Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, October 07, 1910, Zweiter Theil, Image 10

Below is the OCR text representation for this newspapers page. It is also available as plain text as well as XML.

    Kloster Wendhusen
Roman von W. Heimburg
----------4----4--— ,
»
(3. Fortsetzung.)
Einen Augenblick streckte das junge
Mädchen wie bittend die Hände zu
der alten Dame hinüber, dann sentte
sie wieder ben Kon unb schwieg.
»So viel ich davon weit-, will ich
Dir gern etzählen«, begann Tante
Editb aufs Neue; »aber es ist wenig
nnd ich thue es nur, um Dir einen
Blick in das Leben zu gewähren. das
Du noch so wenig tennft und bas Dir
. wie ein verführerisches Spiel umgan
kelt, in dem nur Schönes Dir begeg
nen muß. Ich will Dir Deine sonnige
heiterteit nicht nehmen, nm die Welt
nicht. aber gewöbne Dich, an «-reindern
Unglück nicht leichtfertig derbes-zugehen
oder es gar als etgötztiches Geiz-rachs
tbeina zu behandeln; in jedes Menschen
hoffnungjbliithe stillt einmal ein Reiß
F wird auch Dir nicht erspart Hei
n.«
»Es ist nur eine gar kurze Erzäh
lung, die Du zu hören bekommst. aber
tie enthält eine gan e Welt voll Leib,
Charlotte«, beannn ante Editb, with-.
renb ich mit Der klopfen dalag und’
ihren Warten lauschte. — ,
»Es-krumme oon Demvyom oer Va
ter unserer kleinen Schläferin und der
Bruder Deines Vaters« war der jün
gere Sohn, wie Du ja weißt; er be
kam mithin ein sehr mäßiges Vermö
gen. eben genügend, um ihm die Kar
riere als Offizier zu ermöglichen Jn
seiner Garnison lernte er das Mäd
chen kennen, das ihm so verhängnis
doll wurde; es geschah im Hause ib
res Onkel-Z, als dessen Adoptiotochter
sie galt. Jch glaube, wenn die Sa
chen sich so verhielten, wie es damals
schien, so hätte Dein Vater kaum ei
nen Einspruch gegen die Verbindung
der Beiden erhoben, denn der alte On
tel war ein angesehener Mann unf
galt als vermögend.'
«Da starb er olöylichx es fand sich
kein Testament vor, und das junge
Mädchen stand bettelarm da, gewöhnt
an jeden möglichen Luxus-. Das wirt-»
lich große Vermögen fiel einer aanzi
entfernten Seitenlinie zu, die von der;
Hinterbliebenen absolut teine Notiz;
na .«' s
« Bin Onkel tam bier angereist
und bat um Aufnahme feiner kleinen
staut da aing der Sturm los!
Leider börte ich in sener fiir mich tief
»trg.u ten Zeit« so gilt wie gar nicht«
den m, ivas im Aebtiftinnenhaufe,3
in der Familie Deines Vaters dor
M ich hatte ans jenen Zwiespalt
sur andeutunggwetse von Gottljed
vernommen, der tmann nach einem
stika n Austritt zur nächsten Bost
siation ht; Leßterer ziirnte mir ja
auch. o erhielt ich denn auch nicht
die Unzeige seiner Verbeirathung die
sehr bald stattfand: erst aus der Fei
tnng ersah ich ei. Bald nach der er
wählung mußten indessen sich die Brü
der so weit wieder ausgebhnt haben.
tat Hermann eingeladen wurde. mit
r jungen Frau einen Besuch auf
loster Wendhusen zu machen. Erst
all die meiner Stube ge eniiberli n
ben Besuchizimmer geof net wur en,
erst als Gottlieb in großer Lidree mit
V Staatswagen bis-. das Gitter
r kollte, um die ate abzuholem
erfuhr ich auf mein Befragen, daß
das junge Ehepaar erwartet werde."
