Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, April 23, 1909, Zweiter Theil, Image 14

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    Bis ans Ende der Welt.
Roman von Maximiliau Barmher
(4- FortsetzungJ
Borgftedc say ihr am flirrenden
IN nass. Sein Blut stehen« Er
sahen den Hut ab und wischte sich den
perienden Schweiß von der Stirn, die
Malt war.
Plotziich « et kannte sich nicht län: ;
see bezwingen -- rief er stehenden,
behenden calone-: »Julia!«
Julia stieg weiter und that, als
hätte sie nichts gehört.
Da rief et zum zweiten Male:
«Julia!" und dann antiagend und
verzweifelt: «Wollen Sie mich denn
wirklich nicht anhören?«
Juiia wandte sich langsam um.
Uns ihrem Gesicht kämpfte die Röthe
her überstandenen körperlichen An
Mung mit der Blässe heftigster
Seelenekkegung und ihre Augen ver
eiethen, was ihr Mund fo gern ver
heimlicht hätte.
Jm Nu war der Lieutenant. Hut,
Gewehr und Jagdftoct wegwerfend,
bei ihr, kniete ihr zu Füßen und cr
ckiff ihre Hände. das graue hand
xchuhledey den Uermelfaum mit Küf
en bedeckend. Wie trunken stam
seelle er: »Ich habe Sie ja so lieb, so
über die Maßen lieb, Sie schönstes,
herrlichstes Mädchen!«
Julia stand da wie eiähmi und
vermochte keinen Laut ii t die Lip
pen zu bringen.
Dann richtete er sich mit einer fa
hen Bewegung auf, riß sie in seine
Arme und tiißte, Liebesworte iiber
Liebesworte raunend, ihren Mund,
ihre Augen, ihre Stirn und ihr Haar
— sinan verzehrend.
Julia versuchte, sich aus seinen
Armen zu befreien; aber er hielt sie
feft wie mit eisernen Klammern. Das
ungewisse Bangen, das sie von jeher
vor feinen leidenschaftlichen Blicken
empfunden, steigerte sich in ihr zum
Unbehagen. zur Furcht.
Nein, das war nicht das, wag sie
sich unter einem Geständniß vorge
stellt hatte. Ein Mann mußte start
fein, immer Hle seiner selbst blei
ben, sich auch von seiner Liebe nicht
zuin haltlos stamiuelnden Knaben
machen lassen. Nichts spürte sie von
der heiligen Weihe, die sie sich vonl
der Stunde ihres Berlöbnisses, dieser
schönsten Stunde des armen. kurzen
Menschenlebens erträumt. Und selt
sam — so viel sie sonst immer fiir
die Romantit der Liebe übrig gehabt,
setzt, in ihreni fröstelnden Unbehagen
und unter dein leisen Regen der Ge
wissensbisse über ihren Ungehorsani,
wurde doch das- anerzogene Lebens
prinzig mächtig in ihr, und sie dachte:
»Ich, hätt er doch lieber zuerst rnit
Deinem Vater gesprochen! Was soll
nun werden? Jii welche Enge hast Du
Dis treiben lassen?«
ndlich ließ Borgstedt die Wider
sirebende aus seinen Armen, doch
nicht« ohne sogleich wieder ihre Hände
zu nehmen.
uHaben Sie denn tein einziges
Wort fiir mich, Julia?« fragte erj
Lieben Sie inich denn überhaupt so
— so iiber die Maßen, wie ich Sie
liebe?' l
..Doch —- doch,« antwortete Julia.:
zJch habe Sie lieb, Winfried, und ich.
glaube, daß ich nie einen anderen
Mann lieber haben tann als Sie.
Aber aus die Liebe allein tornrnt’5
doch fiir einen Offizier nicht an. Er
t doch noch auf andere Dinge zu
eben. Und ich hin arm, bin eine sehr
schlechte Partie, habe feine andere
Mitgift als allerhöchstens eine einfache
Ausstattung zu erwarten. Und Sie
feil-Mk — sie strich sich eine Locke zu
rück, die ihr der Morgmoind in die
lStirn geweht hatte — «inein Vater
jagte mir, daß auch Sie nicht begü
tert wären, jedenfalls nicht in dein
W. um die fiir eine Lieutenantis
Ieirsth nohioendige Kautioii aus eige
seq Mitteln W zu Manni. Ei
sag Richter-. profan klingen. dass ich
, in dieserStunde, von dem leidigen
. spreche, aber Klarheit muß sein
cheii uni von Anfang an.«
Langfani ließ er ihre hände los
, "M sinnst e- svdes. »Ist
Vater hat Sie also gewisser-a
III nie meint« fragte er niit
. ·t t- Ios feiner tief
M «
»Er hat mich datan aufmerksam
Iema l, daß unsere Liebe eine wenig
sc- steiche sein würde. Und Sie
feheu sen-iß ein, daß et damit nut.
han hat, was jeder Vater seineti
schier zu thun schuldig ist.« .
