Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, November 26, 1909, Zweiter Theil, Image 11

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    Nebraska
. Staats-Anzeiger und Akt-old
Jahrgang 30. Grund Island. Rein-» Its. November IMM. Zweiter (Thcil.) Nummer U. A
Einmal dochl i
So arm ist keines Menschen Leben.
Daß ihm s Geschick
Nur Leid und Unglück hätt’ gegeben
Nicht einmal Glück.
So arm sind teines Menschen T ge
Daß er nur Leid,
Getäuschte Hossnung hätt« und Plage,
Nicht ein m al Freud l
Nie sind des Menschen Lebenspfader
So schwarz und dicht,
Daß er nur Nacht und Schatten hatte,
Nicht einmal Licht.
Denn auch der Himmel ist nicht immer
Bedeckt und grau,
Er ist auch e i n mal voller Schimmer
Und hell und blau.
Uli ist trank.
—-——
Novellette von Silvester Frev.
Der Diener flüsterte es der Zofe
zu als sie frühmorgens zur gnäorgen
Frau ins Zimmer ging. Die Zofe
dem hausmädchem das Hausmädchen
der englischen Gesellschaftsdamez diese
dem Kinder-: Fräulein Dre Köchin
selbstverständlich erfuhr es sofort.
Ebenso der Kutscher im Stall und die
beiden Bronnen:
Uli ist trant
Uli ist ein allerliebstes lleines Kerl
chen von etwa zwei Jahren bübisch
zum Fressen — wie freilich wohl je
des Kind in dem Alter. Mit rosigem
Teint und Griibchen in Patscltlrcind
chen und Wangen. Possirlich wie ein
Aesschen und herzensgut zu jeder
mann. Unter Umständen aber auch
ein ivirtlicher Tyrann. Dann ver
langt er womöglich, daß das ganze
Haus auf den Kon gestellt werde und
alle Welt i-— angefangen von llapa
und Mann —— nach seiner llieise
tanze.
Heut steil ich nicht. Denn llli liegt
sa im Bett Das Gesicht der Wand
zugekehrt Die sonst so blanten Augen
matt und leicht verhängt von den
Lidern. Weil er eben trank ist.
Alle tamen sie an sein Bertchen;
die Zofe uno der Diener, das Haus
mädchen und der Kutscher; Mifz Bur
ton, die englische Gesellschrstodanre
sowie Kätbe Dambauer, dass Kinder
sriiulein. Aber alle behandelte er. als
wären sie Lust Nur der let-irren ge
geniiber machte er eine llusnahmr.
Freilich kaum für einen einiiaen Au
genblirl. Er fah sie nämlich an, wie
wenn er etwas suche oder überlege,
um gleich daraus in fürchterliches
Schreien und Weinen zu verfallen.
Als- dann dein Kleinen sein Mor
genimdiß gebracht ward: frische Milch
und »das schmackhafte Weisibrot —
und er keideg mißsielannt und wei
nend von sich krieg: da gemznn Frau
von Trast die llel.1errettgung, das: Uli
lranl sein müsse. Eine Erreauna be
inächtiate sich ihrer, eine Angst, die
man begreiflich sinden wird, sixenn
man erwägt, dasr Illi der Eltern ein
ziges Kind, ihr Liebling, ihre Linien
weide ist· Sie trat also rucn Tele
phon, vermittelte den Ansctslttik nnd
bat den Arzt, das-, er so schnell wie
irgend möglich lyrlseieilen möge.
Dottor Briarius ist einer, der
Reute, die den Patienten nicht etioa
als Versuche- und nur Verdienobjett
betrachten, sondern sich vielmehr durch
echt menschliche Theilnahme zu ihm
hingezogen fühlen. Im Trastschen
Hause gilt er übrigens recht und
schlecht als Freund. An seiner Vor
ziiglichieit als Arit tonnte schon des
wegen nicht gezweiselt werden, weil er
sich mehrmals in äußerst schweren
Fällen überaus erprobt hatte.
Uli zum-il mochte den alten Herrn
sehr gut leiden. Er ritt aus dessen
Knien nnd liest sich von iknn hoch in
die Luft schnellen. Oder iauste wohl
gar übermiiihia mit beiden Ratsch
händchen in dem großen, lanawalleni
den Graubart seines Freundes.
