Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, November 19, 1909, Zweiter Theil, Image 12

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Ein der Welt verloren
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Roman voüw Ziedor v. Zebektiiz.
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cl. FortfetzungJ
Schweigend hatte Clelin zugehöri.
See lag bewegungslos wie eine Sta
ttze auf den Polsterm nur die herab
hngende rechte Hand vibrirte leise,
als sie mit weichem Klingen in der
Stimme erwiderte: »Jhre Worte
bewegen mein Herz, denn feit langen
Jahren ist mir niemand in den Weg
getreten, dessen Empfinden eine Har
monie in meiner eigenen Brust er
weckt hätte — Sie sind von jenem
Zeitpunkte ad, da das Geschick mich
Imag, meine Zukunft fremden Hän
den anzuvertrauem der erste, dessen
Gefühle ich verstehe, weil sie den
meinen entsprechen. Jch wußte das
vom ersten Augenblicke unserer Be
kanntschaft an, und eben dieses, fast
möchte ich sagen instinktive Bewxxßv
fein war der Grund, daß ich Sie
näher an mich heranzuziehen ver
WORK
Sie brach ab, schöpfte tief Atbein
und begann dann hastig von neuern:
.Es giebt vielleicht eine geheimnisz
oolle Macht« die oon Seele zu Seele
spricht, die uns befähigt, im Heu-U
derer zu lesen. zu denen wir uns
hingezogen fühlen. Jch wußte da
mals schon, daß Sie an dem gleicher
inneren Zwiespalt leiden, der mir
das Leben verbittert. Nur ist es für
niich zu spät geworden, mich selbst zu
befreien, während es Ihnen, der Sie
erst vor kurzem sich unserer Bewe
gung angeschlossen haben, leicht wer
den würde, die Ketten wieder von sich
zu schütteln!«
Eine abwehrende Handberoegung
Erichs hieß Elelia verstuminen.
»Wer sagt Ihnen, daß ich das
willi« fuhr er auf. «.s)alten Sie
mich doch nicht für einen phantasti
schen Weltverbesserer, der sich aus
Begeisterung für die Leiden des Vol
tes einer Bewegung angeschlossen hat,
die auf nachhaltige Erfolge nun und
nimmer rechnen tannl Jch will die
Welt nicht bessern, und um den Hun
aer des Proletariats tümmere ich mich
wenig! Was ich will, ist der Ruin der
Gesellschafts Ob dann aus deni Chaos
ein neues, besseres Geschlecht erwächst
—- das gilt mir gleicht Wäre ich aus
politischen Gründen jener sozialen Ge
meinschaft, in die meine Geburt und
nirin Bildungsgang mich hineinweist,
entflohen, dann hätte ich mich sicher
Elementen angeschlossen, bie prakti
schere und doch ideellere Ziele verfol
en, als jene wüste Gesellschaft, zu
oen Mitgliedern nun auch wir zäh
len! Das aber wollte ich nicht —- der
Inhalt meines Lebens ist die Rache!«
Erich hatte sich erhoben und schritt
unruhig im Zimmer auf und nieder.
Seine Brust hob sich schwer und fin
stere Falten lagen auf seiner Stirn.
»Sie sind aufgeregt, lieberFreund«,
erwiderte Clelia ruhig. «Jst das Ge
fühl der Rache und der Vergeltung
denn wirklich so übermächtig in Ih
nen, dass es alle edlen Regungen Jlires
Derzens til-ertönen kanni«
.Elelia, quälen Sie mich nicht«,
gab er leidenschaftlich zurück. «Wiiß
ten Sie nur, was ich erduldet und
litten habet Man hat mir das
Zerz zerfleischt, hat mich moralisch
nnd physisch zu vernichten gesucht —
um elenden Geldes willen! Und ich
sollte jene erbärmliche Welt, in der
man aus niedrigstem Eigennutz zum
studermörder wird, nicht hassen?!«
Ein seltsamer Zug umspielte den
Mund des schönen Weibes, als sie!
leise entgegnete: »Wär’ ich Ihr Ge-?
