Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, October 28, 1910, Zweiter Theil, Image 14

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    Kloster Wendhusen
Roman von- W. Heimburg
is. FortsesungJ
Es war merkwürdig zu sehen, wie
das Kind und die hohe. strengeFraueni
gestalt sich gegenüberstanden. Das
bröunliche Gesicht des Jungen war
bleich geworden. die kleinen Hände
hatten sich heimlich zu Fäusten geballt
und unter den langen Wimpern bet
rsvr sahen seine Augen mit einem un
nachahmlichen Gemisch von Gering
schäjnng und kindlicher Neugierde
empor-.
«Georg wollte guten Tag sagen«,
stammelte ich schüchtern.
Das kalte Gesicht vor uns verstei
nerte förmlich in Unnahbarteit Es
war dasselbe Zimmer. in dem ich sie
zuerst gesehen. und dasselbe Gesiihl
ertödtender Kälte stieg wieder in mir
empor.
Sie antwortete nicht: ihr Blick war
fast durchdringend aus das Knabenge
sicht vor ibr aeheftet.
»Wie heißt Du ?'« fragte sie dann.
»Georg von Deinphosz antwortete
er.
»Wie alt bist Du?u
»Acht Jahre.«
Dann schritt sie zur Klingel und be
fahl dem eintretenden Diener, irn Ne
benzimtner Limonade und Kuchen aus
zusetzen und Fräulein Charlotte von
unserem Hiersein zu denachrichtigen,
ersuchte uns, in besagtes Nebenzun
rner zu treten und verabschiedete sich
mit der Bemerkung, Charlotte werde
uns Gesellschaft leisten. Dort hätte ich
Georg indessen nicht mit zehn Pferden
halten können; er stürmte zur Thiir
hinaus und verschwand fang sacon
in Gerhardt’s Zimmer, weil dieser ihm
gesagt habe, er solle mit in die Felder
L .:s ,«21 --—.k.c-..- .
Styurwuy us( use-o iuu uugrsrqrm
wollte sich todt lachen und erklärte aus
meine Verwunderung über die Orts
kenntniß des Jungen, daß Gerbardt
ihn bereits am ersten Tage seines
Hierseins mit in die Villa genommen
bade, und nun lomme der kleine Bur
sche beinahe jeden Tag.
»Mama scheint ja mit ihrer fußen
Bewirthung gänzlich abgefallen zu
sein«, schloß sie dann, den Kuchen
betrachtend. »Das wird sie gern
recht wundern Joachim leckte stets
jedes Krümmelchen aus. — A Motive-.
in einiger Zeit tommt er mit einem
halben Duyend Kameraden zur Jagd,
da giebt’S Leben drüben im alten Klo
ster, denn die ganze Gesellschaft wird
dort logiren. hier wäre ja kein Platz
— und Ferra’s Nerven, o Himmels«
Zu dieser Jagd stand aber noch et
was bevor, und zwar erwartete Tante
Edith ihren Sohn; er tam tun: ersten
Male in seiner jungen Obersörster
würde. Und Tantes stille Seligkeit,
mit der sie schon lange vorher Vorbe
reitunaen zum Empfange ibreå Lieb
lings traf, war rührend anzusehen;
sie nahm selbst nicht übel, als Cbar
lotte zur Erhöhung der Feier dieses
Ereignisses sämmtlichen Ritzen schar
lachrothcs Halsbänder verfertigt hatte,
an denen ie ein Glöctchen hing, dass.
es bei einer Anprobe dieses Schmuckeså
zu einem fürchterlichen Gebimmel,
Miauen und Durcheinanderspringen
der Thiere kam. Nur der alte Gott
lieb, der zufällig durchs Zimmer ging,
brummte unwirsch, als wir uns gar
so himmlisch iiber diesen Anblick anrü
sirten und wir hörten ihn zur Tante
sagen:
»Gnadige Frau, es ist mir i.mmer
als ob wir in unseren jungen Jahren
niht gar so närrisch und kindisch ge
wesen wären, wie heut’ zu Tage die
jungen Leute sind Nun hören sie
nur!'«
»Ei, thottlieb, das habt Jhr verges
sen!« antwortete Tante Edith sreunds
lich. »Ihr wißt doch, ein Junge muß
sieben Jahre narren, und wenn er
eine einziae Stunde davon versäumt,
muß er wieder von vorn ansangen.«
Aber der Alte blieb dabei.
