Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, February 26, 1909, Zweiter Theil, Image 9

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    Nebraska
Staats-Anzeiger und Ti«se»rold.
Jahrgang 29. Grund Island-, Nebr» 26. Februar 1909. Czkweiter TheiU Nummer 27«
M »so-—
MZHI Nebel (
Von Oetmann Oeffe.
Seltsam, im Nebel zu minderm
Etnfam ist jeder Busch und Stein.
Kein Baum sieht den andern,
Jeder ist allein.
Voll von Freunden war nur die Welt,
Wo noch mein Leben licht wac;
Run. da der Nebel fällt,
Ist keiner mehr sichtbar.
Wahrlich, leinet M weise,
Der nicht das Dunkel kennt,
Das unenlkinnbat und leise
Von allen ihn trennt.
Seltsam itn Nebel zu wandern!
Leben ist Einsamleim
Kein Mensch kennt den andern,
Jeder ist allein!
Uloppklchew
Eine tragische Geschichte mit gute au
tem Auoaana
Modpelchen war ein Puck-exem
plar seiner Gattung, nicht zu groß
und nicht zu llein, nicht zu dia, aber
doch mit einer leifen Neigung zum
Ernbonpoint, die ihm ein reizend ge
miitbliches Ansehen aab. Mopvel
chenrl ariifzte Schönheit aber waren
wundervolle, lluge, braune Augen, die
einem durch und durch sahen. Mit
zunehmendem Alter und zunehmender
Avrvulenz war er auch ein biffchen be
quem aeworden. In seiner riibefien
Jugend war ihm tein Weg n steil und
tein iGraben zu breit aewe en, so daß,
wer ibn damals aelannt hatte und ibn
heute wiedersah, webmiittsig sagte:
»Ja, ja, man wird alt!« was Mao
pelchen reaelmiiksia als eine ungeheure
Beleidigung au fa te und ein bissige:
Gesicht machte. iie Bissiaieit war
überhaupt einer von »Man-Mens
Feblern Es mochte wodearan lie
gen· das-, er von Anfang an sebr ver
bstschelr worden war, aenua. er hatte
- sechste einem richti n Tyrannen aus
gewachsen, so da jeder sich hütete,
Moovelchen etwas in den Weg zu les
nen. Auch Neaereien tonnts er gar
nicht aut vertragen.
Seit einiger Zeit war aber vollends
aar tein iAustommen mehr rnit ihm
Er batte nie Stirn in finitere Falten
aezoaem und irer Mopppelchen kannte,
wußte, was das zu bedeuten hatte.
nämlich Sturm. Auch das Essen
schmeckte ihm nicht mehr, worüber er
doch sonst Zeit seines Leteng nicht izu
itaaen aebabt batte. Er sasz mißmu
tbia und unfreundlich ins feiner Ecke,
so dass leiner sich beranwaate. War
Moopelchen etwa trans? Man fragte
und forschte « Moduelchen oerrietb
rnichte, bis man denn eines Tages doch
dahinter kam —- ia, so war eo, nun
laa es tlar zutage ,-—- Mopvelchen war
verliebt, rettungslos. Sie war eine
kleine Schönheit; bochmiitkzig« wie es
das gute Recht aller Schönheiten ist;
vornehm, wie et diejenige fein mußte,
an die Mopvelchen sein gutes, unbe
rtibrtes Herz verlieren konnte. Sie
wohnte drei häuser non ihm, er traf
sie fast täglich auf der Straße —- aber
das schlimme war, daß sie über das
gute, dicke, bequeme Movpelchen weg
sah, als wäre es gar nicht vorhanden.
»Noch viel schlimmer als Luft be
handelt sie mich,« dachte Mondelchen
ingrimmig, »sehr ich denn wirklich so
miserabel ausi Oder bat die schöne
Lili nur seinen Gefchmaa?«
Daß sie Lili hieß, wußte er schon,j
das hatte er neulich gehört und nannte
sie glücklich in seinen Gedanken so.
Woher sie tam der Fahrt und wie ihre
Art, hatte er bisher noch nicht ergrün
den können, so unermüdlich er ge:
forscht hatte. Nun, es würde schon
noch werden.
