Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, May 13, 1910, Zweiter Theil, Image 13

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    WH-— « . jä- ; . sp«
Ver Pompadorrrränber
Novellette von A. v. Gersdorsf.
Juntelnde Sonnenlichter schossen
durch die bunten Scheiben der reizen
ben Villa in der Thiergartenstrahe.
Ein älterer, sehr elegant getieideter
herr, der seinen Ihre bereits genom
men hat« sattet nun, eine Cigarrette
anziindend, die Zeitung auseinander.
Er hat ein ernste-, vornehmes Gesicht
und steht englisch aus — oder arti-»li
sirt, rnit den breiten silbersarbenen
Bartloteletten, dem ausrasirten Kinn,
der tadellasen Totlette. Es ist der
Kornmerzienrath Philipp Mariens der
Aeltere. Jhm gegenüber sitt ein schö
nes, noch sehr junges Mädchen in
dunkelblauem Schneidertleid, das
goldbraune haar iiber der Stirn
hochausgebauscht Goldbraune Attri
telaugen mit langen Wimpern, die
dazu bestimmt scheinen, den ab und zu
rasch aussunlelnden Blick leidenschaft
lichen Temperament-L ja nmvilligen
Trohes zu verschleiern. Ihre vollen
rosigen Lippen umspielt ein fast allzu
energischer Zug, ein spöttetnbes Lä
cheln, und aus ihren Augen sunteln
tausend tleine Teufel des Wider
spruchs, während sie die Briese und
Karten, die ihr soeben die Post ge
bracht. überfliegt und halbaelesen l-ei
seite legt. Was ist Lisa Mariens
denn auch wichtig außer ihrer eigenen
Person, ihrem eigenen Willens
So scheint der junge herr zu den
ten, der iiber sein großes englisches
Zeitungsblatt hinweg zuweilen einen
ruhigen tithlen Blick aus das schöne
Mädchen richtet und mit einem kriti
schen Jucken der langgeschweiiten
lolonden Brauen wieder von ihr ab
wendet. Er ist aus England ber
iibergetommen, aus Glasgow wo sei
nes Vaters Weltsirrna einen riesen
haften Exporthandel betreibt, in das
defreundete Haus nach Berlin, um die
heirath ihres tiinstiaen Chess mit der
Tochter der Firma Mariens zu betrris
then. Die Glasgower Firma Janies
hiller ist übrigens ebensalls deutscher
hertunst. Der gegenwärtige Besitzer
ist ein Deutscher, und Jst-netz, der
Erbe, ist in Schulpsorta erzoaen
Seine Mutter war eine England-tin
Vornelnn lehnt er in seinem Korb
sessel. Sein schmäler Gesicht ist blaß,
die Züge schön geschnitten, sein Haar
von einenr glänzenden Hellbland, seine
von schweren Lidern halbverdeetten
Augen haben den sarlasrischen Blick
des Mannes der Lebewelt, der alles
tennt. Frauen, unverstandene Frauen
besonders, würden Iames Hiller au
ßerordentlich interessant finden, junge,
frische Mädchen selten. Und Lisa
Mariens nun s n gar nicht. Dies
überlegene, lang ame Wesen, dieses
musikalische, etwas schleppende Or
gan, das unbewegliche Gesicht sind ihr
beinahe antipathisch Ein wahres
Gliich daß sie nicht weiß, wesnnsaen
er eigentlich jeyt Gast ihres Vaters
ist. Ahnte sie es, würde er sein Spiel
rettungslos verloren haben.
Der Kommerzienrath schlug leicht
mit der stachen hand aus die Zeitung.
»Unglaublich! Schon wieder drei
Pompadours geraubt! Am hellen lich
ten Tage im Thiergarten! Der Tbä
ter jedesmal enttonimen!"
»Natürlich!« bestätigte Janus-.
