Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, April 29, 1910, Zweiter Theil, Image 9

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    szoo
Nebraska
Staatsk- Anzetger und J set-old
Die vier Jahreszeiten
Das Leben gleicht den Jahreszeiten —
Der Frhling ist die Zeit der Saat;
Der schmeckt der Ernte Säkkigteitem
Der ihn dazu genährt hat.
Der Sommer reist die vollen Aehrem
Der Herbst theilt milde Früchte aus;
Der Winter kommt, sie zu verzehren,
lan findet ein gesiilltes Haus«
Es fließe mir denn nicht vergebens
Der Frühling meiner Jahre hin;
Aus Kenntnisse zum Glück des Lebens
Und Tugenden geh’ mein Bemüh’n!
Daß man in meinem Sommer sage:
»Seht seine Ernte, sie ist groß!«
Dann stillt im Herbste meiner Tage
Auch Frucht in manches Diirst’gen
Schoosz.
Und ich darf nicht das Alter scheuen.
Ich bin an weisem Vorrath reich.
Ich tann mich meines Winters freuen,
Denn nichts ist meinen Schätzen gleich.
Alte Freunde.
Oncnorrsrslc von Neinhold Leim-mit
Daß man ein hübscher nnd gesun
der junger Mann in den angenehmsten
Vermögensverhältnissen und mit
besten Zulunftöauisichten sein und sich
doch als den unglücklichsten aller :
Sterblichen siihlen kann Dr. Richard
Stavenow mußte es heute zu seinem:
bittersten Leidwesen an eigenen Leibe
ersahren. Noch am Morgen dieses
herrlichen Sommertages hatte et sichl
nicht das mindeste träumen lassen von
dem nagenden herzeleid, dessen Beute
er schon um die Stunde des Nachmit
tagg-.ltasiees sein würde. Jn der al
lerrotigsten Stimmung, die Brust von
hoffnungsvoll siiszer Sehnsucht ge
schwellt, war er in dem iaihionahlen
Kurort eingetroffen, in dem er eins
paar überschwenglich glückliche Ur
laubswochen zu verleben gedachte. Mit
jagenden Pullen nnd voll der verwe
gensten Entschlusse, sich die erträumte (
Seligkeit vielleicht noch heute im »
Sturm zu erobern, hatte er dem Au- (
genblia des ersten Wiedersehens ent-!
gegenharrt. Und nun saß er schon seit ;
einer guten oder vielmehr schlimmen»
Stunde aus der baumbestandenen Ter
rasse vor dem Kurhause als schweigsa
mer« todestrauriger, völlig gelnictter
Jüngling.
Die Erlliirung aber fiir diesen jähen
Stimmttngswechsel lag ziemlich vfsen
zutage. War er doch verurtheilt, mit
eigenen Augen zu sehen, wie ein ande
rer mit vollen Segeln dem Glücks-ha
sen zusteuerte, in den er selber mit
Jauchzen und Frohloclen sein Lebens
schisslein zu iteuern gedacht hatte. Er
war zu spät gekommen. daran gab es
iiir ihn laum noch einen Zweifel. Den
beneidenswerten Platz in Fräulein
Erna Quensels Herzen, dessen er noch
bei ihrer Abreise von Berlin so sicher
gewesen war, er hatte ihn während der
kurzen Trennung einem Glücklicheren
abtreten müssen, einem Rivalen, dessen
Ueberlegenheit er von vornherein voll
ohninächtigen Jngrimnig anerkennen
mußte. Denn dieser schlanke, elegante
Conte mit den dunklen Feueraugen
und den gewinnenden Alliiren eines
Mannes der großen Welt besaß in ver
schwenderischer Fülle alle Vorzüge, die
einem Mädchenherzen gefährlich wer
den und die Eltern einer heiratssähi
gen Tochter beitechen können. Schon
seine Art, sich zu kleiden und sich zu
bewegen, war filr einen gewöhnlichen
Sterblichen einsach unnachahmlich.
