Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, December 02, 1910, Zweiter Theil, Image 16

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    Roman von
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----- W-W. m WWIM
Aus hartem Holz
paul Blick
’Wfffffffffffffvvvv
(11. Fortsetzung und Schluß.)
Dann sprang er auf nnd eilte nack.
oben —- dielleicht lebte er noch!
Die Thiir war nicht verschlossen.
Die Lampe brannte.
Unheimliche Stille ringsum.
Bruno trat ans Bett.
Weich, mir geschlossenen Augen«
lag der Alte da. Er lebte noch, lang
sam hob sich noch die Brust.
»Wer« - — Bruno rief ihn« milde
und zart.
Da schlug der alte Mann die Au
gen aus und sah seinen Herrn mit
großen, steigenden Blicken irre an.
»Wie konnten sie das’thun, Wal
ter!« sagte Vruno schmerzlich.
»Ich mußte«, antwortete matt der
Alte, »ich mußte es thun er hat
mein Kind gemordet.«
Dann plötzlich richtete er sich aus
mit letzter Kraft, ein wenig nur. dann
sank er zurück — todt.
Bruno sprang zu, ihm zu helfen:
aber als er sich·über ihn beugte, da
erst merkte er. daß der alte Mann
ausgerungen hatte
Er fügte die erkaltenden Hände des
Todten zusammen. Dann betete er
einlstilles Vaterunser-. Dann trat er
zurück.
Jeht sah er auf dem Tisch ein Glas
mit gelblicher Flüssigkeit der Alte
hatte Gift genommen.
Tief erschüttert verließ Bruno das
Zimmer, und verständigte sofort den
nspektor von dem Geschehniß.
Auch der war zu Tode erschrocken,
ebenso auch die alte Schramm und
das übrige Gesinde.
Wie ein Lauffeuer ging die un
heimliche Neuigkeit über den ganzen
Hof. Kein Mensch hatte das erwar
tet. Ueberall stand man in Gruppen
und diskutirte —- nun plötzlich auch
fand jeder eine Erklärung dafür, daß
der Alte mit einem Male so krank ge
worden war und immer so elend und
bleich aus-sah! Nun wunderte man sich
nicht mehr darüber.
Gegen neun Uhr kamen die Beam
ten aus der Stadt, den Mörder abzu
holen —- sie fanden nur einen Todten.
Sie fuhren zwar unverrichteter
Sache wieder heimwärts, aber sie wa
ren doch froh, daß nun endlich dieser
dunkle Fall geklärt worden war.
Am zweiten Tage begrub man den
alten Mann aus dem nächsten Dorf
kirchhof —- er bekam ein Grab an der
Mauer — einsam und allein —- —-— —
Eine Woche lang sprach man in der
Stadt und in der ganzen Gegend
kaum von etwas anderem als von der
Entdeckung des Mörders.
Ja seinem Brief an das Gericht
hatte Waltet als tretbendes Motiv
angegeben, daß Herr Hang Felsing
seine Tochter in den Tod getrieben
habe, und daß er ihn also aus Rache
getödtet hätte —- etnen anderen
Grund, den Mord zu begehen, habe er
nicht gehabt.
Diese Mittheilung wurde bekannt,
erst nur in tleinein Kreise, dann aber
sprach die interessante Neuigkeit sich
schnell herum, wurde weiter und wei
ter verbreitet, und schließlich tannte
fie ein jeder.
Das war einmal ein netter llnteri
haltungsstoss
Mit derstecktem Lächeln hörte jeder
die kleine Geschichte aus dem Vor
leben des Verstorbenen an und machte
dazu seine Bemerkungen.
»Na ja, er hat eben sein Leben ge
nossen,« meinte schmunzelnd der eine.
Während der andere nictte. »Ge
wiß! Wenn es galt, irgendwo einen
Streich zu spielen, dann war er stets
der erste dabei."
Und die ehemaligen Regimentsia
eneraden des Verstorbenen entsannen
sich nun auch ganz genau, daß er ib
nen einmal in jener Dienstzeit ein
Fräulein Walter dargestellt hatte —
-o, es sei ein bildschönes Mädchen ge
ursent
So ging das Gerede von einem
Stammtisch zum andern und schließ
lich von Haus zu Haus-.
