Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, February 18, 1910, Zweiter Theil, Image 14
Heimweh Roman von Rheinhold Qrtmann (4. FortsehungJ Während sie ihr behilflich war, be rührten ihre Lippen leicht die Wange der Mutter. Dann trug sie die ab I gelegten Qleidungsstücke hinaus, und als sie nach wenig Sekunden wieder eintrat, schien Doktor Dallwigs Selbstmord für sie eine vollständig abgethane Sache. »Auch ich habe eine Neuigkeit für Dich liebste Mama — aber zum Glück eine erfreuliche. Wir werden das Vergnügen haben, eine sehr in teressante Bekanntschaft zu machen. Denke nur: Doktor Artners Bruder ift nach fünfzehnjährigec Abwesenheit gestern ganz unerwartet Zurückge kehrt. Und mit einer reisenden jun gen Frau« von der mir der Doktor während der legten halben Stunde schrecklich viel vorgeschwärmt hat. Er hat mir versprechen müssen, sie uns recht bald zuzuführen, und ich kann Dir gar nicht sagen, wie ich mich aus sie freue.'« Es war, als hätte Frau Flemming zugleich mit ihrem Pelzmantel auch ihre Aufregung abgestreift. Sie war seht wieder ganz die beherrschte und gemessen liebenswürdige Frau von der Welt, als die hermann Artner sie bisher tennen gelernt. Nur ein eigen thümlich gefpannter Zug in ihrem Gesicht und ein gelegentliches Zur-ten ihrer Mundwintel verrieth, vaß ihre äußere Ruhe nur eine Maske sei. »Gewiß —- es wird uns sehr an genehm sein«, sagte sie höflich. »Ihr vHerr Bruder war weit von liier ent fernt?« »Allerdings, gnädige Frau! Er lebte ieit seinem einundzwanzigsten Jahre in Apia auf Samt-TM Mit einer hastigen Kopfbervegung wandte die Wittwe sich ihm zu. »Auf Sarnoa? Was Sie sagen? Das ist in der That außerordentlich interessant. Und seit fünfzehn Jah rent« »Ja Eine unbezivingliche Wan derluft ließ ihm nach dein Tode un serer Eltern keine Ruhe mehr hier in Deutschland Es war ein nicht ge ringes Manißx aber er hat glückli cherweise keine Ursache gehabt es zu bereuean »Ur m namin ais zveunaoer ver Firma Rodenberg zurückgekehrt, Pio rna«, ergänzte Else mit einem ge wissen Rachdruch Aber Frau Mem mina hatte es allem Anschein nach twhdem übe-schürt Sie sah ein paar Setuirden lang ins Leere, als ob sie inr Kopfe irgend eine Berechnung an stellte. Und dann wandte sie sich mit viel größerer Wärme als zuvor an den Besuchen »Sie müssen ihn bei uns einfül,k ren. lieber herr Doktor! Unter al len Umständen müssen Sie es thun. Jch erwarte es als einen Beweis Ih rer Freundschaft.« »Mein Bruder wird soviel Liebess tvürdigteit gewiß nach Gebühr zu schätzen wissen, gnädige Frau!« »Und Sie müssen ihn uns bald bringen —- recht bald! Ohne all: steifen Förmlichleitenl Ich weiß, die beeren Ueberseer sind teine Freunde von dergleichen.« Hermann war ein wenig überrascht von der Dringlichkeit dieser Einla dung, die weit iiber die konventionel len Höflichkeits - Formen hinausging. Aber er tonnte sich davon nur ange nehm berührt fühlen, da sie ja den Wünschen entgegenkam, die er für die Anbahnung eines herzlichen Freunkk fchafts - Verhältnisses zwischen Else und seiner Schwägerin hegte. Da zu, auch Frau Flemmina über Tuinias Heriunft aufzuklären, fand er für jetzt seine Gelegenheit mchr. Denn das Dienstmädchen meldete den Besuch Vier denk. Hause befreundeter Da men. Und nach ihrem Eintritt wandte sich das Gespräch sofort wieder Dem großen Ereigniß des Tages, dem Selhsnnord des Dottor Djllwu ku. Die Wittwe vermochte sich jetzt mit vollkommener Ruhe darüber zu äu ßern; aber