Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, December 17, 1909, Zweiter Theil, Image 18

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    Der verschollene Sohn
Roman von
M. Betzhold
(23. Fortsetzung)
»Das war vielleicht etwas zi- viel
behauvtetl Aber damit Sie Alles ver-—
stehen, muß ich von vorne beginnen.
Als unser früherer Polizeidiener ge
storben war. konnten wir lange keinen
tauglichen Mann für die Stelle sin
den, Einige wurden angenommen,
aber auch bald wieder entlassen, sie
waren gewiß recht brave Leute, aber
die Energie fehlte ihnen. Da tam
»der Deß und nun war der Rechte ge
sunden. Woher er lam und wag er
friiher gewesen ist, das hat außer den
Stadtriithen Niemand erfahren und
vielleicht ist auch denen die Wahrheit
nicht einmal bekannt geworden. Er
war im Anfang ein tüchtig-Or Beam
ter, das mußte man ihm lassen, er
trat träsrig und entschieden auf und
mußte sich Respekt zu verschaffen Aber
das änderte sich bald. Ich glaube, daß
die Frau einen schlimmen Einfluß aui
ihn geübt hat, sie war immer ziintisch
habgierig und tnauserig und von dem
; geringen Salbe-ließen sich teinezchätze
zurücklegen. Deß ergab sich dem
Trunk, aber er versah sein Amt noch
immer streng und pünktlich Da wur
de unser Goldschmied bestohlsenx der
Laden war in der Nacht fast ganz
ausgeräiimt worden und in dieser
Nacht hatte Heß die Wache gehabt.
Der Dieb ist nie entdeckt worden« man
hat auch niemals von den gestohlenen
Sachen etwas wieder gesunden, trotz
dem aussallenden Eifer, den Heß ent
wickelte. Der Förster Brintmann
schien darüber mehr zu wissen, er
mochte wohl auch den Heß Von früher
her tennen, wenigstens vermuthete ich
das aus den Aeußerungen, die er ein
mal fallen ließ, als ich ihn mit mei
nenr Kahn über-setzte Jch entdeckte
auch, daß Heß ihm aus dem Wege ging
und überhaupt nicht gut auf ihn zu
sprechen war, und ich fand oft genug
Gelegenheit, die Beiden zu beobachten.
So auch an dem Tage vor der Nacht,
in der Brinkmann ermorFet wurde.
Jch sah die Beiden auf dern Werst’
beisammen stehen, ich konnte nicht hö
ren, was sie sprachen aber ans ihrenj
Geberden und ihremHltienenspiel ent-!
nahm ich, daß sie sich keine Artigleiten
sagten. Es kam mir ganz so vor, als·
ob Brinlmann dem heß drohe, und
ich bemerkte- auch- daß Deß suchte-n
als der Förfter ihn verlassen hatte,
fuchöwild war. Diesem folgte eine
rauhe, unfreundliche Nacht, im Kalen
der war allerdings Mondschein, aber
durch das schwarze Gewölk brach der
Mond nicht durch. Jch saß in mei
nem häuschen und dachte darüber
nach, wie es später werden würde -«—
Sie müssen wissen, daß ich damals
eine Braut hatte und ernstlich ent
schlossen war, zu heirathen. Und ge
rade in jenen Tagen war das Mädchen
krank geworden, —-— sie sollte nicht
wieder besser werden! Sorge und Un
ruhe ließen mich nicht schlafen, so saß
ich denn allein mit meinen trüben Ge
danken, als ich plötzlich in der Ferne
einen Schuß fallen hörte. Am Rhein
tiimniert man sich nicht sonderlich um
einen Schuß, da wird jeden Tag ge
set-offen man ist es gewohnt und dentt
sich nichts Schlimmeg dabei Und
doch hatte dieser Schuß für mich et
was Auffallendes, ich wußte selbst
nicht, weshalb Er mußte in der
Nähe von Meinener gefallen »ei«.,
ich verließ mein Häuschen und sah
mich aus dem Werste um. Und jetzt
kam auch der Mond für einige Mi
nuten zum Vorschein, nnd da ich im
Schatten stand, so konnte mich Nie
mand sehen, ich aber bemerkte ganz
deutlich den Mann, der von Hemms
kuh kam und es sehr eilig zu haben
schien. Es war der Polizeidiener Heß,
er schritt rasch an mir vorbei und
ging in’s Städtchen. Später wurde
die Leiche des Föesters im Fluß ge
funden und die Wittwe klagte den
General v. Steinthal des Mordes an.«
»Und Sie haben von dem, was Sie
in jener Nacht entdeckten, keine An
zeige gemacht?« fragte hagen
-,.Mich hat Niemand gefragt, und
was hätte ich denn anzeigen sollen?
