Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, July 16, 1909, Zweiter Theil, Image 10

Below is the OCR text representation for this newspapers page. It is also available as plain text as well as XML.

    Was die Nacht verbarg.
Roman von E. P. Oppeuheim.
(7. Fortsetzung)
»Es war rnir überaus interessant
und —- wie ich gern zugebe — auch
einigermaßen überraschend. von ihren
verwandtschastlichen Beziehungen zu
unserem verehrten Oberstlieutenant
zu hören; aber ich tann nicht einse
hen. inwiefern an meiner Aussen-f
sung der Sachlage dadurch irgend et
was geändert werden sollte. Deinem
daß der Oberstlieutenant selbst nichts?
mit der Sache zu schaffen hat, bin ichs
fest überzeugt, und ich gedenke ihni
darum auch mit allen unnützen Fra-!
gen zu verschonen. Es giebt für michs
wie ich hoffe, wohl auch andere Wege-l
um zur Ertenntniß der Wahrheit zu!
gelangen.« s
»So thun Sie in Gottes Namen,J
was Ihnen beliebtt'« sagte Hollfelder,
-unfähig, sich länger zu beherrschen.
»Aber vergessen Sie gefälligst nicht.
daß die junge Dame, von der wir
sprechen, in mir einen Beschützer hat,
der niemand gestatten wird, ihr zu
nahe zu treten. Jn gewissen Dingen,
Herr Doktor Dambrowsti. verstehe ich
seinen Spaß.«
»Halten Sie es wirklich fiir mög
lich, mich durch Drohungen einzu-»
schüchterntk fragte Dombrowsku
schon halb zum Geben gewendet, la
chelnd. »Natürlich werden wir von;
diesem Abend an in einem gewissen
Sinne Widersacher sein, und ich gebe
i nickt der geringsten Täuschung
aruber in, daß ich taktisch keine grö
ßere Ungeschicklichkeit hätte begehen
können, als die, Ihnen so offen meine
Karten zu zeigen. Aber ich bin ja
sein Polizist, und das wissenschaftli
che Interesse steht mir höher als das
kriminalistische. Ich hindere Sie also
ebensowenig« die junge Dame aus
drücklich var mir zu warnen, als ich
Sie hindern würde, die Reife um die
Welt anzutreten, zu der ich anen
vorhin in der besten Absicht gerathen
habe.«
»Sie dürfen unbesorgt sein,« erwi-»
derte hollfelder verächtlich. »Es be
darf keiner Warnung, und ich denke
nicht entfernt an eine Flucht. Fräu
lein v. Wehringen und ich —- wir
werden beide jederzeit bereit fein, die
Verantwortung fiir unsere Handlun
gen zu tragen-«
Dombrowgki verneigte sich leicht
und ging zur Thür. Dort blieb er ste
hen. »Ich habe niemals an Ihrem
persönlichen Muthe gezweifelt,« sagte
er. »Gute Nacht denn —- und verzei
hen Sie, daß ich Sie um einen Theil
Ihrez Schlummerö gebracht habe. —
Bitte —- beniühen Sie sich nicht! Jch
finde den Weg schon allein, und ich
werde mir das Hausthor vorn Pfört
ner öffnen lassen, falls es bereits ge
schlossen fein sollte.« »
Die Thiir fiel hinter ihm ins
Schloß.
Zwölstes Kapitel.
Heinz Hollfelder war ein Früh
aussteher — zum Leidwesen der Frau
Babette Friesicke, der es oblag, in den
Morgenstunden seine Wohnung in
Ordnung zu bringen, und der er bei
ihren Reinigungsarbeiten beständig
im Wege war. Sie hatte ihm schon
wiederholt erklärt, daß ihrer unmaß
geblichen Meinung nach ein ordentli
cher Mensch am Vormittag ins Ge
schäft gehöre, und sie vermochte es
nicht zu begreifen, daß er kein Ge
schäft hatte.
»Ja, entschuldigen Se man, Herr
Hollselder —- aher wat machen Se
denn eijentlich?«
»Ich schreibe Romane, Frau Frie
sicke.«
: »Je! — Allens mit der Hand?«
»Freilich!« hatte er lachend eer
dert und ihr die stattliche Anzahl BiiO
eher gezeigt, die seiner Feder schon
rntstanimten.