die Unterhaltung bewegte sich bald so ganz in den Bahnen des alleraewöhnlichsten Kl.atsches, das-, dem Doktor seine Zubökerrolle von Minute zu Minute peinlicher wurde, und dass er sich zum Aufbruch erhob, sobald es schicklicherweise geschehen konnte. Frau Flemmina verabschiedete ihn überaus freundlich. Und wenn ihm auch Else unter den beobachtean Blicken der Besucherinnen weder in Worten noch in Mienen ein Liebeszeichen geben konnte, so sagten ihm doch der Druck ihrer band und die glitzernden Gold pünttchen in ihren Augen alles, was ihre Lippen then verschweigen mußten. Er Hins. Und als ihn unten wie der das geschäftliche Straxentreiben the, da war ishm zu inn, als wäre hat«-große Erlebnisz der letzten Stunde krick-is anderes gewesen, denn ein holder, wunderlicher Traum, aus Dem er in der kalten Winterlust M lo r ur nüchternen Wirk s» ern-Ist sei. Er sliichtete sieh auf die menschenleere romenade Inst des Zins-users, um site eine Ieise Beile allein zu sein mit seinen sehe-len- ber das köstliche Glücke M das berauscht hatte, wäh I ee Eise Flemming in seinen Ar men hielt, ftellte sich tros der Ein lanrteit in feiner vorigen Fülle und Reinheit nicht wieder ein. Er liebte sie —« aetvißt Wie hätte es ihm in den Sinn tommen können, daran su zweifeln. Aber er war sei nen - indfätzety feinem wohlerwo genen Entfchlusse untreu geworden, als er es ibr in einem selbstvergeffe nen Augenblick verrathen. Und ef mochte das Bewußtsein diefer un miinnlichen Schwachheit fein, das jetzt bei der Erinnerung an iene feli aen Minuten leine ungemischte Freu de in feinem Herzen aufkommen ließ Er konnte die seltsame Bellommens heit nicht los werden, die auf feiner Seele laa wie der Druck eines be aanaenen Unrechts oder die Vorab nuna eines kommenden Unglück-T Und zudem drängte sich in feine Ge danten immer wieder das Bild jenes unaliicklichen Rechtsanwalts, dem er mit feinem heutigen, entweht-nas fchweren Besuch im Flemsmingfchen Hause hatte Trotz bieten wollen. »Pab — wohl dem, der es hinter sich ball« hörte er ihn mit etwas schwerer Zunge und farlaftifch verzo aenen Lippen sagen. Und ein irr-fli aes Erfchauern ging ibm über den Rücken. als er daran dachte· aus wel cher Stimmung heraus der Mann diese wegwerfende Aeußerung über den Werth des- Lebens gethan baden mochte. Und dann jenes andere unselige Wort, iener freundschaftliche Rath: .Lassen Sissicb nicht zu tief mit den Flemmings ein, mein lieber Herr Doktor! Es würde für Sie laum etwas Besseres dabei herauskommen als bittere Enttäuichuna!« Wie ganz anders llana es ihm ient in der Seele nach —- fetzt, da er wußte, daß der Mann, der es aefprocken, ein Ster bender gewesen war! Warum hatte er ihm nicht heftig entgegnet! Warum hatte er nicht auf der Stelle eine Erklärung von ihm verlangt, die ibn all der auälenden Zweifel über hoben haben würde, von denen er sich jetzt heimgesucht fiiblteS Nun war es zu spät, und der Mund des War ners war auf ewia aefchloffen. Ob es nur ein durch nichts begründeter persönlicher Groll gewesen war, der aus ihm gesprochen nur die bas hafte Freude am Verhetzen und Ver leumsden — jetzt gab es teine Mög lichkeit mehr, es zu ergründen. Der bohrende Stachel hatte fein Gift ver fprihb und hermann Artner fühlte es in feinem Fleische brennen, wie oft er auch das liebliche Bild des theuken Mädchens Zu Hilfe rufen mochte, um über dem Bewußtsein feines gleichsam vom Himmel aefallenets Glückes, das fatale Nagen zu vergeon. Bon