Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, January 01, 1909, Zweiter Theil, Image 9

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    Nebraska
Staats- Anzeiger und J set-old
- Jahrgang 29. Grund Island Nebr» i. Januar 1909 (Zweiter Theil) Nummer. 19.
Mne dochzrit tm Jerusalem
Es ist schon ganz still in unserm
Hotelz die modernen Kreuzfahrer, die
sich tagsiiber an den Sehenswürdigkeis
ten müde gelaufen haben, gehn zeitig
zur Ruhe. Da wird es lebendig im
Hause. Ein Bote mit der Laterne in
der Hand, in sliegender Eile, klopft
auch an meine Tür. Es ist der Bru
der der Braut, der den Auftrag hat,
zur Hochzeit zu laden und die Gäste in
das Haus des Vaters der Braut zu
geleiten. Wir haben kaum Zeit, uns
notdürftig für das Fest zu rüsten. Jn
Laufschritt geht es durch die engen,
steiien Straßen der Stadt in sinsterer
Nacht. Sie sind zu einem roszen Teil
ülserwälbt, der matte S der La
terne huscht über die Sbisem die den
steilen Abstieg und Anstieg mildern.
Mo die Straße frei ist oder ein Licht
schacht das Gewälbedunlel unterbricht,
leuchten vom Himmel die Sterne her
ab. Das Haus der Braut liegt in ei
ner enaen Gasse des Araberviertels.
Von außen gesehn ist es wie fast alle
Häuser an der Straße ein düsterer,
elender sltohsteinbau, das Rohrverk der
Mauer nur an wenigen Stellen von
Fenstern durchbrochen. Ein finsterer,
schmuhiger Torweg führt in den Hos.
hier ist Leben. Alle vier Seiten des
Hofes sind von einstäctigen Gebäuden
eingeschlossen. An den Ecken führen
hölzerne Wendeltreppen zum ersten
Stockwert, worin sich die Wohnräume
befinden. lsin hölzerner Altan geht
um das ganze Häusergeviert nach dem
Hof zu. llnbehindert kann man wie
auf einem Rundaang das ganze Häu
srrgeviert im ersten Stockwert um
schreiten und hat von da aus Zugang
zu allen Wohnungen. Denn die Tü
ren und die Fenster gehn alle nach dem
Hof. Selbstverständlich nehmen die
hausgenossen an der Freude der
seiernden Familie teil.
Wir werden ins lkhrenzimmer ge
leitet und vom Vausherrn empfangen.
Zwei Stunden hatten wir Zeit) unsre
durch die Eile der Ladung aufs höchste
gespannten Erwartungen in Geduld
zu fassen. Nicht weit von unsern Zim
mern war das Zimmer der Frauen,
die um die Braut versammelt waren.
Dieses Zimmer zu betreten. wäre ein
grober Verstosz gewesen. aber vom Al
tan konnten wir durch die offne Tür
dineinschauen. Ein betäubender Lärm
schallte uns schon beim Betreten des
Hofes entgegen. Er tani von den
Freudenliederm die die Brautjung
stauen ohne Aufhören ansiimmten.
Jede Strophe des Liedes schließt mit
iem Jubelruf hast-a, wobei das i mit
einem treisrbenden Kehllaut nach
Kräften geschieen wird, wie es sonst
nur von einem lebenslustigen Eselein
zu hören ist. Ließen die ermatteten
Stimmen eine kleine Meile nach. so
setzten sie dann um so höher und träf
iiger ein, denn das laute Schreien isi
der Maßstab der Freude. Die Braut
wird in den Liedern gepriesen, ihrer
Schönheit kommt nichts gleich auf Er
den· Und der Bräutigam ist ein Held
an Stätte und steht an hoher Gesin
rtung unter den Edelsten seines Volks.
Was gibt es Schäneres als eine Hoch
zeit, fie ist der Inbegriff aller Freude.
»Wir wollen nicht bittern Kassee«. sin
gen die Frauen, «sondern wir wollen
Arrat aus großen Krügen trinken —
ba-i-a.« Es sind die halbmannshohen
Krüge gemeint, die zu jedem haushalt
gehören, noch ebenso heute. wie wir sie
bei der hocherit zu Kann im Gebrauch
sehn. Bei all diesem Festlärm sitzt die
Braut unter der Weiberschar in ihrem
Festschmuck so teilnahmslos wie nur
möglich, die Augen meist geschlossen.