Aber wie alles in solcher Stadt
nur ein Weilchen dauert, so hielt auch
dieser Gesprächsstofs kaum länger als
eine Woche vor, und dann hechelte
man ein anderes Thema durch.
sen alledem hatte man der tran
ken Mutter natürlich alles sern ge
halten, solange es irgend anging; erst
als sie sich start genug fühlte, wieder
ein wenig aufzustehen, da erst begann
Eise der alten Frau ganz allmählich,
M und nach, und mit größter Zärt
·1W, alles zu erzählen, was iiber
die Ursache des Mordes bekannt ge
worden war.
Idee die alte Frau war beim An
Ist-n dieser Nachricht ganz still ge
steini. hatte graneooll genickt und
M leise — wie zu sich selber —
W- -Js. is. et hat es in solchen
W früher wohl etwas leicht ge
ssen-neu —i0 weiß das — ich habe
— einmal einen Brief bekommen,
ishr O so beschreibt-« — dann hatte
Q, M , und unter
gis- ishr-essen zweit-«
M m so M Seien kaum
vvvvffffffffffffffffffffffvv
p
mußte, das ist eine harte Strafe des
Himmels.«
»Nicht weinen, Muttchen,'« bat
Else. -
»Laß nur, Kind,« wehrte sie, »irn
mer laß mich weinen, das macht mir
das schwere Herz etwas leichter —
und allmählich muß ich mich ja doch
daran gewöhnen, daß ich ihn nicht
mehr bei mit habe. den lieben Jun
gen« — still weinte sie weiter.
Nach-einer langen Pause begann
sie dann, gesaßter und ruhiger: »Mein
Gott. und Brunot Wie Unrecht hab’
ich ihm gethan! O Gott« wie soll ich
das nur jemals wieder gut machen!
Das wird er mir im Leben nicht ver
zeihen tönnen,- daß ich so etwas
Furchtbare-s ihm auch nur zutrauen
tonnte.«
Schweigend sah Else zu ihr hin.
»Und ich hab’ jetzt doch nur den
einen noch!« jammerte sie. »Dies wird
uns wohl ganz auseinander bringen
— und dann stehe ich ganz allein da,
ich alte, einsame Frau!«
Schluchzend sant sie in sich zusam
men.
Scheu und voll Ehrfurcht vor dem
echten Schmerz blieb Else abseits und
sah mitleidsvoll zu der Kranken hin
— wie alt sie geworden war in den
paar Wochen! Gebiickt saß sie da,
das Daar fast weiß und im Gesicht
tiese Falten des Kummers — aus der
schönen Frau von ehedem war ein
gramgebeugtes, altes Mütterchen ge
worden!
Und dann lam Bruno.
Zum ersten Mal, seit jener surcht
baten Nacht, sah er nun die Mutter
wieder.
Und als er sie so wiedersah, er
schrak er dermaßen, daß er nicht Herr
seiner Mienen war und sich verrieth.
Aber die Mutter nickte ihm zu, mit
einem unendlich wehmüthigen, matten
» Lächeln.
»Ja, sa," sagte sie, »wian nur na
ber, Deine Mutter von ebedem findest
Du nicht mehr wieder.«
Langsam trat er hinzu; das herz
war ihm so weh, so unendlich weh;
mit Miibe nur hielt er an sich.
Still ging Else hinaus.
»Gebt es Dir besser, Mutter?« —
Seine Stimme klang so weich, wie sie
nie gellungen hatte.
Die Mutter nickte ihm zu.
»Ja, mein Sohn, es wird wieder,
ich fühle es — der Körper gesundet
wohl so nach und nach —- aber die
Seele« — sie schüttelte den Kopf —
«die wird so bald nicht gesund wer
den.«
Schweigenb stand er neben ihr.
Dann bat sie: »Sieh mir Deine
hand, Bei-um«
" Er that es
Unb als sie seine Hand hatte, strei
chelte sie sanft darüber hin. lichtv
send und zart.
