstlerleben in der trö
stenden hoffnung, daß die Liebe mich
dafiir reichlich entschädigen wird.
Dann tam die böse Ner Yorler
Zeit. Als das Geld zusammen
schrnolz« iain ich mir bei dem Gedan
len an das rettende Konzert vor wie
einer, der nach schwerer Gefahr in
freiem Meere endlich den Hasen er
reicht und da Angesichts des Ufer-T
zwei Spannen weit davon, von den
Kräften im Stich gelassen wird und
unterfintt. Und all das Gift, dae sich
ini Laufe meines Lebens in mir ange
häuft hatte, larn hervor und ich träu
selte ei in die Seele des Menschen, der
mir am theuersten auf Erden ist. Oh,
ei tvar niedrig und roh, ader wahr
hastig . . . ich lann nichts dafiir. 's ist
nicht meine Schuld . . . nein, ich lann
nichts dafür . . .«
Er hielt erschöpft inne.
Mathilde lannte seine Leidensges
fchichte, war aber so bewegt, ali hätte
sie davon zum ersten Male gehört. Ei
lag soviel traurige demüthige Erge
bnng in das unerbittliche Geschick in
seinen Worten, sein Ledznemuth schien
gebrochen. Sie sprach tröstend und
bewlyigend ein nnd maß sich selbsi ei
nen grossen Theil der Schuld an sei
nern Ungemach bei. Ader das tagte
fie in dein Ton einer liebenden Schwe
fier. Frevung fühlte das und wurde
noch trauriger.
» Er schüttelte wehmüthig den Kons.
Dann erhob er den Kopf, stand aus«
kössnete den Kasten. ergriss die Geige
rund spielte die Elegie . . . Die melan
»chplischen Klänge erschütterten Ma
sthildq das war Irenungs Leidensge
xschichte in Tönen geschildert.
J Er hatte den les-ten Ton ausklingen
jlassenz dann legte er die Geige ans
Hden nächsten Stuhl. Die Arme über
der Brust verschränlt. den Kopf ge
senkt, siand er da, ein Bild der Trost
losigleil.
Mit einem Male stürzte er zu Ma
thildens Füßen hing. umschlang ihre
Knie und verbarg seinen Kopf in ih
rem Schooß.
»Verzeih, Mathilde,« schluchzte er.
»Ich kann nichts dafür, das Unglück
hat mich schlecht gemacht . . . verzeih
. . . verzeih!«
!
l
l
Sie streichelte ihm mit ihren seinen
weißen Händchen iiber das dunkle«
wallende Haar, aus ihren Augen fiel
eine heiße Thriine herab aus seinen
Nacken; sie sliisterte:
»Mein armer. lieber Martin!«
Es ist ein klarer, angenehm liihler
Abend zu Anfang September. Auf
der Terrasse einer zierlichen Van am
Züricher See sitzen herr und Frau
Schwendt in lautem Gespräch mit
herrn Wählt-. Sie philosophiren iiber
den Zweck des Lebens.
Unten im Garten, der sich vor dem
Landbause ausbreitet, spazieren zwei
stille, junge Paare umher: sie vermei
den es, einander zu begegnen, machen
hin und wieder unter dem Blätter
dache eines Jasmins oder Fliederbus
sches Halt und . . . tiissen sich.
— Endr. W
Øee findet-r der·spektralassatsfe.
Große Gelehrte, Mitter, Swan.
Foucault u. n» hatten sich mit den
Lipettrallinien befafzt, aber erst die
Deutschen Wilhelm v. Bunsen und
Gustav Kirchhofs erlannten, daß jede
verdampfbare Substanz, in eine
Flamme gebracht, oder jeder glühende
Dampf ein charalteristisches Speltrum
hobe. Damit war die arohe Entdec
tung der Speltralanalnse gemacht, die
dem tForscher in seinem Laboratorium
oerriith, aus welchen Stoffen unendlich
weit entfernte Welttörper bestehen.