Konnte ich beweisen, daß Heß den
Schuß adgefeuert hatte? Konnte er
nicht behaupten, et set in der Nähe ge
wesen und sofort nach Klemeniruh
Mit, um zu erforschen, wer geschos
sen habest Verdacht habe ich immer
M, aber ich wollte mir die Finger
nicht verbrennen so lange ich keine
Mc hatte. Ich hatte ja auch
ohnehin Sorge genug, meine Braut
;«- ed und ich konnte das lange nicht
net-taten . Dann Laut gleich dar
W M Oestmeich und
noch Landwedrntann war,
mit in’i Feld; spater war
sie- Ite MW gewachsen
;- M nicht mehr den Muth,
- sit einer Anklage heran
»Und wie ist es mit den Einheit
chen?« fragte er. »Haben Sie auch
in diesem Punkte Entdeckungen ge
macht?«
»Nur in der Nacht, in der bei dem
General eingebrochen worden ist. Ein
furchtbares Gewitter tobte in jener
Nacht; es war ein Unwetter, als ob
die Welt untergehen solle. Jch musi
nach meinem Kahn sehen und wie ich
taum vor der Thüre bin, höre ich in
Klemensruh schießen; gleich darauf
tommt die Frau Heß an mir vorlsei.
sie muß da oben Wache gestanden hi
den, aber mit Sicherheit läßt sich das
ja nicht behaupten.«
» »Jhren Mann haben Sie nicht ge:
"sehen?«
« »Nein.«
» »Jedenfalls war es auffallend ge
nug, dasz die Frau in solcher Nacht
und bei solchem Wetter draußen war,«
sagte Hagen, »Sie hätten das anset
gen follen!"
»Wem?« fragte Schorn in spötti
schem Tone. »Hm man mich denn
gefragt?«
»Sie mußten es dem Bürgermeister
breichten.«
»Und die Frau Heß anklagen? Jch
werde mich hüten! Kann ich ihr denn
etwas beweisen? Sie lann ja in jener
Nacht Kräuter gesucht haben! Sie
wissen wohl auch nicht. daß unser
Bürgermeister immer große Stücke
auf den Deß gehalten hat« da hätte
ich mit meinem Verdacht in ein Wes
dennest gestochen. Na geben Sie mir
noch einen Schluck die Kehle ist mir
trocken geworden! Jch hsbe Jhnen
nun Alles gesagt, was ich weiß viel
werden Sie damit auch nicht aussich
ten, und ich vertraue darauf, daß Sie
mich nicht in unangenehme Geschich
ten bringen, Aerger habe ich ohnehin
genug."
Hagen hatte das Glas wieder ge
füllt, der Fährmann trant es hastig
aus und erhob sich, es war spät ge
worden, und die Wirkung des schwe
ren Getränles machte sich auch geltend.
»Noch Einst« sagte der Beamte.
»Sie wollen ja auch in jener Nacht,
in der Ielsing oerungliiate, Verdach
tiges bemerkt haben! Was haben Sie
»geseheni«
Z »Ich sah vie Beiden abfuhren-«
! »Waren wirklich zwei Personen in
dem Kuhmi«
»Ich hab’ gesunde Augen, es waren
zwei Herren, aber der Doktor trug
diesmal nicht den Schleier auf dem
Ihnt.«
»Ertannt haben Sie ihn also?«
»Jawohl.«
»Und weshalb verhinderten Sie die
Joa- Iahkt nichte
»Was war denn Toueg daran-»
svottete Schorn. »Zwei kräftige
Männer, ein solider Kahn, heller
iMondschein und ruhiges Wasser —
va sollte da eine Gefahr sein?'«
»Sie find ein sonderbarer Kauz,«
ksagte der Beamte ärgerlich. »Sie
wissen, daß ein Verbrechen verübt
Iworden ist und schweigen —««
. »Was weiß ich?'« suhr Schorn aus.