Moppelchen wars also seinem Spie
gelbilde einen tiesschmerzlichen Ah
schiedsblick zu, riictte noch die braun
seidene Krawatte zurecht, nahm sich
eine Zigarette aus dem TZilbertästchen
aus seinem Schreidtisch und machte
sich an die Arbeit. Er hatte nämlich
scheußlich viel zu thun, denn er war,
was wohl bisher noch gar nicht er
wähnt worden ist, wenn auch nicht
wohlbestallter. so doch ordnungsmäßig
geprüster königlich preußischer Ge
richtsreserendar. So schön der Titel
nunauch unstreitig ist, so lann man
doch nicht ewig dabei stehen bleiben.
Das sah selbst Modpelchen ein« beson
ders seit die schöne Lili in seinen Ge
sichtskreis getreten war. Deshalb
sehte er sich mit dein ganzen Feuer sel
ner 25 Jahre hin und edit-, ochste,
was das Zeug halten wollte. — Und
wenn draus-en die Sonne noch so schön
schien« und wenn es der hellste Som
mersonntagnachmittag war, wenn er
von draußen die lustigen Stimmen
-—-- - --, a,-.-,-.i-k- HA--f H- »k-, » -..-..«. .—·..—
derer hörte, die hinauszugen und durch
sein Fenster all die fröhlichen jungen
Gesichter sah, et blieb standhaft unh
ochste weiter. Nur am Dienstag Nach
mittag um 3545 Uhr, wenn Lilt zur
Gesangsstunde ging, dann hielt ihn
teine Macht der Welt, dann nahm er
seinen »Steisen« vom Nagel, den
Ebenholzstact mit dem Silbekgriss aus
dem Ständer und zog aus wie wei
land Christvph Columbus, die Welt
zu entdecken oder doch das Herz seiner
Schönen. Das hatte schon wachen
lang gedauert: Lili war unentwegt
schön, still und hochmüthig an ihm
vorüber-gegangen Da saßte denn
Moppelchen der Muth der Verzweif
lang.
Er hieß natürlich eigentlich gar
nicht Moppelchen. der Name war ihm
nur so angeweht, ganz von ungefähr,
ohne dasz ieiner wußte, wer ihn ausge
bracht hatte —- der Name war eines
Tages da, jeder kannte ihn, jeder
sand, daß es die beste Bezeichnung siir
den drolligen kleinen Burschen war.
Der Name blieb ihm, als er größer
wurde, jung und alt, Männlein und
Weiblein wandten ihn an. »Motivel
chen« war er aus der Schule und aus
der Universität, ,,Moppelchen« daheim
’und im Ballsaal. Und dabei haßte er
den Namen, haßte ihn, seit er selbst
.stiindig denken lonnte —- teiner aber
;liimmerte sich um die Wuth des klei
nen Burschen, der mit geballten Fäust
« chen auf jeden losging« der den gehaß
ten Namen aussprache jeder lachte nur
über seinen ohnmächtigen Groll, bis
er es denn lernte, zähneknirschend
zwar, aber doch still, die Benennung
zu erdulden. Nur manchmal war er
grob geworden, als er älter wurde,
sack-siede-grob, wie eben nur Moppel
chen sein konnte -—— die Freunde hatten
ihn dann nur grenzenlos erstaunt an
gesehen: »Aber Moppelchen, was hast
Du denn? Co war doch nicht bös ge
»meint.'« Er hatte dann noch gute
,Miene dazu machen müssen, aber ver
tzeihen tonnte er es ibnen nicht« keinem
Idon denen, die ihn d«rch diesen Na
. inen lächerlich machten. Als er seinen
Doktor machte, hatte er gehofft, nun
endlich die Galeerenkette, die er in die.
sein gehaßten Namen seiner Kinderzeit
mit sich schleppen mußte, los zu wer
den. Wie gut das klingen würde:
»Herr Doktor.« Er hatte es sich tau
send-nat vor-gesagt, in allen Tonarten
s-- und als es soweit war, als er
wirklich und wahrhaftig »Herr Dok
tor« war -- der erste Freund, den er
aus der Straße tras, der ihm in die
strahlenden Augen sah, der hatte ihm
jubelnd beide Hände hingehalten:
;»Moppelchen, Moppelchen, ich gratu
lire!" Moppelchen hatte nicht böse
sein diirsen, diesmal nicht. lFr hatte
Fee eingesteckt und tausendmal noch
hinterher.