Kritisch hatte sie den Kopf geschüt
telt. »Det jeben Se man ufs, Herr
Hollfelderi Se haben’ö doch nich nö
thig. Und wat meine Tante selig is,
« sei der hat ooch so ’n junger Mann
Wohnt der nischt wie jeschrieben hat
»i-.- na« und zulett hat er die Jallops
« Hemde jetriecht und is jestorben.«
III aber heinz ihr erklärt hatte,
, - er von dem reichen Ertrag seines
lebte, hatte sie die Augen
ausgerissen nnd war kopfschüt
himögegangem Ei mußte also
seht ein gewisser Unterschied sein
IS ·’ Herrn hallselder und dem
M schwindsiichtigen Schreiber, der
Hi m früh bis spät hatte quälen
M nd ihrer Tante selig teoydetn
H Mk drei Monate dte Wirthe
« sei-etc- mk, ais sein freud
Mein endete.
« » zwei Tage nach seiner
M Muttnedung mit Dom
nach dem Frühstück sogleich wieder aufs
die Ottornane in seinem Arbeitszitn j
mer mit dem festen Vorhaben aus
schließlich an die Novelle zu denken
an deren Entwurf er arbeitete.
Aber so sehr er auch dagegen an
kämpste, beharrlich kehrte die Erin-»
nerung an Margot v. Wehringen und
an sein Gespräch mit Dombrowskil
wieder. Er hatte noch nicht den Muth
gesunden, seinen Besuch bei den bei
den Damen zu wiederholen, konnte er
sich doch nicht klar darüber werdean
wie er sein Verhalten gegen sie einzu-j
richten hatte. Er wußte. daß seins
Fernbleiben einen schweren Verstoß
bedeutete, war er doch Margot sowohls
wie der Gräsin eine Erklärung schul- s
dig, aber er vermochte sich doch nicht:
zu raschem und entschlossenem Han-(
deln auszurassen.
Plöglich sprang er aus und lauschte. s
Kein Zweifel —- iiber ihm, in der
Wohnung des ermordeten Mariens.
ging jemand umher, und er unter
schied jetzt auch den Klang zweier
Stimmen. hatte die Polizei eine
Entdeckung gemacht, die sie zu neuer-s
licher Untersuchung veranlaßte? Jn!
den ersten Tagen nach dem Morde
hatte es ia nicht an Besuchen da oben
gefehlt; seit einiger Zeit aber war es»
still geworden, und es war nur na
türlich, daß Hollselder, der beständig
von einer heimlichen Angst und Un-’
ruhe erfüllt war, diese neuerliche
Nachschau mit den Drohungen Dorn
browstis in Zusammenhang brachte
Er konnte natürlich kein Wort von’
dem verstehen, was droben gesprochen
wurde, aber er vernahm« daß nach;
Ablauf von zehn Minuten sich jemands
aus der Wohnung entfernte, während(
die sortdauernden Geräusche verrie
then, daß ein anderer darin zurückge
blieben war· Heinz hörte, daß die
Auswarterin im Flur auf und ab
ging, und er ries sie herein.
«.ßaben Sie gesehen, wer da oben
in der Wohnung gewesen ist, Frau
Friesicke?«
«Freilich hab’ ick’s jesehn, Herr
hollfelder. Ernte von der Polizei
und een anderer Herrk
»Wenn Sie das wissen konnen Sie
mir vielleicht auch sagen wie der an
dere here ungefähr ausgesehen hat?«
Es war ihm die seltsame Vermu
thung genommen daß es Dombrowski
gewesen sein könne den die Aufwär
terin gesehen hatte. Aber die Schil
derung, die sie von dem Aussehen des
Mannes entwars, belehrte ihn eines
anderen.
»Je! war zuerfcht janz erschrocken.
