Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, April 29, 1910, Zweiter Theil, Image 14

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    cHeimweh
Roman von Rheinhold Ortmann
(14. Fortsetzung
Quö einem neben ihr liegenden Um
islag hatte sie die Einlage herausge
nommen und reichte sie ihm der. Er
entfalteteYas mit triyligen ungleich
Isäßigen Buchstaben bedeckte Papier,
nnd fein Interesse war sogleich ge
streckt, als et auf der zweiten Seiee die
Unterschrift las:
«hartioig Langsamnter, früher
svreauvorsteher bei dein Rechtsan
Dalt Doktor Dallwig.«
Jkennen Sie den Abiender dieses
Schreibens, Fräulein Laufen-«
»Nein. Jch irr-h feinen Namen hier
sum erstenmal.«
Herrnann Artner hielt das Blatt in
den Lichtiteis der Lampe nnd las:
»Gut-des Fräulein!
Obwohl meine Schwäche mir kaum
noch gestattet, die Feder zu führen,
wende ich mich an Sie mit einer Er
öffnung, die dazu dienen soll, im An
gesicht des Todes mein Gewissen zu
erleichtern Denn ich bin der Mith-:
fee eines schändlich-en Betruges, durch;
den Sie und Ihre Schwester um Jhr
rechtmäßiges väterliche-s Ethik-il ge
bracht worden sind. Ein schurtiicher
Kaufmann und ein gewisseniofer
Rechtsanwakt hatten sich vereinigt« die
sen Betrug zu begehen. Jn meinen
Händen befinden sich die von jenen-.
Rechts-unwa« wissentlich unter-drückten
Doturnente. mii deren hilfe Sie jeder-i
seit Jst gutes Recht nachweisen tön
neIL Und ich bin bereit, sie Ihnenl
auszulteterm wenn eie tnir veripre
chen, erst nach meinem Tode GebrauchI
davon zu machen. Eine andere WI
dingung stelle ich nicht, denn ein Ster
lsender begt keine hibfiichtigen Wün- I
Jchse mehr Aber ich rathe Ihnen drin !
send, sich zu beeilen. damit bie Pa j
piere nicht doch vielleicht abermals in
die unrechten Hände gelangen. Wenn
Sie nicht selbst zu mir tornsnen wol .
ken so schicken Sie mir eine Mittels ,
person rnit ausreichender Vollmacht-«
Ich werde dann mündlich alle Auftlä s
rungen geben, fiir deren briesliches
Fittheilung meine Kräfte nicht aus
reichen."
Die leiten Zeilen hatte Dermann
nur mit Mühe entziffern können. JnI
höchster Erregung wandte er sich an
das junge Mädchen:
.Und dies Außerordentliche iiißt
Sie so ruhig? Sie haben nicht dass
Verlangen gefühlt, auf sder Stelle zu
dein Manne zu eilen, der Jshnen so
Kostbares verspricht?«
»Nein. Jch bin nicht mehr naiv«
und hoffnungsvoll genug, um an sol I
che Berueißungen zu glauben, besäße
dieser Unbekannte wirklich den Talis- l
man, der meines Vaters Ehre wie
derherstellen kann. so würde er doch
hohl einen andern Weg gewählt ha
ben, mich davon in Kenntniß zu
seyen«
»Wie es denn auch iein mag, je
denfalls muß etwas geschehen. Und
da Sie nicht selbst zu diesem Fremden
gehen dürfen, bitte ich Sie um die Er
laubniß, es als Jhr Beoollmiichtigter
ZU thull.« H
Sie schlug die Augen nieder und
erwiderte leise: »
» ch danke Ihnen fiir die freund
liche Absicht, Herr Doktor — aber ich
möchte nicht, daß Sie sich in dieser
Weise um mich bemühen«
«Wie?« fragte er betroffen. »Sie
verbieten es mir? Und mechale
»Weil ich-nichts als meinen guten
Renten besihe, und weil ich gerade in
eneiner Verlassenheit und Armuth da
rauf bedacht sein muß, ihn mir zu er
Alten«
Er sah, wie schwer sie sich diese Er
Xlärung abgerungen !;-atte, und- in sei
nem heißen Verlangen, ihr beizuste
lxen, faßte er ohne lange Ueberlegung
einen raschen Entschluß.