i»Hat die Frau Brinkmann nicht auch
aus-gesagt, es seien zwei Personen in
idem Kahne gewesen? Und hat diese
EAussage Glauben gesunden?«'
I »Sie würde Glauben gesunden ha
Iben, wenn Sie diese Aussage bestä
z tigt hätten.«
T »Und was dann? Der Doktor hätte
jvielleicht zugeben müssen, daß er sich
san der Fahrt betheiligte, die Beiden
isind lustig und übermüthig gewesen«
sder Kahn ist umgeschlagen und nur
sder Doktor hat sich retten können.
kWie wollen Sie den-Mord beweisen?
sDer Doktor war hier mit den vor
Inehmsten Familien vesteundet —«
· »Sie sagten ja vorhin selbst, Sie
ihiitten ihn immer für einen Schwind
ler gehalten —«
»Aber ein Schwindler ist doch im
kmernockstein Mörder! Wenn mich
·der Richter gefragt hätte, würde ich
Instit-lich die Wahrheit gesagt haben,
iaber so lange man mich nicht fragt,
schweige ichs
Der Beamte mußte wieder den
IKops schütteln, aber die Verfassung,
Ein der Jakob Schorn sich jeßt befand,
Eließ weitere Fragen nicht rathsam er
scheinen, und der Fährmann wartete
diese auch nicht ab, er verließ nach
kurzem Gruß das Zimmer, ihn
schiene zu ärgern, daß er zu all die
ssen Mittheilungen gezwungen worden
Mk.
W.
In demselben Abend, an dem -
die Mark-ein des -
W erfuhr, stand der Doktor sit
ter ans dem M des sahns-set
Or hatte einen Hatte-ten ins St
M M U
J
I
sk
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Z .
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tor aus dem Perrom unxdie Passagiere
zu mustern.
Ei stiegen nur wenige Personen
aus, und nur eine war unter ihnen,
die des Doktors Auswertsamteit fes
selte, eine dicht verschleierte Dame,
die, nach Gang und Haltungizu ur
theilen, noch jung sein mußte.
Die Dame sah sich nach allen Sei
ten um, als suche sie Jemand, dann
trat sie aus den Doktor zu, der ihr
rasch entgegen ging.
»Ich bin hier fremd, mein sein«
sagte sie mit wohllautender Stimmr,
»dars ich Sie um Ihren Rath bitteni
Jch weiß nicht« wo ich absteigen
soll —«
.Wollen Sie sich meiner Führung
anvertrauen. so werde ich mich bemit
hen, dieses Vertrauen zu rechtferti
gen-" unterbrach er sie mit einer leichsj
ten Verbeugung »es gibt sreilich hietj
nur einen einzigen anständigen Gast-«
hos, und diesen würden Sie wohl auch!
ohne meine Führung finden, aber Sie
werden ans meine Empfehlung hin
besser ausgenommen und bedient wer
den «
»Ich bin Jhnen sehr dankbar,«
sagte die Dame, und der Ton ihrer
Stimme verrieth eine tiesinnere Erre
gung, «mein kleines Reisegepäck kann
ich ja später durch den Hausknecht des
hotels holen lassen.«
»Gewisz, gewiß, wenn Sie nicht
vorziehen, es sofort mitzunehmen."
»Ich weiß jeßt noch nicht« wie lange
ich hier bleiben werde! Haben wir ei
nen weiten Weg zu machen?"
»Der Bahnhos liegt etwas von der
Sadt entfernt —- aber erlauben.Sie
mir, daß ich mich Ihnen vorstelle:
Doktor Bitter, praktischer Arzt.«
»Meinen Namen werden Sie gewiß
schon gehört haben: Marie Felsing«
mein Bruder weilte ja im vorigen
Herbste einige Wochen hier.'·
.Sie sind die Schwester des Herrn
Werner Felsing?« fragte der Doktor
lebhaft. s
»Jawohl, die Sorge um meinen·
Bruder treibt mich hierher. Was ist
geschehen, herr Doktor? Meine Briefe
sind nicht beantwortet worden, der
letzte ift sogar als unbestellbar zurück
gekommen, und nun lese ich auch vor
einigen Tagen eine Aufforderung in
der ,Times’, pustc restantc hieher zu
berichten, wo ich aufzufinden sei, da
man mir wichtige Mittheilungen zu
machen habe.«
Der Doktor schwieg, die Worte des
Mädchens verriethen ihm, daß sie
über das Schicksal des Bruders noch
nicht unterrichtet sei, und es war für
ihn sehr peinlich, ihr diese hiobspost
mittheilen zu müssen.
