Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, August 12, 1910, Zweiter Theil, Image 10

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    Roman aus dem
Volksleben
Rosen und Myrthen
««««««-n-p«- Its-« -««««««««««t.’—.
Von O. Elfter
(7. FortsetzungJ
.Ja, das is wahr-. Und dis wann
berste die Reise qeplant?«
»Wir müssen die Gelegenheit erst
noch nusbnldoivern Ader der Junge
is in Abends niemals zu Hause, er
kommt immer des Nachts sebr spät
zurück. Die Olle schläft wie ’n Mur
·melthier und det Dienstmädchen und
die Köchin schiafen im Hinterhaus ——«
»Mit die Frauenzimmer woll’n wir
schon sertia werden. Und wenn der
sengel mir in’n Weg tritt, denn kriegt
er eins vor den Kopf, ick hat« ihm
schon lange zugedacht —'«
»Man immer ruhig Blut, Bartels.«
»Wat schleichst Du denn dJ um un:
seren Tisch benle suhr Bietels ei:
nen Händler nn, der sich ihnen genä
hert hatte·
»Na nn,'· rief derselsbe empört. darf
man denn nicht zum Busset geben —«
,,Det darfst Du schen«, lachte der.
aneschnittene Riese. »Aber wie is
mir denn, haben irr-it nicht schon ein
Geschäft zusammen aemnckst?« .
Ueber das Antlitz des Hausirers
glitt ein dersckimiytes Lächeln. s
»Als-« kennt mich der Herr doch
noch?« fragte er mit listigem Augen
dlinzelm
»Na, denn sehen Sie sich mal en
dischen zu uns«, meinte Hinrichö, init
einer einladenden handderoegung aus
einen leeren Stuhl zeigend. »Vielleicht
mach-en wir in nächster Zeit wieder ein
Geschäft-den zusammen. Sie handeln
ja wohl mit Gold und Brillantent
»Wie heißt handean sagte David
—- das war der Name des Händlers
—- sich mit einer gescheidigen Bewe
gung an die Seite Hinrichs setend
»Wenn man mir ein hübsches Stück
anbietet tauf’ ichs M half einige
Liebhaber sür solche Sachen.«
.Das glaub’ ich. Hier handelt
fass aber um ein großes Eeschöit.«
»Ein großes Geschäft?«
David rückte näher heran und blick
te sufmertsarn inrichs in die Augen.
Eine Weile iistertsi sie eifrig zu
sammen. Des händlers Augen glänz
ten und-leise tichernd rieb er sich die
dutren Hande.
»Wenn Sie mir die Sachen brin
gen. welche Sie zum Verkauf haben«,
sprach er leise, »werd’ ich dafiir sorgen,
daß Sie gleich baares Geld bekommen
Ich allein kann das Geschäft nicht ma
åen — wo soll ich armer Mann taus
send Thaler hernehmen? — aber ich
weiß einen Freund, der hat gute Ge
schäftsverbindungen —«
,,No, schon gut David. Eure Ge
schäftsperbindunaen tennt man. Vor-»
her handelt es sich aber darum, meins
Geschäft zu vertausen«. sagte BartelTH
»Ich hab’ es satt, mich hier abzuguä-’
len, ich will auswandern ——«
»Ich ioerd’ Jhnen in einigen Tagen
einen Mann brin en, der Jhnen das
Geld-Ist abkauft. - ber für mich mußl
auch ’ne kleine Prooision abfnllen.«
»Herr thk haben- s
Also ’s ist abgemncht?« s
Ade-macht Hier im Sechsertopp
treffen wir uns wieder.«'
.,Bin ich doch jeden Abend hier und
oerzehr’ mein einfach-es Abendefsen«,
schmunzelte David.
Auf der Treppe, welche von der
Straße in den Keller führte. erschien
die dunkle Gestalt eines Schutzmaw
nes, der sich aufmerksam in dem Lo
kal umfah.
Der Wirth kam eilfertig hinter dem
Schänktisch hervor. »Was steht zu»
Diensten, here Wachtmeister?«
»Nichts-T entgegnet der Polizist
barsch. »Aber Feierabend ift’S ——"
»Ich hab’"5 den Herren auch schon
aesagt'·, entgegnete der Wirth eifri .
»Nun Sie’s, meine Herren, ’s i
Feierabend!« rief er dann laut ire das
Lokal hinein.