«Jch war damalls zu sehr an drü
ckende Zurücksetzung seitens meiner Ge
schwister gewöhnt, als daß mich dieses
wundern konnte; ich wurde gleichsam
wie eine Todte betrachtet, ja, nicht ein
mal wie eine Todte, denn einer ge
liebten Verstorbenen le t man doch
noch zuweilen eine B ume auf das
Gaul-. Aber ——- das gehört ja nicht
hierher-«
»Wie man so ist, Lotteisen es steckt
fo etwas von einer Pudelnatur im
Frauenherzem anstatt im beleidigten
Stolz mich tief in mein Zimmer zu
rückzuziehen stand ich stundenlang an
Lenem Tage lauernd hinter den Gar
inen. um meines jitanten Bruders
junge Frau zu sehen und ihn selbst
a!s glücklichen Gatten.«
«Leider wurde mir die Aussicht in
dem hauptmomente benommen durch
den verdeckten Wagen, und außer ei
nem blauen Schleier, der hoch aufwirs
belte im Irühlingsioindr. fah ich nichts
von meiner neuen Schmäaerin Auch
ferner nicht, denn ich wurde iranl in
jener Zeit und mußte das Bett hiiten
Nur mituntek hörte ich eine weiche,
klangon rauenftimme und tleine
leichte S ritte. die den Korridor
heraufflogen Schön sei sie, wun
derschön berichtete mir meine
Dienerin.«
»O. gnädige rau, wie eine der
Heiligen die in E ingen in der katho
lischen Kirche iiber dem Altar hängen,
nnd dabei ist sie nur fo ein kleines
Püppchen, fo ein kleinej!" pflegte sie
zu indess-«
»Viel zwei Wochen mochten ver
gangen fein, ich befand mich zum
erstenmal außer Bett; es war ein
. W Junitng gewesen und die
Wde Schwüce wollte felbft der
Mantuas nicht weichem da hörte
U, ais ich gegen Abend müd' und
« statt auf met-ein Seel-a lag, die trip
Atdes Fäßchen wieder draußen auf
« beneidet Es war ein hastigei
ten, nnd bald daran schlug de h
M die Sbüe des Iremdensimmers
« naeb einer Weile fchallten eiltge
" est- den Gang beraus, und
jtvieder ossnete sich die Thiir nnd die
Stimme meines jüngsten Bruders
scholl durch das haus:
f »Die Sache ist abgemocht. Eise, wi:
iteisen nun sofort!«
L »so gleicher Zeit aber drang Wei
;nen zu mir herüber, so recht herzt-Uter
fliches Weinen.«
»Im No hatte ich meine Thür ge
öffnet; auch jene mir gegenüber war
iveit zurückgeschlagem ich konnte das
Zimmer übersehen und erkannte in
dem rosigen Dämmerlicht der sinken
den Sonne eine zierliche, weiße Ge
stalt aus dem Sopha und meinen
Bruder vor ihr aus den Knieem leise
tröstende Worte sprechend. — —
»Dermonn. ich that nichts Böses,
o, ich schäme mich todt. laß mich sort,
Permanry laß mich sort don hier!« bat
te immer wieder, und ein junges. be
tbriintes Gesicht voll unsö lichen Lieb
reizeo hob sich aus den Bissen empor
und schmiegte sich on seine Wange.«
»Ja, ja, aber deruhige Dich. Glie,
es muß doch gepackt werden« und Du
bist aufgeregt- im höchsten Grade;
glaubst Du denn, daß ich auch nur ei
nen Moment an Dir gezweifelt? Mein
Himmel, ever tonnte auch so etwas.
ahneni« I
»Er erhob sich und schritt zu einem(
Tische. und im nächsten Augenblicks
flog es tlirrend durch das Zimmer
nnd die Scherben einer Krystalltaraffe
lagen linernd auf dem Teppich Die
junge zrau war erschrocken in diehbhe
gefahren und star te mit den duntlen
Augen zu ihrem nne heriibei.«
»Nicht einmal ein Glas Wasser in
diesem gastfreien Hause, wenn man es
gebraucht!' rief er mit unterdriicktern
Zorn und er riß an der Glockenschnuu
dann wurde die Thiir heftig zuge
schlagen«
«Betroffen schloß ich auch die mei
und zerbrach mir den Kopi, um zu
ergründen. was vorgesallen sein konne.
Der rasche Huffchlag eines Pferde-J
lockte mich ans Fenster, und ich fah
Deinen Vater, Lottchen. ganz gegen
feine Gewohnheit sortreiten, in den
finienden Abend hinein, und ehe er
noch zurück etetrt war, hatten Her
mann und eine junge Frau Wendbu
sen verlassen -—--- um niemals wieder
zutommen.«
»Ich konnte das reizende Gesiht mit
den dunklen Augen, die schen und fra
gend unter den langen Wimpern her
vorsahen, nicht wieder vergessen, und
alt fis-Idee das Gerücht auch bis zu
uns drang, He leben in der bittersten»
Armuth, da konnte ich nicht widerste
;hen; ich feste mich bin und schrieb anl
Hie, um ihr eine, freilich kleine, Unter-!
