Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, April 01, 1910, Zweiter Theil, Image 9

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    Nebraska
Staats« Art-Zeiger und J cerold
Wo ists .I«0. Zw rahci u E
»s—s p.--«s-—-:
Die erstkn Schwalben
Was werd· ich denn da gewahr,
Dort am lang-en thieii
etc-» die Schwötdcheu sind ja da,
Halten jehi Paradei
Lamm über-I weite Meer
Wierer hergeflogen
Und sind dann wohl über Nacht
Bei unt eingezogen.
Papa jetzt die Fiügel rein
Von der staubigen Reise,
Zwitfchern dann ihr Lied-sein
Nach der aiien Weise.
Und inir ist's, als hört’ mein Ohr
Dort von dem Gewimme!
Steigen heißen Dank emer
Ju dem blauen Himmel.
Grüß« euch, liebe Vögelchen,
Seid williommen alle!
sucht das lang’ verlassne Nisi
Lln dem Hauf’, im Stalle
Eesh' ich eurem Treiben zu,
Dtan mein Aug« sich weidet,
Weiß ich, daß ein großer Gott
-eine Welt gut leitet.
Jakob Härten
——-— -—--—
Die kostbaren Oasen.
Qumoreste von Eugen Jsolani.
Es war eine ausregende Fahrt aus
der »Elettrilchen«, die ich da gemacht
i.1de.
Ich war in der Lettiire ver Zeitung
vertiest. ala ich an einer haltejtelle
durch lautes Sprechen deit Schaffens
aufaeitört wurde und unwilltiirlich
ausvliaen mußte
Der Beamte stand mit einem
Manne in Unterhandlung, der in je
dem Arme eine große Vase trug und
sa die Bahn bestiegen hatte.
Der Schafsner wollte den Patentta
ger, der den Eindruck eines Geschäfts
lxausdieners machte, nicht mit den gro
ßen Busen hineinlassen, er solle damit
Jus den Vorderperron gehen. Aber
ein Passagier, der am Eingang des
Wagens saß, legte sich in’5 Mittel und
mate:
»Aber lassen Sie doch den Mann
mit den Vasen hinein! Er tann doch
nicht die Janze Tour mit den kostba
ren, schweren Vasen da vorn stehen.
»Sie sehen ja, hier drinnen ist noch
Platz genug.«
Der Schasfner entschuldigte sich mit
feiner Instruktion, sprach vorn Ge
päct, das nur aus dem Borderperron
mitgelührt werden dürfe. In der Bahn
störe das die Passagiere. Aber der
Herr, der sich freiwillig zum Wart
führer der sämmtlichen Jnsassen der
Lilettrischen auswars, rief aug:
Deiner von uns wird gestört. Vie
ie tostbaren Vasen können Sie doch
nicht als Gepäct ansehent«
Vielleicht weniger, wen er uoerzeugr
trsar durch diese Argumente, als des
l-,alb, um den Aufenthalt an der hal
testelle nicht zu lagne ausudelynen ließ
der Schafsner den Mann mit den
Vasen hinein, der langsam durch den
langgestreckten Gang bis zur Mitte sich
bewegte, während der Schassner schon
Das Fahrzeichen gegeben hatte.
So kam es, daß der Mann mit den
Rasen, in idem er sich in der Mitte der
einen Bank niederließ, bedenklich in’s
Schwanken gerieth. so daß der herr
am Eingang, der eben erst siir ihn ein
betreten war, ihm im Tone leisen Vor
icurss zuriefz
»Na, wissen Sie, mit so kostbaren
Vasen musz man vorsichtiger umge
hen!«
Alle Jnsassen des Wagens waren
setzt natürlich aufmerksam gewor
den auf den Mann mit den kostbaren
Nasen.
Zwei herren, die den Vasen schräg
gegenüber saßen, augenscheinlich kunst
aetverbliche Iachleute, unterwarfen os
senbar die Busen einer fachmännischen
Kritik.