notie. wenn nicht auch ich gelitten
und geduldet hättet Es wäre ver
sehliche Mühe, zu untersuchen, wer
m uns beiden der glücklichere ist,
Sie öder ich. Fast glaube ich: Sie,
denn Sie sind noch frei in Jhrern
III-n und handeln, während ich
sieht mehr Herrin über mich selbst
ist, seit ich Mitglied des Bandes ge
Iorben bin.«
»Aber aehöre nicht auch ich dieser
Gemeinschaft an?«
»Gewiß, doch wer hindert Sie diese
lockeren Fesseln abzustreisen? Die tol
le Eidesleistung? Sie sind doch zu
verständig, sich durch diesen Kinder
svuk binden zu lassen. Oder etwa die
Furcht? Sie sind zu tapfer, nicht der
Verfolgung seitens der Bundesbriider
zu lachen. Sie sind unbeschränkt frei,
wenn Sie es sein wollen —- ich nichts
Ein unseliges Verhängniß hat mich
Nun willenlosen Werkzeug Laczarows
I gemacht: er kennt den Fluch meines
Lebens nnd nützt diese Kenntniß aus,
nich in vollständige Abhängigkeit zu
bringen. Das ist der Unterschied zwi
schen Ihnen und mir.«
Trich hatte sich wieder niedergelas
sen.
.Wers nutzks darüber zu rechten,
wer der Freiere ist«, antwortete er.
«Sklaven sind wir alle, nnd ein
Sklave höherer Gewalten ist jener
unheimliche Laezarorvsli selbstl«
clelia fuhr aus, und ihr blihendes
sage richtete sich mit seltsamem Ans
W ans Erich.
Jst es nicht menschenwürdi e.r,
, sit kraft-voller Energie-aus ie
merträglichen Verhaltntssen het
znreijem um fern von hier, in
"· · - Landen. ein besseres Leben zu
«.---.»,e« tief sie. —- .Ertch. Ich
W es: lassen Sie sich nicht von
fliebes Sie Ell
i
DWMPMMMIPMIPMMMW
und seine furchtbaren Genossen, so
lange es noch Zeit ift!«
Mit wachsendem Staunen hatte
Erich den von Leidenschaft getragenen
Worten Clelias qelauscht. Ein echt-»
barer Verdacht stieg in ihm au . Wer
bürgte ihm d:fiie, daß dieses Weib
nicht eine Spionin im Dienste Lucia
eotvölis war, til-geschickt ihn felbfi
und seine Gesinnungen listig zu er
forschen?
Er griff nach seinem Vate.
»Spaken Sie Ihre Worte, Clelia«,
entgegnete et, sich erhebend, eisig
kalt; »ich bin zu alt geworden, um
meine Entfchliisse und Pläne von
Stunde zu Stunde zu ändern. Le
ben Sie wohlt«
»Es-ich — ein Wort noch!«
Clelia tief das laut. Sie glitt
von der Chaiselongue und trat dicht
vor ihn hin.
»Ein letztes Wort«, flüsterte sie.
«Sie mißtrauen mir, nicht wahr?
Ichertrage das, sv sehr es mich
schmerzt, aber ich will Ihnen einen
Vorschlag unterbreiten, der Ihr Miß
trauen zerstören wird. Ich will
mit Ihnen fliehen, wohin Sie wol
len! Auch ich sehne mich aus dieser
gräßlichen Abhängigkeit hinaus in
die Freiheit. aber ich fand allein
nicht den Muth, meine Fesseln zu
zerreißen. An Ihrer Seite trotzefich
jeder Gefahr« Lassen Sie uns ge
meinsam flüchten, noch heute Nacht
gleich, wenn Sie wollen, ich bin be
reit! Seien wir auch ietzt treue
Genossen, Erich —- willigen Sie
ein!?« —
Halb fragend, halb befehlend und
doch unendlich angstvoll klangen diese
letzten drei Worte. Erich schaute auf
das versührerische Weib herab, und
ein heißer Schauer überriefelte ihn.
Nein, sie log nicht. Das war die
Stimme fehnsüchtiger Liebe, die aus
ihr sprach. Er hätte nur die Arme zu
öffnen brauchen, und sie wäre an seine
Brust gesunken.
-Doch seltsam, wie sein Blick taft
traurig und wehmüthig ihr blasses
Gesicht streifte, schien es ihm plötzlich
als tauche hinter ihr ein zweites blei
ches Antlih auf und schaute ihn vor
wurfsvoll an. Und im selben Au
genblick flammte eine tiefe Röthe
über die Wangen Erichs und mit
rauher Gebärde trat er zurück. Wie
eine Mahnung aus anderer Welt
übertam es ihn.