Plötcickh noch während sie den letz- z
ten Sah sprach, kam ih; die Erinne
wag an des Obersten Worte: »So»
Ma« kge Msiedt als liebens
idI « « Wehan haben mag,
sitt fp M gute Eigenschaften zum
seeläslichen Esel-sann scheint er mit
II saftig-ein« Ihre reine Stirn um
söllte siä in diesen Gedanken.
. da fah der junge Ofsizier wieder
III II ihr aan in seinen dunklen
Augen erschien das Feuer verzehren
der Leidenschaft von neuem.
»So lieb haben Sie mich, Julia,
Idaß Sie, die sonst so Kluge, Beson
nere, Jhres Vaters Warnung leicht
herzig in den Wind schlligen?« Er
nahm wieder ihre Hände, versuchte
wieder, ihre schlanke Gestalt in seine
Arme zu schließen.
Doch mit fast heftiger Entschieden
heit wehrte sie ihn ab. »Nein — das
bars nicht sein. Es ist genug, daß ich
mich einmal vergessen habe. Wir
wollen, bitte, weiter gehen. Was wir
zu besprechen haben, besprechen wir im
Gehen am besten,«
Borgstebt, von ihrem bestimmten.
fast harten Ton betroffen, nahm Ge
wehr. Hut und Stock-vom Boden aus,
und sie stiegen wieder bergan. Julia
aus dem schmalen Pfeil-, der Lin-te
nant neben ihr über Stock und Stein
Erst nach geraumer Weile brach er
das drückende Schweigen, in das beide
verfallen waren.
»So peinlich es mir ist,'· begann
er, »ich muß doch wohl oder übel auf
die leidige Mitgiftfrage noch einmal
zurücktommen, denn Sie baden recht:
Klarheit muß sein zwischen ung. Und
da Sie den Zwang, unter dein wir
Offiziere stehen, ja ebensogut kennen
wie ich, da Sie wissen, daß wir nicht
so ins Blaue hinein Eben schließen
diirfen wie andere Sterbliche so will
ich anen ganz offen fagen: für arm
habe ich Sie nicht gehalten, Julia
Gewiß ——- ich war mir ja durchaus
bewußt, daß ich mir mit Jhnen lein
Vermögen erheirathen tönnte, aber
darauf verließ ich mich in der That,
daß die Stellung der verlangten Kau
tion Jhreni Herrn Vater keine Schwie
rigkeiten bereiten würde. Meine Mut
ter, von der ich allerdings hätte wissen
können, daß ihre Urtheilogabe teine
hervorragende ist« fprach von Ihren
Eltern fteto als von begüterten Leu
ten. —- Und noch andere Umstände be
einflußten mich. Man läßt sich eben
so leicht, so gern täuschen, wenn der
Schein rnit dem übereinstimmt, was
man ersehnt. Und —« Er brach ab
und stieß im Gehen seinen Jagdstock
Schritt für Schritt heftig in den Vo
den.
Julia war sich sogleich darüber
tlar, daß wohl vor allem die ziem
lich lostsvielige Reife nach Liebenstein
Borgftedt in den Wahn versetzt hattep
ihre Eltern wären «begiiterte Leute«.
Jhr herz trampfte sich zusammen.
Sollte sie dem Geliebten, aber doch
immer noch Fremden, fagen, wie man
sich monatelang vorher eingeschränkt,
wie man sich über die dringendsten
Erfordernisse des uöstandes hinaus
geradezu Entbehr ngen auferlegt
hatte, um diese Reise zu ermöglichen,
die für den leidenden Vater zwingend
nothwendig, für die zarte, lriintliche
Mutter mindestens sehr räthlich und
heilsam wart Und wenn man in dem
vornehmen Badeort standesgemiiß auf
trat, als Gleiche unter Gleichen gelten
wollte — du lieber Gott, gute, gesell
schaftsfähige Kleider brauchte man in
dre heimathftadt ebenfalls, und Ver
schwendung trieb man auch hier wahr
haftig nicht. Auch hier drehte der Va
ter jeden Groschen, der über den vor
her vereinbarten Pensionsbreis im
hotel hinausging, dreimal um« ehe er
ihn auszugeben wagte. Wie häßlich
ei doch war, daß alles in der Welt
vom Gelde abhing, alles Kleine und
Niedere so gut wie alles Große und
hohe!