So will es die gute Sitte. Sie trägt
ein weistseidnes Kleid. wulstig am
Leibe versteckt, über dem Kopf das weit
berabwallende weiße Kopftuch der
Frauen und das Gesicht noch beson-»
ders durch einen dünnen Schleier aus
weisser Seide verhüllt, im haae Oran- :
sent-litten z
Die Wartezeit wird den Gästen mit ’
wahrhast orientalischer Gastlichkeit
verttirzt Zuerst werden Zigaretten
angeboten. Dazu reicht der Hausherr
das Festgebäck, das im hause gebacken
wird unter hilfreichem Beistand eur
Hochzeit geladner Frauen. Es spielt
auch in den Liedern eine große Rolle,
und es ist Ehrensache der hat-strau,
daß es gut geraten ist. Bot allem muss
es süß sein, denn Süßiateit liebt der
Orientale til-er die Maßen. Diese
lleinen, runden hochzeitiluchen sind
eine Mischnng von Vlätterteig und
Frucht- oder Nußsiillung und siir
untern Geschmack unerträglich süß.
Wie gut, daß ei Kognal und Arrat
dazu gibt! Aber trint vorsichtig.
Denn der hautherr wacht wie ein Ar
aus, um sogleich mit der Flasche her
beizustllezen und das gleerte Glas neu
zu stillen. Kränkenderei aber lann es
nicht gehen. als abzulehnen, was die
Gastsretlsett bietet. Wird es noch
lange währen, bis der Bräutigam
, -«-—.— --, , -«.-..-.--—. -. ...-«- -.-, ,...«... —..-.
tomrntt Wir meinten schon, nun müsse
es des Wartens genug sein. Da bringt
der haushrrr die Wagerpfeifn das ge
liebte Rargileh, und ellt es vor jeden
Gast· Man raucht gut eine Stunde
daran. Der Orientale hat teine Lan
geweile, wenn er nur den kostbaren
Dampf aus dem gurgelnd-en Wasser
ziehn kann, et ist imstande, den ganzen
Tag, am Straßenrain sihend, bei sei
ner Wasserpfeife zu träumen. Um
ständlich wird der mit Wasser ge
träntte feine Persertabal mit der
Faust ausgedriickt und auf den Pfei
enlopf gelegt, und dann vier glühende
Stücken Holztohle sorgfältig darüber
geschichtet. Nicht lange dauert’ä, so
bringen die Diener einen neuen Genuß.
Auf einem Tablett stehn Gläser mit
Marmelade aus Quitten, Feigen und
Litronem ein leeres Glas dabei und
Löffel nach der Zahl der Gäste. Es
gilt gut aufzumerten, denn wer aus
desn Marmeladenglas mit dem Löffel
geschöpft und davon genossen hat, steckt
den gebrauchten ins leere Glas. Der
Uneinweihte greift dann wohl leicht in
falschem Gefühl von Sitte und An
stand nach den gebrauchten Löffeln.
Noch ist das- Hochzeitsmahl nicht er
schöpft, sondern zuletzt gibt’5 als er
aniaenden Schluß herrliche Apfelfmen
aus der Ebene Saron und starken,
aromatifchen Kasse-e.
Wiederholt wurde die Ruhe —- an
die Trillerlieder der Frauen hatten wir
uns gewöhnt wie der Müller an das
Felappern der Mühle -— unterbrochen
und unsre Hoffnung auf den Beginn
der eigentlichen Feier neu belebt. Um
9 Uhr hatte uns der Hochzeitsbitter ge
holt. Um 10 Uhr tarn ein Bote, aus
dem Haufe des Bräutigams gesandt,
mit der seierlichen Ansraae, ob die
Braut bereit sei. und zugleich die Zu
riiftung des Bräutigams weidend
Zu den wichtigsten und unter umständ
lichern Zeremoniell vollzognen Vorbe
reitungen gehört außer dem Bad das
Nasieren des Bräutigams, das unter
Assistenz des ihm am nächsten stehen
den Freundes vollzoaen wird. Eine
weitere Stunde veraina. Da kommt
um ll Uhr der Bote ein iweites mal,
eiliaer als zuvor, mit der Botschaft an
die Braut: Bereite dich, der Bräuti
gam kommt. Eine gesteigerte Bewe
gung macht iich bei der Jugend bemerk
lich. während die Aeltern in ihrer
Ruhe verharren. Um z12 Uhr kommt
der Bote zum drittenmal in höchster
Eilet der Bräutigam ist auf dem Wen.