Dazu dieser pilante hauch des Fremd
artigen iiber seiner liebenswürdigen
Periänlichteit, das scharmante Deutsch,
das er mit hilfeflehenden Blicken rude
brechte, wenn er mit herrn und Frau
Queniel lonversterte, und das tadellos
vornehme Französisch, das im Zwiege
spräch mit Fräulein Erni über seine
Lippen perltel Es war glattweg un
möglich« sich mehr Distinttion vorzu
stellen, als sie in der Erscheinung des
Conte Ettore Boietti verlörpert war.
Und da er es ganz offenkundig daraus
anlegte, Fräulein Ernas Gunst zu ge
winnen, hätte auch der schlechteste Pro
phet mit unsehlbarer Sicherheit weis
sagen tännen. daß seine Bemühungen
nicht anders als mit einem glänzenden
Siege enden würden.
Wahrscheinlich hätte sich der arme
Dr. Stubenotv längst den Qualen ent
zogen, die ihm Fräulein Ernas au
gensälliges Jnteresse silr den interes
santen Fremden und das demonstrativ
liihle Benehmen ihrer Eltern bereite
ten, wenn er sich nicht als einen letzten
Strohhalm an die seltsame Oeffnung
getlammert hätte, daß dieser italie
nilche Gras möglicherweise ein Aben
teurer sein lönnte, wie sie ja zuweilen
unter allerlei hochllingenden Namen in
Bödern und Kurorten ihr Wesen trei
ben sollen. Mit den geschärften Sin:
nen der Eifersucht beobachtete er jede
feiner Bewegungen und lauschte er auf
jedes seiner Worte, um einen Anhalt
fiie die Richtigkeit solcher Vermutung
zu gewinnen. Aber das Benehmen
des Conte tvnr von einer Sicherheit
und Korrettheit, wie nur aristolra-—
tische Hertunst nnd ausgezeichnete Er
ziehung sie zu erzeugen vermögen. Und
selbst wenn er nicht gewußt hätte, daß
der Herr Rentier Quensel geradezu als
ein Muster nn mißtrauischer Vorsicht
bei der Antniipsung neuer Bekannt
schasten gelten lonnte, wtirde Dr.
Stavenotv nach Verlauf dieser marter
oollen Stunde tanm noch eine Hoff
nnng gehegt hoben, den verhaßten Ne
benbutzler mit Hilfe irgendwelcher De
tettivsKiinste aus dem Sattel zu heben.
Und nun ereignete sich etwas, was
ihn vollends in den tiefsten Abgrund
der Entmuthigunq stürzte. Ueber die
breite Mittelpromenade der Terrasse
lam oder vielmehr schwebte leichten
elastischen Ganges ein weibliches We
sen daher, das reizender und anmu
tiger keines Malers Phantasie hätte
hervor-saubern können — schlqnl,
blond, blauäugig, und in einer Evi
lette, deren Anblick den ringsumher
sitzenden Damen vor Neid geradezu
die Augen übergehen lassen mußte.
»Die schöne Amerilanerin, die ge
stern in den »vier Jahreszeiten« abge
stiegen ist!«, sliisterte Fräulein Eva.
«Miß Maud Elliot aus St. Louis —
eine richtige Dollar-Prinzessin, wie im
hotel erzählt wurde.'«
Der Conte hatte sich auf diese Be
merkung hin eilig nach der vorüber
gehenden umgewendet, und es traf sich,
daß Misz Elliots himmelblaue Augen
den seinen begegneten. Ihr lächelndes
Puppengesichtchen nahm siir einen Mo
ment ganz unverkennbar einen Aus
druck lebhafter Ueberraschung an, und,
Dr. Stanenow glaubte eine ähnliches
plöylicheVeränderung auch in den Zü
gen des Italieners wahrzunehmen.
Ein paar Setunden lang hatte es den
Anschein, als ob sie beide im ungewis
sen darüber seien, wie sie sich verhalten
sollten. Dann aber sprang der Conte
mit einem hastigen Wort der Entschul
digung aus und trat unter tieser Ver
beugung auf die Ameritanerin zu.