»Und das schlimmste ist, daß unkere
verehrten Damen durchaus nicht ttug
werden wollen. Zu allen Tageszeiten,
sogar Astends im Dämmerschein wan
deln sie sorglos dahin, das schlen
ternde, ost golden oder silbern schim
mernde Täschchen in den Fingerchen
und —«
»Und ein rascher Griff oon starter
Männersaust, der mitunter auch ein
bißchen schmerzhaft sein kann, und so
ein nettes Ding mit seinem n.ehr oder
minder kostbaren Jnhalt ist im näch
sten Gebüsch oerschwunden«, setzte
Jameo hiller hinzu. »Na ——-- im klei
nen wie im großen! Wie selten ver
steht ein Weib im rechten Moment
sestzuha«lten, was es in der Hand hat
und sehr gern behalten möchte.«
Ein sliichtiges Augensunteln ziem
lich seindieliger Natur wechselte zwi
tchen ihm und dem schönen Mädchen
seiner Wahl.
»Nun, was mich betrifft«, sagte
Lisa ruhig, »so würde ich unbedingt
festhalten, trag ich in der Hand halte,
und mich eher mit dem Räuber in ei
nen Kampf einlassen. Ich gehe auch
nie in süßen Träumen einsame Thier
gartenwege wie andere junge Damen
vielleicht. Jch sehe und höre alles um
mich her, und mir tommt leiner so
nahe, den ich mir nicht nahe kommen
lassen will —- und mir entreißt auch
teiner so ieicht etwa-, was ich fest
halten will.«
»Wer wäre denn sonst damit ge
meint, der sich so leicht etwas entrei
ßen ließe, was er gern behalten möch
te?« spöitelie der Besucher.
»Noch der allen Spielregel immer,
der, der staatl« sagte sie lachend, ate
stark erröthend. Außerdem halte ich
diese ewigen Pompadourriiuhereien
nur sür einen Lückrnbiißer der Zei
tungen nnd Einhildungen ihrer Re
porter, und außerdem möchte ich wohl
wissen. wo wir Taschentnch, BörseJ
Rotizbucln Visitenlarten und sa weiter
lassen sollten ohne unier Täschschem
An einer modernen Teilette ist eben
lein Kartoffelsack möglich.« !
»Nimm mir's nicht übel«, meinte
der Kommerzienrath miszbilligendj
»aber toie kann man als vernünftiges
Wean sich derart von der Mode ab
höngig erklären, daß man sich chihr zu
Gefallen jeden Tag einer Beraubnng
ansseßtU i
«Mriner Ansicht nach«, stimmte
James bei, ,,smv diese beraiikten Da
men ganz einfach gesetzlich strasbar —
wegen Begünstigung, Gelegenheitsge
ben, Beihilfe zum Verbrechen « i
Lifa lächelte verächtlich zu ihm hin
über. »Ich bleibe dabei: Reparterer
sindungl —- Papa, hast dn jemals
eine Dame gelannt Unter den vielen
Damen unserer Bekanntschaft, ver ihr
Täfchchen entrissen worden wäre?«
»Nein. Das nicht -—«
»Oder Sie« Herr Hicler?«
»Auch mir ist nach lein derartiger
Fall geklagt worden. Aber ich bin
auch keine Zeitungsredaltion, teine
Polizeistation."
Jaines Hiller fah nach blasirter nnd
gleichgültiger aus wie sonst, nnd die
temperamentvolle Liia konnte nun
einmal dies schlafse Wesen nicht lei
den. Gerade bei ihm reiste es sie oft
bis zur Unart gegen ihn.
»Also ich behaupte nochmals-, das-,
meinen Händen niemand so leicht et
was entreißen wird. Aber ich glaube,
Jhnen lönnte man alles nehmen« was
man auch wollte, Sie wiirden nicht
einmal festhalten, wenn Ihnen solch
ein berühmter Pompadourriiubet die
Brieftasche aus der Hand risse, son
dern ihm nur mit Jhrem ewigen bla
sirten Lächeln gelangweilt nachsehen.«
»Mögtich«, sagte er achselzuderrds,
»denn wenn ich meine Bantnotentafche
offen in der Hand im abendlichen
Thiergarten triige wie Sie Ihre
Geldtasche, wäre sicher nichts- darin,
und ich wiirde in der That lächeln
iiber den getäuschten Spitzbubem Ich
bin nicht so unvorsichtig mie Sie,
Fräulein Lifa. Außerdem finde ich
es unjchicklich und überhaupt gefähr
lich siir junge Damen, gegen Abend
allein auf einsamen Wegen durch den
Ihiergarten zu gehen.«
»Ganz meine Ansicht!« rief der«
Kommerzienrath »Aber auf deinen
Vater hörst du ja nicht. Nun - die!