»Man wird doch noch sein Glas
auctrinken dürfen«, murrte Bartels.
«Jn zehn Minuten tomm’ ich wie
der, dann muß geschlossen sein«. be-s
kigfl der Schuhmann und entfernte»
« s
Ein spöttisches Lachen scholl hinter;
ihm drein. Der Wirth drehte rasch?
einige Gasslammen aus. (
»Einer wenn ihr noch bleibens
sollt«. sagte er leise, »so kennt ihr ja»
den Weg zum hinterzimmer.«
Die meisten der Gäste erhoben sich
nnd verstanden in dem dunklen
hintergrund Die Hausirer entfern-;
ten sich und auch Dattel-l und hinrichs ;
An es por, sich zu entfernen. Als!
- , vordere Lokal leer war, verschloß
der Wirth die in die hinteren Kellers
fiihrende, schwere, mit Eisen beschlo-?
gene Thür, löschte die letzten Gasslank
neen aus und schloß die nach der
; Straße führende Thür. Jni tiefen
Dunkel lag der »Sechsertopp« da und
sie-and konnte ahnen, daß tief irn
— Innern dieses labyrinthisch-n Kellers
noch Leben herrschte.
. sattels und der til-geschnittene Rie
Jefchlendeeten langsam die Stralauer
stets-I Its-eurem- Der Regen prassel
H is sks Zwischentöne-ten nieder
»das .«der Wind pfiff und
is engen Cassen der Alt
dsntle Gestalten hus en an
«-ss— « der Wer soeben ab
aste- einspster Pferde
, « die entlang, aus
. und Use-tu fiel
sieh der USE- Fen
grose Msen gehe It läg
, tin Uebrigen lasen die Stra
» III- ssd dunkel da, M
- m lich been-enden sae
Laternen vermochten die Finsterniß der
silirmischen Herbstnacht nicht zu ban
nen.
»Heute mät’ eine passende Nacht zu
unserem Unterne;,:nen", meinte Var-»
tels mit sinsterern Lachen. ;
»Freilich wohl's entgegnete Hin-;
richs. »Aber mir müssen uns zuerst?
versicheru, ob der junge herr nich zu
hause is.« .
»Damit-les Zeug, mit Deinem jun-»
gen herrnt Wenn er mir zwischen die
Fäuste kommt, dann schlag’ ich ibrn
den Schädel ein.'· »
»Nu. nee, Bartels. Kein Blut —
teinen Todtschlaa —- ich bab’ genug:
an bern einen ——'« -
»Du bist ’ne Memtns Hinrichs.« i
Man war inzwischen in den besse
ren und belebteren Stadttheil der
Leipziaer - Straße gekommen. Hierj
herrschte blendende Helle von der elet
trischen Straßenbeleuchtuna und dems
hellen Lichtschein der vielen Restauis
rants und Case'S. Reges Leben flu-j
ibete hier noch aus und ab. Dass
nächtliche Leben und Treiben ber Mil- s
lionenstadt tanzentrirte sich hier ans
der Areuzung der Friedrichs- und;
Leipzigerstrasze, äußerlich glänzend;
und heiter, innerlich aber bohl und
verdorben, ein Abgrund aller Laster
und Verbrechen.
Vor dem Case National, der Sam
rnelstätte der nächtlichen Lebewelt Ber
lins, blieben Bartels und Hinrichs
stehen.
.,Sollen wir noch ’nen Schwarzen
trinken?« stagte Bartels.
»Sieh dabin«, rannte Heinrichs ihm
zu. »Da kommt unser Manni«
Eine Dtoschte erster Klasse fuhr
vor. Der reich aallpnirie Portier Eiss
nete den Schlag und zwei herren stie
gen aus.
»Das ist unser junger Herr Man-»
Nil-?- sieb da, wen bat er denn bei
l «
«Kennst Du ibn nicht mehr? Das
ist i- der Herr Siaismund —«
Unter Lachen unb Scherzen bega
ben sich bie Beiden in das Case. Eine
Weile blieben Bartels und Heinrichs
noch stehen. dann schritten sie weiter,
gie Friedrichsstraße entlang, den Lin
en zu.
13. K a v i t e l.
Arbeit, Arbeit! Harte. schwere un
unterbrochene Arbeit! Arbeit ohne
auszusehenl Arbeit Tag und Nacht!