Vor hundert Jahren. am Al. März
18U, wurde der qenialeForscher Bun
sen in Göttingen geboren, er hnt sich
dann auch nach vielseitiqu Studien in
Berlin, Wien und Paris als Privat
dozent ebendn habilitiert. Schon mit
25 fahren wurde er als ordentlicher
Pro essor der Chemie an das Volk-tech
nilum nach Kasse-l berufen, ging dann
nach Marburg, Breslau und schließlich
noch Heidelberg, wo er 37 Jahre ge
wirkt und Unsterbliches aeleistet hat
Belannt wurde in weiteren Kreisen
sein Name oor allem durch den soge
nannten Bunsenbrenner, der darauf
beruht. daß das ausströmendeGas oth
mosphärische Luft einsauat und voll
ständig oerbrennt. Die Flamme
leuchtet nicht, entwickelt aber eine ges
waltige hine. Unsere Gliihlichtbren
ner sind nlle nach dem Bunsenschen
zPrinzip konstruiert. Von weiteren
Erfindungen Bunsens sind zu nennen
sein Photorneter (Lichtmesser) und das
Nach ihm benannte gnlvanische Ele
inrnt. Seine zahlreichen, rein chenn
schen Arbeiten lassen sich taum auszah
len, ebensowenig lässt sich an dieser
Stelle niiheres von seinen Unterer
Hcknmgen über die Gase sagen. Er
itdiihnt sei nur noch· das-, er einine neue
.Elemente, wie das Caesinm nnd Rubi
Idiurn, entdeckte. Er sand ein tresss
Hliches Genenrnittel qegen die Vergis
itsing durch nrsenige Söure, itellte zu
Zerst Munnesium in größererMerrge dar
Hund lehrte durch Verbrennung von
sMagnesiumdrnht ein ungemein helles,
chemisch wirtsarnes Licht erzeugen.
iDabei trieb er u. a. aus Jolnnd wich
)tige geologische Untersuchungen Kurz,
die verschiedensten Wissenschaften tön
nen ihn unter ihren Großen zählen.
An äußeren Würden und Titeln hat es
ian nicht gefehlt. er wurde Erzetlenz
nnd mit vielen Orden geschmückt Er
starb in hohem Alter. doch einsam; eine
Familie hinterließ er nicht«
Unwissenden-ennu
Zu der Angabe der englischen Fach.
zeitschrist «The Motor Boot«, daß in
England eine Gaimaschinen - Anlage
im Bau sei, mit der eines der neuen
grossen Linienschisse ausgerüstet wer
den solle, wird aus London geschrie
ben:
Die Geriichte, daß Großheitanien
sich mit der Absicht trage, ein Linien
schiss mit einer Gasmasehine aus-zurü
sten, sind schon vor gekannter Zeit aus
getaucht, ohne indessen rechten Glauben
zu sinden. Jeit veröffentlicht die
Fachgeitschrist «The Motor Boot« die
Nachricht aufs neue und ist in der
Lage, so eingehende Einzelheiten rnit
zutheilem daß. wenn es auch nicht ange.
zeigt erscheint, alles gläubig hinzuneh
rnen, doch wohl die Annahme berechtigt
ist« daß diesmal dem Geriichte irgend
welche Thotfachen zugrunde siegen Es
heißt dort: ,Wns die Ingenieure noch
vor ganz kurzer Zejf als in ferner Zu
kunft liegend erttorten ift heute be
reits Thotfochr. Die Nachricht rfl er
ftounttch und tornmt fo unerwortet,
daß zunächst ein Zweier an ihrer
Richtigteit ganz natürlich wäre. Aber
unfere Jnformationsauetle obwohk
wir das Geheimnis nicht lüften wol
len, tann als durchaus oerläleich gel
ten.... Das Projekt steht Acht-Zy
tinversMafchinen vor, genauer zwei
zufommengetoppelte Vier aninder
Motoren mit einer Gefmnmtleiftung
von 12,000 Pferdekräften, fo daß 3000
Pferdekräfte auf einen Zyltnder kom
men. Drei von diesen Zwölftoufend
Pferdekräfte-Einheiten sind zur seit
im Bau, fo oofz vie gefammteKroftent
wicklung 36900 Pferdekräfte betragen
würde.
