Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, October 02, 1908, Zweiter Theil, Image 14

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    Das Bursfräuleiit
Roman von Friedrich Friedrich.
Erstes Kapitel.
Arn Inst-isten Ende des Dorfes, am
seiten Zwerge la ein kleines Häus
Äks.- sind und tter hatten arg
daran genagt und getättel:, so da
ei dein- niichsten Sturme tauni noch
widerstehen zu können schien. Ar
umth blickte aus dem schadhasten
Dache, aus den kleinen Fenstern, die
zum Theil zerbrochen und mit Pa
pier wettet-i waren; von bitterer Ar
niuth zeugte Alles im Innern.
Es giebt einen Grad der Armuth,
der sich nicht mehr verschleiern und
verdecken läßt, der jede äußere Hülle
abwirft und wie mit Hohn dem Auge
entgegentritt. Diese Armuth will nicht
mehr anders erscheinen als fie ist, sie
hat längst stumpf und gleichgültig ge
MUchI. sie hofft nicht niedr, sondern
tnirscht nur«noch verzweiflungsvoll,
wenn die Noth allzubitter herumritt
Jn dem engen, niedrigen Zimmer
dieses Hauses lag auf ärmlichem La
ger eine junge Frau, welche taum ei
nige zwanzig Jahre zählen tonnie.
Ihre Wangen waren bleich und abge
zehrt, die großen. dunklen Augen la
gen tief, Krankheit und Noth spracheni
aus den Zügen, waren jedoch nichts
iin Stande gewesen, die Spuren deri
Sol-findest ganz zu verwischen Moch
ten die Augen auch mit Dhränen ne
.fiiltt fein, fo schimmerte doch aus ih
nen ein tiefer. stiller Glanz.
Jn einer Erle, an der Erde neben
dem Ofen, lagerten zwei kleine Mäd
chen von vier und siinf Jabrrnx sie
Jst-tun die Köpfe an einander gelehnt
nnd blickten rnit den großen Augen
halb bang und shall- traurig aus die
trantc Frau, ihre Mutter. Was das
Herz derselben so f incrzlich bewegte,
begriffen sie nicht. waren indessen
still und riihrten sich nicht, weil die
Mutter weinte.
Au dem Fenster saß ein junger
Bursch oon vielleicht sechs-zehn Jahren
und blickte starr hinaus aus das Dorf
nnd ans den nahen Wall-; er war eine
tröstng geornnesene Gestalt Auch
seine Wangen waren f bleich, doch
sprach ans seinen Zügen ein fester
trojiger Sinn, der durch die Noth
noch nicht gebeugt war. Er baite den
Kopf aus die geballte band gestützt
und auch sein Jnneres schien sich Zu
Oasen um sich trohi der Härte des
Geschides entgegenzn emmen.
Der Tag war taub unb stiirknisch
en. gegen Abend hatte sich der
immel gelllirt und die bereits schei
desde Sonne wars noch einige freund
nchk Strahl-u auf vie Erde Diese
Strahlen, fast die einzige Wohnt-at
welche iiber Arme und Reiche gleich
mäßig vertheilt ist, drangen auch
durch die lleinen Fenster in das enge
Zimmer nnd lagerten sich sriedlich
« ans einem kleinen Sarge. welcher aus
einein Stuhle inmitten des engen Ge
maches stand, als wollten sie dein
jungen Wesen, welches zwischen den
einfachen Brettern ruhte, noch einen
freundlichen Blick guwersem bevor es
in die Erde gesentt werde.
Aus diesem kleinen ärmlichen Sar
ge ruhte der Blick der jungen Frau;
es war ihr Kind. welches in demsel
ben lag, und doch vermochte sie laum
mn den Tod des jungen Wesens zu
trauern Nur wenige Wochen war.
dasselbe alt geworden; noch hatte es
keine Freude des Lebens lennen ge
lernt, der Tod hatte es ach vor den
Schmerzen desselben book-et Was
eviirde aus ihm geworden sein« wenn
, sich der Tod seiner nicht erbirint bät
· te? An das erste Bewußtsein würde
sich dauernd die Erinnerung der Ar
muth und Noth gelniipst shaben und
vieseicht würde es in seinem ganzen
Leben nicht iin Stande gewesen sein,
sich durch beide bindnrchzubrin n.