Kaum daß die wenigen Feiertage eine
kurze Rast, eine kurze Unterbrechung
gewähren· Und selbst an diesen Feier
tagen schwebt die Sorge um die Ar
beit über den Tausenden und Aber
tausenden von Familien, welche da
draußen im spärlichen Grün des
Gruneivaldes, in den lauschiaen Spa
niergiingen des Thiergartens, des
Friedrichshains oder in den weiten,
kahlen Gärten der Nefiaurants die we
nigen Stunden der Ruhe in sliegender
hast genießen. Arbeit scheint das
Losungswort für die Millionenstadt
geworden zu sein. Und nicht jene Ar
beit, welche den Geist erfrischt, welche
den Körper stärkt und kräftig erhält,
nicht jene Arbeit, welche uns gleich
sam zur zweiten Natur. und lieb nnd
iverth geworden ist, sondern eine aus
reibende, Körper und Gei erschlaf
fende, Nerven anspannen Arbeit,
hinter der das hohliiugige Gespenst
der Noth, der Sorge, der Armuth« des
hungers steht. Jene Arbeit um das
kärgliche. tägliche Brot der Frau und
Kinder! Jene Arbeit, die gleich ei
nem Alp aus uns lastet, weil der Dä
mon der gezwungenen Arbeitslosigkeit
mit all’ seinen Schrecken hinter ihr
steht.
Die Arbeit ist gleichsam ein gesuch
ter Artikel in der Millionenstadt, in
der sich aus Ost und West, aus Nord
und Süd Tausende und Abertausende
zusammensindem alle aus der Jagd
nach Arbeit, alle in der Hossnung aus
hoben Lohn. aus gutes Leben, aus
Reichthum, aus sorgenfreies Leben.
Und wie wenige Tausende und Aber
tausende erreichen ihr Ziel! Daheirn
aus dem Lande. in ihrem kleinen Hei
mathstödtchen, in ihrem Dorfe haben
sie vielleicht ein einfaches, aber immer
hin gesichertes Leben ausgegeben, ha
ben ihr baufälliges höuschen verlas
sen, das ihnen doch Schuh und Schirm
gegen Wind und Wetter gab, das ih
nen mit seinen kleinen Gärtchen doch
eine wirkliche heimath bot, um dem
glänzenden Phantom der rei elohn
ten Arbeit nachzujagen. Un was
tauschen sie dafür ein? In dunklen
Kellern wohnen fre, oder in Miethss
lasernen zusanimengepsercht mit hun
derten von Menschen« in dürftigen
Zimmern, die sie meistens noch mit ei
nem oder mehreren Schlafburschen
theilen, oius sinsteren, feuchten bösen
ans die kaum heim höchsten Stand
der Sonne ein freundlicher Strahl
ifüllt und aus denen gleich einem mäch
’tigen Schatten die Sorge, die Noth
ider hunger emporsteigt.
, »Sie sehen die glänzendsien Schau
sfensterz sie sehen alle herrlichteiten
I des Retchthums, sie sehen die strahlen
lde Auänseite eines reichen, schönen,
sgliieklr n Lebens, und in ihrer Seele
Fertvachen die Dämonen dek- Neides,
; der habsucht, des Basses und mit fin
steren Mienen schleichen sie an den
»herrlichkerten vorüber, zurück in i e
lduntlen Keller, hen, dump en
iMkasernep und insteren, feuchten
Und glücklich noch der, welcher Ar
bett sur sich und die Seinen gefunden
hat. Er kann wenigstens die not
Wen Lebensbeditrfnisfe best -
e
ren, er braucht seine Kinder nicht trun
gern zu lassen. Aber der furchtbare
Gedantet wie soll es werden« wenn
Du durch irgend einen Zufall die Ar
beit verlierst, quält selbst diesen Glück
lichen Tag und Nacht und läßt ihm
teine Ruhe und peitscht ibn weiter and
weiter in atbemlofer, nervenerschiit
ternder, geisterschlaffender Haft.
Friedrich Gerliard mußte alle Bit
terkeiten dieser Jagd nach der Arbeit
durchtosten. Er wanderte von einer
Arbeitsstätte zur anderen; er ftudirte
den Annoncentbeil der Zeitungen und
wenn er eine offene Stelle als Por
tier, als Hausdiener oder dergleichen
fand, eilte er dorthin, aber vor ibrn
waren schon hundert andere dagewesj
sen, und bundert Arbeits-lebende wur
den mit ibm zugleich abgewiesen, und
nur ein Glücklicher erhielt die Stelle-.