·Lassen Sie mich. Clelia«, sagte
er, «und quälen Sie mich nicht! Jch
habe einer Sterbenden geschworen,
sie an der Welt zu rächen, und ich
werde meinen Schwur halten«
Er grüßte sie tief und ging.
3. Kapitel.
In einer der schmalsten und un
reinlichsten Treppensiraßen, die vom
Korso Vittvrio Emanuele in Neapel
nach der Strada Toledo hinabfiihs
ren. stand bis vor Jahresfrist ein
merkwürdig gebautes Haus. Es hatte
nur drei Fenster Front, erreichte aber
eine Höhe von fünf Stockwerten, so
daß es fast wie ein Thurm aussah.
Das wunderliche haus wurde, mit
einer einzigen Ausnahme, nur von
armen Leuten bewohnt, denen es
gleich war, oh ihnen der Kalk von
der Decke fiel und ob in den Fugbö
den ihrer Zimmer große Löcher klaff
ten. in denen die Mäuse Unterschlupf
suchten. Die erwähnte einzige Aus
nahme war der Miether. der ersten
Einge, ein Doktor Angelo Nocera.
Doltor nannte er sich selbst, trotzdem
es sehr zweifelhaft schien, ob er be
rechtigt war, diesen akademischen Ti
tel zu führen.
Nocera war .Volksanwalt« —- das
heißt, auch diese hohe Würde hatte er
sich eigenhändig zugelegt. Von der
» wurmstichigen Thüre seiner Wohnung1
jtonnte man alle seine Talente un
Fähigkeiten ablesen: dort war nämlich
; mittels vier Reisnägel ein Blatt Kar- «
’tonvavier befestigt, das in sogenann
ter Rundschrift und zwar sehr sauber
ausgeführt, folgende Firma trug:
Dr. Anaelv Nocera,
Advolat.
Rath und Hilfe in allen juristischen
Angelegenheiten
Führung von Prozessen
Anfertigung von Verttieidigungen,
Gesuchen, Bittschriiten und son
.stigen Arbeiter dieser Art,
Honorar mäßig.
Darunter waren noch die Sprech
stunden angegeben, außerdem aber
befand sich in einer Ecke des Blattes
ein tleinez, nur den Eingeweihten
berständlicheg Zeichen, das man sonst
siir einen einfachen Federstrich hätte
halten können: eine zarte Linie mit
zwei Punkten am Anfang und arn
Ende derselben. Die Zeichen be
deuteten, daß here Angeln Nocera
Mitglied der neapolitanisckken Ra
marra’ war-, eine Gemeinschaft deren
hauvtmeck auf· eine gegenseitige Un
terstützung bei allen geschäftlichen
Unternehmungen zumal aber bei de
nen, die das Licht des Tages zu
scheuen hatten hinausging. Man
brauchte m in Zug-hausten de
VollsanwaltL zu emer immerhin
recht gefährlichen Cliaue übri en
nicht ans seinen Charakter zu s lie
ben, denn in der besagten Kamrra
.,...- ,
zählten im geheimen auch sehr anne
- sehene Männer Reapelz, Leute« die
, sich in der Handelspelt, tote in der
Gesellschaft des besten Rufes erfreu
t km. die es ahe- siik nützlich diene-,
lalliälkrlich ihren Beitrag in die Ka
morralasse zu zahlen, um von den
fweniger mit Glücksgiitern gesegne
sten Mitgliedern dieser damit-inult
y eben Gemeinschaft, gegen die alle po
xlizeilichen Verfolgungen nichts aus
lrichten lonnten, unbehelligt zu blei
’ ben.
- Daß Nocera viel Geld verdiente.
war kaum anzunehmen, denn er lebte
auf recht bescheidenem Fuße. Seine
Wohnung -— Nocera war nicht ver
beirathet —-; bestand nur aus drei
Zimmerm von denen das größte sein
«Bureau« darstelltex im zweiten Ge
mache schlief er, das dritte aber hatte
er vermietbet und zwar an einen alten
Derrn mit stolz klingendem Namen«
an den Marauis Alessandro Carp- di;
BentiventisRappoldi. »
War schon der Doltor Nocera ein»
Original. so war es der Marquis inl
noch viel höherem Maße. Er stammte
aus einem uralten italienischen Ge
schlechte. das aber im Laufe der Jahr
hunderte verarmt war, so daß
letzten dieser stolzen Familie in der
That nichts übrig blieb, als sein
prunlbastes Wappenschild.
