Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, February 04, 1910, Zweiter Theil, Image 9

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    Nebraska
Staats-Anzejger und 71'cerold.
Jahrgang MI. Grund Island. Rein-.- 4. Februar »du-. Zweiter (Tlicit.) Nummer 24.
Der Wald im Winter.
Das Glöalein tönte sern im GrundeJ
Lets’ ist der letzte Klang verhallt;
Nun kommt dir deine Weihestunoe,
Du winterlicher, schöner Wald!
Das Eichhorn schwingt sich leicht zum
- Neste.
Der Mond mit seinem milden Strahl
Verlkärt die blätterkahlen Aeste,
Der Wald hält still sein, Abendmahl
Verleißunasvoll durch das Gezireige
Wie Lenzesalmen zieht ein Webn «
Jn diesen Tempelhallen neiae
Ich xum Gebet mich« ungesehn.
—
Blinde Augen.
«Rovellette von E l se K r a s s t.
Maraot war sehr unglücklich. Ge
rade ietzt, wo es am schönsten war
daheim, wo der Winter beaann mit
Tanzen, Schlittsclsuhlausen und Kas:
seekriinzchem gerade jetzt sollte sie zu
Tgnke Jettchen aufs Land. Sollte
wochenlana in dem stillen Pfarrhaus
bei der Kranken sitzen, sie lsedienen,
pflegen, ihr vorlesen und alte Sachen
ausbelsern, während die Freundin
nen sich amiisirien. Ach. es war
surrhtbark Gerade ietzt war das große
Stiftungssest in der »Humanitag«.
drei Wolken später der Juristenball
im Kanne-, und sie hatte Reserendar
Wallmann bereits vier Tänze siir
diesen Abend versprochen! Nun war
alles Frei-en umsonst gewesen« alle
Versprechnnaen wurden hinfällig, das
Jveisie Tiilllleid blieb im dunkellten
Winkel des Kleiderschranls hängen.
und sie mußte nur warme. unkleid
same Sachen in den Koffer packen
und »in Tante Kettchen und Onkel
Vasstor in das weltabaeschiedene Dorf
rei en.
Sie hatte natürlich nicht gewollt,
als der Klaaebrief aus Drontbeim
netornrnen mai-, als der Onkel in sei
ner umständlichen Art ungefragt
hatte. ob Mamot nicht aus einiase
Wochen ihr lieb-es- Töchterchen sein
wollte. die leidende Tante wieder ge-(
snnd pfleaen und sie im Haushaltl
vertreten. Gemeint hatte sie, getrotzt,
bimmelboch nebeten, zu Hause bleiben
zu dürfen. Es nützt-. Alles nichts-.
Mutter war unerbittlich gewesen
Vater hatte sogar von Pflichten qe
sprochen, von selbstloser Nächstenliebe
und vielen anderen schönen DinqenJ
Und Pflicht ginae eben dem Beraniis
aen vor! Ob Margot sich denn gar
nictvt mle der herrlichen Ferieniooi
its-en im Tsastorbause zu Drontbeim
erinnere, hielt ibr die Mutter vor,
an nicht ein bißchen dankbar geaen
Onlel und Tante sei, die ihr friiber
in viele Kindersreuden geschaffen hat
ten? Da ninae es doch gar nicht-an
ders, als dier Maraot sofort abreiste,
wenn man sie brauchte.
»Doch, eo ginge ganz aut«, hatte
kllhraol trotzia erwidert. »Es giebt
in aennj bezahlte Krankenpflegerin
nen auf der Welt, nnd man Darf
so etwas überhaupt nicht von nIir
oerlnnqen, das ift Egoismtrg. Ich will
doch meine neunzehn Jahre genießen,
ich will nicht im Winter ans dem
Lende versonern, wenn sich alle ande
ren Mädchen zu Hause crnkiissirenz . .
Du aber war Mutter sehr böse ge
worden. Und Vater erst recht! Mar
got mußte attsBesehl einen sehr liebe
vollen Bries an Tante Jettchen schrei
ten, ihrKomuten anmelden, der Koi
ser wurde gepJett und ehe sie noch
recht zur Besinnung kann war der
Reisetag da· Es- tvar ein grauen
tritt-er Novemterinorgen.