»Ne, ne. heuk zu Tag ist Alles an
ders«; er hiitte den Schnabel nur aus
thun dürfen, wenn sein Vater nieste;
dann habe er »Gott hels« gesagt: wo
raus natiirlieh Charloite sofort laut
nieste, und der alte Mann mit uner
schiitterlicher Ernschaftigkeit sein »Gott
hels, gnädigeä Fräulein!« hinüberrief,
ohne die neekische Absicht zu merken.
Gerhardt kam uweilen zu Tante
Edith und hatte si sogar nach jenem
Abende, als ich mir so ungeschickt den
Fuß verstauchte, selbst nach meinem
Vefinden erkundigt, der rotbe Malt-en
kranz aber, den ich so ärgerlich fortge
tporsen, und den ich hinterher so gern
wiedergehaht hätt-, der war verschwun- ;
den und Taste konnte sich in ihrer
tlpit nicht besinnen, wo sie ihn
" n; er wäre gen-iß von Jette
.Iit ausgesegt worden, meinte sie.
, Mk seit näherte sich in
W ktsaen ihrem Ende. Er
bitte M o tang- gebeteiy bis ihm
Ich Eins-oft eng-standen wurden,
stets Aether-MS Geburtstag
stät-le er nett verriech er solle es
W W sog-m
M scheuten wir ihm denn Z«
itzt-Ufer W
It, Das sent-? Daß wir etwas
’ war natiirltch; Gerhardt
obiel site uns hatte unt Beiden
·. Ome und Geiste
- tu neuen Unze-g
M « ihn dir ganze Massebenei
O
den und die Frau Doktor und Chri
stiane die Hände über den Kopf zu
sammenschlagen würden, wenn er
triederkam.« —
Wir gingen in mein Zimmer und
zählte-i meine lleine Baarschaft; es
waren nach damaligem Gelde zwanzig
Gurearoschem vie ich wie ein Geizhals
gehütet hatte. nur für Georg zu
Weihnachten etwas taufen zu tonnea.
Aber das war gleichgültig. hier mußte
Georg zurückstehen, und der tleine
selbstlose Junge war auch sosort be
reit dazu.
»Aber nun was, Lena? sragte er.
Ja was-?
Jch sann nnd sann, und endlich hat
te ich es heraus.
.Fiir das Geld laufen wir Wolle,
Georg, und ich striete ihm einen
Sbswl --- Cousine Ferra sagt ja
immer-, daß er am Halse leidet, nnd
da wird er ihm willkommen sein.«
Dieser Vorschlag hatte natürlich
Georaks Beifall, und so mußte kenn
die Botensrau heimlich Wolle aus der
Stadt mitbringen, und aus meinem
Lieblingsplätzchen im Klostergarten
strirtte ich mit wahrem Feuereifer ein
l.inges, warmes Geburtstagspräsent,
während Georg’s große Augen dao
Wachsthum mit Interesse und Spani
nung verfolgten
Die tleine Szene bei Ueberreicknng
des Geschenke-Z gehört mit zu meinen
liebsten Erinnerungen. ·
Als ich es nämlich fertig hatte und
Georg einprägen wollte, mit welchen
Worten er es dem Vetter Gerbardt
übergeben sollte, legte dieser die Hän
de aus den Rücken und erklärte rund
Weg, et habe den Shawl nicht ge
strickt und auch das Geld nichtange
den« und also auch rein oieau, eqsi zu
verschenken. Alles Schmeicheln Bit
ten und Zureden ihn in seinem Ent
schluß wankend zu machen, war ver-«
geblich, und so mußte ich mich isenn
entschließen falls ich den Stian nicht
behalten wollte. den seierlichen Akt
selbst zu übernehmen.
»O, lieber Gott, laß es doch mor
gen recht, recht kalt sein«, betete ich
am Abend zuvor, damit siir die Nijtz
lichkeit meines Geschenkeg doch gleich
der praktische Beweis vorhanden sei.
Und richtig. es erschien ein so win
diaer, naßkalter Septembertaa, das-,
toir in unseren kühlen Zimmern vor
Kälte bebten. Geoia war glücklich
darüber, und so stand er den aenzeii
Morgen am Fenster, um auszupassen«
wann Vetter Gerhardt komme. denn
dieser hatte ihm erzählt, er wolle sich
Zeie Zimmer siir die Jaadaiiste anse
, n.
