Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, May 05, 1911, Zweiter Theil, Image 14
Ein Roman Z Neue Ulenschenj Von A. Flach W (12. FortsetzungJ l Ver dem Thore schwankte er. Er. Mitte das junge Mädchen nicht an sprechetn aber man kann doch nicht gut herbeikommen ohne »guten Morgen« ku wänichern und dn schickt es sich für den Nachbar wohl auch. nach ihrem Befinden u fragen. Und er ging in der iiirze en Linie zu ihr hinüber Ein ungezwungenes Plaudern be gann. Dabei erfuhr ste, wer und was und wie er war, und ihm wurde be kannt, das sie Hitdegard heißt. teine Geschwister hat. etwa zwanzig Jahre alt ist, daß ihre Mutter seit fünfzehn Jahren todt ist und ihr Vater ein Mensch ist. der immer blos Rath schlage giebt, Ansichten äußert var dem oder jenem warnt, aber nie Be fehle-ahnte , « L Ihre Reden entzuaten modern anne daß er anfangs ganz genau wußte, was ihm dabei am meisten gefiel ihr anmuthiges MienenspieL die un geiiinstelte, glattfliefzende Sprache oder der gesunde Sinn ihrer Gedan ten«-.' Dann fand er des Räthselsz Lösung: Alle drei Momente dereinig ten sich zu der schönen Wirkung Die Klänge einer Uhr erinnerten ihn da ran, daß die Zeit nicht stille steht und es sich nicht schickt, eine noch so an genehnie Unterhaltung zu lange fort zuspinnen Er fahte sich ein Herz und verabschiedete sich. Er ging fort, einen Ausflug nach Luzern zu unter nehmen. Er mochte nicht im Zimmer weilen, es würde ihn sicherlich wieder zu der lieben Nachbarin ziehen, er würde sich sicherlich nicht beherrschen können und zweimal am Tage sie be suchen. wäre ihr vielleicht unerwlinfcht nnd würde in der Gasse Aufmerlsams teit erregen. das tönnte Hildegard Mähln unangenehm sein. Also. hin aus nach Luzern Er fühlte sich seht geistig und tör perlich viel frischer als je. Den Grund hierfür suchte er aber nicht darin, daß «er jetzt wenig arbeitete, dasi er ein ruhigeres Leben seen von der Groß ftadt führte und in dein Aufenthalte in der reineren Gebirge-tust sondern er erklärte sich das aus dem Verkehr mit Hildegard Mähly. Er verglich die wonnige Empfindung, die ihn durchrieselte, wenn er sie sprechen sah und hörte, mit dem erquickenden phy sischen Gefühl, das ein im Sonnen brand halb Berdursieter hat« wenn er das tryftallene Wasser eines talten Bergauells einfchliirfen kann. Die Herrlichkeit, die der Frühling in und um Lusern ausgebreitet hatte, fand bei Robert keine volle Aufmerksamkeit erzog wie mancher Kurzsichtige um her. dessen Blick nicht weit reicht, dem Vieles blos in Umkiffen und ber schwornmen erscheint. Dagegen sah fein inneres Auge klar und scharf das Bild der hildegard Wählt-. Mit ei nem ihrn bisher fremd gewesenen Freudegefiihl dachte Robert an sie, auf seinem Gesichte lag dabei ein son niges Lächeln. Er machte vor sich selbst kein hehl daraus, daß er bilde gard liebte und freute sich, daß die ruhige Ueberlegung, die er immer wie der anrief, ein giinstiges Gutachten abgab und ihn sogar ausmunterte, das liebliche Mädchen sich zu erobern fiir immer. Er kam erst spät nach Ziirich zu rück. Zum ersten Male empfand er jetzt den rnystischen Zauber seiner hel len Mondnacht. Eine ibrn neue, selt same« vhantastische Stimmung schlä serte ihn ein. Gegen Morgen schlug das Wetter um; es trat Regen ein und Robert mußte, als er, kaum ausgestanden, an das Fenster eilte, zu seinem großen Bedauern seststellen, daß die Thür «des Sargladens geschlossen war. Jrn ersten Augenblick sagte