Doktor Briariug kommt, tritt ans
Bett und staat:
»Wo tin-US dir denn weh?«
Das Kind zeigt aus Stirn nnd
Achseln, Fußspiszen und Bäuchlein —
kurz, aus beinahe jeden Theil des
Körpers.
»Na, laß mich mal zuschanenl«
Doitor Briarius beginnt mit der
Untersuchung. Regelreckzt und gründ
lich. Die Zunge läßt er sich zeigen
und siihlt den Puls. Klopst und
horcht. Dann bedeutet er Frau von
«Trast, die selbstverständlich zugegen,
durch Blick und Behörde« daß er
nichts finde.
»Sie können sich daraus verlassen:
dem Kinde fehlt nicht das geringste.
Körperlich ist er so gesund wie der
Fisch im Wasser. Dagegen scheint es
sreilich seelisch beeinflußt zu sein. Os
sienhar war es einem Eindruck aus
gesetit, der sehr, sehr nachhaltige Wir
iuna ausgeübt hatt«
Frau von Trost sann nach.
sich vermag beim besten Willen
nicht zu ergründen, was das sein
könne! Wir — mein Mann und ich
— lassen doch Uli nicht aus den Au
aen. Hdchftens kommt er mit den An
gestellten unseres Hauses in Berüh
runax das aber sind alles treue, zu
verlässige Menschen, die wir überdies
insgesammt schon längere Zeit um
uns haben. Demnach könnte nur noch
der Fall sein, daß das Kind einmal
auf einem Spaziergange —«
»Wa: Uli gestern fort?«
»Wie jeden Taat ..... Fräulein
Dambauert . . .. In der That —«
Und nun theilte Frau von Trast
dem Arzt die Beobachtungen mit, die
sie selber schon vor-hin gemacht.
Sie gerieth dabei in hochgradiae
Erregung. daß ihre Wangen brann
ten und die Stimme zitterte. »
Einbe, Ruhe — meine gnädiae
Frau! ..... Es liegt doch durchaus
kein Grund vor zu iraendeiner Be
forgnifz. Sie sind kränker als Uli —
Sie fiebern!« ..... Er sah nach der
Uhr: »Ich mache Ihnen einen Vor
schlag. Es ist das sherrlichste Wetter
von der Welt. Sie werden also einen
Spaziergang unternehmen —- ins
Freie, in die schöne Gottesnaturt
Inzwischen bleibe ich hier. Der Früh
lina schnappt mir ohnehin einen Pa
tienten nach dem andern fort und
macht ihn gesund —- ohne meine Arz-.
neient ..... Dem Himmel sei Dankt
....Jrh hake also Zeit. Und die werde
ich benutzen, um heraussmriegem was.
eigentlich meinem kleinen Freunde
sehlt!«
Der Llrit ainsa zurück in das Zim
mer, wo Uli last. Und kam aerade da-»
zu, wie dieser unter fürchterlichem
Geschrei dein Kinderfräulein das
Spielen-a. das sie ihm autmeinend
gebracht, ins Gesicht warf.
Doktor Briarius winkte dem junaen
Mädchen, das; er mit ihr sprechen
möchte.
»Nun, mein liebes Fräulein«, hob
er an, »l.«.ssen Sie uns ein wenig
plaudern. Ofien und nur unter vier
Augen . .. Sie unternahmen gestern
Nachmittag mit Uli den gewohnten
Suazieraana?«
»Jamohl!«
»Wohin?"
»Den Promenadenroea entlana und
dann in die Anlagen!...
Sie stockte. Und gleichzeitig ergos;
sich tiefes Rath über das hübsche Ge
sicht.