Aus dem Weg »zum Bahnhose
schluctte Margot fortwährend, unt
nicht tor- zu weinen. Mutter war
zwar wieder sehr nett, redete gut zu.
und vie kleineren Geschwister hingen
an ihr, als ob es ein Abschied sikr
ewig wäre. Irgend Jemand hatte
ihr sogar einen großen Straust ro
ther Rosen sriih in’s Haue geschickt.
Obgleich teine Ante Dabei lag, wuß
te Margot doch, wer sie gespendet
rette. Arn Tage dort-er im Stadt-—
Hrt hatte sie ja Gerd Wallmann ihr
kirenzenloses Leid getlagt. lind di
tcaren seine hellen. lustigen Augen
ganz trübsinnig geworden, nnd man
hatte fiel-, launi trennen können, als
die Dunkelheit so sriili hereingebro
eben wor. Was nützen ihr aber
nun sein-: Rosen, wenn sie icn so
lange nicht sehen durste? Mutter
sprach fortwährend von Weihnachten
aus dem Wege Zum Bahnhos. Weih
nachten würde ja Margot wieder zu
riick sein, und« dann hätte ihr Kind
unter dein Weihnachtsbaum wenig
stens das schöne Gefühl, segenereich
aetvirtt und die Tante ersreut zu
haben. Mai-not hörte our .nich«t hin
Sic stieg mit einem Gesicht in ihr
Tonnen als wiirde sie in die ewige
Verhannung geschickt. Mutter lit
chelte tr ausniunternd zu, s ob tm
letzten agent-litt noch ein S »spiel
chen mit Matmnen in ihre Hand;
liißte sie und winkte mit dein Ia
sckxntuclx doch Margot nickte nur
mürrisch ein wenig mit dem Kopf
zurück. Jetzt war es also so weit.
Sie schluclte lranipshast, wischte sich
hastig iiber das Gesicht, wo eine
Thräne noch der anderen Hernieder
rollte, nnd sah sich dann in dem
Wagenabtheil um.
Außer ihr saß noch ein junges
szartes-H Mädchen in der gegeniibetlies
qenden Ede, das anscheinend schlies.
Ein seltsames Gesicht war das .....
Unter den geschlossenen Augen war
ein Mund, der fortwährend stumm
vor sich Lsinlächeltr. Bald merkte
Margot, daß die Fremde doch nicht
schlief, denn ihre feine weiße, blau
qeiiderie Hand glitt ab und zu wie
suchend zur Seite, wo ein ungefähr
vierzehnjähriger Knabe saß, der in
einem Buche las, und jedes Mal,
wenn die Mädchenfinger die dünnen
Hände des Knaben streiften· lächelte
-er auch und sagte ihr irgend ein paar
JWorte:
»Ja, ja . . . nun sind wir Md da, ·
Mariechen«, oder »Zieht’s Dir auch
»nicht so nah’ am Fenster -«
s Dann lächelte das junge Mädchen
snoch versonnener, und antwortete,
«vhne die Augen zu össnen.
Margot fühlte, Ivie ihr das Blut
siedend heiß im Gesicht saß. Sie tam
gar nicht los von diesen geschlossenen
Augen. Sie machte sich umständlich
mit ihrem Gepäet zu schassen, rückte
und räumte, und stieß dabei ihren
Schirm um« und gerade aus die Füße
der Fremden.
»Verzeihen Sie«, sagte sie hastig,
indem sie sich bückte, um ihn aufzuhe
ben
Da war aber der Knabe zuvorge
tommen, hob den Schirm aus und
überreichte ihn Margot mit leichtem
Kopsnickm
»Meine Schwester isL blind«, sagte
er ertliirend. »Sie möchte gern, daß
ich ihr erzähle, wer mit uns im Cou
pee sitzt, dars ich dag?«
IJtargot niate und wurde noch rö
thek und heißer dabei. Der Knabe
benahm sich wie ein Herr. Mit ru
higer Sicherheit wandte er sich-an
seine Schwester:
»Es ist eine junge Dame in Dei
nem Alter, die Dir gerade gegenüber
sitzt, Mariechen. Sie hat braune-Z
Haar, braune Augen, nur größer ist
sie wie Du·«
Die Blinde hatte aufmerksam den
Raps erhoben, jetzt streckte sie die Hand
Aus,
»Und iehr traurig, nicht wahrs«
fragte sie leise in der ihr eigenen, klin
genden Aussprache
Margot zuckte zurück. llnd gleich
hinterher griss sie zu und nahm die
tastend ausgestreckte Hand.