er sich: die Thist drüben ist weder verriegelt ·noch vernagelt, sondern blos geschlos sen und wird sich össnen, wenn die Klinke niedergedrückt wird, und ob .er mit Hildegard Mäbly vor dem La den oder drin spricht, verändert an der Sache wenig. Doch ließ er von einer Absicht bald ab vielleicht ist! ter Möhly da und würde den Be- ? T such ungern sehen. Robert ging miß muthig irn Zimmer umher. Er hatte weder Lust zum Arbeiten noch zum Lesen. ihm war der Aufenthalt irn Zimmer lästig, und ausgehen mochte see doch nicht. Er legte sich dann ans — das alt-väterliche Sovha, sprang aber · sakd wisseer um nach dem Wet ter zu sehen « der himmel zeigte ein Icostlisei Gran. Nun schrieb er an du Mutter einen las Brief, der is nichts seist i,lle blos die ; Stimqu des Schreiber MI- Mede- streckte u sich auf das Sopha hm und es übers-elect ihn wie aus einem hinter-halte Vor würfe. daß er gar nicht mehr an feine Bestrebungen seine Zeitschrift dachte Und Robert mußte zugeben, daß die Vorwürfe recht hatten; ein ernster Meint soll und darf sich nicht mit ei nem noch so lieben Mädchen in dem Maße beschäftigen daß er darüber fein Leber-Mel vergißt Aber schließ iich fassen sich Gedantea doch nicht sie Soldaten von diesem nach jenem statt kommandiren. Nichtsdestowe niger will er es versuchen, feiner selbst but zu werden. Das Mittel glaube er auch schon gesunden zu haben; er» will. wenn dies durchfüher iß. so lange mit Hildegard Mähly sprechen « bis er ihre enge Gedankenwelt genau weiche in weiteren Gesprächen natur- ( gemäß zu Tage treten muß. sicherlich zu seinen ernsten Dingen zurücktreiJ ben. Er behält sieh aber vor, sich bis dahin keinen Zwang anzuthun Jm Zimmer wurde es dunkler. Robert stand auf und ging zum Fen-? ster. Am Himmel jagten dunie1-’ graue und gelblich grünschimmerndej Wolken dahin, die zu murren began nen. Dann zuckte ein greller Biig! herab, ein unheimlich trachender Don nerschiag folgte und nun blitzte und dröhnie es, als ob in den Lüften ein Krieg mit furchtbaren Geschützen ge führt würde Eine Stunde später war der Himmel ilar und blau und die Sonne lachte aus die Menschen herab, denen das Gewitter Furcht eingejagt hatte. Robert dachte: ob sich Hildegard während des Unwetters geängstigt hat? Er will sie fragen. Zuerst begab er sich noch zum Mittagessen. Damit war er bald fertig. Er kam zurück. Die Thiir des Sargladens war wie der offen, Hildegard war jedoch nicht sichtbar. Langfam schritt er zur Limmat und wieder zurück. Jetzt traf er Hildegard vor der Thür. Sie lachte, als er vorn Gewitter sprach «Jch fürchte mich nicht so bald Jch habe eigentlich blos Angst vor vö sen Menschen« Man hörte jetzt in der Tiefe des Leidens eine Thiir tnarren, dann langsame, schwere Schritte sich nä hern; ein älterer Mann mit langem weißen Bollhart und buschigen dun kelbraunen Brauen lom hervor. »Den Dr. Robert Schwendt, un ser Nachbar von drüben -- mein Va ter." stellte hildegard ohne jede Be sangenheit die Männer einander vor. here Mahly reichte Robert die Hand und blickte ihm aus seinen klu gen braunen Augen prüfend inH Ge sicht Ireut mich, Herr Doktor . . . Vlnd Sie Arzt? Dann wären wir sozusagen gute Freunde. Arzt Apo theter, Sargmacher. Todtengriider te den von dem Tode Anderer. Ader tvas von der Trauer kommt. ist trau rig.« »Ich habe Jura studirt, iide meinen Beruf nicht aus« und bin dennoch Arzt — ich bemüht mich. die Menschen ! von gewissen, meist ererbten Krani hriten zu heilen.