Ich hörte aus dem halblaut aesiihri
ten Gespräch Sake wie die solgenbem
»Die Zeichnung ist wunber bar schön!«
spSicher echt SevresF —- »Tai-lenkte
an Werthl'« und Aehnliches zu mir
beriibertlingen
Während alle anderen Jnsatsen sich
aber nur in dieser diskreten Weise mit
den Hasen und ihrem Träger beschäf
tigten, glaubte sich der herr am Ein
gang offenbar berufen, seine Gönner
rolle dem Manne mtt den Vasen ge
genüber «rveiteespielen zu bliesen und
Jies ihm laut durch den Waisen hin
Durch zu:
»Ich möchte an Ihrer Stelle doch
nicht den Transport solcher kostbaren
Busen übernehmen. Das können Sie
dreist Ihrem Chef oder dem, der Sie
geschickt hat« sagen. Solche Basen packt
man in Kisten in Holztoolle schön ein
und schickt sie fest verpackt. Wenn
ein Stück taputt geht, ist nachher der
Schaden da und das Geschrei groß!«
Der Mann mit den Vasen zudte
nur mit den Achseln, als wenn er viels
teicht sagen wollte:
»Na ja, Sie mögen ja Recht ha
ben!« Aber er sagte doch nichts, Von
dekn saß, mit seinen Vaien auf den
Armen da, jede detVasen aus ein
lBein gestützt.
t und da er teine Antwort gab, so
glaubte der Herr am Eingang wieder
H sprechen zu müssen, und sagte mehr zu
»und, den anderen Wageninsassen, ge
wandt, als zu dem Manne mit den
» Linsen:
I »Eigentlich ist es eine große Zumu
»tbung von einem Herrn an sochen
«Mann, ihn rnit zwei so tostbaren, uns
iverpackten Vasen in der tkleltriichen
’fahren zu lassen. Die Dinaer müssen
jja schwer fein. Wenn dem Manne die
Etlrme erlahmen, und ein Unaliicl pai
Isirt, trifft ihn taum die Schuld. s-—
Wider dann soll er womöglich fiir den
Schaden aiiftommen!«
Einige nickten dem Sprecher Zu:
; stimmung zu, und man hätte vielleicht
sdie Frage weiterbehandelt, wenn nicht
tin diesem Augenblick der Mann mit
kden Vafen die ganze Aufmerksamkeit
jbolllommen auf sich gezogen hatte. Er
s stellte nämlich die eine Vase dicht neben
sich auf die Bank, die andere dicht vor
sich aus die Erde, sie mit den Beinen
festhaltend.
»Mensch«, rief der Herr am Ein
gang ihm laut zu, »wir machen Sie
da? Sind Sie von Sinnen! Wenn
setzt eine Kurve kommt, die Vasen
purzeln Ihnen ja um!"
» Und alle Jnsassen aioren in der
That in der höchsten Aufregung, wäh
rend der Mann mit den Busen aanz
ruhig blieb und mit der Hand ganz
gemiithlich abivinlte: »Ach, es ioird
schon nichts- passiren!« Darin nahm
er langsam fein Taschentnch heraus-,
um sich so aemächlich wie möglich zn
schniiuzem
»Na, fa!« so liefz der Herr am Ein
gang vernehmen, der sichtlich immer er-.
regter wurde, »es ist eben ein unge
heuer Leichtsinn, zwei kostbare Vasen
Idurch einen Mann in dieser Weis-.
stranspcrtiren zu lassen. Schließlich
muß sich jeder Mensch einmal die Nase
abwifchen; das tann man eben nicht
verhindern. Und wenn nun jetzt, wäh
rend der Mann sich schnäuien muß,
die Basen kurz und klein geben« dann
tann er auch nichts dafür!«
Aber der Mann mit den Vase-i hat
te inzwischen das Taschentnch eisige
steckt und machte teine Anstalten, wie
der die Vasen, wie es erst geschehen, in
feine Arme zu nehmen.
