Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, May 12, 1911, Zweiter Theil, Image 14

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    Ein Roman
WM
Neue Menschen
Von A. Flachs
GLI. Fortsetzung.)
Nachmittags stellte ek sich pünktlich
bei Misle ein. Die Form und gin
tichtung des großen stinan in dem
er ern-fassen wurde, besaß-n viel
Redlichkeit mit dem, das er bewohnte
Ct must-me Alles aufmerksam und
seh dann immer wieder den alten
Mähm und Tochter an und mußte
M sagen. daß diese schlichten Men
schen und die einfache, alterthümliche
Einrichtung miteinander harmoniren
Mäblng hätten in modernen Pracht
räumen wunderlich auggesehen Und
es ging ihm jetzt ein Verständniß aus
siir den intimen Reiz solcher Raume
— -- Alles dereinigte sich zu dem Ein
druck des Nuhigem Friedlichen Welt
fremden: und dasselbe fand er in dem
wenig tomplizirten Jnnenleben der
beiden lieben Menschen« die mit ihm
jeit so herzlich waren, als gehörte er
zu ihrem engsten Familientreisr. Es
schauderte ihn, als er sich jetzt. im
Gegensatz dazu, das bunte Durchein
ander von Kunstmödeln und die Fülle
von kleinen und großen Einrichtunge
gegenitiinden einer vornehmen Groß
stadtwohnung vorstellte, wo das
Wirrwarr von Formen und Farben
das Zuviel an Luxus ein einheitliches
sinnendes, ungestörtes Genießen der
Einzelheiten nicht zulassen und gera
dezu aufdringlich wirken und wo net
böse lärmende Menschen mit unruhi
gen« Gesten versammelt sind, die unter
schlau ersonnenen Höflichkeiten ihreT
Falschheit und Verlogenheit verbergen.
Während hildegard den Kaffee
einschentte, begann Herr Mähly wie
der Betrachtungen anzustellen.
»Sei-en Sie, Herr Doktor, nehmen
Sie es mir nicht übel: Die jungen
Leute von heute gefallen mir nicht.
Sie lernen vielerlei und glauben des
halb auch viel zu wissen. Lieber wes
niger, aber griindlich. Jch kann über
haupt das Bieitvissen nicht leiden, es
macht nicht glücklich. Die wenigsten
Aerzte können sich ihres Leben-L freuen.
bei dem geringsten Schmerz, bei nur
etwas gesteigerter Körpern-arme quält
sie die Furcht, welche Krankheit begin
nen könnte ich finde jetzt keinen
besseren Vergleich. Aehnlich ist ess- mit
dem Bielwisfen, es quält und verdirbt
die Freude am Leben.«
Der Alte sprach und sprach. Robert
stimmte Allem bei, er hatte nicht die
Lust, zu widersprechen das
s Art-e zu langen Inwanderseguw
, ftihren und er sehnte sich blos nach
Kne- Inseinandersejsngen unter
; vier Augen mit hildegard.
Nach dem Laffeefagte pliidlich Herr
Möhlin
»Das Vetter ist fo hell und schön.
Es wäre eine Sünde. zu hause zu
bleiben. hilde. willst Du nicht mit
dem Herrn Doktor einen Spaziergang
machen? Ich lann nicht mitkommen,
s ich will wieder einmal zu meiner
Schwester geben«
Hildegard und Robert schlugen den
Weg nach dem Uetliberg ein. Durch
ihre Seelen zogen liebliche Gedanken.
nur selten fiel ein Wort. Ein Wagen
kam plöilich herangesaust, gerade als
chridegard die Gasse überschreiten
wollte.
- »Sieh Acht.« rief treidebleich Robert
und riß sie auch schon zurück. Jetzt
ergossen sich dunkelrothe Wellen in sein
Gesicht - er schämte sich, daß er sie
geduzt und sich damit verrathen hatte.
the lachte ihn herzlich an. sagte aber
m s.
Hoch oben oui dem Berge nahmen
sie in einer Gastwirthschaft an einem
Tische, der abseits stand, Platz und
genossen etwas. Sie sprachen wenig,
sahen einander aber desto häusiqer an.
Die Sonne stund schon tief. Sie
brachen auf. Aus dem Abstieg hiel
ten sie an einer Stelle, die einen wun
derschönen Blick aus das von der
scheidenden Sonne in Gold gebadete
Thal gewährte. kurze Rast.