Es mußte ein schweres chirt
sein, welches dein Herzen der Mutter
solche Gedanken eingeb, und erdrü
ckend schwer lag das Unglück ans der
M. So weit ihre Erinnerung
W, bot ihr Leben nur wenig
Mut-liebe nnd glkckliche Augenblicke;
He M M Sonnenstrahlen welche
an einem rauhen Tage tut weniges
Sekunden durch die Motten sich Bahn!
brechen. Sie sind zu tut-I, um zu er-;
wärmen, fee erwecken wohl die Hoff-E
aung, daß der himme! sich auitlärenx
ever-ve, bis der Abend hereinbricht und1
die letzte Hoffnung ,vernichtet. !
Als Waise, unter Noth und Ent-«
schwingen wert sie aufgewachfenx sie
hatte noch innq einen Mann kennen
qelernt. der ishr Herz gewann und
dein sie ihr ganzes Leben anvertraute.
Mk war sie vor seinem heftigen
Sinne gewartet, man hatte i r vorge
ftellt, daß er arm war wie selbst
— ihr setz hatte nicht darauf ge
hört! —- Und sie bereute es nicht, ob
schon sie til-were Seiten mit ihm durch
lebt. satte er auch, erbittert auf die
ganze Menschheit »die Faust gebcllH
gegen sie vor er gut gewesen Mit;
. eWeIt Streben hatte er gerungen-i
send sdie Noth fernzubalten gefallen1
as Cis dies vergebens gewesen war,
W er sich dem Trunte ergeben unb.
M ein Bitdeter geworden. (
see eine-i hatt-en Jahre tde er?
eins Morgens todt im Was aufge-(
Kurs er me von einem Felsen gie
t .«ad ei- an den Steinen
setzest Läuse-et Schulter hatte
sp» ei us M M getragen, welches er
geschossen die Bitchse hatte neben ihm
gelegen; außer der ungliicklieizen Frau
hatte ihn Niemand betranert Gleich
aitltig sagten die Menschen: «Sein
gerechtes Geschick hat ihn ereilt! ’«« Was
er gelitten hatte, ehe er dahin gelangt
war darnach fragte Niemand!
Die unglückliche Frau hatte der
k Schrecken nnd der Schwert aus das
fttranlenlager geworfen, und als see
wirksam dagelegen, hatte sich in ihrems
Kopfe der Gedanke fester nnd sesters
» gesetzt. daß ihr Mann nicht durch ein«
- Bersehen von dem Felsen gestürzt sei.1
Er kannte ja jeden Schritt irn Raide,
jeden Felsen; sein Fuß war sicher, und
in jener Nacht hatte er nicht getrun
ten; nur mit einem Stück Brod in der
Tasche hatte er das Haus verlassen.
esGewaltsam war er von dem Felsen
lzinabgestvßen worden. ·
Zur seiten Ueberzeuguna Hatte die
se Vermutbuna sich in ihr atssaebilvet
und sie glaubte die band zu kennen,
die ihren Mann ermordet. Eit
Mann, Namens Deß, hatte sie geliebt
und u:n iare Hand anzehalten sie
hatte seine Werbuna abgelehnt Un
versöhnlich hatte dieser Nebenöuiiler
ihren Mann gehaßt, seine Band satte
ihn sicherlich vorn Felsen aestoszem
Sie hatte iiber Ehren Verdacht ge
schwiegen, weil sie nicht irn Stande
war. denselben zu beweisen: iie hatte
Niemand, der sich ihrer angenommen
hätte; lag sie doch selbst trank nnd
elend darnieder. Heß hatte sich bald
nach dem Tode ihres Mannes ihr zu
nähern gesucht, sie hatte ihn zurückge
wiesen. s
Sie würde ihr schweres Geschick in
Geduld ertragen hat-en. wenn sie al
lein davon betrossen worden wäre;
daß ihre beiden Kinder und ihr Bru
der, der durch das Fenster starrte und
selbst noch ein Knabe war, mitleiden
mußten, betiitnrnerte sie arn meisten.
Und der Blick in die Zutunst bot ihr
nicht die aerinaste Hoffnung; deshalb
rannten ihre Thränen. sie versuchte
dieselben zurückzuhalten es war ihr
jedoch nicht möglich.
Der Bursch an dein Fenster erhob
sich. »Der Todten-gröber lornint!"
sprach er, indem er an das Lager sei
ner Schwester trat.
Der Schmerz der Mutter machte
sich setzt doch geltend, wo sie sieh oon
dem kleinen Wesen. ihrem Kinde, sür
immer trennen sollte, sie weinte hef
tiger.