Sie fchritten auf dem dunklen Weg
eine Strecke weiter, und als der alte
herr das Schweigen nicht brechen
wollte, nahm Marie endlich wieder
das Wort.
»Ihr Schweigen erhöht meine
Angst," sagte sie mit zitternder Stim
me» »Sie haben meinen Bruder ge
kannt, Sie können rnir Gewißheit ge
ben und tragen Bedenken, es zu thun.«
»Sie haben also gar nichts ersah
ren?« fragte der Doktor.
»Mein Gott« nein!«
»Und wer hat die Aufforderung in
der ,Times’ erlassen?«
»Das weiß ich nicht« sie trägt keine
Unterschrift, man hat mir nur eine
Chiffre angegeben, an die ich meinen
Brief adressiren foll.'·
»hm, hm, das ifi ja eine röthfel
hafte Geschichte!«
»Aber noch röthselhafter ist Jhr
Schweigen, herr Doktor!«
»Doch nicht, mein Fräulein. Aber
wir können weder auf der Straße
noch im Hotel ungestört über das
Alles sprechen, darf ich Jhnen einen
Vorschlag machen?«
»Ich werde Ihnen dankbar feint«
»Erzeigen Sie mir die Ehre, mich
in meine Wohnung zu begleiten, ich
werde Ihnen dort Alles berichten, was
Sie zu wissen wünschen- Mein Alter
und mein Stand —«
»Ich nehme es an, Herr Dottort«
»Das freut mich! Resolut ohne Zie
rerei, so hab’ ich’s gerne. Wir werden
dann nachher überlegen, ob Sie im
hotel eintehren oder ob ich Sie zu
einer befreundeten Familie bringe. ich
glaube, das legtere wäre vorsuziehem
Wenn man nur wüßte wer die Auf
forderung erlassen hatt«
»Das könnte man vielleicht bald er
fahren!«
»Auf welchem Wege?«
»Nun, tch denke, man wird am
Postschaltee schon einige Male ange
ftagt haben, ob Briefe unter jener
Chissre angekommen seien, vielleicht
kennt der Postbeamte —'«
,Sie haben Recht,« sagte der Dot
tot hastig, »ich hätte daran nicht ge
dacht. Wir kommen an der Post obe
bei, dann werde ich mich ertundigen.«
»Und mein Bruders«
,Geduld, mein Fräulein, wir sind
bald zu hause. Kommen Sie von
Wien?«
»Nein, au- England. Jch hatte
dort eine Stelle —«
«Und Sie haben diese Stelle auf
gegeben?«
»Ja, ich wittde ei auch ohnevtes ge
than haben. Ich hätte freilich vorher
hier anfassen Wiesen« aber vie Unse
l
wißheit Aber das Geschick met-see
Isruders ließ mir keine Ruhe.« I
» Entschuldigen Sie mich einen illa-s
sgenblicl,« bat der Doktor, dann trat;
ier rasch in das Postgehiiude, aus dem;
Ist Nach Okskgm Minuten wieder zu«
»riickkehrte. z i
! «Zwei Damen haben sich erkun-.
.digt,« sagte er, »ich kenne Beide, eine
; von ihnenjft augenblicklich nicht mehr
Ehier, aber die andere können Sie viel- »
Ileicht noch heute Abend sprechen, ich;
werde ihr sofort einige Zeilen schicken.« «
- Die Wohnung des Doktors lag ins
der Nähe der Post, der alte herr(
führte seine Begleiterin in ein freund- l
lich ausgestattetes, trauliches Zimmer,l
und während Marie, seiner Aufforde
rung folgend, Hut und Mantel ab
legte, befahl der Doktor seiner haus
hälterin, eine Flasche Wein nebst ei
nem meiß zu bringen.