Vollendung deiner Erziehung muß ich
eben deinem einstigen Manne über
lassen.«'
Lisa lachte. »Dav0n hats-. ich im
mer geschwiirmL mich von meinem
einstigen Manne erziehen zu lassen.
Eine hübsche Aufgabe fiir Ebn, mir
meine muthige Selbitstiindiateit abzu
gewöhnen!«
»Ich glaube in der That nicht« daß»
irgend ein Mann das fertig bringen
würde. Wöhlerisch in seinen Mitteln
durfte er jedenfalls nicht sein«, besT
mertte der junge Hiller mit einem
matten Lächeln. — »Aber jetzt bitte ich
um die Erlaubniß, mich zurückzieten
zu dürfen. Die starlduftende Treib
haustqu hier macht mir Kopfweh«
»Wie schade!« rief sie spöttisch »Ich
hoffte schon, Sie würden mich zu Ger
fon begleiten und mir mit Ihrem bei
nahe weiblichen Talent in Ioiletten
fragen die Stoffe fiir mein Kostiiin
zu unserem arosjen Ball auszjuchen
helfen.«
»Ich -—- nnd in Magazinen her
umstehen? Nein, das ist nichts fiir
meine Nerven«, wehrte er ichaudernd
ab.
il If Il·
Lifa drückte das weisze Pelzbarett
in die blonde Haarpracht, schliipfte in
ihr kostbaren Pelzjijclchen und machte
sich auf den Gang zu Gerscn Der
Abend war wundervoll. Rothalüifend
schimmerte die untergehende Sonne
durch die herbstlich gefärbten Bäume
des Thiergarteng, die Luft war herb
und prirtelnd. Langsan schlenderte
sie durch den Parl in träumendem
Sinnen· Wie schön war es hier schon,
wenn man ganz allein ging, um wie
viel schöner mußte eg tein mit jemand,
den man lieb hatte --— hier im roth
schimmernden«21benblicht so ganz
allein --«- Arm in Arm, in den man
sich schmiegen konnte, wenn es dnnller
wurde, in den itarlen. schützenden
Llrmi Und wenn ein niitigeg Gesicht
sich ernst zu ihr niederbeugte, ein blas
ses Gesicht, eine ichlante, traitvolle
Gestalt ·-— ach, Unsinn! Immer und
immer mußte der nnangenehme
MensckHie ärgern und reizen nnd auch
noch zwingen. an ihn zu denken, wenn
er gar nicht da war!
Und Kopfweh betam er, Kopfweh
von Blumenduitt Welch ein Manns
Sie schreit plötzlich zusammen nnd
blieb einen Moment stehen« Ging da
nicht jemand vorsichtig hinter ihr?
Sie wandte sich um. Alles war still,
der Seitenpsad. auf dem sie ging, la.1
nienichenleer in dem schnell heraufge
stiegenen Schatten des Abends-. Wirt«
lich —— beinahe unheimlich wurde ihr
zumuthr. Diese ängstlichen Männer,
ihr Vater und der junge Viller, hatten
sie angesteckt mit ihrer Furchtsamteit.
Aber ietzt hörte sie wirklich Schritte
iin Gebüsch, das den Pfad begrenzte.
,Da drinnen mußte doch Jemand sein,
der ihr folgte! Jhr war es, als kämen
die Schritte dicht hinter ihr-her, so
lange sie ging, nnd hielten an, sobald
sie stand. Es war bestimmt so. Und
keine Menschenseele war zu sehen, nie
mand, der ihr entgegenkam!