»Woher wissen Sie dag?«
Die Andere saß wie lauschend da.
»Ich hörte es vorhin an Jhrer
Stimme, als exie von Jemand Ab
schied nahmen an der Coupeethiir.
Und an Jhrem Athem, Jhren Bewe
gnngen . . . denn wir Blinden süh
len, was wir nicht sehen sonnen Un
sere Phantasie giebt überall ein Stiict
chen zu Reisen Sie weit, liebes
Fräulein?«
Margot saß wie aus Kohlen. Vor
diesen blinden Augen hatte sie bei
nahe ihr Reiseziel und ihr herzeleid
vergessen. Jetzt fiel ihr Alles wieder
ein.
»Nach Drontheim«, sagte sie tur,z.
»Wir nach Wiesenhagen«, sagte da
die Blinde beinahe jubelnd. »Dort
hat meine Großmutter ihr Gui.
Rennen Sie Wiesenhagen?«
Mai-got nicktr. Jhr siel ein, das-,
ein Bauernhos so hieß, den die
Blinde so stolz »Gut« nannte. Sie
war als Kind manchmal mit Dniel
Pastors Wagen da vorbeigesahreis.
Ein lahm-, mit rothem Ziegeldach be
decktes Haus muszte es sein, ein vaar
Stallnngen dabei, und ein verwitter
.ter Garten, der an ödes, slacheg Acker
land grenztr. Drontheim dagegen
hatte Wald, bergige Felder, sogar ei
nen blauen See hinter den Kleetoie.-;
sen . · .
»Sie antworteten ja gar nicht«,
sagte die Blinde. »Aber Sie nickten
wohl?«
Magot erlchrat vor so viel tlarem
Denten.
»Ja . . . ich nicktr. Jch halte ver
gessen, das; Sie..." das schreckliche
Woge-l »blind« wollte nicht iiber ihre
Lippen. Was war denn überhaupt?
Was ging mit einem Male in ihr
vors Mit zusammengepreßten
Händen sasz sie da und hatte ein Gel
sithl im herzem das beinahe wie
Scham aussah. Aber warum denn?
l
Die Blinde lächelte ihr strahlende-Z
Lächeln weiter-.
»Das schadet nichts. Sie brauchen
auch gar nicht daran zu denken, daß
ich nicht so sehen tann wie Sie Jch
vergesse das ja auch sehr ost Jch bin
so sehr glücklich, daß ich wieder ein
mal nach Wiesenhagen dars. Mein
Bruder fährt gleich wieder zurück, der
muß ja zur Schule, und hat heute nur
den einen Tag stei, um mich hinzu
bringen. Wiesenhagen ist wunder
schön! Großmutter schreibt, daß im
Garten sogar die Rosen blühen. Den
ken Sie nur, im November noch Ro
sen! Die sind gewiß extra sür mich
stehen geblieben. Aber Vater hat
Recht, Wiesenhagen liegt so sehr ge
schützt, da kommt der Winter nicht so
schnell hin, wie in unser nördliches
Land. Jch tann das so gut brauchen,
wärmeres Klima, und lonnte die Zeit
taum abwarten, bis ich die vertrau
ten Plätze alle wieder habe, das schöne
Haus, die Ställe, den wundervollen
Garten neben dem Feld. Da ist auch
ein Jagdhund, Bello heißt er, der geht
aus Schritt und Tritt neben mir.
Wenn Bello bei mir ist, fürchte ich
mich niemals. Und die Dorfkinder
..ach, liebes Fräulein, auf die Dorf
lcnder sreue ich mich am allermeisten.