«Ja,' antwortete sie endlich mit ei
nem schweren Seufzer, »das ist nun
schon so, wie ich Ihnen sagte. Jch
habe keinen Pfennig baare Mitgift zu
seen-patien- Außer seiner Pension be
zieht mein Vater nur noch die insen
ieines sehr geringfügigen Verm
das unter jeder Bedingung unange
taftet für meine Mutter verbleiben
mirs für den Fall, daß mein Vater
M ihr sterben sollte. Und da unsere
heirathiauosichten also flie absehbare
Zeiten die denkbar fchlechtesten sind,
gutsesgewißfliruntbeideambes
'
»Bitte, sprechen Sie nicht zu Ende,«
fiel ihr Borgftedt mit fast angftdoller
Betonung in die Rede. »Ich tann
niemals von Jhnen lassen —- nun und
nimmermehr! Jch weiß nicht, was ich
lieber ertragen, lieber verlieren will:
Gesundheit, Beruf, Leben — allei,
alles, nur Sie nicht. Oft in den letz
ten Jahren war ich der Welt und ihres
ewigen Einerleis fo müde, fo müde,
daß ich e auf Ehre — nichts danach
gefragt hätte, hätte das Fieber oder
sanft irgend eine ,afritanifehe Gefahr’
mich weggerafft. Ja —- ich hah’ das
Ende oft geradezu ersehnt, das Schick
fal herausgefordert Meine Kamera
den und Borgefesten hatten ei leicht,
meine Tollliihnheit zu bewundern,
lineinen ,Muth’, der nichts war als
Sattheit und Uebude Und nun
Ianf einmal —- in den wenigen Wochen,
seit ich Sie lennen und lieben lernte,
vin ich innerlich wie umgewandelt, bin
ich ein anderer, ein ganz neuer Mensch
geworden, spür’ ich wieder den alten
heißen Lebensdrang, sreu’ ich rnich
wieder jedes einzelnen Morgens. der
mich zu neuem Dasein wachrust. Se
wiß, ganz gewiß: Sie, Julia, ansge- I
ben müssen, hieße siir niich gleichzeitig ;
das Leben verlieren!«
Tonlos, verhalten, ganz ohne Pa
thos, sprach er diese Sätze, und aus
seinen Zügen lag der Ausdruck einer
so sinsieren Entschlossenheit ausg
priigt, daß Julia sich sagen mußte,
daß es ihm wirklich heiliger Ernst mit
seinen Worten sei.
Dennoch erwiderte sie, gleichsam um
ihn noch gründlicher zu prüfen: »Viel
leicht haben Sie sich dort unten in der
asrilnnischen Fremde nicht wohl ge
siihltz und nun, nach Jhrer Rückkehr,
übt die alte liebe heimath wieder ih
ren bestriclenden Zauber aus Sie aus.
Allzuost schon ——-«
»Durchaus nicht« Julia,« unter
brach er sie rasch, rnit einer wegwer
fenden Gebärde. .Dort unten hat
mir's, genau genommen. noch besser
gefallen als hier. Einzig, weil mir
der öde Gamaschendienst, der ewig
gleiche Exerzirrplatz und Meinst-er
rurnrnel, dieses Spiel, aus dem viel
leicht in hundert Jahren lein Ernst
wird. weil mir unsere sogenannten
Unterhaltungen und Vergnügungen,
diese verdünnten Schlasmittel, bis
zunuklel widetwärtig und unerträg
lich waren, einzig darum bin ich ja
überhaupt zur Schutztrupve übergetre
ten. Und — glauben Sie mir doch, h
Julia, daß das, was mich zu Jhnen"
hintreibt, teine gewöhnliche alltägiiche
Liebe ist, die sich — wenn denn an
eine Verbindung durchaus nicht zu
denken ist. wenn es denn durchaus ge
schieden sein muß s- in ein paar Mo
naten, vielleicht noch gar in den Armen
einer anderen, überwinden und ver
schmerzen läßt. Glauben Sie mir
doch, daß eine Leidenschaft mich de
seelt, eine allgewaltige, unbesiegbare,
wie sie nur inmal den Menschen packt,
ein Drang nach Vereinigung. vor dem
es im Fall des Berzichtenmiissens nur
eine Erlösung, nur ein Entrinnen
giebt: den Todt«
Wieder nahm er den Hut ab und
wischte sich den Schweiß von der
Stirn, die im Gegensatz zu dem tief
gebriiunten Gesicht weiß, sast blaß
war
Da Jutia ihm nicht antwortete
suhr er fort: »Ich weiß im Augenblick
nicht — ich bin zu erregt, um mir so
sort darüber tlar zu werden, wie un
ter diesen widrigen Verhältnissen eine
heirath zwischen uns zu ermöglichen
sein wird. Aber daß sie sich schließlich
ermöglichen lassen wird, dag weiß ich.