Herr Hollfelder, denn wie ick so durch
die Thür sehe, denke ick, der leibhaf
tige Mariens kommt die Treppe
’ruff. Naiierlich war er’s nich. aber
wirklich 'ne tolossale Aehnlichkeit
Scheen war er nich, aber scheen war
ja der Herr Mariens Doch nich· Und
uffjeregt schien er zu sind, nich zu
knapp. Wie er anjezogen war? Ja
nu, ick hab’ eejentlich nich so dadruff
jeachtet — elejani sah er nich aus,
aber ooch nicht jrade schädig«
Heinz wußte genug und schickte die
Frau wieder hinaus· Er lächelte jetzt
ielbft über seine Befürchtungen in Be
zug auf Dombrowsti. Darüber. daß
der Pole seine Nachforschungen nicht
in Verbindung mit der Polizei, son
dern ganz auf eigene Hand unterneh
men würde. glaubte er doch ziemlich
sicher zu sein« Dem Umstand, daß
der , remde Aehnlichkeit mit Mariens
geha t hatte, legte er teine Bedeutung
bei, denn Mariens hatte eines von je
nen alltäglichen Gesichtern gehabt, wie
man sie auf der Straße zu Hunderten!
sieht. Die lebhafte Einbildungskrafi
der Frau Friesicke mochte überdies die.
Aehnlichkeit noch größer gemacht ha
ben, als sie in Wirklichkeit war.
«’ Eine halbe Stunde später aber, als
:er sich eben zu einem kurzen Spazier
Egang fertig gemacht hatte, erhielt er
keinen überraschenden Besuch.
Er hatte gehört, wie oben die Woh
nungstbiir ging, und gleich darauf
läutete es bei ihm. Voller Aufregung
kam die Haitshiilterin, eine Karte in
den Fingertvinerkzu ihm herein.
»Na, wat ha iek jekaai!« meinte
sie triumphirend. »Er heeßt nämlicht
ooch Martens.«
Ungestüm nahm ibr Heinz die Karte
ab, auf der nichts alt der Name
Maul Marien-« stand.
»Das ist der herr, der —«
«Der vorhin nach oben jegangen is
—- iaivoct Er mechte Ihnen spreche-if
«Jähren Sie ihn hereint« gebot
Dei-z hastig. kund sorgen Sie da
für, das wir nicht gestört werden.«
In lebt-after Crngung ging er auf
und ab, vergebens griidelnd, in wel
ches Verhältnis er diesen Paul Mar
iens zu dem Todten su bringen hatte.
Dannwnrde leise an die Thilr gepacht,
nnd ans feine Aufforderung schob sich
If Mist-. kWigs Gestalt iibet
. erste W den tote Heu et
«H«’ ·.
wöhnlich unser Verhalten ihm gegen
über aus lange Zeit zu bestimmen I
uns eine gewisse Vorstellung von dte
Persiinlichteit des anderen zu gebe-, j
die sich schwer wieder abschiitteln läßt
Hollselder fand diesen Besucher auf
den ersten Blick höchst unsympathisch.
Seine nichtssagenden Gesichisziige
zeigten wirklich eine aussallende Aehn
lichkeit mit denen des ermordeten
Mariens, nur daß ihnen ein paar un
angenehme Linien um die schmalen
Lippen ein absioßendes Gepräge ga
ben. Paul Mariens blinzelte fort
während mit den Augen« und er hatte,
wie viele Menschen, die stets besiirchg
ien, unwilltommen zu sein und sich da
her in ständiger Verlegenheit befinden»
die unangenehme Angewohnbeii, sei
nen Hut in den Händen zu drehen.
Noch eine weitere Wahrnehmung»
machte Heinz, während sie sich Augen
blicke lang schweigend mustertenJ
Paul Mariens trug äußerst elegantel
Besuchstoilette, aber es schien, als
seien die Kleidungsstiicke für jemandi
verfertigt, der über weit größere Kör- s
persiille verfügie, als dieser junge, i
schmächtige Mann, dessen Alter Heinzi
auf höchstens sechsundzwanzig oder!
siebenundzwanzig Jahre schätzte»
Selbst der sehr moderne hohe Sieh-;
tragen war ihm viel zu weit, und das!
gab seinem Aussehen etwas grotestl
Komisches
»Ich bitte um Verzeihung wegen der !