Die er mit seinen vpkunen einge
llemtnt hielt, stand ja einigermaßen
stehet, aber die andere. die er neben sich
aus die Bank gestellt hatte, stand voll
kommen frei und lonnte bei jeder
Schwankung des Wagens selbst in·s
Schwanken gerathen.
Jch muß gestehen, mir bibberte bei
diesem Anblick das Herz: Ich blickte
mit unaushörlicher Spannung aus die
Vasen, in der untvillkürlichen Empfin
dung ich kann vielleicht durch die Ge
walt meines Blickes die Vasen aus ih
rem Platze sestbannen und im Falle
eines Schwantensz vor dem Sturze
schüyen
Und ähnlich wie mit-, morltte esJ an:
deren Jnsassen gehen. sie starrten nn
aushiirlich die Vasen an. Freilich, der
eine oder andere der Jnfassen sah wob!
lächelnd bet Entwicklung der Dinge
zu, und wenn nicht die Same wegen
des offenbaren Wettheo der Vase-i so
rerteuselt ernst gewesen wäre« konnte
man wohl darüber lachen, wie mir,
zehn oder zwölf Personen etwa, in
sichtlicher Erregung siir die kedachten
Vasen zitterten, während die eine Per
son, die vor allem die Sache anging,
gemiithlich dasaß und augenscheinlich
oon allem unberührt blieb und nicht;
im Gerinazsten sitt die seiner Obhut
anvertrauten Kostbarkeiten zu zittern
schien.
Das konnte der here am Eingang
denn auch ossenbar nicht siir die Dauer
aushalten, und er ries dem Mann mit
den Oasen in lauter Eingang znt
»M. wissen Sie, das ist aber ein un-»
erhilrter Leichtsinn, den Sie da be
—-————
—- -«-... « .-..-k .— v- --..—.«- —-.-.- .-....-..--.-—
gehen. Daß Sie sich die Nase abwi-s
schen müssen, ist selbstverständlich,
aber nun könnken Sie die Vssen doch
wieder an sich nehmen. Das ist jaj
gar nicktl zum Ansehen. Das iski
ängsklich .
Der Herr am Eingang wollte wei !
kerreden, aber da geschah etwas das
ihn offenbar ein Weilchen stocken
snachkr.
Die Elekkrische war iiber eine Kurvr
gefahren. Die ganze Bahn und alle
Insassen wiren ins Schwanken ge
r,akhen der Vasenmann war mit sei
nem Oberköwer nach rechts geflogen;
wo neben ihm vie Vase stand. wäh
ren-d seine Beine nach links flogen und
die andere Vase zwischen sie schwanken
ließen.
Und während allen Jniasten ern
lauter Schrei entfahren war, hatte er
nach der hin- nnd herschwantenden
Vase zu seiner Rechten gegriffen, nnd
batte sie glücklicher Weise noch im letz
ten Augenblick erfaßt, und während
dessen waren auch die Beine wieder in
senkrechte Richtung gerathen und hiel
ten die andere Vase sicher zwischen sich.
Lille blirlten mit Erleichterung aufs ich
glaube jeder hatte, wie ich das Gefühl,
einer großen Gefahr entronnen zu
ein.
Der Herr am Eingang aber hatte
wieder Kraft zum Reden geschöpft und
fuhr, gegen den Vasenmann gewandt,
sort:
»Seben Zie, sehen Sie, wie leicht
sinnig Sie waren! Jm Nu wären
Ihre Vasen in tausend Stücke gegan
aen, und das tann gleich wieder ge
schehen, wenn Sie sie nicht wieder wie
erst an sich nei)men!«
Er sprach das in etwas beraussors
derndem Tone, aber der Versen-Mann
blieb gemiitblich siyen, wie er vordem
gesessen hatte und wintte nur abweh
rend mit der Hand.