Jch habe Beziehungen, weitreichende,
und ganz gewiß, ich werde Mittel und
Wege zum Ziele finden. Und nicht
wahr, Julia. Sie werden aus mich
warten, Sie werden mir treu bleiben,
wenn auch noch einige Zeit darüber
vergehen sollte, bis ich Sie zu meinem
Weibe machen kanni«
Er griff, stehen bleibend, nach ihrer
hand und preßte sie, daß es ihr Ioeh
that.
Aber sie ließ sich nicht zum Halt
machen zwingen. Mit teuchendem
Athem stieg sie weiter. Vor ihr, zwi
schen den braunen Tannen, wurde es
schon hell und licht, es tonnte nicht
mehr weit sein bis zum Gipfel. Dort
’oden —- im frischen Windhauch der
Berghöhe, das weite, tlare Himmels
sgewölbe iiber dem Haupt, die weite,
morgenglanzbeschienene Aussicht, die
Borgstedt ihr so ost gepriesen, zu Fü
ßen, dort oben in der blaugoldenen
helle wich vielleicht der dumpfe Druck
von ihr-, der ihr im halt-dunkel des
hochwaldi, in den noch kein Sonnen
strahl fiel, die Brust wie mit Zent
nerlast beengte, diese seltsame, uner
tliirliche Angst vor des Geliebten Lei
denschastlichteit, die wie ein blind
wiithendes Feuer war, das unsicht
bare Gespenst. das neben ihr schritt
und ihr unaushiirlich wie eine Schick
salsmahniing ins Ohr rannte: »Er
hat keinen Willen; er macht dich nicht
glllcklich7 dein Weg an feiner Seite
just-v wac- cutisuiauw seit-.
Sie streifte Borgstedt mit einem’
prüfenden Blick. Wie schön er war,
wie stattlich und stolz die schlanke Ge
stalt, wie faszinirend sein brauner,
vornehmes Gesicht mit J den großen
duntlen Augen, die im Glanz fieber
bafter Erregnng schtvarnmeni Es war
ibr, alt bätte sie nie einen fchöneren
Mann gesehen.
Aber da fing der Stachel, den ib
res Vaters rätbieibafte Worte in ihr
herz gedrückt, wieder zu stechen und
zu bohren an. Und piöslich fragte
sie: «Sagen Sie, Winfried — aber
ossen und ohne hinterbalt —- baben
»Sie vor mir schon eine andere Frau
’ gelieth«
i Erstaunt sah er sie an. »Wie Inei
z nen Sie das? Wie soll ich das verste;
. heutz
,,sitte.« drängte fie, und ihre
Stimme bebte leise, «ich möchte wis
»sen, ob ich Jbre erste Liebe bin, oder
«- ob Sie vor mir schon eine andere oder
Leg «inebrere andere gern gehabt ba
«Oern gebath O ja. Jch bin
schließlich zweiunddreißig Jahre alt,
unh Sie können nicht annehmen
Julia daß ieh erst in dem Moment
lin dem ich Sie sah mein Vers ent
-deckte," antwortete er ein wenig
spöttischen Jenes. »Aber geliebt -—
was ich lieb-en nenne — geliebt hohe
ich leine vor Ihnen. Und so darf ich
wohl lagen: Sie sind meine erste
Liebe. ——Jch sehn-see ei Jhnen,« feste
er beinahe feierlich hinzu, als sie ihn
wieder mit dem forschenden Blick ihrer
klaren Augen streifte
Ein besreiieo Ausathmen hob Ju
lias Brust.
Botgsiedt sah es« ver-stellte ihr mit
einem raschen Schritt den Weg und
nahm gewaltsam ihre beiden hande.