Nocera hatte dem Marguis in ei
nem verwickelten Prozeß einmal mit
Rath und That zur Seite gestanden
und war aus diese Weise mit ihm
bekannt geworden. Der Prozeß ging
zwar verloren, da der Vollsgnwalt
aber glaubte, den alten Herrn seines
klingenden Namens wegen gelegentlich
gebrauchen zu können, so bot er ihm
an, gegen ein Spottgeld bei ihm
Quartier zu nehmen.
Das kam Bentiventi sehr gelegen;
der arme Edelmann oeriiigte äelten
über mehr als über einige Lire üele,
die er sich ganz im geheimen —- denn
er hielt jede Art Arbeit um des Er
werbes willen für eines Aristolraten
nicht würdig ·—— ourch Kopiren von
Attenstiicken und dergleichen zu ver
dienen pflegte.
Der Voltsanwalt wurde durch die
Nachbarschaft des alten Herrn übri
gens wenig belästigt. Bentioenti tam
selten aus seinem Bau heraus, er
hauste dort wie ein Einsiedler. Seine
einzigen Schätze waren einige alte
Chroniten und ein Haufen vergilbter
Manustriote, Urtunden und Wappen
taseln von großem tulturhistorischem
und heraldischem Werthe. und seine
einzige Freude war es, in diesen ver
staubten Totumenten nach dem Ur
soruna und der Bergweigung des Ge
schlechtes. das mit ihm zu Grabe ge
tragen werden sollte, zu forschen. Er
verließ sein Zimmer nur« um sich selbst
sein kärgliches Mittagsmahl zu besor
gen, das er dann eigenhändig über ei
netr tleinen Soiritusmaschine zuberei
te e. «
Signor Nocera hatte am heutigen
Tage schon in aller Frühe Besuch er
halten. Er saß in seinem Bureau, ei
nem unbehaglich großem Gemäche,
dessen Wände mit Attenbiindeln form
lich tapezirt zu sein schienen, und ihm
gegenüber iein Gast.
Der Voltsanwalt war ein Mann
im Anfang der Vierziger, tlein und
schmächtig, fast mager: das einzige
Bedeutende an ihm schien der aus
drurteoolle Kons. Es machte den Ein
druck, als habe die Natur diesen ge
waltigen Kopf nur infolge eines Jet
tshzetmz aus den gebrechlichen Körper ge
e .
Ungleich weniger Interesse als der
Doktor vermochte sein Gegenüber zu
erwecken. Es war dies ein im Gegen
sahe zu Norm-, der seinen äußeren
Menschen arg zu vernachlässigen pfleg
te, höchst elegant getleideter here mit
dunklem Baaenbarte und einem Mo
notel im Auge. Sein Antlih zeigte
oerlebte, doch nicht geistlose Zü e: in
diesem Augenblicke- da er sich mt dem
Adookaten in angeregter Unterhaltun
befand, sprach aus dem sonst meiii
mube verschleierten Blick sogar eine
gewisse Intelligenz.
»Noch einmal, Nocera«, sagte er
und ließ die in einem hellgelben Hand
schuh steckende Rechte aus den Tisch
fallen, »ich wiederhole Ihnen: Sie er
sahren keine Silbe mehr von mir.
wenn Sie die Rolle von Molieres
Geizhals mir gegenüber weiterspielen
wollen. Zum Teufel! Jch betze und
ouiile mich ab siir Sie, riskire jeden
Augenblick, daß mir die ganze insarne
Bande auf den Hals kommt, und Sie
-sperren und zieren sich wegen jedes
hundertlirescheinesl Glauben Sie
denn, ich erhalte meine Nachrichten
umsonst? Gerade in der leßten Ane
legenheit habe ich gegerig bluten mäs
sen, und wenn mir r Selretiir Lac
zarowslis nicht zufällig gut bekannt
wäre, dann hätte ich wahrscheinlich
noch größere Summen opsern miissen,
um zum Ziele zu tornnien.«
Reine Namen, Saeone. wie ofk
soll ich Sie daran erinnern«, fffiel
Nocera mißbilligend ein. »Sie nd
»von einer unveranttoortlichen See-g
losigkett. Ich bin kein Krücken das·
Twitsen Sie selbst am besten. Aber
»Sie, lieber Freund, sind ecn Ver
schwender. Doch lassen wir das! Sie
haben fest Ihre Straspredigt, nun
sollen Sie auch die fünfhundert Frank
erhalten. Aber dann reinen Wein,
Saeeonel«
Nocera erhob sich, schritt an seinen
Geldschrank und kehrtea mit einein
Nachen Banknoten zum-, die er nor
dein andere-n niederle e.