Der Winter stand vor der Tbiir, die;
Bautdiitigteit stockte, viele Arbeiter:
wurden entlassen, viele Arbeiter ta
men vom Lande« wo sie während des
Sommers gearbeitet hatten« in die
Stadt und füllten die Arbeitsbureaus
und die Arbeitsstätten Tausende un
Abertausende durchwanderten m
Gerbard die Straßen der Riefenstadt
und bettelten um Arbeit und konnten
doch teine Arbeit finden und lehrten
Abends mit miiden Füßen und hung
rigem Magen in ibre dumpfen Afnle
zurück.
Die Arbeiter. welche iraend ein Ge
werbe erlernt hatten, fanden noch biet
und da ein Unterkommen Aber Ger
bard verstand nichts als das Berg
mannsgewerbe, das hier in der Rie
fenstadt nußlos war. Er bot sich in
den Fabriten als Heizer, als Kob
lenzieber an, auf den Bauten als
Steinträger. auf den Lagerböufern
als Träger und Packerx aber bier wa
ren die Stellen alle besetzt. dort war
er zu alt für die Stelle: an einer drit
ten Stelle ward ibrn ein allzu karger
van geboten, so daß er selbft taurn
das Leben für sich allein hatte.
Er fand teine Arbeit — wohl ein
mal auf einige Tage eine zufällige Be
schäftigung : dass-I als-! M .·t sich
oer urbengtongien wieder preisgege
ben, irrte ziellois in den Straßen der
Riefenftadt umher, um Abends trost
los, erfiillt von«Bitterteit in die Wob
nung heimzukehren, aus der nach und
nach jede Bequemlichkeit jeder noch is
tleine Komfort verschwunden war-, um
dem Elend, der Armuth. dem hun
ger Platz zu machen. Der hübsche
Spiegel. ein Erbstück von den Groß
eltern her, wanderte zuerst ins Leib
baue; ihm folgte die alterthümliche
Kuckucksuhn dann das Sode dann
die Komme-de, das eine große Bett,
welches Frau Gerhard mit in die Ehr
gebracht hatte, die Schmuasachen der
beiden Frauen waren schon längst
derseht — leer und kahl waren die
zwei Stäbchen und die duntle Küche,
die Noth, die Sorge, der hunger
grinsten dem Eintretenden aus den
Winkeln entgegen·
Frau Gerhard und Anna lämdf:
ten mit heldenmuth gegen die Ar
muth, gegen den Hunger. Sie nähten
Tag und Nacht, aber sie fchofften es
allein nicht und die Kinder mußten
ebenfalls mitderdienen. Iris und
Lenchen trugen am friihen Morgen.
weder-Tag graute, Weißbeotsfiir den
Mieter aus und am Abend liefen sie
Trepd auf, Trepp ab. um die Zeitun:
gen fiir einen Zeitungsspediteur zu
besorgen. Miid und matt schlichen sie
Morgens acht Uhr schon zur Schule.
schliefen bei den Worten des Lehrers
ein, erhielten Schelte und barte Worte.
fanden Mittags laum · ein warmes
Mittagsbrot» sei-lehnten sich weiter
den Tag iiber und sanken Abends zu
eTode erschöpft auf das tiirgliche La
ger.
Anna blutete das herz, wenn sie die
bl.1fsen, hohläugigen Gesichter der
Kleinen erblickte, wenn sie die rohen,
gewöhnlichen Worte und Manieren
bemerkte. welche die Kinder auf der
Straße lernten. Sie ertrug geduldig
die rniirrische Laune des Vaters. die
Zantfucht und die spitzen Redensar
ten der Stiefmutter die ihr fast jeden
Tag vorawrf, daß sie an all’ dem
Elend schuld sei. Weshalb iei sie so
unfreundlich gegen Herrn Mandel ge
wesen? Weshalb habe sie den langen
Bartelj abgewiesen, der sich ieht über
haupt nicht mehr blicken ließ? Wenn
sie nicht so zimperlich gewesen« fiißen
sie noch in der bequemen Portierstelle
und Herr Mandel würde dem Vater
wohl au eine kleine Zulage gegeben
haben. der sie wäre die Frau von
Bartelz und hätte ein gutes Geschäft
und könnte ihre Familie unterstühen
Anna ertrug alles geduldig und ar
beitete nd arbeitete, bis sie selbst nicht
mehr konnte und sich eingefkehen mu —
te, daß es auf diese Weise nicht me r
weiter ging. Sie hätte ialeicht eine
Stelle als hausmiidchen oder in einem
Geschäft finden tdnnen, aber dann
hätte sie ihre Familie noch weniger
unterstützen können, denn der targe
Lohn, den sie empfing, wiirde launi
hingereicht haben, fee zu erhalten«
Sie griibelte und sann Tag und
Nacht, wie sie mehr verdienen konnte.