«Hildegard!« sliisterte plötzlich Ro
bert, er wollte etwas sagen und
stockte.
Sie blickte ihm voll ins Gesicht,
lächelte zärtlich und sagte leise:
»Robert!«
Da schlang er seinen Arm um sie,
zog sie an sich und küßte ihre warmen,
schwellenden Lippen. Ein Beben lies
durch Hildegardö Körper, das Blut
schoß ihr stoßweise in das von unsag
barem Liebreiz verschönte Gesicht die
Liber senkten sich halb herab, bilde
qord sah nichts, sie fühlte blos, wie
das Glück in ihr herz eingezogen
Mk
lau »Meine herrliche hilde" , jauchzte er
sz Meinxeliebter Robert« lispelte
- fe: iilpsren lick us seine Augen versen
Hist ergriff fest ihre Dant- nnd so
" schilt csie, stumm vor Liebesqlück,
Jus Zu
lssle mä Hause kamen war
"sett M Wie da. Er saß ge
- - « M am M der hoswohnung und
;- M, ans einer großes Pseise rau
J .-M. in des M hinaus der in
Ile- stli Wiss-the staådbe t
M y« sann o r
sie-I Ists-Ue- Mtztbh »O M
den Kopf, dann stand er auf und
sagte
»Ich glaube fast, ich weiß, was Sie
endet-um«
Ja Roberts Gesicht wechselte Blässe
mit Röthe Er spürte es und schämte
sich der tnabenhaften Verlegenheit.
Hildegakds Gesicht glüh-Oe, ihre Augen
leuchteten und wandten sich bald dem
Vater, bald Robert fzu. ·
»Ist das ader ratch gegangen, irever
Doltor!« fuhr Herr Mählv fort, der
Mühe hatte, seine fiefe Bewegung
durch ein gemiithliches Schmunzeln
zu verbergen. »Nun, ich habe lein
Recht, Nein oder Ja zu sagen. Jhr
»seiv erwachsene Menschen. Jhr möget
sthun wozu das Herz Euch drängt.
»Was mich betrifft ich bin es zu
isrieden Wenn Euch aber an meinem
! Segen gelegen ist . . . ."
s Rasch näherte sich Robert Hildegard
Jund ergriff ihre Hand, der Alte ging
sihnen entgegen und sprach mit zit
;tetnder Stimme: .
? »Gott fchenle Euch Glücks«
)
s
s Mit nervöser Ungeduld wartetei
Robert auf Antwort von den Eltern«
Sie tam erst nach fünf Tagen — aus;
Paris. Roberts Vorschlag wurde!
unter lobender Anerkennung seinerl
schönen Absicht abgelehnt Pia-]
thilde soll es ungestört versuchen. sichs
das Leben nach eigenem Ermessen
einzurichten.
Robert machte sich sofort an diei
Beantwortung dieses Schreibens- Ers
erzählte ausführlich, welche Verände- s
rung in seinem Jnnenleben eingetre-»
ten ist, und schrieb in einem Gefühls
der Scham über feine Jntonseguenzk
förmlich eine Abhandlung, welche die»
tieferen Gründe erörterte und das’
Geschehene ais eine völlig uatiikiichel
Entwickelung erklärte. Dieser Theil
des Briefes machte den Eindruck, alsi
"wäre er von einem nüchternen Manne !
der Wissenschaft geschrieben; in dems
sich daran schließenden Absatz schil-;
derte Robert feine Braut und dies
blühende, glühende Sprache, die er da
führte, zeigte ihn in der ganz neuen»
Eigenschaft eines begabten Lnrilers.z
Er bat zum Schluß die Eltern, sie?
imögen doch bald nach Zürich kommen, »
Isein Glück mit zu genießen, ihres
IFreude zu haben an dem Sohn, demj
idie Liebe wohl etwas den Uebermuths
sgebrochen, aber den Muth, in denj
fneuen Bahnen vorwärts zu streben,
unversehrt gelassen hat.
Die Eltern trafen auch bald in
Zürirh ein. Robert drückte es das
herz ab, daß sie so plößlich gealtert
waren. Kein Zweifel bestand — er
und Mathilde trugen daran Schuld.