Während ich indessen saß und arti
belte, wag ich wohl bei Ueberreichuna
meines Shawlo sagen könnte, ties
Gepkg piiitziicek
»Lena, er kommt und hat keinen
Shawl, er kommt!«
Und im nächsten Augenblick lies ich
auch schon den Korridor entlana, im
Arm das weiche Präsent« und lehnte
mich über das Geländer der Treppe.
Als ich ihn aber herauskommen sah,
sing mein herz ganz gewaltig an zu
klopfen, und ich flüchtete mich schleu
nigst wieder aus dem hellen Treppen
hause in den dunklen Korridor Dort.
blieb ich stehen, und machte wahrschein
lich ein so gottgjiimmerliche Gesicht,
als ob ich ihm statt eines Gliickwuw
sches eine große Hiobgpost zu verkün
den hiitte. Er sah mich aber erst, als
er dicht vor mir stand, und iiber seit
ernstes Gesicht flog ein steundlicheg
Lächeln.
»Lieber Vetter« ich wollte iet
möchte zum Gehurtstage gratuliren«.
skamnielte ich, »und Georg und ich
mochten Ihnen diesen Shan schenken,
wenn es windig und kalt ist --— - -«
»O, wie danke ich Jhnen Cousin
chenl«' ries er herzlich und ersciszte mei
ne Hände. »Das ist ja eine unerwar
tete Freude heute früh· Aber nun
binden Sie mir den Shawl auch um.
es ist gerade solch’ ein Wetter, daß
man ihn gut gebrauchen kann.«
Er bückte sich noch tiefer, und glück
selig ichlana ich ihm das weiche Ge
webe um den hals.
»O, wie prächtig!« sagte er, »und
tausend Mal Dank.«
Und dann beugte er sich wieder her
unter und seine Augen sahen mit den
nämlichen beredten Ausdruck in die
meinen, wie damals, als er mich die
Treppe hinauftrug. Aber nur einen
Moment, denn durch den Kotridor
kani es im vollsten Laus gestürmt,
und Geora bina küssend und jauchzend
an seinem halsr.
»Die-Jena hat Dir etwas vorgelo
»gen!« ries er; »sie hat den Shawl ganz
Jallein aeschenkt von ihrem Gelde, und
litn Klostergarten hat sie ihn ge
Wååi W -
«- ruhig.« schalt ich böex
aber Vetter Gekhatdt nahm den klxis
oen Ver-other ausdeu Ari- und küßte
IM, UND VIIng st. ip aus Heim
Schulter-: cis des Mhnwlg
III-VI Cis Z IMM, und ser
Yes as den mit-or hinunter bis vor
site Editlfs Säbenthiir wie die
witt- Jagd.
Und dann mußte Tante Edith »
dkdeeud das Gedrange-seidene he
lWi M ssk UW besteists konn
te, w- und wann ich ei gearbeitet hab-,
UID G M AM- xs Bette ginge-,
W spi« Mk
- »Weißt Du. Lena, Allen dat unser»
Schqnvl gefallen, nur Coufme Ferra»
ne t« (
»O bemlire Georgk
.z’fceilich. ich habe es ja aelelien; als
Vetter lsierhardt den Sbawl ganz in
Gedanken nmdebielt in seinem stin
liner. da iraate tie ihn. was er da für
ein ordiniires graues Ding trage? Da
habe ich ilsr aber gesagt, daß Du es
aeiirieth lidttest und daßes etwas;
sehr Schönes sei. '
Und was that Gerhardt?« seagtes
ifckhinit einem unertliirlich bangen Geiz
u
»Ja Lena. das hab ich vergessenJ
7. Kapitel.
Ein trüber Ottodertag spannte sich
draußen iilser Part und Wald aus.