»Werden Sie aus dieser Zurückwei
iung beharren, auch wenn ich Ihnen
sage, daß — daß ich verlobt bin"s«
Er erschra! über sich selbst sobald
er es ausgesprochen Dean eH war
ihm. als hätte er erst jetzt den eigent
!ich entscheidenden Schritt gethan,
reach dem es keine Umke,r mehr gab
sub sein Zurück. Nie hatte ihm das
Weide und Unmoralische seines
Eilöbnisses mit einem ungeliebten
LStäbchen so greisbae deutlich vor Au
geige gestade als in dein Augenblick,
d- er die Thctsache dieses BEIDE-nis
iei wie einen unübersieiglichen Schutz
III hatte cufrichien wollen zwischen
m M Besen, sdem seine Seeie
III-I M gehörte
KIND-Ist gefallen, und
H- sit-W Reue konnte ei
W W. M ei qui
Mie, offenbarte ihm
G eWis alt ihr
M Allerdings hoffe sie ja
— — W seiden könne-, alt
ik is Ivsi miet Wen me.
II
54
hatte außerdem den Kopf so weit zur
Seite gewendet daß er ihr Gesicht
Inur noch im verkennen Profit zu fe
Then vermochte. Jhse Stimme aber
illang ganz ruhig. alj sie nach einem
Meinen Schweigen erwiderte:
i »Ich danke Ihnen fiir diese Mit
Itheiluna Herr Doktor, aber ich meine,
daß Ihnen aus einer Thätigieit in
meinem Interesse trofdens Ungelegen
heiten erwachsen tönnten. Der Kanfz
mann, von dem in Dein Brief die Rede!
ist, kann nur der verstorbene Ihm-i
ining gewesen fein. Und ich glaub-e
gehört zu haben, Faß Sie in freund
schaftlichen Beziehungen zu feinctr
hause stehen«
Ihr Einwand traf ihn wie ein
Schlag vor die Stirn. hatte er »denn
so ganz alle Uebertegung netloremM
ils-en erst durch ihre zartfiishlenden Be
denken zum Bewußtsein gebracht wer
den mußte, wie Unmögliches er da
hatte auf sich nehmen wollen? Nein.
solange er Eife- Verlobter war. durfte
er in der That nicht hinter ihrem Rü-:
cken den Sachverwalter ver beiden
Schwestern machen. Das tarn ihm
fest mit voller Klarheit zur Erkennt
nis, und er zögerte nicht, es auszu
sprechen.
»Sie baden recht«, tagte er. »Mein
Verhältnis zu den Flernniing’fchen
Dnmen verbietet mir allerdings-, einen
Auftrag zu übernehmen. wie ich ihn
soeben oon Ihnen erbot. Verzeih-en
Sie, daf-« ich eg nicht sogleich bedachte!
Für meånen Bruder aber giebt es
gliicklicherweise derartige Rücksichten
nicht. llnd da er teinen fehnlicheren
Wunsch haben kann als den, Jhnen zu
Jshrem Recht zu verhelfen, wird er mit
Freuden als Jhr Beoollmiichtigter
morgen zu jenem Langhaiumer ge
hen."
Auch jetzt noch wollte Eifriede Ein
wendungen erheben aber er bestand
mit Feftigteit auf feinem Verlangen
Und als hertha jetzt das Köpfchen
wieder ins Zimmer steckte, fchob er
rasch den Brief des ehemaligen Bu
reauoorftehers in feine Brufttaiche.
Dann, da er von der Fruchtlotigteit
alles weiteren Zuredens in Bezug auf
den ursprünglichen Zweit feines Be
suches überzeugt war, griff er nach
seinem Dut.
»Sie miissen mir erlauben, morgen
wiederzutommen, gfriiulein Lornfen«,
iogte er. .Wollen Sie mir einen Be
weis Jhres freundschaftlichtn Ver
trauens geben, fo verschieben Sie me
nigftens bis dahin den Abschluß des
Vertrages, der Sie dauernd in Jhrer
neuen Stellung verpflichten toll. Viel
leicht gelingt es mir innerhalb der
nächsten vierundzwanzig Stunden doch
noch, etwas Passenderes fiir Sie aus
findig zu machen."