Busch-return Sie mir nichts, lie
bes Kind! ..... Was auch geschehen
sein maq — Zie dürfen überzeugt
sein, das-, ichs aut mit Jshnen meine!«
Zwei braune Augen füllten sich mit
Tbriinen, und unter Schluchten beich
teten ein Paar rosiger Lippen ruck
weise:
»Wir haben uns so leb s-— Fritz
und ich! Aber es soll doch kein Mensch
wissen! ..... Denn edv wir uns liei
rathen —— ins dahin tann noch oiel
Zeit vergebens ..... Nun war er hig
her ins-mer so weit fort, und wir hat
ten zuweilen Jahre hindurch ieine Ge
legenheit, uns- in sehen und - «
»Weiter, liebes Kind! . . . . Muthig
:Veiter!'·
»Er ist nämlich Föritm und coir
kennen uns schon aus der Kinder-nie
Ler. Da will es der Zufall, das-, er
berderusen ist in die Obersörstereit
. Zie wissen doch: die im Walde;
dicht bei der Stadt; an der Endstas
tion der elektrischen Streiszenbahnl
Lils nun a stern das Wetter gar
so schön war, racht’ ich mir: dahin
fährst out Mit Uli! Und das
. Kind hat sich so aesreut!«
T Wieder meinte und schluchite sie.
s Doktor Briariug behielt seinen io
j aiitigwäterlichen Ton bei!
s »Also lassen Zie mich relapituli
ren! Sie fuhren mit Uli hinaus
i in die Obersörsterei, wo augenblicklich
ii·,r Verlobtee Fritz -——«
.,Telftoio ——"
«Weiltt ..... Dabei ist ja auch
nichts Schlimmeol Zie möchten
nur nicht, daß Herr Leaaiiongratli
rder seine Gattin davon erfahren!
.. . .. All das begreise ich! Bin auch
mal jung gewesen·und weiß, wiss im
Menschenderzen aussieht, wenn der
Frühling dort Einkelxt hält! . . .. Eis
kommen also hinaus und finden sich
Freuen sich. Und — nun sa: tiissen
sichs Ader nun weiterl«
»Dann —-— dann gingen wir -— in
den Wald!«
»Und Uli —- too blieb der inzwi«
schen--M
»Der Das ist’s ja eben, was
mir das herz addrücltt ..... Denn
nun beginnt mein Unrecht! Iris
meinte nämlich. es wäre besser. wenn
wir das Kind lieber nicht mitniihinen.
Er wolle schon dafür Sorge tragen,
daß es durchaus gut aufgehoben fett«
»Die weitere Auskunft wird· also
Jshr Verlobtet geben müssen Ich
denie mit das auch gar nicht so
schwer, da ia telephonische Verbin
dung mit der Obersiirsterei besteht!
Warten Sie einen Augenblick!
Oder noch heiser-: ich bitte herrn Fritz
Telftow, daß er sich hierher bemühti
Er wird doch wohl tomrnen —
zurnal da er weiß, daß er Sie bei die
ter Gelegenheit wiedersehen kann?«
»Herr Fritz Telstow!« meldete der
I Diener.
; »Ich lasse bitten —'«
Ein jun-get Mann trat ein.
Jn tnappen, sachlichen Worten
: theilt er ihm mit, um was es sich han
; drit.
T »Wir sind also zu dem Punkt se
» langt, wo Sie sich mit Fräulein
» Dambauer in den Wald begibenl . ...
Meine Frage lautet jetzt dahin: Wo
blieb inzwischen der Knabe?"
»Wo anders —- als in meinem
Zimmerl« .
«Allein oder unter semandes Ob-!
but?« T
»Den bester Hut von der Welt! . .. .
Gewartet von jemand, dein ich auch
mein theuerstes Bestythum ohne Zö
Iern anvertrauen würde —- von Wo
an.«
»Wotan?« wiederlwlte Doktor Bria
rius mechanisch und in zweiselndem
Tone.
»Ab, Sie kennen Wotan nicht! So
können Sie auch unmöglich wissen,
wie treu und zuverlässig. wie llug er
ist und wie start!.... Aber Sie sol
len sich sosort selber davon überzeu
aenl«
Eine Geste des jungen Mannes, die
bedeutet, daß er um die Erlaubniß
bitte, sich entsernen zu dürfen.