Jetzt wird es lebendia. Die Gäste
tränaen sich auf dem Altan zusammen
und sodann nach dem finstern Hoftor.
Und dann war es wirklich toie im
Gleichnis von den zur Hochzeit mind
nen zehn Junafrauen Um Mitter
nacht erhob fich ein Geschrei: der
Bräutiaam kommt. Es war ein be
zuubernder Anblick. Voran vier aries
chifch: Priester in ihrem goldftrotzeu
den Feftornat, dann Knaben mit hohen
Stuben, die mit Limonenlaub um
wunden waren. Jn der Mitte seiner
Freunde der Bröutiqarn, von zwei
Kawassen sKonsulatsdienern) in bun
ter Tracht aeleitet. die mit den-rohen
Psörtnerstiiben bei jedem Schri t wör
deooll aufs Pflaster stießen, und hinter
dem Bräutigam feine Freunde. Jeder
rer Festteilnehmer trug eine brennende
Wachsterze in der Hand. So zoaen
sie in Broiefsion durch den Hof und die
steile Treppe hinauf und fiillten das
aanze Haus mit einem festlichen Glanz.
Das Jauchzen der Brautjunafrauen
erreichte feinen Höhepunkt Aber noch
war unsreGeduldsprobe nicht zu Ende.
iDer Bräutigam wurde mit seinen
Freunden in ein Gemach aeleitet, dem
der Braut über den Hof weg entge
gengesetzt, und die Neuanaekommnen
wurden mit der ganzen Reihe der Ge
’niifse bewirtet, die wir durchaekostet
hatten. Unterdefsen verteilte der
·Brautvater an seine Gäste die Kerzen
zum Feftzua, je nach Würde klein und
dijnn oder ttarl, groß und nur nnnren,
aoldnen Flittern aeiiert Endlich
seht sich der Zug in Beweguna Die
Brautjnnasranen führen dem Bräuti
aam die Braut entaegen Aber noch
dürfen sich beide nicht ansehn, sondern
in beangstigender Gleichaiiltiqteit
schreiten tie nebeneinander mit toderns
stem Ausdruck im Gesicht· Um so
sriidlicber ist das Geleit· Es war wie
ein Märchen, rückwärts den Zug zu
sehn, wie er die steile Straße abwärts
goa, eine Flut von Licht um sich und
iiber sich. Zwischen dein Freudenlörm
ertlana die eintbntge Litanei der vier
Priester. Ganz langsam bewegt sich
die Prozession zu dein hause des Va
ters des Bräutigams. Die Braut
dars die Schritte nicht arösier machen,
als ihre Füße sind, wenn sie auch nicht
mit Schrittlettcken aebunden waren.
wie bei den eiteln Weibern Jerusa
lems zur Zeit des Provbeten Jelaia
mapitel Z. 16 ss.). Der Weg von
etwa sebn Minuten wurde so in drei
Biertelstunden zurückgelegt
Die Trauung sand in einem mäßig
-—·—.— »O ,- ... L ---
großen Zimmer statt,
Schar der Gäste, iiber hundert waren
es. zusammendrängtr. Man hat lauen
die Möglichkeit zu atmen. Aus dein
Tisch in der Mitte stehn die heiligen
Bücher und die Geräte, davor die Kna
ben mit den Limonenftäben, an der
andern Seite die Priester. Die Zere
monie ist endlos. Von einem langen
blauen Band, das der Bräutigam da
nach als Schärpe umhängt, nimmt der
Priester die Ringe, hält sie wechselnd
Braut und Bräutigam an die Stirn
nnd ftectt sie ihnen dann an die Finger.
Dann stellt er das Paar Angesicht ge
gen Angesicht, neigt ihre Häupter, daß
sie sich mit der Stirn berühren, und
legt auf sie das Evangelienbuch, das
beide darauf küssen. Der Liturg ver
liest die Geschichte von der Hochzeit zu
Kana. Ein Knabe und ein Mädchen
nahen sich mit Kronen, Braut und
Bräutigam heben die Kinder auf den
Arm, die ihnen die goldnen Kronen
aussetzen und sie mit der einen Hand
berühren müssen: während der langen
Zeremonie werden sie nnausgefetzt auf
den Armen des Brantpaares getragen.