Er bebte am ganzen Leibe — böt
bar laut pochte sein Herz.
»Du zitterst ja, Bruno? Bist Du
trank?« fragte sie angstvoll.
Stumm verneinte er nur.
Dann sagte sie ganz leise: «Bruno,
mein Sohn, hier bitte ich Dir ab iur
das, was ich Dir gethan habe·"
Stumm sah er sie an.
»Kannst Du mir verzeihen, Bruno?
Kannst Du fühlen, was rnein Mut
terherz damals gelitten hat?'
Er nickte und erwiderte: »Ich ber
zeihe Dir, Mutter.«
Da nahm sie seine Hand und führte
sie an den Mund und hauchte einen
Kuß darauf.
Bebend stand er da. Sein Herz
ward ihm so weich, daß ihm die Thra
nen in die Augen traten.
»Komm, mein Sohn,« bat sie«
»neige Dich zu mir — komm, ich
möchte Dich tüssen.'«
Einen Augenblick zögerte er noch.
Da bat sie: »Bruno, ich bin ja
Deine alte Mutter.'·
Und nun sank er nieder vor ihr,
umfaßte sie in heißer, inniger Liebe,
und schluchzend eies er: »Ach Mutter!
Mutter! Muttert«
Zärtlich, liebtosend, weich strei
chelte fie iiber sein dichtes, blondes
Haar. — — —
I It i
Der erste Gang ins Freie galt dem
Grabe des todten Lieblings.
Eise begleitete die Wiedergenesene
hinaus aus den siiiIen Gottesacker.
Gefaßt und ruhig trat die Mutter
an den hitgel heran, aus dem noch
die Fülle der verdoreten und erfrore
nen Blumenspenden lag.
Mhier liegt wohl sein Zwpr sagte
sie —- halb zu sich selbst —- ,,hiee wird
wohl sein Gesicht sein« —- und dann
streichelte sie zärtlich jene Stelle des
hiigeij und slitstette: »Hani, mein
Sohn, Deine Mutter ist bei Dir;
hörst Du mich, mein Lieblings« —
Und mit weit ausbliclenden Augen
schaute sie zum Dimmel empor, als er
: W sie eine Antwort oder irgend ein
W.
»Ist is er bei seinem Vater-J sag
te sie dann leise, den er stets so getiebt
hat."
Langsam rannen ihr die Thtänen
übers Gesicht.
Eine lange Pause entstand.
Endlich bat die junge Frau:
.Muttchen, Du darfst noch nicht so
lange draußen bleiben; wir müssen
wohl gehen.'«
»Ja, mein Kind, lass uns gehen;
Morgen lomtne ich wieder «het,« er
widerte die Mutter still und gefaßt,
»dies soll nun mein täglicher Gang
sein, damit ich wenigstens noch etwas
von ihm habe-«
Und so pilgerten sie beide nun je
den Tag. wenn es die Witterung zu
ließ, hinaus zu dem Grabe des tod
ten Lieblings
Dann aber lain ein neuer starler
Schneesall. so daß Wege und Hügel
ganz verschneit waren. und dann
mußten die Spaziergänge unterblei
ben.
Langsam, mit linder Wohlthat«
wandelte die Zeit den Schmerz der
Mutter in eine stille. sanste Wehmuth,
sie weinte nicht mehr, aber sie saß da,
wie in stiller Andacht und weihte je
den freien Augenblict dem Andenken
ihres todten Kindes.
Die Weihnachtszeit lam heran.
Freude leuchtete aus allen Gesich
tern, Erwartung in allen Mienen.
Auch im Felsingschen Hause wurde
ein Baum ausgeschmückt, — die Mut
ter bestand daraus.
Und dann seierte man ein stilles
Fest
Nur die Mutter, Eise, Bruno und
der alte Proturist Busch saßen beiein
ander. Jm Nebenzimmer brannte der
Christbaum
»Ach, lieber Gott« sagte die alte
Frau, »wer hätte heute vor einem
Jahr wohl daran gedacht« daß es so
kommen würde; wie srühlich waren
wie am vorigen heiligen Abend hier
zusammen« — und während sie in das
Licht der Kerzen blickte, füllten ihre
Augen sich mit Thränen.