Er konnte sein Erstaunen nicht ver
bergen, als er in dat- schäne, bleiche
Antlih blickte, urn so tiefer schmerzte
es ihn, diesem Mädchen die nieder
schmetternde Nachricht mittheilen zu
müssen.
Aber bevor er dazu überging, setzte
er sich an seinen Schreibtisch, zehn
Minuten später verließ das Dienst
mädchen mit einem an Elfriede v.
Steinthal adressrrten Billet das Haus.
Marie Felsing hatte an diesem
Tage eine weite Reise gemacht, sie
fühlte das· Bedürfniß, den ermatteten
Körper zu erfrischen, und der Doktor
setzte sich ihr gegenüber und munterte
sie auf, wacker zuzugreiseru
Marie hatte endlich das Glas ge
leert, eine leichte Röthe färbte ihre
vorhin noch so blassen Wangen, und
die Augen erwartungsvoll auf das
wohlwollende Antliy des alten Herrn
heftend, bat sie ihn, ihr nun Gewiß
heit zu geben.
»Ich bin aus Alles gefaßt,· sagte
sie, ,ich habe aus der langen Reise
Zeit genug gehabt, über alle Möglich
teiten nachzudenten, und selbst das
Schlimmste wird mich start genug
finden, um es tragen zu tönnen."
Der Doktor wiegte zögernd das
graue haupt und rückte die Brille dich
ter vor die Augen.
«Und was haben Sie sich als das
Schlimmste gedacht?« sragte er.
»Ich habe mir gedacht." erwiederte
Marie Felstng zögernd aus Dottor
Bitter’ö Frage, «dasz mein Bruder
todt sein tönne!«
»Armes Kind!« seufzte der alte
Herr.
aMein Gott« so ist es wahr?« tief
das Mädchen, indeß ihre band seinen
Arm umklammertr. aWann und wie
ist er gestorben, und wie tam es, daß
mir teine Nachricht gegeben wurde?«
»Wie es gekommen ist? Er ist aus
einer Kahnsahrt verunglückt, und Nie
mand hat Jhre Adresse getannt.'«
»Verungliickt!« wiederholte Marie,
und ein herber Zug umzuitte dabei
ihre Mundwintel. »Dann hätte ich
aar wenigsten gedacht!«
»Es war ein thörichter Streich;
mitten in der Nacht wollte er allein
eine Kahnsahrt machen, sein Freund
hat ihm abgerathen, aber er hörte
nicht daraus, und von dieser Fahrt ist
er nicht zurückgetehrt. Einige Tage
später hat man die Leiche gesunden,
ich selbst habe sie vor der Beerdigung
besichtigt, aber teine Spuren gefunden,
die aus die Möglichkeit eines Ver
brechens schließen ließen.«
Marie hielt die Augen mit der
hand bedeckt und blieb einige Minu
ten lang in Schweigen versunken, nur
das stürmische Wogen ihres Busens
verrieth die innere Erregung.
»Sie sprachen von einem Freunde,«
nahm sie endlich das Wort« «hiesz die
ser Freund nicht Dotter Bruno Win
ter?«
Der alte here nickte bejahend und
erhob sich, um Elsriede zu empfangen,
die·tn diesem Augenblick eintrat.
Er mußte die Damen einander vor
stellen, und einige Worte genügten, sie
rasch einander näher zu bringen.
«Jch hatte nicht.erwartet« daß Sie
selbst tommen wirden,« sagte El
sriede, als sie neben dem Mädchen aus
dem Sopha saß, «es wäre mir ter
geworden, Ihnen die Hiobipo brief
lich zu senden.« — .