Fwiefpaltigen crnpfindungen gepeinigt und bitter unzufrieden mit sich felbft, schlug er na kurzer Wan derung durch die dun en verschwi ten Wallanlagen den Rückweg ein nach der inneren Stadt, um das mit feinem Bruder verabredete Stelldich ein nicht zu versäumen. An einer Anfchlagfiiule blieb er ftehen, denn fein Blick war von ungefähr auf das vom Licht einer Straßenlaterne helt befchienene Platat des Urania-Thea ters gefallen. Und ohne besonderes Interesse, nur um feinen Gedanten eine andere Richtung zu geben, Eber flog er das Programmverzeichniß. «Ellinor, eine Waise —— Elfriede Ander5«. las er gleich an der zweiten Stelle. Und ohne daß er sich hätte erklären können, wie es zugegangen war, fühlte er in diefern nämlichen Moment für die unbekannte Tochter des unbekannten«P«ern«hard Lornfen eine mittels-tue Zyeunayme, von uer er vorhin während seiner Unterhal tuna mit Fräulein Dvrette kaum ir: aend etwas versuiirt hatte· Er dachte an Rolss Erzählung von dem lieben Kindergesickytchem in das er ganz verliebt gewesen sei, und er stellte im Weitergehen allerlei Ver muthungen darüber an, wie das ver wsaiste Töchterchen des abenteuerlu stiaen Samoapflanzers aus der Ob but des sittenstrengen Fräulein Breul aus die Bretter der Vorstadtbiihne ge langt sein mochte· Er hatte sich nur um wenige Mi nuten verspätet; aber Rols und Tut ma erwarteten ihn bereits im Lese zimmer des betet-T Seine junge Schwägerin lächelte ihm freundlich entgegen-: aber als er ihr, der in sei nen Kreisen herrschenden Sitte ge mäß, die Hand küssen wollte, zog sie sie verlegen zurück.« »Was sangen wir nun an?« fragte Reli, der wie immer in der heiter sten Stimmung war. »Ich fühle mich gerade ausgelegt, irgen etwas recht Närrilcbes zu unternehmen.« hertnann wirkte nicht recht, ob er mit Rücksicht au Tuima einen Thea terbesuch vorschlagen diirse. und da sie den Wunsch äußerte,' noch einmal aus ihr Zimmer zu gehen, um die dort vergessenen handschuhe zu ho len, benupte er zunächst ihre tut-e Abwesenheit um dem Bruder itber das Ergebnis seines Besuch-s bei Fräulein Dorette Vreul zu berichten Dankbar schiittelte tbm Noli die hand. denn es bereitete then ersicht. lieb gros- Fveude- daß die Macht-I stunden waren er. Jlnd nun weiß ich auch, W Urania-Theater, um uns rnhard Lornfens Tochter anzusehen-« befcheidenfter Gattung«, wandte Der inann bedenklich ein. »Und wenn ich nicht irre, giebt man irgend ein schau derbaftes Spettatelftiicl.« «Das ift einerlei. Es trird uns schon Spaß machen. Und follte es uns zu bunt werden, gehen wir ein fach wieder fort. Ich bitte Dich unt -Hitnniels willen, Liebfter, mir nicht durch äfthetifche Skrupel das Vergnü gen zu verderben.« Danach blieb dein Doktor nat-Tir lich nichts anderes übrig, als sich still schweigend zu fügen. s. It a p i t e l. Fast am letzten Ende der mit aller lei oollstbümlichen Vergnügungöftiip ten besetzten hauptitraße der Hafen vorftadt erhob sich das unanfehnliche, fchniucklofe Gebäude, über dessen Ein gangsthür in großen schwarzen Buch ftaben die Inschrift »Urania:1heater« brannte. Das- alte. verwitterte Haus« an dessen Fassade sich der Putz in großen Stücken zu löfen begann, hatte allerdings nicht gerade das Aussehen eines vornehmen Kunfttempelo. Und während er feiner Schwäaerin aus der Drofchle half, verspürte Hermann doch wieder einige Gewissensbisse, daß er sicd dem abenteuerlichen Vorhaben sei nes Bruders nicht energischer wider feht hatte. »Die Geheimniffe von