Fräulein Erna war in raschem
Wechsel rot und blaß geworden, Herr
xQuensel aber sagte nicht ohne merti
lichen Stolz:
,,Eine alte Belanntschast unseres
Conte, wie es scheint!«
Vier oder fünfmal mochten die bei
den, von hundert bewundernden oder
neidischen Blicken verfolgt, aus der
MittelPromenade aus und nieder ge
schritten sein; dann, zum nicht gerin
ngn Entzücken des Ehepaars Quensel
Jund szur ebenso großen Verzweiflung
jdes Doktors, wandten sie sich gemein:
lsain dem Tische zu, den der Conte eben
. verlassen.
»Wenn die Herrschaften gutegst ge
statten --«, sagte der Italiener. »Miß
Mauo Lilliot. die in Paris kennen zu
»lernen ich die Ehre hatte, wiirde sich
Igliieklich schätzen, Jhre Bekanntschaft
zu machen.«
. Uno er bewirkte die gegenseitige
-Vorstellung mit derselben weltmännis
;schen Sicherheit, die den unglücklichen
Doktor schon seit einer Stunde so ra
J send geärgert hatte. Wenn der Conte
charmant war, so war Mist Eiliot, die
isich neben Herrn Quensel niedergelas
sen, einfach hinreißend.
Jhr Benehmen war von der be
rückendsten Unbefangenheit und Natür
lichkeit. Für jeden anderen als für ei
nen von wüthender Eifersucht verzehr
ten jungen Mann inuszte es ein auf:
richtiges Vergnügen sein, dein Aus
taufch gemeinsamer Pariser Erinne
rungen zwischen ihr und dem Conte
zuzuhörem Augenscheinlich gehörte der
gefammte französischeHochadel zu ihrer
intimen Bekanntschaft und sie waren
in allen Palästen des Faubourg St.
Germain zu hause. Doktor Stam
now aber ließ seinen Hoffnunggstroh
balcn endgültig fahren. Er stand auf,
um sich zu verabschiedett. Steis und
gemessen. mit tiefernstent Antlitz, ver
ksenqte er sich vor Fräulein Erna, nach
Kräften bemüht, den »Hu-schied fiir
immer« zu markieren. Sie mußte
seine Absicht wohl verstanden haben,
denn sie veränderte die Farbe, und in
dem scheuen Blick, mit dem sie die Au
gen zu ihm erhob, spiegelte sichs wie
Unentfchlossenheit oder wie beginnende
Reue.
»Wir machen morgen vormittag aus
dem Rheindarnpfer eine Partie nach
Koblenz,«' sagte sie leise. »Wollen Sie
nicht daran theilnehmen, Herr Dol
tor?«
Jhre Mutter wars ihr einen strafen
dn Blick zu, und Herr Quensel räu
sperte sich vernehmlich Dr. Stavenom
aber erwiderte mit eiskalteni Männer
stolz:
»Ich weiß nicht« ob anderweitige
Verpflichtungen es mir gestatten wer«
den« gnädiges Fräulein!«
Und nach einer abermaligen Ver
beugung zog er sich zurück. —-— Dran
iten im Kurqarten begegnete er einem
I seiner Studiensreunde, dem Legations
« SekretiirHellen mit dem ihn besonders
herzliche Beziehungen rerlniipsten, ob- »
wohl ihm der junge Divlomat um fünf
oder sechs Semester irdischen Daseins
voraus sein mochte. Des Doktors nie
dergedrücktes Aussehen und sein zer
streutes Wesen gaben bald Anlaß zu
allerlei teilnehmenden Fragen, und da
unglücklich Liebende von jeher das Be
diirsniß gefühlt haben, den Kummer
ihres Herzens in einen mitsiihlenden
jBusen auszuschiitten war Herr von
der Hellen noch vor Ablauf einer
Viertelstunde aus das genaueste iiber
seines armen Freundes Mißgeschick
iunterrichtet i
! »Wie heißt die schöne Amerilanerin,
Idie den Conte als alten Pariser Be
ilannten begrüßt hat?« fragte er nach
Jtsenllich »Mif; Maud Elliot? Es
iwar doch nicht etwa die hochblonde
Dame in dem riesenhaften Rosenhute,
die vorhin hier unten im Kurgarten
durch ihre Toilette und ihre Brillan
ten Aufsehen erregte?«
»Die wird’s wohl gewesen sein, denn
die Beschreibung stimmt ganz genau.'«
Um die Lippen des Legations - Se
lretärs zuckte es sonderbar.