Das mochte denn den Mann am
Eingang in Harnisch bringen, und ich
muß gestehen, daß die ruhige Gelassen
beit des Mannes mit sden Vasen etwas
Heraussorderndes hatte. und wenn ich
auch nicht der Meinung bin, das-, der
Herr am Eingang zu dem, was er nun
that, irgend welche Berechtigung bat
:e, ich tonnte doch die Empfindung
aus welcher seine Handlungsweiie
stoß. verstehen.
Jn höchster Erreaung erhob er sich
von seinem Platze und ries dem Manne
mit den Vasen zu:
»Nein, das geht zu weit! Jlir Ve
lragen ist unerhört! Das grenzt an
muthwillige Sachbeschädigungl Mer
ten Sie sich wohl, wenn Sie mit Jll
ren Vasen verungliiclen, so werde ich
mich als Zeuge melden, um über Ihre
grobe Fabrlässigteit auszusagen!«
Diese mit erhobener Stimme ge
sprochenen Worte, die die starte Er
regung verrietben, welche der Herr am
Eingang auch äußerlich zeigte, denn er
schien am ganzen Körper zu zittern,
brachten auch ein wenig den Mann mit
den Vasen aus seiner Ruhe.
,,Wat wolln Ze denn eigentlich im
meksort von mir?!« rief er aug.
Nummern Sie sich doch nicht un: an
dere Leute ihre Angelegenheiten Las
ien Se mir doch in Ruhe.«
»Aber das ist ja nicht zum Anse
hen", rief jener.
»Na, denn tielen St man nach de
andere Seite bin. Uebrigens steige ict
jleich aus! Also beruhiaen Se sich
Inan!«
»Nein, ich beruhige mich nicht« rief
jener mit iteigender Erregung. Es
grenzt ja geradezu an Tollheit, in die
ier Weise mit solchen Vasen umzuge
hen -—) das müßte bestraft wer
den!«
Jn diesem Augenblick hielt die Dann
mit dem üblichen Ruck, der noch einmal
die Vasen ins Schwnnlen brachte« so
daß wieder verschiedene Personen qui
schrien, während der Mann mit den
Versen diese geschickt in die Arme nahm.
sich erhol- nnd heraubgehen wollte.
Und als er an seinem ehemaligen
Gönner, nun aber heftigen Geaner.
eben vorbei gehen wollte, ergriff diesen
noch einmal die ganze Wuth über all
die ausgestandeneAngft und den ges
habten Bergen und laut schrie er den
Mann mit den Vafen an:
»Wer-hört ist solch’ ein Leichtsinn"'
Da aber gerieth auch der Mann mit
den Blasen in Wirth, und eshe ihn je
mand daran hindern konnte, packte er
zum Entsetzen der Bahninsnsfen, die er
regt tn die höhe sprangen, die eine in
Fleiner rechten Hand sbefindliche Vase,
Ischtvang fie mit erstaunlich scheinender
Kraft in die Höhe und ließ sie auf sei
Mc Gegnerj Kopf niedersausen.
»Haben Se denn noch nich. jemertt,
dat de Dinger von Pape sind-« rief
er dabei aug, und verließ den Wagen
Der Mnnn am Eingang besa- sich,
indem er in unser Lachen einstHnmth
’seinen Hut, in welchen die »tostbare
Vase« trotz des wuchtigen Schlages
kaum eine Beute gedrückt hatte.
Von der Bahn and aber sahen wir,
wie der Mann mit den Busen dies
gutgemachten Dekorationsstiide in ein
Theater trug.
—
Die Brücken von Paris.