Ganz kleine, zutrauliche sind dabei
mit Löctchen wie Seide und einem
Lachen wie Glockengeliiute, wenn die
Klänge deg Sonntags herüberwehen
von Drontheim. Jch tenne sie alle,
sie tennn mich alle, ich habe große
Tiiten in meinem Koffer, wir singen
zusammen, ich zieh’ ihnen Püppchen
an . . . ach, ich freu’ mich doch so .. «
»Ja, aber wie wissen Sie dennl
davon . . . wie lernten Sie denn das
Alles tennen mit Jhren blinden Au
gen«, wollte Margot rufen, sie
tonnte aber nicht. Ein Weilchen saß
sie und hörte zu, dann, als die
Fremde still war und sich wie ab
wartend gegen sie vorneigte, sagte sie
leise: »Ich fahre"auch zu Verwand
ten, mein Onkel ist Pfarrer « in
Drontheim. Aber ich wollte da gar
nicht hin, und ich bin iehr unglück
lich darüber ——- hätte sie doch nun
eigentlich hinzusehen miissen ge
rade jetzt muss» ich in solch einein
Nest sitzen, ohne Vergnügen, ohne
meine Freundinnen oder Gerd Wall
mann . .
Ja, warum sagte sie das nichts
Die Thriinen, die ihr lose hinter den
Augenlidern saßen, galten ja gar
nicht mehr dem eigenen Kumnier,j
ein tiefes, großes Erbarmen sülltes
ihre Seele... Was war denn ge i
schehen? Ihr eigenes klein«-S Leids
war ja aar nicht mehr da, ein gro-—j
fees gutes Geiiihl zwang ihr gerade!
die Hände zusammen, als ob sie bej
ten müsse, danken siir etwas-, dass inl
jäher Erkenntnis-, in ihr Leben hin !
eingetoncmen war War es derl
lachende Mund unter den htindenY
Augen? War eg das fremde, riihsI
rende Gliietlichfein iiber jede ·leiue’
Freude am Wege, trotzdem sie die
Freude nur fühlen konnte? Und sie
mit ihren gesunden, hellen Augen«
die Vater, Mutter-, die Geschwister
und den Liebsten feh:n, anstrahlen
tonnten ..... die den Weihuachtzs
baum in turzer Zeit wieder aufleueh
ten sehen würde daheim, sie war
schon unaliicktich gewesen, weil sie
ein paar vergniiate Stunden durch
diese Reife uerlork Alle, die sie liebte,
nicht mehr mit den Blicken umfassen
können. den Himmel, die Blumen,
die oertrautne Wege ihrer Kindheit,
Onkel und Tante im epheuum
tränzten Psarrh»1ug, den weißen
Winterschnee und die goldene Friih
lingssonne nein, so lächeln wie
diese seltsame Fremde hätte sie dann
niemals können . . ..
Die Blinde hatte ein Weilchen
stumm dagesessen, während der junge
Bruder in seinem Buches-EIN Als
Margot aar zu lange schwieg, ver
schwand das strahlende Lächeln uiu
den Mund der Lanschenden
»Sie dürfen sich durch meine sslin
den Auan nicht traurig stimmen
lassen, Liebes Fräulein«, sagte sie
bittend, »ich habe meine Welt· voll
Licht deshalb ebenso gut wie Sie.«
Da schluchzte Maraot, wie von
schwerer Last befreit, aus und reichte
ihre heiße Hand wie abl)itteni: der
Fremden hinüber. Und suhr in den
triiken Nebeltaa, in Psliiljt und
»Meis; und Einsamkeit hinaus-« als
Jmarte da draußen ein Meer non
: Gliicl aus ihr Kommen . . ..
—"—-—---——
Deutlicher Beweis.
Vertheidiaen Daß mein
Klient den Kasseneinbruch nur, weil
von Hunger getrieben-, begangen hat«
erhellt schon aus der Thatsache, das:
er nach der That unverweilt in ein
Restaurant sich begab und dort ein
Souper zu siins Gängen besiellte.«
Alt fWiener Musik.