Aus einem Glas empfangen dann
beide mit einem Löffel geweihten
Wein und Brot. Dann kommt der
Schluß der priesterlichen Handlung
Der Priester leat die Rechte der
Braut in die Rechte deg ihr gegenüber
stehenden Bräutigams, sieht den linken
ieien Arm des Bräutigams zwischen
dein an den Händen verbundnen Paar
hindurch und führt daran wie am
halfterband die Neuvermählten drei
mal um den Tisch. Nun kommt Le
ben in die Zuschauer. Stürmischer
Jubel umbraust das junge Paar. Die
Gäste holen aus ihren Taschen kleine
Münzen, Konfetti und Gerstenkärner
und werfen sie iiber das Paar hin un
ter dem Zuruf: Seid fruchtbar und
mehret euch! Jm Winkel des im
mers stand ein großes Himme bett.
Aus dem erhebt sich vlötilich zu unserm
Erstaunen eine Gestalt halb empor.
um den letzten Ausbruch der Freude
mit anzuschauen Es ist der Schwie
aervater, der Hausherr, hochbetagt, der
sich auf seine Weise die Strapazen des
Festes verkürzt hat.
Das Fest neigt sich nun seinem
Ende zu, aber nicht ohne daf; die Gäste
noch einmal bewirtet werden. Alle
männlichen Teilnehmer beaeben sich
mit dem unsagbar stumvfsinnig drein
schauenden Bräutigam in ein Zimmer
deg Hauses, die Frauen mit der Braut
in ein entgegengesetzt gelegnes. Je
der bringt dein Bräutigam die Glück
nsiinsche dar. Zum titliick ist die Be
tiirtung eiliaer als zum Anfang im
Hause der Braut: Arrak, Laffen Zi
irr-retten, Marmelade, Zuckerwerk und
lefeliinen — die Gänge des Menus—
folgen in rascher Weise aufeinander.
Zuletzt wird noch einmal Kaffee ne
reicht, bei jedem offiziellen Besuch im
Orient zualeich das Zeichen zum Auf
bruch. Die Braut ist unterdessen um
aetleidet worden und darf nun auch die
Gliidwijniche der männlichen Gäste
entgegennehmen
Nachts um Ist Uhr wantten Ioir fast
betäubt an die frische Luft, durch die
uralte Straße zum Damaslugtor vor
die Mauern der Stadt. lieber un-; der
Sternenhimmel in berückendem Glanz.
Durch die fein durchbrochnen Zinnen
der Stadtmauer am Tempelvlatz im
Westen leuchtete in den scharfen Um
iifsen der bleiche Glanz des eben iiber
dem Oelberg aufgehenden Mondes.
Die Stadt lag in geheimnisvollem
tdalbduntel mit ihren großen und hei
liaen Erinnerungen. Jn matten Um
risan erhoben sich die runden Luni-ein
der Kirchen und Shnagoaen und die
schlanten Minarets und Moscheen.
Jn unsern Sinnen vermischten sich die
Erlebnisse dieser Nacht mit den Bil
tern aus den biblischen Gleichnifsen
von der töniglichen Hochzeit und den
zehn Junifrauem wie die Boten durch
die Straßen der Stadt eilen iu den
aeladnen Vornehmen beim Einbruch
der Nacht, wie in feierlichem Zug die
Jungfrauen sich aufmachen mit bren
nenden Lampen, dem Bräutigam ent
Jeaenz müde vom Warten schlafen sie
alle ein, bis zur Mitternacht ein Ge
schrei anhebt: Der Bräutigam kommt.
Dann ziehn die, die bereit sind, mit
dein Bräutigam ein zum Hochzeits
fest, und die Türen werden verschlos
sen. So retcht sich im Orient Ver
ganaenheit und Gegenwart die hand.
Was unter dem Schutt der Jahrtau
sende vergraben und verborgen liegt
ven geschichtlicher Erinnerung, steigt
an das Licht des Tages in den zähe
festeehaltnen Sitten und Besuchen des
Volks. das noch heutiaentags Freude
und Schmerz. Liebe und Haß, Leben
und Tod in das Gewand einer mehr
taufendiährigen Vergangenheit kleidet.
