Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, May 05, 1911, Zweiter Theil, Image 14

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    Ein Roman
Z Neue Ulenschenj
Von A. Flach
W
(12. FortsetzungJ l
Ver dem Thore schwankte er. Er.
Mitte das junge Mädchen nicht an
sprechetn aber man kann doch nicht gut
herbeikommen ohne »guten Morgen«
ku wänichern und dn schickt es sich für
den Nachbar wohl auch. nach ihrem
Befinden u fragen. Und er ging in
der iiirze en Linie zu ihr hinüber
Ein ungezwungenes Plaudern be
gann. Dabei erfuhr ste, wer und was
und wie er war, und ihm wurde be
kannt, das sie Hitdegard heißt. teine
Geschwister hat. etwa zwanzig Jahre
alt ist, daß ihre Mutter seit fünfzehn
Jahren todt ist und ihr Vater ein
Mensch ist. der immer blos Rath
schlage giebt, Ansichten äußert var
dem oder jenem warnt, aber nie Be
fehle-ahnte , « L
Ihre Reden entzuaten modern anne
daß er anfangs ganz genau wußte,
was ihm dabei am meisten gefiel
ihr anmuthiges MienenspieL die un
geiiinstelte, glattfliefzende Sprache
oder der gesunde Sinn ihrer Gedan
ten«-.' Dann fand er des Räthselsz
Lösung: Alle drei Momente dereinig
ten sich zu der schönen Wirkung Die
Klänge einer Uhr erinnerten ihn da
ran, daß die Zeit nicht stille steht und
es sich nicht schickt, eine noch so an
genehnie Unterhaltung zu lange fort
zuspinnen Er fahte sich ein Herz
und verabschiedete sich. Er ging fort,
einen Ausflug nach Luzern zu unter
nehmen. Er mochte nicht im Zimmer
weilen, es würde ihn sicherlich wieder
zu der lieben Nachbarin ziehen, er
würde sich sicherlich nicht beherrschen
können und zweimal am Tage sie be
suchen. wäre ihr vielleicht unerwlinfcht
nnd würde in der Gasse Aufmerlsams
teit erregen. das tönnte Hildegard
Mähln unangenehm sein. Also. hin
aus nach Luzern
Er fühlte sich seht geistig und tör
perlich viel frischer als je. Den Grund
hierfür suchte er aber nicht darin, daß
«er jetzt wenig arbeitete, dasi er ein
ruhigeres Leben seen von der Groß
ftadt führte und in dein Aufenthalte
in der reineren Gebirge-tust sondern
er erklärte sich das aus dem Verkehr
mit Hildegard Mähly. Er verglich
die wonnige Empfindung, die ihn
durchrieselte, wenn er sie sprechen sah
und hörte, mit dem erquickenden phy
sischen Gefühl, das ein im Sonnen
brand halb Berdursieter hat« wenn
er das tryftallene Wasser eines talten
Bergauells einfchliirfen kann. Die
Herrlichkeit, die der Frühling in und
um Lusern ausgebreitet hatte, fand
bei Robert keine volle Aufmerksamkeit
erzog wie mancher Kurzsichtige um
her. dessen Blick nicht weit reicht, dem
Vieles blos in Umkiffen und ber
schwornmen erscheint. Dagegen sah
fein inneres Auge klar und scharf das
Bild der hildegard Wählt-. Mit ei
nem ihrn bisher fremd gewesenen
Freudegefiihl dachte Robert an sie,
auf seinem Gesichte lag dabei ein son
niges Lächeln. Er machte vor sich
selbst kein hehl daraus, daß er bilde
gard liebte und freute sich, daß die
ruhige Ueberlegung, die er immer wie
der anrief, ein giinstiges Gutachten
abgab und ihn sogar ausmunterte,
das liebliche Mädchen sich zu erobern
fiir immer.
Er kam erst spät nach Ziirich zu
rück. Zum ersten Male empfand er
jetzt den rnystischen Zauber seiner hel
len Mondnacht. Eine ibrn neue, selt
same« vhantastische Stimmung schlä
serte ihn ein.