Halles stotz in ihrer Stadt, von Notre
ikleinen Citoyennes angefangen bis
Die Brücken sind der Stolz von
Paris-. Das will freilich nicht viel
sagen, denn die Pariser sind auf
Dame und den hübschen Augen der
zu dem berühmten Schmutz Liste
tiasJ hinab. Die Seinebriicken sind
aber wirklich schön, und wenn es auch
sonst in der Welt noch malerische
Brücken geben mag, so hat doch sicher
keine andere Stadt der Welt eine so
reiche Auswahl davon. Und dann hat
eben auch keine andere Stadt oer Welt
die Seine. Die Seinebrücken und
Seinekaig sind die kostbare Aus
schmückung der eitlen launiscken, schil
lernden Seine. Die vielen Boken isnd
Schleier des Flusses lassen ein wahr
hast künstlerisches Rassinemeni in der
Anordnung der Brücken zu. Dazu
kommt, daß die Brücken in Paris niht
wie an anderen Orten die eiqentliche
Stadt mit nichtsscaendcn Bororten
verbinden, sondern daß die Seine die
Millionenstadt in zwei ziemlich aleich
wichtige Theil schneidet u. recht eigent
lich das Herz von Paris bildet. Die
Brücken sind also nicht leer, sondern
ein Mittelpunkt reichsten Lebens, Pari- »
serischen Lebens. Und sie sind nichtj
nur an sich Kunstwerke, sie sind auch
geschichtliche Denkmüler; sie geben uns
serner den malerischsten Eindruck der
Weltstadt. Sie lassen sich am ehesten
mit den Themsebrücken vergleichen in
ihrer charakteristischen Bedeutung sür
die Stadt; aber sie sind in ihrem Bau
ebenso durch und durch französisch, wie
die Seine im Gegensatz zur britischen
Themse eine echte Französin ist unds
wie die Lust, durch die diese Brückenl
ihre Bogen schwingen, die helle, klares
sranzösischeLuft ist, die alles mit einem s
silbernen Schimmer umgibt, und nicht
i
die Jnsellust mit ihren Nebeln und
ihren Schatten.
llnd diese fröhliche Seine mit ihren!
Brücken war in den letzten Wochen un
ser Feind. Sie drohte einen Theil der
Stadt zum Einsturz zu bringen, slutete
neugierig in Straßen hinein, in denen
sie gar nichts zu suchen hat, gurgelte
und plätscherte in allen Kellern nnd
Schächten, sprudelte aus allen Röhren
und ließ als Visitentarte übelriechen
den Schlamm und Moder zurück, der
noch gar Epidemien erzeugen soll. llnd
dieBriicken wurden nicht nur nunTheil
unpassierbar: die Sachverständigen
kamen auch und erzählten uns, das; ge
rade die Brücken eine Hauptursache der
Wassersnoth seien, da sie mit ihrem
Mauer und Pfeilerwert einen raschen
Ablauf der sich stauenden Sintslut ver
hinderten. Einige Tage sprach meint
ganz kaltbliitig davon, die einer oder
andere Briicke zu sprengen, weniasiesis
den oberen Belaa, der von der unzu
rechnunggfähig gewordenenSeine sei-on
bespiilt wurde. Platzte irgendwo ein
Auto-Radschlauch, fuhren die Moralle
spieler am Stammtisch und bit Ge
vatterinnen in der Conciergenstube zu
sammen und riefen: »Da ieht die
Alma-Brücke in die Luftl« Tenn auf
die AlmaiBriicke hatte man es ganz be
sonder-; abgesehen. Glücklicherweise ists
weder Paris wie Bin-m in den Was- i
sern versunken, noch sind die Seine- I
briicken zum Himmel geflogen. Wir
waren so erfreut darüber, daß unsere
große Freundin Paris mit ihren
Brücken une- erhalten geblieben isi, daß
wir die sämmtlichen Seinetliore ein
mal wieder besticht haben.
Man spricht manchmal von den sie
ben Brücken, die man von dem einen
oder anderen Punkt hier auf einmal
übersehen kann. Wir selbst haben, von
der ConflanssBriicke angefangen bis
zur AuteuilBriicke einunddreißiq ac
zöhlt. Dazu kommen dann noch die
Brücken um Boulogne und Neui,y her
um« die wir ja eigentlich mitreckinen
müßten. Diesen Pariser Brücken ist
oft eine gewisse Einförmigkeit vorge
worfen. Die Einförmigkeit ist docls
aber durch die Aufgabe bedingt, der
diese Brücken zunächst dienen, der Vei
kehrsentwicklung über das Wasser hin.