Der reiche und verwickelte Charakter
einer hervorragendenstulturstäite spie
gelt sich ost in einer. wenn auch engbe:
greniten Kunstgattung am klarsten
:oieder· So loar eg der Kaiserstaot
Wien von jeher vorbeh.1lten, ihre ganze
Denk- und Gemüthsweise in der
von allem los-gelösten Tonkunst
erklingen zu lassen. Ein Nitinnes
sang Walterg von der Bogens-ei
de, ein Menuett Mozarts-, ein Schu
bertsches Lied, ein Straußscher Walzer
« sie alle sind die abgekürzte Chronik
ihrer Zeit und Heimath Es ist ausfal
lend, wie sehr von jeher in Oesterreich
die bildende und die Dichtlunst hinter
der Musik zuriickstehen mußten. Selbst
Grillparzer, den ein unstillbares Seh
nen zurMusik zoa.vercnock)te als Wort
liinstler nicht die Höhe zu erklimmen.
die seine Landsleute Mozart und
Schubert als Tonkunstler fast mühelos
nahmen. Einen Denker vollends-, der
den sächsischen oder schwäbischem der
Kant oder Schopenhauer an die Seite
zu setzen wäre, wird man überhaupt
nicht finden in der Entwicklung dieser
Stadt, in der seit Jahrhunderten alles
in Töne sich auflöst. Viel hat dazu
in der ersten Hälfte des 19. Jahrbuu
drrtg, der Hauptglanzzeit der Wiener
Musik, gewiß die Metternichsche Cen
sur beigetragen. Sie verwehrte alle
freien Erzeugnisse des Wortes-. und
nur in der Musik, die fiel) nicht beauf
sichtigen lässt konnte der Wiener zum
Ausdruck bringen« was ihn bewegte
Aler denHauptgrund siir die Vorderr
scinist der Tonkunst wird man gewiß
iu, dem Wiener Charakter zu suchen
haben,wie er sich durch eine altgescliichti
liaie Entwicklung und ein seltsame-:
Rassengeniiicli schon sriih herausgebil
det hal.
Es gibt auf dem eitrapäischen Fest
lande noch eine andere lssroszstadt in
deren Vollscharatter unthinstbediirf:
nig das Musilalische durchaus über
tviegt: Neapel. Auch hier hat, wie in
, ien, eine vrnntvolle Vergangenheit,
verbunden mit natur-schöner Lage. die
Lebensfreude und den ästlzetischenSinn
angeregt und gebildet. Auch hier
scheint dass höchst rertviclelte Rassenge
misch eine der Hinderungeursachen fiir
große Werte des Gedankens und der
That. Wie der Wienet. so ist auch der
Neapolitaner durch eine, wenn auch
ganz anders geartete müßig frohe
Soralosigteit ausgezeichnet-die sich eben
in nichts anderm lieber und leichter
ausdrückt als in Sang und Spiel.
Freilich ist in Neapel der Sang, die
Kanzone, das Verkehr-Mittel des
Volkscharalterg. Ja der Melodie liegt
das Verloclende, nnd es ist von tiefer
Bedeutung, das-, schon die homerische
Sage die Sirenen auf einer nahen
Klippe singen läßt. Jn Wien dagegen
ist die Tannneise immer dag. stärkste
Loclmittel fiir Geister und Herzen aes
tvesenr von dem Tanzrlmtlsmug Neid
tiartg den Reuentltal bis auf den«-Drei
Dierteltatt des Walzerlöiiig5. Die
Preisgelriinten Lieder der «stiedigi«ottas
feste sind fiir die Neapolitsner was fiir
die 0llten Miener beim Zperl und in
der Mehlgrube eine neu komponirte
Straußsche Janiiveise war. Beiden
ist es eine nationale Sache-, wie den
Deutschen die Wacht am Rhein. Im
Salone Marglserita stimmt der Neapo
litaner, fast ohne es zu wollen und zu
wissen, die neuefte Weise mit an, und
demWiener gerathen Herz und Beine in
Schwingungen, wenn er die Klänge
des Donauwalzerg Verniunnt
Ein Zum Besten des Johann
Str-ariss,—Dentnials unlangst im Gro
ßen MusiisVereianasrl oeranstalteter