Wenn sie nur Abends eine Beschäf
tigung, eine Stelle erhalten könne,
dann vermochte sie am Tage zu nähen
und zu arbeiten und würde sie ihren
Verdienst »für die Stelle am Abend
auch noch sur den haufhalt haben her
wenden können. Aber sie fand nichte
so lange sie auch sann und riibelte,
und in den sliittern die nnoncen
studirtr. »
»O ist ern elendes, erbärmliches Le
;den«, flüsterte Friedrich Gerhartx als
Der an einem ftiirmischen November
abend wiederum von der vergeblichen
zJagd nach Arbeit heimtehrtr. »Wenn
das noch lrnae so dauert dann häng«
,ich mich auf —«
»Und läßt mich und die fünf Gö
ren im Elend zurück disk-nie Frau
Gerhard. »Das sieht Dir ähnlich —
Du Nichtsthuer — Du Faullenzer.'«
»Lene, ich sag Dir, mach’ wich nicht
wild! Du hat« gewollt, da wir nach
Berlin zöaen —- jetzt hast - u’s, fest
sorae Du weiter.«
Er streckte ier drohend die Faust
entgegen. Anna fiel ihm in den Arm.
»Laß aut fein. Vater«, sagte sie bit
tend. »Die Zeiten werden auch wie
der befser werden.«
»Ja, wenn wir alle verhungert
sind'«. lachte Frau Gerlxird höhnisch
und aina in die Küche. Anna fette
sick wieder are-ihre Mit-arbeit. Jer
Vater zoa ein zerlnittertes Blatt Pa
fsier aus der Tasche; es war ein An
noncendlatt. in das er fich vertiefte.
»Vater«, saate Anna nach einer
Weile zögernd. »ich wüßte fchon. wie
wir aus dem Elend beraustämen.«
»Na da bin ich neugieriaX
»Sieh Vater, so aeift es nicht wei
ter. Schau Dir doch mal die Kinder
an, sie verlommen nach und nach und
wie blühend und aefund waren sie im
Dort ——" ·
»Ja, das weiß der liebe Gott«,
seufzte Gerhard auf.
Wie wär es nun Vater, wenn ihr
wieder nach dem Harz zurückzöaet.
Die Großmutter nimmt Euch gewiß
wieder auf und in den Bergwerten
oder im Forft findest Du jederzeit
Arbeit —«
Der Mann stützte den Kopf in die
Hand und stierte finster vor sich
nieder.
Anna legte den Arm um seine
Schulter und fuhr fort: »Ihr tönntet
wieder zufrieden und aliicklich in dem
tleinen häuschen in Friedrichshiitte
leben Du hättest Deine regelmäßige
und gewohnte Arbeit, die Mutter
tönnte wieder siir die Fremden wa
schen und die Kinder brauchten nicht
mehr iii Wind und Wetter. Trepp
auf. Trepd ab, Zeitungen und Weiß
brot auszutragem Vater, dent’ ein
mal an den schönen, herrlichen Wald
— an unser friedlicher, stillee Dort,
an die stampfende ,oochende Eisen
hiitte, an das Glöckchen des Berg
wirts, das anzeigt, daß die Fahrtunst
in Ordnung ist; dent’ an die tleine,
epheiiiiberzogene Kirche, dent’ an das
kleine. schwgrze Kreuz, unter dem
meine Mutter lieat ——— wie schön, wie
schön ist es in der heimath —«
Ueberwiiltigt oon ihrem Sehn
iuchtsgesiihl lehnte sie die Stirn an
das haupt des Vaters und weinte
leise vor sich hin.