Und doch: Niemand lann dafür ver
antwortlich gemacht werden, daß Alt
und Jung andere Anschauungen ha
ben; das ist immer so gewesen und
wird immer so bleiben. Diese Be
trachtung war wohl eine Erklärung,
milderte aber nur sehr wenig seinen
Schmerz, der das Glücksgefühl in
ihm herabstimmte. Einmal wollte
er die Rede darauf bringen« doch der
Vater fiel ihm ins Wort:
»Mein lieber Robert, wir wollen
nicht messen und wägen ,ob und wem
Schuld zufällt und wieviel daran
dem und jenem. Freuen wir uns,
Daß die Zeit der Mißverständnisse
vorbei ist. Mama und ich wünschen
nichts sehnlicher, als daß wir auch
mit Mathilde so weit wären. Jch
will Dir ein für alle Male sagen und
erklären, wie Du uns jetzt verstehen
s span.
i Lug ich mich nach dem traurigen
-Au«ggang deg Festes schon recht gut
Terholt hatte und Mama auch wieder
iruhiger geworden war, sprachen wir
soft und lange über das Zerwiirfniß
szifchen uns und Euch und wir sahen
»dann Alles in einem anderen Lichte.
iVielleicht haben uns erft die starken
I feelifchen Erfchiitterungen zu richtigem
iBlick verholfen, es ist ja oft beobachtet
Iwordem daß großer Schmerz läu
sternd und klärend wirkt. Mama und
)ich kamen da zu der Ueberzeugung
daß weder geringer Widerstand von
unserer Seite, noch größere Nachgie
bigkeit von Euch die Konflikte verhin
dert hätten. Alter und Jugend kön
nen nicht in Allem eines Sinnes fein
und sollen es auch nicht. Der Jugend
unantastbares Recht, ja ihre Pflicht
ift es, der Zeit doranzueilen, nach
neuen Pfaden zu fuchen fonft gäbe
es keinen Fortfchrit in Allem und
Federn ——-« und die Alten haben die
ufgabe den Vorpoften am Vordrins
gen zu hindern, wenn fie glauben, daß
Gefahr vorliegt. Das «Vormärts!«
der Einen und das «Halt!« oder
»Zurück!« der Anderen muß naturge
möß zu mehr oder minder lebhaftem
Zwift führen -—— es giebt keinen un:
fehlbaren Generaliffimus, weil Nie
mand zu gleiches Zeit jung und alt
Ifein kann. Es liegt alfo ftets eine
Igetpiffe Bist-z zwilchen Alt und
sJungx da eine Verflihnnng der Ge
genfäße undenkdar ist, fo ift das Gän
’ ste, was gefunden werden kann und
er rebt werden foll, ein Modus di
vendi, der mn Mindesten Hei-Me
ligkelten se Idee-, Entfernung zwi
schen Glitt-nnd Liedern hintanhali
ten fas. W er es fede- nieht ver
mag- ein traf des Abtritt-im der
IAnsichten freundschaftliches Verhält
niß zu sichern. Dr. Sellin, ver einmal
dazu kam, als wir gerade diese Sache
ventilirten, meinte, solcher Familien
hadet käme jetzt häufiger vor-als
früher, weil die jungen kaßstadts
kLeute von heute keine rothen Baden,
kdofiit aber sehr teizbate Nerven
’habeii. Jch theile seine Ansicht nicht
ganz. Daß das nerviise Leben uns
iferer Zeit, und zumal in den großen
»Städten. die Menschen reizbarer
Lmachn und daß deshalb Meinungs
.verschiedenheiteii leichter entstehen und
sich öfter zu erbittertein Streit ent
wickeln, glaube ich aern. Allein dasi
trifft doch mehr aus die Form zu. in!
welcher die verschiedenen Ansichten ver- ;
fochten werden. Jm Wesentlichens
bleiben die Gegensätze zu allen Zeiten
gleich: Neue und alte Menschen hat
es immer gegeben, wir Aelteren waren
es ja auch vor dreißig. vierzig Jahren.