Gegen Morgen schlug das Wetter
um; es trat Regen ein und Robert
mußte, als er, kaum ausgestanden, an
das Fenster eilte, zu seinem großen
Bedauern seststellen, daß die Thür
«des Sargladens geschlossen war. Jrn
ersten Augenblick sagte er sich: die
Thist drüben ist weder verriegelt
·noch vernagelt, sondern blos geschlos
sen und wird sich össnen, wenn die
Klinke niedergedrückt wird, und ob
.er mit Hildegard Mäbly vor dem La
den oder drin spricht, verändert an
der Sache wenig. Doch ließ er von
einer Absicht bald ab vielleicht ist!
ter Möhly da und würde den Be- ?
T such ungern sehen. Robert ging miß
muthig irn Zimmer umher. Er hatte
weder Lust zum Arbeiten noch zum
Lesen. ihm war der Aufenthalt irn
Zimmer lästig, und ausgehen mochte
see doch nicht. Er legte sich dann ans
— das alt-väterliche Sovha, sprang aber
· sakd wisseer um nach dem Wet
ter zu sehen « der himmel zeigte ein
Icostlisei Gran. Nun schrieb er an
du Mutter einen las Brief, der
is nichts seist i,lle blos die
; Stimqu des Schreiber
MI- Mede- streckte u sich
auf das Sopha hm und es übers-elect
ihn wie aus einem hinter-halte Vor
würfe. daß er gar nicht mehr an feine
Bestrebungen seine Zeitschrift dachte
Und Robert mußte zugeben, daß die
Vorwürfe recht hatten; ein ernster
Meint soll und darf sich nicht mit ei
nem noch so lieben Mädchen in dem
Maße beschäftigen daß er darüber
fein Leber-Mel vergißt Aber schließ
iich fassen sich Gedantea doch nicht
sie Soldaten von diesem nach jenem
statt kommandiren. Nichtsdestowe
niger will er es versuchen, feiner selbst
but zu werden. Das Mittel glaube
er auch schon gesunden zu haben; er»
will. wenn dies durchfüher iß. so
lange mit Hildegard Mähly sprechen «
bis er ihre enge Gedankenwelt genau
weiche in weiteren Gesprächen natur- (
gemäß zu Tage treten muß. sicherlich
zu seinen ernsten Dingen zurücktreiJ
ben. Er behält sieh aber vor, sich bis
dahin keinen Zwang anzuthun
Jm Zimmer wurde es dunkler.
Robert stand auf und ging zum Fen-?
ster. Am Himmel jagten dunie1-’
graue und gelblich grünschimmerndej
Wolken dahin, die zu murren began
nen. Dann zuckte ein greller Biig!
herab, ein unheimlich trachender Don
nerschiag folgte und nun blitzte und
dröhnie es, als ob in den Lüften ein
Krieg mit furchtbaren Geschützen ge
führt würde Eine Stunde später
war der Himmel ilar und blau und
die Sonne lachte aus die Menschen
herab, denen das Gewitter Furcht
eingejagt hatte.
Robert dachte: ob sich Hildegard
während des Unwetters geängstigt
hat? Er will sie fragen. Zuerst begab
er sich noch zum Mittagessen. Damit
war er bald fertig. Er kam zurück.
Die Thiir des Sargladens war wie
der offen, Hildegard war jedoch nicht
sichtbar. Langfam schritt er zur
Limmat und wieder zurück. Jetzt
traf er Hildegard vor der Thür.
Sie lachte, als er vorn Gewitter
sprach
«Jch fürchte mich nicht so bald
Jch habe eigentlich blos Angst vor vö
sen Menschen«
Man hörte jetzt in der Tiefe des
Leidens eine Thiir tnarren, dann
langsame, schwere Schritte sich nä
hern; ein älterer Mann mit langem
weißen Bollhart und buschigen dun
kelbraunen Brauen lom hervor.
»Den Dr. Robert Schwendt, un
ser Nachbar von drüben -- mein Va
ter." stellte hildegard ohne jede Be
sangenheit die Männer einander vor.
here Mahly reichte Robert die
Hand und blickte ihm aus seinen klu
gen braunen Augen prüfend inH Ge
sicht
Ireut mich, Herr Doktor . . .