»Vertrauen Sie mir denn nicht«,
drang er in sie. »Mein Gott« gewiß
— Jhr Mund ist nicht der erste, den
ich getiißt. Jch lann nicht lügen
Ihnen gegenüber. Jch bin sogar
schon einmal oeeloht gewesen und
danle heute dem himmel, daß ich mei
nen Jerthum erinnerte, ehe es zu spiit
war. Aber darum — gerade darum, .
weil das herz mich schon in die Schule ’
genommen hat, weiß ich gewiß, daß!
ich in Ihnen die gesunden habe, nach
der meine seiedlose Seele aus der
Suche war. ohne daß ich es ahnte,
weiß ich gewiß, dasz Sie meinem ver
worrenen, zieilosen Leben wieder Halt
und Richtung gegeben haben, daß ich
nur Sie liebe, nur Sie lieben werde
bis zu meinem lesten Tage —- ach,
nicht lieben, nein, dasz ich Sie vereh
ren, anbeten will wie eine Heilige.«
»So dürfen Sie nicht zu mir spre- s
chen,« verwies ihn Julia und mühte
sich, ihre Hände frei zu machen. l
Er aber ließ sie nicht. »Doch,
doch," stieß er mit zuckenden Lippen
hervor; »doch muß ich so zu Dir spre
chen, Du Liebe, Du Einzigr. Meine
Hände möcht' ich aus Deinen Weg
breiten, damit Du weich gehen und
Dich an keinen Stein stoßen kannst;
mein Haupt möcht’ ich niederlegen zu
einem Schemel für Deine Füße. Und -
»s— noch nie in meinem Leben hab' ich
bitten können — aber Dich bitt’ ich
wie ein Kind seine Mutter-, kein
Frommer seinen Gott inniger bitten
kann: bleib mir treu, warte auf mich,
bis ich Dich heimführen kann, Du
mein Licht, Du meine Sonne!
Schwöre mir, daß Du mein bleibst,
daß ich Dich nie verlieren werde!"
Julia schloß die Augen, als fürchte
sie, seinem flehenden Blick erliegen zu
müssen, und schüttelte den Kopi.
«Nein,« erwiderte sie mit lonloser
und doch fester Stimme, ·das kann
ich nicht, das darf ich nicht. Ich habe »
Sie lieb, Winfried, sehr lieb. Wenn j
es einzig und allein an mir lüge, wenn :
ich nur an mich zu denken hätte,«
würde ich mich an Sie binden mit
tausend Eiden —- bedingungslos,
würde ich auf Sie warten Jahr um
Jahr, ein Leben lang s-- bis an’s
Grab. Aber ich bin meinen Eltern
Rücksicht schuldig, meinem Vater vor
allem, der außer sich gerathen würde, s
wenn er erführe, ich hätte mich Ihnen s
versprochen troß seiner Warnung, und ’
dern doch bei seinem leidenden Zustand
jede Aufregung erspart werden muß.
Und auch mein Bruder wird vielleicht
noch einmal seiner Schwester bedür
fen. Seine Existenz ist noch keines
wegs gesichert. Jch tann Jhnen das
nicht alles so sagen, wie ich’b em
pfinde. Aber mein Gewissen bäumt
sich auf in mir, mahnt mich: du darfst
nicht frei über dich verfügen, du ge
hörst nicht dir, du gehörst deiner Fa
milie. Aber auch Sie müssen sich
noch prüfen. Verstehen Sie mich
nicht falsch, bitte. Jch vertraue Jhnen
ja. oertraue Jhnen blindlings. Was
Ihre Augen, Jhr Mund mir sagten —
ich bin sicher. das kann nur die
Sprache einer echten, großen Liebe
sein. Aber um Jhrer selbst willen,
um Jhrei Stolzes willen dürfen Sie
mich nicht ali die Ihre betrachten, ehe
nicht der Weg für eine Verbindung
wischen uns frei ist. Und auch Sie
sollen nicht an mich gebunden fein.
Sie sollen nicht, um unsere rath
zu ermöglichen, in blinder eidens
schast einen Schritt thun, der Sie spä
ter vielleicht gereuen könnte. Sie sol
len nichti Aber da Sie sich selbst noch
Huichi klar sind, auf welche Weise Sie
zum Ziel gelangen wollen, wie lanu
ich's wissen! Nur das eine — Sie
deuteten es vorhin an — so viele vor
Jhnen es auch schon gethan haben
mögen, Jhre Ossizierslausbahn aus
gehen, einen bürgerlichen Berus su
chen, in dem Sie von leineni Ehe
tonsens abhängig sind —- netn, Win
sried, das diirsen Sie nicht« dürfen
Sie nun und nimmermehr. Ei würde
zu Jhreni Ungliiek ausschlagen. Sie
könnten es bei Ihren Anlagen, Ihrem
Seins-tanzend aus die Dauer nicht
aushalten aus einem Bethötigungs
seld in den engen Grenzen, die dem ge
wesenen Lieutenant gezogen sind. Und
ich —- ich lönnte dann nicht Ihre Frau
werden« Nicht nur deshalb nicht« weil
ej mir unerträglich wäre, schließlich
einmal sin Ihr ,versehltes Lehen’ ver
antwortlich gemacht zu werden« san
dern auch weil inein Vater seine Ein
willigung zu unserer Verbindung in
solche-n Fall niemals geben würde.