die Blätter der Bäume hingen naß
nnd glänzend an den Zweigen und in
ten Zarlrreaen wurde sorgsam das
Jgelbe Land zusammengesetzt Es toar
der Vorabend der großen Jagd, man
erwartete die Gäste und ein un e
roeslint lautes Treiben entsaltete ich
in unserm sonst so stillen Hause. Jni
Korridar dröhnten die Schritte der
Dienerschast Thüren wurden geschla
gen nnd der Halt lief erschütternd an
lsen hohen Wänden entlana Beter
isterliaedt nnd erra inspizitten noch
einmal die Gat tzimrner; man tonnte
Ferras langsames, deutliches Spre
chen bis in Tantes Wohnstube horen
Auch lner sali es bereits ganz festlich
aus« denn auch sie erwartete einen lie
ben Gast. ihren Sohn. Gottlieb hatte
an den Stabenthiiren Guirlanden aus
Tannengriin befestigt, und aus dem
dunklen Gezweig leuchteten die-pur
purrothen Früchte der Eberesche der
voe. Die alten soliden tunstreich ein:
gelegten Makel glänzten, wie neu aus
der Tischlernsertstatt, und Tante aing
in ihrer stillen Weise noch immer erd
nend ab und zu im Zimmer-. »Jette,
usies mir nicht die Tasse entzwei enit
dem Jagdstiia«, ermahnte fie. es war
meines seligen Mannes Mundtasse. —
Und Lem, Du könntest wohl noch ein
paar Blumen im Klostergarten zu
sammensuchen um den Navituchen In
betränzen.« «
Jch legte sosort meine Arbeit weg.
um hinaus-zugeben da schob sich Char
lotte’s schlanke Gestalt durch die Thür;
sie hielt die eine band aus den Rücken,
und erst als sie dicht vor Tante Editi
stand, prasentirte sie ihr ein prächtiges
Vouquet später Rosen
»Da, Taute, laß nur die Klosters
blumen«, sagte sie. »ich bnbe diese da
desn Gärtner beinahe aus den Knie-en
abgebettelt, denn Ferra hatte sie
sainrnt und sonderg siir sich in An
spruch genommen. Die stellst Du No:
bert herzte Abend aus seinen Platz bei
Tische?
»Bleilst Du hier« Lottchen?« fragte
Lunte und beschaute entzückt den
Etrausz von allen Seiten.
»Jetzt. ja. so lange Du mich behals
ten willst, denn drüben ist nicht out
sein Meinungsverschiedenbeiten
zwischen Ferra und Gerhardt wegen
Joachim - - brrl - das ist schrecklich
für niisbt und Mnrna ist vernimmt
Ol- ich zu Abend hier bleiben tnnnt
Ich mochte aern, aber « Sie zuckte
unrnutbig die Achseln· ,,Robert losnnik
doch mit einenem Geschirr?« setzte sie
skaaend hinzu.
»Freilich. Lottchen, ich mus-, doch
seine Eouipaqe sehen; es ist ja auch
gar seine so starte Tour; nun weist
ich aber aar nicht, um welche Stunde
er eintreffen lann, er schreibt nur:
»Heute Abend.«
« Es war um die Vesperzeit und
Charlotte liest sich den Kassee und das
Honigbrot löstlich mit uns schmecken.
Dann banden wir den Katzen die
rothen Haläbänder uni, obne Glöckchen
Jedoch, und Charlotte gab Tante den
Nath, sie möge die guten Thierchen
Idoch lieber einsperren, denn jedenfalls
lwären Schuhen darunter, die eine
jfiatze schwerlich von einem Hasen un
iterscheiden lbnnten.
s Nachher lies ich mit Charlotte durch
die Logirzirntner und bewunderte die
inachtigen htnunelbettem die alttnodi
sit-en Waschtische, die blendend weiße,
seine Wäsche nnd die beinahe ungeheu
ren Räume, die in der hereinbrechen
den Dämmerung des trüben Tages
seist noch größere Dimensionen anzu
nehmen schienenl Fast die ganze Reihe
der Zimmer war hergerichtet, nur die
Raume des Aebtissinnenbousez lagen,
the immer, in ihrem schweigenden
Verlassenseiw
Charlotte hatte den Arm um mich
geschlungen nnd war still geworden.
Vorher hatte sie geträllert nnd gesun
gen, aber als wir jetzt. aus dem lepten
Zimmer tretend, den langen Kerker-u
wieder durchschritten, larn sein Ton
mehr über ihre Lippen; nur in ihren
Augen lag ein glückliches-, träumeri
schet Ausdruck.
«Si e doch weitet«, bat ich Char
lotte, » nge noch einmal :
Mein Schatz der ist ein Jäger»
Ste liest mich plöhlich los und sah
ais-b wie verscheocken an.
iöiieirh genannte ’ XII säg- sie dann,
. mag ' n Inse ngen.«
Als wir wieder in Tanteg snuaer
traten, sa diese vor ihrem b
tisch; die lappe var herunterae sen
und sie«hatte eine Menge Fächer und
Schiibe herausgezogen in denen sie
unter allerhand Sachen berumlrasntr.
