Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, December 25, 1908, Zweiter Theil, Image 9

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    Jahrgang
Uebraska
Staats— Anzeiger uikd J set-old
Crit udJsca WdNb ,25. Desebkm 9 rTheW
..........
Wethnachtzsahrt
Skizze von F Wilde. .
ie heiliäe Weil-nacht lzog durch da
Lan Sie tain mit dichtern
Wirbeln, tnirsehendem Frost
und einem sternenllaren himme.
Der weite Pakt ruhte in einer wei
sen Winterdeckr. Schwer beladen neig
ten sieh Wische und Zweige unter der
Last des glihernden Schnees. Zuweis
len löste sich eine Schicchi-und fiel weich
sur Erde. Sonst war alles still rings
umher
Karola. Baronin von Fachwitz,
schaut träumend in diese heilige Stille
hinaus. ---- Jhr Gesicht ist weiß wie
der Schnee. und wunderbar hell leuch
ten daraus, wie der tlare Sternen
himinel, die Augen vorn tiesten Blau.
So steht sie und späht und wartet.
Worauf? Sie fährt rnit der hand
itber die Stirn
Leise öffnet sich eine Thür. Schritte
wagen sich zögernd über die Schwelle.
Zaghaft meldet sich eine Stimme:
»Gniidige Frau!«
Die Baronin verharrt in ihren
Träumereien
Dann wird die Stimme schärfer,
nachdrlicklicher. »Wiinschen Frau Ba
ronin, daß die Bescheerung im Leute
hause jeht stattfinden soll'- Oder ha
ben gnädige Frau sonst Befehle?«
Der alte Diener lies; unter halb ge
senkten Wimpern einen lauernden
Blick zu der Herrin hinüberschtveifen.
Karola schüttelte das blonde Haupt,
ohne ihre Stellung zu verändern.
Der Diener räusperte sich noch rin
inal, ehe er seinen Posten verließ.
Da wandte sich die Baronin plötz
lich, als folge sie einem turzen Ent
schliesse. »Schöffer, lassen Sie an
spannen. Wir nehmen den Schlitten.
Jrh will in die Stadt fahren.« Es
sollte im kühlen Befehlstan tlingen,
aber ei mischte sich ein Zittern hin
ein.
Der Alte zog die buschigen Augen
brauen zusammen. Jetzt am heiligen
Abend in die Stadt? Das hatte et
was zu bedeuten! Doch er preßte die
Lippen stumm auseinander — - und
ging.
Die Baronin löste ihren Blick lang
sam vom Fenster, von dem geheim
nißvollen Leben und Weben des her
einbrechenden Weihnachtsabends. Ein
schwerer Seufzer hob ihre Brust.
Und doch huschte ein Sonnenstrahl
der Erinnerung über sie.
Er leuchtete aus zwei braunen Kna
benaugen, schmiegte sich um den dunt
len Krauskopf und lachte von einem
iibermiithigen Munde. Dieser Knabe
hieß Siegfried Drewes und war der
Sohn des Arztes int nahen Städt
chen.
Zuweilen brachte ihn der Vater,
wenn er auf dem Dorfe vor dem Gute
zu thun hatte, mit hinauf. llnd Ka
tota, die teinen Spieltanieraden be
saß, jauchzie vor Lust und sah voller
Bewunderung und Anbetung zu dem
schönen Knaben hoch, dem diese Ver
ehrung wohlgefiel. Sie tollten zu
sammen durch Wald und haide, und
diese glücklichen Spielstunden legten
in ihre Herzen den K.«i, der später
goldene Frucht tragen sollte.
Inzwischen trennte sie das Leben.
Siegfried bezog die Universität, um
Medizin zu studiren und nachher die
Praxis des Vaters zu übernehmen.
Karola wurde in die Gesellschaft ein«
gesiihrt und als Schönheit gefeiert.
Aber die Zeit vermochte nichts an
diesen beiden Menschen zu ändern.
Ali sie sich wiedersahen, wußten sie,
daß sie zusammengehörten und nicht
wieder voneinander lassen könnten.