So ein ganz klein wenig wurde ihr
doch bange. Es ist ihm richtig ges
lungen, mich seige zu machen«, dachte
sie geärgert und wollte eben ihr schim
merndes Silbertiischchen, das an einer
feinen Kette ihr am Handgelent hing,
unter das Jackett ziehen, als sie mit
entsetztem Aufschrei zurückprallte.
Dicht vor ihr sprang eine dunkle
Gestalt aus den Büschen auf den
Weg. Sie sah einen Moment lang zwei
funkelnde Augen dicht vor sich —- und
im nächsten Moment war ihr mit ge
iibtem Griff das silberne Täschchen
aus der Hand gewunden. Eshe sie noch
einen Hilferuf ausstoßen konnte, war
der Kerl wieder mit langen Sätzen in
den Büschen verschwunden(
An allen Gliedern zitternd eilte sie
so schnell sie tonnte auf die Fahr
straße hinaus, wo sie einen Schutz
mann stehen sah. Jn dem Täschchen
waren hundert Mark gewesen, und
der Silberwerth des tleinen Gegen
standes war auch ein recht bedeuten
der. Aber je näher sie dem Schuh
xnann tam, desto langsamer ging sie.
Was sollte das nützen? Der Räuber
war mit ihrem Pompadour sicher
längst über alle Berge Jm duntlen
Thieraarten umherlaufen und ihn su
chen, war doch auch nicht möglich
siir den Mann, der seinen Posten
nicht verlassen durfte.
Anzeigen tonnte man ja der Kri
nrinalpolizei den Vorfall noch heute
Das würde schon ihr Vater oder
James Hiller. Ja, James stillen der
würde schön predigen und sie reizen
und ärgern und bespötteln. Nein,
lieber die hundert Mart und die Ta
sche verlieren! Schade ·tvar’s ja dar-s
um, aber das Gesicht von dem! Brr
-—— lieber schweigen. Freilich, dafz sie!
ihre so aussallende Silbertasche nichts
mehr am Handgelent hängen hatte,
wenn sie ausging, das würden er nnd-»
ihr Vater wohl bemerken und dann
.»wenigstieng zu ihrer Gcnugthuung
glauben, daß sie zur Vernunft ge
tommen sei. Nun » das mochte dann
immer sein. Eigentlich wars ja bei
·nahe so. Oder würde sie sich künftig
nicht hüten, eine so verlockende Tasche
so sorglos zu tragen, würde sie nicht
doch lieber die einsamen Ahendgänge
durch den Thiergarten vermeiden?
Wie prächtig sich Lisa Mariens
herstellen tonnte! Mit welch harm
los freundlichem Gesicht sie zum
Abendesfen erschien! Liebenswiirdig
plaudernd, iiber ihren Gersonbesuchl
freilich nur flüchtig hintoeggehend, sie
wollte ja nichts verrathen, man sollte
doch am Rostiinifest iiberrascht wer
den. Viel netter als sonst war sie
gegen J.1mes, so dafz dieser seine mit
den Augen weiter als gewöhnlich äff
nete, wenn er fein reizendes Gegen
über betrachtete. Sie aber, in dem
dunklen Gefühl. daß sie ihm irgend
etwas abzubitten habe, lächelte nnd
nickte wiederholt. wenn er eine seiner
gelassenen Behauptungen ausstellte,
und ihr· slotter Widerspruchsaeist ihm
gegenüber schien sehr viel von seiner
Schärfe verloren zu haben.
st- If If
Der Abend des Ballfesteg war ae s
kommen. Die fchiinen Räume der;
Villa Marteng waren strahlend ekss
leuchtet, und fast alles, wag die vor !
nehme Welt an Glanz nnd Pracht, anT
schönen Frauengestalten nnd elegan
ten Männern zu bieten hatte, tam in
Equipagen nnd Autos durch das Vor
tat in den Vorgarten der Villa, iiber
den ein fchiitzender Valdachin ac
spannt war.