« Hildegard hörte aufmerksam zu; es war ihr bisher nicht eingefallen. ihn nach seiner Beschäftigung zu fra gen, für sie war er ein hübscher, klu ger. lieber Mensch, dns geniigte ihr. s Der Alte erwiderte: H »Das verstehe ich nicht« »Nun, unter Krankheiten meine ich falsche, veraltete Ansichten, Herr Mähly.« »Was veraltet ist« ist wohl einmal gut gewesen; vom Neuen weiß man nicht einmal das. und wer tann be ftinimt behaupten, daß diese oder jene Anschasfung falsch ist, ehe sie durch lange Erfahrung erprobt worden ift?" Das war eine Antwort, die Robert sonst sehr willkommen gewesen wäre; er hätte aus seinem Arsenal an Wis sen die besten Waffen hervorgeholt, den Gegner zu besiegen. Seine Freude am Kampfe hatte aber in Zürich bedeutend nachgelas sen, und in diesem Augenblick war er besonders friedlich und ruhig geftimmt und hätte am liebsten gesehen. daß der Alte sortginge und ihn allein mit ildegard ließe. here Mähly rührte ich nicht von der Stelle und wartete in ruhiger Neugierde auf Antwort. »Darüber ließe sich viel sagen, herr Möhly — wir wollen uns ein anderi »Weil darüber aussprechen. Jch muß« Ibald nach hause . . . arbeiten. Es ist gut, daß ich Arbeit habe, ich würde i mich sonst hier sehr dereinsamt fühlen. Ich kenne sonst Niemand hier als Jhr Fräulein Tochter, mit der es sich an genehm plaudern läßt. Sie erlau ben mir wohl, ab und zu hier vorzu sprechen?« Bitte . . . so oft es Ihnen Ver giigen macht, here Doktor . . · wenn es Hildegard Recht ist »O ja - warum denn nicht?« sagte da; Mädchen freundlich lächelnd Oder-te fehr. . Sie Beide thun ein gutes Wert- ich würde fonft das Spre n orrlernenf N rt freute sich nun war er mit ein«-.- Fusre schon in der Familie Its - Kein Tag versteht-, ohne daß No bert Hildegard besuchte. ,Ek blieb jedesmal mindestens eine Stunde bei ide. War das Wetter schön, so saßen oder standen sie an der Thür, fonst drin im Laden. Hildegard entschul digte sich, daß sie ihn nicht in der Wohnung empfange; is müsse eben immer Jemand im Laden sein. Nach fünf Tagen kannte Robert die .,enge Gedankenwelt« des Mädchens ziemlich genan, spürte jedoch nichts von Lange weile. In dieser schönen Zeit, die dem vor züakkch aelaunten Robert blas durch das Drangen feines Vertreters um Einfendnng von Artiteln und das da rauffolgende Arbeiten vorübergehend getrübt wurde, kam es war gegen Ende Mai - ein Brief feiner Mut ter, der ihn traurig stimmte· Jeht erft erfuhr Robert, was sich Alles fett her im elterlichen Haufe zugetragen hatte. Da fein außer-es und inneres Wesen viel an feiner Herbheit verlo ren hatte. feitdem er in Zürich lebte und Hildegard tannte, driictten ihn die betrübenden Nachrichten nm fo ftörter nieder. Die Wirkung war eine fo tiefe und nachhaltige, daß er fogar einen Tag vorübergehen ließ. ohne feiner Nachbarin einen Plauder befuch abzuftattem War er nicht in der Laune. mit Hildegard zu sprechen, fo vergaß er sie doch nicht; oft und oft ging er ans Fenster und grüßte und winkte hinüber. Mit peinlicher Gewissenhaftigleit prüfte er, inwie weit er an der Erkrankung des Va ters Mitfchuld trug, nnd kam leicht zu dem Ergebnis. daß unzweifelhaft auf Mathilden-s Rechnung mehr. viel mehr zu fchreiben fei. Er dachte aber nicht, wie es feinem Charatter ent sprochen hätte, mit kräftigem Zorn an feine Schwester, er betrachtete ihren Schritt vielmehr als eine Verirrung. zu der sie Frehung verleitet hatte. und gegen diefen lehrte