Augenblicklich hatte er dies sein
lSchicksal ganz vergessen. Sein ganzes
Sein und Denken war Lili und noch
mals Lili. Heute wiirde er es wagen.
Er traf sie wirllich. Sie sah zum
Anbeißen aus in einein lichtblauen
Kleide, eine weiße Rose im Gürtel,
braune Löclchen unterm Hutrand. «
Mopbelchens Herz schlug so sehr, das;
er kaum weitergehen tonnte. Jetzt
stand er neben ihr. Er zog seinen
Steisen: »Gnädiges Fräulein —-« i
Sie wollte hoch-nöthig über ihn;
wegsehen und weitergehen, aber sie
brachte es nicht fertig, die lieben gold- !
braunen Augen schmeichellen und ba «
ten gar zu slehentlich — ein leises, lei
ses Lächeln glitt über ihr Gesicht. Er .
sah’s —— und da sprudelte es über sie .
hin, alles, was er gedacht hatte, und
wag er denlen würde, und was er ge
than hatte seit undentlichen Zeiten.
Sie gingen wie alte Bekannte neben-«
einander her; Lili larn gar nicht dazu,
auch einmal etwas zu sagen, sie konnte
nur lächeln und nicten und den Kopf
schütteln über das gute, närrische,
glückselige Mal-beleben
Er machte dann einen Besuch, sie
trasen sich öster, und eines Tages
sragte er sie, ob sie ihn heirathen wolle.
Lili hatte lange gewußt, dasz es so
lornmen würde. aber ein bißchen zap
peln sollte er erst noch. Sie machte
deshalb ein unsagbar überraschtes Ge
sicht, zoa die Oberlippe ein bißchen
hoch, weil sie wußte, da es ihr gut
stand, und fragte Mit-s «ttisch: »Hei
ratshen2 Aber wer denlt »denn an so
etwa-? Ich Sie heirathen, Mem-el
eben-i«
Er starrte sie an, riß die Augen aus,
als stände statt der rosigen Lili ein
lchreeslichei Gespenst vor ihm. Ganz
blaß wurde et, als sie den häßlichen
Namen la te. Ihm wars, als wäre
ihr rot-her und entweiht. Wer knoch
te«ihr den Namen aesaat baden? O
daß er ihn hätte, den Schändlichen
hier unter seinen Fäusten! Warum
aber sprach sie es nach? Sie hätte
wissen müssen, wie er das Wort hast«
·JJioppetchen? sann man so wohl ei
nen nennen, den man lieb bat? Mod
petchenPi Gut, wenn er fiir sie eben
auch nur das Moppetchen war, das
von allen Leuten in Anspruch genom
men wurde. von jungen Damen, ncn
ihnen Erfrifchungen zu besorgen, von
alten Damen, um ihnen Phids nnd
Schirme und Tiicher zu tragen, von
Freunden, um ihnen bei ihrer Arbeit
zu dessen, das teiner ernst nahm«
weils-s doch eben das »Mein-leben«
war — für tie auch nur das Wonnel
chen, mit dem sich’s gut plaudern und
scherzen läßt« das sman dsoch aber nicht
heirathet —- nun, dann mochte es eben
sein.
Nichts erinnerte mehr an das
freundliche, autnsiitbiae Gesicht Mep
pelchens, als er jetzt seinen Hut zog,
ihr eine tadellose Verbeugung machte,
»Verzeiht-na, mein gnädiges Fräu
lein!« lehrt machte und ruhia und ele
gant die Straßen hinunterschritt.
Und Moppelchen beschloß zu sterben.
Dann würde er wohl dem Fluch sei
nes Namens entgehen. Vielleicht seh
ten sie ihm noch auf seinen Grabstein:
»Hier ruht Moppelchen.« Mdchten
sie’s thun. Jhn würde das dann nichts
mehr kümmern » i
Moppelchen ging also hinein ins die
Anlagen vor der Stadt bis zum klei
nen See und setzte sich auf eine Bunt.