Immer neue Gäste strämten in die
offene Halle, und erst gegen zehn Uhr
ebbte der Strom der Antommenden
ab, und nur noch einzelne verspätete
Nachzsiigler eilten in beschleunigter
Gangart herbei, Um das Essen nicht
zu versäumen.f
Der Kommerzienrath tvar in bester
Laune. Seine und seines Jugend
freundeg Pläne siir eine Verbindung
ihrer Häuser schienen sich trosz der
anfänglich setsr ungünstigen Aussich
ten doch verwirklichen zu sollen, denn
Lisa, die Spröde, Eigensinniae, fctsien
allmählich doch Vernunft anzunehmen
und ein gewisses Gefallen an dein
Freier zu finden, der von ihrem Va
ter sür einen höchst achtungswerttien
Charalter und passenden Eheherrn
silr seine wilde Lisa gehalten wurde.
Freilich gab er sich heute nomin
Mühe, ihr den Hof zu machen. Jn!
seiner ganzen Blasirtheit, immer an
lehnungsbediirstig silr seine nachlas
sig schlendernde Gestalt, stand er un
bewegten Antlißes am Kamim Lisa
aber war entzückender als je in ihrenq
zartrosa Krepplleide, mit dem vollen
Rosenlranz im blonden Haar, eine(
Rosengirlande um die blendendeni
Schultern. i
Der Ball war in vollem Gange, undl
Lisa, natürlich seht umschwärmt, slogi
von eine-n Arm in den andern, nur!
nicht in den von James hiller, der-J
selbstredend nicht mehr Nundtijnze
tanzt-e und sich in I Rauchzimmer ver
zogen hatte, um ab und zu eine Fran
eaise zu tanzen, zu der er sich sogar
einmal entschlossen hatte, die Tochter
des Hauses zu engagiren.
Das schöne, sonst so heitere Mäd
chen sah heute zuweilen ernster aus,
als es sonst ihre Gewohnheit war. Es
schien wie ein leichter Schleier iiber
Lisas sonniger Heiterkeit zu liegen,
und ihre Augen hatten einen ihr sonst
fremden, fast sehnsüchtigen Ausdruck,
der ganz unverständlich schien, denn
sie hatte doch alles — alles, wonach
ihr Herz sich sehnen konnte. Ja— ge
wiß alles, außer dem einen kleinen
Gegenstand, nach dem sie erst unbe
wußt und jetzt bewußt strebte — das
eine Herz, das sie von all jenen, die
ihr bedingungslos zu Füßen lagen,
sich zu erwerben wünschte, nnd von
dem sie allmählich doch immer mehr
zu glauben begann, daß sie es zu ge-—
Jrinnen nicht die Macht habe, nicht den
Zauber, der genügte, das kühle Herz
James Hillers zu erwärmen.
Ganz bang und schließlich wirklich
cisersiichtig sah sie, wie er mit dieser
und jener ihrer Freundinnen sprach
wenn er ab und zu eine lurze Gast
rolle im Ballsaal gab, in einer fast
liebenswürdigen lebhaften Weise be
sonders mit der einen, der zarten stil
len Eugenie Dorn, die freilich ein sehr
tlugeg, seht bedeutendes Mädchen zu
nennen war.
Jn ihrer schwankenden Stimmung
sehnte sie sich schließlich aus dem rau
schenden Trubel hinaus, nach einer
Minute stillen ’2llleinseing«, ruhiger
Selbstbesinnung Als sie eg- nahe-s
merkt zu tönnen glaubte, trat sie ms
den ftillen Wintergarten, der in der
grünen Dämmerung seiner Pflanzen
und Sträucher, schwach von wenigen
elettrischen Lampen erleuchtet, einsam
dalag. Ein leichter Zugwind tam ihr
entgegen. Die lleine Thür, durch die
sie, wenn sie von ihren Lklusaängen
heimtam, zuweilen ins Haus trat
weil der Wintergarten direlt hinein
siihrte, schien geöffnet zu sein, der
tühle Lustng tam von jener Seite
her.