Sie reichte ihm freundlich zum Ab
schied die Hand. Ein bestimmtes Ver
sprechen aber gab sie ihm nicht. und
Herthas betrübte Miene zeigte deut
lich, daß sie unter diesen Umständen
die Mission des Doktors für gänzlich
gescheitert hielt. Sobald er das Zim
mer oerlafsen hatte, nat-m Elftiede die
Hand ihrer Schwester und faote in ei
nem fo-ernften und eindringlichen
Ton, daß Hertha ganz befiiirzt zu ihr
aufsah:
»Ich weiß, daß Du es gut mit mir
im Sinne hattest, als Du in Deren
Doktor Artner einen Bundesgenossen
gegen mich fuchteit. Und ich will Dir
darum teine Vorwürfe machen. Aber
ich verlange von Dir das feste und un
oerbriichliche Versprechen daß Du nie
Iioteder etwas Iehnlichei thun wirft
Denn er darf künftig nicht mehr mit
uns und mit unfern Angelegenheiten
zu schaffen haben. Je fettener er seines
Befuche wiederholt, desto besser ift est
Ifiir ihn --— und für mich.«
hertha öffnete die Lippen zu einer
raschen Frage. Aber als sie die Au
gen ihrer Schwester in Thriinen
schwimmen fah, umschlang sie voll lei
denschaftlicher Zärtlichkeit Elftiedens
schlanken Leib und schwieg. Wie un
schuldig und unerfahren auch immer
ihre Kinderseele fein mochte, der na
türliche Instinkt des Weibes hatte sie
doch in diesem Augenblick ahnen las
sen, was in dem zuckenden Herzen des
geliebten Wesens vorgang. Und sie
fühlte zugleich, daß dies Weh zu tief
und zu heilig wäre. mn auch nur die
leiseste und zartesie Berührung zu er
tragen.
17. Kapitel.
Wie ein schwarzes, mit zahllose-I
glisernden Edelsteinen bestickiei Tuch
breitete sich sder sterneniibersäte Win
terhinemel über die ersichtlich stille
Leu-Ischan als Doktor seiner eine
halbe Stunde später durch das Gar
ten-Weichen m feines Bruders Lille
fW Die dicke Schwebet-h die hier
Ihr-sahn nsch dall ihre jusgfräutiche
Reinheit nnd Meiste bewahrt hatte,
lieh seinen Jus tief einsinien wie in
einen weichen Teppich und dämpste
den Klang seiner Schritte zu einein
leisen Knirschen
Er sah vie Fenster des Woher-int
tneri erleuchtet und zog daer sit
einein Gesiihl der Erleichterung den
Schlus, duß er Noli daheim finden
würde. Aber wie er nun den Blick
noch einmal über das Haus hinglei
ten ließ, bevor er den Glockenzug ne
ben der Eingangsihiir in Bewegung
setzte, gewahrte er zu seiner Ueberra
Jselntng qui dein ileinen Alten an der(
äSchinalseite der Villa eine dunkles
menschliche Gestalt Es war die re-l
gungölose Gestalt einer Frau. dies
beide Hände auf die ichneebederlte stei
nerne Ballonbriiftunj geküßt hatte
und mit vorgeneigiem Lveriörper in
der haiiung einer Bausch-enden oder
Iräurnenden vor sich hinausstarrie in
die schweigende Dunkelheit Mit ei
nigen raschen Schritten durch den ins
cheliiefen Schnee war er unter dem
Ballen.
»Frau Tuima —- sind Eises« ries
er halblaut hinauf. Und er salz, wie
sie zusammenschrarl bei dem Klang
seiner Stimmr
«Ja!'· tan: es zurück lind dann
nach einein kurzen Schweigen: »War
ien Sie nur enen Augenblick —- ich
gehe feinst, Isan zu öffnen-X
Sie verschwand uno eine Minute
später knirschte der Schlätiel ver Ein
gangsthiir. Jir ihrem einfachen dun
teln Hauslleid stand Inian vor dem
Doktor, ein Löckeln aui den Lippen
wie immer, wenn sie ihr ivilllpnnrten
hieß. Ader die: Lächeln. dessen Lieb-«
reiz ihn sonst stets aufs neue entziickt
hatte, täuschte ihn diesmal nicht« Er
gewahrte, dzß ihr Männliches Ge
fichtchen merllxch Irr-mai geworden
war. und er fah auch den lrainpfdsften
Zug unter ishr-n Augen. Die dank-,
die sie ihm reichte. war brennend heiß,
während die zarte liindergeltalt der
jungen Frau fröftelno erzitterte
«Jch freue knich von Herzen iiber
Ihren unverhofften Beinch«, wieder
holte fie, während er Hut und Ueber
roet ablegte. »Aber wenn Sie get-im
cnen find, um Noli zu fRechen, fo ha
lsen Sie es schlecht getroffen Er ift
nicht zu Hauz.«
Sie hatte die Ihjir des winzigen,
aber behaglich warnsen Wohnzixnniers
geöffnet. und sie traten ein.