Sie schritten durch den winterlichen
Wald, vom Sturm umbraust, vom
Schnee umwirbelt, selig umschlungen,
und der junge, einfache Landarzt
stagte das schöne, stolze Mädchen
«Willst du mein seini«
Sie schwur ei unter hingebenden
Küssen. —- — —
Illes war anders gekommen Sie
hatte diesen Schwur gebrochen und
den Baron von Fachwih geheirathet.
ei «
Und nun hielt der Schlitten vor
dem Dottorhausr. ·
Dte Baronin trat etn.
Mit bangem ,-Herztlopfen schritt sie
die paar Stufen zum Partei-e hin
auf und rührte den Klingelzug.
Da öffnete die alte Witte. Sie hatte
schon unter Siegfeiedg Vater treu ge
dient und kannte Kakola von Kind
heit an. —-- Die Alte traute ihren Au
gen nicht
»Gnltdlge fix-aus« stieß sie über
enlcht hervor.
l Diese fragte freundlich: .,,Jst der
fherr Doktor zu sprechen?«
» »Noch nicht, Frau Baronin. Aber
jwenn Frau Baronin warten wollen,
er muß bald zurück sein.« Schon der
Kinder wegen. Ein paar von den
Aermsten, bei denen es am meisten
noth thut, kommen zur Bescheerung
her. Das war auch beim alten Herrn
Doktor fo. —- Nehrnen Sie’s nicht
iibel, 0frau Baronin, aber ich muß
setzt hinaus und die Garde empfan
gen, sie tritt mir sonst die Stube so
voll Schnee.'« Und die alte Witte
eilte in den Flur.
Karola setzte sich in den Schreib
stuhl, fuhr zärtlich über die Lehnen,
auf denen Siegfrieds Hände wohl
täglich ruhten, und lief-, einen Blick
durch das Zimmer fchweifen
Draußen wurde das Lärmen der
Kinder lauter. Jetzt sprach eine sonore,
tiefe Männerstimme dazwischen ge
wifz mit einem launigen Wort, denn
es erscholl ein helles Gelächter.
Karola schoß das Blut in die
Schläfen Die Thiir öffnete sich, und
über die Schwelle trat Doktor Sieg
fried Dretves.
Die Thüre fiel wieder ins Schloß.
Aber er hatte noch teinen Schritt ins
Zimmer gewagt, so bannte ihn ihr
übrrraschender Anblick.
Karola war es, die ihm entgegen
kam. Sie streckte die Hand aus und
bat einfach, ohne große Worte: »Ver
geben Sie mir, Siegfried!«
Sirt Blick glitt kühl an ihrer de
müthigen Gestalt herab. Dann schritt
er. ohne ihre Hand zu fafsen, an ihr
vorbei und sagte vom Schreibtische
her:
Namen Sie deshalb, Frau Ba
ronin, sv hätten Sie sich den Weg bei
dem Schneegestöber sparen können.
Die Wunde tst längst vernarbt."
Sie ließ sich durch die Schroffheit
seines Wesens nicht einschiirhtern. »So
sei es meinetwegen. Jch brauche eine
Aussöhnung Ich ersehne sie wie ei
nen heilenden Balsam.«
Und dann begann sie mit ihrer
melodischen, sympathischen Stimme,
der man gern und willig zuhören
mußte, von der Vergangenheit zu er
zählen. «
»Ich werde nie den Tag vergessen,
an dem ich zum ersten Male in das
Vaterberg blicken durfte, das mir von
Kindheit an verschlossen war. Es be
lainte mir in jäher Verzweiflung
eine furchtbare Schuld. Ein Abgrund
that sich vor mir aus. Mein Vater,
ein leidenschaftlicher Spieler, hatte
Uusummen durchgebracht, dazu Haus
und Hof mit einer Schuldenlast über
häust, daß uns lein Ziegel aus dem
Dache mehr gehörte. »Nein uns, Ka
rola.« hatte der Unglückliche zu mei
nen Füßen gefleht. »Ja deiner band
liegt unser Schicksal!« Da siegte die
heiße Liebe zu meinem Vater, die von
Kindheit an gewaltsam unterdrückt
wurde. Jetzt, in der Noth ertannten
wir einander und fühlten unsere Zu:
sammengehörigleit. Baron Fachwih
erledigte sämmtliche Schulden und
erlauste damit meine Hund«
Die Batonin schlug die hände vor
ihreAugen. »Ich dars an diese schmach
volle Ehe-seit nicht zurückdenlen·«
Siegfried hatte sich seht ganz zu
ihr gewandt. »Ihr seid geschieden?'«
»Ja,« antworteteKarola leise. »Der
Baron lebt in Paris. Mir gehört das
Gut, das Erbe meines Mannes. hier
halte ich mich schon seit einein Jahr
in völliger Einsamleit ans.'«
Soeben erschien die alteWittwe nnd
fragte bescheiden, ob es nun recht sei.