Also, wir wollen die Streitaxt ver
graben. was vorgesallen ist. ist under
meidlich gewesen«
13. Kapitel.
Mathilde schritt durch die stillen
Straßen Brootlyns eilig dahin, als
würde sie von einem verdächtig aus
sehenden Menschen verfolgt. Sie hatte
die Empfindung sie würde Frevungs
im Zorn und hohn so häßliche-z Ge
sicht erblicken, wenn sie sich umdrehen
wollte. Während troftlose Gedanken
ihre Seele verdüsterten, ging sie immer
weiter und wußte nicht wohin. So lam
sie bis zu den Balken-Anlagen am
Oasen. Die Wellen des -Meeres spiel
ten leise vlätschernd im silbern schim
mernden Licht des Mondes. Der An
blick beruhigte sie ein wenig, und die
frischere Luft kühlte ihre glühende
Stirn. Sie setzte sich aus einen Stein
und dachte nach. Erinnerungen an das
alte Leben im elterlichen Hause stiegen
in ihr auf und die eben verflosseneZeit
erschien ihr nur noch trauriger. Sie
rang nie Dünde —- was sollte sie be
ginnen? Am liebsten spriinge sie ins
Meer. Was fesselt sie noch ans Lebens
Jhr Vers ist gebrochen, das heilt nicht
wieder, die goldene Freiheit hat sich
als eine Chimäre erwiesen. die Liebe
der« Eltern wird sie sich taum zurück
gewinnen können. Sie hat auf Erden
nichts Schönes mehr zu erwarten . . . .
Es gehört gar nicht viel Muth dazu,
da hinab zu springen. Es dauert
knicht lange, so hat sie das Bewußtsein
verloren und ist befreit von dem un
sagharen und unheilbaren Schmerz
der Enttäuschung, der ihre Seele
unbarmherzig zerfleischt . Sie er
hob sich eritschlofsen, sie will nicht
lange darüber nachdenlen. welcher
Schicksalsschlag das für ihre Eltern
stre. sie betet hier« daß Gott ihnen
Kraft verleihe, und macht einen
Schritt nach vorwärts. dann noch
einen, nun neigt sie den Oberliirver
vor. um sich todfüjier ins Meer zu
stürzen, und . .. eine Baßstimme er
tönt neben ihrem Ohr.
I »Fraulein, Sie sind dumm. Wenn
man so jung und hübsch ist wie Sie,
springt man ins Wasser blos, uin ein
Bad zu nehmen«
Mathilde richtet sich aus und sah
den Sprecher an; es war ein deleibter
Mann. der aussah wie ein Berliner
Schuszmann in Cioil. Sie gab teine
Antwort und ging fort
Der Mann riei ihr nach:
»Fröulein. Sie haben vielleicht noch
eine Mutter oder einen Vater . .. Sie
sind also nicht blos dumm, sondern
auch roh.«
Mathilde guckte zusammen und lies
davon. Jin Centralpart sanl sie er:
schöpft aus eine Bani und nieste ein.
Die Morgensonne ioectte sie. Sie er
hob sich. Die Glieder inickten ihr vor
Schwäche ein. Ein nagender Hunger
trat aus« und das Sehnen nach heißen
Getränken, nach Thee, Kasser. Sie
griss in die Tasche s— 10 Ernte-. Sie
seufzte und seste sich wieder. Es war
lnoch zu sriih ain Morgen, man tonnte
lBrot noch nicht tausen. Mit stumpsern
iGroll dachte sie wieder an Freyung,
l ihre Seele war zu müde, uin kräftigere
lGesiihle hegen zu können. Die Augen
lsielen ihr zu und sie schlummerte wie
ider ein. Dann weilte sie ein dumpser
Schmerz im Magen. Nun verließ sie
den Pakt und ging aus das gerade
Wohl durch die Straßen. Vor einein
Bäckerladen, der noch geschlossen war,
blieb sie stehen. Das ermüdete sie und
sie lehnte sich an die Thiir des Ladens.
Ausmertsain lauschte sie aus ein etwa
drinnen bernehaibaies Geräusch Sie
hörte dann schleppendeS ritte und das
Klappen eines Schlüssel undeb. Sie
trat von der Thiir sort und behielt sie
angstlich jin Auge. Aber sie össnete
sich noch immer nicht. Mathilde fühlte
eine Ohnmacht berannaben. Endlich
bitarrte die Thür und bssiiete gleich
sain gastlich die beiden Flügel. Ma
thilde trat sofort ein und iani init
einein Stück Weißbrot wieder aus die
Straße. Sie wollte II in einein Bari
liest-rein aber sie iomite den hunge
In länger bezwingen und asz es im
sehen hasilis aus. Sie siihlte sich et
was gests » und schrit ohne h
stiinniteb l weiter-. Sie überlegte,
kostet « sollte. uai Obdach zu
ims- vsd W n- vetwaern m
erinnerte sich m aii Mis Middbursts
von der sie wußte, daß sie in der
Stemin Stkeet wohnte. Befäße sie
Geld» sie würd-L in eine Konditotei
gehen. etwas zu sich nehmen und dann
die genaue Adresse herausfuchen lqu
sen, aber fo Mathilde schieppte
sieh immerhin bis in dies Straße, viel
leicht wird ihr der ' ufall helfen.