Aber. wie war das möglich? Sie
hatte doch allein diesen Schlüssel! —
Nein, nicht mehr. Sie besann sich
plötzlich mit aufsteigendem Grauen—
der war ja in dem ihr entrissenen
Pompodour gewesen sammt ihren Vi
sitentarten —- alles Material sozusa
gen beisammen, um eg Einbrechern
leicht zu machen.
Da stoette ihr Fuß. Durch die
hohen Blattpflanzen neben der in der»
Tan offen stehenden leiir sah sie
zwei funlelnde sprühende Augen auf
sich gerichtet —- und im nächsten Au
genblick fühlte sie sich wild umklam
mert von zwei riefenftarten Armen.
Halb ohnmiichtig unfähig sich in der
stählernen llmschlinauna auch nur zu
rühren, mußte sie es willenlos dul
den, daß der Strolch --er war eg na
türlich, derselbe aus dem Thier-gar
ten ihr mit einem lanan Kusfe
den Mund schloß.
Da stieß ne in ihrer Rotz) ven Yea
men heraus zu ihrer Hilfe, der ihr
jetzt Tag und Nacht ins Herzen
schwirrte: «Jame5--Jan:e-:«« rief sie
mit erstidter Stimme·
Da ließ der Fierl von ilir ab und
hielt ihr einen dlitzenden Gegenstand
vor die Augen. »Ihr Täschchen ist’5,
auch Ihr Geld ist darin und Schlüs
sel und Karten s alles liring’ iet
wieder!« knurrte er in aebrochenenz
Deutsch. »Sie sollen sich nicht änasti
gen ich wollte esJ nicht s- — ich konnte
Sie aber nicht vergessen. Jeti bin ji
nur ein elender, hernntergetommener
Kerl, aber ein anständiger Mensch
war ich einmal, und Sie sind ant -—
Sie haben ein gutes Herz -
»Gehen Sie —- gehen Sie schnellt«
brach eo iiber ihre Lippen. »Behalten
Sie das Gelt — ich will es meinem
Vater sagen, das-, er Ihnen hilft, wie
der ein anständiger Mensch zu werden.
Machen Sie nur, das-, Sie jetzt fort
lommenl Sagen Sie inir Ihre
Adresse, denn ich will Ihnen k;,elfen!«
»Jame—5 Jan-es heiß« ich — so,
lvie Sie mich eben riefen!« jauchite
plötzlich der Strolch, zu ihren Füßen
knieend. Zu Boden flog die schwarze
Perrücle und der struppiqe Bart und
der zerlnmnte Mantel, und JanieS
Hiller lniete zu Lisas Füßen. »O
Lissa -—— Einzige, vom ersten Monsent
an Geliebte —— verzeih mir mein Ver
gehen, das ja nur der lühnste, ent
schlossenste Mensch wagen konnte, den
es gibt —-- James Hiller: eine Lisa
zum Gehorsam zu zwingen, eine Lisa
zu erobern, die nun einmal aus ge
wöhnliche Weise nicht zu überzeugen,
nicht zu gewinnen war· Siehst du nun
ein, wie leicht es ist, dir zu entringen,
was man haben will —- deinen Pom
padonr, deinen HausschlüsseL deinen
Namen, dein Herz?! Alles hast du
mir ausgeliefert, sobald ich mit ge
waltigem Griss danach faßte. —- Und
eine Lisa Mariens verlangt wohl
auch, daß der Mann sie heirathet, -der
sie geküßt hat?«
»Ja, das verlange ich auch, du —
Pompadourräuber!« hauchte sie und
sank auss neue in die ihr sehnsüchtig
entgegengestrectten Arme.
Die lieben Ist-rundhan
K «,·,Fi-1dcn Sie nicht and-, daß die Bat cinin entzückend aussieht in ihrem Auw
..’ommt«·- «
»Freilich, man sieht ja kaum etwas von ihri«
Das verhängnisvolle Lied.
Von M. Lorenz.