Mit bothafkeni Lii ln nahm Sac
eone die Scheine in « sang, prüste
«eden derselben singfaltf indem er
ihn gegen das Licht hiel . und steckte
2dann die W Summe in seine
Brieftalebr.
Gold wäre mir lieber gemesenT
meinte er den glänzenden Backen
bart streichendz «es lausen so viele
falsche Pariere um, daß man immer
ein wenig aus der but sein muß.«
»Wai von mir kommt, Tbruersier,
lönnen Sie beruhigt nebmen«, gab
Nocera zurück. «Wollen Sie je t die
Gewoaenbeit baden mir das Nr ultat
Ihrer näheren Ertundiqungen mitzu
theilen?«
»Die Sache verhält sich in der Tbat
so, wie ich oermuthet babe«, subr
Saccone fort. «Laczarotosti will die
Erbschast an sich reißen —- das beißt.
er giebt vor, sie zu Gunsten des Bun
des verwenden zu wollen, was genau
dasselbe sagt. Wie Cerrati mir
» schreibt —- Teusel, ich wollte ja keinen
Namen nennen! —- bat er ein ehrlich
sanatisches Mitglied der Genick-St
tion, einen Deutschen, beauftragt, nach
Kinaston zu reisen und sich dort smit
unserem Freunde auseinanderzm
setzenk
«Der gute Mann dürfte zu spät
tommen«, fiel Nocera ein; Lupo
bat unser Telearamm schon vor drei
Wochen erhalten und tann mit dem
nächsten Rubattino - Dampser bier
eintresen. Der Mann ist arm, und
die Aussicht aus eine reiche Erbschaft
oerscherzt man sich nicht so leichtj
Allerdings beunrubigt es mich eini
qermaßen dasz Lupo meinem Ersu- s
chen, mir umgebend zurückzutelegrm
phiren, wann ich ibn hier erwarten
s
kann, nicht Folge gegeben bot: aber
keine Antwort ist unter gewissen Um
ständen ja auch eine Antwort. Das
eine stebt jedenfalls seit: nimmt er das
gesandte Reisegeld und damit den ihm
oon mir gewährten Vorschuß an. so
ist er verpflichtet, mir seine oanze An
aelegenbeit in die blinde zu geben und
»das übrige wird sich dann schon sin
ben.«
»Das glaube ich auch«, lachte Sac
cone. Er batte ein kleines Etui aus
Tulasilber aus der Tasche gezogen
und begann sich eine Eigarete zu
wickeln. »Die Sache könnte ein ganz
hübsches Sümmchen abtoersen, selbst
wenn sie mit Ehren zu Ende geführt
loiirde", subr er mit seinem gewöhn
lichen Lächeln sort. »Wissen Sie. lie
ber Nocera, daß ich das alte Leben
manchmal recht herzlich satt bekomme?
Die beständigen Aufregungen, unter
denen ich zu leiden habe, haben eine
nervöse Verstimmung in mir geweckt,
die mir recht schwere Tage bereitet.«
Saccone seustte assektirt auf und
schaute mit schmerzlichem Augenauss
schlag den sitterndenjiauchringen sei
ner Cigarette nach.
»Sie Bedauernswertber!« entgeg
nete Nocera ironisch. »Sie verdienen
wirklich ausrichtiges Mitleid. Das
eine verstehe ich aber doch nicht: das-,
Sie nämlich trotz Jbres überaus zar
ten Nervensystems noch immer Ge
fallen daran finden, sich an der ausre
genden Politik Jbrer Gesinnungsge
nossen tu betbeiligen.«
.Gesinnun·qsgenosseni Lieber No
eera, Zwischen mir und jenen braven
thenschem die im Dnnamit und
Nitroalnzerin die Lösung der ewig
unlösbaren sozialen Frage sehen.
liegt eine tiese Must. Ich geböre
jenen Leuten nur körperlich, nicht
geistig an, denn ich liebe die rubige
Ordnung. Als ich der tollen Ge
sellschaft, die sich .Jtalia irredenta'
nennt. beitrat, solgte ich eigentlich
nur einem aewissen äußeren Zwange.