Vlnd Sie Arzt? Dann wären wir
sozusagen gute Freunde. Arzt Apo
theter, Sargmacher. Todtengriider te
den von dem Tode Anderer. Ader
tvas von der Trauer kommt. ist trau
rig.«
»Ich habe Jura studirt, iide meinen
Beruf nicht aus« und bin dennoch
Arzt — ich bemüht mich. die Menschen !
von gewissen, meist ererbten Krani
hriten zu heilen.«
Hildegard hörte aufmerksam zu;
es war ihr bisher nicht eingefallen.
ihn nach seiner Beschäftigung zu fra
gen, für sie war er ein hübscher, klu
ger. lieber Mensch, dns geniigte ihr. s
Der Alte erwiderte: H
»Das verstehe ich nicht«
»Nun, unter Krankheiten meine ich
falsche, veraltete Ansichten, Herr
Mähly.«
»Was veraltet ist« ist wohl einmal
gut gewesen; vom Neuen weiß man
nicht einmal das. und wer tann be
ftinimt behaupten, daß diese oder jene
Anschasfung falsch ist, ehe sie durch
lange Erfahrung erprobt worden ift?"
Das war eine Antwort, die Robert
sonst sehr willkommen gewesen wäre;
er hätte aus seinem Arsenal an Wis
sen die besten Waffen hervorgeholt,
den Gegner zu besiegen.
Seine Freude am Kampfe hatte
aber in Zürich bedeutend nachgelas
sen, und in diesem Augenblick war er
besonders friedlich und ruhig geftimmt
und hätte am liebsten gesehen. daß
der Alte sortginge und ihn allein mit
ildegard ließe. here Mähly rührte
ich nicht von der Stelle und wartete
in ruhiger Neugierde auf Antwort.
»Darüber ließe sich viel sagen, herr
Möhly — wir wollen uns ein anderi
»Weil darüber aussprechen. Jch muß«
Ibald nach hause . . . arbeiten. Es
ist gut, daß ich Arbeit habe, ich würde
i mich sonst hier sehr dereinsamt fühlen.
Ich kenne sonst Niemand hier als Jhr
Fräulein Tochter, mit der es sich an
genehm plaudern läßt. Sie erlau
ben mir wohl, ab und zu hier vorzu
sprechen?«
Bitte . . . so oft es Ihnen Ver
giigen macht, here Doktor . . · wenn
es Hildegard Recht ist
»O ja - warum denn nicht?« sagte
da; Mädchen freundlich lächelnd
Oder-te fehr. . Sie Beide thun
ein gutes Wert- ich würde fonft das
Spre n orrlernenf
N rt freute sich nun war er mit
ein«-.- Fusre schon in der Familie
Its -
Kein Tag versteht-, ohne daß No
bert Hildegard besuchte. ,Ek blieb
jedesmal mindestens eine Stunde bei
ide. War das Wetter schön, so saßen
oder standen sie an der Thür, fonst
drin im Laden. Hildegard entschul
digte sich, daß sie ihn nicht in der
Wohnung empfange; is müsse eben
immer Jemand im Laden sein. Nach
fünf Tagen kannte Robert die .,enge
Gedankenwelt« des Mädchens ziemlich
genan, spürte jedoch nichts von Lange
weile.
In dieser schönen Zeit, die dem vor
züakkch aelaunten Robert blas durch
das Drangen feines Vertreters um
Einfendnng von Artiteln und das da
rauffolgende Arbeiten vorübergehend
getrübt wurde, kam es war gegen
Ende Mai - ein Brief feiner Mut
ter, der ihn traurig stimmte· Jeht
erft erfuhr Robert, was sich Alles fett
her im elterlichen Haufe zugetragen
hatte. Da fein außer-es und inneres
Wesen viel an feiner Herbheit verlo
ren hatte. feitdem er in Zürich lebte
und Hildegard tannte, driictten ihn
die betrübenden Nachrichten nm fo
ftörter nieder. Die Wirkung war
eine fo tiefe und nachhaltige, daß er
fogar einen Tag vorübergehen ließ.
ohne feiner Nachbarin einen Plauder
befuch abzuftattem War er nicht in
der Laune. mit Hildegard zu sprechen,
fo vergaß er sie doch nicht; oft und
oft ging er ans Fenster und grüßte
und winkte hinüber. Mit peinlicher
Gewissenhaftigleit prüfte er, inwie
weit er an der Erkrankung des Va
ters Mitfchuld trug, nnd kam leicht
zu dem Ergebnis. daß unzweifelhaft
auf Mathilden-s Rechnung mehr. viel
mehr zu fchreiben fei. Er dachte aber
nicht, wie es feinem Charatter ent
sprochen hätte, mit kräftigem Zorn an
feine Schwester, er betrachtete ihren
Schritt vielmehr als eine Verirrung.
zu der sie Frehung verleitet hatte.