»Als-sitz anzubieten. Aber der Brief
Juni uneröffnet zurück; sie ahnte wohl
Itaunn wer die Schreiberin war: ichs
glaube, sie wußte nicht einmal, detßi
eine Schwester ihres Mannes eristirte,?
oder dachte vielleicht. der Brief sei oon’
Deiner Mutter. und so bin ich ihrj
fremd geblieben, wo ich ihr doch so
gern näher getreten wäre.«
«Noch einmal machte ich den Ver
such, aber wieder wurde mir das»
Schreiben durch die Post zurückgege-’
den« rnit dein kurzen Vermert von ei
ner zierlichen Damenhand, daß aus
Wendhnsen teine Briefe angenommen
würden. « Es war dies ungefähr ein
Jahr nach Vertraun-« Tode.«'
»Aber Tantchen«, unterbrach Char
lotte die alte Dame, »in Deiner Er
zählung ift nichts-, was zu Gunsten der
Frau von Ontel Herr-rann redet. und
Ferra sont doch. sie habe den Onkel
durch ihren unerhörten Luan -— —-—'·
,.Charlotte! Sollte Ferra Dir maß
gebend sein mit ihren llrtheilenk Frei
lich lebte das junge Paar glänzenden
als ihre Verhältnisse es gestatteten,
aber da trifft die Schuld zuweist den
Mann. Sie bat geglaubt, er sei reich,
seine Mittel erlaubten ibrn solch· eine
stattliche Haushaltung zu sührenx ab
nunaölos lebte sie in dem Luxus, den
er ihr verschtvenderisch bot! Jch bin
überzeugt« hätte er ihr nur eine An
deutung gemacht, sie würde sich mit
Freuden in die bescheidensten Verhält
nisse gesiigt halsen.«
»Von-us schließt Du das, Tante
Edith?«
»Aus der Art und Weise, wie sie
ihren unbewußt begangenen Fehler
pesiihnt hat. Oder meinst Du nicht«
Lottchen daß es eine Sühne ist, wenn
die Frau rnit der Aufopferung ihrer
ganzen Kraft, mit den zarten, der Ar
beit ungewohnten hönden Tag und
Nacht schafft, unt sich und ihre Kinder
anständig und ehrlich durch die Welt
zu bringen? Meinst Du nicht« dass
durch solch’ eine thränen- und arbeits
volle Stunde, durch das schwerer
tetmpste Wollen und Vollbringen,
Jahre eines unbewußt begangenen
Unrechts wieder gut gemacht worden
sind? Weißt Du, was es heißen will,
Charlotte, Nächte lang zu arbeiten bei
trüber Lampe und beruhenden Ge
danken daqu Weißt Du, was es be
deutet, wenn man s sagen muß: iso
bald dte Urbeititrat versagt, w rst
Du mit den Deinen darben? Geh’.
Kind. Du weiht es nicht, mag Gott
Dich davor benahm-I
«Tarrtel« bat C klette, ihre Stint
ne klang wie du Thrttnen. »Liebe
Leute«
Ich sah ni t, was sie that bei die
sen Worten; ch hatte mich stiirmis
aus die Seite gewesen und den Nod
tief in die Kissen gesteckt, damit Rie
mand das Schluchzen hörte, das meine
Brust zu zersprengen drohte.
Da siihlte ich einen Kuß aus inei
nem Haar, und als ich mich um
wandte, fielen meine vermeinten Au
gen aus Cousine Lotte, dir an meinem
Bette niedergetniet war.
»Ich will Dich lieb haben, kleine
Cousine«. sagte sie und die blauen
Augen schimmerten in Thriinen, ob
gleich der frische Mund lächelte »Ich
will Dich lieb haben, pergie mit, was
ich vorhin in Uebermuth gesprochen,
Denn Du hast es gehört. ich weiß essss
Komm her Du tleines Geschöpfchen,
und gieb mir einen Kuß« bat sie, mich
an sich ziehend und mich tüssend.
,Nicht wahr, Du bist mit nicht böses
« Reini« fragte sie und ihr vorhin rosi
ges Gesicht sah bleich aus vor Erre
gang.
Ich schüttelte den Kopf und legte
smeinen Arm um ihren Nacken
»Ich will Dich auch lieb haben
CharlotteT versicherte ich treuherzi.