Ganz leise stand Else aus und ging
ins Rebenzimmer, und ebenso leise
folgte ihr Bruno.
Pliihlich erklang Klavierspiel und
Gesang.
Die beiden jungen Leute spietten
und sangen einen Choral:
»Ehre sei Gott in der Höhe,
Friede aus Erden
Und den Menschen ein Wohlgefallen.«
; Weihevolle, milde, friedliche Stim
Irnung schwebte über dem Raum —
Ewahtthuend linde Ruhe tam iiber alle
— die Sorgen des Tages waren ver
gessen —- alles Kleinliche entschwand
und eine große, feierliche« heitige
Reinheit hielt Einzug in alle hergen.
Da ward auch das grainverzehrte
herz der alten Mutter leichter, sie sat
tete still die hände und betete stumm:
»Lieber Gott« vergieb uns unsere
Sünden. Amen.«
Als die Feier beendet war und man
beim Abendessen saß, sprach Eise da
von, daß sie nun auch bald an die Ab
reise denten müsse.
Als Bruno dies hörte, erschrat et
heimlich und sah die junge Frau sta
gend an.
Mamachen aber sagte: »Ach nein,
mein Rind, ich lasse Dich noch nicht
fort! Jch habe jetzt doch niemand
hier, und ganz allein würde ich es
nicht ertragen! Also bitte, sprich vor
erst nicht wieder davon.«
Und gleich nach Tisch, als Else al
Ilein unter dem Tannenbaum stand,
’ trat Bruno an sie heran.
D »Willst Du denn wirklich sort?«
s sragte er.
Sie nickte. —- »Jch möchte gern.«
Ernst, sast traurig sah er sie an.
»Dir wird die Last der Kranken
pslege aus die Dauer ,doch zu viel,
nicht wahr?-«
»O nein! Gewiß nicht!« verneinte
fie. »Das ist es nicht! Und übrigens
ist ja Mutterchen gar nicht mehr so
pfleaebediirstig.«
»Aber Du sehnst Dich eben heraus
aus diesem tristen Kreis, nicht wahr?
Ich kann es Dir ja auch nicht verdan
ten —- siir einen Menschen, der noch
Lebenslust hat, ist das hier ja aus die
Dauer auch nicht zu ettragen.«
Sie schwieg und sah vor sich nieder.
Nach einem Weilchen sagte er
schüchtern: »Aber wenn ich Dich nun
auch bitten würde, Eise, würdest Du
dann noch ein bischen bei uns blei
ben?«
Nach immer schwieg sie und sah
auch nicht aus.
»Und ich bitte Dich nun wirklich
darum, Else, ich bitte Dich sehr da
rum!« —- slehend sah er sie an.
Da sah auch sie ihn an und ant
wortete schlicht und still: »Ich werde
noch bleiben.«
Dantbar küßte er ihre Hand, und
voll inniger Freude blickte er sie an.
In diesem Augenblick gerade sah die
Mutter wen Nebenzimmer herein, und
alt sie die beiden jungen Leute so zu
sammen dastehen sah, da erkannte sie
vvvvvvvvvvvvvvvvvvvvvvvvvvv
"sosort, was da sich entspann —- --—· —
sie machte den alten Prokuristen dar
aus aufmerksam —- aber der nickte
nur« still erfreut, dazu — er hatte ei
längst gemerkt.
Mit leiser Wehmuth sah die alte
Frau schweigend in das Licht der
Lampe — ein paar Thriinen tamen
ihr hoch — und sie dachte: so schnell
wird ein Mensch vergessen, wenn er
nicht mehr aus der Welt ist — —- —
If III c
Also Else blieb.
Bruno lam nun öfter in die Stadt;
sast jeden Tag hatte er einen Grund
zu der Fahrt.
Still lächelnd sah es die alte Frau
mit an —- sie ertrug alles in Erge
benheit.
Eines Tages, als Else von einer
kleinen Einkaufs-tout zurücklam. sand
sie die alte Frau —— das große Fami
lienalbum aus dem Schosz haltend, am
Fenster sitzen.