Caftko sucht Frieden mit der Welt.
Gut daß et das sagt aus seinen
Taten ließ es sich nicht schließen.
In ver Hauptstadt Cihirkenö.
Bock Tr, N P nq net
. dort gewesen: aber man weiß, daß
L
» DiesmaL nach fiins Jahren, iomme
ich von einer anderen Seite nach Ir
tntsk, der Hauptstadt Sibiriens. Nicht
wie damals nach einer Eisenbahnsahrt
von zehn Tagen fast unmittelbar aus
dem brausenden Getriebe westeuropäi
Feder Großstiidte, mit denen verglichen
dieser Regierungssitz eines General
gonvetnements von der Flächenausdeh
nung des ganzen Europa, diese be
ruchtigte Verbrecheransiedlung von ehe
mais mit ihren niederen, grauen Holz-:
lieiuserm ihren grasunterrvachsenem
holzernenFußsteigen, ihren varSchmutz
kaum vassirbaren Straßen, Verwun
oerung und Unbehagen hervorruft.
Dies-mal ist Jrlutsk für mich das Ende
eines monatelangen Aufenthalts in den
einsamen nnd großartigenHochtbälern
der westlichen und nördlichen Mongos
lei. Ein junger chinesischer Beamter,
den ten in Kode traf- und der früher
eine Zeitlang in Jrlutsl die russlsche
Sprache studirt hat, schilderte mir
diese Stadt als den Inbegriff alles
Großkrrtigein das Europäer überhaupt
schaffen tönnen. Zuweilen hörte ich
auch am Herdfener der Mongvleuiurten
von Angars-Chvt, der Stadt an der
Llnaara, erzählen. Nur wenige Mon
folen aus dem Innern smd einmal
grcsze Heerden theuren Viehs Jahr für
Jahr ans der Mongolei dorthin getrie
ben werden, um die Menschen zu er
nähren. Diesen Hirten ist thutsk
eine unendlich ferne, mächtige Stadt
im Norden. Nun waren es von der
chinesischen Grenze nur noch vier Reise
mae bis Jrlntesk — eine Entfernung,
vie man beanem in zehn Stunden zu
rücklegen ist«-unte, wenn es hier schon
russiiche tiisenbahnziige gäbe. Und
welch ein Wechsel in diesen letzten vier
Tagen! Tie letzte Nacht aus mongo
lischern Gebiet noch unter den Zedern
Und Fichten am See KassogoL im klei—
nen Leinenzelt mit meinem rnssischen
Burschen u. unserm alten, gutmüthis
gen Lgma der in seinem blutrothen
Mantel und mit seinem branngegerb
ten, runzligen Gesicht mehr einem
schrecklichen Götzen als einem Menschen
ähnlich sah. Die folgende Nacht schon
aus russischem Boden, in der von Un
gezieser wimmelnden Hütte des Fähr
suanneg a:n thut der hier nach als ein
reißend-er Wildbach die waldigen
Schluchten der Tunlinslischen Alpen
durchbricht. Dann in dem gastfreien,
behaglichen, civilisirten Hause eines
wohlhabenden Händlers in Schmiki,
sein ersten arijßeren sibirischen Dorfe-,
»so mir endlich den Sattel mit einem
iederlosen Bauernwaaen vertauschen
Hier nxacbe ich die Bekanntschaft eines
jungen Kaufmanns-z der sich ans einer
Vadereise nach den warmen Quellen
von Llrschan-»-;it befindet, einem recht
berühmten Orte. lvv sich alljährlich
viele Leute, die im Reiselvaaen von
Its-Zither kommen und womöglich Zelt
nnd Lebensmittel auf ein paar Wochen
selber mitbringen, von Rhenmatismusz
nnd ähnlichen sibirischen Leiden kuri
rer:. Und ate- wir Abends Leim Za
mowar und der Ciaarrette gemiitblich
veisammensitzen und die Töchter des
Hause-I zur Balalaila Yoliglieder an- l
stuninen, sunli aum er um genunqu
Zur Unterhaltung beizutragen, und
nrar durch ein Loblied aus »sein Jr
·ut—:«t«. »Wir-Z saaen Sie dam: Drei
Theater! Zwei ersttlassiae Varieteszk
Konzerte- soviel und ant. wie Sie wol
len! lslettrische Straßenbeleuchtunaf
lind Restaurantz in denen man
Teluniihliai Viel Neld lonerden lann!«
Ists war das erstemal, das; ich einen
Zidiriaten seine Stadt von dieser Zeite
loben hörte. Beneidengwertt), binnen
lzweimal vierundzwanzig Stunden dort
zu sein!