sich alles, was in Robert an hassenden Gefühlen noch vorhanden war. Erbarmen erfaßte ihn bei dem Gedanken, was Mathilde leiden wird-, wenn sie erfährt, welches Unheil ihr unüberlegter Schritt ange richtet hatte. Nachdem er fo den lan gen Tag Alles das reichlich bedacht hatte. feste er sich am Abend an den Tisch. um den Brief der Mutter zu beantworten Eilig glitt die Feder über das Papier. Als er dann das Schreiben, ehe er es in den Umfchlag fterten wollte, noch einmal las, fiel ihm felbft die herzlichkeit und die Zärtlichkeit auf, deren Duft gleichfarn aus den Worten und zwischen ihnen hervor-drang. Der Brief enthielt auch warme Worte für den Vater. « Robert lächelte selbst iiber die Wand lung, die sich in ihm vollzogen hatte Jn diesem Schreiben machte er den Eltern auch einen Vorschlag der ihm Tit zu sein schien; er erklärte sich init ergniigen bereit iinverziiglich nach New Yort zu reisen, uni Mathilde nach hause zu bringen. Dieses Schreiben brachte Robert noch am nächsten Mrogen selbst zum hauptpostaiiit. Von dort ging er zii hildegard. Mit ihr iin traulichen Geplauder zwischen den Särgen wurde er allmählich ruhiger und hei terer. Ihr Vater kam nachher in den Laden und mischte sich in das Ge spräch ein, das dadurch einen einsteren Charaiter erhielt. Die häslichleit er sorderte es, daß Robert aus die Anre: gungeii des herrn Mählii, der eiii schlichter, tlugersManii war, einging. Die Rede iaiii aus die gebildete Ju gend von heute, ein Thema, das Ro bert heute gleichgiltig und tiihl ließ. Er hörte ruhig die hausbackenen Weisheiten des Alten mit Ausnierti samleit an und ärgerte sich dann da rüber. daß sie so vernünftig und be »iveisträstig waren. Der Herr Mähly s hatte ja eigentlich Recht mit der Mah nung »Ein mit Weile«, mit der-Be hauptung. die Jugend sehe häufig vor lauter Bäumen nicht den Wald, mit dem Hinweis auf das Sprichwort, «allzu schars macht schartig«· . aber 1 ( nicht von ihm wollte Robert sich eines« Besseren belehren lassen, er sich durch die naiveren An seiner Tochter, die iiber die wichtigen Dinge iin Leben noch nicht reichlich nachgedacht hatte, belehren zu lassen. Sprach sie ein Urtheil aus, so nahm er es williger als richtig an. obgleich sog es bor, ; chauungen ’ sie sich nicht aus statle Gründe und Erfahrungssiipe stützen konnte, wie ihr Vater. Robert beobachtete sich selbst sehr scharf und war sich darüber klar, daß er jetzt über alles ruhiger und auch unparteiischer urtheilte. Er sab jetzt auch ein, daß er und alle seine Gesinnungsgenossen mitunter in dem Getümmel des Kampfes zu hitzig gewesen sind und oft weit über das Ziel hinausgeschossen haben. Als kluger Mensch, der sich der besseren iEinsicht nicht verschließt. empfand et vor sich selbst leine falsche Scham da rüber, daß ee ost geirrt haben mag; et hatte den ernstlichen Willen. sich die Augen ganz öffnen zu lassen von der naiv- -tlugen hilbegard. Er war stob, als here Mäny das Gespräch wegen eines Geschäftsganges plötzlich ab brach, und nahm die Einladung des Alten fiit den morgigen Sonntag Nachmittag zu einer Tasse Kafsee gern an. Nun waren die jungen Leute wie der allein. Es entstand eine lleine Pause. Robert saß. den Blick stark aus den Boden gerichtet, den einen Arm aus einen Sarg gelegt, träume risch da. hildegard stand ihm gegen über, sah ihn nachdenklich an und sagte dann stir sich: Schedeps .. » ist blickte aus «Un was ist es schade?