Jch hatte im Jahre 1899 Marcella
Senibrich gehört, und bald darauf in
einein Concekt das damalige Mit
glied der Berliner Königlichen Oper,
Fräulein Leisinger. Zufällig hatten
beide Kiinstlerinnen ein Lied gesun
gen, das mir sehr gefiel, und das ich
init kaufte.
Jch begann das Lied einzuiiben und
da es mir gut lag, konnte ich es noch
am gleichen Abend vorsingen
Kaum hatte ich es beendet, als eine
alte Dienerin, die ich schon aus dem
Haushalt meiner Großeltern über
nommen hatte, mich herauskies.
»Nun, was willst Du?« fragte ich
erstaunt. .
»Aber bitte, gnädige Frau, singen
Sie das Lied doch nicht, niir ist so
Angst dabei geworden.«
»Unfinn!« sagte ja, und konnte
mich selbst eines tiihleii Schauers
nicht erwehren, als plötzlich eine junge
Freundin unseres Hauses hereinstiirz
te und sagte:
»Ach, bei dem Gesang ist das Bild»
Jhres Herrn Vaters herabgestürzt.«
Jch erschrak, »denn ich wußte, das-,
mein Vater sehr leidend war, ich war
erst wenige Tage zuvor von feiner
Pflege iii mein Heim zurückgekehrt
Noch in der Nacht erhielt ich die
Nachricht, daß er gerade zu der Stun
de, als ich das Lied gesungen, vom
Schlage getroffen und gelähmt war. «
Acht Tage später starb er.
Jn all der traurigen Zeit, die nun
folgte, vergaß ich das Lied und was
ich dabei erlebt habe.
Elf Monate verstrichen und ich
ging endlich einmal wieder aii das
Klavier — dabei tam mir das Zein
brichgLied in die Hände
Jch spielte und fang es —— und
ivurde durch eine Depesche abgeriiz
fen, die den Tod meines Schwieger
vaters meldete.
Die alte Dienerin, die schon beiiiis
Beginn des Liedes die Hände gerun
gen war außer sich vor Sorge und
Leid s
»Ach, was tann das arnie Lied das
sittl« sagte ich — aber es rvar mir.
doch verleidet.
Jiii Frühjahr darauf, das letzte
Mal hatte ichs ani 2!)· Oktober ac
sungeii, nehme ich es wieder vor und
ganz unermartet traf mich Tags dar
auf die Nachricht ooiii Tode einer sehr
geliebteii Verwandten, die quasi Mut-s
terstelle aii mir vertreten hatte. s
Jiiiiiier lain eiii Traiiersall wie init
Gefolge des harmlosen Schlummer-T
liedes.
Jch schüttelte die Idee, daß im
iner die Vorahnung solchen Schlaaes
mich zum Singen dieses Liedes triebe,
entschieden von inir ab — lachte sogar.
über des alten Mädchens abergliiubiJ
sche Angst. l
Sie versteckte niir das Lied —- unds
ich sang es lange Jahre nicht niehr. s
Die alte Person gründete sich ein
eigenes Heim, wir wechselten den
Wohnort —-- und eines schönen Tages
fiel mir mein Schliininierlied wieder
in die Hände.
Jch lonnte der Versuchung nichtl
widerstehen, eS wieder einmal zu
singen.
»Jetzt ist auch Niemand in der
ganzen Familie so nlt oder so krank,
daß er gerade heute sterben miiszse!«
sagte ich noch lachend zu nreinen Kin
dern.
Und wenige Stunden daraus hatte
meine sblühendg junge Schwägerin,
eine herrliche Walliirenaestnlt, Mut
ter von sechs prächtian Kindern, in
Folge einer Operation, von der wir.
da sie als ganz leicht angesehen wurde,
nichts vorher gehört hatten, die Augen
auf immer geschlossen.
Wieder hatte das unselige Lied eine
Trauerbotschaft im Gefolge!