Abend zeiate so recht, trac- in der Rai
serstadt die AltWiener Musit noch
vermag. Natürlich durften tyiero die
leicht beschwingte Melodie und die
Ton-Weise nickt allein zu Worte korn
men. Der schnellverständlichen Musik«
die sich mehr au das sinnliche Behagen
des Volkes wendet, hat in Oesterreich
immer die ernste Tontunst, die dem
tiefsten Einvsinden zusaah ein glückli
ches Geaenaensickst aeboten Schon
.«fieidi)-.irt nnd Vtalter Vertörtiern die
;sen Genesisatz Tie Sdkixtsertsche Me
. lodie ist der ernste llnterton der Tänze
des alten Lanner und desz Joinmn
Stransz Vater. Ten breitem Schich
ten bebauten lanae die Ostern Rossiuicj
als betönnnlickere Kost, dann die Wer
te Beethovens Kind Weber-H Als te
sonders scharfer isteaensati wirkten in
neuerer "«kteit·die schwerlsliitiae sinnst
Von Viasnusi nnd die leichte Muse sei
nes Freundesk- Jrhann Strauß, des
Walzertörrias. So brachte denn der
Abend, durch die erstenKiiustler Wiens
dargesteilt und ausgezeichnet,neben. den
Straußschen Tan·3weisen, die in einein
Melodienstrausz vonAnno dazumal des
bunttostumirten Bachrichquartetts ih
ten orginellsten Ausdruck fanden, auch
Werke von Mozart. Beethoven und
Schubert. Wenn sich so die Werke Alt
Wiens zu einerGesnmmtleistung verei
nen, dann gibt sich besonders klar Der
Charakter dieser ortgeigenen Kunst zu
erkennen; neben dem Volksthiimlichen
erklingt das Vielsnch-Fremde, neben
dem ständigen Grundilang die durch
hen Wechsel der Zeiten trensirtte Modu
lation.
Wenn die Allgewnlt der Wiener
Musik durch etwas von vornherein
bewiesen ist, so ist sie es durchihre
Wirkung nus die durchaus anders ge
artete Kunst eines Beethoven und Jo
hannes Brahms. Daß ein nieder
deutscher Musiker sich an der Donau
tvohtfühtt, scheint selbstverständlich; ,
daß seine Kunst sich in manchem wie- "
tierisch färben wird, leuchtet auch ein.
Aber daß sie auch der Wiener Urform,
dem Tanze im Dreivierteltatt, huldig
ten, ist immerhin der höchste Zoll, den
Beethoven und Brahms ihrer zweiten
Heimath entrichten konnten. So ha
ben denn auch die im Walzerrhhth
mus sich schwingendenLiebeslieder, in·
denen Brahms seine eigenartig nord
deutsche Betonung aus Alt-Winter
Weisen anwendet, seinerzeit ein fro
hes Erstaunen seiner geliebtn Wiener
hervorgerufen. Eduard Hanslick
meinte gar frohloclend, daß in Wien,
hätte er es ausgesucht, auch der alte
Bach in eine ländlerische Manie ver
siriett worden wäre, Beethoven jeden
falls hat sich ihr gern und oft ergeben.
Die Zahl seiner Wiener Sang- und
Tanzwerte scheint neuerdings ber
mehrt durch die in Beethovens Som
mersitz Mödling ausgesundenen und
ron Hugo Riemann dem Meister zu
geschriebenen Mödlinger Tänze. Diese
vier Walzer, sitns Menuette und zwei
Ländler kamen an dem Alt-Wiener
Abend durch das oerstiirtte Rosequar
tett zur Erstanfsührnng. Auch sol
che, die nicht wie die beiden großen
Niederdeutschen in der Wiener Musik
ganz heimisch wurden, lassen einen
lnrzen Wieuer Aufenthalt in ihrer
sinnst verspiiren. Robert Schumann
wurde in Wien zu seinem Faschingg
tctnvant verführt, und Richard Wag
ner empfing dort indriicke, die im
zweiten Alt der Tijteistersiuger Gestalt
gewannen Von den großen Klassi
tern sind Haner und Mozart zwar
teine Wiener Kinder, gaber solche, die
ihr Bestes in Wien gelernt haben.