Ich war derzeitia nämlich mittellos,
die Mitglieder eines politischen Ge-—
heimbundes sind-aber wenigstens vor
dem Verhungern geschützt!'·
»Und können sich nöthigensalls von
Austern und Kaviar nähren', bemerk
te Nocera spöttisch. »Aber nun etwas ;
Wichtigeres. haben Sie Näheres iiberi
die Tochter unseres gemeinschaftlichens
Freundes, des Morquis, in Ersabsk
srung gebrachti« s
«Rur Unwesentliches. Loczarowskt
bewacht sie und ihre Geldsiiele mit ei
sersiichtigem Auge. Das ist aber keins
Wunder, denn Madame Bulikois soll
ebenso schön als reich sein.«
»Das lettere interessirt mich am
meisten, aber ich zermartere mir lei
der vergeblich den Kopf, aus welche
Weise man die Geldsiiete der Mada
me Vulikoss erleichtern tönnte.«
Scccone psiss durch die Mbnr.
»Auch ich habe diese Jdee längst er
"wogen«, entgegnete er; »so lange je
doch Largarowsti eine ununichrtintte
Gewalt über die Bulitoif ausübt, ist
eine Annäherung an sie unmöglich.«
·Jmmer und immer wieder dieier
Laczarowsli«, brummte der Volks
anwalt ärgerlich. »Wiisen Sie etwas
über seine Vergangenheit?«
»Mir wenig, doch auch für mich
giebt es Geheimnisse, die ich wahren
muß. Warum aber —- urn aus un
ier Themchlzmiickzutommen ——· beutelt
denn der lte da drinnen sein reicheö
Töchtetchen nicht gehörig a T« Die
Hand del Sprechenden wies bei nach
der Thüre des Nebengeinaches.
»Weil ihn die sixe Idee beherrscht,
das vertriige sich nicht mit seinem
Standesbewußtieim Bentiventi ist
ein Erwart. Seit seine schöne Ele
lia dem«rulsiichen Millioan ihre
band gereicht eristirt sie nicht mehr
iiir ihn. Er hungert lieber. als daß
er eine Unterstützung von seiner Toch
ter annimmt. Und dabei besteht das
an e Verbrechen dieies armen Weibes
satt-n, dasi iie rnit einem Bürgerlichen
vor den Altar getreten iitt«
Saccone ließ den Blick lauernd iiber
’den Anwalt ich-weiten. »Sollte das
wirklich die einzige Schuld sein, die
ani ihren schönen Schultern rnht«i»«
sragte er mit Betonung. »Im übri
gen iit der glücklich verstorbene Bulis
toii meines Wissens ein Scheuial er
ster Ordnung gewesen. Sagen Sie,
Nocera, tann man denn den alten
Zsrifelbsstks Lis. M
—
W -»--·II·- w VII-« ·««T,·
Mimwaln Wir werden den Prozeß sicher gewinnen, wenn der
hias nicht f Vti.
Bauer: a. na, hett Rechts-an walt! Wiegen einer solchen Kleinigkeit
schwört der net falsch!
"Marquis nicht einmal von Anaefichti
zu Angesicht fchaneni Wir haben tot
oft und viel von ilim und über ihn ge-«
iptocheu, daß ich wirklich neugierigf
Moor-den bin, dies seltsame Original
tennen zu lernen." l
Nocera erhob sich lachend. »Ich will(
verfuchen, in feine Diogenestonne ein-!
zudringen«, faate er und klopfte ans
die zum Nebenzimmer führende Thiire.;
»Wer ift daf« rief eine fein und:
merkwürdig zart llinaenbe Stimmef
’ zurück. H
.Darf ich eintreten, Herr Mart-;
auiö?« fragte der Adoolai. ;
«Einen Auaenblick, lieber Doltor«,
tönte die Stimme aus dem NebengeH
mache von neuem, »ich bin noch nichtT
isganz in Toilette.«
«Schadet nichts, befter Moral-ist«
Wir wollen Sie auch nicht lange ftö-’
ren; ich möchte Sie nur gern mit
einem Freunde bekannt machen, der
fich gleich Ihnen lebhaft fiir die Ge
ichichte der alten Landesfamilien in-»
terefsirt.« !