»Sei ruhig. Batbara', sagte Kon
rad. indem er die band der Schwe
ster erfaßte: «es wird noch Alles gut
werden«
Er sprach diese Worte aeaen seine
Ueberzeuauna. nur um die Schwester
zu beruhigen.
Die junge Frau hielt des Burschen
Hand seit und preßte sie argen ihre
Augen; er war der Einzige der sie in
der Noth nicht verlassen, der das
Elend mit ihr theilte, der, obgleich
selbst noch ein Knabe, wie ein Man
gearbeitet hatte, ukn sie zu unter
stüden Was ihn bedrückte, hatte er
der Schwester noch nicht mitgetheilt.
,Jn dein Garten des Gutes hatte er
aus Tagelohn siir wenige Groschen
täglich gearbeitet; was er verdiente,
reichte nicht aus, um die Kranke und
die beiden Kinder vor Noth zu schli
yen. Er hatte deshalb alle Kriiste
angestrengt, um dasselbe Zu leisten.
wie die Männer« welche mit ihm ar
beiteten, ei war ihm gelunaen, denn
er war fleißiger, er hatte sich leine
Minute Erholung gegitnnt. und er
hatte in der That inohr gearbeitet.
Da hatte er, als der Gärtner den
Lohn auszahlte, dasselbe verlangt,
was die Männer erhielten. höhnen-d
war er von dem Gärtner ausgelacht,
und als er im Bewußtsein seines
Rechtes trotzig aus seiner Forderung
bestanden. war er fortgejagt worden
and stand nun ohne Arbeit ba
Der Zodt äber trat in das Sirn
mer und arti e taninx nur durch
KonrodB Bitten hatte er siehJetoei
;aen lasse-, den kleinen Sarg Ia ho
; len; er that es angekn, weil nichts da
I bei zu verdienen war.
Barbara richtete sich aus dem La-"
get empor. »Loßt mich mein Kind
noch einmal sehens« ries sie heftig
schluchszend.
»Ist habe nicht Zeit dazu!« gab
der Todteagräber mürrisch zur-Ant
wori.
«Lasz. laß, Barbara!« bat Kon
rad, der Kranten mit der Fand über
das Haar hinfttetchendx «et ruhig,
» rege Dich nicht auf', fügte er hinzu.
Die Kranke bedeckte das Mel-it mit
beiden Rinden und schluchzte.
«Wmt«, sprach Koner zu dem
Todten-gröber, der den Sarg bereits
unter den Arm genommen hatte
Schweigend verließen sie das . immer
und ärmliche Gusche-. vnradI
ging it zum Friedhofe um dein klei-«
neu Wesen das lebte Geleite zu ben.
Ali Verbots den festen itt
des Todtengräbers, der ihr «nd
forttrag. verhallen hörte, gab sie sich
eine Zeit lang noch ihrem vollen
Schiner-e din; dann ries sie die bei
den Kinder, welche noch immer still
sia der Ecke isaßen und leise weinte
en ihr er heran nnd ums-blose sie
mit leiden christliche-n Schmerze. Lan
ge hielt sie dieselben ist-ihren Armen;
C
M- —-:--- --.-.... -
nmmenkn
Wesen immer nnd innerer ern-e , z
drücken, damit sie ein fein r
Mensch nicht auch entreiße
Da pochte es an der Ist — sie
hiirte es nicht; noch einmal wurde dae
Ppchen wiederholt, dann trat ein
Mann langsam in ioas Zimmer ein
—- eö war des-. «
Erschreckt ficht Barbara empor,
als sie die große Gestalt des Eintre
tenden ertannte und ihn-Blick seinem
sterbenden Auge begegnete.
zGuten Tag- Barbara«. sprach der
Einaetretene ruhig. indem er sich
langsam der Kranken näherte, wäip
rend sein Blick sliichtig durch den
ärmlichen Raum hinglitt »Dir bist
noch immer trant?« siigte er hier«-.
»Ich dasse, bald zu genesen«, er
wiederte die Angekedem es wurde ishr
schwer, die Worte hervorzubringen;
der Gedanle, daß der Mörder ihres
Mannes vor ihr stehe. preßte ihr die
Brust zusammen.
»Es scheint Dir an Pfleae zu sed
len". sieht Deß fort, indem er aufs
Neue den kleinen Raum-mustern;
»ich sehe, daß biet nicht einmal ge
beizt isi —- es ist zu lalt fiir eine
Krante.«
«Unö friert nicht«. gab Barbara
zur Antwort; sie mochte diesem Man-«
ne nicht gestehen, daß das leste holz
bereits verbrannt war.