Dagegen sind Schubert nnd die drei
Tanztomponisien so recht aus der
Fiaiserstadt hervorgewachsen. Viel
leicht verbindet gerade die gemeinsame
Schotte den Komponisten der Müller
lieder mit dem jüngern Strauß, trotz
allen Unterschiede-J in Werth nnd Art
ihrer Runstleistung Dazu tommt,
wag nicht übersehen werden will, daß
beide ans einer Ajtusitantenfamilie
stammen und mit den Tönen großge—
zogen sind. Der Wiener Geist, der
ibnen durch Heimath und Hertnnst
mitgegeben ist, äußert sich bei Schn
dert nnd Johann Strauß gleicherart
in einer nnerschopslicheu Melodien
fülle-, die der stmsenZnsanunenfassung
gern entrak. liine im ttlnggeben der
Fiille frohe Zorglosigteit lennzeichnet
ihre sinnst wie ihre Wiener ltiemiitth
urt.
In der Tanztoeise freilich berührt
sich Schubert mehr mit seinen Zeitge
nossen Lanner und Johann Strauß
Vater. Denn gerade der Tanz hat
sich mit eaneiten und Moden gewan
« delt. Der Rototogeschmack drückt sich
in den Menuetten Mozarts und
Haydns am ertennbarsten aus. Sie
rifuschtern wie Schumann sa·gt, mit
langen Schlepptleidern daher. »Aber
mit dem allmählichen Verschwind-en
der tontrapunttischen Allgemeinhei
ten,« meinte er weiter, ,,vergingen
auch die Miniaturen der Sarabanden
und (t)avotten.« Vor allem beginnt
der durchaus hösische Ton der Rototo
lzeit, in der ersteuHiilste des 19.-Jahr:
hundert-Z dem bürgerlichen des Bie
tiermeiergesclunacteg zu weichen. Aus
ihm entloietelt sich nach dem hösischen
Tanz der deutsche Tanz. Pflegt
und verfeinert Beethoven noch beide
Formen, so erhebt zuerst Schubert den
,,Deutsehen« zur Alleinherrschast und
legt in diese Form den ganzen Reich
tburu feiner Melodien, au denn sich
ais-ji die Vanzweisen feiner Alters-gei
nvsseu Banner und Strauß bilden.
Nach den gemächlichen Tanztveisen des
Viedermeierthumg endlich gibt sich das-:
moderne Wien in den feurigen und be
am echtesten zu ertenneik Zwar hatte
schon Weberg Anforderung zum Tanz
vom Jahre Mit-, demselben Jahre,
wo sich Strauß und Lanner zusam
menthateu, Zeitmaß usw«-Temperament
l·et"chleunigt, aber Johann Strauß
Sohn ist doch der eigentliche Vollendet
dieser letzten Gattung.
Allerdings ist mit diesen «Zeitniert
malen der Gesammtckiaratter der Alt:
Wiener Musik nur unzureichend ange
deutet. Es bedarf vor allem noch ei
nes Hinweises auf die stammlichen und
nationalen Bestandtheile. Mozarts
Rototo ist noch italienischer, nicht etwa
deutsch - totenetischer Art. Der erste,
der Oesterreich für die Musik entdeckte,
ist Haydn. Seine Voltshynme stammt
ang- dem Jahre 1797, dein Geburts
juhrss Schubert5. Haydn bringt aber
auch zum ersten Male das Ungakische
Element in die Wiener Musik hinein,
das von nun an in dem Zusammen
llung immer vernehmbur bleibt. Wie
Hund« in Egzterhuz und Eisenstadt die
seltsamen Piqeunersweisen stndirt und
als erster in seinen Werken fruchtbar
macht, so bereichert Schubert in Zelez
sich und seine Kunst an den ungnti
selten Klängen: die Sinfonie in C, das
Tivcrtissement Ei la hongroise und
viele andere mit dem Zigeunerelement
durchsetzten Werte geben dafür Zeug
niß ab. Besonders gMeklich mischt sich
in vielen Weisen des Johann Strauß
wie-tierische und ungarische Art; man
denkt da vor allem an den Zigeuner
bar.on. Auch die uralten Gebirgswei
sen; die Schnaderhüpfln und das Jo
deln macht Strauß seinem Winzer
rhhthmus mehr dienstbar, als manch
wackerer Tänzer denken sollte. Wäh
reTrd Beethoven der auch dem herr