Wenige Augenblicke s— und die
Thiir aeht auf. Leise wird sie von dem
jungen Weidmann geöffnet, der einen
Hund hereinschickt -— einen Bernhar
diner edelster Rasse... Zuerst wendet
dieser das kluge Auge zuriict zu sei
nem Herrn, als ob er sraaen wolltet
»Ich darf doch?« Ziialeicti ——— noch
iinrner am Einaana oerlnrrend —
mustert er Den Raum und wag er
birat So aleitet der Blick vom Arzt,
der sitt-; des schönen Thieres freut, zu
Kätbe Zaum-mer« die sich, verschuld
tert und erröthend, abseits bält, unt
Vorwärte schreitet Wotan. Zuerst
langsam, stolz, rvie eben nur ein St.
Bernharrshunv sich trägt. Wie präch-;
tig ihm sein Kleid stebt: avlvschirnsj
merndes Gelb aus lichtiveiszein
Grunde! ..... Mächtia groß ist er ———;
und wie start must er erst sein! .....
Jetzt erlebt er die Ruthe wie in freu
digem Affekt ..... Offenbar bat ers
» eine Spur ausgenommen, die ihm an« »
aenebm diintt. Schneller aebt er. lite
radeweas aus one Bett iu, in welchem
Klein-Uti, das Antlitz der Wand zu
aetebrt lieat.
den Bettrano
Das Kind wendet sich jäh um. Den
Kon erhebt es. Dann lommt von sei
nen Lippen ein Schrei, der geradezu
elementar ertönt. Ein einiiger, lina
anhaltender Geivoben wie aus aeitill
tem Weh und beainnendem Glück
Dann preßt Uli die Wange dia:
an Wirt-« .n5 Kopf und umschlirth ihn
:i: it beiden Llertnlein
»So lieb Fast du deinen -kre1n1.«
fraitt Der Arzt
Uli nictte bejabend.
»Und jetzt — nicht wahr, jetzt bist
ou doch wieder aeiund?«
-tatt aller »lntwort preßte llk i den
Hund unter lautem Jubel noch fe iter
an sich
Den diesem Augenblick tr ten Herr
und Frau oon Trast ins « Himnier
nicht wenig erstaunt iil er dass Schau
suiel das sich chihnen darbietet
Doktor Briarius gibt in weniaenj
Worten des Räthi iels Deutuna. j
»Uli5 Krankheit toar im Grunde
nichto weiter als Sehnsucht naa dem
Freunde Sie seh-en ja, wie lieb er
Wotan hat und wie aliictlich er in,
ihn wieder gefunden zu haben. Tiefe
Zuneiauna deucht mir auch Durchaus
begreiflich einein Hunde aeaeniil er, der
so tlua soi chön und so tinoerlieb ist.
Für unumaänglich uötk ia ha te ich
freilich im Anschluß daran, «das- illi
sich seiner auch ferner freuen dirf «
daß Wotan also bei ihm bleibt. We
niastens vorläufig oder iiberhmpt eine
steit hindurch. Das wäre die einzige
erinei. die ich zu verschreiben weiß;
allerdian eine, auf die er bei seiner
anizen seelischen Stimmuna auch nicht
aut Verzicht leisten wird. Hoffentlich
ist Herr Telstow damit einverstinden
Andererseits tann man ihm auch toohl
nicht iumuthem daß er sich von die
sem herrlichen Thier, das er großar
ioien und das seine Herzensfreude
tildet turzroea trenne Verlauien
wiiroe er s, wie ich ishn beurtheile. ja
dcch nie und für teinen Preis Des
toeaeu meine ich« — er wandte sich
eindrinalich zu Herrn und Frau oon
Trost »wir bitten unseren juuaen
Weidiuann, daß er, so ost ilm dis
derz treibt hier vorspreche und iu
schaut wies Wotan und uns allen
e geht«
Mithe Dambauer erröthetr. Das
berz schan ihr s.heiß Aus ihren Au
gen fioa ein Blick voll von Dank und
Glück, zu dem alten, guten Mann der
CI Mkstcmdtm die schwere Wirrniß,
Zwei mächtige Pfoten legen nch aus
i
die wie ein Alp auf ihrer armen Brust
geleistet, zu to frohem Austrag zu
dringen
—-—- bis
Jm Jiidis-Kiosr.