London oder beldenniiitbige Schioefterliebe. Schau spiel in elf Bildern«, stand in gewalti gen Lettern auf den blutrotden An » lchlagszetteln zu beiden Seiten des ) Einganges. Und einige Matrosen wa ren eben damit beschäftigt, andüchtig die gewissenhaft aufgezählten Titel diefer elf Bilder zu ftudiren Der üb liche Sturm auf die Kasse aber war bereits vorüber, und nur vereinzelte Nachzügler fchoben noch sich hastig in , den matt erleuchteten Flur-« - -«. Das ist is ganz prächtig«. lng ioir fest unternehmen. Wir hen inss »Aber es in eine Aufmerwa l s «Ftemdellloge —- mmr want-« - ) fragte der Kassiter zuvortommend inachdem er einen etwas verwunder jten Blick auf die elegant getleideten ; Besuches geworfen. Und dann Hom i men sie die lleine. halsbrecheris » steile Stiege empor, die aus dem Ka - ; senflur geradewegs-« zu dem bevorzug - ten Platze führte. Es war ein winziger duntier Ver schlag. der wahrlich mehr Aehnlichkeit mit einem Käfig als mit einer Thea terloge hatte. Aber nachdem sich ihre » Augen ein wenig an die Dämmerung gewöhnt hatten, gewahrten, sie daß sie nicht die einzigen Jnsassen des klei nen Raumes waren. Ganz im hin tergrunde, aus einem bescheiden in die äußerste Ecke gerückten Stuhl saß ein weibliches Wesen, dessen Gesicht bis zur Untenntlichteit beschattet war, dessen fast noch tindlich schlanle Formen aber auf ein Alter von höch stens fünfzehn oder sechzehn Jahren rathen ließen. Beim Eintritt der neuen Ankömm linge schien sich die jugendliche Thea terbesucherin noch fchiichterner in ihre Ecke zu rriirlea Und Noth höflich-e Frage, ob sie nicht aus einem der vor deren Stiihle Plan nehmen wolle, be anirvcrtete sie mit einem taum ver nehmlich geflüsterten: »Nein. ich danle —- ich bleibe lieber hier.« Just in diesem Augenblick ertönte das leßte blecherne lingelzeichen, und schwerfällig, wie mit verdrießli chem Widerstreben, rauschte der ver schlissene Vorhang empor. hätte nicht der Zette! verrathen, daß »ein verrufener Stadttheil von London« der Schaut-las des ersten Bildes fei, so würde man sich ohne Zweifel aus den Marltplatz eines höchst ehrbaren deutschen Städtchens versetzt geglaubt haben. Das auf dee Szene herrschende halbduntel aber und die lebhafte Phantasie der dicht gedrängten Zuschauer mochten die Illusion dennoch zu einer vollstän digen machen. Und es ging wie ein Murmeln· der Entrüstung durch das haus, als der allen Stammgiisten wohlbekannte Bissewicht des Urania Theaters schleichende-r Schrittes und in Gesellschaft zweier ebenfalls äu ßerst verdächtig ausfehender Indivi r duen die Bühne betrat. f Es gab zwischen den dreien ernel weitläufige Unterhaltung iiber ir gend einen fchurlischen Anschlag des-; sen Opfer eine arme, elternloie Stra-» ßensängerin werden sollte. Die bei den Strolche wurden beauftragt, sie mit List oder mit Gewalt zu entfüh ren. Und nachdem jeder von ihnen eine »Hundertpfundnote« als band geld empfangen hatte, schlich sich der Bösewicht, von einigen unzweideuti aen Aenßerungen der Verachtung aus den oberen Rängen begleitet, mit deni unvermeidliten Aechzen und hüfteln aller hartgesottenen Theater-schaden von der Szene, während seine Spieg gelellen sich hinter einem gemalten Mauexborsprung versteckten. .Du hattest recht —- ez ilt ein lchauerliches Machwerl«, flüsterte Rolf feinem Bruder zu. »Und ich deute...aber, so wahr ich lebe, das ist Bernhard Lornsenk Tochter!" Weit beugte er sich in seiner freu dig-en Ueberraschung über