Ruhm zog Deß einen Stuhl herbei
un ließ sich nieder, schmeichelnd
wo e er die Kinder zu sich heranzie
hen. sie wichen indessen scheu vor ihm
arbara!« sprach th und
seine Stimnie tlansa autmiitbi und
ehrlich, »Du willst mir ver rgen,
wie schlecht es Dir aehtz sieb, ich weiß,
wie wette die Noth thut. denn ich habe
sie selbst erlebt; mir brauchst Du sie
nicht geheim tu halten. Es gebt mir
fest besser, denn ich habe Arbeit die
gut bei-bit wind, ich tann Dich rn
tersiiitsen und ich will ei tbunl«
Dir Kranke machte mit der fand
eine abtoebrende Bewegung: sie ollte
von dem Manne, auf den sie einen so
schlimmen Verdacht geworfen hatte,
Geld annehmen? .
»Ich iann Dich nicht leiden sehen«,
subr hesz fort; »Da weißt, daß ich
Dich einit gern gehabt bade, Da bait
einen Anderen schritt-then ich habe
Dir deshalb nicht geziirnt; fett stehst
Du allein and verlassen da, Du
bosssi vielleicht auf die Menschen; Du
tennft sie jedoch nicht. Sie werben
Dich verhungern lassen — was iiirns
mert ej sie! Du sollst aber nicht Noth
leiden. ich tann es nicht ertragen —
bier —- hier nimm!«
zurück. ,,
L
Er hatteindie Tasche gegriffen
nnd reichte ihr ein Goldstück dar
Vor Bat-hat« Geiit trat in die
sern Augenblicke das hleiche Bild ih
res Mannes, als ob es sie warnen
wollte. »Nein, nein!' rief fie. «ich
tann von Dir nichts nehmen!'
«Und wechalh nicht?« fragte Deß.
während fein siechendes Auge auf sie
gerichtet war und ihre Gedanken zu
erforschen suchte· «Weshalb weisesi
Du zurück, was ich gerne gebe-J«
Barhara antwortete nicht; durfte
sie ihn heichuldigen, daß er ihren
Mann ermordet habe?
«Ueherlege, was Du thustt« fuhr
Deß dringen-der fort; »tein Andeeer
wird zu Dir ionrnien und Dir seine
hfilie anbieten; man sagt, Dir ge
ichehe recht, weil Du tros aller War
nung einen Mann geheirathet. der
ein Trinter und ein Wilderer wart«
Barbara richtete sich empor, ihre
vbleichen Wangen rothen sich. Schmä
he den Todten nichts« rief fie:
haft tein Recht dazu —- Du nicht! —
Die Verzweiflung hat ihn zum Trin
ter gemacht« die Verzweiflung, weil
er nicht mehr irn Stande war, sich
auf ehrliche Weise durchzuhelfen.«
Deß sah ein, daß er einin unrech
ten Weg gäwähln er hatte nicht er
wartet, ß das herz der ungen
Frau noch immer an dem « odten
hina. .Ich will ihn nicht schmähe-It
sprach er ruhiger: »Du hast Recht,
mir tornmt es nicht zit. iiher das,
tpai er gethan hat, zu richten; es
schmerzt mich sogar, wenn es Andere
thun. Was willst Du aber ohne
hätte heainnenti Ich tenne Dich und
weiß, daß trosDeiner Armuth und
Noth ein Geiiihi des Stolzes in Dei
ner Brust wohnt; willst Du Deine
Kinder hinauilendem damit sie an
fremden Thüren heitean«
»Mit eint« rief die unglualiche,"
indem sie das Gesicht rnit beiden
Hände bedeckte; dieser Gedanke hat
te sie s on qst aus dem Kranienlager
gefoltert, sie hatte ihn zu verscheuchen
gesucht und immer war er wiederlges
kehrt. Und was blieb ihr schließich
übrig, wenn sie die Kinder nicht ver
hungern lassen wollte?
Ein schwaches äLcheln der Genug
thuung zuckte sliichtig über das Ge
sicht dej Mannes hin; sent hatte er
den Punkt gesunden, der sie arn
schwer lichsien berührte und von dein
er te. daß er ihn in seiner Absicht
unterstüten werde.