Einen Besuch im Jildi5-Kiost schil
dert ein in Konstantinopel lebender»
Schweizer. Der Sternenpalast Abdult
Hamidg mit seiner in den Reisebü
chern geheimniszvoll angedeuteten be
ängstigenden Pracht ist jetzt für den
Konstantinopeler ein Ausflugsort mit
Bier, Käse, Brot« Musik und frischer
Lust geworden. Und diese Profanation
erscheint nicht einmal so ungeheuerlich.
Jildis erinnert seiner ganzen Bauart
und Anlage nach weit mehr an einen
gemiithlichen Landturort als an die
prunlende Hofhaltung eines der größ
ten Despoten der Geschichte. Auf
breiter, schattiger, von mächtigen guß
eisernen Geländern geschützter Allee,
steigt man zu der verlassenen Residenz
empor. Vor dem Palasteingang lau
fen sechs Umsriedungsmauern strah
lenförmig zufammen. Da steht rechts
die elegante Hamidie-Moschee: sie war
unter Hamid der Schaudlatz der prun
tenden Freitagsgottegdienste, der Se
lamlits: linke- erhebt sich ein verlust
öhnlicher weißer Bau, in welchem Ha
mid jeden Freitag die europäischen Ge
sandten mit Champagner hewirthete;
nebenbei gesagt, bezog der Reimen ein
Deutscher, nur siir diesen einen Dienst
ZU tiirt. Pfund pro Monat. Ein Blick
nach rückwärts iiberfliegt Stadt und
Meer. Jetzt strömt buntes Voll
durch das einfache weißzementene
Hauptton Schuhputzer klopfen aus
itre Kasten, der Sudscheh (Wassertrij:
gier- schliigt zum Signal seine beiden
Irintglaser aneinander. Albaner im;
weißen Fee und bunter Schürze salben !
aus bunten Ftiiueln Fruchteig auf die
tleinen Teller.
Der Eintritt in den Palast kostet 5
Piasten Der Besucher geht die infer
nenartigen Bureaus der ehemaligen
Spitzelpolizei entlang, wo der berückt
Ltiate erste Kämmerer Jzzet Arabi
Pascha Tag siir Tag die eingelaufenen
Dschurnals töteheimrapvorty son
dirte und sie Abdul Hamid zum Stu
dium uberrvieLs. Jetzt erst erscheint
das eigentliche Palastthor von Jildis,
ein unbeholfener Bau voll weis-, und
aelh gehaltener Stutkaturen, aufge
klebter, cementener Blumentoroe und
Embleme. Er schließt den kleinen
Garten mit den Sultans-: und Ha
remgwohnungen ab vom äußeren
Pari. Wo einst nicht einmal der
deutsche Kaiser eintreten durfte, da er
geht sich nun an Feiertagen eine sur
l-iae, getchwätzige Menge. Unter tvei
ßer und rotherGaze, die ein sinnreicher
Gärtner von Busch zu Busch in zarten
Wolken nach den Bäumen herüber
spannte, spazieren dicke, trippelnde Es
sendis einher, sehnige Knrden itn Tur
ban und in schwarzer Sarkhme schen
blictende Armenier mit Hatennasen,
nnderschiitnte srkynatterure Griechen.
tffurohiierinnen mit Sitiesenbiiten und
violetten Tirertdirerobem Dandies
aus Berlin, Paris. London, ein Uhr
glag ins-I blasirte Gesicht geklemmt,
Detwisdie mit ihren hohen braunen
Filzchlindern und arabische Parla
mentarier in bunten schimmernden
Turbanen Wer 20 Piaster zahlt, den
siihrt man gleiai rechts Vom Eingang
die tleine 5Jllcwtnortresxipe hinaus in die
Gemächer, die der Sultan bis zum
Tage seiner Absetzung bewohnte, in
den hiiterisrben Saal, wo Fuad Pa:
fcha dem Herrscher den Beschluß der
Nationalversatnmlung mittheilte. Der
denkwiirdige Saal steht jetzt fast leer.