Störung« sagte der Besucher endlich
»Mein Name ist Mariens —- Paul
Mariens. Jch bin nicht sicher, ob Sies
wissen —«
Er hielt zögernd inne. Heinz den-;
iete aus einen Stuhl und sagte höf
lich: Bitte nehmen Sie Plan, herr!
Mariens. Womit tann ich Jhnen die
nen?«
Der Fremde ließ sich aus den äu
ßersten Rand des Stuhles nieder.
»Otto Mariens war nämlich mein
Bruders« sagte er erliärend. »Ich
hielt mich zufällig in Europa aus als
ich die Nachricht von seinem schreck
lichen Ende beiam. Wirklich, es war
ein schwerer Schlag. Der arme Otto!
Jch habe geweint» wirtlich geweint,
als ich es las Ganz zufällig, daß
ich es in einer Zeitung gelesen habe —
ganz zufällig. Ein Berliner Blatt
des mir in Amsterdam in die Hände
kam. Jch hätte sonst vielleicht gar
nichts erfahren.«
Sein Wortschwall gab hollselder
Zeit sich von seiner Ueberraschung zu
erholen Ein Bruder des Todten!
Das konnte ganz neue, ungeahnte Ver
wicklungen geben Wie war es nur
möglich, daß man von dessen Existenz
so gar nichts gewußt hatte?
»Sie sehen mich überrascht, herr
Mariens,« sagte er. »Ich wußte in
der That nicht —« s
»Daß Otto einen Bruder hattei
Ja, ich tann es mir denten, denn er
wird nicht viel von mir gesprochen ha
ben, so großartig, wie er hier gelebt
hat — und ich bin nur ein einfacher
Angestellter. Sehen Sie, ich sage es
ganz offen. Jch bin nur ein Ange
siellter augenblicklich sogar ein stellen
loser, und ich tann nicht leben wie
mein Bruder, großartig wie ein Fürst.
Sehen Sie ich habe beinahe meine
leßten Groschen ausgegeben, um von
Amsterdam hierherzuiommen, und
habe nichts mitgebracht als den An
zug, den ich aus dem Leibe hatte. Des
halb« — er stockte wie in leichter Ver
legenheit — »sehen Sie, deshalb
mußte ich sogar einen Anzug von ihm
anziehen, um Sie aufsuchen zu tön
nen.«
»Sie sind der einzige Angehorkge
des Herrn Otto Martens?« fragte
Hollselder.
»Jawohl,« entgegnete Paul Mar
iens. »Sehen Sie, unsere Eltern
sind sriih gestorben. Andere Ange
hörige habe ich nie getannt, bis aus
einen Onkel, der in Südasrita lebte,
und der nun auch lange todt ist. Al
les, was der arme Otto besaß, gehört
mir.«
»Wenn Sie der einzige Hinterblie
bene sind, gewiß.«
«Jawohl — jawohl. Jch war ausj
der Polizei, und man hat mir die
Sachen meines Bruders sreigegeben.
. Jch bin schon vor ein paar Tagen ge
« kommen, und ich habe bis jeht im ho
tel wohnen müssen. Mein lehtes Geld
ist drausgegangen. Jest wohne ich
natürlich oben —- es ist ja noch sür
ein Vierteljahr bezahlt, theuer genug!
Finden Sie nicht? Sechshundert Mart
für vier Zimmer —«
»Die Wohnung war möblirt ver:
miethet — soviel ich weiß. Da ist es
siir Berliner Verhältnisse nicht zu
theuer.«
»Ja, sehen Sie, nicht einmal die
Mdbel gehören mir. Bis aus ein
paar Stück, die mein Bruder getauft
hat. Ich habe noch die Rechnungen
gesunden —- Gott sei Dankt«
Ei war tlar. daß er noch nicht bei
dem eigentlichen Zweit seines Besuches
angelangt war-« und et wußte essen
bar nicht recht, wie et damit heraus
kommen sollte. Veinz verspürte in
seiner Gesellschaft geradezu ein tör
perliches Unbehagen, und er wiinschte
lebhaft, diese Unterredung möchte ihr
Ende recht bald erreicht haben. Aber
es interessirte ihn aus der anderen
Seite doch Mole etwas Ritheres
iiber Otto Mariens zu erfahren, und
er sa e deshalb: »Sie bemerkten vor
n, s Sie aus Amsterdam kämen.