Seitdem sind Jahre vergangen nnd
ich habe es nicht wieder gesungen
Recht nett
»Ist Deine Frau wirklich so aber
gläubisch?«
»Na, und oh; neulich wollte sie sich
ein neues Kleid machen lassen, das-.
dreizehnte seit unserer Hochzeit; schnell
,bestellte sie noch eins dazu.«
Frei
Sie (zu ihrem heiintehtenden Gat
ten, der als junger Rechtsanwalt sei
nen ersten Klienten zu vertheisdigen
hatte): »Nun, Männchen, ist derMann
freigetommen?«
Er: ,,Jawohl aus dem Wege
zum Gerichtsgebäude ist et demTrans
porteur entsprungen!«
Auch eine Erstarren-n
Söhnchem »Was ist Phantasie, Va
ter?«
Vater (Hotelier): »Hm, Phantasie
. das ist sozusagen dag, womit
man eine Rechnung schreibt!«
Beim Bermittler.
,,Ettundigen wollen Se sich erst
über die Familie von der Braut, Herr
Meyer? Jch sag’ Ihnen, lassen Se
das, sonst erkundigen sie sich inzwischen
auch nach Jhnenl«
Ahnung-woll.
»Hast Du Deinem Bräutigam schon
gestanden, dasz Du ein falsches Gebiß
hast?«
»Ach das ist wohl kaum mehr nö
thig, — er küßt immer so vorsichtig«!«
Vortheillmste Verändernns.
,,"5indest du die era, deine friii
here gefährliche Konkurrentn, verän
dert?«
»Oh. die hat sich sehr zu meinem
Vortheil veröndert.«
Beruhigung
»Sie haben unsere frühere Köchin
engagirt?«
»Ja, aber beruhigen Sie sich; wir
glauben ihr nicht den zehnten Theil!'«
Furchttoo
Ach wag, i hab ta Anast: i bin so a
autmiithiaer Mensch. i glaub, wenn
mich der Koniet sieht, der wedeli niit’m
Schwanz! «
Sehr richtig.
A.: »Ich möchte eigentlich wissen,
warum so wenig Leute ein Tagebuch
sühren.«
B.: »Das ist sehr erklärlich. Die
jenigen, die die Zeit dazu haben, ha
ben eben nicht«-« hinein-zuschreiben und
—— die anderen haben keine Zeitl«
Der tüchtige Arzt
,,Jenein Arzte dort verdanken Viele
Menschen ihr Leben,« sagte Riclling
ton.
»Ist er solch ein tiichtiaer ’)lrzt?«
»Das ist eg eigentlich nicht, was ich
meinte. Er ist nie zu Hause, wenn
man ihn braucht.«
Boot-oft
Wirth: »Nun, was sagen Sie zu
dein jungen Huhri?«
Gast: »So jung noch, und schon so
verdorben!«
Die gute Mutter.
»Na, Kinder, Eure Maan war ja
drei Monate in Ostende ----— wag hat
sie Euch denn iuiigebrachtP«
»Ok) jedem non uns einen wun
dervollen Fiicselstein.«
Doppelte Ueberraschung.
Schauspielerin (zu einem Ossiziers
burschen, der ihr ein«-n prächiiaen
Blumenstrauß iiherbracht hai): »Sa
gen Sie dem Herrn Leutnani, ich
wäre sehr angenehm überrascht gewe
sen ---— gerade heut!«
»Geh ja, ; mitein, wo wir schon den
29. haben!«
Immer Prof-.
»Hat Jhre Frau auch schon mal
»mit dem Stiefeltnecht nach Ihnen ge
:worfen?«
i »Nein, mit so gewöhnlichen Gegen-.
Iständen werfen wir uns nicht.«
Ein Modernes-.
» Kritikm »Sie lassen ja in Jhrem
Roman alle Personen sterben!«
Dichter: »Mein Gott, wag soll ich
denn sonst mit ihnen anfangen!?«
Exemplar-inne Strafe.
Dichtender Vetter: »Dieser boshaste
Kritiker verdiente eine exemplarische
Züchtigung!«
Base: ,,Schicke ihm doch ein Duhend
Exemplare Deiner Gedichte!«