Dort ist noch der vergoldete, griinsei-·
dene Ihrondiwan Ein im Halbdun
kel eigenthiimlich schimmerndes peri
muttereinaeleatesz Damasiencrtischchen
steht davor: im Aschenbecher liegt eine
;(-ngerauct:te ;-tigarette, daneben steht
eine schmutziae tleineTasse mit Kassee
lsasz. Der folgende Raum tvar das
IArbeitszinnuer Hamid5. Ein mächti
ger, kristallner Kronleuehter rotirt
blitzend rnn der Decke herab· Der
prachtvolle !lt:)tokoschreibtisch trägt die
Photographie einer Prinzetsin von
StichsenRobiiratitotba Sonst ift
vrn der einst so bompösen Zimtnereins
richtung nicht«- iibrig geblieben. Ein
Blick aus dag- volle Büchergestell im
Jlllinkel macht mit den literarischen
Neigungen Hamidg bekannt! Da ste
hen in kostbaren blauen und rothen
Ledrreinbiinden mit Golddruck Paul
de Koch Gaborienh Conan, Doyle und
Sachet-Masoeh. Nun durch einige
halbdunkle, musfige Nebenzimmer mit
phosphoresrirenden Damaszenermö
beln, über eine schmale Wendeltreppe
hinaus in das goldene Empire boudoir
des Sultans . Ein Dutzend Perriicken
in allen Farben steht über Holzlöpse
aezogen da; Motten fliegen auf, zahl
lose Schmintbiichsen nnd Pomaden
stuben liegen auf dem Marmortisch.
-Jn einem der kostbaren Schildpaat
Monogramm ·.t ll trägt, steckt ein
Büschel rothbrauner Haare. Dort»
hängt ein tugelsicherer Panzer und ein »
Lederwamms, die derHerrscher auf sei
nen seltenen Ausgängen anzuzieben
pflegte. Rechts vom Ausgang steht
der mächtige Spiegel, der so oft des
Tyrannen finsteres Gesicht wiedergab,
dieses Haupt, das er aus Kotetterie
und Todessurcht stundenlang färben,
umfärben und neu frisiren ließ.
Jetzt wieder ins Freie, durch die
hohe Thür, deren beide Flügel noch die
Spuren vielfarbiger Bersiegelung tra
gen, über den H·trensshof, ins Miteina
theater Abdul Hamids. Die alte,
berühmte Hofbühne ist ein winzigen
zweistöctiger Jnnenbau, mit summa
rtscherGoldverzierung und roth ausge
schlagen. Das Parlett, das ehedem
völlig leer war, hat man provisorisch
bestubli. Oben, erster Rang Mitte,
ist die Sultansloge. Rechts davon
die Diplomatenloge. Die kleinen,
vergitterten Logen in der Runde wa
ren fiir die Haremsdamen bestimmt.
Als einziger Schmuck hängt, erster
Rang links, das reich eingesaßte,
schauderhaft gestickteBrustbild Gin
seppe Verdis. Jetzt füllt lärmendes
Publikum das Theater und jauchzt
und llatscht lznr Vorstellung, die ein
verstimmtes Klavier begleitet.
Der Rückweg fiihrt vom innern in
den äußern Part, durch schattige Al
leen mit Rundellen, die jetzt in Wirth
schaften verwandelt worden sind, über
stiegirege mit beschnittenen Hecken die
nun leere, einst berühmte Fafanerie
entlang. Der nahe Schießstand Ab
dul Hamidg ist dicht besetzt. Der be
liagliilte Kiogt war ein bevorzugter
Ttlusenthaltgort des Sultans-, der sich
an beweglichen Bleelifiguren im An
schlag anf Mörder und Anarchisten
übte. Jetzt stehen Kurden in der zur
kleinen Waffensamnilung aller Ge
wehrmodelle umgewandelten Veranda,
den Stutzen im Arm, und schießen mit
’ltirmender Freude glänzende Glas-lu
geln entzwei. Ein Schuß aus den
Stützen Hamids kostet 2 Piaster. Der
Kiosl selbst ist charatteristisch für den
llarlsrischen Geschmack des Groß
therrn Was alles verschrobene fran
! iösische Tischler Gehirne sirlt ausdenten
Itonnten, steht da Vereinigt, eine veranl
.dete Schnörkelei über die andere. Das
Beste, ein elegantes-, sauber gearbeite