.Aber nun mußt Du ausstehen
ries sie, sich erhebend nnd wieder in
ihren muntern Ton übergehenv. «Dors
ich beim Leder zugegen sein Z«
Unter sröhiichem Lachen nnd Ki
chern hats sie mich ankleiden.
»Du Mcisil gcwls UOO gilt lllml,
was Dir possitt ists« neckte sie. »Ja,
ju, kleines Stodtsriiulein, wir sind
seht aus deni Lande zwischen Kühen
und Kälberm die find nämlich de
riihmt aus Kloster Wendhusen. Gras
Blumen. Bäume nnd frische Lust F
·oen wir im Uebersliisx warte nur« ii
sellst bald rothe Backen betominen.«
Sie strich liedtosend über mein Ge
sicht, während iie mir hols, die Locken
in ein Reh stecken
,.Charlotte«,' fragte ich. .nicht wahr,
Tanie Edith heißt eigentlich Frau
Berler oder Puls-«
Sie lachte hell aus und schlug in
die Hände.
»Kind, weißt Du denn das nicht?
Freilich, Tante Verka.«
»Ich habe nie von ihr gehört', ent
gegnete ich. »Mama sprach ja nie mit
uns von Kloster Ændhusen.«
«Kind! Do weißt Du am Ende
noch gar nicht einmal. wer ich hinf«
ries sie in komischer Verzweiflung.
»Nein, das geht jii nicht; also höre
zu, ich will Dir nun unsere ganze
Familie der Reihe nncki dorsiihren.«
Sie seite sich oiis den Rand meines.
Bettes nnd sah zu mir herab-eh ist-J
»dem sie an den Fingern odziiziihlen
begonn: --
«Also Numero Eins, selbstverständ
lich meine Mnmii, die Frau von
Demphoss eine Geborene von Thienen
aus Thüringen, steht im griißtet Re
speit dei ihren Kindern und Umerge
benen; wenn Ferrci und ich don ihr
sprechen, nennen wir sie Serenissims.
Ferrii und Joachim sind ihre Lied
linge, Gerhcirdt und ich stehen erst in.
zweiter Linie; ich bekomme sehr viel
böse Worte oon ihr, weil —-- nun- dogT
loinmt dei meiner Personalbeschredj
bung.«
«Niii«iero Zwei, Luitpold Gerhordt
’iion Demdhoss, Muioratsherr und
HChes der Famile, mein oldener Bru
der, der beste, edelfte ensch, den es
giebt. Ader leider ist er so ein ganz
tlein wenig iräntlich', siigte sie hinzu
und das Ausleuchten der blauen Au
gen wich einem dunklen Schatten. »Er
wird oder gesund werden Lend, ich
weiss es«, versicherte sie dann zuver
sichtlich »Wenn Du einmal etwas zi
ditten hast, so wende Dich on ihn, er
sagt-nicht Viejn.«·
."«uniero prei, meine schone »schwe
ster Fernande von Riedlinaen, die seit
zwei Jahren wieder unter dem väter
lichen Dache wohnt, weil ihr Mann
bei einem großen Nennen in R. so un
glücklich mlt dem Pferde stürzte, das-.
er sofort tobt blieb und sie zur Witt
we machte. Sie hat anderthalb Jahre
ganz schwarz getrauert, es sah so un
vergleichlich schön aus zu dem blonden
Haar — —«
«Lotte! Lotte!« ries Tante Edith,
die jetzt aus die Schwelle getreten war,
»Du verfallst wieder in den alten
Fehler!«
Dann schritt sie aus mich zu und
küßte mir liebevoll die Stirn. »He-s
Du gut geschlafen?« fragte sie. Sieh’,
nun wiro Dir gleich eine Personle
schreibung von der Familie gemacht.
die nach dem Gehörten ---«
»Nun-ten Vier«, unterbrach Char
lotte die Bemerlun der Taute, »Im
chim von Demphof , Lieutenant im 9.
Kürasser-Regintent, ein sehr schöner
Mann, Cavalier komme il saut mit
allen dazu gehörigen Tugenden unt
Fehleen, liebt nächst dem Ballet ans
meisten die Jagb.«
»Ich bitte Dich, hör’ auf. Lotte,
was loll Magdalene von Dir den
lenlt« schalt Tante Edith etwas lit
gerlich.