Plötzlich entsann sie sich ganz genau
der Adresse. Aber ist es nicht zu
seith? Kann sie jeßt schon der Dame
einen Besuch machen? Sie wußte
nicht« was die Zeit war. Erft als sie
an einem Uhrmacherladen vorbeikam,
sah sie, daß es 1»-«-.-11 Uhr war. Ma
thilde konnte kaum mehr weiter. sie
litt fest unter gäulendem Durst. Die
Sonne war heute wieder unbarmher
zig Mathilde erreichte mit Mühe
die Batterh; hier ließ sie sich auf eine
Bank fallen und starrte wehniithig
auf das schöne Hasenbald Wieder,
wie heute Nacht. wandelte sie die Lust
an. ihrem Leben ein Ende zu machen.
Um einige Stunden früher was
liegt daran? denn wer mag wis
sen, ob Miß Middhurft sich ihrer an
nehmen wird. Den Gedanken, zu
Frehung zurückzukehren. wies sie mit
Abscheu von sich. ohne daß sie erst nach
Gründen suchte. An die Eltern würde
sie sich vielleicht doch wenden, aber das
war unmöglich, ohne Geld tonnte sie
nicht um Hilfe telegtaphiren. Sie be
kam einen Abscheu gegen das,Leben.
weil man mitten unter vielen hundert
tausenden Menschen elend zu Grunde
gehen tann, wenn man sich nicht er
niedrigen will. Wenn sie Jemand jetzt
erfaßte und ins Meer schleuderte, sie
würde ihm dankbar sein« Sie muthete
sich nicht die physische Kraft zu, den
Sprung selbst zu thun.
Nun stand sie wieder auf und ging
langsam, hier und da stehend bleibend,
um ihr heftig schlagendes herz aus
ruhen zu lassen, in die Greenwich
Street zurück. Da erfuhr sie, daß Miß
Midhurft verreistfei. und erst nach
zwei Wochen zuriicltehren witd So
war auch die letzte hoffnung auf Ret
tung entschwunden. Mathilde nahm
alle ihre geistigen und physischen
Kräfte zusammen, geraden Weges
wollte sie zur Battern gehen und sich
dort in die Iluthen stürzen. Zwei,
drei Schritte machte sie rasch und
sicher, dann begann sie zu schwanten
es wurde ihr duntel vor den Augen.
es sauste ihr in den Ohren, der
Athem versagtösz und sie brach bewußt
l auf dem Trottoir zusammen.
ls sie wieder zu sich lam, war sie
erstaunt, sie lag in einem einfachen
eisernen Bett in einem großen Saale,
wo in turzen Abständen von einander
Bett an Bett ftand.
Eine freundliche Meterin trat
bald daraus an ihr Bett und labte
sie mit kräftiger Brühe, ohne ein
Wort zu sprechen. Mathilde lag im
halbschlummer da. Wohl eine Stunde
später brachte ihr die Wärterin eine
warme Weinsuppe. Mathilde fühlte
allmählich ihre Kräfte erwachen, auch
das Gedachtnisz tehrte ihr zurück und
sie erinnerte sich jetzt genau, wie ihr in
der Greeiiwich Street schlecht geworden
war. Sie blickte nun schärfer und
beobachtend um sich und lächelte triib:
Die reiche Mathilde Schioendt liegt in
einem Armenhospitai. Gegen Abend
tam der Arzt, er befragte sie eingehend,
untersuchte sie uiid ertlärte hierauf. sie
sei blos entträftet, binnen zehn bis
vierzehn Tagen werde sie sich vollstän,
dig erbolen. Die Wärterin wiinschte
dann ihren Namen und Wohnort zu
erfahren. Mathilde überlegte einen
Augenblick, sie nannte sich dann Miß
Mathilde Schwendt und bat man möge
an ihre Eltern telegraphiren, dasi sie
ihr auf telegraphischem Wege Geld an
wiesen, sie wolle nach hause reisen.