« r »Daß Sie zu klug sind!" erwiderte sie und entschuldigte mit einem Lä Echeln ihr kiihneä Wori. »Ja tlug . . . das verstehe ich nicht« erwiderte Robert, große Augen machend. »Sie prüfen Alles io genau. Sie denken zu viel siir einen jungen Men schen« wissen zu viel. und . . . soll ich es sagen. werden Sie nicht böse sein . . .?« «Sprechen Sie nur. liebes Fräu lein," erwiderte er drängend, von der Anmutb ihres Mienenspielg entzückt. »Und . . . Sie siiblen zu wenig.« Hildegard erröthete. sie bereute« daß sie den Schlußsay gesagt hatte; es siel ibr erst dann ein, daß das leicht salsch verstanden werden tonnte. Robert verstand die Worte »Sie silban zu wenig« nicht falsch, sondern er dentete sie doppelt: weil er zu viel denke, siible er im Allgemeinen zu we nig und im Besonderen siir Hildegard zu wenig. Er wußte, daß die zweite Auslegung etwas gewagt war. hielt sie aber doch siir einigermaßen ge rechtsertigt: Hildegard mag sich des sen garnicht ganz bewußt sein, daß sie auch in Bezug aus sich selbst sein geringes Gesiiblsleben beklagte. »Sie haben Recht. mein liebes. lie bes Fräulein, unbedingt-Recht,« sagte Robert voll Wärme im Blick. »Bitte, sprechen Sie weiter. sagen Sie mir Fsklem was Ihnen sonst an mir miß ii t.« Sie drohte schelmisch mit dem Fin ger: »Schon wieder zu biel . . . zu biel’ Muth! Wer weiß, was ich noch Alles zu sagen habe und es Jhnen nicht weh thun wird.« Er lachte »Wenn es wehthut, Fräulein bilde gard, dann müssen Sie mir als Linderungsmittel meine guten Eigen schaften nennen.« »Wenn ich solche finde. Also, here Dr. Robert Schwendt! Sie beschen, wie ich schon angedeutet habe, den ei nen großen Fehler, daß bei Ihnen fast Alles ein »zu« hat: Zu ernst, zu wenig Gefühl. zu viel Gedanken, zu starken Willen — ja, ja. das habe ich auch schon gemerlt! zu viel Eifer, und so weiter. Schade, sonst . . ." Robert erhob sich, ging auf sie zu und fragte gespannt: «Sonst?« » . . . wären Sie wahrhaftig ein lieber Mensch!« erwiderte sie auf ein mal ganz ernst. Robert betrachtete fie eine Weile, dann streckte er ihr die nd hin, die sie ergriff, und sagte fa heimlich: »Ich werde an mir arbeiten, damit ich besser werde-« »O, wie mich das freuen wiirde,« sagte hildegard ganz leise und sah verlegen zu Boden Robert umfing sie mit einem zärt lichen Blick und siibrte ihre hand, die er noch nicht losgelassen hatte, an feine Lippen. Jn diesem Augenblick trat eine schwarz-gekleidete Frau schluchzend in den Laden. hildegard und Robert suhren betroffen auseinander, sie hat ten vergessen, wo sie sich befanden, und Beiden war zu Muthe, als hätten sie den Ort, den fast nur Menschen in tiesem Schmerz besuchen, durch das dem freudigen Leben geltende Ge spräch entweiht. Wenn die Arme nur nichts gemerlt dat, dachten sie zugleich. Die trauernde Frau wollte einenl Sarg sür ihr einer tückischen Hals-s trantheit erlegenes Kind bestellen·; Hildegard besprach wie in theilnath- j voller Scheu vor ihrem Schmerz mit» stiller. weicher Stimme die Angele genheit und holte, alt die Rede aus »den Preis lam, den Vater, den sie» eben im Hofe am Fenster vorbeitow men gesehen, aus der Wertstiittr. Man swurde bald handelgeins. der alte lMiihly belundete dabei ein sauge siihl, daß Robert siir ihn vollends ein nahm. Die Frau wanlte dann zur Thür hinan. Herr Möhly sah ihr eine Weile nach, wollte etwas sagen, ein Blick aus die beiden jungen Leute schien ihn daran zu erinnern, daß er besser thue, melancholische Bei-achtun gen