Tief in sich zusammengesunten saß
Gerhard da. In hastigen AthemziL
gen hob und senkte sich seine Brust,
die schwieligen lViinde waren transpi
hast gesaltet. Ein hestiges, tratnpss
bastes Schluchzen brach aus der Tiese
seiner Brust hervor und erschütterte
seinen Körper.
«-dast recht, mein Kind, hast tau
sendmal recht«, stöhnte er, »e; ist schön
in unserer Heimath und der Wald,
der Bei-C. sie ernshren uns. und wenn
wir nicht reich werden, so brauchen
ioir auch nicht zu hungern. Aber was
soll aus Dir werden«-) —- Willst Du
hier bleiben?«
»Ja, Vater· Ich würde hier blei
ben. Du weißt selbst, dass die Stief
mutter mich nicht gern hat, ich will
allem Streit und Zant aus dem « ?
gehen: ich oerrniethe mich hier as
hausmädchem dann hab’ ich ein red
liches Brot und ehrliche Stellung iind
Ihr habt von mir teine Last. Ich
tann Dir auch noch jeden Monat von
meinem Lohn etwas schicken, ich hab’
ja in dem hause alles, was ich brau
che, das Geld schicke ich Dir und den
Kindern —"
Hi wiir zu überlegen«, sagte Ger
hard zögernd. Doch plötzlich stieß er
seine Tochter von sich und sprang ein
por. uNein, nein, es geht nicht!« ries
er und siihr sich mit den Händen
durch die struppigen Haare, .es geht
nicht, ich kann nicht mehr zurück ——«
«Bater —«
»Du weißt es ia. Anna! Ich hab’
es wohl gemertt dasz Du es weißt —
ich tann nicht mehr zurück — ich bin
ja tein ehrlicher Mann mehr -—«
Er sant an dem Tische nieder und
drehte die Fäuste oor die Augen«
Traurig setzte fich Anna wieder an
ihre Arbeit. Sie wagte das sinstere
Sehn-eigen des Vaters nicht zu unter
brechen, wußte sie doch, was in ihm
wiihlte und ihn unfähig machte. sich
aufzuraffen.
Frau Gerhard trat ein und sehte sich
mit vor den Tisch, aus den eine tleine
Petroleiiinlamoe ihr diisteres Licht
wars. Mit mißtrauischeni Bliet he
obachtete sie ihren Mann und Anna.
Dann ergriss sie das Annoneenblatt
und sagte mürrisch: »Habt ihr noch
nichts sundenk
Ger rd antwortete nicht« sondern
stand aus, trat an das Fenster nnd
starrte in den schwarzen Hof herab.
Seine Frau las die Annonren sus
rnertsain durch. Möhlich ries- sie:
»Da — das wiire was siir Dich,
Binak
Anna erhob den Kons. »Für mich,
Muttert« »