Sie wäre sertig mit allem. Und ob
sie die Thiir öffnen dürfe.
Der Doktor nickte.
Da stand mitten in dem großen
Wohnzimmer ein brennender Tan
nenbanm. Seine Lichter strahlten in
alle Ecken und WinleL
Und um den Tisch standen sechs
Flachslöpse und sangen mit weitge
itssnetem Munde und begehrlichen
Angen:
»Stil« Macht, heilige Nachts
Katola wurden die Augen feucht.
Sie sah durch Thkänen in diese weihe
volle hetrlichkett hinein
Sie hörte ihren Namen sliistetn.
Ein Arm schlang sich um ihre Taille.
Und so trat Siegfrieb mit ihr in die
Weihnachtssmbe.
Das Lied war verklungen Die
Kinder hatten ihre Befcheerung erhal
ten und waren gegangen.
Siegfkiev faßte ihre Hand und sag
te mit feierlichem Ernst:
Weihnacht!
Des Wellmochtifett nat selan Friede-«
TO Kehrt nun wieder del den Menschen em:
0 selig. wem das Glllell beschieden.
Im Ketten stob. den Jus-dem glelch tu Oelnl
Zwar nimmt dle Welt den- Rlndekglaubem
Den frommem unt gar bald vom hell"gen Chr-let
Voch toll ile ale uns die-en rauben-:
Weib-lacht das hohe Jeik der Tlebe lit!
Drum Tut-e Rette-I laut error-new
Ja Ilebegslammea lodern hell und kein!
Bekeltet Freude auch den Arme-h
Dann vlkd gesegnet Tuch das Christer selnl
»Ich danke dir, daß du gekommen
bist, Kakola. Dies ist ein fchönekWeih
nachtsabend!
Er legte feine Finger weich in das
!
»blonde Haar, küßte sie auf den Mund!
»und fah ihr tief in die strahlende-I
Augen. So standen sie lange im feli-;
gen Gefühl des Wiederfindeng. »
Ein Okcbnachtscrlkbnm
Vm Eugen Reichel
J
n dem Worte ,,Weihnachten« lieat
für die meisten Menschen ein so
eigenthümlicher, strahlend-er Zauber,
daß die wenigsten daran denken, wie
sehr auch dieser strahlendeGlanz, diese
leuchtende Sonne sich dort und hier
verfinstert, wie viele Thtiinen an derse
Abend fließen, an welchem so viel ge
lacht wird, an welchem alle Welt sich
in Friede und Freude, in Glück und
Wonne zu wiegen scheint. Und doch-—
wer hinter allen T iiren lauschen, wer
in alle Häuser und ütten hineinblicken
könnte, wer die Asyle und Gefängnisse
durchwanderte-— tvie ganz anders wür
de er über den Zauber dieses köstliche-i
Festes denken. wie schneiden-d würden
ihm die Seufzer des Unglücks, die
Schreie der Verzweiflung entgegen
tlingen; wie schwermiithig würden ihn«
die Thränen machen, die von Tausen-1
den, von Hunderttausenden auch an
diesem Abend geweint werden und
heißer geweint werden als vielleicht an
anderen Tagen, wo der Gegensatz von
hell und finster, von Lust und Weh
nicht so bitter empfunden wird!