«Numero Fünf, Charlotte von
Denn-both entsant terrible, Schrecken
aller Familienmitglieder. sieht Alles·
was sie nicht sehen soll und hört ltetl
das, was nicht sllr sie bestimmt ist.
hat einen ganz häßlichen Charatters
sen sie einma mit ihrer Liebe der
sokst, der lann sich nicht retten vor
ihezs hält sich am liebsten irn alten
Kloster bei der Tante ist-I anf, um
sich von the schelten zu lavW Dus
Du gute M Tante
ries sie, die alte Dame stiirnri ch in die
Arme nehmend. »Ich bitte ich nur
um Einz, lnß mich nicht eiserslichtig
werden aus diese den«
.Wildsnng, laß mich, Du etdriickst
mich ja!" ries Taute. »Wenn Du
Dich nicht änderst. so ist ei immer
möglich, daß Dir die Kleine den Rang
streitig inacht.«
»Dann, Lena, nimm Dich in Achil«
drohte sie, ins Nebenzimmer laufend,
so daß zwei oder drei von Tantens
Lieblingen schen zu uns herüber
stiichtetem »Ich liege sämmtliche Nasen
aus Dich in diesem Falle. und das ist
leine Kleinigkeit, denn die gelbgescheit
te tint eben wieder einmals sechs
Junge."
Sie erschien nochmals in der Thür,
schwenkte den großen Strobhut gegen
uns und dann war sie verschwunden;
wir hörten noch ihr frisches Lachen im
liorridor verhallen.
»Jth weiß ich, wer Du bist'«. sagte
ich, mich an Lunte Edith schmiegend,
»Du bist meines lieben Vaters einzige
Schineirer?«
Sie strich zärtlich mit der hand über
mein Haar·
.Deines Vaters Schwester', wieder
lolte sie leise und sehte dann hinzu:
»Kind« Kind, wie siehst Du Deiner
Mutter ähnlich; dieselben Augen. ganz»
diese-Denk »
I - flos- s « --"
»Unte, m) num- aslc , sagte tm
nnd schlang die Arme um ihren
Hals. »Wenn ich gewußt hätte. wie
sitt Du bist. dann hätte Mama ani
Dich schreiben müssen und nicht ar?
Tante Deine-hats als sie einer Unter
stiitzuna bedürstig war; Du hättest ge
wis- nicht geantwortet, daß sie schuldi
ei an dein Unglück meines Vaters? l
Tante Edith schob mich plötzlich zu !
Lick und sah mich erbleichend an.
»Wie? Deine Mutter schrieb an sie?
.ind sie hätte ihr da geantwortet, was
Du eben sagtesti«
Jch nickte bejahend.
»Sie wurde sehr trant daraus und
tat immer davon vhantasitt.«
Tante Edith schwieg; sie sah stans
n die grünen Wivsel die sich drau s
Tzen im goldenen Morgenlicht wiegten:
»in nnbeschretblich bitterer Ausdruck
ag um ihren Mund. Dann schritt sie
zu dem Fenster, und nachdem sie die«
mächtigen Fltiaei geöffnet, wandte sie
sich mit den Worten zu mir:
.Run tomrn’. Magdalena. und sriihs
sitiicke, es ist heute spiit geworden; mor
aen heißt es zeitig ausstehen. Jch mache
immer in aller Frühe einen Sva ier
gang durch den Part, und Du solls;
mich bealeiten Du glaubst gar
nicht, wie löstlich das ist, Du armess
ctadtmiiuschen. «
. - i
s. K a v i t e l s
Das war der Tag meiner Anlunss
in Wendbusen und mein erstes Etwa
Fast siins Jahre sind seit jenem
Morgen vergingen und doch steht er
mit soicher Deutlichkeit vor meiner
Seele das ich meinen könnte, erst ge
stern sei ich, ein tleines. unersahrenes,
heimathbanges irdchen. unter Tante
Edith’s artinent mmelbette erwacht
und habe jenes Gespräch vernommen,
das tausend bange Fratzen in dem
Mnderherzen hervorgerufen; als sei ei
gestern gewesen daß Charlotte an
meinem Bette getniet, um mir unter
Thtiinen nnd Lachen zu versprechen
mich lieb. n haben; dies wunderliche,
liebe Ges övs das zusammengesetzt
schien ans Tbriinen und Lächeln, dem
das Leben im jahen Wechsel Lächeln
rund Tbriinen und Gott sei Dank
doch endlich wieder Lächeln brachte.
Ach, Lottchen wenn Du nicht längst
wüßtest daß ich Dich liebe sv machte
ich Dir hier noch einmal eine Liebes
ertliiruna bei der Erinnerung an al
les Das, was wir gemeinschaftlich er
lebt und erlitten.