Der Schreibtisch nahm einen schönen
israchtiaen Plan neben dem’skamin
ein; aus der andern Seite stand ein
Vliiinentisch, dessen steifbliitterige
Gummibiiucne und graziiise Palmen
siicher sich miteinander mischten.
Gottlieb hatte. da Tante leicht stö
stelte. ein lustiges Dolzseuer angezün
tset und die gelben Flammen spiegelten
sich in dein alten Parquetboden wieder
und warfen helle Streislichter aus
Tantes graues Kleid. Charlolte lauer
te sich geschwind in einen großen Lehn
stubl neben ibt. und blickte nachdenklich
aus das emsige Treiben der seinen
Hände dort ani Schreibtisch nnd iets
setzte nsieb aus ein Bäntckfen in der
Nähe des Feuers-, und gab mich ganz
dem Zauber deo traulichen Dämmer
siiindcheirs bin.
Da ruhten plötzlich Tantes Hände
und als ich ausbliate, bielt sie einen
verdorrten, seinblätterigrn Kranz in
der Hand.
«Seht der-, Kinder«, sagte sie weich,
des war mein Brauttranz — ".
Ich betrachtete rnit einem Gemisch
von Ebrsurcht und Neugierde das ver
trocknete Gewinde und dann wieder
die kleine, alternde Frau: es iam mir
fast wunderbar vor, daß sie einst auch
jung gewesen und einen bliibenden
Schmuck getragen hatte. Auch Char
lotte bog sich hinüber und schaute mit
leuchtenden Augen aus das verdorrte
Zeichen eines längst vergangenen
Gliieles.
»Ach sa«, begann Tante Editb leise,
»an dein Tage, wo so ein Kranz nockz
griin und frisch ist, da meint man. der
Himmel mit all’ seiner Seligkeit sei zu
uns berniedergestiegen. Das dacht« ich
auch, Kinder. und es war doch eine so
traurige Hochzeit, die meine. Jch war
ein Waisenlinty wie Du, Lena, aber
Gott del-site Dich einmal vor solch’ ei
nem Elyrentagr. fDiesen Kranz hierL
habe ich mir telrsu qewunden, eine
Freundin hatte ich dazumal nicht, und
mein Honzeitsaeleit war die alte
Großmutter meines Mannes, und
aufjer ihr war noch der Paftor in der
Iiirche, als wir dort vor den Altar
traten. Was habe ich da aesrseint und
riebetetx aber dann, als ich mit meinen
Mann durch den thauiriichen Wald
aing — « des Moraeng ganz friih dat
ten wir uns trauen lassen, um dac—
Aufsehen zu vermeiden irnnter tie:
ier hinein in die ariine Wildnis-. in
der das Forithaue lag, das meine Hei
math iein sollte. und wie der Sonnen
ichein in den Thautropien funkelte auf
dein jedes Blättchen wie der frische
Waldegodeni mich anioebte und ich is
panz allein mit dem Manne, den ich io
lieb hatte, und die bealiiekende Ge
wißheit, daß uns Niemand mehr zu
trennen das Recht habe ale nur Gott
allein, da bade ich eine Seligieit em
pfunden, so voll und aanz und rein,
wie fie taum eine Braut im liirmend
sten, rrkichtiaften Hochzeitgjubel ein
diinden kann. Und wenn ich einmal
undanlbar sein will aeaen den lieben
Gott, weil er mir so Schweres aufer
leat hat« dann zaubere ich mir den
Morgen meines Hochzeit-tage- heraus
und den Augenblick, wo ich von seinem
Arm iiisxichlunaen im Mnrthenkranze
neben ihm stand, just auf der Stelle,
we- man zuerst den Giebel unseres
Hauses sehen konnte, der aus üppigem
Buchenwalde hervorragt Jch meine
wieder sein frisches Gesicht zu sehen,
das da mit leuchtenden Augen hinüber
fah, und sein treuherzige, gute Stim
me zu hören. als er sprach: »Da ariißt
Dich Deine Heimath Edith!« Das war
eine Stunde. in der alles Leid so weit
hinter mir lag, wie wenn es nie ne
wesen. wo kein Unfriede dentbar in
der Welt, eine Stunde des reinsten,
des unaetriibtesten Mit-ein«
Sie hielt noch immer den welken
Kranz in der hand nnd die liebliche
Erinnerung an jenen Morgen färbte
ihre Wangen mit fast juaendlicher
Röthr. Dann legte sie ihn hastig in
die Schachtel zurück.