»Glaubft du, daß die Dollar- Prin
zesfin und der Conte morgen auch an
der projektierten Rheinfahrt teilneh-t
men werden«-«
: »Ich halte es für mehr als wahr-i
’scheinlich. Aber
»Dann müssen wir beide ebenfalls
von der Partie sein,« erklärte hellen
mit großer Bestimmtheit »Wenn dein
Stolz dir’s verbietet, brauchst du dich-«
ihr ja nicht zu nähern. Ein Rhein
dampser ist glücklicherweise groß ges
nug."
Es war geradezu ein Befehl; aber
welche Gründe er dafür hatte, ließ sich
trotz alles Fragens nnd Bittens nicht
ius ihm herausbringen. Dafür war
er eben ein Diplomat.
- s- - --- Der schöne, mit froh
lichen, eleganten Menschen dicht be
ssetzte Solon Dampser zog eben an St.
Goar vorüber als der Legation5- Se
ltretär Hellen mit seinem verbindlich
sien Lächeln an eine lustig plaudernde
Gruppe herantrat die von dem Ehe
paar Quensel und ihrem niedlichen
Töchterchen, dem Conte Ettore Bosetti
und der schönen Miß Elliot gebildet
wurde.
»Ich bitte um Verzeihung wenn ins
mir herausnehme, die Herrschaften zu
s.ören; aber ich bin so erfreut, Sie
wiederzusehen, Madecnoiselle, daß ich
unmöglich ohne Gruß vorübergehen
lonnte. Sie werden sich meiner doch
wohl noch erinnern, wie ich hoffe Jin
Hause der Marauise de Villierg hatte
ich ja mehr als einmal das Vergnü
gen von Ihnen empfangen und hin
augaeleitet zu werden«
«
i
Auf Miß Elliotg entziictendem Ant
litz waren während dieser artigen An
rcde in blitzschneller Folge die sonder
barsten Veränderungen vorgegangen.
Erst hatte st ’5 wie incrßloses Gr
schreclen in ihren Zügen gefpiegelt,
und dann, nach einem kurzen Zwischen
versuch, ihnen einen Ausdruck hoheitgi
voll abweisender Entriiftung zu geben,
war es wie tiefste Niedergeschlagenheit
. und Rathlosigteit darauf zuriidaeblie
Jben.
»Ich weiß nicht,« stamnrelte sie in
französischer Sprache, »sollte nicht doch
vielleicht ein Jrrthnm eine zufällige
Aehnlichkeit -—--"
»Aber gewiß nicht« Mademoiselle!«
lcharrte der unerbittliche Diplonmt.
Uebrigens haben Sie hier die denk
bar schlechteste Aussicht auf das male-—
tklche rechte Ufer· Wenn ich mir er
lauben darf, Sie an einen günstigeren
Platz zu führen -- «
Die Dollar - Prinzessin hatte sich
bereits erhoben, und zum gewaltigen
Erstaunen der Familie Quensel nahm
sie bereitwillig den höflich dargebote
nen Arm des Fremden.
»Wenn Sie so liebenswürdig sein
wollen —«, hauchte sie und war eine
Minute später mit ihrem galanten
Begleiter nach dem Vordertheil des
Tampfers hin verschwunden.