Das war sein Lieblingsplah.
hatte er auch manchmal mit Lili gefes
-ien. rDriihen aing gerade die Sonne
to schön unter, er sah hinein in das
Gold, und es tam ihm ein brennend
Weh, iortzusollen von der schönen
Welt. Er dachte an die fröhliche Klin
rerzeit in dem aroßen Hause. dachte
an die frohen, sorglvsen Jahre, da
Band und Mütze ihn schmückten, und
dachte an Lili. Und er träumte, daß
sich eine helle Gestalt leise zu ihm neig
te und daß sich zwei kleine, weiße
Hände still um seine legten —- oder
träumte er das nicht? War das nicht
wirklich und wahrhaftig Lili. die ihm
non unter heraus in die Augen sah:
»Was war's denn? That ich Dir
wehZ Du, vergib mir!«
Er sah die sehnssiichtiae Liebe in den
tiefen, schönen Masdchenauaem verges
ien war die erlittene Ariintuna und
all die herben Todesgedanten Er
sprang mit einem hellen Jauchzen auf
und nahm das Mädchen in seine
Arme.
»Ich habe Dich doch so lieb --
Moppelchen«, saate sie leise und ziirt
lich. Er wurde nicht mehr böse. Dai
häszliche Wort tlana ihm jetzt wie helle
Glocken und er küßte den Mund, der
es gesagt. »Saa’ es noch einmal«,
bat er. »
,,Mopnelchen!«
»Hu schön!« sliisterte er beieliat
Tilrkischesvsksitzetthmm
Icn der Türtei l.1il)t es teine Tut
stitution, ganz gleich ob stattliche oder
private, in der nicht Spitzel unter
halten werden, nnd Zwar sind esxs
inuner zwei Kategorien: die pfi
.tiellen, die jeder tennt, und die meet
aeiährlicheren, die geheimen Wie
Spinnen hgben sie das Land Inis
ihren Netzen umwoben, nnd ihre Will
tiir tennt keine Schranken Das Eli
stetn der Spionage geht in der Tiirlei
so weit. daß jeder Beamte Spitzel-"
dienste leisten musi; denn wer trin’
Spion ist, ist auch tein Patriot. »
Jeder, der einen mehr oder tvenisrer
guten Posten innehat, ist bemüht, zum s
Beweis seines Eifers irgendeinen llm »
stiirzler zu entlaroen. Ein Beamter in i
der tnodernn Türkei erinnert an einen i
Spiirhund, der ständig aus der Fährte I
ist. Jeden neuen Menschen betrrntitetl
er begierig und mutmaßt in ihm einen
Verbrechen »Vielleicht dieser!«, und»
nur widerwillig läßt er ihn gehen, da!
er sich nicht entschließen tann, deuT
Verdächttgen dem Ordnungswäditeri
zu übergehen. Mit Neid sieht er auf.
die Braven, die ohne Zögern zugeri
sen. Es tut auch nichts, wenn fehlgeii
grissen wird. Bei solch heißer Arbeit
tann es ohne Jrrtum nicht abgehen
Es wird vergeben, wenn nur die Liede
zur Sache außer Frage steht. Die
Fähigkeit, irn Namen des Vaterlandes
jede Lumperei zu begehen, wird Pa
triotistnus genannt. Die politische
Geheimorganisation liegt in den Hän
den zweier wichtiger Beamten, beide
verfügen sie über viele Gehilfen. Diese
zwei Beamten sind: der Polizeimini
sster und der Chef der Geheimen-tei
lung, nur hat der lehtere die größeren
Machthesugnissr. Er kennt die Ange
stellten der Geheimabteilung persön
lich, während der Polizetmtntster von
der Zahl und der Güte der A enten,
das heißt der Spihel in politischen
Anselegenheitem keine . Ahnung hat.
s verdient hervorgehoben zu wer
den, daß der Mord, besonders wenn
der Ermordete ein Christ und der
Mörder ein Muselmann ist, nicht zu
den besonders schweren Verbrechen ge
rechnet wird; viel strenger wird der
Diebstahl geahndet. Obgleich das tür- »
lische Recht eine wörtliche Ueber- «
setzung des französischen ist, hat es in (
der Praxis mit diesem nichts gemein..