,»Ainder, was spreche ich tak« jagte
tie und fuhr sich iiber die Augen. »Was
wißt Jhr von solchen Sa .n. Da
schaut, ist das nicht niedliTP
Und lächelnd hielt sie uns einen ver
tretenen Kinderlehuh entgegen.
»Das waren reine ersten Schuhchen,
Lena, wie winz g tlein die sind« nicht
wahr7«
»O, gieb ihn mir einmali« bat
Charlotte leise; nnd als der kleine
Schuh in ihrer hand lag, da fieeichelte
und liebtoite sie ihn beinahe eben fo
wie die Taute. aber nur in fcheuer
hast, als tehiiine sie sieh deshalb·
»O, Herr Gottl« unterbrach sich die
alte Dante, «die Zeit vergeht, und iiber
den alten Geichichien vergesse ich das,
was ich eigentlich hier wollte. Da seht,
Kinder, das bekommt Robert heute«,
rief sie und hielt eine richfanger mit
reich oerglodetem Crit empor: »der ist
von seinem Vater und er toll ihn jest
trage-M
Dann fing sie an, die Sii tchen
und Sachen wieder in die Kii en u
thun, während Charlotie den Dies ·
tänaer betrachtete. Endlich legte e
ihn ans ihren Schand und als Tante
nach dein kleinen Schuh verlangte, gab
iie is nur zögernd zurück.
»Nein. nein. Lottchen. den de
tammst Du nicht«. sagte Jarite la
chend, »den laß mir nur.«
Charlotte wurde purpurtoth und
wandte hastig den Kopsx es ward
still im Zimmer und dämmerig. das
Feuer war allmählig niedergebrannt.
»Nun erzählt mir noch etwas, Kin
der«. bat Tante, sich in den bequemen
Stuhl sehend. den ihr Charlotte ein
riiåimtex »er3a·hlt, damit die Zeit hin
ge t.'«
»Ach nein. liebe Tunte«. bat Char
lotte· »Du sollst uns etwas erzählen.
nnd weiht Du, was?« »Sie war nie
deraetniet nnd hatte Tantes Hand er
ariiien. »Sag« es uns weshalb Du
einstmals heimlich von hier fortgegan
aen bist? Du glaubst nicht, wie ich
daraus brenne, es u wissen.«
»Ei, Kindes-tm die Geschichte ist sast
zu tranria für ein Paar junge Din
ger, wie Ihr seid ---«
»O, bitte Tante. hitte'«. flehte Char
lotte: ,·nictst wahr sie waren un
freundlich zu Dir, sie wollten nicht.
das; Du Deinen Mann haben solltest?«
»Ja. Lottiltem das war es!" sagte
Jante cdith »Gott weiß es, der Cnt
schlusr iit mir nicht leicht aensordem
aber ich tonnte nicht anders-: mit allen
meinem Sinnen und DenLen hinq iet
an ihm. den ich doch vergessen sollte um
jeden Preis!«
»Ja, wenn iskh nur aewuirt hätte,
warum? Aber es war tein Tadel an
ihm: aut. rechtschassen, ein so prächti
aer Mensch. wie es laum einen nah
von Kindes-deinen an woblbeiannt nnd
aelitten in unserm Hause meine
Brüder zählten ihn zu ihren liebsier
Freunden· Daß wir uns liebten,
wußte Dein Vater längst. Lottchen
und meine selige Mutter hatte mir
noch aui dem Sterbebette zuaefliiftertt
»Wenn es kommen sollte, Edith daß
Berta Dieb zur Frau möchte, dann
saae niiht 'kiein. er ist ein goldner-ex
prächtig-es Gemüll-P
»Nun. nachher verheirathete sich
Dein Vater, Kind, und von jener Zeit
an trat man unserer Liebe entgegen.
wo ec- nrir anging; nicht offentundia
Gott bewahre, aber dies war tausend
riial schlimmer. Es gingen mitunter
vierzehn Tage hin, daf-, ich Berla nicht
sah, obgleich er die Woche mehrere
Mal van Folterode heriiber lam: fast
immer traf es sich, daß ich mit meiner
Schioiiaerin spazieren gefahren oder
ausgegangen war, und fand er mi
einmal daheim, so wurde es uns zu
ilnmöglistileit gemacht, auch nur ei
einziges Wörtchen sungeftört mit ein
ander zu sprechen.«
»Er war aber leiner von Denen« die
gerne mit kreichlossenem Visir kämpfen
Eines T«iae—7s. nachdem —- ich mufJ es
leiber iaaen ein Brief von ihm.
den er mir durch einen Boten hatte
senden !vollen, merkwürdiaer Weise
nicht in meine Bande gelanat war und
er über dessen « erbleib nichts hatte er
fahren können, tarn er angeritten und
ging schnurstracks in meines Bruders-.