Nach einer kleinen Weile lehrte der
Entführer der bezaubernden Miß zu
der merlwiirdig schweigsam geworde
denen Gruppe zurück, « verbindlich lä-?
chelnd wie vorhin, aber allein. -
»Es-Riß Elliot läßt sich den Herr
schaften empfehlen," sagte er. »Sie
möchte wegen eines plöhlichen Un
Iivohlseins an der nächsten Anlegestelle
den Dampser verlassen. Und sie er
sucht Herrn Maurice Duval recht drin
gend, sie zu begleiten -— ein Wunsch,
den ich mit allem nur möglichen
Nachdruck unterstützen möchte.«
Es lvar sehr sonderbar, daß er bei
diesen ofsenabr siir einen unsichtbaren
Monsieur Duval bestimmten Worten
beharrlich den Conte Ettore Bosetti
fixierte; aber noch viel sonderbarer
war es jedenfalls, daß sich der Italie
nee, ohne auch nur ein einziges Wört
chen zu sprechen, plötzlich erhob und mir
aussallend langen Schritten nun sei
nerseits dem Vordertheil des Schiffes
zttstrebtr.
»Ja, was bedeutet denn das alles?«
rief Frau Rentier Quensel jetzt in
höchstem Erstaunen. Der Legationss
Selietär aber, nachdem er sich vorge
stellt hatte, gab freiwillig Auskunft:
»Es bedeutet, gnädige Frau, daß ich
in der schönen Misz Elliot zufällig die
Lammerzose einer besreundeten Pari
ser Familie wiederertannte, nnd daß es
mir nicht schwer siel, von ihr zu ersah:
ren, woher ihre alte Freundschaft mit
dem Conte Bosetti stammt. Sie ge
stand, daß ihre Anfänge bis in die Zeit
zurückreichem da der Graf noch als
ifmpler Maurice Duval den Posten
eines Bedienten bei dem einen Grafen
bekleidete. Jch vermuthe, daf; nach die
ser Auflliirung die Herrschaften teinem
ton uns so bald wieder unter die Au
gen kommen werden«
Als sich etwas später Doktor Sta
venow zu der Familie Quensel gesellte,
wurde er mit wahrhaft überströmender
Liebenswürdigteit empfangen, und
nachdem Fräulein Erna erst einmal
ihre tiefe Befchämung verwunden hat
te leuchtete in ihren flehend auf ihn
gerichteten Augen etwas auf, das ihm
eine beglückende Erfüllung all feiner
fastß schon begrabenen Hoffnungen ver
bie
—
Geplänkei.
Slizze donC. v. Schimmelper
nig.
»Hallali, hallali!« klang es über
das Feld —-—- die Fuchsjagd war aus.
Die alte Exzellenz Beversörde, trotz
ihrer sechzig Jahre noch immer ein
lerniger Jagdreiter und der Master
des Garnison - Jagdvereing, vertheilte
die Brüche, dann bliesen die Hörner
,,Jagd aus«, und alles ritt dein hei
mischen Herde zu. Vorweg zogen in
einein bunten Schwarm die Leut-—
nant5, lachend, schierzend und die heu
tige Jagd tritisirend; dann folgten die
älteren Herrschaften, die zum Theil
nur Zu schauer gewesen waren und
bequerne Landauer benutztem ganz am
Schlusse aber, gut fünfhundert Schrit
te hinter dem andern, ritt ein junges
Paar. Er im rothen Rock mit Sammt
tappe sie in einem blauen langschlep
pigen Kleide nnd niedrigem »Minder
auf dem reichen Blondhaar. Sie hat
ten sich soeben erst zusannnengefundenl
und einen flüchtigen Händedruck aus i
getauschtx jetzt sah er ihr offen ins
Antlitz, während sie die Blicke iiber die
herbstlichen Felder schweifen ließ. End
lich nahm er das Wort.
»Ein schöner Deronnachcnnrast
Gräsin! Matte Farben iiber der Land
schast, so recht zum Entzücken eines
Malereritgeg, das auch mehr sieht, als
gewöhnliche ttlngenf Dort hinten violett
der Wald, unten in grüner Wintersaat
der Silberstreis deg- Fliißcherig, vor
uns am Wege in Rothgold und träf
tigem Gelb verwehte Blätter. Ja -
sehr schön! Aber trotzdem weis-, ich
nicht, ob aller Zauber der Natur es
rechtfertigt, daß Sie so lanae die Blicke
in die Ferne schweifen lassen, wenn ein
Mann neben Jhnen reitet, der aus
ja -—- aus eine Antwort wartet.