Jch lann, ich will nicht niedersteigen,
herabsinken von der gesellschaftlichen
Stuse, aus der ich geboren bin, aus
der ich stehe. Denken Sie daraum
nicht klein von mir. Jch achte jeden
Mann, der ehrlich fein Brot verdient.
ich frage nichts noch Glanz und Wohl
leben, ich will mich als Jhre Frau
gern einschränken bis zum Aeußersten,
aber —-— das steckt mir nun einmal im
Blut — ich muß vor der Weit die
bleiben, die ich heute bin. Und darum:
ich will warten, fo lange es in meiner
Kraft ftehi, fo lange ej von meinem
Willen abhängt, bis Sie ieiner Kau
tion mehr bedürfen, oder bis irgend
ein Zufall unsere Heirath ermöglicht
Doch darüber hinaus kann ich Jhnen
nichts versprechen. Sie müssen wissen,
ob Jhnen das genügt. — Und noch
eines: Mit leinem heimlichen Wort,
leinem verftohlenen Blick dürfen Sie
verrathen, was heute hier zwischen
H uns vorgegangen ift. Unsere Stellung
zueinander muß die bleiben. die fie
bisher war. Jch will nicht in ein
fchiefevaichi kommen vor den Leuten.
-- Und nun kommen Sie. Versuchen
auch Sie noch Ihr Weidmannsheil in
der Morgenfriihe!«
Sie machte ihre hönde frei und
ftieg wieder voran, dem Gipfel des
Berges entgegen.
Borgftedt wagte an diefem Morgen
tein Wort von Liebe mehr zu ihr zu
fprechen.
(Fortfenung folgt.)
Ae ter sit der Greise-.
Seit einer Reihe von Jahren beschäf- I
lig: sich der bekannte niederösterreichi-s
iche Landtagsabgeordnete Alsred v.
Lindheim mit großangelegten statisti
schen nnd sozialpolitischentlnlersuchun
gen, welche den Zweck verfolgen, die
Richtlinien unserer gegenwärtigen Ge
sellschaftspslege tritisch zu untersuchen
und die Grundlage zu schaffen fiir et
wa nothwendige Reformen. I
Er veröffentlicht eben im Verlag von
Franks Deutiele tWien und Leipzig) als
Schluß seiner Untersuchungen das
Wert »Halt-Je sem((-tutis«, das die BL- l
deutung der Dauer des menschlichen?
Lebens im modernen Staate beleuchtet. .
Mit den gewöhnlichen populären »
Abhandlungen iiber die Verlängerung
des Menschenlebens ist dieses tiefgriini ;
dige Buch nicht zu verwechseln. Diel
Geschichte, die Naturwissenschaften uno
die eralte statistische Erhebung sind
hier herangezogen worden, um ein Tat
sachenmaterial aufzubringen, das je
den Denkenden zwingt, seine übernom
menen Vorstellungen über die Beden
tung des Greisenalters zu revidiren.
Um so wirthvoller sind dieUntersuchun- »
gen v. Lindheimsals er eine Reihe von
Fragen von Fachmännern bearbeiten;
ließ. Hervorgehoden sei auch eine sta-?
tistischc Originalerhebung iiber die Les E
bensverhältnisse von iiber 700 Perso-:
nen, welche das 80. Lebensjahr erreicht
oder überschritten haben.
Tag Hauptergebnisz aller dieser Un
tersuchungen sei hier gleich vorwegg
nominen. Es beruht in der lkrtennts
nisz, daß die in der neuern Zeit immer
zunehmende Tendenz, nur jüngere Leu- »
tezu beschäftigen, die Arbeitenden in
den meisten Berufen schon an der
Schwelle des Alters zu pensioniren, in
doppeltem Sinne schädlich sei. Sie be
raubt den Staat einer ungeheuren
Snmme werthvoller Arbeitslrast und
verurtheilt zahlreiche leistungsfähige
Menschen zu einem vorzeitigen Siech
thum und Tod·
Das von A. v. Lindheim und seinem
Gelehrtenftab gesammelte Material be
stätigt die in der Arbeiter-Invalidi
ists-Versicherung des Deutschen Rei
ches gemachte Erfahrung, dasz bei den
in den Ruhestand Versetzten eine unge
heure Sterblichleit sieh einstellt. Wie
leistungsfähig dagegen das Greisenal
ter sein kann, wenn es sieh ungehindert
bis an die äußerste Grenze bethätigen
tann. beweist eine Ueberschrift der wis
senschaftlichen und tiinstlerischen,
wirthlchaftlichen und politilchen Wirt
samleit berühmter Greise.