Ziimmen Jch saß nebenan mit meiner
Schwägerin, die eben Gerharbt auf
dein Schoofze wieate; Deine Mutter,
Charlottchem ist nie von vielen Wor
ten gewefen, aber eben batte sie doch
eine tangere Rede zu mir geredet, und
zwar der- Jnhalt5, dafi Berta ein jäh
zerniger. heftiger Patron sei und nim
mermehr dazu geschaffen, eine Frat
giiietlich zu machen. Jch antwortete
nicht und bifz mir fast die Lippen
wund. um nicht zu weinen; da hörte
ich durch bie geschlossene Thiir einen
lustigen Wortwechsel, und ertannte
Berla’s zornige Stimme.
»Im niiasften Moment stand ich
zwischen den streitenden Männern und
ertliirte. daii ich Bericko Braut sei und
bleiben wolle-"
»Wir werben sehen«, sagte Dei
Vater.
»Ja, wir werden sehen«, erwiderte
ich und damit fing unsere Feindschaft
an. Taqelaug blieb ich auf meinem
Zimmer einaeschlofsen, mir unaufhör
lich das Gehirn zermarternd, was nun
werden solle? Jch hatte Berla an fe
nem Tone vermocht, ohne größere
Streitigkeiten Wendhusen zu verlassen
und ihm die Versicherung negeben,
ihm treu zu bleiben. An Flucht dachte
ich nicht, obgleich mir hundert-Hei
Pläne durch den sion flogen; dann
tam ich auf das Einiachsie und Na
türlichftet ich ging zu Deiner Mutter,
stellte ihr ver, wie lange und wie treu
wir uns liebten, und bat, sie mde ih
ren Groll gegen uns fahren lassen und
mit frauenhafter Milde meines Bru
dersSinn fiir unt zu erweichen suchen;
sie solle sich nur einmal in meine Lage
versehen, sich denken. es wären ihrer
Liebe solche hindernisfe entgegenge
treten s—.«
»Wie und nimmermehr!« rief sie mit
einer hefti teit, mit einer Bestimmt
heit, die m r beuili ver-rieth da ich
von ihr nichts zu ho fen habe. » ut«,
antwortete ich, .dann rnu ich sehe-,
wie ich allein fertig werde , und ging
in mein Zimmer; dort Fing ich an.
meine Sachen z recht zu egen. Was
ich eigentlich w llie, war rnir elbft
nicht klar, nur fort! fort um eben
Preis! Dann schlich ich mich in die
Gesindestube, winkte Gottlieb, der da
mals noch ein gewandter, sieammer
Menfch war. und bestellte ihn mit been
Wagen draußen an die drei suchen.