«Jch war aus diese Nachricht ge
saßi,« erwiederte Marie, »aber ich
danke doch dem himmel, daß der Dol
tor sich meiner so freundlich angenom
men hat, Andere würden mir wohl
die Botschaft nicht so schonend mitge
theilt haben Darf ich Sie nun sea-.
gen, gnädiges Fräulein, was Sie be
wogen hat, jene Aufforderung in der
,Tiines’ an mich, die völlig Unde
laiinte, zu erlassen?«
»Es war mehr das Wert meiner
Freundin Eugenie RiedeL sie glaubte
einen Verdacht hegen zu müssen —«
»Gegen den Freund meines Bru
ders, nicht wahrt-'
»Daraui, daß Sie das sofort er
tathen, darf ich wohl annehmen, dasz
dieser Verdacht begründet ists«
Marie Felsing hatte die seinge
voll-ten Brauen zusammen gezogen,
die Gluth des haqes loderte aus ih
ren bittenden Augen. —
.Dars ich bitten, mir die Einzeln
seiten jenes unglückan Ereignisses
mitzutheileni« sagte sie
Der Doktor kam dieser Bitte nachJ
er berichtete Alles ausführlich, ohne
selbst einen Verdacht auszusprechen,
den er ja auch bis zu dieser Stunde
nicht gehegt hatte. Auch Elfriede ent
hielt sich jedes Urtheils, sie berichtete
nur, daß Bruno Winter die Untern
dung Eugeniens mit Felsing belauscht s
hatte und dasz offenbar ein Geheim
nisz zwischen den Beiden gewesen sei,
welches Niemand habe ergründen tön
nen. Das allein auch« schloß sie, habe
Veranlassung zu dem Verdacht Enge
niens gegeben, da ja das Ereigniß
selbst anscheinend die Möglichkeit ei
nes Verbrechens ausschließe.
»Und ich glaube mit voller Sicher
heit behaupten zu dürfen, daß-hier
ein Verbrechen stattgefundenskdl hat.«
sagte Marie mit überzeugendem
Ernst. »Bruno Winter ist der böse
Dämon meiner Familie gewesen, ihm
verdanke ich alle schweren Schicksals
schläge, die mich betroffen haben. Er
hatte Grund, meinen Bruder zu
fürchten, die Enthüllung jenes Ge
heimnisses konnte ihn in’s Zuchthaus
bringen, und es ist möglich, daß mein
Bruder ihm damit gedroht hat«
«Diirfen Sie uns dieses Geheimnis
enthüllen?'« fragte der Doktor.
»Gewiß, ich muß es ja, um meine
Behauptung zu beweisen. Aber et
lauben Sie mir vorab eine andere
Frage, ist der Doktor Winter noch
hier?«
Nein, er ist schon vor Monaten ab
gereist, angeblich nach Prog, wohin er
einen Ruf als Professor erhalten ha
ben soll.« -.-·
»Aber er kommt im Laufe dieses
Winterswieder nach Köln, er hegt die
sichere hoffnung« die Hand meiner
Freundin zu gewinnen,« sagte El
friede in geringschiihendem Tone.
»Und nun, wenn ich bitten darf, be
richten Sie uns jenes Geheimniß, da
mit auch wir uns ein Urtheil bilden
können.'«
Marie Felsing nickte zustimmend,
ein schwerer Seufzer entrang sich ih
ren Lippen.
(Fortsetzung solgt.)
Eine neue Wunderlsöksle.
Unter den urfächlichen Erscheinun
gen und Vorgängen, welche die Uni
geitaltung der lErdoberleiche bewir
ten, nimrnk die Höhlenbildung ei
nen der wichtigsten Plätze ein.
Wenn wir diese Erscheinung in
ihrer Wirkung betrachten, so baden
wir darunter nicht nur die mehr oder
weniger großen Hoblröunre zu ver
fkeben. die in der Regel den Namen
»Höblen« führen, sondern auch alle
Hoblriiurne, die sich in dem Schichten
bau bilden bis berab zur Größe eines
Sandtornes. Ob nun die Hohlräunre
aus großen, ausgedehnten hör-ten ode-:
ob fie aus porenartiger Durchtedung
des Schichtenbaues bestehen. so ist fo
wobl die Ursache ihrer Bildung als
auch ibre Wirkung auf die Umgestal
tung der Erdobersläche irn allgemeinen
ganz gleich. Alle kleineren Hohlräu
me im Innern der de werden durch
das Wasser, das die ichter lösbar-en
Substanzen auslaugt und als Quellen
zu Tage fördert, vergrößert und alle
Hoblriiunre werden früher oder später
dadurch geschlossen, daß die Erdober
släche iiber ibnen einbricht. Eben diese
Hohlräurne der Erde waren bis vor
Kurzem noch das »ewig Verschleierte«
für die Wissenschaft; betrat doch kei
nes Sterblichen Fuß vor einigen De
zennien jene gebeininißvollen« schauer
lich tiefen Schlünde der Kreidegegem
den und heute ist dagegen den Spelew
logen kein Schacht, kein Abgrund tief
genug, urn hinunterzrifteigem um als
Pioniere der Wissenfchaft ibr Leben,
ibre Gesundheit der Höhlenkunde zu
opfern.