.Sie find alleini« fragte herniann
Eber rnein Bruder wird bald zurück
lehren —- nicht wahr? Denn nur, nrn
nach ihrn auszufchouem begingen Sie
doch wohl die sträfliche Unvarfichtigs
teii, sich in so leichter Kleidung auf
den Balle-n hinausznwagen.«
Sein forschender Blick war ihr oii
fenbar unbeaueni.
»Mir war ein wenig heiß aeroorden
hier vrinnen«. fagte fie hastig. »und
ich sehnte Inich nach einem Atheinzug
frischer Luft. Aber daß Rolf bald
zurücklomrnen wird —- nein, das
glaube ich nicht. Diefe Dinners und
Gefellfchaften find ja in der Regel erst
nach Mitternacht zu Ende.'
»Wie? Er ist in einer Gesell
fchafti Ohne Sie?«
»Aber das ift doch nichts Schlim
ines. Jch felbft habe ihn ja nach der
Soiree bei den Rodenbergs dringend
gebeten, mich liinftig daheim zu lafs
fen. Denn ich fühle mich in den bie
frgen Verhältnissen boch noch nicht hei
tnifch genug. Und ich bin so gern in
meinen vier Wänden«
.Sie wären gern allein? Nein,
Frau Tuirna. das glaube ich Jhnen
nimmermehr Denn wenn es sich fo
verhielte, müßten Sie entweder un
glücklich fein oder trank
»Auf wai fin Vermischungen Sie
doch tonnnenl" wehrte sie ab. »Nein,
ich bin gar nicht unglilitlich Denn
ich fehe es vollkommen ein« daß Rolf
sich nicht tun meinetwillen den Ver-s
vfllchtungen entziehen darf, die feine
gefellfchaftliche Stellung ihm aufer
legt.«
»Es ist also heute nicht das eine
Mal, daß er Sie allein läßt? Seine
gesellschaftlichen Verpflichtungen ha
ben ihn schon öfter dazu gezwungenf
» »Was soll er denn thun, wenn von
allen Seiten die liebenswürdigsten
T Einladungen kommen? Und er hat
ja auch so viel Freude daran, nach den
langen Entbehtungen. Glauben Sie
mir, es würde mich nur eine einzigei
Bitte kosten, ucn ihn hier fiir mich zu;
behalten. Aber ich müßte das schlech-?
teste und ietbltsiichtigste Geschöpf irinJ
wenn ich ihn darum bäte.«
herniann erwiderte nichts, denn
fein Tattgefiihl verbot ihm, die hand
lunadweile des Bruders in seiner Ab
wesenheit zu mißbilligen oder zu ver
dächtigem viBilder er forschte um so
aufmerksamer in Tuimai Gesicht
Und dann, ehe sie es hatte verhindern
können, bemächtigte er sich noch einmal
ihrer hand. -
«Wissen Sie auch, daß Sie ein re
gelrechtei Fieber haben, Frau Schwä
gerini Sie werden Ihre Univers-ch
tisteit diißen müssen; denn Sie haben
ji« ohne allen Zweifel draußen er
kaltet« -
»Ich nein«, meinte sie kopfschüt
telnd. «Vie Keine Unpäßlichkeit ver
folgt mich Meer seit einigen Tagen
Und ich füdie ini GegentIyeil ineener
eine gewisse Kleide-rang tvesn ich
mir die iolte Luft urn Ue Schiäfen
streichen lassek
.Sie sind trank —- nnd man sengt
mich nicht einnrai um Inthi Oder
hält Nols es siir zweckmäßig einen
niederen Arzt zu ionsultirenY
» - ·Jch habe ihm nstsirlich gar nie-U
den-n gesagt. Weshalb sollte ich ihn
denn ohne Noth beunrnhigen —- das
geht schon voriiber.«
F Sie hustete. und unwiMür!ich fuhr
ihre sreie Hand nack: der Brust, wie
wenn sie da einen reiiigen Schmerz
empiände. Jeßt wurde der junge Arzt
ernstlich besorgt und begann sie ein
gehend noch den Symptomen ihres ans
gedlich so unbedeutenden llnroolilseins
zu befragen Anfänglich zwar suchte
sie ihm auszuweichenx dann aber
konnte sie der-n zu Herzen gehenden
Klang innigrr Theilnahme in seinen
Worten doch nicht widerstehen Und
plöizlich sont sie weinend aus eineni
Stuhl, das Gesicht in den Höndens
versiegt-end so daß die wirren. viru
leln Locken iiber ihre schlonken Finger
fielen. Iies erichiittert trat er an
ihre Seite und beugte sich liebevoll
üben sie heran
JES ist, wie ich sehe. noch vie!