Die Anschauungen überVerbrechen, vor -
allem iiber den Diebstahl, find bei den
Türken höchst eigenartig. Bestechungen,
auch solche niedrigster Art, werden bei- J
nahe als Verdienst angerechnet; aber
Allah behüte den Aerrnsten, der aus
einem Hause oder Laden etwas stiehlt;
er wird alg Auswurs der menschlichen
Gesellschaft betrachtet Nicht umsonst
iiihmen die Europäer einstimmig die
ziiusterhaste Ehrlichkeit der Türten.
Wahrlich, der Türle wird keineSachen
stehlen, die seiner Meinung nach wert
los sind, er wird aber leichten Herzens
morden und rauben, wenn die Gele
genheit günstig und er sicher ist, un
entdeckt zu bleiben·
Es ist Regel geworden, daß jeder,
der aus irgendeine Weise mit dem
stutzig-Most in Berührung kommt,
schon allein dadurch verpflichtet ist,
Spitzeldienste zu leisten. Spitzel wer
den müssen alle, ob Angestellte oder
Beamte eines Ministeriums, ob Ossi-i
ziere der Armee oder Marine· Das .
ist sozusagen eine ossizielle Seite des I
Dienstes geworden. Wir sind nichtj
weit von der Wahrheit, wenn wir be
lscsupten, daß aus jeden Bewohner der
Türtei zwei Spitzel kommen. Jeder
türtische Bürger weiß, daß seine Per
’son von zwei hierzu bestimmten Sub
jelten übern-acht wird.
sicher sein, daß einer oder zwei Kellner
Spihel sind, die die Verpflichtung ha
iben, einer bestimmten Person nachts
iiber alle Gäste Bericht zu erstatten.
In dringenden Fällen können sie es
auch am Tage tun. Sie müssen er
liiihlen, woriiber man gesprochen, ge
stritten hat, und was ihnen überhaupt
an den einzelnen Besuchern auffällig
erschienen ist.
, Außer den gewöhnlichen Spitzeln,
die, wie wie bereits erwähnt haben,
»viele von Angesicht kennen, findet sich
an jeder öffentlichen Stätte ein gehei
mer, den niemand kennt und, was noch
schlimmer ist, in dem niemand einen
Spion vermuten wiirde. Meistens
sind es erprobte und zu allem fähige
Leute. Sie bekleiden eine vom türki
schen Standpunkt aug gute gesellschaft
liche Stellung, und diese, oft junge und
vielversprechende Beamte, erwecken in
leinem den Gedanken. daß sie im Dien
ste der Geheimpolizei stehen. Deshalb
herrscht unter den Türken, wie auch
Tunter den lljiuselmiinnern überhaupt,
das gegenseitige Mißtrauen Jn dem
nächsten Nachbar wittert man. häufig
mit Grund, den Spion. Diese anor
ncale Lage führt häufig zu ernsten Fa
miliendramen, da eg vorkommt, daß
der Vater den Sohn und dieser den
Vater denunziert In jeder Familie,
die nicht nur aus Mann und Frau be
steht, gibt es einen Spitze-L Es sind
Fälle bekannt, Ivo Personen den eige
nen Bruder denunziertem um vom
Sultan belohnt zu werden. Um sich
vor erdachten Feinden zu schützen, ver
dirbt der Staat seine Untertanen. Eine
Denunziatiom wenn sie nur irgend
welche Bedeutung hat, bleibt nie un
besoldet, und diese Judaggelder, die
ost auch in Form von Rangerhöhungen
gezahlt werden« iiben natiirlich eine
demoralisierende Wirkung ach aus dasJ
ganze innere Leben des Türken. Jn
jeder Schule gibt eg unter den Kleinen
unbedingt einen Spion, dessen Eltern
dasselbe Gewerbe betreiben. Wenn er
ans der Schule nach Hause lonimt,
wird er, gewohnheitsmäßig feinen
Eltern alle-:- erzählen wag er im Laufe
der Unterrichtsftunden gehört und ge
sehen hat, wobei er seine Kameraden
stets mit Namen nennt. Nur handeln
die Kleinen noch unbewußt, meist aus
Befehl des Vaters. »Baba« tVater),
spricht so ein Kerlchen, ,,heute hat Fuat
Bei den Lehrer geschimpst.« — »Was
hat er gesagt, mein Junge.« sragt der
Vater, den Buben zärtlich berührend.