Es wird auch getadelt, daß diese
Brücken nicht wie die Brücken des Mit
telaltets und heute noch mancheBriicken
Italiens nnd Südfrankreichs ihre Ge
helmnisse haben, sondern sich sofort uns
l
,..,.s.,—k-.. -. » « «.,.- -
seren Augen ganz entschleiern und den
Suchenden keine versteckten Reize ent
hüllen lassen. Für Brücken etwa im
venezianischen Stil ist freilich in dem
modern-nervösen Paris mii seinem
haftenden Massenverkehr kein Raum.
Und doch wird niemand leugnen kön
nen, daß das Gelammtbild der Seine
briicken, ob wir es nun von den Kais
oder von einem der hohen Aussichts
punlfe, oder gar von einer der Brücken
selbst stromauswärts oder strom
abwärtg betrachten, von einem male-ri
schen Zauber ist und dazu von einer
wuchtigen Größe, wie wir sie sonst in
kaum einer Stadt wiederfinden wer
den. Es ist auch behauptet worden,
daß die einzelne Pariser Brücke teine
Seele bat, keine Persönlichkeit. Nun
wollen wir ganz gewiß nicht sagen,
daß jede von diesen-W bis 35 Brücken
uns besondere Usfenvarungen anzu
vertrauen hat. Die Zahl der Pariser
Brücken, die unserem Geiste sich als
ganz individuelle Erscheinungen ein-«
prägen, ist gleichwohl so groß, daß un
seres Erachtens auch in diesem Punkt
die Brückenstadt Paris alle anderen
Brückenstädte überragt.
Durch großes Alter zeichnen sich
allerdinag die Brücken, die wir heute
hier vor uns sehen, nicht nur-. Auch
die älteren sind nur Wiederherstellun
gen von früheren Baunserlen. die «
iibriaens meist durch eine der großen
Seineüberschwemmungen der alten
Zeit —--- weggerifsen, eingestürzt oder
sonst zerstört sind. Wenn man auf
dem Platz vor Rotte Dame steht, sieht
man zwei Brücken, die nach dem linken
Seineuser führen. Von ihnen ist die
eine der Petit-Pont, der nichts beson
ders benurlenswerthes im Aeußern hat
und der in seiner heutigen Gestalt erst
aus dem Jahre 1854 stammt. Jn
Wahrheit befinden wir uns hier aber
an der ältesten Stelle von Paris und
der Petit-Pont ist die älteste Brücke,
denn sie stammt schon aus der Römer
zeit. Maurice de Sullh, Bischof von
Paris, ließ 1815 die Brücke neu aus
bauen. Aber die Seine tonnte diese
Brücke nicht leiden und riß sie immer
wieder fort; und immer erstand der
PetitPont von neuem. Ein ehrwür
digeg Stück ist auch der Pont Notre
Dame. Anno1499 brach er zufam
men und begrub in seinen Trümmern
auch die Häuser, die nach mittelalter
lieber Sitte auf ihm gebaut waren oder
sich an ihn anlehnten. Die entsetzten
Pariser sahen mitten auf dem Fluß
zwischen dem wüsten Gerümpel auch
eine Wiege den Fluß hinabgleiten und
in der Wiege ein jammerndes Kind
lein, dem niemand zu helfen wagte.
Das arme Wurm schien verloren; da
--- Wunder über Wunder wurde die
Wiege am Louvre vom Fluß ans Ufer
geschoben. Das Knäblein wurde ge
rettet und seine Nachkommen leben
heute um uns herum. Und der Lokal
patriot sieht in diesem Wickeltind ein
Symbol von Paris.