die Sagen b stung vor. Aber auch durch das Parterte »und die beiden Gallerten des hat-les ging es gleich einer Bewegung bewundernden Staunen-. Und man durfte dern Regisseur des Urania Ibeatert das Zeugnig auMellen, daß ee sich auf fein Pu litum verstand. Dean gerade in dem Auge-erblich dn die Deldin des Stückes aus der Ku ; lisse hervortritt, hatte er init so ver blussender Plöilichlrit den Mond aus hen lassen, daß sie von einer Fu e blendendem rveißgriinen Lichtes s uhersluihet wurde, während sich gleich zeitig der durchdringende Geruch den-. galischen Feuers als eine natürliche» Erklärung - der wunderbaren Natur- s erschernung im ganzen Hause bemerk-. lich machte. s Jn ein phrntastisches Mignvnlos stiien gekleidet, eine Gnitarre in den Händen, stand die junge Strassen siingerin mitten in dem grellen Licht streisen. Das blonde Haar floß aus gelöst in dicken, weichen Wellen iiher ihre Schultern und ihren Stücken« das zarte Gesicht überaus lieblich, wie in einen goldigen Rahmen einsassend. Nun wurde es wieder still. Dasi räthselhaste Mondlicht nahrn zu sehends an Heiligkeit ab, und die Straßensiinaerin begann ihren vom Verfasser vorgeschriebenen Monolog. Sie sprach mit einer weichen, wohlllingenden Stimme. aber leise und mit sehr wenig dracnatischern Ausdruck. Es war eine lange, rühr ielige Leidensgeschichte, die sie dem Publituni zu erzählen hatte, und es schien, daß sie aus die naiven Besu cher des Urania-Theaters wirllich den beabsichtigten Eindruck hervorbrachte Herniann Ariner aber war schon nach ihren ersten Worten mit sich darüber im reinen, daß sie eine herzlich un: bedeutende Schauspielerin tei. Und er spürte jene peinliche Empfindung. die uns übe.rlpmmt. wenn wir einen uns nahestehenden oder sympathischen Menschen in einer unioiirdigen Lage erblicken miissen. « » »Nun, eine große Kiinstlerin ist sie jedenfalls nicht«· rannte jeyt auch Noli ilnn mit dem Ausdruck des Be dauern-Z zu. Tuiina aber, die seit dem Auftreten der Straßensiingerin die dunklen Augen nicht von ihr ab gewandt hatte, sagte mitleidig: »Ich fürchte, Nols, ihr ist nicht wohl. Sie zittert ja ani ganzen Löwen« - - · Ist-— »Wie viel nienr du ooco sey-u tannst als wir gewöhnlichen Sterb lichen«. scherzte ihr Gat e. »Aber Du maast Dich beruhiaen. ahrscheinlich spielt sie ihre Rolle zum erstenmal und Etat ein wenig Lampenfieber. Das ist aanz ungefährlich und geht schnell vorüber.« Doch es ging nicht vorüber, son dern das Geboten der jungen Schau ipielerin wurde immer settsamer und befremdlicher. Sie stockte wiederholt mitten in einem begonnenen Satze und leate die band an die Stirn wie jemand. der sich mit Anstrengung auf etwas besinnen muß. Ihre Worte waren hier und da ganz unverständ lich, und immer deutlicher hörte man die Stimme des Sofsleutit, der ver zweifelte Anstrenaungen machte. ish rern offenbar versagenden Gedächtniß zu hilfe zu kommen. Das Publilum indes; schien in sal ledem noch immer nichts besonders Ausfälliges zu finden. Es nahm die häufigen Pausen und die immer mat ter werdende Sprechweise der Schau spielerin offenbar fitr etwas, das zu ihrer Rolle aehiirtr. und spannte seine Aufmerksamteit nur um so höher an. Hermann Artner aber saß wie auf Nadeln, denn es war ja voraus u sehen, daß schließlich auch dieien harmlosen Zuschauern das Verständ nisz der satalen Situation ausgehen wiirdr. Da wurde er durch ein eigen thiimliches Geräusch hinter seinem Rücken bestimmt, den Kopf zu wen den. Und