tes Damaszenertischlein, stammt vom
lkrsSnltan selbst, der, wenn er nicht
Spionageberichte oder Romane las,
stundenlang in seiner Tischlerlvert:
stätte herumhantirte. Der Weg führt
um EleerassincAioSt Vorbei, den Hamid
vor Jahren nur fiir den deutschen Kai
ser bauen ließ. Der Gang durch den
Braclstbau brinat nichts- Charakteristi
selteg »Zutaae: einen etwas parvennhafg
ten entovaischen Palastluxug mit thei:
stmnnbolien Spiegeln auf Empirelom
solen, Flronlemlitern Marmornrnen
mit tseraoldeten .Lsenteln, bunten Det
·enl)inimeln mit ariechischirömis
seid-tm lstiitteraesmdel nnd unnnaenelsm
glattem Partett Die hohen Fenster
zehen auf den slimmernden Bogporns,
aus dass asiatische Ufer. Hundert
Schritte weiter unten, im Hof der
laiserlieben Ställe, stiirzen an Freitag:
nachmittaaen tiirtische Rinaer in Le
derlsosen, mit nackten, qeölten Leibern,
aufeinander . log. Ein tollernder
Mona, eine piepsende Klarinette feuern
sie an. Die leeren Marstijlle selbst
sind baufällige, eines Hofstaates nn
idijrtsiae Varucten. Jm inneren Gar
ten, den eine 530 Fuß hobe, mit Glas-s
sclierben gespielt-: Mauer vom äußern
trennt. findet jeden Freitagnachniittaa
ein kleines Bollgfest statt. Da liegt,
unmittellmr am eigentlichen Sultans-;
iKiogL der tleine See, auf dessen oliz
den,1riii1er Fläche der Herrscher stun
ldenlana sich lkerurnrudern ließ. Das
»l«-eriilimte Schanfelradboot, ein Ge
isclkenl staiser Wilhelm, kommt mit
seinen Leoantinerinnen um die lscte
Oden, die Palastfenster entlang, acht
das Voll, dichtqedränat, Vorbei. Man
stellt sich auf die Zehenspitzen zum
fliictitiaen Blick in die hohen Gemächer-,
die mit einein Chaos ron Möbeln und
Nipdsachen angefiillt sind. Da stehen
weiße Empiretische voll Porzellange
schirr aus den berühmtesten enropäii
schen Mannsaltnren Die kostbarsten
versischcn Teppiltie liegen haufenweise
berunk Große Alaliasterarmleuchter
wechseln ab mit allerlei Nichtialeiten
aus weißem Bigluit, perlmnttereingei
legten Standnhren und massiv golde
nen Theeservices. Hart am Fenster
alänzt ein aoldeneg SchiffsmodelL
dessen Fenster Saphire, dessen Sinnen
lampen an denMasten arosze Diaman
ten und dessenAntertetten Perlmutter
schniire sind.
Jm aroszen Gartenhaus am See
dampft jetzt dickliche derGartenwirth
schaft. Berge von Semmeln sind da,
. —- -—-—W-.—«--—————--i
Melonen, gerupfte Gänse; Maccaroni
und gespielte Tomaten brodeln aus
dem Kochherd Die Gäste, Türken,
Araber, Armenier, Griechen, Levanti
ner, Cootreisende, sitzen zu Hunderten
fröhlich unter den Bäumen. Eine Ka
pelle graubiirtiger Mandolinenspieler
sitzt und zupft schwerbliitige Türken
miirsche herunter. Auf der nahen
Wiese hat sich ein Freilichtheater eta
blirt. Es stürzen zwei Schauspieler
in blau-roth-gelben Janitscharenklei
dern, mit den charakteristischen Pump
hosen und hohen Turbanen, schreiend,
mit gezogenen Krummsiibeln aufein
ander los. Der Grund des Kampfes,
ein als.Tiirlin phantastisch aufgeputzs
ter, geschminkter und gezopster grau
bärtiges Essendi. hockt versehämt ab
seits. Dazu vseift der Garten in
einem ffrt von den zahlreichen weißen
Taubenchroärmem die von iiberallher,
von deuMauern und aus den Büschen,
unversehens in die Lüste steigen.
Auch sie hatte Hamid zu Spionage
zwecken angeschafft, indem die Thiere
vor jedem ungewohnten Schritt im
Garten nach allen Richtungen ausein
anderstoben und so den Eindringling
verrieten.