und gegen diefen lehrte sich alles, was
in Robert an hassenden Gefühlen noch
vorhanden war. Erbarmen erfaßte
ihn bei dem Gedanken, was Mathilde
leiden wird-, wenn sie erfährt, welches
Unheil ihr unüberlegter Schritt ange
richtet hatte. Nachdem er fo den lan
gen Tag Alles das reichlich bedacht
hatte. feste er sich am Abend an den
Tisch. um den Brief der Mutter zu
beantworten Eilig glitt die Feder
über das Papier. Als er dann das
Schreiben, ehe er es in den Umfchlag
fterten wollte, noch einmal las, fiel
ihm felbft die herzlichkeit und die
Zärtlichkeit auf, deren Duft gleichfarn
aus den Worten und zwischen ihnen
hervor-drang. Der Brief enthielt
auch warme Worte für den Vater. «
Robert lächelte selbst iiber die Wand
lung, die sich in ihm vollzogen hatte
Jn diesem Schreiben machte er den
Eltern auch einen Vorschlag der ihm
Tit zu sein schien; er erklärte sich init
ergniigen bereit iinverziiglich nach
New Yort zu reisen, uni Mathilde
nach hause zu bringen.
Dieses Schreiben brachte Robert
noch am nächsten Mrogen selbst zum
hauptpostaiiit. Von dort ging er zii
hildegard. Mit ihr iin traulichen
Geplauder zwischen den Särgen
wurde er allmählich ruhiger und hei
terer. Ihr Vater kam nachher in den
Laden und mischte sich in das Ge
spräch ein, das dadurch einen einsteren
Charaiter erhielt. Die häslichleit er
sorderte es, daß Robert aus die Anre:
gungeii des herrn Mählii, der eiii
schlichter, tlugersManii war, einging.
Die Rede iaiii aus die gebildete Ju
gend von heute, ein Thema, das Ro
bert heute gleichgiltig und tiihl ließ.
Er hörte ruhig die hausbackenen
Weisheiten des Alten mit Ausnierti
samleit an und ärgerte sich dann da
rüber. daß sie so vernünftig und be
»iveisträstig waren. Der Herr Mähly
s hatte ja eigentlich Recht mit der Mah
nung »Ein mit Weile«, mit der-Be
hauptung. die Jugend sehe häufig vor
lauter Bäumen nicht den Wald, mit
dem Hinweis auf das Sprichwort,
«allzu schars macht schartig«· . aber
1
(
nicht von ihm wollte Robert sich eines«
Besseren belehren lassen, er
sich durch die naiveren An
seiner Tochter, die iiber die wichtigen
Dinge iin Leben noch nicht reichlich
nachgedacht hatte, belehren zu lassen.
Sprach sie ein Urtheil aus, so nahm
er es williger als richtig an. obgleich
sog es bor, ;
chauungen ’
sie sich nicht aus statle Gründe und
Erfahrungssiipe stützen konnte, wie
ihr Vater. Robert beobachtete sich
selbst sehr scharf und war sich darüber
klar, daß er jetzt über alles ruhiger
und auch unparteiischer urtheilte. Er
sab jetzt auch ein, daß er und alle
seine Gesinnungsgenossen mitunter in
dem Getümmel des Kampfes zu hitzig
gewesen sind und oft weit über das
Ziel hinausgeschossen haben. Als
kluger Mensch, der sich der besseren
iEinsicht nicht verschließt. empfand et
vor sich selbst leine falsche Scham da
rüber, daß ee ost geirrt haben mag;
et hatte den ernstlichen Willen. sich die
Augen ganz öffnen zu lassen von der
naiv- -tlugen hilbegard. Er war stob,
als here Mäny das Gespräch wegen
eines Geschäftsganges plötzlich ab
brach, und nahm die Einladung des
Alten fiit den morgigen Sonntag
Nachmittag zu einer Tasse Kafsee
gern an.
Nun waren die jungen Leute wie
der allein. Es entstand eine lleine
Pause. Robert saß. den Blick stark
aus den Boden gerichtet, den einen
Arm aus einen Sarg gelegt, träume
risch da. hildegard stand ihm gegen
über, sah ihn nachdenklich an und
sagte dann stir sich:
Schedeps ..
» ist blickte aus
«Un was ist es schade?«
r »Daß Sie zu klug sind!" erwiderte
sie und entschuldigte mit einem Lä
Echeln ihr kiihneä Wori.