er sah zu seiner Ueberra schung, daß das schüchterne junge Mädchen sich von dem Stuhl im hin tergrunde der Loge erhoben hatte und mit voraeneiatem Ohertiirper da stand, beide Hände in einer Gebärde namenloser Angst an die Schläfen gelegt und mit weit aeiissneten Art-f gen« in denen sich das Entsetzen spie-; gelte. Er wollte eine Frage an sie rich ten, aber in diesem Moment erfaßte Tuima mit einem leichten Ausruf des Mkeckens seinen Arm nnd veran laßte ihn dadurch, seinen Blick wie der auf die Bühne zu richten. Er fab, daß die Straßensöngerin am Boden lag und daß die beiden hinter dein Mauervorfprung verftecktenStrol che berzuspranaem um sie aufzuheben und durch die nächste Seitenkulisse von der Szene zu tragen. Die Gelassen beit der Zuschauer bewies, daß sie dies für die von dem fchleichenden Böse wicht bestellte Entführung hielten. . Doktor Artner aber erhob sich hastig von seinem Stuhl, denn hinter lkjin er tiana eine verzweifelte Stimme: »Gott irn Himmel —- sie stirbt — nieine Schwester — meine geliebte Schwester ....« Und ini nämlichen Augenblick schon riß das Mädchen die Loaentbiir auf, us in wilder hast die steile Treppe binabzustiirmen. »Sie s int in der Tbat erkrankt zu sein«, agte er. »Ich will se n, its-b ich da vielleicht von Nutzen ein ann.« Und er folgte der Boraufgeeilten, von der er Ja nun mit einem Male wu te, daß ei Bernhard Lornsenl swe te Tochter war. Jn dein schma len Seitengange, aus den die Thüren des Parterre ausmündeten, holte er sie ein. .Er sah, daß sie wirklich fast noch ein Kind war, dem das einfache dunkle Kleidchen kaum bis an die seinen Kndchel reichte. Der Lesen schließer neben der kleinen Bühnen bforte mußte fieon kennen, denn er ließ sie ohne weiteres passireih und er binderte auch den Doktor nicht, hinter ibr durch die unverschlossene Thiir den Budnenraum zu betreten. Da aber ware er schon beim zweiten » , ! , W- , E i Schritt um ein Vaar mit einem sehr »großen und sehr dicken alten Deren zusammengebrallh der hochrothen Antlihes nnd heftig gestikulirend ir gend einem andern Unsichtbaren zu rte : »Borhana! —- Zuen Teufel noch einmal —- schliist denn der Kerl? — Vordang, sage ich! Wie lange sollen die Leute noch auf die leere Bühne alotzen?« Herrn-Jan zweifelte nicht. in diesem Machthaber den Regisseur oder den Direktor der Bühne vor sich zu sehen Und während ein vernehrnliches Rau schen anzeiate, dasz dem mit so gro siem Nachdruek ertheilten Befehl Folge geleistet wurde, wandte er sich an ihn: »Ich hin Arzt —- Der Doktor Art nett Und da ich vom Zufchrsuerraum aus wahrzunehmen glaubte daß eine Darstellerin Der alte herr befand sich ersicht lich in der iibelsten Laune »Der Teufel hole diese hysterischen Frauenzimmer!« fuhr er dem Dot tor in grimmig in die Rede. »Um-iu fallen tei osfener Szene! Hat man so etwas schon erlebt! Aber ich wer de sie verantwortlich machen fiir al les, was daraus entsteht. Ja, das werde ich! Ich lasse mir nicht von meinen Mitgliedern aus der Nase her umtanzen Sie mögen in Ohnmacht fallen so viel sie wollen. Aber nicht. wenn sre hier Komödie spielen.« .Entschuldigen Sie —- aber die Gesetze, die Sie Ihren Mitgliedern vorschreiben, interessiren mich durch aus nicht. Ich« komme, um mich als Arzt zur Verfiiaung eu stellen, falls man meiner bedarf.« »Ja iol Sehr freundlich von le nen, Herr Doktor! Jch dense, es hat nichts weiter auf sich mit diesem Un wohlsein. Aber ie schneller Sie sie wieder aus die Füße dringen, desto lieber würde es mir natürlich sein.