»Er hat ihn laut Dieb genannt!« —
,,Dieb? Ah, so’n Kerl! Fuat Bei?«
überlegt laut der Vater, »ist das nicht
der Sohn des Koliagassi (Major), der
in Chaidar-pascha fein Vorort von
Konstantinopel am asiatischenStutari
’User) wohnt?« s-- »Ja, ja, Baba, der
selbe! Mein Vater, erzählte Fuat, gab
dem Lehrer mehreremal Geld, als der
in Karten verlor, und schrie auf ihn.««
Der Knabe redet noch mehr ähnliches
Zeug, und der gesinnungstiichtige Va
ter hört das alles an und erwägt, wel-.
chen Nutzen er daraus ziehen könnte.
Er wird diese belanglose Sache nicht
auf sich beruhen lassen; nein, er wird’s
notieren und bei Gelegenheit, wenn er
Ell-er den armen Maon ein Journal
schreibt, sich dessen erinnern. »Jour
nal«, das ist das fiirchterlichste Wort
fiir den türtischen Bürger. »Journal
schreiben« heißt, die schon in allen Ein
zelheiten fertige Denunziation ins
Reine übertragen.
Und wie unter den Schülern, so geht
es auch unter den Lehrern, nur mit
dem Unterschied, daß ein Nichtspion
selten ein Lehramt erhält. Er ist ge
zwungen, seinen Eifer, wenn auch nur
rein äußerlich, zu bezeugen. So be
kleidet ein Schuldirettor zwei Posten:
den des Schuldirettors, der von dem
Unterrichtsministerium Gehalt emp
fängt, und den des Spitzels, der von
einer anderen Seite besoldet wird. Und
trotzdem weiß er nie, wer von seinen
Lehrern und Schülern Kollegen seines
inossiziellen Berufe-'s sind. Es ist
selbstverständlich, daß viele, um ihr
Brot zu behalten und nicht selbst in
eine Falle zu gehen, genötigt sind, sich
für Spißel auszugeben. Wenn in ei
nem Regiment vierzig Ofsiziere sind,
so tann man, außer dem Regiments
tommandanten, der sozusagen als obli
gatorischer Spion bezeichnet werden
muß, sicher zehn bis zwölf Prozent da
von als Geheimspione betrachten. Und
wenn man sich in einer türkischen Ge
sellschaft, in einem Bade, diesen tür
tischen Klub-L in einem Laden oder
irgendwo sonst befindet, man darf
sicher sein, daß man von Geheim
agenten beobachtet wird- Und von die
»serBiirde, die abzuschütteln sie sich ver
gebens bemüht, wird die Türkei wohl
ztaum jemals ohne fremde Hilfe srei
Iwerden. Es gibt noch eine andere
zKlasse dieser Parasiten, nämlich die
IDetektiveH. Diese werden von der Ge
Hsellschast verachtet, aber weniger ihres
Gewerbes wegen, als weil unter ihnen
sehr selten Muselmänner zu treffen
sind. Während man in dem Spind
beruf nichts Ehrenriihriges erblickt,
gilt das Gewerbe des Detektives direkt
für schändlich. Jn der Vorstellung des
Türken ist ein Detektive und ein Henker
dasselbe. Die Detektives rekrutieren
sich aus Griechen, Armeuiern, Monte
regrinern, Jtalienern, spanischen Ju
den, Deutschen, Franzosen, es sind
auch darunter einzelne Rassen und ei
nige Mufelmänner, doch sind das völ
lig demoralisierte Subielte.. Es gibt
auch unter den Detektiveg solche, die
gleichzeitig Spitzel sind. Es ist eine
Gesellschaftsklasse, der nichts heilig ist;
lasterhaft von Geburt und sittlich ver
wahrlost durch das herrschende Regiine,
sind sie zu jeder Schandtat fähig. Sie
haben die Taktik der Machthaber er
späht und wissen die allgemeine Lage
geschickt für sich auszunutzen. Sie sind
immer willig, Spitzeldienste zu tun,
und gegen Entgelt stellen sie auch ihre
Faust und ihren Dolch zur Verfügung
Sie sind, zuin Beispiel, ein schlechter
Mensch und wollen an jemand Rache
nehmen· Sie siirchten aber die Ver
antwortlichkeit, so läfit sich das in der
Tiirkei leicht bewertstelligen. Ein be
» taunter Fall kann das illustrieren. Ein
s iu der Tiirlei populärer Chefredakteur,
ITahir Bei, ein früherer Jungtiirke,
; hatet in dein von ihm redigierten Hof
Ilslatte Malumat eine Person angegrif
ifen. Sicher hatte er dazu aus Indis
sRiogk Befehl erhalten. Aber als uian
sihni den riglanten Auftrag erteilte
versäumte man, den Redakteur vor den
eventuellen Folaen zu schützen Der
;Angegrifsene machte kurzen Prozeß.