Das wichtigste und interessanteste
Höhlengebiet ganz Europas ist der Jn
nertrainer Rarst bei Adelsberg. An
teiner Sebengwiirdigieit ersten Rangeg
fahren wohl so viele Menschen »vor-·
bei«, wie an den wunderbaren Adels
berger Grcttenräutnen Selbst beim
regsten Vertebr ist es eine verhältniss
miiszig immer nur geringe Anzahl von
Natursreunden, die bei Adelsberg den
Zug verläßt, um einige Stunden dem
überaus bequemen Besuche dieser seen
ikasten Märchenwelt zu widmen, wohl
ein Beweis dafür, das; die Großartigs
leit und Pracht jener Räume, die das
Wasser jin Lause der Jahrtausende in
dem unmittelbar nördlich von der
Stadt Adelsberg liegendeniiarstgebiete
ausgewaschen hat, viel zu wenig be
kannt ist. und daß die darüber be
stehende Literatur noch zu wenig Ver
breitung gesunden bat.
Die Adelsberger Tropssteingrotte.
welche dant ihrer vielen Vorzüge —
tolossale Ausdehnung unbeschreibliche
Mannigfaltigkeit der Tropssteine,
Reinheit der Lust, elettrische Beleuch
tung, Nollb hn, tressliche Wege, Lage
an einer H pteisenbahnlinie — unter
allen höhlen der Erde den ersten Rang«
einnimmt, ist das alte unterirdische
Bett des Flusses Poit, der heute einige
Meter tiefer in den Kalten der oberen
Kreide dahinrauscht Zwischen der
lußschwinde bei Adelsberg und der
sendoriesenauelle (Wiederauttritti
du Schloßrutne Kleinhäusel im«
Planinatale durchflizßt die unterirdi
sche Poit hoblengonge von 27,000
Jus Länge, von denen nicht weniger
all IOM Jus s-— also etwa zwei«
Drittel —- deretts erforscht sind. irg
unteeirdischen Poit gelangt man au
durch die Adelsberger und die Otoker
Grotte auch durch den Magdalenens
schnellt und durch die Schwarze und
Poitbsöhlr. Ja der Kleinhändlerhiihle«
auch Planinagrotte genannt, hat man
die Poil slußauswärtj 9000 Fuß weit
verfolgen können.
Die Reue Grotte, die lostdarsie
Schahtamrner der Adelsberger Grotte,
liegt ganz am Ende hinter dem Kalt-a
rienderge. Sie streicht in der haupt
tichtung gegen Norden und stellt ge
wissermaßen die Verlängerung der
hauptachse der Adelsberger Grotte
dar. Es ist als sicher anzunehmen, daß
einst hier der Poilsluß, der die Räurne
der Hauptgrotte ausgedehnt hat,
ehe dessen Abfluß durch Einsturz ver
legt wurde, seinen Ausgang gegen die
nördlich liegenden Höhlen und Schlün
de fand, die er noch heute in einer tie
feren Lage durchfließt. Gleich hinter
dem herrlichen Stalagtniten, »Der
große Spargel« genannt, zweigt ein
kaum lenntlicher Weg in die mit riesig
großen Einsturzselsen bedeckte «Trlim
merhalle«' hinab, in deren ösilichen
Wand siclk der Eingang zur Almen
Grotte« öffnet, zu der man zuletzt mit
Hilfe zweier eisernen Leiter-n von 21
Fuß Höhe emporsteigt. Eine eiserne
Fallthiir schützt dieGrotte Vor unberus
fenen Eindringlingen und ihre kostba
ren Steine vor Plünderung Was sich
die liihnste Phantasie an wirklich seen
hafter Ausstattung eines Raumes vor
stellen kann. tlt in diesemGrottentbeile
verwirtlicht. Erwähnt miissen an er
lter Stelle jene ganz reizend-n Gebilde
werden, welche Rillensbilden die lleinr
Wassertiirnpel umschließen. Alle sind
mit Kaltssntergebilden umschlossen