Komtesse Gisela wendete ihrem Be
gleiter den Kopf zu und versuchte ei
nen leichten Ton anzuschlagen, aber es
glückte ihr nicht recht, und die Stimme
vibrirte ein wenig:
«Eine Antwort ich wüßte nichts!
Sie warten aus etwas?«
»Ja ich warte auf etwas-, Gi
sela! Und daß ich Sie mit Jhrem
Vornamen anrede, mag Sie daran ers
innern· daß Sie mir hierzu die Er
laubniß ertheilt haben. Es wird Jhs
nen nicht schwer fallen, sich zu besin
nen, wo es geschah. Weit von hier,
in der Stille der sommerlichen Tage
und im Angesicht schneebedeckter Hoch
gipsel.«
»A Gott, ja » in Jnterlaken Aber
das war eine Sommerlaune. Sie
sollten wissen, lieber O— lieber Herr
v. Zemplin, daß man im Bade oder in
der Sommersrifche ost sich freier nnd
Hungenirter gibt, als zu Haus«
) »Richtig —- und es läge mir fern,
nur an die ungebundene Harmlosigteit
zufällig zusammen verlebter Ferien
tage anzutniipfen. Aber ich dächte,
wir hätten damals doch fehr ernft mit
einander gefprochen.«
,,Ernfthaft — Herr von s——?s«
,,Sagen Sie ruhig, Otto« -—— das
»Herr v. Zemplin« klingt doch unna
türlich, nachdem Sie mich drei unver
geleiche Wochen mit meinem Parna
inen angeredet haben. Ja —- Adol
gife unvergeßlich. Und als wir
zum letztenmal eine Bergfahrt machten
und unten die Seen glänzen sahen —
Papa und Frau Mama waren in der
Schlucht am Wasserfall geblieben —
Ioissen Sie, was Sie da sagten?«
»Mein Gedächtniß ift etwas
schwach ss«
»Meine-: aber nicht! Sie sagten:
Laffen Sie mir ein Vierteljahr Zeit,
Otto! Jch muß mich erft an den Ge
danken gewöhnen, daß ich Jhnen zu
liebe die Freiheit aufgeben könnte.
Das fagten Sie, Gifela, und Sie fuh
ren fort: Wir trennen uns ja nicht
rnie andere Badebelanntfcbaften Jm
Herbst, wenn Sie von Ihrem Mand
ver, wir von den italienischen Seen
heimgetehrt sind, dann fehen wir uns
ija oft, im Salon, wie auf dem Sat
tel.«
Sie träumte ein Weilchen vor sich
hin, klopfte dann ihrer Stute den
schlanten Hals und blickte den Beglei
ter wieder an.
»Es ist wahr —- Ot -— Otto -— das
habe ich gesagt. Aber —— ich kann nicht
« ich kann wenigstens heute noch nicht
«——— haben Sie Mitleid mit mir! Sie
ahnen nicht, wie furchtbar schwer der
Entschluß ist.«
,,Also noch einmal warten! Gut, sei
es denn. Mögen Sie daraus ersehen,
wie sehr ich Sie liebe· Es ist ein
Opfer, das ich Jhnen bringe, und
wahrlich kein kleines-. Jch habe die
Tage, die Stunden gezählt — es ver
ging keine Minute, wo ich nicht inner
lich jauchzte:: »Näher dem Ziel!« Und
nun noch einmal: »Warten!«
Ein verklärender Schimmer auf
leuchtender Zärtlichkeit zog über das
schöne Gesicht der Reiterin, und un
willkürlich reichte sie dem Nachbar die
Hand hinüber:
»Seien Sie mir nicht böse, Otto!