Auch jener Tag steigt deutlich wie
der vor mir aus« an dem ich zum er
stenmale aus Entdeckungsreisen im
alten Kleister ausging. Es war, glau
be ich, noch an jenem ersten Tage;
Tante Coitn besuchte eine trante Frau
im Dorfe; ich sasz mutterseelen allein
in einer tiesen Fensternische und schau
te über den Rasenplas hinweg in die
hohen Wipsel der Parthäume, hinter
denen die Vilta versteckt lag.
Unheimlich still war ei in dein gro
ßen Gebäude, auch draußen teineSpur
von Leben; seitwärts lag das Mel-tit
sinenhaus mit seinen Ierhangenen
Fensterreihen in tieseni Schatten, über
die Ireitreppe waren die Ranken des
wildn Weins gewuehert in zwanglofsn
Ungebundenheit, sie hatten die Stn en
übersnonnen und verhingen die mäch
tige hausthiir mit üppigen Gan-lan
den, daß es aussah. als sei hier der
Eingang zu DornröschenJ Zauber
schloss. Und hinter diesen verhangenen
Fenstern hatte einst mein Vater gelebt
als glückliches Lind, über diese mens
hennichsenen Stufen war später der
kleine Fuß meiner Mutter geschritten
in das hand, in welchem sie so schwer
beleidigt wurde; was konnte man
ihr gethan haben, ihr, die so gut, so
schön gewesen? Wer doch einmal hin
eingehen könnte in ene Räume, aber
sie waren ja vers-h essen seit Onkel
Tedr. «
Warum nur?
Es erschien so riithselhast Allei,
was ich bis seht gesehen und gehörtt
Eine lleine Antvandlung von Grauen
iiberlam mich, fo daß ich auffprang
und auf den Korridor hinauslief. Der
lange Gang lag stets· auch bei getil
fiem Sonnenfchein, in Dämmerlicht,
und in den vielen Ecken und Nifchen
bargen sich tiefe Schatten. Wo war ei
Frohl, wo meine Eltern gewohnt bei
jenem Befuchi Da drüben, sicher da
drüben.
Jch ftand vor einer der hohen, dun
lelgeveizten Thüren, die in regelrechten
Entfernungen die weißgetiinchten
Wände nnterbrachenx ich lugte durch
das Schlüsselloch und fah ein Streif
chen großblumiger Tapete; ein fchar
fee Zug flog mir entgegen, offenbar
waren die Fenfter drinnen eöffnet.
Tante hatte mir ja erzählt, gdaß bei
großen Jagden vie Zimmer noch im
mer als Logirftuben benutzt wurden;
dieser liigel hieß in auch das Logik
haus. »n der Blüthezeit des Klofters
hatte man den ewaltigen Steinbau
zu vielem Zwe e dein Aebtifsinnen
boufe zugefügt und nach der Menge
und Größe der Zimmer zu urtheilen,
mußten die frommen Schwestern au
ßerordentlich gaftfrei gewefen fein
O, es miethete mich plöylich ganz
köstlich nn, diefes heimliche Diim
merlicht in dem verlassenen Gebäude;
wie aus den csagen alter Mitten-ur
gen in deren Gängen die Burgfrau
einherlchreitet in feinener Schleppe und
goldgesvirttem Ringelhäubchem das
Schlüsselbund und die Tasche zur
Seite; das war fo etwas file mich
umher zu ftöbern in alten Räumen, die
fett abren nicht bewohnt gesvefen nnd
vie einft fo viel, fo viel gesehen
Auf den neben schlich ich den end
los langen Gang hinunter hier und
vn fiel aus einem Schlüsselloch ein
heller Streif auf bie altersgrouen
Dielen, unb dort am Ende bes Gan
ges leuchtete ein heller Schein; ein
paar S: nfen führten hinunter in has
Aebtifsinnenhnus. zunächst in einen
großen. iveißgetiinchten Vorfaal, bef
fen nfter mit leinenen Vorhänqen
verhüllt waren. Schön gefchnitzte
braune Flügelthiiren führten zu den
Hirn-nein, mächtiae Hitfchgeweibe zier
ten vie Wande, und von ver Decke
hing im altmobifchen Mefsingreifen
eine große Glasgloae hernieder, jeden
falls zur Aufnahme einer Lampe be
stimmt. Auch hier lugte ich durch ein
Schlüsselloch, mit verhaltenem Athen-.
unb tlovfenbem hean - das rnufzg
ten ia Ue Ast-me fe tn denen mein
Vater geboren und aufaewachfen war
Aber ich erfpiihte auch hier nichts wei
ter als ein Streifchen leberbrauner
mit Gold verzierter Tapete unb ein
Stückchen Goldrahmen von einem
Bilde.