»Ich denke, Du wolltest ein Mit
tagsschlaschen halten, Muttiisp
.Jch tonnte nicht mein Kind: el
Gedante, der mich seit einigen Tagen
verfolgt, ließ mich nicht zur Ruhe
tommen.«
Erstaunt sah Else auf.
»Bitte, Kindchem komm, setz Dich
zu mir, ich möchte mit Dir darüber
iprechen.««
Jnleresstrt nahm Else neben ihr
Platz.
Dann begann dieMutter: »Ich habe
in diesen einsamen, stillen Tagen und
auch in manch schlasloser Nachtstunde
über all das schreckliche Geschehnisz,
das iiber uns hereingebrochen ist«
nachgedacht, und wie ich mich dann
wiederum so heimlich recht ausge
weint hatte, da hörte ich plöhlich eine
Stimme in mir erklingen« und diese
Stimme raunte mir zu: Klage nicht,
daß der Himmel Dir ein so großes
Weh zugefügt: jetzt hat das Schicksal
an Dir gerächt. was Du an Deinem
ersten Gatten und an Deinem ältesten
Sohn verschuldet hast -—- tlage nicht,
sondern bereue und ertrage, was Du
gethan hast —- die Liebe, die Du dem
Verstorbenen geschenlt hast, laß sie
nun dem Lebenden zutheil werden,
damit hiißest Du Deine Schuld, da
smit erwirbst Du Dir der Seele Frie
Jden zurück.
. Ties ergriffen hörte Eise zu.
; Die Mutter aber sprach weiter:
;«Und diese Stimme tlingt mir immer
;wieder, wenn ich um den Todten tla:
Tgen möchte s— dieser Gedante läßt
mich nicht mehr los, denn ich fühle.
daß die Anklage, so hart sie auch ist«
dennoch gerecht ist — ja, ja es ist so
i— jetzt erst habe ich es einsehen ge
lernt. daß ich damals ein großes Un
recht beging -- und die Strafe des
Himmel-, die mich nun ereilt hat, ich
habe sie verdient.«
Wortlos erschüttert, hörte Elie die
Beichte der alten Frau an.
»Sieh hier, dies war mein erster
Mann,« sagte sie, eine vergilbte Pho
tographie hervorziehend.
Elsa iah das Bild an.
»Ganz so sieht Bruno aus," sagte
sie·
Die alte Frau nickte —— »Ja, er ist
feinem Vater toie aus den Augen ge
schnitten, und nicht nur äußerlich ist
diese Aehnlichkeit, nein, auch sein Cha
ralter iit derselbe, — überschwenglich
in der Liebe wie im Daß — und das
Zziihe, trotzige Bauernblut, das mir im
iLeben so viele, viele Sorgen gemacht
»hat.«
Sie schwieg und sah betrübt drein
EZärtlich streichelte Else die Hände der
alten Frau.
Die aber sprach dann weiter: »Es
ist wahr. meine erste Ehe war unaliitt
lich, und es ist auch wahr, daß ich
meinem ersten Mann das Leben oit
verbittert habe ---— ja, alles das durch
schaue ich jetzt, alles das habe ich in
diesen Schmerzenstagen einsehen ge
lernt sp— aber wenn ich mich auch
schuldig bekenne, wenn ich auch ein
sehe, daß ich jetzt siihnen muß, was
ich damals gesiindigi hatte ——— der
wirklich Schuldige war nicht ich, das
waren meine Eltern, die mich zu die
ser Ehe fast gedrängt, gezwungen ha
ben! Jch war damals ein junges un
ersahrenes Ding, tannte Welt und
Menschen nicht und hielt diese Erde
siir einen FreudensaaL in dem man
immer nur lachen und spielen sollte —
ich wollte mein Leben genießen! Und
da kam ich an diesen ernsten, harten
und trohigen Mann« dem alles das,
was ich wollte, ein Greuel war; ist es
da ein Wunder, daß ich mich bei ihm
nicht wohl fühlte, daß die Ehe todt
ungliieklich wurde? — O, es war eine
surchtbare Zeit Jch mag nicht mehr
daran denteni« —- Sie schwieg einen
Augenblick, suhr dann aber sort: »Und
wie ich diesen ersten Mann hassen ge
lernt hobe, so habe ich dann auch die
sen haß aus seinen Sohn, der ihm so
ähnlich war, übertragen —- ja. es ist
wahr, ich habe auch Bruno damals
gehaßt, denn er erinnerte mich in ai
lein zu iehr an seinen Vater —- ich
habe ihn stets vernachlässigt und all
meine Liebe meines han« geschenkt
s— s— — und nun muß ich dasiir bü
ßen, nun muß ich sühnen, was ich da
mals gefehlt habe! — Ja ich erkenne
die Hand Gottes —- ial ich beuge mich
seiner Allmacht! Jchswill nun alles,
alles wieder gutmachen!«
Still weinend saiiete sie die Hände.