Und wirtlich, am zweitsolgenden
Tanz nachdem wir noch einmal bei
ikröinendein Regen in einem ärmlichen
Bauernhause Nachtquartier gesunden,
waren wir am Baitalsee, von wo aus
die Bahn uns in fünf Stunden an
unser Ziel bringen sollte. Die letzten
zwanzig Werst fuhren wir mit Post
pserden; der Kutscher war ein Bur
jiite, der bereits ein wenig angesiiuselt
war und noch obendrein, durch ein
Trinkgeld verlockt, mit seinem Drei
aespann über die bergab führende. aus
aeweichte Landstraße in einem Tempo
fuhr, mit dem man selbst aus Asphalt
hätte zufrieden sein können. Er hielt
an dem kleinen Stationshaus des
Dorfes Kultut, am grünen Abhang
der Berge, die den ganzen Baikal wie
eine schrosse Riesemnauer unt-sieben
Und während ich mich aus der kleinen
Anhöhe umsali, von der man die ein
zelnen, ver-streut liegenden Landhäuser
der Bahningenieure und das Dorf in
einer Mulde am User des Sees über
blickt, über dessen Spiegel jetzt lanasam
ein Schtoall weißer Wolken deraniioa
und pliihlich alles in Nebel billlte, ho
ben meine Leute das über und über
mit Schmutz bespritzte Gepäck vom
Wagen und trugen es ans Ufer hinun
ter, um es in dem klaren Wasser zu
waschen. Mein Bursche hatte noch nie
einen Eisenbahnzug gesehen. Daß der
Zug nur vier Minuten Aufenthast ha
ben werde und daß in dieser Zeit all
unser Gepäck im Waggon verstaut
werden müsse, war ihm vorderhand
unsafziich, zumal et es sich nicht aus
reden ließ, daß das Gepäck doch auch
hier, wie hinten auf dem Postwagen,
sestgebunden werden müsse. Pünitlich
kam der Postzug, vollgestopft mit Sol
daten, tatarischen Händlern, ganzen
Familien, die meisten schon aus der
Mandschurei. Wir waren in zwei Mi
nuten untergebracht, aber der Zug
stand, wegen des Nebels, zwei volle
Stunden. Endlich hellte sich das
Wetter auf, und wir fuhren jene be
rühmte, wundervolle Strecke hart am
abschüssigen Gestade des Sees entlang,
durch ein paar Dutzend, von Militär
bewachte, von Fackeln düster erleuchtete
cLunnels. Erst gegen Abend biegen
wir vom Baital ab, dem waldigen, lin
len Ufer der Angara entlang. Und
in der letzten Dämmerung strahlen
uns von fern die weißen, elektrischen
Lichter von Jrlutsk entgegen. Breite
Fassaden schimmern von drüben vom
jenseitigen Ufer, Kirchentuppeln und
ein paar eiserne gabrilschlote ragen
über die niedern ächer, und rings
auf den Anhöhen stehen die röthlichen
Gebäude mächtiger Kasernen und ein
paar kleinere von Brauereien und Fa
lsritetk Schon hält der Zug in dem
von Menschen wimmelnden Bahnhof,
unter freiem Himmel. Dies weiße
Empfehlungsgebäude hier ist minde
stens doppelt so hoch und breit als das,
das ich an dieser Stelle vor fünf Jah
ren gesehen habe. Ein paar tolossale
Wartesäle innen, draußen ein Ge
dänge von Hoteldienern und Brosch
ten, wie in einer Großstadtt Nun
fahren wir auf der Pontonbriicke über
die schnellfließende Anaara. Es ist
recht lühl über dem Flusse. Jn seinem
ltaren, dunkelgrünen Wasser spiegeln
sich schon die Sterne und ein Band von
Laternen. Wie? Jst heute ein Fest
tag? Ueber die ganze Brücke hin sind
nseifkblaurothe Fahnen herausgestecli.