Tante Evith muß mir viel erzäh
len, dachte ich unb ftanb, ehe ich es
sfelbft recht wußte. auf ver oberften
’Stufe einer breiten Treppe, die un
heimlich unter meiner aerinnen Laft
zu lnarren beaann Einen Augenblick
Eichsvantte ich dann lief ich eilends hin
»unter, mit meinem Kleide eine form
liche Staubtvolte aufwirbelnv.
Wieder eine feftverichloffene Thür
lsicht vor der Treppe? Doch nein, ein
Druck auf vie Klinke öffnet fie; mit
einem Kreifcheth das die gan e Ton
leiter burchgina« flog sie zurück, und
faft hatte ich aufgefchrieen vor Stau
nen und Ueberrafchung viele Jahr
hunderte glaubte «ich mich zurückver
seht, fo mittelalterlich wölbten sich die
Spißbogen unter der Decke ves lufti
nen, breiten Ganges, von zierlich ges »
T
meideiten Tieinsiliosetten zusammen:"
gehalten: die Außenmände sehlien,
schlanie SäulenRundhoaen, und Klei
terrosen und wilder Wein hingen ihre
üpniaen Rai-ten gleich lustiqu Vor«
hängen herab, und darunter hinweg
s.hweiiie der Blick hinaus iiber bin-ni
ge Grasplähe in die dichte, arüne
Wildnis- uralier herrlicher Bäume.
Greller Mittagssonnenschein lag
aus den Rasenplätzem iein Laut, kein
Ton rings umher, während ich zä
aernd zwischen Säulen hindurch aus
den arazbewachlenen Gartenweg trai;
weiße Schmetterlinge tummelten sich
in ungezählter Menge über den Bee
teu, deren Pslanzen wilde Schüss
linge getrieben; Centisolien rantten,
Alles unter sich erstickend, über den
Buchsbaum der Einsassung weit in die
Wege hinaus und hielten, wie unwil
lig über mein Erscheinen. mich am
Kleide sest. und hier und da leuchtete
eine aus dnnilem Schatten aus, von
Epheu sasi überwuchert, der auch die
Stämme der Bäume dicht umrantt
hielt-»
Wie träumend schritt ich weiter.
Das war in der That Dornräs
chens Eaubergartem so weltderlassen,
se spu hast einsam lag er da im grü
nen Licht der Mittagssonne« die doch
nicht unter dem grünen Laubdache das
Dämmerlicht gänzlich zu vertreiben
vermochte.
Die Zweige hingen so i« hernie-.
der. da sie mein Zank strei ten, siej
verbargen auch mit i er üppigen Bläts ;
tersprache die hohe Mauer, die den«
Garten rinnx begrenzte, und ließen
ihn unermeßlich erscheinen.
D, du alter, verlassener Klostergar
ten, wie lieh bist du mir geworden!
Schier das liebste Fleckchen aus dem
gro n, weiten Erdenrund!
er riesige Part um die elegante
Lliilla, mit seinen englischen, sammets
weichen Rasentlächem seinem weiten
sinmenpatterry ee verschwand soll
standig vor diesen Grasplä en, mit
Wiesenblumen bunt durchstach en; und
aus keinem der modernen Wiegenstiilsle
sasz es sich so gut, wie aus der alten.
moosbetoach enen Steinbank unter den
beiden grossen Lindenböutnem die mit
ihren wei en das löstliche.Plätzchen
noch be mli r und versteckter machten.
O, wie viel hundert mal habe ich
dort gesessen in Leid und Junos zu
Häupten die schwanken Zweige und zu
Füßen den halb versnntenen Grabstein
einer alten Aebtissim deren Ebenbild
in LebensngHe mit starrem Faltenge
wand, die hande über die Brust ge
lreuzt. die Stätte ziertr. unter der sie
iich ausrubte, schon über zwei Jahr
hunderte lang. Der Regen war aus
den Sandstein gepiitschert, im Winter
war das Schneewasser darüber hinge
freiert, aber immer noch lag die sein
aemeißelte Gestalt dort, und noch im
mer vegtiindeten die plumpen Buchsta
ben, das: Anna 1558 die bochebrmäri
diae Aebtissim Frau Magdalene
Sibylla, Reichsgriisin zu Radeberg
und Hobensteim in einem seligen To
desstundlein in Christo eingeqangen
sei zu Gott« —
Es wurde mein LieblinasplaF die
ses alte Grab; ich habe die esseln
ausaerissen und Epheuranten und
Jmmergriin herum gepstanzt und da
bei dachte ich an ein liebes sernes
Grab, und wie dankbar ich sreinden
Händen sein müsse, die das Untraut
sern hielten von ihm. Und das. was
ich einer lang’, lang’ Verstorbenen
that, das1 galt ja meiner Mutter.