Merkwürdigeg ist auch vom Pont
de la Tournelle zu erzählen. Die Tour
nella war ein mittelalterliches Parla
mentggerieht für Strafsachen. Der
Name müßte also bei dem Gedanken an
Folter, Rad und Galgen Fröfteln er
regen. Der Kenner deH alten Paris-«
schmunzelt aber. Bei tiefer Briiele
mit dem Namen des Tower rmn P-:ris5
begann mir-dich auch das Bad Saint
Veraard Ia lsadeten sich in der guten
alten Zeit strenger Sitte die holden
Schönen von Paris, die Damen vom
Hof und der vornehmsten Gesellschaft
Jn Staatslarossen kamen die Köniae,
Herzöge und Marqui5, um den Schö
nen zu huldigen und sich gleichfalls in
die Seinewogen zu stürzen. Der gute
Pont de laTournelle ging in Flam
men auf denn er war nur von Hol i
Jm letzten Jahrhundert ist die Brücke
mehrfach umgebaut und heute ist die
Gegend am Pont Saint- Bernard nicht
zu Bädern einladend. Die Pariserin
nen baden heute zu Hause in ihren
Tubs.
Die Bruae der Bruaen in oer Pont
Neus. Sie ist die älteste von den heu
tiaen Brücken und gleichzeiti« die stäms
miaste und widerstandsfähigcsth wie die
letzten Wochen gezeigt haben. Man hat
den gegenwärtigen Bau unter Heinrichl
lll. begonnen. Er führt an der West
spitze der Citö Jnsel iiber die beiden
Seinearme. Jm Jahre 1578 san man
bei niedrigem Wasserstand mit dem
Bau an und Heinrich Ill. legte selbst
den Grundstein. Es wird uns allerlei
berichtet von der Prunkbarke, die den
König vom Louvre nach dem ersten
Briickenpseiler brachte und von der all
gemeinen Beaeisteruna der guten Pari
ser. Der König selbst war aber trau
ria, denn er hatte am Morgen einen
sehr berüchtigten Liebling begraben,der
im Duell der Mignons gefallen war.
Die Pariser, die damals schon eine böse
Zunge hatten, wollten den König ob
seines trüb-seligen Aussehens verhöh
.nen und die Brücke Pont des pleurs
nennen. Erst 1588 wurde der erste
Theil der Brücke vollendet. Moniaigne
fah und beschrieb die Brücke in ihrem
halbfertigen Zustand. Erst 1598, nach
Beendigung der Bürgerlriege, ging
Heinrich 1Y. wieder ans Werk. 1603
schritt der König als erster über den
Vom-Neuf, obwohl dies Unternehmen
bei dem unsicheren Zustand des Baues
noch ein Wagniß war. Der richtige
Verkehr begann erst drei Jahre später.
Wo uns heute das Standbild des Lieb
lingstönigs der Franzosen grüßt, war
früher der Mittelpunkt des eleganten
Paris, der Bonlevard des 17. Jahr
hunderts. Natürlich hatte die Brücke
damals mit ihren Läden, Schanbuden
und Bergniigungsanstatten ein ganz
anderes Aussehen als heute.
Ein Bruder des Pont-Neuf ist der
Pont au Change, auf dein sich in alten
Zeiten die Wechsler angesiedelt hatten.
Zu den alten Brücken gehört außer dem
Pont an Donble noch der Pont Marie
(1.618 bis 1635 gebaut), der von der
Jnsel Saint-Louis nach der inneren
Stadt führt. Der Pont Rohal ist auch
schon ein hetaater Herr. Er war bis
1632 aus Holz und wurde eines Tages
von der Seine entführt. 1685 ist er in
fünf steinernen Bogen neuerbaut nnd
ist heute als Hauptanlegeplatz der Sei
nedampfer einBerlehrsmittelpuntt. Jn
ihrem Stil nähern sich noch diesen äl
teren Brücken die Brücken der Revolu
tions- nnd Bonapartezeit. Eine ge
wisse Pracht zeigt uns die Concordien
brücle, die noch in der Königszeit be
gonnen, aber erst nach dem Umsturz
vollendet wurde. Der Okerbau ist zum
großen Teil aus Steinen der alten
Baftille hergestellt. Die Ausstattung
der Brücken war früher treit reicher als
heute; aber wenn man ihr auch viel Fi
gurenwerl genommen, ihre höchste Zier
hat man der Brücke nicht rauben kön
nen: das ist der Rundblick, den man
von der Concordienbrücke aus das alte
und auf das neue Paris hat. Aus
der Glanzzeit des großen Rapp
leon stammen die Kriegsbriicken. der
Pont d’Je-na und Pont d’Austerlitz.