den Sie da Nichts«
»Nein, o nein. Jch habe in Siidaf- !
rika gelebt, bin bei einer Minengeiells ;
schaft angestellt gewesen. Die Gesell
schast ist während des Krieges sozufas J
gen in die Lust geflogen, und ich wars
stellenlos. Es war unmöglich, unter;
den Verhältnissen da drüben feinen7
Lebensunterhalt zu gewinnen. Da
bin ich nach Amsterdam gefahren —
Sie wissen, da sind die größten Dies-il
mantenschleisereien, und ich hatte dort ·
schon meine Geschäftsverbindungen —
ich glaubte, dort etwas Passendes zu
finden. Es ging nicht mehr in Süd
asrita.«
»Nun, Jhr Bruder scheint dort doch »
sein Glück gemacht zu haben,« bemerkte
heims
Aber er war überrascht von der
Wirkung seiner Worte. Paul Mar
tens schnellte förmlich auf seinem Sitz
herum und sagte lebhaft: »Ich sage
Ihnen, zwei Tage, bevor er nach Eng
land fuhr, hat er seinen letzten Cent
ausgegeben. Nichts hat er gehabt,
rein gar nichts. Er hat den Burens
trieg mitgemacht, wissen Sie, aber er
ist davongelaufen, wie er gesehen hat,
daß die Sache doch aussichtslos war.
Zu mir ist er gekommen und hat vor
mir gefammert und gebettelt. ich sollte
ihm Geld leihen, er müsse sonst ver
hungern. Jch habe ihm die Ueber
sahrt bezahlt nach Europa —- nach
London, denn er wollte durchaus nach
London. Vier Wochen später habe ich
schon aus Berlin einen Brief bekom
men —- die Hälfte des Geldes, das
ich ihm geliehen habe, hat er mir zu
rückgeschickt. Die hälstr. Herr Holl
selder —- und ich habe seit der Zeit
nichts mehr von ihm gehört. Nicht
einmal, wo er wohnt, habe ich gewußt·
Und ich habe mich quälen müssen drü
gem während er hier«-——! O, der —
er —"
Heinz wehrte durch eine rasche
Handbewegung ab. »Vergessen Sie
nicht, daß Jhr Bruder todt ist!« sagte
er kalt.
Paul Mariens verschluate das
Wort, das ihtn schon auf der Zunge
gelegen hatte. »Ja, aber sehen Sie,
was er siir ein Bruder wart Er wuß
te, daß es mir schlecht ging. Er mußte
es ja wissen. Und er hat mir nur die
Hälfte von dem zurückgezahlt, was ich
ihm geliehen hatte, während er hier
eine Wohnung hatte, die im Jahr
zweitausendvierhundert Mart kostet.
worin er lebte wie ein Fürst. Kann
man das glauben, herr? Er schickt
mir das Geld und schreibt mir, daß
es ein Vorschuß seines Prinzipals sei
—- er hätte eine Stellung gesunden,
hundertachtzig Mark im Monat. Da
von werde ihm nun der Vorschuß in
Raten abgezogen· haben Sie fo et
was gehört! hundertachtzig Mark,
und hat eine Wohnung, die allein
zweihundert kostet. Dreihundert habe
ich i in geliehen, hundertsiinszig habe
ich z iickbetommen —- keinen Pfennig
mehr. Und er schreibt mir keine
Zeile. Freilich, er wußte wohl« daß
ich fosort herüberlommen würde, wenn
ich das hörte —- das mit der Woh
nung von zweihundert Mark. «Und
zahlt mir nicht einmal zuriich was
er von mir geliehen hat! Nicht einmal
das!«
Heinz kämpfte mit Anstrengung sei
nen Ekel und seinen Widerwillen nie
der. »Sie werden ihn ja jedenfalls
jetzt beerben, Herr Martens,« sagte er
und bemühte sich, nicht zu viel von der
Verachtung durchklingen zu lassen, die
er fiir den anderen empfand.