»Sei ruhig!« sprach er, «et soll
nicht dahin kommen, aber ich mache
. Dich daraus aufmerksam, weil ich ei
I ehrlich Zitt Dir meine. Dein Bruder
hat bi fest siir Euch gesorgt, er i
zwar noch ein Knabe. allein er i
kräftig und scheut die Arbeit nicht. Or
ist ein braver Bursch und ich weiß,
daß er mit Freuden Alles stir Dich
thut, weil er Dich liebt, aber auch er»
kann nicht durchführen was er
wünscht. Was will er beginnen, nun
er heute Nachmittag aus dem Gute
aus der Arbeit entlassen ist?«·
- Barbara zuckte erschreckt zusammen
und blickte den Mann parr an; sprach
er die Mrheiti
»nur-ad in sue m net-en kanns-i
sentm wiederholte sie, als ob sie re siirs
unmöglich halte.
«Dat er es Dir nicht mitgetheiltk
fuhr des- sbrtz »er war in seinem
Rechte. er verlangte denselben Lohn
wie die Männer, weil er eben so viel
geleistet, da hat ihn sder Gärtner so t
geschickt. Du weißt ja, die iu Je
Gutsherrin ist reich, allein sie hat lern
Mitleid rnit den Armen, weil sie die
Noth derselben nicht tennt. Konrad
thut mir leid, es wird ihm indetien
schwer werden. andere Arbeit zu sin
den, denn einein Knaben traut Nie
mand viel zu.«
Barbara antwortete nicht: starr
war ihr Auge aus die Erde geheitetx
war es noch nicht aenua des Unglücks.
welches sie betrossen hattet Wie weit
»wollte dasselbe gehen? Der lehte
Trost war ihr genommen.
Deß errieth, was in ihr vorging;
er silblte tein Mitleid m«-t ihrem
Schmerze, sondern sah nur« wie hübsch
noch immer ishre Ziiae waren; es war,
als ob sie durch die Krankheit nnd
Noth vertliirt wären.
«Barbara, wirst Du auch jest noch
meine stille zurllckweisen?« stagte er.
Die sung-e Frau richtete sich-empor,
der Ton dieser Stimme drang wie
der Ton eines Versiihrers in ihr Ohr.
«Ja!" rief sie mit voller Entschä
denheit; »Ich weise sie zurück. und
Du selbst weißt. weshalb ich ee thue:
ich will einaestehem daß ich in Noth
und Elend bin, —- daß ich nicht weiß,
womit ich meine ungliietlichen Kinder
sättigen soll, aber von Dir werde ich
nichts annehmen!«
Deß war bei diesen Worten aufge
standen und vor die Kranke hingeste
ten, welche ihn furchtlos anblicttex ei
nen Augenblick lang schien er un
schllissig zu sein, was er thun sollte;
das Mißlingen seines Planes ärgerte
ihn, er wollte erziirnt auflas-nen. al
lein er beherrschte sich. Ein spöttisches
Lächeln guckte um seinen Mund.
«Und es wird doch die Zeit kom
men, in welcher Du meine Unter
stützung nicht zurüchoeilelt!« erwie
derte er und verließ das Zimmer
.Nle! nie!" rief die Unglückliche
ihm erregt nach, dann sant sie er
schöpft zurück und machte ihrer Angst
Entf- ihrem Schtnerze in Thriinen
tu t.
Sie batte die Absicht des Mannes,
ihre Gunst zu erlausen. wohl ertanntx
sie glaubte recht gehandelt zu haben,
indem sie seine Untersiühung nicht an
nahm. und doch hungerten ihre Kin
der. Mit verzweislungsoollemSchmer
ze schloß sie dieselben abermals in
ihre Arme; ohne Zagenwiirde sie ihr
Leben siir dieselben gelassen haben;
von dem Mörder ihres Vaters hätte
sie indessen teine Gabe annehmen
liman
-.. ..-i
Weutge Minuten waret trat ava
rad in das Zimmer; er war ruhiger
geworden.
uKonrad-, ift es wahr, daß Du
heute auf dem Gute aus der Arbeit
entlassen worden bist?« fragte Bar
bara.
Der junae Bursch zuckte fasi er
schreckt zufammen. »Weder weißt Du
dies? —- Wer bat es Dir gesagt-P
warf er ein.
»Geh war hier.«
Konrad fchwie einen Augenblick
und starrte vor ich bin. »Ich bin
entlassen«, entgegnete er dann und er
zählte, wie es gekommen war. »Ich
babe nichts Unrechtes verlangt«. fügte
re hinzu. »Ist es unbillig, wenn ich
fordere, daß meine Arbeit bezahlt
wird? Kann ei dem Gärtner nicht
gleichgültig fein, ob ich jung oder alt!
bin, wenn ich meine Pflicht erfülle?’