Ein Riegel tlirrte und die Thür.
öffnete sich.
Im Rahmen derfelben ver-beugte
sich mit fteif würdevoller Grandeiza
eine seltsame Erfcheiniina: ein tleines
fchmiichtiaes Männchen mit fchlottern
den Gliedern und einein spitzen, fein
aefchnittenen Voaelaesicht. Sein Kon
war aanz baarlos, nur im Nacken
träufelten sich noch wenicie schnee
weifie Löctchen Die basieren Wangen
vreiaten eine fo tofiae Blüthe. daf: man
dieselbe unmöglich für echt halten
tonnte; echt aber war das lebendige
Feuer. das faft noch jugendfrisch aus
den dunklen. tief in ihren Höhlen lie
aenden Auaen blitzte Der kleine
Schnurrbart, der fich iiber den dün
nen und fcharfen Lippen in die höhe
wirbelte. war schwarz gefärbt und
ebenso die zierliche Mouche am Kinn.
»Bitte. meine Herren«, faqte Ben
tioeisti und machte mit der Rechten,
in der er ein ausgewafchenes roth
feidenet Taschentuch schwenkte, eine
einladende Beweauna in fein Zim
mer, «treten Sie ein, Sie finden es
noch nicht ganz ordentlich bei mir;
ich war soeben mit der Prüfung alter
Materialien zur Gefchtchte einer Sei
tenlinie des Haufet Rappoldi beschäf
tigt. aber ich denke. Sie werden mir
verzeihen, die fauber waltende Hand
der Frau fehlt mir nun doch einmal!«
Während der Maraiiis fich eifrig
bemühte. ittvri wackliae Stühlse her
beizuschlevbem deren Rohrgeflecht zu
dem bedentliche Spuren der Abnußuna
autwiet, ftellte der Voltsanwalt dem
alten Herren seinen Begleiter als ei
nen «Grafen Sarcone« vor.
Bentioeiiti hob bei Nennung die
ses Namens etwas erftaunt den tad
len Kopf. «Graf Saccone —- Sac
eone'«. faate er nachdentlich, «merl
wiirdia, daß ich das Geschlecht na!
nicht teniie. und ich bin dechJonfl
ziemlich bewandert in der Genealogie
unserer adeliaen bäusert Woher
ftammt Jbre Familie, wenn ich fra
f gen darf, Herr Graf?«
; Saecone überlegte einen Augen
l tliit —- fein Adel hatte in Wahrheit
l denselben Urspruna wie der Dottorti
tel feines Freundes Nocera —- und
antwortete dann mit unberfchiiinter
Sicherheit: »Aus dem Lombardifchen,
berr Marchefe· Der Ebronit nach pa
tirt die Nitterwiiide unferer Familie
seit 1183. während ein Federiao Poe
tatus Saeeone erft 1577 vom Herzog
von Padua in den Grafeiiftand erbo
ben wurde. Also junger Adel-dem
ehrwürdiaen Alter Ihreä Gefchlechtes
gewundert
Bentioenti lächelte geschmeicheit
»Ich bitte Sie,« lebnte er ab, »ich
bin zwar stolz daraus, daß meine
Vorfahren bereits in den Kämpfen
gegen Belisar aenannt werden, aber
ist's nicht im Grunde ein lächerlicher
Stolzi Mit mir erlischt das Geschlecht
und damit auch die Tradition, denn
schwerlich werden die demotratischen
Geschichtschreiber der Neuzeit sich der
Bentioenti-Rapvoldi erinnern, die im
mer nur aus Seiten der Throne sich
ibre Lorbeeren iuchten.«
»Sie haben aber eine Tochter, here
Marauis,« wagte Nocera mit einem
tc·s«"-eiienblitke aus Saccone einzuschali
en.