An jedem anderen Tage trägt sich
das Leid weniger schwer; ec- gehört für
den, der unter ihm seufzt, gewisser
maßen zuniLebenx es ist ihm alltäglich
geworden: und da dass Glück der ande
ren sich nicht gerade herausfordernd
vor ihn hinstellt, so trägt er eH in dem
Bewußtsein, daß er zahlreiche Leidens
genossen hat. und daß jeder, auch die
anscheinend Glücklichen, ihr Kreuz zu
tragen haben. Ganz anders am Weih
nachtsabend Da weiß er, daß die
große Mehrheit seiner Vollsgenossen
entweder glücklich ist oder doch we
nigftens den Schein des Glücks sieh
vortäuscht; da weiß er, daß in jeder
Familie der Baum brennt, daß stinsp
der mit leuchtenden Augen« in dass
fliniinernde Wunder schauen, daß die
Herzen hoch aufllopsen----daß die Ge
meinsamkeit der einen herzlichen Ein
pfindung die Gemüther fest aneinan
der schließt. Er aber steht draußen.
Für ihn brennt tein Baum; ihm drückt
lein Liebes die Hand; ihm dantt tein
lachender Kindermund; ihm öffnet die
Freude nicht das Thor, um ihn, wenn
auch nur für diesen Abend, in das
Paradies einzulassen.
Wer jemals Gelegenheit gehabt yat,
solche Stieflinder des Glücks am
Weibnachtsabend zu beobachten, dem
ward es eine Erinnerung für’s Leben,
aber leine freundliche Erinnerung Jch
könnte aus diesem Erinnerungsfchatz
meines Lebens manches mittheilen,
aber ich fürchte, die fchwärzesten Daten
würden vielen die Stimmung für das
Feft verderben; und fo begnüge ich
mich mit einigen Kleinigkeiten, die
noch nicht das Bitterfte verrathen.
Es war im Jahre 1884. Jch befand
mich auf dem Wege nach Haufe. Die
Dämmerung war bereits eingetreten,
dort und hier fab man fogar fchon
leichtverbiillte Fenster-, die Kerzen des
Tannenbaumes schimmern. Auf den
Straßen hafteten die Leute durchein
ander, um noch die lehten Einläufe zu
machen. Linlo und rechts vestiirmten
mich bettelnde Kinder, ihnen doch ei
nen Hampelmann oder eine Weih
nachtsruthe oder ein Schäfchen aus
Wolle abzutaufen
Als ich in die Lützowstraße eingebo
gen war, sah ich ein paar Leute vor
einer offenen Thür stehen. Jch trat
hinzu und fragte, was los wäre.
»Ist eben ein Mann hier vor dem
Hause zusammengebrochen—«-sie haben
ihn in den Flur getragen,« gab mir
eine ältere Frau zur Antwort
Ich trat näher, und zu meiner
schmerzlichen Ueberraschung ertannte
ich in dein Zusannnengebrochenen ei
nen mir, wenn auch nicht gerade be
freundeten, so doch wohlbekannten
Maler, einen Landschaftsmaler, von
dem ich allerdings wußte, dafz er mit
seiner Frau und zwei Kindern nicht
gerade in glänzenden Verhältnissen«
lebte, der aber in dem abgenuhtem
nicht einmal durch einen ileberzieher
vervollständigten Anzuge sich mir nun
als ein schwer Nothleidender enthüllte.