und terrassensörmig übereinander aus
gebaut. Wo die vollkommen ausge;
Worten sentzrrrrmaue weiche na- am
taltiaer Unterlage mit schwachgeneig
ter Fläche oder inTiimveln von Tropf
wasser zu bilden pflegen, noch keinen
mertbtaren Ausland erzeugt haben, be
merkt man ihre Existenz jedoch sogleich
durch das lnistetnde Geräusch, welches
die brechenden Kristalle unter den Fli
sien verursachen, sobald man eine sol
che Stelle betritt. Alle diese Becken
sind zumeiit mit Tropf-nass» gefüllt,
welches beim Verdnnsten lialtgehalt in
Kristallsorm absetzt. Wie ost wan:
derte ich allein mit meiner Gruben
lampe in den Berg hinein, die riesigen
Schlagschatten der Säulen vor mir
binschwebend. und nur hie nnd da die
lautlose Stille der ewigen Nacht durch
zittert von den leisen Tönen der sal
lenden Sickertropsenr da entwandt sich
die Phantasie jeder Fessel, und Stein
um Stein, Säule un: Säule gewann
Gestalt, gewann Aehnlichkeit, gewann
Leben!
Lang gestreckt ist der erste Theil der
Halle; den Mittelpunlt lsildet ein ge
waltiger weißer Stalogmit, mantel
särmig aus einen Säulenstrunk herab
reichend, von zahlreichen kleineren
Stalagmiten umgeben. Die Wände
sind reich mit weißemgrauen und gelb
lichen Trodssteinen bedeckt, in runden
gewölbten Massen von der Decke her
vorquellend, in zahllosen Röhren und
Radien bis zum Boden herabreichend.
Von der Decke selbst bängt gleichermas
ßen eine Unzahl von Stalattiten herab
und bildet mit den ausspringenden
Winleln der Wände zahlreiche Nischem
derenDeloration in derThat an all’ die
architektonischen Reize des Spitzt-agen
stiles erinnert. Jn der ganzen Halle
ilt nirgends der nackte Kaltstein sicht:
bar, selbst der Boden ist ganz überzo
gen mit weißen Kristallen. Der For
menreichthum, der überall dem Be
schauer vor Augen-tritt, insbesondere
aber der Umstand, dass die mancherlei
Gebilde mit Gegenständen menschlicher
Kunstfertigkeit oder vollends mit or
ganischen Gebilden der Oberwelt täu
schende Aehnlichkeit haben, muß ,die
Einbildungslrast in außergewöhnli
chern Mase in Anspruch nehmen« Das
Ende der neuen Wunderhöble bildet
ein riesengroßer Trümmerhausern
hinter welchem sich wahrscheinlich der
Hang weiterzieht. . Endlich nach stun
denlangem Verweilen in der Unterwelt
peinigt unm diedikoue ei fällt wieder
der erste Tagesschein durch das aupts
portal, es glänzen die legten Tichter
aus derchtrome, der in der Nacht wei
tereilt. Alsdann blendet der Son
nenschein, es umwehen uns warme
Lustwellen und der Dust der Blumen.
Unwilltiirlich schließt man die Augen
und sengt sich- ob alles Geschaute
Wirtltchteit gewesen oder blos ein
Traum, den uns der Erdgetst vorge
gautelt hat. . . .
G. And. Perio.
—
Wie gefährlich das Küssen ist, zeigt
wieder einmal Europa. Dort haben
sich unlänglt ein paar Monarchen wie
ter einmal gelüßt, und gleich wird
von der Bedrohung des allgemeinen
Friedens gesprochen.
I i O
Neid hat scharfe Augen, aber taube
Ohren. «
i i I
. Zuweilen hört der Gelt aus« wenn
die Begelflerung anfäng .
i I I
Den Wert des-Schweigen lehrt
ans am besten eln Schmäher.
f i I
Stille Wasser sind lle — aber nicht
immer ruhen Perlen an ihrem Grun