Auf der Adresse soll aber ja nicht das
hosvital genannt sein. sondern bloß
die Straße und die Nummer des hau
fesr Die Wärterin versvrach ihr die
Erfüllung desWunschesx sie werde von
ihrem eigenen Gelde vorläufig die Ko
sten dii Telegramins tragen. Mathil
de erholte sich zusehends, blos der Geist
besaß noch nicht die volle Stätte und
Frische. Als am vierten Ta e noch
immer keine Nachricht aus entsch
tand fiir sie eingetroffen war, wurde
das Gesicht der Wärterin unfreund
lich. Matbiide fragte nach dem
Grunde und beruhigte die mißtrauj
sche Frau damit, daß ihre Eltern
wohl auf einer Reise begriffen seien,
was sie damals vergessen hatte. Aber
die Wärterin schüttelte mit dem Kopf
und schentte dieser Erklärung teinen
Glauben sie hatte vor Kurzem unbe
iriertt die Kleider der Patientin un
tersucht und in einer Tasche eine Vi
sitentarte efunden, die auf »Mifses
Mathilde revung« lautete. Mathil
de verlegte es tief daß die Frau sie
offenbar fiir eine Betrüger-in hielt, und
dachte nach, wie sie diesen falschen
Schein zerstören könnte, ohne sich eine
stähe zu . Da fiel ei ihr ein,
daß inzwi chen Nachrichten von der
Mutter auf dein Postamte eingetrof
xen sein konnten· Sie ers te auch
ofort, dort nacht-gen zu la en, und
bekain ivei Or e von den Eltern.
Ver svater datirte stimmtesie
siiithi; er enthielt Mittheilunz
das Eltern gegen i Uns MI
thllde istiiischch etwas einzuwenden lia
ben und sich bemühen-wollen Frehnng
liebzugewinnen
Das Eintresfen der zwei Briefe bei
ruhigte die Wärterin ein wenig und
sie wurde die ansnierlsasne freundliche
Frau, die sie früher gewesen« als Ma
thilde auch einen Tag später ain Vor
mittag ein Telegramin erhielt nnd-ihr
am Nachmittag Geld gebracht wurde.
Die Nachrichten von den Eltern
wirkten toie ein Wundermittel aus
Mathilde« ihr Ausfehen besserte sich
zusehendä. ihre Kraft nahm zu nnd
sie tonnte acn nächsten Tage das Ho
spital verlassen nnd in eine vornehme
Pension iibersiedeln. Das Telegratnrn
der Eltern tam ans Ziirich und lau
trie:
»Wir lassen Dir durch ein New
Yorker Banthaus dreihundert Dot
lars zuschieken Robert ift unterwegs,
Dich abzuholen. Auf baldiges Wie
derfehen. Jn Liebe Deine Eltern.«
Mathilde ließ nach Ziirich folgendes
Telegram abgehen:
»Vielen Dank» freue mich sehr iiber
Roberts Ankunft und baldige Heim
kehr. bin gesund und munter nnd
küsse Euch tausend Mal.
Eure Thilde.'·
Mathilde hatte die volle Wahrheit
telegraphirt. Sie freute sich wie ein
Kind« zu den Eltern zurückzugeben,
von Robert begleitet. Ein wohliges
Gefühl der Sicherheit beseelte fie. Mit
Schaudern dachte sie an die häßlichen
Tage der Drangsal zurück und den
noch gbedauerte sie jetzt nicht, dafz sie
das durchgemacht hat · sie hatte denn
doch etwas erlebt, hat Noth und Un
glück kennen gelernt und ift reifer und
ernster geworden. Das feindselige
Gefühl gegen Freyung hatte sich abge
schwöcht; er bat ja nur feinem anges
borenen und anerzogenen Wesen ge
mäß gehandelt - ein guter Kern
steckt in ihm doch. Sie dachte an
ihn, wie man an einen guten alten
Bekannten dentt, den man aus den
Augen verloren hat und dem man
alles Schöne und Gute wünscht. Sie
wiitde sich sehr freuen. wenn seine
musikalische Begabung bald Anerken
nung fände.
(Schluß folgt.)
Ein kühnes Jngenieurweik in
Deutsch-Ostafrika.
Jm vergangenen Jahre wurde in
Deutsch-Oftafrika ein Jngenieurwerk
dem Betriebe übergeben, das nicht nur
zu den tithnsten Bauten seiner Art,
sondern mit zu den interessantesten
und wichtigsten Jngenieurwerten
iiverhaupt zu rechnen ist« nämlich eine
Drahtfeilbahn, die aus der Panganis
Ebene sich auf einer Strecke von noch
nicht 9 Kilometer Länge aus 15«.-’::
Meter Höhe hinausschwingt. zu dem
Plateau des MstsllsamvarmGebirges
Jn der PanganisEbene breiten sich
zurzeit immer mehr Plantagen aus.