Flaum allerdings sind wir von der
hell erleuchteten Briiete herunter, so
biegen wir in eine Straße, die so un
heimlich duntel ist, daß man den
Schmutz nicht siebt, in dem die Räder
beinahe stecken bleiben. Nun überques
ren wir einen großen Platz. Hier ist
ein großes Bactsteingebäude mit Rei
hen von Gasflämmchen illumiuirt;
auch aus andern Straßen leuchtet der
Feuericlsein illusninirterGebäude her
iiber. Seltsam, daß dakei kaum ein
Mensch auf den Straßen zu sehen ist«
sich frage den Kutscher er hat teine
Ahnung, warum heute mehr Lichter da
sind als sonst. Schließlich wird meine
Neugier im Hotel befriedigt. Ein
Glrosifürst ist gestern durchaereist. Er
ist schon längst tveiteraefahren, aber
Fahnen und Lichter hat man doch her
ausaestcckt, ioenn auch nachträglich we
nigstens die Regierungsgebiiude und
das Stadthaug. ---— Rings das uner
meßliche Asien hier in Jrlittgt aber
ist man also mit einem Schritt wieder
mitten im linropiierthum mit all sei
nen Schrullen .....
Rächst den- tsisenbahnrerkehn her aber
viel Zu langsam aiiwiichst, uni eine so
rasche Veränderung zu erklären, bat
sicherlich die Rolle, die Jrkutisk iviih
rend des Krieges als erste große Etap
oe an dem schier endlosen Heerlveae
nain dem fernen Osten gespielt hat. in
dem aesstnmten Leben dieser Stadt
Wunder gewirkt. Als icb am nächst-en
Morgen ausging, war ich erstaunt, wie
sich das äussere Bild in ein paar Jah
ren europiiisirt hat. Die Bahnhost
vorftadt Glastomskaja. damals nur
ein paar Reihen schlecht gehauter Ba
raden, die an einem lehmigen Abhang
klebten, scheint völlig neu erstanden.
Ein riesiger Güterbahnhoi ist angelegt
work-en, der sich rnit seinen Waaren
schuvven und Petroleumkesseln fast eine
Meile, bis zur Mündung des Flusses
Jrkut, erstreckt, von hohen Palisaden
umgeben und mit bewaffneten Wäch
tern an denThoren. So weitläufig die
Stadt erscheint, wenn man sie von ei
ner der grünen Anhöhen überschaut,
vor denen sie mit ihren zwanzig Kir- ’
ehen und Kapellen malerisch ausgebrei
tet liegt, so bald freilich kennt man sie
auswendig. Schade, der helle Sand
stein und die schöne, wie ein Schach
brett schwarzweiße Kuvpel der neuen
Kathedrale sind vom Ruft einer nahen
Fabrik grau und häßlich geworden.
Die schnurgerade »Große Straße«, die .
die Stadt wie die Sehne eines von der
Anaara und ihrem Nebenfliißchen
llschalowla aebildeten Bogens durch
schneidet und damals mit ihren Bart
fteinhiiusern, alten Hütten, Bauplätzen
und Veetteriäunen stellenweise einer
Doristr. glich, ist heute mit ihren kost
spieligen Neubanten, eleganten Laden,
hochgelegenen Trottoirs ein Straßen
zug, dem sich feine Seitensiraßen groß
städtisch in regelmäßigen Abständen
analiedern. Jht füdliches Ende stößt
an die breite Ufer-Allee, wo besonders
der Holzhandel sich bemerkbar macht;
das andere Ende allerdings verläuft
noch jetzt in einer dürftigen, hölzernen
Brücke; Lastwagen und Vieh waten da
neben durch die Furt. Und auch drä
ben, zu Füßen einer Anhöhe, auf der»
weithin sichtbar mit seinen weißen
Mauern und Kreuzen der Friedhof
liegt, ist das Bild das alte geblieben:
ein Komplex ärmlicher Hütten, flun
kirt von einer Windmühle und ein-er
Schnapsbrennerei . . . .
.——-.---———
qtun-me um« Gerichte are Gier-m
Merku.
Ein Giftmordprozeß, der durch sei
ne begleitenden, näheren Umstände leb
haft an Zolas Roman ,,La Terre« er
innert, wurde dieser Tage vor dem
Schwurgericht in Amiens verhandelt.