s— Seitwärts von stiltetobe liegt ein
kleines Dors und dort wohnte die vers
wittwete. sehr alte Großmutter Ber
lifo sie war schier lindifch und ich
tannte sie nur aus feinen Erzählun
aen. hatte ihm doch das großniiitters
liche Haus das Vaterhaus ersetzen
miilfen. da er seine Eltern friih ver
lor. Und so sudr mich Gottlieb bei
Nacht und Nebel dorthin heimlich
wie eine Verbrecherin verließ ich mein
Vaterhausx aber dort unten an den
Stufen der Freitreppe. da lnickte ich
iasx zusammen vor Jammer und Weh
in jener Stunde. und beinahe wiire ich
umgekehrt trotz der unglückfeligen Ber
liijltnisir. lks war mir, als ließe ich
unauslöichliche Schande zuriich als
leate ich etwas, das schlimmer wie ein
Fluch, auf die gesegnete Städte der
Heimath.«
»Aber dann warf ich mich in den
Wagen. und als die Pferde anzoaen
und die Umrisse des alten Klosters bei
der nächsten Biegung aus dem Gesicht
entlchwanden, da habe ich geweint und
arschluchzt und gebetet wie eine Ber
zweifelte! « Die alte Frau verwun
derte sich nicht wenig, als in tiefer
Nacht die Braut ihres Enlels iiber
ihre Schwelle trat, und obwohl fie
nicht mehr recht begriff. um was es
lich handelte, nahm sie mich doch
freundlich auf und pflegte und hät
ichelte mich. Am andern Tage theilte
ich meinem Bruder schriftlich mit· daß
ich nicht wieder in fein Haus zurück
kehren werde, und schrieb zu gleicher
Zeit an Verla« wo ich sei und was ich
aetlym Mein Bruder antwortete mir
gar nicht, sondern schickte nur die nis
lliigen Papierez von anderer Seite
aber erfuhr ich, daß ein Sturm des
Entsetzens die alten Gemächer auf
Wendhufen durchbraust habe, und daß
man in der Entlaufenen teine Schwe
ster mehr anerkenne.«
»O, Kinder, Jhr wißt nicht« wie
mir zsu Muthe war in jener Zeit, und
dcch sind die ersten Jahre meiner Ehe
vie gliicllichften meines Lebens anve
sen. Aber da lam ee anaedraust wie
ein Sturm durch den Wald. das
Schicksal. Zuerst hatte mein Mann
das Unglück, einen Wilddieb nieder
fchieszen zu miiffen: von Woche zu
Woche fanden wir Drohbriefe oder
Zettel in das Haus geworfen, dass
man sich rächen werde; es war eine
schlimme Zeit damals. dasJahr 1848.«
«Eines Abends sasz ich mit meinem
Manne im Wohnzimmm er war eben
aus dem Forste heimgelehrt, und wir
spielten mit Robert, da lnallte es und
eine Kuael pfiff dicht über seinen
tion hinweg und zerschmetterte einen
gegenüber hängenden Spiegel in tau
send Scherben.«
(Fortsetzuna folgt.)
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Die erste Idee des 21eroplan5.
Woher ist sie dem Menschen geloms
ment Wie bei so manchen wache
mnchenden Erfindungen und Entdels
lungen unserer Zeitrechnung z. B.
dem Pulver, das die Chinesen schon
vor Jahrtausenden vorersunden haben
wollen, scheinen sie auch die erste Idee
zum Aeroplan, der jetzt seine Trium
phe seiert, siir sich in Anspruch nehmen
zu wollen« Zwei Jahrhunderte vor
der christlichen Zeitrechnung tam dem
berühmten chinesischen General Han
jin tund welcher chinesische General ist
nicht berühmt) beim Anblick eines un
ter Segeln vor einer srischen Brise da
hinsliegenden Bootes eine Erleuch
tung. Als er belagert wurde, verset
tigte e: einen Vogel aus Papier und
bediente sich seiner als Signal, um der
Zu hilse eilenden Armee seine Anwe
senheit anzuzeigen. —- Später ersand
man in Japan den Papierdrachen, der
nicht zögerte, Nationalsdielzeug zu
werden. Jm April gab es stets zu
Nagasaki die Stichen-fah das will
beißen »Drachenbersammlung«, und
dabei tarn es zu leidenschainchenWett
rann-sen Die Drachen waren mit
Inesserschnrsen Glasstücken bewassnet,
und man versuchte, damit in der Lust
seinem Gegner die Schnur zu durch
schneiden. Bei uns wurde dieses
Spielzeug später zu wissenschastlichen
Versuchen angewandt; man benuhte
es, um Temperatur-, Feuchtigteitss
usw. Verhältnisse der höheren Lust
regionen zu ersorschen; in Amerika
machte es in einer neuen, doppelsiiehki
gen Gestalt, dem Vorläuser unseres
modernen Ueroplans, Furore. Ra
tiirlich wurden sie auch bei den
Wahlschlachten gebraucht, um die Ra
men der Kandidaten zu drollarnieren.
Mit der Zeit wurden die Kytes Ora
chen) so vervolltomrnnet, daß sich in
Boston im Jahre 1902 eine Frau mit
einem solchen in die Liiste tiber die
Häuser ihrer Vaterstadt erheben lies.
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Wohltaten um des Daniel willen
sind goldene Pfeile mit Widerhaten
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O leg«dein Gesicht nur in Falten!
Und ob du auch alles beriimpsst,
Du hältst es, tote viele es halten
Du bist zufrieden und-—lchimpsst.
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Ein anderer lann dir nie so viel
helfen wie du leihst.
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Manche Mens n werden erst ge
scheit, wenn sie cheitert find.
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