Und bis ins Jnnerske erschüttert,
stand Else stumm dabei. ·
III O O
Langsam entschwanden die paar
lehten Winterwochen dahin, und lang
sam, aber mit sicheren Schritten kam
ein junger Lenz ins Land.
Der Schnee thaute ab, und die er
sten Blumenköpschen der Kroius. Pri
meln und Auriieln lugten neugierig
aus der segenspendenden Erde hervor.
An einem solchen Tage, als schon
die ersten Vorboten des kommenden
Frühlings sich zeigten« gingen Bruno
und Else spazieren
Die Lust war ganz hell und klar,
sein Hauch regte sich, und die Sonne
schien schon ganz warm
Ningsum warteten Millionen und
Abermillionen kleiner grüner Sproß
linge, die sich ans helle Licht sehnten
— ein geheimnißoolles Regen und
Weben ging durch die neuern-achte
Erde.
Da sagte Eise: »Aber nun muß ich
wirklich bald an die Abreise denken.'«
Und Bruno sah sie an. lächelte
giiickselig und sagte: »Wenn ich Dir
das gestatte, nicht wahrs«
Sie schwieg und lächelte erröihend.
Und dann nahm er ganz zart ihrs
Hand und sagte: »Else schon meinet
wegen bleibst Du jetzt noch hier, nicht
wahr?«
Einen Augenbiick zögerie sie noch —
dann aber nickte sie und sank an seine
Brust
sE n d e.)
——-—.——-—
Merlwltrdige Bücher. f
Seit ihrer Erfindung hat die Buch
drrzetertunft im Verein mit der Buch
bindertunft merkwürdige Erzeugnisse
hervorgebracht, die aus den Launen
verfchrobener Bücherliebhaber ent
sprungen sind. und in den meiften
Fällen mit gutem Geschmack wenig
oder gar nichts gemein haben
Unter den Verirrungen der Biblio
manie diirfen wohl die in Menschen
haut gebundenen Bücher an erster
Stelle genannt werden· Jn feinem
Handbuch fiir Bücherfammler behaup
tet herbert Stater, sie feien teineswego
fo selten, wie man vielleicht annehmen
follie Ohne Zweifel haben manche
angeblich in Menschenhaut gebundene
Drucktoerte thatfächlich einen Einband
aus- sialbsfelL das nach dem Gerben
von der gegerbten Menfchenhaut fehr
seh-wer zu unterfcheiden ift, aber es gibt «
mirttich echte Einbände in Menschen-!