»Ja tlug . . . das verstehe ich
nicht« erwiderte Robert, große Augen
machend.
»Sie prüfen Alles io genau. Sie
denken zu viel siir einen jungen Men
schen« wissen zu viel. und . . . soll
ich es sagen. werden Sie nicht böse
sein . . .?«
«Sprechen Sie nur. liebes Fräu
lein," erwiderte er drängend, von der
Anmutb ihres Mienenspielg entzückt.
»Und . . . Sie siiblen zu wenig.«
Hildegard erröthete. sie bereute«
daß sie den Schlußsay gesagt hatte;
es siel ibr erst dann ein, daß das
leicht salsch verstanden werden tonnte.
Robert verstand die Worte »Sie
silban zu wenig« nicht falsch, sondern
er dentete sie doppelt: weil er zu viel
denke, siible er im Allgemeinen zu we
nig und im Besonderen siir Hildegard
zu wenig. Er wußte, daß die zweite
Auslegung etwas gewagt war. hielt
sie aber doch siir einigermaßen ge
rechtsertigt: Hildegard mag sich des
sen garnicht ganz bewußt sein, daß
sie auch in Bezug aus sich selbst sein
geringes Gesiiblsleben beklagte.
»Sie haben Recht. mein liebes. lie
bes Fräulein, unbedingt-Recht,« sagte
Robert voll Wärme im Blick. »Bitte,
sprechen Sie weiter. sagen Sie mir
Fsklem was Ihnen sonst an mir miß
ii t.«
Sie drohte schelmisch mit dem Fin
ger:
»Schon wieder zu biel . . . zu biel’
Muth! Wer weiß, was ich noch Alles
zu sagen habe und es Jhnen nicht
weh thun wird.«
Er lachte
»Wenn es wehthut, Fräulein bilde
gard, dann müssen Sie mir als
Linderungsmittel meine guten Eigen
schaften nennen.«
»Wenn ich solche finde. Also, here
Dr. Robert Schwendt! Sie beschen,
wie ich schon angedeutet habe, den ei
nen großen Fehler, daß bei Ihnen
fast Alles ein »zu« hat: Zu ernst, zu
wenig Gefühl. zu viel Gedanken, zu
starken Willen — ja, ja. das habe ich
auch schon gemerlt! zu viel Eifer,
und so weiter. Schade, sonst . . ."
Robert erhob sich, ging auf sie zu
und fragte gespannt:
«Sonst?«
» . . . wären Sie wahrhaftig ein
lieber Mensch!« erwiderte sie auf ein
mal ganz ernst.
Robert betrachtete fie eine Weile,
dann streckte er ihr die nd hin, die
sie ergriff, und sagte fa heimlich:
»Ich werde an mir arbeiten, damit
ich besser werde-«
»O, wie mich das freuen wiirde,«
sagte hildegard ganz leise und sah
verlegen zu Boden
Robert umfing sie mit einem zärt
lichen Blick und siibrte ihre hand, die
er noch nicht losgelassen hatte, an
feine Lippen.
Jn diesem Augenblick trat eine
schwarz-gekleidete Frau schluchzend in
den Laden. hildegard und Robert
suhren betroffen auseinander, sie hat
ten vergessen, wo sie sich befanden, und
Beiden war zu Muthe, als hätten sie
den Ort, den fast nur Menschen in
tiesem Schmerz besuchen, durch das
dem freudigen Leben geltende Ge
spräch entweiht. Wenn die Arme nur
nichts gemerlt dat, dachten sie zugleich.
Die trauernde Frau wollte einenl
Sarg sür ihr einer tückischen Hals-s
trantheit erlegenes Kind bestellen·;
Hildegard besprach wie in theilnath- j
voller Scheu vor ihrem Schmerz mit»
stiller. weicher Stimme die Angele
genheit und holte, alt die Rede aus
»den Preis lam, den Vater, den sie»
eben im Hofe am Fenster vorbeitow
men gesehen, aus der Wertstiittr. Man
swurde bald handelgeins. der alte
lMiihly belundete dabei ein sauge
siihl, daß Robert siir ihn vollends ein
nahm. Die Frau wanlte dann zur
Thür hinan. Herr Möhly sah ihr
eine Weile nach, wollte etwas sagen,
ein Blick aus die beiden jungen Leute
schien ihn daran zu erinnern, daß er
besser thue, melancholische Bei-achtun
gen unausgesprochen zu lassen. Er
verließ freundlich nickend den Laden.