Aber Paul Mariens schlug sich in
zornigster Erregung aus das Knie.
»Ja, sehen Sie, sehen Sie, Herrs«
sagte er. »Doran will ich ja eben
kommen. Die Polizei bat ein Ver
zeichniß der vorgefundenen Sachen
aufgenommen, und ich habe noch ein
mal alles nachgesehen. Nicht ganz
dreihundert Mart in baarem Gelde —
eine Unmenge Kleider, alles vom er
sten Schneider, Stiefel, daß man ein
Geschäft damit ausmachen lönnte —
der himmel weiß, ivas er dafiir aus
gegeben baben muß! Alte Rechnun
gen iiber die unsinnigsten Sachen,
Gott sei Dant alles bezahlt, Photo
graphien schöner Damen, Liebesbrief
n — er muß gelebt haben wie ein
Paschal Und sehen Sie hier —«
. Er sprang auf und brachte mit zit
ternden hör-den ein Notizbuch zum
Vorschein.
»Da bat er feine Ausgaben und
Einnahmen gebucht. Sehen Sie, hier«.
k— er bliitterte eine Seite auf — »3.;
Oktober, eingenommen: sechstausend
Mark. Dann kommen eine Unmenge
Ausgaben dann hier weiter: 2. Ja
nuar, ein enommen: sechstausend
Mart. Wieder Ausgaben, und hier
wieder: 4. April, eingenommen: sechs
tausend Marl. Sechstausend, sechs
tausend, sechstausend — also achtzehn
tausend Mart, herr! Und er ging aus
Südafrika mit dreihundert Mart in
der Tasche, die er von mir geliehen
hatte. Am Z. Oktober hat er die er
stes sechstausend Mart bekommen —
das ist also ungefähr fünf Wochen,
nachdem er nach Berlin gekommen sein
konnte. Und nach allem, was ich übek
ihn gehört habe, hat er niemals einen
Strich ethan. Keine Stunde, die er
nicht einein Vergnügen gewidmet
hätte. Und ich drüben habe manchmal
vierzehn Stunden am Tage arbeiten
mitsen —- fiir elenden Berdtenstt Sa
Ste mir, sagen Sie mir was das
r ein sendet wart« -
»Allerdings —- er hat nicht recht
gehandelt. Aber Sie werden ja nun
als sein Erbe auch sein Einkommen
haten.«
»Werde ich das-Z« schrie Paul Mak
tens erbost. »Ja, werde ich das? Dass
will ich ja gerade wissen. Jch habes
sein Notizbuch, habe jeden Fetzen Pia-l
pier in ieiner Wohnung durchsucht —«
meinen Sie, ich hätte herausgebracht.j
woher er das Geld hatte? Sechstau-;
send Mart alle drei Monate, das hats
er ausgeschrieben, aber woher, ooni
wem er es bekommen hat « dariibers
keine Silbe! Schlagen Sie mich todt,
wenn ich weiß, woher er das unge
heure Einkommen hatte!«
,,Sind Sie bei einem titechtsanwalti
gewesen?« i
Mariens machte eine verächtliche
Haut-bewegung. »Was soll ich da?"
meinte er. »Für nichts und wieder
nichts Kostenvorschuß zahlen, den ich
nicht einmal habet Ein Rechtsan
walt ist auch nur ein Mensch und sieht
nicht mehr wie andere Menschen«
»Warum tommen Sie dann zu
mitf«
»Sie haben doch meinen Bruder ge
kannt —- und Sie haben ihn gesun
den. Ich dachte, daß er Jhnen ge
genüber vielleicht einmal eine Andeu
tung, die mir ein Fingerzeig wäre-«
»Ich muß bedauern, Jhnen da nicht
dienen zu können. Meine Belannt
schast mit Jhrem bedauernslverthen
Herrn Bruder beschränkte sich aus ge
legentliches Grüßen, und vor jener
Nacht bin ich niemals zu seiner Woh
nung hinausgelommen·«
Tief enttäuscht sah der Besucher vor
sich nieder.