Ia, fiir Dich, denn mich alte Frau
wer n e bei’s Theater wohl nicht
mehr aucheii können-«
Dei-i The-tritt«
»Ja, bei’s Theater! — Höre nur
mal: Ein aro es Theater sucht hun
dert junge, an fandng hübsche Müd
chen, um des Abends als Statistinnen
mitzuwirtem Meldungen tin Bureau
des Germaniatheaters. —- Na, was
sagst Du? Jrßt kannst sa zeigen. oh
Dirs ernst ist. Da haste 'n Ahendhe
ichäftigung!«
Am Theater Mutter? — Ich ker
stehe doch nichts davon ——«
»Dumsmes Zeug! Brauchst au
nichts davon zu verstehen. das lern
sich leicht. in schönen Kostiimen ein
herzustolziren —— «
»Mutter, ich tann’s nicht —«
»Natürlich, Du kannst nicht! Aber
ich sage Dit. am Theater tann man’s
zu was drinnen, wenn man nur Ta
tent hat — dent’ an Grete Hause
er —«
Anna ließ das Haupt smten. Eine
innere Stimme raunte ihr zu, den
Rath der Stismutter nicht zu besol
gen· ein Gefühl der Angst besiel sie,
wenn sie an Grete Hänseler dachte ——
und doch —-— die blassen Gesichter, die
traurigen Augen ihrer Geschwister —
die Verzweislun ihres Vaters — sie
athmete ties au — ,,Mutter«, sagte
sie dann. »ich werde morgen früh nach
dem Theater aehen —«
14. Kapitel.
Grete bänseler stand in eleganter
Morgentoilette vor ihrem Sdi ege.·l
und träuselte sich die Haare. Ihr
Zimmer zeigte die üppige Einrichtung
des Boudotrs einer Theaterprinzes
sin, seidene Vorhänge und Sdi en
gardinen verhüllten die Renten
schwere Plüschportieren wallten in»
dichten Falten vor den Thüren nieder·
In dem hellen, mitleidslosen Ta
act-licht tonnte man aus Gretens trüb
schem Gesicht doch schon die Spuren
des großstädtischen Lebens bemerken.
Wenn Schminke und Pulver fehlten»
zeigten die schmalen Wangen eine
blasse. gelbliche Farbe und die iml
Ahendlichte tect dlißenden Augen he
sasien seht am Morgen einen müden,(
matten Bli ck.
««s"k LU zu ka IW Ukclcs (
sragte Frau Hänieler, den unsrisirten
Kops in die Thiir siedend. -hat(
eben getlinaelt —- «
Man soll rnich heute Morgen in
Ruhe lassen«, entgegnete Grete mür-.
risch. »Ich muß mich antleiden, unt
rechtzeitig aus dem Bureau des Ger
maniatheaters tu sein. Der Direktor
erwartet mich«
Frau hänseler zog sich zurück und
Grete gab ihren Augen durch einige
schwarze »triche den erforderlichen
Glanz ergerlich wandte sie sich um
als ihre Mutter wieder in der Thür
erschien. —
»Was willst Du denn noch?«.
»Die Anna Gerhard steht draußen
und möchte Dich nern sprech-Mc erwi
derte Frau hänseler entschuldigend
»Mir der brauchst Du Dich ja nicht zu
gentren.«
«Anna Gerhard?! —- Jch will sie
sehen, siihre sie nur herein-«
Zögernd trat Anna ein. sich erstaunt
in dem ele anten Raume umblickend.
»Als-) en lich hältst Du es dersMiihe
werth, mich auszusuchen«, begrüßte
Grete die Schulsreundin mit eigenem
Lächeln. Aber das Lächeln erstarb
dem gutmüthigenMiidchen faus den
Lippen, als sie Anna-B blasses« ver
härmtes Gesicht und die örtntiche Klei
dung erblickte, die in solch’ grellem
Gegensatz zu ihrer eigenen ele anten
Erscheinung stand. Wie eine eitle
rin erschien Anna ihr gegeniiber.
«Ver3eih’ mir, Grete, wenn ich Dich
störte —" sagte Anna lelise und scheu;
»Was ist da zu verzeihe-M riet
Grete. »Ich hohe Dich schon lange
erwartet. Komm, seh« Dich zu mir
und erzähle. wie es Euch in der neuen
Wohnuna geht. "«
Sie zog Anna aus den mit seidenen
Kissen bedeaten Divan, lehnte sich
bequem zuriiel und betrachtete die
Freundin mit mitleidigern Blick
.Du siehst schlecht aus, Anna. Es
geht Euch nicht gut?"
»Der Vater hat bislang noch teine
seste Arbeit gesunden und was Mut
ter und ich verdienen, reicht nicht aus,
um alle unsere Bedürfnisse zu befrie
Bisen, wenn sie noch so bescheiden
ind«
»Weil Ihr es salsch aussasit Anna.
Jch sage Dir das Geld liegt hier aus
der Straße. Freilich, man muß Ta
lent haben. Aber ich seh’a Dir an, Du
hast etwa- aus dem bergen — also
heraus damit.«
»Ja, ich habe eine Bitte an Dich-«
. ,-.« ----- »--.-.-.---.- -..--....
entgegnete Anna in gepreßtem Tone.
»Ich weiß aber nicht, ob ich Dir lästig
fallen dars.«'
»Sei nicht so dumm« Brauchst Du
Geld? —- Jch bin zwar gerade nicht
bei Kasse, aber auf zwanzig Mark
tommt es mir nicht tin-«
»Du bift sehr freundlich, Grete
Eine solche Bitte wollte ich aber nicht
aussprechen — ich habe beute Morgen
ein Duyend Hemden abgeliefert und
das Geld dasiir erhalten. So ist fiir
einige Tage wieder esorgt.'«
»Na, was willst - u denn?«
»Ich möchte ans Theater gehen'«,
platzte Anna heraus, indem eine dunk
le Bluttvelle ihr blasses Gesicht liber
fluthete.