JEr tnietete drei Detettideg, man wurde
handelseinig nur stellte er die Bedin
gung, daß Tahir nicht ermordet, son
dern nur halbtot geprügelt werden soll
te. Da der fragliche Artikel vor acht
Tagen erschienen war, tehrte Tahir
Bei eines Nachts gegen zwölf Uhr
ahnungslog durch Galata nach seiner
in der BabaAliStraße neben den
TMinisterien gelegenenWohnung zurück.
Er war noch nicht die Straße hinun
tergegangen, als plötzlich drei Männer
’ tun die Ecke stürzten, sich auf ihn war
sen und ihn zu priigeln begannen.
» Dann entfernten sie sich und ließen den
H Uebersallenen liegen.
Ein geheimer Mord wird von den
Spitzeln nur aus Befehl ausgeführt;
was die unpolitischen Verbrechen he
trifft, so sieht ihnen die Rechtspflege
durch die Finger. Wer gut essen und
trinken will, ohne zu arbeiten, siir den
gibt es einen glänzenden Beruf: das
Denunzieren. Brauchst du Mittel zum
Studium: werde Spitzel; willst du
eine Rangerhiihung: denunziere; mußt
du deine finanzielle Lage verbessern:
geh zu den Spißelm kurz, was du
auch vorhaben mögest, um es erfolg
rcich durchzuführen, mußt du Spitzel
werden, das ist das Alpha und das
Omega des türkischen Bürgers. Die
Sucht, zu denunzieren, die unmöglich
sten Vetschwörungen aufzudecken,
wächst mit jedem Tag. Jn jeder der
Kanzleien des Schlosses, und ihrer
sind Hunderte, beschäftigen sich einige
gutbezahlte Beamte ausschließlich da
mit, die einlaufenden Denunziationen
zi. lesen. Wichtige sichtet der Sultan
selbst und belohnt sreigebig die Auto
ren dieser literarischen Blüten. Und
von dem Volle, das lrampshast be
müht ist, einen Ausweg zu finden und
sich Menschenrechte zu erringen, geht
ein Stöhnen von einem Ende des Lan
des zu dem anderen.
Moyammed Aisckkin
i W -
i Der Pavaqei als Lehenieeteer.