schlimmer, als ich'- vorhin gefürchtet
hobe. Sie sind trant und unaliickiich,
Tuimok Und es ist hohe Zeit« für
beides das rechte heilmiitei zu finden.
Dazu aber miissen Sie vor Allem vol-«
les Verirouen hzben zu Ihrem Arzt
Können Sie sich nicht entschließen es
mir zu schenken?«
»Ich satte niemals bietber tommen
iotlen". schluchzte .fte. »Ich fiibie. daß
iet- bier nicht Leben lann. Und es wird
ein io langsameg Sterben sein —- ein
io entsetzlich ianatames Sterben.'
»Tai-im liebe Tuima ---—— weichen
abscheulichen schwarzen Gedxnten ha
ben Sie da Herrschaft eingeräumt
iiber Jhr GemüthI Wenn das Kli
ma Jbrer Gesundheit nicht zuträgiich
iit »i- und ich bate von vornherein ge
fürchtet, daß es io iein würde —
so müssen Sie bis-zum Eintritt der
warmen Jahreszeit ein milderes auf
suchen. Vom Sterben aber dürfen
Sie mir nicht wieder sprechen; denn
Sie sollen ja jetzt erst anfangen, sich
Jhrez jungen, sonnigen Lebens zu
sreuen.«
Sie erhob den Kopf und tilgte
rasch, in sichtlicher Beschämt-Un die
Thriinenspuren von ibretn Gesicht.
.Ein milderes Klirna——saaen Sie?
Ja, das ist es. was mich gesund kna
chen tann. Ach. wenn Sie Noli be
wegen tönnten. baß er dazu seine Ein
willigung giebt — aus tiefste-n Her
zen würde ich anen danken.«
»Da er Sie lieb bat. und da Sie
kein liebstes Besisthum auf Erden
sind, wird er teinen Augenblick zögern,
das Zweckmäßige und Notbwendige zu
thun. Eine Reise nach Italien bedeu
tet ja glücklicherweise tein so gefähr
lichee nnd gewaltiges Unterneh
men -—«'
Mit einer verneinenden Geste siei
sie ihm in die Rede.
»Nicht nach Italien —— das wäre
siir mich nicht-i anderes als eine ver
längerte Qual. Wenn Ratt mich lieb
bat, muß er mich nach Sarnoa zurück
schieien —— in meine schöne, geliebte
heimath. Und darum Jtlein dürfen
Sie ihn bitten.«
«Nach Sarnoa?' wiederholte er be
troffen. »Aber bedenten Sie doch,(
Liebste Tuima « das wär bei der un
geheuren Entfernung ja beinahe
gleichbedeutend mit einer dauernden
Trennungs«
An ihren langen dunkeln Wimpern
funtelten tchon wieder krystallene
Tropfen. Aber sie hatte sich offenbars
vorgenommen, nicht mehr zu weinen.?
Und sie weinte nicht« ?