Jch verständigte mich mit einem hin
zutretenden Schutzmaum welcher den
Bewußtlosen sortschassen lassen wollte,
und fuhr sodann, von einem jetzt eben
falls hinzugetommenen Arzte begleitet,
mit dem Ungliicklichen nach dessen
Haufe. Da der Arzt festgestellt hatte,
daß Hunger die zweifellose Ursache
des Zusammenbruchs war, so lonnte
hier nicht gleich mit gewaltsamen lite
gennritteln vorgegangen werden; der
Leidende mußte erst die nöthige Vor
behandlung erfahren, und die sollte
ihm zu Hause in irgend einer Form
zutheil werden Sobald wir am eiiele
angelangt waren, ging ich in den vier
ten Stock des Hinterhauses hinauf,
wo wie ich wußte, die Familie
wohnte. Als ich oben tlingelte, regte
sich zunächst nichts· Ich fürchtete schon,
daß Niemand zuHause wäre; aber als
ich nun ein zweites Mal an der Glocke
zog, da vernahm ich ein leises-, schlür
fendes Geräusch es war beinahe,
als ob Jemand am Fußboden hin
lröche; und jetzt fragte eine kaum hör
bare, trockene Stimme: »Wer ist da?«
Der Ton der Stimme wirkte seltsam
ergreifend auf mich; kS war wohl die
Stimme der Frau, aber sie klang so
fremd, klang wie der letzte Seufzer
eines Ertrintenden. Ich gab mich zu
erkennen und bat sie, zu öffnen. Jetzt
hörte ich, wie sich ein Mensch mühsam
an der Thür empottaftete dann
wurde geöffnet, und ich stand vor ei
nem Bilde, das mich nahezu entsetztr.
Vor mir, sich mühsam aufrecht erhal
tend, schwankte die junge Frau, die ich
als ein schönes, blühendes Weib ge
lannt hatte; sie war mit einem ganz
zerlumpten Kleide nothdiirftig beklei
det. Jn der aller Möbel beraubten
Stube aber lauerten zwei wie blödsin
nig dreinschauende Kinder, deren eins
an einem aufgebrauchten Schuh nagte.
Meister Knaus hat uns einmal ein
blühendes Kind gemalt, das nach Kin
derart an seinem Schuhchen knabbert;
ein goldener humor ruht auf der Sze
ne: und wer sie betrachtete hatte seine
Freude darin. Dieses Benagen des
Schuhes hatte etwas furchtbar Ergrei
fendes; denn es war der quälende
Zungen den das Kind trieb, seine
ähnchen an dem Leder zu versuchen.
Jch trat ein unfähig ein Wort zu
sprechen.
»Mein Mann ist nicht zu Haufe«---—
begann die unglückliche Frau jetzt und
erinnerte mich daran, was mich herge
führt hatte. Jch erzählte ihr nun, was
mit ihrem Mann vorgefallen, sagte,
daß ich ihn in Begleitung eines Arztes
hätte nach Hause bringen wollen, und
machte tein Hehl daraus, daß dieses
»zu Hause« allerdings nicht der rechte
Ort fiir einen so schwer Leidenden
wäre.
Sie sank jetzt, ich weiß nicht recht,ob
aus Schwäche, oder utn mein Mitge
fiihl zu erwecken, vor mir zu Boden,
umtlammerte meine Hände und rief
mit der letzten, ihr noch zu Gebote
stehenden Kraft: ,,Retten Sie ihn!
Retten Sie uns, wenn Sie tönnenl
Es ist aus mit uns! Alles haben sie
uns genommen-— -teine Arbeit —nichts.
Reiten Sie uns!«
Jch gab ihr den Trost, daß ich für
sie thun wollte, wag mir irgend mög
lich wäre, obwohl ich selbst eigentlich
gar nicht in der Lage war, etwas für
sie zu thun; dann bat ich sie, sich noch
eine Weile zu gedulden, da ich fiir’5
Erste wieder nach dem Mann fehen
und fiir sein Unterlommen sorgen
wollte. Sie oerfuchte nicht, mich festzu:
halten, aber aus ihrem ganzen Beneh
men schloß ich, daß sie auch aus mich
ein große Hoffnung setzte.