Bei dem Erscheinen der schwarzen
Frau, die gekommen schien, um im
’Namen des Todes die Jugend an die
———-———————
sBergiinglichleit zu mahnen, war Ro
bert von einem kalten Schauer erfajkt
worden. Eine vage Furcht beschlich
ihn, er wollte Hildegard sagen, was
er dachte und empfand, allein er fand
leine Worte, weil das, was ihn er
füllte, ihm selbst unbestimmt, undeut
lich war. Er blickte sie mit zwin
lernden Augen und verlegen lächelnd
an, wie um hilfe bittend, damit sie
spreche, damit ihre Stimme und ihre
Worte die Befangenheit seines Geistes
oerfcheuchem
hatte sie feine Gedanlen etrathen?
Mit einem leifen Seufzer tagte sie:
»Man stirbt sich und den Lieben
immer zu früh. Man sollte doch
jeden Augenblick des Lebens genießen
und . . .« sie sang im Fltistertonx
»O lieb, so lang Du lieben lann ,
Und lieb, so lan Du lieben mag ,
Die Stunde omrnt, die Stunde
lommt,
Wo Du an Gräbern stehst und klagst!«
Unwilltütlich hatte sie zu singen be
gonnen« als wäre sie von Jemand da
rurn insiiindig gebeten worden; aber
taurn hatte sie den ersten Vers vollen
det. that ej ihr auch schon leid -— sie
tarn sich rührseligund zugleich trittlos
vor; allein sie besaß doch nicht die
Willenstrast, aufzuhörenz und nun
schämte sie sich und sah Robert ver
stohlen an. ob er nicht etwa iiber sie
lächelte. Auf ihn aber machten ihre
Betrachtung und der Gesang großen
Eindruck. Er wusrte, das war nicht
die Offenbarung einer tiesen Lebens
weijheit gewesen, aber die anmuthige
Anspruchslosigteit, mit der ihr schäner
Mund das gesagt und gesungen hatte.
verliehen ihrer Mahnung siir ihn eine
besondere Bedeutung Er blickte sie
dankbar an und sagte:
»Sie haben wahrhaftig Recht. liebes
Fräulein Hilde. Genieße den Augen
blict -- das ist die weiseste Lebensre
gel. Jch habe sie wohl gekannt, aber
nicht genügend beachtet.«
Bald daraus ging er fort, nach
Hause. Er durchschritt sein Zimmer
treuz und quer, allerhand Gedanken
schwirrten ihm durch den Kaps, er
konnte sie nicht in Ordnung bringen.
obgleich sie alles etwas Gerneinsames
hatten - ·- denn irgendwie betrafen sie
hildegard.
Am Vormittag des nächsten Tages
erinnerte et sich, daß et ven Eltern
den Vorschlag gemacht hatte, nach
New York zu reisen, und es that ihm
nun leid bei dem Gedanken, daß et
von Zütich, von der Münstergasse,
von dem Sotglaven fort sollte, unv
et wünschte von Herzen, vaß sein Vot
fchlog abgelehnt werde.
Fortsetzung folgt. ) I
Sträflingsarbeit in Sibirien.
Die Unglijcllichen. die den Weg nach
Sibirien antreten, sind entweder zur
Latorgm das ist Zwangsarbeit in ei
nem Zuchthaufe oder aber zur zwang-;
weifen Ansiedlung verurtheilt, die auch
den Katarschnito, den Zwangs-arbei
tern, nach einer Reihe von Jahren als
Milderung ihrer Strafe gewährt wer
den kann. Die so beruchtigte »Ver
schickung aus administrativem Wege«,
wie man die Aufgreisung und Abschie
bung eines politisch Verdächtigen be
zeichnet, erfolgt sowohl nach entlege
nen russischen Gouvernements, z. B.
dem nördlichsten Theil von ArchangeL
als nach Sibirien. Jn Därsern, dir
recht weit von der Eisenbahn entfernt«
liegen, werden die Verschickten ange-;
siedelt; sie erhalten 9—14 Nubel mo-»
natlich fiir ihre Belästigung müssens
sich anfangs zweimal täglich, später
seltener, aus der Polizei melden und’
sind im übrigen auf sich selbst anges
wiesen. Alljährlich fährt einmal ein
Dampser die Lena nach Norden hinab
und seht mehrere 1000 Kilometer von
der Bahn entfernt mitten im Walde
seine lebende Fracht aus. Viele von
ihnen, besonders aus den an körper
liche Arbeit nicht Gewöhnten, gehen in
dem wörtlich bis aufs Messer geführ
ten Kampf ums Lebens der sich unter
den Berschickten entspimit, zugrunde.