»Ja, darum wird er vielleicht nicht
etwaigem Das ist es ja, was ich
itirchte.«
»Und Sie ieldnf cte konnten um
in Wahrheit mit einem fo( chen Ge
danken vertraut machen? Nein, Frau
Tuima, ich tenne Sie befiel-, und ich
weiß, daß es Ihnen nicht ernst ifi
mit diefem Wunsch.«
Da öffneten die schönen« nachtdun
teln Augen sich ic weit und groß, wie
er fie nie zuvor gesehen Und ei war
ihm. als ob er eine fremde Stimme
hörte da sie sagte:
»Bei meiner Leebe zu Jst-ein« Bru
der fchwöre ich Ihnen, daß es mir
ernst damit ist. Und wenn Sie es gut
meinen mit ihm und mit mir, fo bie
ten Ssie Ihren ganzen Einfluß auf,
feine Zustimmung zu erlangen - Sa
gen Sie ihm daß ich an jedem ande
ren Orte der Welt zu Grunde gehen
Imiißte —- fagen Sie es ihm als Arzt,
denn mir würde et es ja nicht glan
ben. Oder er würde einen anderen
Beweggrund Dahinter vermuthen als
die Ingft am mein Les-ein«
Ein heiser Zorn gegen feinen Beu
det flammte in hermann Artners
Versen anf. Wie graufam mußte er
dies sanfte, geduldige, hingebende Oe
fchspf mißhandelt haben. um es da
hin zu bringe-! Wie schnell nnd wie
traurig waren alle die langen se-,
fiirchtnngen in Gefäqu gegangen.
den Doktor um das Glück des armen
jungen Weibes hatte zittern lassen!
Er war in tiefiter Seele erregt;
aber er nah-m sieh energisch zusammen,
uni ee nor Tuirna zu verbergen.
.Ml«, sagte er init erztvungener
Ruhe, »der Sie es to wünschen liebste
Tanne-. werde ich rnit Noli ernsthaft
und eindrinnlich darüber reden. lind
Sie diirien versichert sein, daß ich ihm
meine Befugniß um Ihre Gesundheit
nicht verheimlichen werde. Aber auch
Sie müssen mir ein Versprechen geben
—— due Versprechen, sich nicht wieder
so frevelhaft leicktsinnizi einer Gefahr
cnkzuieizem wie Sie es an diesem
Abend nett-ein Sie geb-en mir Ihre
Thand daran ---- nicht wahr-. Frau
Scipiotinerin?«
j Sie that, was er gefordert hatte;
aber sie that es halb mechaniichj alj ob
die schon bei ihrer ersten Begegnung
ihre Gedanken bei ganz unteren Din-"
gen weilten.
Dann sprachen sie noch eine lleine
Weile von allerlei anderm, das doch
in diesem Augenblick sicherlich iiir lei
nes von ihnen auch nur das allerge
ringfte Interesse hatte. Aber dies nich
tige Geplauder gab hermann wenig
stens die ersehnte Gelegenheit, durch
eine scheinbar beiläufige Jrnge zu er
fahren, wo sich Noli an dem heutigen
Abend befand. Der Name des Ge
nerallonsuls Rinlhardt, dessen Gast
er nach Tuinus Milttpeilnng war,
klang ibrn nicht fremd. Er war den!
Manne wiederholt bei geirllschaftli
eben Veranstaltungen im Flennnings
schen berufe begegnet. Und während
er sich dessen erinnerte, wurde re Ihm
gleichzeitig fast zur Gewissheit daß
sein Bruder auch heute wieder unter
dem Dache jenes gemeinsamen Be
kannten smit Elie Flemniing zusam
tnengetrossen sei.
Bis Zu dem Augenblick, da er den
erschütterndrn Schmerzensschrei aus
Iuimas herzen vernommen, war sein
Glaube an Nolsö Ehrenhaitigteit ein
zu fester gewesen« als daß er ihn such
nur eines in Gedanken veriibten
Ireubrucbs gequ seine Gattin söhia
gehaiten Jeyt aber war alles in ihm
erschüttert und ins Wanten gerathen.
Er erinnerte sich der spöttischen Be
merlungen jenes Erichsem der sich be
rechtigt geglaubt, Else Flemmingj
Namen in eine so rieldeutige Bezie
hung zu dem seiner Bruders zu brin
gen. Und es war ihm mit einem
Male. aks dürfe er keine Minute mehr
hier in müßigem Geplauder verlieren,
während es galt« in raschem und ener
gischem handeln das furchtbare Un
heil abzuwehren, das er wie eine
schwarze, verderbenschwangere Ge
witterwolte iiber dem hause seiner
armen jungen Schwäaerin schweben
sah.
Schneller vielleicht. als sie es er
wartet hatte, verabschiedete er sich von
Tuima. Und schon nach einer kurzen
Viertelstunde hielt die Droschie. in die
er sich eilig qetvorserh var dem Rini
ikardtschen Hause, dessen glänzend er
bellte Fensterslucht ihren verführeri
schen Lichtschein weit hinauswars in
die stille, verschneite Straße.