« Und er stapfte vor sich her durch dar- Getvirr oerftaubter Kulissen und abenteuerlich gestalteter Versatzstiicke, von denen man hier nur die schmutzi ae, freilich-, mit wunderlichen Zei chen und Buchstaben bemalte Rück seite sah. Noch durch einen schmalen Gang und über ein paar Stufen; dann klopfte der Herr Direktor an eine Thiir. »Wer ist ein Doktor, Amalie, der dem Fräulein Anders heistehen will. Er kann doch ’reinkommen?« Die Tbür wurde von innen geöff net, unt eine nicht mehr jugendliche, aber ebenfalls tostiimirte und ge schmintte Dame maß den Angeeede :en mit prüfendeni Blick: »Bitte sehr, Herr Doktor!« Sie ließ ihn eintreten, schlug aber seinem Begleiter höchst respettwidrig die Thür vor der Nase zu. (Fortsehuna folgt.) Der Leser-. Eine Komödie «von l der Reise Von Max Bittrich. »Weißt Du,« sagte Frau Schnei der, als sie vierzehn Tage im Gasthaus zum Lamm im Wildthal gesessen hatte, »der Herr Direttor aus Dinge-da ge fällt mir nich-t. Er ist ein unangeneh iner Mensch.« .,Wieso?'« forschte Herr Schneider. »Ja, weißt Du, das tann man nicht so sagen. Mancher hat etwas Beson deres an sich, etwas Unanaenebmes. Das ist schwer zu begründen.· »Aber kürzlich schien er Dir ein sehr vornehmer Herr zu sein: er be sitze. sagtest Du, einen vilfeinen Kof fe: neuester Form· Natürlich hast Du gleichfalls einen taufen müssen -s- ei nen Koffer dieser neuesten Fagon!'« »Du fpottest!« »Lieber Schatz, ich erwähne nur Tatsachen. Oder sagtest Du nicht et was Aehnliches?« »Gewiß man lann von den Sachen ein bischen auf die Leute schließen.« »Natürlich: feine Koffer gleich seine Les-tei, Soeben behauptest Du jedoch der Herr habe etwas Unangenehmes san sich, also troh des unserm eigenen sgleichenden Koffer-DE »Ja, das sage ich allerdings sehr, es wird am besten sei den Verkehr mit ihm au zugeben. ch wenigstens grüße ihn nicht mehr· iderfteht mir solche Betanntlcbaft, so muß sie auch Dir unerquicklich sein. Alo bitte —'·. »Gut, gut!« Drei Wochen später. Regen um Regen, Kälte um Kälte! Flucht aus dem Will-that Seit Be ginn der Woche geht täglich etne kleine Karatvane den halbstlindigen Weg hinaus zur Bahnstation. »hast Du schon gehört," sagt Frau Schneider, »vom Herrn Direltor?« »Nein, was denn?« »Der Mensch fährt genau wie wir ab, heute abend 7 Uhr!" s »Dagegen wird stch nichts tun las en.« »Er ist« tmperttnent!« l Schthttrltch ntnnnst Du ihn th »Gut nicht, Liebstet Häher Bahnen sind Bssentltch —- -- —« «Verschone mich mtt Deinen lehr reichen Abhandlungenl Du sollst se hen, er will uns nur ärgernt« »Ich wüßte etn gutes Mittel dage en. S »Da wör« tch neugiertgt« JWir sahren erst morgen — —« »Das meinst Du ernstlich?« »Warum ntchtf« Du würdest seinetweaen, elnes stocksremden Menschen wegen, die Ab reise verschieden?« »Nein: Deinetwegen, damit Du teinen Berge hast. · Wieso ergtrk Du sagtest eben, der Herr set im pertinent Jch wollte Dir den Anblick ersparen.« »Er wird sich doch nicht zu uns sehens« »Wenn er will, seht er sich uns ge gengkr. Weißt Du ein Mittel dage gen « »Nimm ihn nur wieder in Schadl« «Thu mir den einzigen Gefallen, sag· mir: wann willst Du reiseni« «heute abend 7 Uhr!« »Aus die Gesahr hin, ihn als Reise gesährten zu habenim « ch habe leine Furcht!« « ehr freundlich! Also werden wir reisen!