Andern gelingt es, nach einiger Zeit
der polizeilichen Aussicht zu entwischen
und den Weg in die Heimath anzutre
ten. Diese Beglez genannten Gestal
ten, die ein Räuberleben in den Wäl
dern fristen und die meist gut bewaff
net sind, bilden den Schrecken der
friedlichen Einwohner des Landes-.
Besonders im Winter treibt der Frost
und der Hunger diese Desperados in
die Nähe menschlicher Wohnungen,
und wehe dem, der sich allzu weit oon
der Bahnstation oder auch nur ein
paar hundert Meter von einem Dorfe
Hentsernn Meuchlings fliegt ihm von
hinten ein Lasso um die Brust, lautlos
wird er umgebracht und ausgeraubi.
»So wurde, als ich in thutgi war, ein
Isanges Mädchen um 80 Kopeien er
mordet, und bei der Ankunft des Baii
laldampsers in Missowasa am Ost
user des Sees vom Stationöoorsteher
ouzgerusem man solle den Bahnsteig
nicht verlassen, da die Umgegend durch
Beglezi unsicher gemacht werde. Viele
von ihnen erreichen freilich auch ihr
heimathdorf, von wo sie vielleicht we
gen eines im Rausch begangenen Mor
deö verichickt sind. Jeder Bauer des
Dorfes weiß, wer jener lichticheue, ver
wilderte Geselle ist« der, wie von der
Erde verschluckt, verschwunden ist, so
bald der Landgendarm durchs Dorf
; reitei, um diePässe zu revidieren. Doch
teinet wagt ihn onzuzeigen er versteht
;,es das ganze Dorf io zu terrorisieren
kioie bee bayriiche bietet Oft scheuen
sich auch Gutsbesitzer nicht mit ihm zu
paltieren, um so den Teufel durch
Beelzebub auszutreiben So weißich
ein Gut, auf dem ein Entsprungener,
nachdem er einmal beim Wildern über
rascht, den Gutsherrn niederzuschießen
gedroht hatte, mit lehterein, das Ge
wehr im Anschlag, pnttierte, er werde
ihn entweder niederichießen oder aber
seine Jagd so verwalten, daß nie ein
Wilddiebstahl mehr vorkäme. Seit
Jahren iibt Sibigatt, wie er sich nennt,
auf dem Gute den Jagdichutz aus;
kein Menich weiß, wo er wohnt. wer
er ist, feine paar Nabel werben ihm
on wechseind oerabredeten Puntten
niedergelegt « doch lein Bauer wagt
es mehr, in dem Walde zu wildern.
Jn den großen Stadien werden fast
täglich Entfprungene, die von der Po
lizei, trog dem Besihe falscher Passe,
ertannt sind· aufgegriffen und abge
schoben. Von den in Sibirien Zurück
gebliebenen, die eine höhere Bildung
genossen haben. ist viel fiir die kultu
relle Oel-sung des Landes sowie fiir sei
ne Ersorschung gethan worden. Das
naturwissenschaftliche Museum in
Tschita verdankt seine liickenlofen
Sammlungen einem ehemaligen Stu
denten der Naturwissenschaft, der lei
der als alter Mann, im Jahre 1905.
als ihn noch einmal iote ein goldner
Traum aug ferner Jugendzeit dag
Wort »Freiheit" ans Ohr klang, zur
Strafe dafür, daß sich sein altes
Herz bethörenliefz, ainGalgen endigte.
Die Ungebildeten werden jeht zu Lan
destulturarbeiten verwandt. die Ge
bildeten zu deren Beaufsichtigung Jni
Sommer 1910 arbeiteten 2500 Straf
linge an dem Bau der Amurbahn,
im Jahre 1911 will man ihre Zahl
auf 8000 erhöhen. Die Sträflinge
sind auf zwei Abschnitte der projektier
ten Linie, den ioeftlichen bei Sretjenit
und den mittleren bei Plagt-weich
tfchenst verteilt. Auf lleinen Damp
fern, und ioenn auch siir diefe das
Wasser zu flach wird, auf Flößen und
Butten, werden sie bis zum Endpunll
der drei Tage dauernden Wasserreife
gebracht, von dort auf einer Klein
bahn in die nördlichen Uriviilder. Dort
wohnen sie in Bararlen zu 200 Mann
und haben sich —- ein Zeichen fiir die
leichte Anpassungsfähigkeit des Rassen
—- Gemiifegiirten angelegt, in denen
sie hauptsächlich Kartoffeln bauen.