Es ist nun einmal meine Natur. Nie
mand steht mir näher als Sie, lieber
Freund — gewiß nicht! Niemand!
Gönnen Sie mir nur noch eine ganz
kurze Frist — drei Tage. Bei der
nächsten Jagd fragen Sie mich noch
einmal « dann soll unser Schicksal
entschieden sein!«
»Zum Guten, Herrlichen, Seligen
zu allem Gliict der Erde!«
»Wer weisz Sie ja Otto A Sie
wert-en das Jhre dazu thun, denn ich
lenne Ihren Charakter. Aber ich »ich
bin ein Weib. Wissen Sie, was das
heißt? Das heißt, ich bin die verzeh
rende Leidenschaft, der Wille zum
Herrschen, ich bin die Unduldsamteit
nnd der tfigensinn ich bin —- «
»Sie anälen sich selbst, Gisa! Engel
sind wir Menschen freilich alle nicht,
aber auch nicht Teufel. Wir können
Sie sich nur selbst so grau in grau
malen?«
»Weil ich mich kenne, Otto! Weil
ich mich feit Jahren beobachte, jeder
Regung. jedem Gefühl nachgebe. Wäre
ich ein junges Gänschen von 17 Jah
ren, das zum erstenmal ausgeführt
wird und in Seligkeit schwimmt, wenn
seine Tanztarte recht vollgeschrieben
ist , dann tönnten Sie mich mit
Recht einer kotetten Pose, einer raffi
nirten Kotetterie zeihen Aber ich gehe
ins sechsundzwanzigste Jahr, lieber
Freund, und ich habe die Erfahrungen
von zehn Wintern und zehn Sommern,
von uiigeziihlten Bällen und Diners,
Jagden und five o’clot teag, von stil
len Stunden im Walde und ernsten
Tagen der Prüfung zu nächtlicher
Weile für mich. Jch weiß, daß ich
noch immer schön bin, schöner als
manche Jüngere. aber ich fehe es auch
am besten, daß ich alt werde. Alt am
Körper und alt in meinem Denken.
»Das ängftigt mich nicht, nein! Aber
» es gebietet mir Vorsicht und es hat ein
iftarkes Selbstgefiihl erzeugt. Bisher
war ich die Herrin über mich selbst
und iiber andere — foll ich nun die
Dienerin werden?«
»Wie können Sie fo etwas sagen!
Die Dienerin! Sind Mann und Weib
in der Ehe nicht gleich?«
»Nein —— niemals! Hier und da hat
es den Anschein, aber es ist nur Täu
schung. Jn jeder Ehe regiert der eine,
und der andere fügt sich. Wollen Sie
sich fügen? Wollen Sie mir verspre
chen, meine Ansichten zu den Ihrigen
zu machen? Wohlverstanden — ich
rede nicht von Lappalien, wie Bade
reise, Brillantfchmuck oder HofbalL
um die andere Frauen ihren Männern
Szenen machen - ich rede von Le
bensprinzipien Jch spreche von jenen
großen Grundanschauungen, nach de
nen wir Menschen unsere ganze Exi
stenz regeln: Wollen Sie darin sich
wortlos mir unterordnen, jeden Wi
derspruch unterdrücken, mir fvlgen bis
an das Ende unseres Daseins — wohl
» so sage ich in dieser Minute: »Ja!
Nehmen Sie mich hin. Führen Sie
mich in Jhr Haus, ich will Jhr Weib
sein!«
Wieder reichte sie ihm die Hand hin
über, und ihr Pferd näherte sich dem
Nachbarpferde, so daß die Schultern
sich berührten. Er fühlte die Nähe
dieses blühenden Körpers, er athmete
das fast unmerklich zarte Parfüm ihrer
Haare, er sah das Leuchten in den von
langen Wimpern überschatteten Au
gen. Eine Empfindung seligen Ver
gessens durchrieselte ihn, wie sie der
»Einschlafende fühlt, dem die Wirklich
teit in Träumen versinkt. Aber es
war nur ein Augenblick, dann regte
sich in ihm der Mann. Das Blut
schofz ihm in’s Gesicht über seine wenn
auch nur selundenlange Schwäche, ein
energischer Druck nöthigte seinen
Gaul, zur Seite zu treten.