haut, z. B. einen Band in der Athe- ’
neu-n -Bibliothet, Burg St. Ed
muntss, in der Haut von dem Mörder ;
Carl-en Zwei Bande im Marmo
rougn Haufe in Leder aus der Haut
von Marh Patman, einer Yorifhire
Hexe, die vor vielen Jahren wegen
Motdes gehentt wurde, und ein Band
in der haut von Geotge Cudmore, den j
im Jahre 1830 dasselbe Schicksal er-»
seiltr. Jm Besitz des berühmten fran
’z"osischen Astronomen Flammarion be
santi sich ein Buch, dessen tsinband aus
der Haut einer schönen Gräsin bestand,
die sie ihm als glühende Verehrerin
eigene zu diesem Zweck sür ein Exem
plar seines Wertes himmel Und Erde«
vermocht hattet Ein gewisser Dr. As
tew wurde gerichtlich belangt, weil er
täus:ich eine Menschenbaut zum Ein-: »
band eines Buches erworben hatte. Wie
Slater in einem anderen Werte »The«
Romanre os Bootcollecting« erzählt, »
tam er einst mit einem Büchersammler
in Berührung der nach seinem eigenen
Gesteindnisz nur Exemplare im Auge
butte, von denen jedes wegen seiner
Schicksale gewissermaßen einen histori
schen Werth besaß. Am stol esten war
der Besitzer dieser seltsamen ibliothetJ
die übrigens nur zweihundert Bande »
zählte, aus sein Exemplar des im Jah- i
re 1736 in Folio gedruckten Wertes«
Leben und Abenteuer der berühmtesten
Mörder und Straßenräuber, und zwar
nur aus dem Grunde, weil zu dem
Einbcnde die baut eines Verbrechen-«
der sein Leben am Galgen endigte, ver- s
wendet worden war.
Zu den merkwürdigen Büchern darf
man auch eine englische Spezialität die »
sogenannten grangerisierten, rechnen.i
Der Ausdruck ist nach dem Namen des
Verfassers einer sehr umfangreichen
Geschichte Englands-, Geringer, gebildet s
worden. Es gab früher nicht weniges
seltsame Käuze in Großbritannien, die ’
teine Kosten nnd Mühen scheuten, um :
zu jedem in diesem Werte angesiihrten .
. hervorragenden Ereigniß und zu ieder
Hierson, die in den Annalen des Lan- s
des eine nur irgendwie nennenswerthe
Rolle gespielt hatte Abbildungen zu!
erlangen und diese Geschichte Eng
lands damit auszuschmiickem indem
zman sie eintlebte. Wenn die Bönde
. dabei zu start anschwollen, wurden sie
ksorgsiiltig auseinandergenommen und
u neuen erweitert. ohn Forster be- 1
fah zwei Exemplare iesez grangeriil
sierten Werkes, das eine in vierzeth
- - - - v vvvvvvvvvffffffffffff
das andere in siebzehn Foliobänden.
Zusammen enthielten sie zwischen 5000
und 6000 Abbildungen von Personen
allein. Ungeheuer Summen wurden
an diese Verirrung der Bücherliebha
berei verschwendet, die nicht anders als
Vandalismus bezeichnet werden kann,
denn man verstümmelte die kostbarsten
Werte, um aus ihnen einigte Eint-ser
stiche siir ein Lieblingsbuch zu gewin
nen. Die Manie beschränkte sich näm
lich nicht aus Grangers Geschichte,son
dein breitete sich nach und nach auch
aus andere Druckerzeugnisse aus.
hauptsächlich aus solche, die eine Lotal
geschichte, z. B. von Grasschaften ober
Stätten, zum Gegenstand hatten.
Biogravhien berühmter Männer sind
ebenfalls nicht davon verschont geblie
ben. Clarendons Geschichte der Re
bellion ist aus diese Weise zu sieben
undsechzig starken Blinden angewach
sen, und zwar in vierzigjähriaer müh
seiiger Arbeit, an der ungezählte An
tiquare als Sammler und Lieferanten
betheiligt ware Die Kosten beliefen
sich aus etwa s7. ,000. Das monttröie
Wert befindet sich gegenwärtig, wenn
wir nicht irren, in Cambridgex es ent
hält nicht weniger als 731 Abbildun
gen von Karl l., 518 von Karl ll»
BFL von CromrvelL 273 von Jakob ll.
und 420 von Wilhelm ll. Ein gran
gcrisiertes Exemplar von Pannants
Geschichte Londons toitete dem, der es
zustande brachte, Mö,l)l)0.