Grete lachte laut aus. »Du willst
ans Theater? —- Das ist ja köstlich!«
Anna holte aus ihrem Poeten-on
naie die Annonce heraus, durch welche
junge Mädchen fiir das Germanias
tlieater gesucht wurden, und reichte das
Papier Grete hin.
»Ich wollte mich auf die Annonce
hin nielden«, sagte sie zögernd. »Aber
ich bin ja so unerfahren und da glaub
te ich, Du könntest mir einen Rath er
theilen —«
Grete warf einen Blick aus die An
itoncr. »Ja, ich habe sie schon gelesen«,
entgegnete sie, ernster werdend »
wäre allerdings etwas fiir Dich —«
»Wirklich?« rief Anna erfreut.
»Und das beste ist«, fuhr Grete fort,
dasi ich Dir zu einer Anstellung ver
helfen kann —«
»Ach, wie danke ich Ditt«
»Ich bin nämlich an dem Theater
als Solotänzerin angestellt«, sagte
Grete in gännerhasten Ton. »Mit
noch fiinf anderen Damen führen wir
einen tiirtischen Tanz auf. Der Di
rektor und der Verfasser des Stückes,
das demnächst in Szene gehen soll. er
warten mich heute Nachmittag —«
»Da störe ich Dich -—-«
»Nicht im geringsten. Die Herren
können schon aus mich warten«, ent
gegnet: Grete bochiniithig. »Das
Stück ist eine große Augstattungsfee
rie. die Reise durch Indien, es treten
mindestens tausend Personen darin
auf. Pferde und Kameele kommen auf
die Bühne, ja, sogar ein Elefant —"
Mit offenem Munde starrte Anna
die Tänzerin an, toelche von den Herr
lichkeiten des Stückes nicht genug zu
erzählen wußte.
»Der Direktor sagte mir schon, daß
er noch hundert iunae Damen näthig
hätte. um die Aufziige und die Grup
pendilder recht glanzvoll zu gestalten.
Jch hatte ihm versprochen. unter mei
nen Freundinnen llnischau zu halten
— Du siehst. Du kamst zur glücklichen
Stunde.«
«.ch würde Dir von Herzen dank
bar ein.--«
«Bitte sehr — was ich thun kann,
thue ich seht gern.— Aber stelle Dich
einmal dorthin — fo. nun heb’ einmal
die Arme empor —- ivie ich —- bitte,
noch etioas höher. und nun drehe Dich
einmal rasch herum und mach' einen
Knix —- genau ioie ich — mach mir
nur alles nach i-— so bitte und so —
ganz famoek Ich glaube, Du hast
Talent. Jedenfalls besinest Du eine
brillante Figur. die sich im Ballettos
stüm reizend ausnehmen wird."
«Jm Balletkostiini?« fragte Anna
erschreckt und erräthete bis unter die
Haarwurzelm »Ich fürchte, das ist
doch nichts siir mich«, sprach sie klein
laut.
Mortsetzung folgt.)
—
Eine junge Bostonekin will Geld
than wenden. um den Sitaßenveei
iiiufekn Ausbildung der Stimme zu
ermöglichen. Das fehlt gerade noch.
I O O
Will Waliek Wellman wirklich der
Zeppelinschen Notvpoletpeviiivn den
Votanikiii bei der Fahrt überlassen,
auf die ek sich seit Jahren vorberei
leie?
. O
Den Forschungen eines Bostonek
Aegyptologen haben wir die Nach
richt zu demen, daß die Aegypter aus
Mexilo itannnien und ihr Himmel in
der Gegend von Boiion lag. Wie
kommt ei aber, daß in der ä yptischen
Götter-lehre nirgends von okt and
Beanö die Rede ist?
J d I
Einig scheinen die Iinanzweli und
die JndusitieRapiiäne nur darin zu
sein, daß die gegenwäkii e Geschäfts
lage fiit eine glänzende Besserung viel
Raum bietet·
s-« »Das bringen Zje Fu Mk ein qro ßxö All-um wit?«
habe-«- Ta sind meine immlichen Her-schauen drin, die ich selber photographieti