Er glaubt mich drücken zu können«
xveil ich arm bin, bat bat mich erbit
ert.«
.Du bist heftig geworden?« fragte
die Kranke·
.Jch bin ei qewordem als mir mein
Recht verweigert wurde; ich hatte die
ganze Woche iiber alle Kräfte ange
strengt, ich verbarg, wie schwer es rnir
wurde, ich hoffte, Dir eine Erleichte
rung rerfchaffen zu könne-h wenn
ich mehr verdiente; mein hoffen und
meine Anstrenauna find vergebens ge
wesen!'
Darbara erfaßte die hnnd des
Bruder-: sie konnte ibnr keinen Por
wurf machen. unwillkürlich drängte
fich them-ach die Fra e auf, was
zagte aus ibr unb den nbern werden
a .
- --«-. «
»Am Du Alldckc Alpen erqui
ten?« fragte sie endlich.
»Ich weiß es nicht«. aab Konrad
zögernd zur Antwort; er mochte ihr
nicht gestehen, daß er wenig Hoffnung
hegte, daß er sich bereits vergebens im
Dorse um Arbeit bemüht hatte
.O Gott. wes soll aus uns wer
den«i« ries Bari-arm welche ibre Angst
nicht länger verbergen konnte. »Die
zKinder hungern, sie bitten mich um
l Brod und ich habe nichts, was ich ih
Inen geben innerl«
Sie bedeckte ;die Augen mit der
Hand.
Konrad stand schweigend da, er
schien mit sich zu ringen. »Sie sollen
nicht länger hungern«, sagte er end
lich entschlossen; »ich werde Brod siir
sie schassen —- heute nothP
Er wandte sich der Thiir zu, am
das Zimmer sie verlassen.
»so-trad, wol-in willst Du, was
willst Du beginneni« ries Barbare
besorgt.
"..Den Kindern und uns Brod ver
lMeI-«
»Weder willst Du dasselbe neb
mens«
aFrage nicht, ich werde nicht mit
leeren banden zurückkehren-«
«Ksnrad, Du hast etwas Unrechtei
tin sinkt« Mit Verbara - t- «i
werde es nicht anrilbren. tax-Du Z
aus unebrliche Weise erwirbstss
Einen Regens-litt schien Konrad zu
schwantern »Sei ruhig, Barbara«,
entgegnete er;; «was ich thun werde.
tsi tetn Unrechts«
Rasch verließ er das Zimmer und
das haus.
Es war dunkel, denn der Abend
war völlig bereintxbrochen Aas ei
nem Unmenn welcher das Dorf nicht
bet brie. eilte er dem oberhalb des
Do ses gelegenen Gute, der Pleßburg
zu, tn dessen Garten er bis ietzt gear
beitet battr.
Dies arossze und reiche Gut batte
seinen Namen von einer alten Burg»
erhalten, welche einst aus der navenI
Bergtuvde ihre Zinnen erhoben. Dies
spura war seit Jahrhunderten zer-!
ttvrt. und zwischen den spärlicheni
Mauer-Reiten hatten mächtige Buchen
und Eichen ihre Wurzeln geschlagen(
als wollten sie- die letzten Trümmer
einer Zeit begraben, die des Unrech
. ten so viel in sich aeborgen hatte.
I Wie die Burg vernichtet nnd ge
jsallen war, so war auch das Ge
tchlecht Deren welche sie einst bewohnt
längst verscholle und aestorben, und
längs der Stra e im Thale, welch
einst von den Kausleuten nur mit
Bangen und Zagen betreten war, zog
sich das Dorf bin, dessen rotbe Dächer
sriedlich zwischen den Blumen der es
umgebenden Gärten bervorbliclten
Die Kultur und die Arbeit hatten
Frieden geschossen unter den Men
schen, und ein Hauch des Friedens
wehte auch iiber das Thal und das
freundliche Stück Erde bin, welches
man von den Fenstern des herren
hauses der Pleßburg til-erschauen
konnte·
Geschlechter «aus Geschlechter hatten
das Git- besessen, sent war das reiche
Grundstiia im Besitze einer sangen
Dame, a von Hansieim welche
scherzbast as Burgsriiulein genannt
wurde. durch deren Kot-s aber in
Wirklich-teil ein Hauch der altens
Bursderren zu weben schien, ·denn
derselbe trar seit und selbstständig
und blictte mit vornehme-n Stolze aus
Die herab, welche unter ibr standen.
Als Konrad die Mauer. welche
den Garten des Gutes umschloß er
reicht hatte, stand er zögernd still.