Ein Pariser Sammler namens
Salomon solt zweihundert Eremvlare
der kleinsten Bücher, die je gedruckt
sind, besessen haben. Wenn Stater
recht unterrichtet ist, täuschte er sich
jedoch in dem Glauben. in einem win
zian im Jahre 1674 in Holland ver
össentlichten Büchlein mit dem Titel
Bloem hoffe Door dag'tleinite über
haupt zu besitzen. Obwohl es gerade
nur ein Viertel der Größe einer engli
schen Penan - Poftmorte hat. steht es
,an Winzigteit doch noch ziemlich be
zdeutend hinter einem von Salmin in
TPadua im Jahre 1862 gedruckten zu
rück. Jede der 208 Seiten enthält
neun Zeilen mit etwa hundert Bock-sta
ben. Dieses seltsame Erzeugnis-, der «
Buchoruckertunst, das man fast mikro
.stopisch nennen könnte, ist IM Milli
rneter lang und 6 Millimeter breit.
Derselbe Verleger lieserte im Jahre
1870 eine Ausgabe oon Dantes Gött
licher Komödie mit 500 Seiten, 37:22
Mitlirneter groß. Der im Jahre 1781
in Paris erschienene Alarm Almanac
mißt 18:14 Millimeter, unaesähr
ebenicviel oder ebensowenig The Eng
lish Bijon Almanac vom Jahre 1837.
Die lteinste Bibel soll im Jahre 1896
in Glasgoro gedruckt sein. Sie ist ein
vertleinertes Fatsimile der Orsorder
Nonknreilbibel 16 Grad und enthält
ebensallo 28 Jllustrationen, zählt Wes
Seiten, ist aus das dünnite indische
Papier gedruckt und II bei U; Zoll
groß.
Es gibt Bücher mit Buchstaben in
verschiedenen Farben, so auch eins, das
weder geschrieben noch gedruckt wurde
Jeder einzelne Buchstabe ist in Umriss
linieu aus weißem Papier geschnitten.
aber nicht entfernr, sondern nur :-·-rar
rnorpapier unterlegt, so dasz man ihn
volltommen durchlesen tann. Jm bri
tischen Museum befindet sich ein ans
bleierne Blätter gedrucktes Buch: die
selbe Sammlung besitzt Biicher auf
Palm- und anderen Blättern, sogar
auf Austerschalen Unter die mert
würdigen Bücher dürfen auch wohl die
eingereiht werden, die in Holz von be
rühmten Schiffen oder geschichtlich be
deutsamen Bäumen gebunden sind.
Slarer sah einst ein Testament und ein
Gebetbuch zu einem Zwillinggband
dos-a-dos zusammengebunden. Bü
cher, die auf verschiedenfarbiges Papier
gedruckt find, gehören ebenfalls zur
silasse sonderbarer Preßerzeugnisse.
Eins der seltsamsten Werte, die ie
nials in irgend einer Sprache veröf
fentlicht worden sind, verdantte seine
Entstehung den Schrullen eines ewif
sen Ticnotheus Dexter, der im Fahre
17413 geboren wurde. Er hatte große
Reichthümer erworben, kleidete sich wie
ein römischer Senator und schrieb
mehrere Bücher in völliger Mißachtung
der Ethmologie und Snntar. Die
erste Ausgabe eines dieser im buch
stiiblichen Sinne des Wortes verrüctten
Bücher mit dem Titel: Einsache Wahr
heiten in eigengemachter Kleidung hat
teine Jnterpunttionz die zweite enthält
Dutzende von Zeilen, die nur aus Rei
hen von Strichen, Strichpuntten und
Fragezeichen bestehen und gemäß dem
ausgesprochenen Wunsche des ver-schro
benen Verfassers von denjenigen Lesern
ausgefüllt werden sollen, die sich den
Text «osefsern und salzen« möchten.
Es gibt also eine ganze Anzahl
merkwürdiger Bücher, die durch ihre
Abscnderlichieiten ein gewisses Jn
teresse erregen, selten aber zugleich auch
litterarisches, da sie ihr Entstehen in
den meisten Fällen einem überspannten
kindischen Einfall verdanken. Aber so
ist nun einmal der menschliche Geist
das Ungewiihnliche, rna es noch so
bizarr sein und den Gesetzen der Ver-«
nrnft geradezu hohn sprechen, iiht zak
holden Abwechselung zuweilen eine
stärkere An iehu straft aus ihn aus«
als das A tügl , das man immer
vor Augen und zur Hand hat.