I Die Geschichte einer merlwiirdi gen
»Ertettun,a eines jun-ten Mädchens
’aus den Trümmern eines eingestürz
ten Hauses in Messsina schildert der
an der Stätte der Katastrophe wei
lende Korrespondent Civinini des
»Corriere della seka«. Er hatte sich
noch am Abend einem Trupp von Ma
trosen angeschlossen, der zwischen den
Ruinen am Rettungswert arbeitete
»Wir iibertletterten ein wüstes Feld
Von Ruinen, sprangen ijber eingefal
lene Kellerwölbungen, stiegen über
hohe shalbzertrümmerte Steinblöckh
als plötzlich aus einem schmalen
dunklen Hohlweg dem Ueberrest ei
ner kleinen Gasse, über der 4sich die
aegeneinander acsallenen Mauern
zweier Paläste zu einem schwanken
den Hausen geborstener Steine auf
getljiirmt hatten, eine heisere rauhe
Stimme ertönte, die immerfort mit
llaaendem Tonsall ein einziges Wort
rief: »Maria, ·Maria.« Sofort mach
T ten »die Matrasen sich an die Arbeit,
mit äußerster Vorsicht begann man
Schuttbeile fortzuräumen. Nach ei
ner halben Stunde ertönte ein dum
pfes Poltern: die Trümmer sinslen in
sich zusammen und ein« tiefes schwar
zes Loch gähnt den Rettern entgegen
eFast wäre einer der Retter mit hin
abgerissen worden, aber im letzten
Augenblick konnte er noch an dem
Beine eines Gefährten einen Halt
gewinnen uer wurde rafch aus einer
Staub-wolle emporgezogen Einen Au
genblick steht alles vom Schreck über
mannt: der Ver-schüttete ist ietzt wohl
zerschmettert Aber aus dem Loche
tönt ein Rafcheln und dann kriecht
flügelichlagend ein grüner Papagei
aus der Oeffnung und schüttelt sich
den Kallftaub aus den« Federn. Am
Rande bleibt er sitzen und sofort er
tönt wieder sein llagender Ruf: Ma
ria Maria. Unten im Gewölbe
fand man dann die Maria des guten
Vogels-, seine Herrin. Vleich ausge
streckt laa sie da, ein wundervoll
fchiineI junges Mädchen, anzusehen
wie der Leichnam einer Heiligen.
Bald zeigte es fich, daß sie nicht todt
war, eine tiefe Ohnmacht hielt fie
umfangen. Sie befindet sich jetzt an
Bord eines Schiffes in äretlicher
» Pflege, und man hofft, daß ishr Le
i ben erhalten bleiben wird. Der Pa
Hpagei aber, ibr Lebens-retten weilt
sglg Gast anf der »Reg«ina Elena«
s unr- ift bereits »der Liebling aller Of
f fixiere uni Seeleute an Vord.«
Der zurückgewiefene Orden.
l
l Kapitän v. Montaignac, der spä
i ter in1 Kriege aeaen Abd el Ruder als
i Konimanrssant von Dschemma fiel,
war ein besonders tapferer. aber auch
lehrlicher alter Soldat. Jui Jahre
18529 bei den M.iis.1nruhen in Paris
hatte er sich besondere ans-gezeichnet
und sollte bei einer Parade mit dem
Streu-. der Ehrculegion detorirt wer
den. Als ihm König Ludivia Philipp
das Kreuz selbst anhesten wollte. trat
Montaignac einen Schritt zuriick nnd
sagte: ,,3ire. ich habe e5 nicht ver
dient.«
,,.K«aoitän«, entgegnete Ludtnig Phi
lipp-, »Ihr König ertheilt Ists-neu das
KreuW
»Gleich·. Sire, Montaignac weiss es
zurückl«
Natürlich mußte sich Montaignac
darüber vor dein Kriegsominister ver
antworten. Er sagte: »Wenn ich das
Kreuz siir eine Wassenthsat gegen den
Feind verdient hätte, so würd-e ich
glücklich gewesen sein und es mit
Stolz qetraaen haben, Hier aber habe
ich nur zur Herstellung der Ordnung
beiaetragen Jsch meine. dafz bei Blit
aerzwistsplein Orden ertheilt werden
sollte!«
-—-—
Die Meldung von der Beschießung
eines deutschen WoernianwDampfers
Von Seiten der Marine der Republik
Liberia hat sich als Ente heraus-gestellt
Da wollte also jemand die schwarze
Republit noch mehr anschwärzen.
Il· Its III
Hundertundzwanziq Millionen Dol
lars soll Sultan Abdul Hamid im
Auslande in Sicherheit gebracht haben,
ehe er seinem Volte die Verfassung gab.
Vielleicht hat er befürchtet, das Geld
könne mit in die Kontursmasse des
Absolutismus gehen·
II II· it
Frauen lesen wahrscheinlich nur
deshalb stets den Schluß eines Rom-t
neg zuerst, weil sie gewohnt sind, tm
mer das letzte Wort zu haben.