schende-i italienischen Geschmack bald
entsagte, sich in seiner einsamen Größe
weniger dem interessanten Vielklang
österreichischer Nationalitäten aussetzt,
hat sich ihm Brahms besonders gründ
lich hingegeben. Jn seinen Wiener
Liebeswalzern kommt auch die madja
rischeGemiithSarr zum Ettlingen, noch
mehr in den Zigeunerliedern, die frei
lich, mit norddeutsel,-er Lthhthmik und
Jnniakeit durchs-Its nicht so leichtfliis
sia sind» wie die ungarischen Werke
Hahdns und Schuh-ketz- Sodann hat
Beohn15, wohl alS erster unter den
Wiener Musikern, den reichen Gehalt
slairisch : tschechischer Musik sich zu ei
gen gemacht: die seltsam schöne Rhyth
rnit u. Harmonik besonders seiner Jn
strumentalmusil ist zum großen Theil
auc- dieseni Einfluß zu begreifen und
zu erklären. Aber die stoffliche Viel-s
heit und tiesdurchdachte Kombination
einer Brahms-schen Sinfonie ist doch
int Grunde ebensowenig wienerisch wie
die einer Beethovens-l»5:n. Die Urform
deg Wienercs ist doch der Tanz und die
Melodie Das zeigt sich vor allem bei
Johann Strauß, wo er das Gebiet der
Lin-rette betritt Die Fiille der köstli
chen Melodie, aber nicht ein geistvolles
Fur und Wider in der Musik haben
feinen Operettenruhrn gemacht. Ohne
Zusannnenhang und Auggana »in ten
nen, tomponirte er stiickweise die jam-«
mervolken Leistungen seiner Textdich
ter. Hier sind ihm die Franzosen
Audran und Offenbach an enger Füh
lrsna mit seinen Unterhaltunggftiicken
nnd an Geist und Witz in der Musik
vorang, wag sie an siißer Gefühls-selig
keit ihm nachgeben
Man könnte fragen, ob die Wiener
Musik auch heute noch den llr Wiener
Charakter beibehalten hat und wider-«
klingen läßt. Es wäre sonderbar,
wenn der starke Zusatz dec- frenrden,vor
allem des indischen und slawischen
Glennsntegf sich nicht gerade in der lan
desüblichen sinnst der Musit geltend
machte. Wie die Singhallen der Wie
ner Vororte, in denen vor Jl) Jahren
nur EchtiWiener Sangtoeisen erklan
gen, heutigegtagg ihrer alten Art ent
sagt haben, und z. B. den ganz unwie
tierischen Cancanrhhthmng pflegen, so
ist auch die Operette allgemach inter
nationaler geworden. Der Komponist
der Lustigen Witwe ist nicht dem Wie
ner Boden entwachsen, und der Israe
lit Ostar Straus hat mit dem Schöp
ser der Fledermaus nur den Namen
gemein. Auch in der ernsten Musik
Verlörpert z. B. Gustav Mahler das
Abweichen von der innig melohiösen
Weise und ein starleg Hervortehren des
technischen Könnens und der geistrei
chen Formgebung, Fähigkeiten, die der
spraelit von jeher besessen hat Aehn
lich haben etwa Arthur Schnitzler und
Hugo tin-n Hofmannsthal, nnd nicht
lnur sie, die Wiener Literatur mit
iorientalisrher Art erfüllt Jm Ver
gleich dazu ist die Pariser Fionverser
tiesi1gtunst in Operette und Lustspiel,
abgerechnet natürlich denWandel durch
sdeii Zeitgeselnnaeh ihrem alten Charat
fee-r treu geblieben, toeil eben ihr Hei
matbsort nicht in der Weise dem srem
den Zuzug ausgesetzt ist. Aehnlich
haben die Stanzonen der Piedigrotta
in Neapel ihre Alleinherrschaft im
Volke benannte-L
Dr. Erich Unterter «
—
Aus dem juristischen lssxametk
Professor: »Was- versteltt man un
ter einckn Ossenlkirunageid, und wer
kann einen solelsen leisten?«
standidai schtreiat behirrlielx
Professor: Um ehnen das an ei
nein Beispiel «tl1r Zu machen: Sie
tiinnten einen solchen mit gutem Ge
wissen dahin schwör-en, das-, Sie nicht-H
im Kopfe haben!«
Wenn die Glocken der Erinnerung
läuten, wird es Sonntag im Herzen.