Wieder aus die Straße gelangt,
schilderte ich dem Arzte, was ich oben
erlebt hatte; und nun hatte ich die
Freude, hinter all dem Dunkel, das
mich oben umgraut hatte, die helle
Sonne der Menschenliebe ausgehen zu
sehen. Der Arzt war zusiilligerweise
unverheirathet und offenbar sehr
wohlhabend; aber er war zugleich ein
echter Menschenfreund. ein Mann oon
Herz, und weil er sich, gleich mir, da
rüber klar mar, daß der Unglückliche
in der eigenen Wohnung nicht unterge
bracht werden durfte, so beschloß er,
ihn bei sich aus«-zunehmen und dort für
ihn zu sorgen. Dann aber drückte er
mir einen Hundertmarlschein in die
Hand und sagte: »Kaufen Sie schnell
dar- Nöthigste für die Armen.« Er
fuhr sogleich mit dem Betvufztlosen
davon, den er dann wieder zu Kräften
brachte, und ich beeilte mich, seinem
Wunsche nachzukommen
Wie die nun Plötzlich iiber das arme
Weib hereinbrechende Weihnachtssreus
de dort oben wirkte »das vermag ich
nicht zu schildern; ich hatte nur Mühe,
den Dant, den ein Andere-r verdiente-,
von mir abzuwehren
O-.—« ·— - .
Weihnachten.
stein Glockengrnß klingt so feierlich
und zugleich so hell und freudig, so
ein Echo swectend in aller Herzen von
der kleinsten Hiitte bis-; zum Kaiser
schloß hin-auf, wie der Weihnachtss
grnß, der am schönsten, innigsten al
ler Feste iiber die Häusermeere der
Städte hallt oder in stille, friedliche,
fchneeschimmerude Landschaften selt
sam froh hinausllingL Kein noch so
hattes, vom Sturm des Leben-J uin
tobtes Herz an diesem Abend, das
nicht still gestimmt in sich ging-e, dass
ch über sich verxiiöchte, der hehren
Weihe zu widerstehen, die im Glocken
arnfz vom Thurme tlingt, in Miltio
nen Werten gebengfreudiger Liebe er
greifend sich offenbart oder aus
ferner, langvergangener, halbverklun
aener Zeit Wehmuth ioeetend in der
Erinnerung heraufzitterL Das ist dar
(ttrofze, das Wunder des einsigsen Fe
stos, das; der Jubel, der einmal nur
ein Kinderherz erschlossen, einmal nur
die Lippen zu seliaem Rufe geöffnet
hat, nachhallt, in tiesster Seele unber
aeßlich ist ein ganzes Menschenleben
hindurch!
Ob nur wenige Lichter am Baume
etstrahlen, ob die grünen Zweige nur
ipätliche Geschenke überschatten, oder
ob der Glang von aber-hundert Kerzen
nnd die Fiille des Gabentifches die
Augen blendet die reine. Heilige
Liebe ist eg, die da weiht und seit, die
im Nehmen, im Geben den Samen
streut, der noch im Alter die Jugend
veseligend erstehen läßt.
Möchte doch die Freudenbotschaft
in unser aller Herzen dringen, uns
frohe, glückliche Weihnachtstage brin:
gend, uns Allen verstünde-um »Friede,
Freude!«
——--—«-.- —
Mahnung.
Herr ("der einem Dichtetlinq .«-’.
Mart leiht, nachdem er ihm schon öf
ters ausgeholsen): »Jetzt sind es ge
nau 2:3·35 Mart; es wird Zeit, dasj
Sie berühmt iwerden!« se
IVieS nnd jenes vom Weinachts
fest.
Seit jeher hat es die Kirche meister
lich verstanden, sich den bestehenden
Zuständen und Verhältnissen anzu
passen. Um die Germanen für das
Christenthum zu gewinnen, übernahm
sie natürlich auch deren natur-religiöse
Sitten und Gebrauche So wurde auch
das altnordifche Fest der Winters-on
nentvende — Jol oder Julfest geheißen
mit Christi Geburtsfeiet verschmol
zen. Die heidnischen Symbole wur
den beibehalten und empfingen erst seit
dem Jahre 354 christlich-kirchliche Um
deutungen. Denn auch die Samena
lien der heidnischen Römer spielten da
hinein. Als älteste Reminiszenz an die
heidnischsgermanische Vor-seit ist jeden
falls der Weihnachtsbaum lebendig ge
blieben. Der Brauch, ein Nadelbiium
chen mit allerlei Zierrat und Lichtern
zu putzen, und unter seine Zweige Ge
schenke zu legen, hat jedoch erst im vo
rigenJahrhundert allgemeine Verbrei
tung-gefunden Was Norddeutschland
angeht, so tannte man eigentlich nur
idie sogenannte Weihnachtsvyramidr.