Dort wird Tabak, Chinin, Gerbers
Jakaziesp Kautjchuh namentlich aber
i
sum-Dank Baumwolle uno neuer
dings Zuckerrohr gezogen. Selbst die
Eingeborenen, initttlugnahme der viel-,
zuchttreibenden Massai. richten dort
Bauerngiiter ein, wo sie Reis. Varia
ncn, Baumwolle, iiautschnh Bohnen
und Liotos ziehen. Ueber diesem pa—
radiesischen Garten im Norden unseres
Schutzgebietes erhebt sich bis zu Höhen
von 2000 Metern und mehr dass
schroffe UsambarasGebirgr. das nur
von wenigen Schwarzen bewohnt ist,
kenn dort oben tann es in den Mich
ten bitteren Frost geben und in den
endlosen Urwäldern des Hoch-Pla
teaus treten ost Mittegrade bis zu 3
Grad Celsiug aus. Daher ist das Pla
teau des Gebirges noch unbewohnt,
und sein Waidreichtum tonnte sich un
gestört entwickeln. Es sinden sich denn
auch in diesem Gebirge gewaltige Ur
tvaldriesen, die viele Jahrhunderte
iiberdauert haben. Benierlenswert ist
auch der Reichtum an mächtigen Ze
dernstäminen·
Der erste, der den Wert dieser Wäl
der ertannte, war hermann von Wiß
mann. Er wies die Ansiedler des Nor
dens daraus hin, neben der Plantageni
wirtschast holzwirtsehast zu betreiben,
um so den von der Witterung, den .
Arbeiter- undMartt-Verhiiltnissen abs«
hängigen Ertrag der Plantagen durch
die weniger schwor-senden Einnahmen
aus der holzwirtschast aus eine sichere
Grundlage zu stellen. Seinem Winkel
sind manche Ansiedier gefolgt, und so «
sehen wir in den Mittelgebirgen Ost-.
Usotnbaraj, aber auch sitt das steile(
hochgehirge West-Usambara heute eine s
grössere Anzahl von hoiztonzessionens
erteilt, und in den dunklen Urwiiidern ;
erklingt der helle Schlag der Axt. Frei- «
lich ist die Förderung des hohes von «
den Gebirgen nach der Eisenbahn mit
den größten Schwierigteiten vetiniidsi.
Von Mstsllsambara herunter schien;
ein Transport überhaupt ansgeschlos-i
sen, stürzen doch die hänge des Gebir- ;
ges sost 1500 Meter senkrecht in dies
Ebene ab, und nur mit Mithe und end
losen Windungen tann der Weg überi
Wilhelmital von Norden her das Pla
toau ers-M Aber auch dieser Weg
ist so steil und so sehtoierig und die
Transportoerhiiltnitse aus ihm sind
» wegen der TseiTse Fliege die die Vet
.wendnng von Zuglieken unmöglich
machi, so ungünstig, daß ein witt
schnstlichek Transpoei von den Höhen
»herumet ans diesem Wege ausge
! schlossen ist.