Lindheim nennt dieseMiinner. deren
Geisteitraft bis an das spätefte Alter
ungesehn-seht verblieb oder zum Theile
erst um diese Zeit zur vollsten Lilithe
gelangte, .Titanen'.
Für die Periode zwischen dem 70.
und M. Jahre citirt o. Lindheim
nachstehende Beispiele: Rommodore
Vanderbilt bringt sein Bahnnetz von
120 aus 10,000 Meilen nnd vermehrt .
sein Vermögen um hundert Millionen. ;
Grote beginnt in seinem 71. Jahre sein ;
Wert iiber Aristoteleö. Mit 72 Jah- :
ren tonioonirt hänbel sein Oratorium
»Nimm-h ver Keit und Wahrheit«.
Im sen-en Ank- fchkkivr Meyekdkek sei
ne größte Oper, »Die Asritanerin'·,
publicirt Samuel Jobnson das beste
seiner Werte, »Das Leben der Dich
ter«, und vollendet Littre das größte »
aller Wörterbiicher. Bliicher schlägf
mit 72 Jahren die Franzosen bei Wa
terloo. George Buche-can schreibt mir
73 ahren »Da lnrses Regni«, Galilei
krna t die Entdeckung der täglichen
and wonatlichen Libration des Mon
des. Mit 74 Ja ren schreibt-staut sei
ne «2lnthropolog «, .Die Metaphysik
der Ethik und den «Karnps der Fakul
töten«, wird Thiere Präsident der
französischen Itepublit, malt Tintoretto
das grösste seiner Werte, das tolossale
»Paradiee«. Soving oerössentlicht
im gelben Alter seine bhanblnng iiber
»O ligationen«. Verdi vollendet sein
Meisterwerk «Otlpllo«,das als die beste
einer Opera anerkannt wurde. fn
einem so. Jahre schreibt er »Falstas ",
In 85. bewunderun ewtirdtge litchliche
Kompositionen, to e «Avo blas-ich
»stain matt-H »’t’e l)esnm«. Piet
ternich und Ottrnaret traten in diesem
Lebensalter von der politischen Schau
diihne ab, Crispi wird Premieerninis
ster von Italien. Viktor Hugo schreibt
mit 75 seine III-Ihnen J un ckimo«,
mit 79 »Don Qui-isten Vonts do
Istsiskprth mit 80 »’1’0kquemmän«.
Von Lamartine besitzen wir eine No
Vcllc, »Hier (I·.-szs«, Mc ck im 7s«
Jahre vollendete. Jn demselben Alter
schreibt Washington seine Anteil-tosen
phie, beginnt Humboldt den » os
mos", den er im 90. ahre beendet.
Bist arbeitet noch zwis n seinem 77.
und 83. Jahre an seiner »Physikali
schen Astronomie«. Jm 78. Jahre vol
lendet Lamaket sein größtes Wett:
»Die Naturgeschichte der Wirbeliosen«.
Und auch in den 80ek Jahren zeigt si
noch das Ieidherrengenie, das bewei
ver Sieg des 82jöhrigen Rodeßiy bei
Novara.
Noch überraschender ist vie Stati
stit der zwischen beni 80. und 90. Le
bensjahre vollzogenen Leistungen. Jn
diesem Alter begann Kato seine grie
chischen, Plutarch seine lateinischen,
Sokrates seine mutalischen Studien.
Gladftone eröffnet seinen berühmten
MidlothianFelbzug, der ihm zur
Macht verhalf, mit 80 Jahren. Noch
im 85. Jahre war er Premierminister.
Goethe vollendet den 2. Theil des
«Fauit« im so. « abke, Rante be innt
im gleichen Alter eine »Weltgeseh chte«
unb vollendet zwölf Winde bis zu sei
nem im 91. Jahre erfolgten Tobe.
Buffon, der große französischsk Natur
forscher, arbeitet bis zu feinem 81.