Da sragte heinz nach einer turzen
Pause: »Hat man Jhnen aus der Po
lizei nicht gesagt, wer es war, der in
jener Nacht bei mir antelephonirte?«
Paul Martens nicktr. »Man hat
mir gesagt, daß der Betressende sich
gemeldet hat —- ein Rechtsanwalt,
wenn ich nicht irre. Jch habe den Na
men vergessen. Er ist auch sür mich
ohne Bedeutung.«
»Doch vielleicht nicht so ganz, Herr
Mariens-. Jch hatte Gelegenheit, ein
paar Worte mit diesem Rechtsanwalt
—- Berger heißt er — zu sprechen,
und ich musz sagen, ich empfing den
Eindruck, daß der Mann mehr wisse,
als er sagen wollte. Vielleicht nicht
gerade über das Verbrechen selbst,
wohl aber über die hertunst des
Geldes. das Jhr Herr Bruder —«
Wie elettrisirt sprang Mariens
aus. Er ließ hollselder gar nicht aus
sprechen. »Ich bitte Sie —- wenn
es so ist, muß ich natürlich sosort zu
dein Mann! Sehen Sie, ich dachte
mir's gleich, dasz Sie mir würden
helfen können. Jch habe ein Gefühl
siir so etwas, wissen Sie. Berger
heißt also der Mann? Wissen Sie
vielleicht auch seine Adresse?«
Allerdings Aber ich bin vielleicht
mit meiner Aeußerung zu weit gegan
gen. Erinnern Sie sich. daß es ledig
lich eine Vermuthung von mir ist, und
daß Sie sich teinensalls daraus beru
fen dürsen.«
Seine kühle, abweisende Art er
niichterte den Mann etwas. Er setzte
sich sogar wieder nieder. »Aber Sie
begreifen doch, dafz ich begierig zu
sasse, wo sich mir eine Hoffnung bie
tet! Und ich bitte Sie recht herzlich,
versagen Sie mir Jhren Beistand
nicht. Ich habe teine Betannien hier
in Berlin, niemand, an den ich mich
wenden lönntr. Sehen Sie, Sie thun
ein Wert der Barmherzigkeit wenn
Sie sich meiner etwas annehmen.«
»Ich will Jhnen gern behilflich
sein, soweit ich es vermag,« erwiderte
Heinz zurückhaltend »Auch mir, der
ich wider meinen Willen in die trau
rige Angelegenheit hineingezogen
worden bin, liegt viel daran, sie auf
geklärt zu sehen. Wenn ich Jhnen
aber einen Rath geben dars, so über
stiirzen Sie nichts und gehen Sie be
hutsam zu Werte. Sie verderben sonst
nur, anstatt zu nützen«
»Gewiß, ich will mich Jhnen gern
fügen. —- Uebrigens habe ich heute
noch nichts gesrühstiickt Wissen Sie
vielleicht ein bescheidenes Restaurant
hier in der Nähe?"
heinz konnte nur mit Mühe ein
leichtes Lächeln verbergen. »Ich habe
ebenfalls noch nicht gesrühstiiclt,« sagte
er. aWenn ich Sie bitten darf, mit
mir zu gehen und mein Gast zu
sein —«
Die Eilfertigleit, mit der herr
Paul Mariens diese Einladung an
nahm, ließ fast darauf schließen, daß
er etwas derartiges gehofft hatte.
heinz brach also mit ihm aus und
bestellte in einer nahegelegenen Wein
stube ein ausgiebigee Essen. Wäh
rend der nächsten Viertelstunde konnte
von einem Gespräch nicht die Rede
sein« denn Martens as- mit dem Ap
petit eines ausgehungerten Wolfes und
ruhte nicht, bit er auch das lette
Speisentriimchen vertilgt hatte. Da
bei trank er zwei laschen Wein, mit
dem angenehmen wußtseim nichts
bezahlen zu miissen.