« »Gewiß werden wir das!" O s I Abends viertel sieben Uhr. »Liebe Frau, jetzt nimm aber schnell Abschied von der Wirtin, wenn es überhaupt sein muß! Der Wagen zur Bahn ist ohnehin sort und wir stehen noch hier. Kannst Du nun und nim mermehr eine Viertelstunde zu früh sertig sein. statt zu spät?« »Ich bin noch immer zurechtgelom men. Der Zug hat täglich Verspä tung. Meinst Du ich stelle mich oben eine halbe Stunde in den kalten Wind? Uebrigens, der Herr Direk tor ist auch noch hier. Jch sah ihn eben beirn Wirth« »Vielleicht hat er noch abzurechneu. Wir haben das erledigt.'« »Ich sliichte vor dem nicht!« »Man lann jedoch zur rechten Zeit in Gemütsruhe qehen Frau! — Und nun noch der Koffer —-— — Den hätte wahrhaftig der hotelwagen mitneh rnen diirsen.« »Nein, nein, den gebe ich nicht aus der Hand! Wenn Du nicht magst, trag« ich ihn selber!« «Tiiusche ich mich nicht so sel- ich in Deiner hand nichts als die Hand ichube —- -—' Soll ich ihn etwa schon hier her rrmschleppen?'· . O halb sieben Uhr. »Na also ade, Frau Wirthin!« »Abe! Aus Wiedersehen, Fra Schneider!« «Raich, rasch, Frau! Wir haben gut eine halbe Stunde zu tausen. Jch allein iiirne auch leicht hinaus, doch wie Dich das Nennen anstrengt, weißt Du am besten!« »Bin ich vielleicht aar schuld —- —-' »Daoon ein andermal! Und dann der Rossen wo hast Du ihn?« «Aengstige Dich nicht schon wieder! Er steht gleich hier an der Treppe — ach nein, oben war er sicherer -— nein, dort an der Tür! Jch nehme ihn!" »Aber rasch!« Sie packt den Koffer-, tröat ihn iiber die hausthiirschwelle und händigt ihn selbstverständlich sosort dem Manne ein: «hier, o, ich bin sroh!« Fauchen und sagen: Alle silns Minuten wandert der Rosser — aus der Rechten in die Linie und zuriick »Eile doch nicht aar so sehr, Mann! Mich trisst der Schlag! Noch weit hinter uns tommen Leute« »Aber, ob zum Zug, ob die reisen wollen k- -—« -,,Wo souren ne hins ,.Du bist manchmal großartig. Frau!« Nach einigen Minuten hastet der ominöse Direktor ieichtiiiszig. ohne Last, vorüber. Jetzt beobachtet es auch herr Schneider zum ersten Male: des Direktor-s Blicke scheinen lauter Hohn zu sein. »Gut, daß er vorüber ist!« ruft Frau Schneider-. »Schrei’ nicht so!'« »Ich hab' keine Angst!u Sie jagen weiter, und der Koffer fiieat in die Rechte und in die Linie. Sie hören den Zug rasseln. pfeifen und halten. Da«— da jeyt sind auch sie droben.« Nur sir hinein, denn der Bahnvors siehet will schon das Zeichen zur Ab sabrt geben. Da stellt sich dem verspäteien Ehe paar der gehaßte Direktor gegenüber, in den Weg, er vertritt ihm sogar den Zugang zum Wagen. »Wollen mir die Herrschaften gil iigst meinen Koffer geben?« »Jhren Koffer. Wieso?« herr Schneide rseyt ihn nieder und schwentt die halb erstarrten Arme. »Wies o denn —- Jhren -——?« »Ich will ihn dssnen, damit Sie steh überzeugen Hieri« Die Kosfekhöls ten fliegen auseinander. Des Direktors Eigentum liegt vor dem Ehepaar Schneider-. Die Pfeife scheillt; der Direktor sliiehtet mit sei nem Eigentum in den Zug und fährt setihlich von dannen. Schneiders Kos ser aber steht im Gasthaus. »Dab’ ich Di« nicht vom ersten Tag an gesagt,« zischelt Frau Schnei der i ten Gemahl an, »ein unangeneh mer enschl« I —-..-.s-.— Wenn die Preise sür Rindsleiseh -Schweinesleisch und hammel immer mehr in die höhe geschrauht werden sollten, wird man doch schließlich mit Gänseleberpastete verlieh nehmen !miissen. i ·- e I Je tieser geschöpst eine Weisheit ist, umso weniger kann sie gleich klar sein. is ·- i Das ist im Lebenl häßlich eingerich tet, da bei der Schnee- auch gleich. vie Ko lenschausel steht.