War es nicht doch ein Unrecht, welches
er vorbatte? » In einem unverschlos
senen lleinen hause des Gnrtens lag
ein großer Hausen Kartosselm welche
zum Futter siir das Vieh bestimmt
waren; von diesen wollte er einen
Theil nehmen. Lag darin ein« Un
rechts War er von dem Gartner
nicht um den aerechten Lohn betragen
worden: war es strasbar, wenn »er»sich
nun « selbst dasiir zu entschadxgen
suchte?
Simses-uns solgt.)
W-—
seretesette Leichtsinn-en
Der rulsitche Volltmund tennt
ein tressendeö Bild, um Die Lage
eines Menschen zu schildern, der rnit
feinen Reichthümern nichts anzufan
gen weiß. »Er fest wie der hund, auf
) dein Heu«, meint der Bauer von einem
Manne, der eifersiichtig und zäbneftets
tchend feine Schätze bewacht, obne Nut
! zen iiir sich selbst und obnethusen fiir
» andere.
! Das Wort trifft leider auch aut die
»Wirthichaftsvolitit« zu, die Rußland
» teitJahrzebnten bei feinem Zuge durch
ZAfren verfolgte. Jrninek wieder teben
wir dieselben Maßnahmen: aus lauter
Angst vor einer sich der Regterungstons
trolle erst-ziehenden Entwicklung werden
die Reichthümer der erworbenen Ge
biete künstlich brachgelegL Sogar das
Schürten und dieProduttion von Gold,
an dessen erhöhter Ausbeute der Regie
rung am frühesten etwas lag, blieb in
solche Paragraphenfesseln Hirsch-niedri
daß ’ jede lchwungbafte- Entwicklung
unterbunden war. Dir mineralreich-"
sien Difirilte, wie die unt Nerttchinsl.
wurden einem Regierungsmonopol
vorbehalten. das zu einer Betreibung
des Bergbaus sich dauernd als unfähig
erwies und lediglich Höllen ittr Straf
aetangene, aber teme ertra reichen
bergmiinnischen A agen tu chatien
verstand. Die lan irtbtchaftlich ber
vorragendsten Gegenden, wie der ganze
Iltai zum Beispiel, wurden dem kaiser
lichen Kabinett vorbehalten und mit
gespaltmaßregeln Fie landljistern dart
H
Mllilkvmcllücll Auslese-Humor Haus-s .
gestaut, um heute unter dem Druck der
Revolution das Land dein Fistus ge
gen Sicherung einer hohen Lostauf
rente zu Besiedelungszwecten zu über
weisen, die dein Zaren nunmehr einen
rein privatrechtlichen Anspruch von je
nen ungeheuren Ländereien sicherftellt.
Das Unglaublichste geschah auf Sa
chalin. Erst jeht werden die offiziellen
Kreise gewahr, dasz fee auf einem un
iibetseh are Schätze bergenden Boden
nichts weiter zu errichten vermocht hat- ;
ten als ein einziges riesiges Zuchthaud, i
dessen brutale Verwaltung jedes auf
teimende wirt fchaftliche Unternehmen
riietsichtslod er inte. Erst der japani
fehe Appetit machte darauf aufmerk
sam,· welche Gelegenheiten man ver
säumt hatte. Wladiwostol fiihrte Mi
fornisched Holz ein, während ed vor der
Nase, auf der Sträflingsinsel. uner
meßlich reiche Waldungen verfaulen
ließ. heute. wo der ette Bisen dein
Köter halb aus dem ausgerissen ist,
beginnt er sich die Lippen danach zu
lecken: man riibt längst in den Archi
ven verftau te Gutachten russifcher
Geologen aus. die den Nachweis minei
raltfcher Schäßn vornehmlich Kohlen
und Kupfer, liefern. Man . findet
pliihlich in niichstet Nähe des Meere-,
» an der Nadbilssucht, einen großen
l
Apistische-used est der W reiche
Naphthaterrains si- das alles hatte
man wohlverwahrt in der schweigenven
Ruhe des «Todtendauses« gehalten,
sitt sich und andere eingesperrt und be
graben.