Gibt es Atmen-sent
Aug einer Anzahl historisch beglau
bigter Beispiele, die im Oltoberhest
des ,,Tl)iirrner5« (.Herauögeber Frei
herr von Grotthuß) zusammengestellt
sind, sind die folgenden zwei beson
ders merkwürdig.
Jn den Brieer deL Heinrich Voß
wird berichtet, daß Goethe am letzten
Jteujalirxuorgem den Schiller erlebte,
diesem ein Glucliounsclidillett geschrie
ven hat. Als er eS durchlas, fand er
zu seinem Schrecken, daß er aus- Ver
sehen geschrieben hatte: »Der letzte
LiteujahritagC statt der »erneute« oder
,,ivieder,iekel)rte«, oder dergleichen.
Voll Staunen und Erschrecken zerriß
Goethe diese Karte und begann von
Neuem zu schreiben. Als er an die
oriiinöse Zeile karn, tonntc er sich nur
mit Mitte enthalten, nicht wieder
vorn-letzten Neujahrstaae zu schreiben.
So drängte ils-n »die Ahnung! An
demselben Tage noch erzählte Goethe
der Frau von Stein iden Zufall und
sagte, esI ahne ihm, daß er oder Schil
ler in diesem Jahre scheiden werde.
Der Aeghptologe Heinrich Brugsch
Pascha hat uns eine Selbstbiographie
hinterlassen. Jn ihr erzählt er, daß
er im Auftrage der äghptischen Re
gierung im Jahre 1875 der Eröff
nung ber Weltausstellung zu Phila
delphin beizuwohnen hatte. »Im Be
griffe, nach dem nahe gelegenen
Bahnhof ter befand sich damals bei
den Seinen in Göttingen) zu gehen,
um den nach Bremen abgehean
Friihzug zu benutzen, erhielt ich auf
Dem Wege eine Drahtmeldung, die
ich sofort öffnete, um ihren Inhalt
noch vor der Abreise kennen zu ler
nen. Sie lautete kurz und bündig:
»Der sltheoioe ersucht Eie, augenblick
lich nach seairo zurückzukehren«
Mit dem nächsten Eil-»Wie schlug ich
rie Richtung nach Triest ein, um mit
dem fällig-en Lloyddamnfer mich nach
Ileanuten zurückzubegeben Jch hatte
seit meiner Abreise leine Zeitung ge
lesen, und mußte nicht roenig über
rascht sein, als mir von dem Kom
mandanten des Schiffes die Nachricht
niitgetheilt wurde, daß auf dem letz
ten Vremer Dampfer, demselben, mit
welchem ich die Reise antreten wollte,
eine von einem Amerilaner Namens
Thomas tonftruirte Höllenmaschine
vorzeitig explooirt sei, und mehrere
Reisende und sonstige Personen ge
tödtet und Verioundet habe. Ich
dankte Gott im Stillen, eincr mögli
chen Gefahr fiir Leib uno Leben
durch meine Riickberufung entgangen
in fein, und stellte mich bei meiner
Antunft in stairo sofort dem Bischo
uia Vor. In der Meinung, von ihm
nachträglich noch besondere Aufträge
zu erhalten, die er mir nur mündlich
mittheilen könne, war ich nicht wenig
erstaunt, aus« seinem Munde die Ver
sicherung zu erhalten, er sei hocher
freut, mich steil und gesund zu sehen,
hat-e mir aber durchaus nichts zu sa
gen· lisr habe sich bewogen gefühlt,
mich sofort durch den Draht zurück
sur-tieri, da ihm in der Nacht ein
Traumbild gerathen habe, mich sofort
iuriicklommen zu lassen, widrigen
sallg mir ein großes llngliict bevor
stände
Letzte Bitte.
Richter: ,,Angetlagter Maier, Sie
lcalen gehört, daß Sie zu einem Jahr
und drei Monaten Zuchthsaus verur
theilt lind. Haben Sie noch »etwas zu
sagen?«
»Ich möchte den hohen Gerichtshof
bitten, mir noch eine Unterredung sinit
meinem Gefchäftsfiishrer zu gestatten,
damit ich ihm die nöthigen Direktiven
geben kann für einen Ausvertauf we
gen U-in3uges.«