Der Alte zuckie zusammen und sein
Auge ruhte einen Moment finster aus
den Sprechenden
«Jch hatte eine Tochter, Herr Dot
tor entgegnete er ernst, »aber ich
habe tie oerloren.«
»Nicht doch, Marauis« —- ber tild
ootat wußte eine gewisse Bewegung
in seine Stimme zu legen —- «seieu
Sie minder beri, ertödten Sie nicht
seiin bas Vateraefiibl in Jbrem
herzeni Jch weiß, wie sehr Jbre un
glückliche Frau Tochter sich nach Jhs
nen sehnt; wie sie danach dürstet, Ih
nen die band küssen zu dürfen. hier,
mein Freund, der Graf Saccone, hat
Madame Butitoff bei einem kurzen
Besuch in Genf kennen gelernt und
mir von ihr erzählt!«
Saccone verfärbte fich leicht. Er
begriff die unvermuthete Tattit Ro
ceras nicht. Aber er war ein Mann,
der sich in allen Lagen des Lebens zu
beherrschen verstand, und fo neigte er
auch jetzt zuftimmend den Kopf.
»Es ist fo, Herr Marquis,« fügte
er warmen Tones hinzu, »und ich
kann wohl sagen, dafz mir nie im
Leben eine Dame begegnet ist« an de
ren Schicksal ich fo lebhaften Antheil
genommen habe. Madame Bulitoff
verdient Jhre Verzeihung, denn sie
leidet bitter unter der Trennung von
Jhnen.«
Der Greis hatte das haupt gesenkt,
und selbst unter de Schminte aus
seinen Wangen sah an, wie sahl
seine Gesichtssarbe geworden war.
»Ich danke Ihnen, meine herren.«
sagte er gepreßt und tonlos; »ich er
kenne Jhre Güte und Liebenswürdigs
teit vollaus an, aber meiner Ehre bin
ich es schuldig, sie abzulehnen. Jch
habe keine Tochter mehr, sonst« —
seine Stimme stockte einen Moment
—- «sonst würde ich mich wohl bei
Ihnen, Gras Saccone, nach dem Er
gehen meines Kindes ertundigen . . .«
Nocera und Saceone schwiegen —
auch in diesen Verkommenen begann
sich ein Gefühl des Verständnisses sür
den Vaterschmerz des seltsamen
Mannes vor ihnen zu rühren. Die
Situation war unbehaglich, und na
mentlich Saerone tam es äußerst er
wünscht, daß sein Freund sich nach
»einigen Phrasen von dem Marauis
s verabschiedete.
; Der alte Oerr war sehr herzlich
fund drückte Saceone warm die hand,
iindem er ihn bat, ihn bald wieder zu
» besuchen, um mit ihm über seine neuen
’ Forschungen. aus heraldischem Gebiete
Izu vlaudern·
; tFortsenung folgt-)
)
I Es wird Roosevelt schwer fallen, in
IAstita genügend Estimos auszutrei
ben, die bezeugen, daß er alle die Ete
santen, Löwen, Leoparden und das
andere Viehzeug auch wirklich erlegt
hat
i st- , si
Seinem Feinde verzeihen tanrs un
ter Umständen leichter sein als seinem
Freunde
I O
So manches Lebensschisslein kommt
erst in den richtigen Kurs, wenn eine
Menge Dinge über Bord geworfen
werden«
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Die Standard Oil Companh hat
ihre Exvortpreise sür Petroleum ernie
drigt, aber von einer herabseßung der
Preise sür die Jnlandkonsumenten ist
teine Rede. Wohltaten sollten doch zu
hause anfangen.
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Seine Nächsten wünscht man sich oft
am weitesten.
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Das Glück ist wie die Morgensonne
in einem Studentenzimmer, die meisten
—- verschlasen es.x
O i O
Am schwersten zu übersteigen sind
Mauern, die nur in unserer Einbili
dung vorhanden sind.
Wenn viele beisammen sind, schwat
zen sie, zwei reden, der Einfame denlt.
I O O
Die spanische Regierung will die
Zenlur abichassem Hat sie auch be
dacht, dah sie damit den Siegen in
Marollo ein Ende bereitet?
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Ein Reko Yorier Redner erklärte,
daß as Alter mit 45 Jahren begin
ne. as wohl Sarah Bernhardt und
Adelina Patti dazu zu lagen habev
mögenf
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Falsche Fünfdollarfcheine ollen
wieder im Umlauf fein. Jn der iings
iten Zeit ist aber auch von vielen Leu
ten til-er den Mangel an echten Schei
nen geklagt worden.
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Richter Mag-now der frühere Gou
verneur von Ruba« sagt, er abe sich
in Paris gelangweilt. Er at ent
weder nicht den richtigen iihrer ge
habt, oder seine Gattin i t ihm ge
wesen. -