unausgesprochen zu lassen. Er verließ freundlich nickend den Laden. Bei dem Erscheinen der schwarzen Frau, die gekommen schien, um im ’Namen des Todes die Jugend an die ———-——————— sBergiinglichleit zu mahnen, war Ro bert von einem kalten Schauer erfajkt worden. Eine vage Furcht beschlich ihn, er wollte Hildegard sagen, was er dachte und empfand, allein er fand leine Worte, weil das, was ihn er füllte, ihm selbst unbestimmt, undeut lich war. Er blickte sie mit zwin lernden Augen und verlegen lächelnd an, wie um hilfe bittend, damit sie spreche, damit ihre Stimme und ihre Worte die Befangenheit seines Geistes oerfcheuchem hatte sie feine Gedanlen etrathen? Mit einem leifen Seufzer tagte sie: »Man stirbt sich und den Lieben immer zu früh. Man sollte doch jeden Augenblick des Lebens genießen und . . .« sie sang im Fltistertonx »O lieb, so lang Du lieben lann , Und lieb, so lan Du lieben mag , Die Stunde omrnt, die Stunde lommt, Wo Du an Gräbern stehst und klagst!« Unwilltütlich hatte sie zu singen be gonnen« als wäre sie von Jemand da rurn insiiindig gebeten worden; aber taurn hatte sie den ersten Vers vollen det. that ej ihr auch schon leid -— sie tarn sich rührseligund zugleich trittlos vor; allein sie besaß doch nicht die Willenstrast, aufzuhörenz und nun schämte sie sich und sah Robert ver stohlen an. ob er nicht etwa iiber sie lächelte. Auf ihn aber machten ihre Betrachtung und der Gesang großen Eindruck. Er wusrte, das war nicht die Offenbarung einer tiesen Lebens weijheit gewesen, aber die anmuthige Anspruchslosigteit, mit der ihr schäner Mund das gesagt und gesungen hatte. verliehen ihrer Mahnung siir ihn eine besondere Bedeutung Er blickte sie dankbar an und sagte: »Sie haben wahrhaftig Recht. liebes Fräulein Hilde. Genieße den Augen blict -- das ist die weiseste Lebensre gel. Jch habe sie wohl gekannt, aber nicht genügend beachtet.« Bald daraus ging er fort, nach Hause. Er durchschritt sein Zimmer treuz und quer, allerhand Gedanken schwirrten ihm durch den Kaps, er konnte sie nicht in Ordnung bringen. obgleich sie alles etwas Gerneinsames hatten - ·- denn irgendwie betrafen sie hildegard. Am Vormittag des nächsten Tages erinnerte et sich, daß et ven Eltern den Vorschlag gemacht hatte, nach New York zu reisen, und es that ihm nun leid bei dem Gedanken, daß et von Zütich, von der Münstergasse, von dem Sotglaven fort sollte, unv et wünschte von Herzen, vaß sein Vot fchlog abgelehnt werde. Fortsetzung folgt. ) I Sträflingsarbeit in Sibirien. Die Unglijcllichen. die den Weg nach Sibirien antreten, sind entweder zur Latorgm das ist Zwangsarbeit in ei nem Zuchthaufe oder aber zur zwang-; weifen Ansiedlung verurtheilt, die auch den Katarschnito, den Zwangs-arbei tern, nach einer Reihe von Jahren als Milderung ihrer Strafe gewährt wer den kann. Die so beruchtigte »Ver schickung aus administrativem Wege«, wie man die Aufgreisung und Abschie bung eines politisch Verdächtigen be zeichnet, erfolgt sowohl nach entlege nen russischen Gouvernements, z. B. dem nördlichsten Theil von ArchangeL als nach Sibirien. Jn Därsern, dir recht weit von der Eisenbahn entfernt« liegen, werden die Verschickten ange-; siedelt; sie erhalten 9—14 Nubel mo-» natlich fiir ihre Belästigung müssens sich anfangs zweimal täglich, später seltener, aus der Polizei melden und’ sind im übrigen auf sich selbst anges wiesen. Alljährlich fährt einmal ein Dampser die Lena nach Norden hinab und