--45ortseszung soigt.)
Vie Sprachen der Menschheit
Berühint nlg Sprachenbeherrscher ist
del Kardinal Me,zzosanti, der 58
Sprachen verstanden und gesprochen
haben soll. An den mündlichen Ge
brauch werden wohl nicht immer hohe
Ansprüche gestellt worden sein. Jn
kessen selbst zugegeben, er hätte sich
jene 58 Sprachen vollständig angeeig
net, so tam doch erst aus je 15 bis 16
Monate seines siinsundsiebzigjährigen
Erdenwallens eine neue Sprache, oder
höchstens aus jedes Jahr, wenn wir,
um eine glatte Rechnung zu erzielen,
die weniger ergiedige Jugendzeit ab
streichen. Wie lange müßte nun der
llardinal gelebt haben. unt alle aus
zählbaren Sprachen des Menschenge
schlecht- zu erlernen? Wir haben einen
lleberschlag gemacht und sinden, daß»
er, der im Jahre 1774 das Licht von
Bologna erblickte, so ziemlich genatn
zum das Jahr 4000 nach Christi Ge
burt den Deckel der letzten Sprach
lehre zutloppen würde, gewiß mit ei
nein vernehrnbarenAnsathmen der Be
sriedigung. Unsere Rechnung stützt sich
ans das Buch die Sprachstiimme des
Erdlreisei. dessen alphabetischez An(
hangcverzeichnisz nach annähernd-ern
Ueberschlag 2200 bis 2250 Sprachen
oder wenigstens start abweichende und
als selbständig anzusehende Mundars
ten auszahlt. Dieses in der Teudneri
schen Sammlung »Aus Natur und
Geistes-den« erschiene-re Wert des Ber
liner Sprachsorschers Professor Dr,
Franz Nilolaus Flnel enthält in ver
hältnismäßig lleinem Umfang eine
sehr ils-ersichtlich gestaltete Darstellung
aller bekannten Sprachen, ausgehend
von der obersten Eintheilung verspra
chen der laulaslschen, mongolischen,
amerilanischen und äthiopischen Rasse
Die erste Abtheilung zerfällt in den
indes-germanischen den »hainito-senris
tlschesn den l kasischen. den dravidli
schen Sprach annn und einige andere,
noch nicht recht unteriubringende
Sprechen wie vqr Gern-nich- und
das saslisesr. Die zweite umfasst den
anslrischen, den indes-chinesischen den
nrnlsaltnischen Sprnchstamrn, die art
tisrhen oder hyperboreersprarhen nnd
das nsrh nicht genügend erkannte Su
rnertsrhe, die Sprache der vor-semin
schen Bevölkerung Akkord-stammt
Die dritte enthält in je drei Gruppen
die Sprachen Nord- und Mittelomei
rilns nnd Südnrneritnt, die vierte die
Sprachen der usrilnnischen und der
ozennischen Regen Eine sehr beach
tenswerthe Einleitung rechtfertigt wis
senschaftliche Benennungen und berich
tigt volksthiimlirhe Vorstellungen vorn
Wesen der Sprache. Der gedrängte,
mit einer großen Zahl von Namen
durchseste Stoff ist durch eine geschick
te Art der Darstellung dennoch sehr
lex-bar geworden; auch stößt man im
mer wieder aus gelegentlirhe Einschlu
tnngen, die von neuem anregen. Als
Beispiel sei ein merkwürdiger Zusam
menhang erwähnt, der zwischen dem
durch Jndianererzählungen deswe
«tnnnten Stämme der Sion und dem
durch Schiller unsterblich gewordenen
todten Nodowessier besteht. Der Name
Ssiu ist eine von den Franzosen wei
tergetragene Entstellung eines tschip
peweischen Uebernatnenn silr die Da
lvtas oder wenigstens deren nördliche
Stammesangehiirige, welcher Rat-owe
ssigwag d. i. Schlangen der Feinde
lautete nnd dessen zweiter nnd dritter
Bestandtheil das sranzösifche Siour
hervorrief, während der erste und zwei
te zu der Benennung Nndowessier An
laß gab. die durch Schillers Toten
tlnge in weite Kreise getragen worden
ist. ---— Einen Schritt ans dem Allge
meinen ins Besondere hinein vollzieht
das von demselben Gelehrten gleich
falls in jener Sammlung herausgege
beneBuch »Diehauptthpen desSprachs
baues«. Acht Sprachen hat hier Pros.