Wir betrachten die Pserdebiindiger und
Adler aus der Jenabrücke mit ähnlichen
Gefühlen, wie ein Franzose sich die
Berliner Siegessäule ansehen mag.
Weit besser sagt uns der Pont des
Arts zu, der auch aus der napoleoni
schen Zeit (18()2) stammt, sich aber
zwischen den Steinriesen ausnimmt
wie eine schlanke Barke zwischen
Dreadnouahts. Die Brücke ist aus
Eisen konstruiert —- die Vorbotin ei
ner neuen Zeit. Sie trägt nur Fuß
gänger und verbindet den Louvre mit
dem Institut; sie ist die Pariserin un
ter den Pariser Brücken. Aus der Re
stauration und demBürzierlönigthum
find zu nennen der Pont d l’Arche
v('ch·«- l1728) an der Morque und der
Pont du Carrousel lPont des Saint
Pssres), der auf eisernen Bogen ruht
und mit Bildwerken geziert ist (1832
bis 1884). Er ist im Jahre 1906 et
was umgebaui. Mehr als ein halbes
Dutzend neuer Brücken stammen aus
der Zeit des baulustigen zweiten Kai
serreiches, das auch einen Teil der äl
teren Brücken uingestalten, erweitern
und verbessern ließ. An erster Stelle
sei da die Jnvalidenbriicke genannt, die
an Stelle einer älteren Hängebrücke
gebaut ist. Von ,,altuellem« Interesse
ist der Pont de l’Alma, der sehr nie
driq konstruiert ist nnd den man des
halb jetzt bei dem Hochwasser sprengen
wollte. Er ist an der Seite mit Sol
datenfiguren in den Uniformen der
Krimtriege geziert. Die Pariser liefen
jetzt alle Tage hin, um zu sehen, wie
hoch dag Wasser an diesen langen
Kerls schon gestiegen fei, und die Auf
regung wuchs in demselben Maße. wie
die Seine von den Stiefeln und Ga
niafchen der Tapferen zur Säbelkoppel
und den Euaulettes stieg. Noch aus
dem zweiten Kaiserreieh stammt der
Brücken--m »s. Joult von Auteuil der sei-:
nerzeit als Wunderwert modernfter
Technik ausgebaut wurde und der
heute noch mit seinen zwei Stockwerten
einen gewaltigen Eindruck macht. An
den Brücken der dritten Repnblit tön
nen wir studieren, wie der Sinn für
Zweckmäßigkeit in der sparsamen De
motratie die hohen Kunstanfprüche
mehr und mehr zurückgedrängt hat.
Paris hat sich in seiner Neigung für
das Nüchtern- Praltische und gleichzei
tig für billigen Talmiprunt amerika
nisiert. Jiicht umsonst hat man an ei
ner der inodernften Brücken, der von
Grenelle, eine Kopie der Freiheits
ftatue von New Yorl aufgestellt, die
von der französischen Republik den
Vereinigten Staaten geschenkt ist.
Desto mehr Ruhm verdient der Pont
iAlerander lll.der,1900 vollendet,
n. cht nur technisch in feinem gewaltigen
iEisenbogen ein Meisterwerk ist son
dern auch in seiner prachtvollen Aus
tattung mit den reichen Bildwerken
der alten Traditionen dieses Künstler
landes würdig ist
Franz Wugt.