Sie bestand aus einem Holzstamm als
Achse. Von ihr gingen Stäbchen aus«-,
um welche sich in verjüngender Form
von unten nach oben gesehen, Reisen
legten. Das Ganze war in der Regel
mit hellgriinem Papier umwickelt.
An den Reisen wurden die Lichthalter
nebst den Geschenken befestigt. Diese
Weihnachtspyramide, aber auch Weih
nachtslrone, war in Berlin bis in das
vierte Dezennium des vorigen Jahr
hunderts gebräuchlich und hat sich
auch noch bis heute in manchen Orten
der Mart erhalten. 1835 ist wohl zum
erstenmal der Tannenbaum in Berlin
eingezogen, heute prangt er auch in
allen romanischen Ländern, ja selbst
im Blockhaus ainerikanischer, brasilia
nischer oder australischer Kolonisiem
Wieviel Volks-glaube einstmals an den
Weihnachtsäpfeln, Pfefferniissen und
sonstigen Gaben bina, darf füglich
übergangen werden.
Ins Gebiet der nordischen Sage
weist auch der Knecht Ruprecht hin
über. Wir kennen ihn als dienstbaren
Geist im Gefolge Berclstas. Auch seine
Wandlung zu einer Schreckgestalt fiir
die blinder reicht in die Frühzeit des
Germanenthums zurück. Es muß bei
dem Uintrieb solcher verlarvten Gesel
len in den Gassen arger Unug veriibt
worden sein« weil schon das Papstrecht
Verbote dagegen erlassen hat. Ueber
die Herknnft dieses Brauche-? weiß ein
Chronist folgendes zu melden: Jni
Jahre 1028 soll es sieb in einem Orte
Sachseng zugetragen l)aben, dass ein
Priester Namens Rupertug in der
Weibnachtlshristmette gehalten, woran
er aber durch 15 Männer nnd drei
Weiber, die draußen auf dein Kirchhof
getanzt nnd weltliche Lieder gesungen
hätten, verhindert morden fei. Wohl
ließ er ihnen Schweigen gebieten,
allein sie spotteten seiner. Da fluchte
er ihnen und wünschte daß sie von
Stunde an das ganze Jahr hindurch
tanzen rniiszten Alsbald sei eH ge:
sehehen Unter jenen Weibern war
nun auch des Priester-:-v Tochter. Jhr
Bruder wollte sie von den Tänzern
tvegziehen Dabei riß er ihr einen
Arm aus. Sie aber hätte, ohne auch
nur einen Blutstropsen zu verlieren,
das ganze Jahr über mit anderen
fortgetanzt Zuguterletzt hätte sie der
Erzbischof Heribert von Köln durch
Abgeordnete von ihrem Fluche los
sprechen lassen. Hierauf wäre sie nebst
einigen anderen gestorben. Die übri
gen hingegen hätten drei Tage und
drei Nächte geschlafen. Etliche wach
ten nicht mehr aus; die anderen, am
Leben gebliebenen, hätten aber ohne
Unterlaß gezittert. Und von dieser
Zeit an sei der Name Rubrecht ein be
sonderer Schrecken fiir alle Kinder ge
blieben.
Ein trauriges Weihuachtssest erleb
ten die Bewohner des Bremer Gebietes
im Jahre 1717. Damals brach in der
Christnacht eine Springfluth ins
Land herein:
»Sieben Tage hat"g gedruckt
Sieben Nächte blieb das Wasser,
Bis der große Länderhasser,
Der stets vor den Deichen lauert,
Sich verlaufen hat, verlor-n,
Und sein altes Bett erkoren.
Viele Tausend sind ertrunlen,
Unzählhares Vieh gestorben,
Städte, Dörfer sind verdorbe;;,
Stnd verspitlt und-sind versuntesk