Diese Maschinen sollen in einen
DreadnoughtsPanzer eingeban wer
den, der in diesem Jahresprogramm
oder im nächsten vorgesehen ist. Die
Schnelligteit ist auf 21 Knoten veraii
schlagt. Die Motoren sind vom Die
selthp mit doppeltem Kolbenhutx Das
Brennmateriat ist Oel. Zum Antrieb
uiid zur Uiiifteuerung wird kompri
mierte Lust verwandt. Kolbeii und
Ventile sind wassergetiihtt. Besondere
Kompressoren werden gebraucht und
zur Erzeugung des hochdrurts wird
ein besonderer Dieselmotor von 1000
Pferdekräften dienen. Die Abmessun
gen der Hauptmaschiiien sind ungefähr
56 Fuß in der Länge, 16 Fuss in der
Höhe und 8 Fusz in der Breite. Der
höchste Punkt der Maschine wird daher
bedeutend unter der Wassertinie liegen,
was als ein besonderer Vorzug der
Anlage angesehen wird. Was die Ko
sten anbetrisft, so sind sie keineswegs
sehr hoch: aus eine Pferdetraft koni.
men ungefähr 850.«
Das Blatt fährt dann fort: »Wir
bedauern, aber es ist weiter kein Un:
gtiiel, daß der erste Motor : Dreads
nought tein britischeo Schiff sein wird.
Frantreich wird wohl die erste Macht
sein, die ein solches Fahrzeug dienst
bereit haben dürfte. Deutschand wird
zwar voraussichtlich thatsächlich zuerst
eiii Kriegsschiff mit solchem Riesen
motor auf dem Wasser schwimmen ha
ben. aber die deutschen Versuche« ob
wohl sie am weitesten vorgeschritten
sind, sind doch bescheidenerer Natur;
das Fahrzeug diirfte bedeutend tteiiiee
sein alg ein Dreadnought. Der zweite
Motor-Dreadnougdt wird aber die
britische Ilagge fähren.«
see-trete stimme
Eg ist schon öfters dageweten. daß
sich Walfische, diese gewaltigen Riesen
des Meeres, wenn man so sagen darf.
verirrten und in seichteBiichten, in dä
sen, ja in größere Ströme geriethen.
So wurde tiirzlich gemeldet, daß sich
mehrere Wale an die holsteinische Miste
verirrt hätten. Diese Thiere seien auf
der Jagd nach Sprotten und heringen.
die sie verfolgten, in die Ostsee gelangt
und lönnten nunmehr nicht wieder den
Ritdweg durch den Sund iind den Bett
finden. Zu dieser Meldung wird ge
tchriehent Hauptsächlich ist es der
Grindwat, welcher derartige Iahrten
unternimmt, und manchmal ereignet es
sich, daß dieser Wirt in größerer Zahl
strandet. So oerunaliickte im Jahre
1779 eine Herde von zweihundert die
fer Thiere und 1805 eine solche von
enna dreihundert Stiia auf den Shet
iandinfeln Arn 7. Januar ftrandete
ein Trupp von siebzig Stüet an der
Nordtiifte der Bretagne. Jrn Jahre
Will verirrten sitt: an hundert Wale in
tie Kieler Bucht. lfs tonnte jedoch
nur einer davon gefangen werden.
Auch iin Rhein wurde ini Jahre 1688
ein Wal. ein fogenannterButotopL be
obachtet ist war, wie überliefert
wird, aus feiner Heimath den nordi
lchen Meeren. in den Rhein eingedrun
aen und hier, an Köln. Bonn, Oppen
heim, Speyer und Straßburg vorbei,
bis gegen Basel hin anfaeftiegen, wo er
dann umtehrte und ftrotnabträrts ei
lend, nach monatelanaer Irrfahrt ins
April 1699 unterhalb Köln feinen Tod
fand. Es iit begreiflich, daß das Er
fcheinen eines fo gewaltigen Thieres in
denFluthen deöRheins allenthalben das
größte Aufsehen erregte. Dies spie
aelt fich auch deutlich in den Berichten
iiber den Vorfall wider: Das entfes
liche Meerwunder fei an Größe und
Farbe einem fchrvarzen Pferde gleich
ewefen. Etliche hielten ei fiir ein
eerpferd oder Wassermonftrum, wel
ches alles das Unglück, fo die Pfals
und die Rheinlönder betroffen, der
rnuthlieh angedeutet. Ei erfchreckte
durch feine Größe und Geftalt alle
Einwohner. Man hatte anfangs mehr
fach nach dein Thiere geschossen. Es
hat aber der Schiiffe fo weni Miet,
als wenn man ein paar so en tach
ihm geworfen. —- Wenn es, wie qef t,
auch öfter vorkommen mag, daß
Wohle in größere Fliiffe verirren. fo
ift doch ein Bordringen foleher Thiere
nach dem Dberlauf eines Stromes von
nicht weniger als 500 Meilen ein cr
eigniß, das wohl einzig dastehen durfte.