Jahre an feiner 44biinbigen »Natur
gesehichte". Palmerston ftirbt im sel
ben Alter als Premierminister, Ch.W.
Peale malt mit 82 Jahren ohne Au
gengläfer eines seiner schönsten Bilder.
Voltaire veröffentlicht mit 83 Jahren
die Tragödie »Jrene", Tennoion gibt
der Welt in feinem «(irofsing the Bar«
einen herrlichen Schwanenaesang.
Newton arbeitet mit N Jahren wie in
der Mitte feines Lebens« herbert
Spencer stirbt in diesem Alter bei un
aeschwiichter Geisteotrast, Tallehrand
beherrfcht die politische Situation in
seinemLande bis zu feinem 84.Lebens
jahre, Guizot zeigt mit 87 Jahren un
verminderte Schaffen-straft der engli
sche Philosoph Hobbez veröffentlicht
eine Uebersetzung der Odnssee. Moltle
ist mit M Jahren noch Generalstabs
chef der Preußifchen Armee. Mit 89
Jahren malt Michelangelo noch an
feinen Monumentalaemälden. Theo
phrastuo beainnt sein größtes Wert
»Der Ehoratter des Menschen« an
feinem 90 Geburtstag. Tizian malt
mit 98 Jahren feine «Schlacht von Le
panto« und ChevreuL ber große Nas
tursorscher, arbeitet ununterbrochen
bis zu feinem 103. Jahre.
Angesichts folcher Leistungen des
spätesten Greisenalters wäre es ver
messen, der Nitslichkeit irgendeines
Menschen eine vorzeitige Grenze zu
seyen. Mit Recht bemerkt Dr. Cunler,
daß fiir die meisten Vorfätze und hel
dentbaten die Jugend u. friitkes Man
nesalter am günstigsten sind, daß aber
fiir ewisse andere koncentrirtes Den
ken, ange Erfahrung und das gereifte
Urtheil des Alters die beste Ausstats
tur.g bilden. Aehnlich behauptete der
alte Kato: »Nicht durch Stärke oder
Schnelligkeit ode törperlicheGewandt
heit werden gro Dinge ausgeführt,
sondern durch Ueberlegung Anfeben
und Urtheil, Eigenschaften, die dem
Greisenalter nicht entzogen werden.
sondern in ibm noch vermehrt zu wer
den pflegen.«
Jedenfalls kann nicht bekannt wer
den, dafz viele der besten Leistungen im
handel, in der Staatskuan in der
Literatur und auf anderen Gebieten
von Männern ausgeführt wurden, die
weit über 60 waren. Kein tüchtiger
Mann wird sechzig als die Grenze tei
nee Ehrgeizes und feiner Wirlfamkeit
anerkennen.
Von großem Interesse sind nun die
Ergebnisse der erwähnten statistischen
Originalerhebuugen v. Lindheirns.
Sie belehren uns nämlich über die
Momente, welche zurVerlängerung der
vollen menschlichen Leistungsfähigkeit
beitragen. Als solche werden ange
führt: die Ernährung an der Brust
der Mutter oder einer gelundenAmme,
die Abstammung von gesunden. lang
lebigen Eltern, die legitim geschlossene
Che, Mäßigteit und Regelmäszigteit
im Leben, Beschäftigung bis in das
späteste Alter und tunlichste hinaus
schiebung des Ruhestandes. In der
Regel unabhängig ist die Dauer des
menschlichen Lebens und der mensch- -
lichen Leistungsfähigkeit von folgenden
Momenten: vom Aufenthalte in Land
oder Stadt, von Kummer und glück
lich überstandenen Krankheiten, von
Wohlstand oder Armuth. Jst allge
meinen rotrtt Uepptgleit eher schädlich,
Aemu erhaltend. Was den Zustand
des örpees betrifft, ist e Ek
haltung der Sehkraft und der
Beweglichkeit von größtem Ein
flus. Jhr Verlust tiith das Leben
ab, roeil er die Arbeit unmöglich macht.
Den Bezug auf die Kost wurde festge
stellt: Die gemischte Kost ist zu bevor
ugen. Mäsziger Genuß von Alkohol
site alternde Menschen ist niiglich.
i Mäßizer Genu von Tab-at ist nicht
sgesms heil-ichs rich.
Ja Oklahoma müssen die Frauen
ihr Alter angeben, fobaid sie ihre Ra
men in die Wähletlisien eintragen las
sen. Damit dürften die bösen Mäu
net den meisten Frauen die ganze
, teude am Wahlrecht verdorben hu
n. .