Fiir diese mußten bisher an die wuche
rifchen Handlu, die sich sogar um die
paar Rubel der Sträflinge reißen, 90
Adpelen das Piid t32 Pfund) gezahlt
werden. Ferner hat man sie im lehten
Jahre als Arbeiter fiir die heuernte
verwandt, und von Striiflingen find
auf den Kabinettoländereien des Kai
sers 40,000 Pud Heu geerntet wor
den. Jm allgemeinen wird gemeldet.
daß es die Sträflinge troh den fchwies
rigen Verhältnissen, unter denen sie
arbeiten müssen, als eine Vergünstis
gung anfehen, zu diesen Arbeiten ini
Freien zugelassen zu werden. Schon
allein deshalb, weil sie eine abwechs
lungsreichere oft als im Gefängniß
haben. Dies menschentoiirdigere Da
sein, bei dem sie fich faft wie freie Ar
beiter fühlen, wirlt auch auf ihr mo
ralifchez Niveau zuriiit
Das seist und sit Fraun-.
Der Wiener deutsch-akademische
Juristenverein hat als Damenfpenve
zu einem Ball, der liirzlich stattfand,
einen Almanach dargeboten, der Aus
priiche belannter Persönlichleiien, na
nientlich vielgenannter Juristen, iiber
»Das Recht und die Frauen« enthält.
Der Alrnanach, der ietzt als stattliches
Büchlein im Verlage des genannten
Vereins erschienen ift, bringt ernste
Sentenzen, gehaltvolle tleine Abhand
ungen und Epigranime über das zeit
gensiifze Thema. Der berühmte Philo
soph Professor Dr. Rudolf Eucken
(Jena) schreibt: »Es gibt böse Men
schen, bie daran zweifeln, ob die Frau
immer recht hat, unzweifelhaft aber ist
Idaß sie immer recht behält. Jene bis
sen Menschen aber mögen des Fichte
schen Wortes gedenlenI »Der Mann
muß sich erst vernünftig machen; aber
das Weib ist schon oon Natur ver
niinftig.'« Der Vertreter des Zivilsg
rechts an der Wiener Universität, Hof
rat Professor MenzeL zählt folgender
niafzen die ,,defonderen Rechte« der
Frauen auf: »l) Das Jagdrecht
auf Männerlierzem ohne gefeyliche
Schonzeit Z) Die Kultusfreiheik
das Recht. sich von den Männern den
Hof machen zu lassen. 3) Die Rede
freiheit -- fteht in « der Ehe nur
der Frau zu. « - 4f Das No
vationsrecht betreffend die häufige
Erneuerung der Toilette. Eine Abart
davon ift 5) das hutweiderecht — - das
,Recht, sich an dem Anblick eines neuen
huteg zu weiden. ——— S) Das dem Ge
biete des Wasserrechtes angebörige
Thrönenrecht ——- zur Durchfetzung von
Wünschen. —--· Zuweilen bat die Frau
—7) das Retentionsrecht s-— betreffend
die Zurüabehaltung des Haus- o er
Wohnungäfchliiffelj.« Der t« lich
verstorbene Staatsrechtslelprer Dr.
Georg Jellinet ist durch folgende Sen
tenz vertreten: »Ja-wem ier Recht
Perrenrecht war, haben die Alten,
erne utunft vorahnend, Themis und
Juftitia als Frauen gedacht." Mit
guter Laune tiindet Eduard Mitl, der
humorist, in dem, wie Eingeweihte
wixftem auch ein tüchtiger Philologe
sieWird manchem anfaefallen fein,
Daß Aus bedeutet im Latein
Spwth vie Mühe wie das Recht
Vee vor der Frau fich drum erfrecht
Mit feinem Recht zu nxuntem
Den pflegt das felpvnerc Geschlecht
Rath fe i u e m Recht
Gehör-is einzinuniesn
Aus Gramva Conn» wird gemel
det, daß dort eine Ente in vierzehn Ta
gen achtundzwanzig Eier gelegt hat.
Die reinste Zeitungsentet