Find ausgewählt als Vertreterinnen
von acht Gruppen, denen man die
Sprachen der Erde ohne iibsermäßigen
Zwang ziitheilen kann, und die, wäh
rend sie sich einzeln genügend unter
scheiden. um eigenartige Formen der
menschlichen Rede darzustellen, in ihrer
Gesammtheit ein Abbild des menschli
chen Sprachtiaues geden. Die Merk
male dieser Gruppen liegen in der Art,
wie eine in sich zusammenhängende
Vorstellung oder Anschauung durch die
Sprache zerlegt und wie diese Trüm
mer wieder zu einem einheitiichen Ge
dantenausdruck ausgebaut werden. Ein
Hund verfolgt einen Oasen. Was sehen
wir? Nicht etwa einen hund, dann
ein-en hasen, hierauf die Thätigteit des
Verfolgen, die wieder auflöst in die
Laufthiitigteit deihasem den Zwischen
raum und die Lausthätigteit des hun
des, sondern wir fassen das Bild alt
Ganzes aus« fügen auch noch aus unse
rer Erfahrung etwas hinzu, was wie
nicht sehen, niiinlich den Schluß. das
der Hund nicht zufällig hinter denihas
sen läuft, sondern ihn ergreifen will.
Diesen Gesamteindruck können wir ei
nem andern nicht in der gleichen Eins -
heitlichteit wie etwa ein Augenblicks
kild übermitteln, sondern miissen
sprachliche Zerlegungomittel anwen
den. die hier etwa die Einzelbegriffe
ergeben: Vase laufen Zwischenraum
hund laufen gleiche Richtung Absicht
greifen. Wie wir sie hintereinander
hingeschrieben haben, sind sie nicht nur
zerlegt, sondern auch schon verständ
lich aufgebaut, eben weil sie schon zu
gleich mit der Zerlegung eine sprach
liche Benennung erhalten mußten. ilnd
das Chinesische begnügt sich damit, die
einzelnen Teile des Satzes aisWurzeli
warte ohne irgendwelche auf das Gan
ze dezugnehmende Aenderung neben
einanderzustellem das Samarinische
geht ähnlich vor, nur daß die Bestand-—
teite ais schon bestimmten Klassen zu
gehörige Stämme anzusehen sind. An
tere Sprachen, die neugriechische, aka
liische und georgische, drücken eine Be
ziehung derGrundbestandtheile zu dein
ganzen Satze nus, aber m sehr ver
schiedener Weile· so daß ste, in obiger
Reihenfolge, als stammbiegend, als
wurzeldiegend und als gruppendiegend
bezeichnet werden tönnen. Jn ähnli
cher Weise erscheint das Türtische als
nntervrdnend, das Grönländiiche als
einverleidend, das Siuhiiaische (eine
Bantusprcche am obern Simois-i at
anreihend. Wir halten hier zugleich
die achtSprachen genannt, die dcheri
fasset als Abbilder aller übrigen aus
gewählt hat und die er in kiikxtlnen
Darftellungen durch Beschreibung des
TBaueö und Anführung längerer
iSprachproben, losmhl mit Begriffs
«iihersehung als mit deutscher Wieder
gabe, in allgemein veisliindkicher Weife
kennzeichnet Es- betarf wohl ·ii.t.t dec
Erwähn.ing, daiz unterDeutkclz in die.
sein Zusammenhange durch das Grie
chifche vertreten sit Denk-nicht wei
teiten Kreisen der Gebildeten denen e
nicht möglich ist« t« ch eigeneForschet
arbeit eilen fu«-then Uebeevliel auch
- nur annähernd Zu erringen, wird durch
diefes Buch eine der anziehenditen Be
thätigungen des menschlichen Geistes.
die Natur und die psngemejneijjlannigs
faltigteit des Sprachbauez in ihrem
Weer hergeführt
Der größte Leuteschinder in Pius
dutg hat lich auch als der größte
ist-after entpuppt. Ein Zeichen, das
auch das Graftertum entgeten tann.
denn fonft haben die Gmfters meist
als sogenannte gute Kerle gegolten.
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Die meisten Worte, die ges r n.
werden, gehören nicht aus die IXon
sondern nu die Blechwage.