seht mehrere 1000 Kilometer von der Bahn entfernt mitten im Walde seine lebende Fracht aus. Viele von ihnen, besonders aus den an körper liche Arbeit nicht Gewöhnten, gehen in dem wörtlich bis aufs Messer geführ ten Kampf ums Lebens der sich unter den Berschickten entspimit, zugrunde. Andern gelingt es, nach einiger Zeit der polizeilichen Aussicht zu entwischen und den Weg in die Heimath anzutre ten. Diese Beglez genannten Gestal ten, die ein Räuberleben in den Wäl dern fristen und die meist gut bewaff net sind, bilden den Schrecken der friedlichen Einwohner des Landes-. Besonders im Winter treibt der Frost und der Hunger diese Desperados in die Nähe menschlicher Wohnungen, und wehe dem, der sich allzu weit oon der Bahnstation oder auch nur ein paar hundert Meter von einem Dorfe Hentsernn Meuchlings fliegt ihm von hinten ein Lasso um die Brust, lautlos wird er umgebracht und ausgeraubi. »So wurde, als ich in thutgi war, ein Isanges Mädchen um 80 Kopeien er mordet, und bei der Ankunft des Baii laldampsers in Missowasa am Ost user des Sees vom Stationöoorsteher ouzgerusem man solle den Bahnsteig nicht verlassen, da die Umgegend durch Beglezi unsicher gemacht werde. Viele von ihnen erreichen freilich auch ihr heimathdorf, von wo sie vielleicht we gen eines im Rausch begangenen Mor deö verichickt sind. Jeder Bauer des Dorfes weiß, wer jener lichticheue, ver wilderte Geselle ist« der, wie von der Erde verschluckt, verschwunden ist, so bald der Landgendarm durchs Dorf ; reitei, um diePässe zu revidieren. Doch teinet wagt ihn onzuzeigen er versteht ;,es das ganze Dorf io zu terrorisieren kioie bee bayriiche bietet Oft scheuen sich auch Gutsbesitzer nicht mit ihm zu paltieren, um so den Teufel durch Beelzebub auszutreiben So weißich ein Gut, auf dem ein Entsprungener, nachdem er einmal beim Wildern über rascht, den Gutsherrn niederzuschießen gedroht hatte, mit lehterein, das Ge wehr im Anschlag, pnttierte, er werde ihn entweder niederichießen oder aber seine Jagd so verwalten, daß nie ein Wilddiebstahl mehr vorkäme. Seit Jahren iibt Sibigatt, wie er sich nennt, auf dem Gute den Jagdichutz aus; kein Menich weiß, wo er wohnt. wer er ist, feine paar Nabel werben ihm on wechseind oerabredeten Puntten niedergelegt « doch lein Bauer wagt es mehr, in dem Walde zu wildern. Jn den großen Stadien werden fast täglich Entfprungene, die von der Po lizei, trog dem Besihe falscher Passe, ertannt sind· aufgegriffen und abge schoben. Von den in Sibirien Zurück gebliebenen, die eine höhere Bildung genossen haben. ist viel fiir die kultu relle Oel-sung des Landes sowie fiir sei ne Ersorschung gethan worden. Das naturwissenschaftliche Museum in Tschita verdankt seine liickenlofen Sammlungen einem ehemaligen Stu denten der Naturwissenschaft, der lei der als alter Mann, im Jahre 1905. als ihn noch einmal iote ein goldner Traum aug ferner Jugendzeit dag Wort »Freiheit" ans Ohr klang, zur Strafe dafür, daß sich sein altes Herz bethörenliefz, ainGalgen endigte. Die Ungebildeten werden jeht zu Lan destulturarbeiten verwandt. die Ge bildeten zu deren Beaufsichtigung Jni Sommer 1910 arbeiteten 2500 Straf linge an dem Bau der Amurbahn, im Jahre 1911 will man ihre Zahl auf 8000 erhöhen. Die Sträflinge sind auf zwei Abschnitte der projektier ten Linie, den ioeftlichen bei Sretjenit und den mittleren bei Plagt-weich tfchenst verteilt. Auf lleinen Damp fern, und ioenn auch siir diefe das