Als er endlich fertig geworden war,
lehnte er sich aus seinem Stuhl zu
rück und sagte mit einem Seufzer
»Ah, wer sich das tagtäglich leisten
lönntel Ein reizender Aufenthalt
Wi«
»Es sin sich ganz nett da,« gab
Renz zu. »Aber wer ein vierteljähr
s Einkommen von sechstausend
Mart hat. tann sich in Berlin noch
weit Besseres leisten.« «
»Ich werde es haben ——— und wenn
ich jahrelang sorschen müßte! So ein
Leben verlohnt sich doch noch!«
»Uebrigens,« sagte heinz, indem er
mit seinem Messer spielte und es ver
mied. den anderen anzusehen. «Sie
- scheinen ganz zu vergessen, in welcher
Weise Ihr Bruder ums Leben gekom
men ist.«
Paul Mariens riß die kleinen Au
gen, deren beständiges Blinzeln Heinz
ganz nerviis machte, weit aus und
starrte den anderen verdunt an. »Ich
—- das vergessen?« sragte er verständ-«
niszlos. »Wie meinen Sie das. herr
Hollselder?«
»Ich meine, daß doch möglicherweise
zwischen dem geheimnisvollen Ein
tommen Jhrec Bruders und dem
Mord ein gewisser Zusammenhang be
steht.«
»Man es möglich?« Mariens ließ
vor Erstaunen seinen Mund so weit
ossen stehen, daß man zwei Reihen
häßlicher gelber Zähne sehen konnte.
»Wie denken Sie sich dass«
Heinz spielte noch immer« mit denr
Messer und sagte nachdenklich: »Ihr
Bruder hat ein iiihrlicheö Einkommen
von vierundzwanzigtausend Mark ge
habt. Das wären, zu siins Prozent
gerechnet, die Zinsen eines Vermögens
von fast einer halben Million. Ueber
ein so großes Vermögen aber hätten
sich doch irgendwelche Ausweise finden
müssen. Aber es hat sich nichts ge
sunden. Es ist also oermutblich auch
kein Vermögen dagewesen. Von wem
und siie welche Dienste belarn nun
Jhr Bruder das Geld?« «
»Das will ich ja eben wissen,·
meinte Mariens.
lFortsetzung solgt.)
Ironie des Schicksals
-..-.
Sie trägt Toiletten erster Güte,
Sie trägt die allergrößten Hüte,
Sie trägt die kostbarsten Jupons —
Doch immer, ach! nur-in KartonU
Dienstbitraktatfckh
,,Qb wohl Frau Haber zu ihrem
Zchiviegerfohn in Berlin oder zu dem
in München oder zu dem in Tanzig
ziehen wird?«
»Ja« das weiß ich nicht! Alle drei
wünschen fre!«
»So?«
»Ja, der Berliner wünscht sie nach
München, der Münchener nach Danzig
und der Danziger nach Berlin.«
Wohltaten um des Dankes willen
sind goldene Pfeile mit Widerhalen.
Ein Mann in Illinois fordert von
der Regierung von Honduraö 838,000.
Weshalb hängt er nicht noch ein paar
Niillchen an? Das macht sich doch bes
ser und wiirde gerade so leicht einzu
treiben fein.
Es sieht der Mensch die Welt fast
immer durch die Brille des Gefühls,
und je nach der Farbe des Glases er
äeeblelint sie ihm finster und purpur
Weil Radium auf die Freilisie gesetzt
worden ist, braucht niemand sit lau
ben, daß er ein Pfund davon ill g er
lien wird; eine Unze kostet schon ein
leines Vermögen. ,
Zigaretten dürfen auf der Ansstel
lung zu Seattle nicht getaucht wet
den. Aber die Besucher diirfen Sum
mi lauen, und wenn sie wollen« dazu
singen: »Freiheit, die ich meinet«
An einein Tage der vorigen Woche
hatte sich der Jugendrichter von New
York·nnt nicht weniger all M n
gendlichen Uebeltätern zu brichöitts
gen, und der Tag bildet eine Aus
nahme, an dem ihre ahl nicht 100
übersteigt. Ein erfch tterndes Bild
von der modernen Großftadt nnd ih
ren Uebeln.
Den Mangel an Not-leise erkennt
man oft gerade m —- Nod-list