»Nein, Gräsini Um den Preis will
ich mir meine Reue nicht erlaufen.
Nein— dreimal nein! Und Gott sei
Dank, daß die Situation geklärt ist.
Jetzt habe ich freilich auch noch eine
Bitte, aber sie lautet umgekehrt. Ber
gessen Sie, Gnädigste, was ich je ge
sagt, gehofft, erbeten habe!«
Er wollte mit höflichem Lüften sei
ner Kappe davonreiten, aber sie beugte
sich gewandt hinüber und griff in seine
Zügel.
»Halt, verehrter Herr, man läßt
Damen nicht allein reiten, wenn man
ihnen auch soeben einen Korb gegeben
hat« Und man bricht nicht ohne Wei
teres eine Diskussion ab, wenn man
sich durch sein Verhalten sachlich ins
Unrecht gesetzt und den besten Beweis
fiir die Behauptung des Gegners er
bracht hul·«
»Wieso ins Unrecht? Ich?«
»Natürlich! Sie sprachen vonGleich
heit in der Ehe —- und nun wollen Sie
sich nicht zu einem Kompromiß bereit
erklären, nachdem Sie meine radikale
Forderung abgelehnt haben?«
»Nein! Auch kein Kompromiß —- ich
sehe es ein, einer muß die Direktiven
geben. Und das tann nur ich sein, der
Mann. Ja —-- aus die Gefahr, Sie
zu beleidigen -— ich, der Mann, und
nicht Sie, die Frau. Und mag es Jhre
Eitelkeit auch kränken, Komtesse, und
mag Jhr »in zehn Wintern« geschwie
deter Eigensinn auch dadurch verwun
det werden, ich will, ich muß, ich werde
jede Neigung für Sie aus meiner
Brust verbannen und das von dieser
Stunde an. Wir sind zwei Trotzna
turen, die nicht zu einander passen.
Das-, ich so bin, wie ich din, haben
Sie wohl nicht vermuthet: Sie hatten
noch nie Gelegenheit, mir ins Herz zu
sehen. Aber ich bin nun einmal so
und Sie sind auch so, und wenn ich
Ihnen zusnuthete, sich unterzuordnen
-- ich rede nicht von Bagatellen, son
sdern genau, wie Sie, von Prinzipien
i willenlos mir zu folgen, dann weiß
i ich, was Sie auch antworten würden!«
« Er sah ihr in hellem Zorn in die
Augen. Aber sie sah ihn nicht an und
war plötzlich eine andere geworden.
»Ein niädchenhaster Zug scheuer Zärt
; lichkeit und stillen Glückes lag aus dem ,
iGesichtchen in dem Röthe und Blässe
’wechselten. Und mit leiser Stimme
sagte sie:
! »Jetzt würde ich »Ja« antworten!«
» »Komtesse -— Gisa was sagen
Sie? Machen Sie mich nicht toll —
Sie würden, Sie wollen »Ja« sagen
—— Sie wollen unbedingt tapituliren«3«
Sie nickte und beugte sich auf den
Hals ihres Fuchse-D
»Großer Gott -—- Sie machen mich
zum glücklichsten aller Menschen —
was sollte denn eigentlich die ganze
Geschichte? Nein — aus Frauen klug
zu werden, dazu gehört die Weisheit
von sieben Philosophen und Psycholo
gen!«
»Viel mehr, lieber Freund, viel
mehr! Um eine ganze Frau zu ver
stehen, muß man ein ganzer Mann
sein. Das ist das Geheimniß. Auch
mir ist es erst heute ausgegangen Und
nun — Herr v Zemplin ——- —- --«
,,Gisa « liebste Gisa ·— ich habe
Jhr Ja? Wahrhaftig?«
Sie lächelt ,,Sprechen Sie mit
Papa!«