Wasser zu flach wird, auf Flößen und Butten, werden sie bis zum Endpunll der drei Tage dauernden Wasserreife gebracht, von dort auf einer Klein bahn in die nördlichen Uriviilder. Dort wohnen sie in Bararlen zu 200 Mann und haben sich —- ein Zeichen fiir die leichte Anpassungsfähigkeit des Rassen —- Gemiifegiirten angelegt, in denen sie hauptsächlich Kartoffeln bauen. Fiir diese mußten bisher an die wuche rifchen Handlu, die sich sogar um die paar Rubel der Sträflinge reißen, 90 Adpelen das Piid t32 Pfund) gezahlt werden. Ferner hat man sie im lehten Jahre als Arbeiter fiir die heuernte verwandt, und von Striiflingen find auf den Kabinettoländereien des Kai sers 40,000 Pud Heu geerntet wor den. Jm allgemeinen wird gemeldet. daß es die Sträflinge troh den fchwies rigen Verhältnissen, unter denen sie arbeiten müssen, als eine Vergünstis gung anfehen, zu diesen Arbeiten ini Freien zugelassen zu werden. Schon allein deshalb, weil sie eine abwechs lungsreichere oft als im Gefängniß haben. Dies menschentoiirdigere Da sein, bei dem sie fich faft wie freie Ar beiter fühlen, wirlt auch auf ihr mo ralifchez Niveau zuriiit Das seist und sit Fraun-. Der Wiener deutsch-akademische Juristenverein hat als Damenfpenve zu einem Ball, der liirzlich stattfand, einen Almanach dargeboten, der Aus priiche belannter Persönlichleiien, na nientlich vielgenannter Juristen, iiber »Das Recht und die Frauen« enthält. Der Alrnanach, der ietzt als stattliches Büchlein im Verlage des genannten Vereins erschienen ift, bringt ernste Sentenzen, gehaltvolle tleine Abhand ungen und Epigranime über das zeit gensiifze Thema. Der berühmte Philo soph Professor Dr. Rudolf Eucken (Jena) schreibt: »Es gibt böse Men schen, bie daran zweifeln, ob die Frau immer recht hat, unzweifelhaft aber ist Idaß sie immer recht behält. Jene bis sen Menschen aber mögen des Fichte schen Wortes gedenlenI »Der Mann muß sich erst vernünftig machen; aber das Weib ist schon oon Natur ver niinftig.'« Der Vertreter des Zivilsg rechts an der Wiener Universität, Hof rat Professor MenzeL zählt folgender niafzen die ,,defonderen Rechte« der Frauen auf: »l) Das Jagdrecht auf Männerlierzem ohne gefeyliche Schonzeit Z) Die Kultusfreiheik das Recht. sich von den Männern den Hof machen zu lassen. 3) Die Rede freiheit -- fteht in « der Ehe nur der Frau zu. « - 4f Das No vationsrecht betreffend die häufige Erneuerung der Toilette. Eine Abart davon ift 5) das hutweiderecht — - das ,Recht, sich an dem Anblick eines neuen huteg zu weiden. ——— S) Das dem Ge biete des Wasserrechtes angebörige Thrönenrecht ——- zur Durchfetzung von Wünschen. —--· Zuweilen bat die Frau —7) das Retentionsrecht s-— betreffend die Zurüabehaltung des Haus- o er Wohnungäfchliiffelj.« Der t« lich verstorbene Staatsrechtslelprer Dr. Georg Jellinet ist durch folgende Sen tenz vertreten: »Ja-wem ier Recht Perrenrecht war, haben die Alten, erne utunft vorahnend, Themis und Juftitia als Frauen gedacht." Mit guter Laune tiindet Eduard Mitl, der humorist, in dem, wie Eingeweihte wixftem auch ein tüchtiger Philologe sieWird manchem anfaefallen fein, Daß Aus bedeutet im Latein Spwth vie Mühe wie das Recht Vee vor der Frau fich drum erfrecht Mit feinem Recht zu nxuntem Den pflegt das felpvnerc Geschlecht Rath fe i u e m Recht Gehör-is einzinuniesn Aus Gramva Conn» wird gemel det, daß dort eine Ente in vierzehn Ta gen achtundzwanzig Eier gelegt hat. Die reinste Zeitungsentet