»Es ist recht«. sagte später der alte
Gottlieb. den ich um Blumenpflanzen
angebettelt batte», das ist recht, gnädi
oes Fräulein, der Mensch muß was
Greisbares haben, einen Plan, wo er
so recht zu Hause ist mit seinen Er
innerunaen, nnd wohin Einem iein
anderer Mensch mit den Gedanien sol
aen lann. Jch halte auch so; sehen
Sie, wenn ich so ein recht schweres
Herz habe s ach, Jesus, und wer
hätte das nicht zuweilen -, dann aehe
ich aus der Wohnstube und steiae bin
aus aus den Boden in die Fladss·ain
nier. die war meiner seligen Alten
ihr Stolz, ihr Liebste-. und wenn ich
so das Herz voll Blut und Jnarinini
habe nnd ich trete da hinein und rieche
ten Flachogeruch und sehe das seine
Garn sinnen das sie no aesponnen,
dann iit mir's grad’, al saate «
.Las; es gut sein, Alter. last es gut
sein. mit dem Kops durch die Wand
kommst Du doch nicht!«
tzortsehung folgt-)
—«-—-.
Die urbar-esse Tantssthernth
Von anhaltender Dürre ist aus
Juba die Tabaternte geschädigt wor
den. nachdem aus glet em Grund
schon im vorigen Jahr di es Produtt
in bezug aus Quantität und Qualität
viel zu wünschen übrig ließ. Die-mal
hält man in havana die Erntelase
siir noch schlimmer als im Jahre
1907« das sitt die lubanischen Tabak
pslanzer das schlechteste war, das sie
je erlebten.
Wie ein Fachmann, der soeben von
einer Gefchaftoreise aus havana nach
New York zurückkehrte, mittheilt, wer
den echte havanav bald knapp und
theurer treiben. Weder hinsichtlich
Deckblatts noch EiniagesTabat ist die
Ernte befriedigend, und in Vurlta
Abajo, dein besten Distritt, ist die
sonst siir seinste havana Zigarren das
Deckblatt liefernde Ernte nahezu ein
Fehlfchlag Bei dem unbefriedigen
den Ergebnis schon der vorigen Ern
ten sind alteVorriithe tauni vorhanden,
und hätten die Zigarrenfabrilen von
Havanna viel u thun, so würde er an
dem nöthigen Material fehlen, um die
Aufträge auszuführen Aber es man
gelt nicht allein wegen der nothwendi
gen Preis-erhöhung an der üblichen
großen Nachfrage besonders von Sei
ten der Ver. Staaten und Europa,
sondern auch die Erschwerung der
Einfuhr von Iabat und Zigarren sei
tens mehrerer großer Länder macht sich
der havaneser Zigarren-Jndustrie
fühlbar. Abgesehen von einigen gro
ßen und tapitallriistigen Fabrilen«
die für ihr Erzeugnis Jahr ein und
Jahr aui guten Absatz haben, ist die
Situation insbesondere der kleineren
kabrilanten bedauerlich. Der hohe
-chuhzoll hierzulande, die neuen
Zolltarife in England, Frankreich und
nun auch in Deutschland bilden für
die lubanischen Tabalerporteure eine
schwere Benachtheiligung.
Jnfolge des schlechten Ernteauis
falle liegen auf Juba die Verhältnisse
in den Tabatsdistrilten so trübe, daß
die Uegierun bereits hunderte von
nothleidenden rbeiterfarnilien aus der
sonst so reichen Tabatvrovinz Pinar
del Rio nach der Provinz Santa
Clan überführt hat. weil dort die
sbiühende Zuckerindustrie den Arbei
tern bessere Aussichten bietet. Sollte
nun die nächstjährige Tabaternte der
Insel reich sein« so mag eine neue Ka
lamitiit eintreten: infolge der Ans
wanderung dürfte ei an Arbeit-trös
ten zum Eint-ringen der Tabakernie
lfehlen