Die ganze Familie Gense hatte sich we
gen Giftmordes zu verantworten. Jn
einem kleinen Dorfe, in der Nähe von
Montdidici lebte die Familie Gense.
Alle Familienmitglieder wohnten in
einem Hause und besorgten gemein
schaftlich die Landwirtschaft Das
Haupt der Familie mit dem eigenarti
gen Namen Lucretius Urgidus Theo
critos Virgile Gense hatte nach dem
Tode feines Bruders Diogenes, der in
Tonting gefallen war, seine Schweige
rin Catharina Coquelle zu sich genom
men, die wenige Jahre nach ihrer Ber
heiratung Witwe geworden war und
ein Kind besaß, die jetzt sünfundzwan
zigjährige Anita. Zwischen Virgile
Gense und seiner Schwiigerin ent
spann sich bald ein Liebesverhiiltnis,
aus dein zwei Töchter, Helene und Or
phea hervorgingen. Außerdem lebte
im Hause noch die alte Mutter von
Virgile Genie. Anita hatte einen Lieb
haber, Detoisien, der als Bauer bei
Virgile Gense arbeitete und seine Ge
liebte später einmal heiraten wollte.
Das Familienoberhaupt, man nannte
ihn immer nur den Alten, obwohl er
erst achtunddreiszig Jahre zählte, war
bei den iibrigen Fainilienmitgliedern
sehr wenig beliebt. Virgile Gense hielt
auf strengste Disziplin in seinem
Hause. Außerdem trank er Und schlug
in der Trunkenheit die Frauen. Diese
beschlossen daher endlich in ihrem Haß,
Virgile Gense gewaltsam aus dern
Wege Zu schaffen. Man hielt einen
Familienrat ab, an dem auch der
Bräutigam Anitas, Detoisien teil
nahm, der infolgedessen ebenfalls auf
der Anklagebauk Platz nehmen mußte.
Das Resultat der Konferenz war:
Virgile Genie muß vergiftet werden!
Die eigene Tochter Helene aing zur
nächsten Stadt, kaufte beim Apotheker
Llrsenik und schüttelte dem Vater des
Abends das Gift in die Sappe. Dann
» gingen alle schlafen, als ob nichts pas
I siert wäre. Nur die alte Mutter von
JVirgile hatte vor dem Drama das
Esaus verlassen und brachte die Nacht
) bei einer Freundin zu. Das Gift tat
I seine Wirkung, und Virgile starb nach
sacht Tagen unter den furchtbarsten
-Schmerzen. Die Täter verrieten sich
» indessen bald nach dem gemeinsam be
« gangenen Mord. Sie wurden verhaf
t tet, gestanden anfangs das Verbrechen
rin, versuchten dann aber in der Ber
handlung jede Schuld zu leugnen. Der
(5)’erichtol)of sprach Anita und ihren
Bräutigam Detoisien frei. Die· Mut
ter des Ermordeten und sekne Geliebte
lfaherine wurden zu sechks Jahren
Zwangsarbeit verurteilt. Hekem wur
de zwar ebenfalls fiir schuldig befun
den. da sie aber erft achtzehn Jahre
zählte, nur zur Zwangserziehung bis
zur Vallfährigteit verurteilt.
Nachdem die Aufregung über oen
Baseballtamps sich gelegt hat und
über Europa wieder der Friedens
lzimmel lacht, sollte der brave Bürger
sich mit der einheimischen Politik
näher befassen und die Männer ang
s1:chen, denen er am Wahltage mit
gutem Gewissen seine Stimme geben
kann.
si- e- sie
Wenn Castro wirklich sechzig Mil
lionen Dollars zurückgelegt hat, so
ist er in der Tat seines Landes teurer
Präsident.
si- - «
Carnegie sagt, er habe seine ersten
81000 erspart, Rockeseller, er habe
die seinen geborgt. Beides hat siir
einen einfachen Menschen seine
Schwierigkeit
s
! So große Füße liat schließlich auch
Mutter Europa nicht, daß sie alle von
IEUgland angelegten Kriegsseuer aus
lteeten kann.
, Il- s( is
Liebesschwiire gleichen Briessiegelnx
heis- werden beide ausgedrückt um
dann —- talt gebrochen zu werden.