« Deutscher Jngrnieurlunsl isl es
Tnun doch gelungen. einen Weg aus die
steilen Hänge zu schlagen nnd vie
schweren Zedetnstömnie in lauen ein
stündiger Fahrt an die Eisenbahn zn
bringen Zur Lösung dee Tennspoeli
skage swnndle sich die Plnnlngensitma
’an die DtnhlseilbabnsFabeil von
HAdols Bleicheet E Co. in Leipzig, die
»durch ihre Erfolge namenllich auch bei
Idee Ausschließung von Gebirgen, bei
spielsweise der Coedilleren in Regens
! linien, wo sie eine 535 Kilometer lange
» und nns 4600 Meter ansieigende Lusts
seilbahn irn Austrage der arge-trink
schen Regierung gebaut hatte, belannt
geworden ist. Die Firma baute auch
hier eine Drahtseildahn, die an dein
Sägewerk aus dem Plateau ansetzt
dann eine Gegentteigung von 90 Me
tern überwindet und nun von dem
Plateaurand kühn ans einen vor dein
Gebirgsriieken liegenden Kegel über
springt Hier var es nötig, in einem
Winkel weiterzugeben und mittelbar
an schroffen 5illssiillen vorbei iiber
Schluchten von mehreren hundert Mr
tern Tiefe hinweg mit zwei freien
Spannweiten von je etwa 300 Metern
die Bahn zu einern Vergriielen zu siihs
ren, wo sie wieder cine Stühe finden
konnte. Von hier aus war aber jede
weitere Tragseilunterstiihung ausge
schlossen, denn vor dem Eebirgshange
lag das breite und tiefe, landschaftlich
wunderbare Ngohatal. Kühn setzt die
Bahnlinie ohne jede Zwischenunter
stühung über das ganze Tal hinweg,
900 Meter frei iiberspannend und sitt;
gleichzeitig aus 210 Meter absenkend
Dann verläuft die Linie, noch mehrere
Gebirgshiinge anschneidend und im
mer noch mit startern Gesälle nach der
Eisenbahnstation Mkunibara. Aue
dieser schwanken, nur aus Stahldraht:
seiten gebildeten Babn gleiten heute
die schwersten Zedernstiirnnie und
Blöde bis zu 14 Meter Länge in ruhi
ger Fahrt talwärt5. Die Bahn selbst
’wird aber auch von Personen benutzt,
I bildet sie doch den beguernsten Weg aus
; das Gebirge und von dem Gebirge zu
riiet zur Ebene Abgesehen davon daß
die tiefsten und breitesten Täler von
der Bahn überbriickt werden, ist dieses
kühne Jngenieurwerl auch deswegen
bemertenswert, weil es die steilsteBahn
Eber Welt darstellt, denn Zwischen den
beiden Winkelstationen kommt eine
Steigung von 86 Prozent vor, die
bisher bei keiner anderen Bahnanlage,
weder einer Luftschwebebahn, noch ei
ner Schienenbahn, erreicht ist.
Diese Bahn. ein Werk deutscher Jn
genieure, aus das wir uiit Recht stolz
:sein können, ist heute zu einein wichti
Ygen Faktor in der Entwicklung der
Kolonie geworden. Es hat sich näm
jttch heraus-gestellt daß es möglich ist.
auf dem 2000 Meter hoben Plateau
enropäische Feldfriichte und Großvieb
zu ziehen, so daß mit hilse der Draht
feilbahn von dein Platean aus die
Plnntagenbau treibende Ebene rnit fri
schem Gemiise, frischen Lebensmitteln
und Fleisch versehen werden kann. Das
ist ein Umstand, der von großer Be
deutung für den Norden der Kolonie
«zu werden verspricht. Jst es doch so
möglich. die Schaden, die die Tse Tie
Fliege der Viehhaltung in der Ebene
zufügt, naher völlig auszugleichen
und jedes Fleckchen der libene fiir die
Zucht von wertvollen Plantaaenpslan
zen zu verwenden, ohne daß Eurovaer
nnd Eingeborene dabei auf rein tropi
sche oder Konterventost angewiesen
wären.
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Auf Grund einer eingehenden Un
tersuchung ist festgestellt worden, daß
die Arbeitgverhältnisse in hawait un
ter der Herrschaft der Trusts gerade
schauderhaft sind. Schon jetzt besteht
die Bevölkerung zur hälfte aus Japa
nern und in dein offiziellen Bericht
wird in Aussicht gestellt, dase Hawaii
zsoweit die Bevölkerung in betracht
kommt, in absehbarer Zeit faktisch eine
japanische Kolonie sein werde. Die
bis zum Widerwillen wiederholte Be
hauvtung des Zuckertrusts, daß weisse
Arbeiter dort des Ali-nat tvegen nicht
beschäftigt werden tönnten, wird als
positiv unwabr bezeichnet. So werden
wir es der badgier dieses Trusts zu
verdanten haben, daß Japan zu gege
bener Zeit sich hatvaiis bemächtigen
tann.
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Ein Professor behaiivtete, man
müsse, um mager zu werden, den gan
zen Tag essen. Der Mann ist wahr
scheinlich Stammgast ins ·den Ouirt
Lunch-Reftaurants. wo man eine gan
ze Woche lang unaufhörlich suttern
T tann, ohne siir einen Tag satt zu wer
den.
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Richt nur sprechen, was nicht wahr
ist, sondern auch nicht los-been was
wahr ist, ist Sche
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. Uenr das Leben feine Ideen gibt,
Um sit auch titu- Jvee vom Lebe-.