Aehnlich liegen die Dinge aus Samt
schatta und aus densischgriinden drau
1szen vor den Kästen. Man hatte sich
kmit der Rolle des tnurrenden Hundes
Ibegniigt der keinem den Zutritt ge
währt. Die schlimmsten Auswiichse
Thrachte aber erst die Furcht vor frem
ider Rtilirigteit zustande, wo sie sich mit
dem Bewusstsein der Unzulänglichkeit
des eigenen Unternehmungsgeistes
paarte. Jn der Erkenntnis der mitth
schastlichen Ohnmacht ’und der Avathie
der eigenenUntertlianen hat manRiegel
vor Riegel vor die Natur-schätze gescho
ben dort, wo von der See her die stem
de Unternehmungslust am stärksten
cnaelockt erschien: im Küstenland und
der Amtirprovinz. Ungeheure Kohlen
lager, ergiediges Vorkommen vonsiiold,
reichsten Eisenerzem Blei. Silber, Zint,
Knpserz Schivesel usw. wurden unter
die Siegel strenger Paragraphen-gelegt,
die ihnen den Weg aus dem Erdinnern
ans Tageslicht verboten. Diese Ge
setzgebung gipselte im Jahre 1901
darin, daß jeder Abbau von Erzen oder
Kohlen und auch die Aus eutung der
—Wiilder in einer Zone vo 60 Meilen
längs der Küste untersagt ward!
Mit der Oberfläche ging es nicht
besser als mit den unterirdischen Reich
tdiimern. Jahrzehntelang hatte die
Regierung, unter Alexander lli. de
londers, die aus dem innerrussischrn
Menschenreservoir iiderquellendrnLluss
wandererziige grimmig verfolgt. wie
einen bösen Feind ider inneren Ruhe sie
zersprengt und die schon in der Wild
nis; untergeschliipsten ausgestiibert und
verjagt. erner von neuem wurden
die sich an den nähernden Boden ans
klammernden Menschen verscheucht. die
Wertbe aeschassen und das Land in
- tiithe gebracht hätten. Dem-Beamten
standpuntt und dem engen Polizeigeist
iamen die Erlasse gegen die Besiedek
tung ganz zu paß; verursachte doch die
brach sdaliegende Wildniß des Unvol
des und der Steppen weit weniger Ar
beit und Beunruhigung als das junge
Amerita, das sich überall bilden wollte.
heute beginnen nun all diese lange
zirriietgestauten Bewegungen in raschen
Fluß tu kommen, nachdem die hinder
nisse theilweise schon aus demWeg ar
riisumt sind, theilweise doch deren Ab
tragung in nat-Aussicht genommen ist.
Die ungeheure Auswanderrrdewegung
die Dun ttausende von srischen Men
schener en in bisher ist-liegende Ge
biete trägt, ist bekannt. Die Beamten
haben heute alle hände voll zu thun;
nicht mehr tsn der Sehnsucht nach einer
neuenheimath zu wehren. sondern um
den Strom in die richtigen Bohnen zu
leiten, Land unt-Menschen zu verthei
len. Doch auch der Industrie werden
ietzt willig von den Behörden die
Schleusen nach Sibirien geössnet, und
besonders englisches Kapital ist es, das
neben ameritanischetn seinen Einwa
hiilt. Sogar den ersten Krach in allzu
rästig aus eblasenenSibirian Bubbles
Seifenbla en) hat das englische Kapi
tal schon hinter sich —- das erste Lehr
geld!
Nur aus dem entserntesten östlichen
Flügel kommt es der russischen Regie
rung noch chtver an, dieThore sperran
Ilweit au zureißen. Dort häufen sich
e rö tenNeichtlkiimer in erreichbar
ster Jtä des Weltmarltes. Aber ge
rade deshalb glaubt man die allzu in
tensioe Festsetzung derjenigen Nationen
stirchten zu müssen, welche die meiste
Lust verspüren zu Unternehmungen an
den Pazisiltiistenc Ameritas und Ja
pans. Besonders dem Eint-ringen der
Gelt-en hütet man sich besonderen Vor
schub zu leisten, aus Angst vor ihrer
noch gesteigerten voltlichen Ausbrei
tung innerhalb der russtschen Grenzen.
Zumal ihnen im Portsntouther Frie
den völlige Gleichberechtigung nicht all
ein mit den übrigen Auslönderm son
dern so ar rnit den eigenenUnterthanen
zugebilligt ist. Dieser Umstand allein
läßt die Regierun noch zögern, den
hunderttilorneterg «rtel der Wir-unge
nen Sterilität sallen zu lassen-oder
doch ioaerer zu ichnauen. Wohl in oce
Einsicht durchgedrungen, dass solche er
iwungene wirthschaftlichelsnthaltsani
lrit widernatürlich ift und dein eigenen
Staate Wunden schlägt. Doch mant
möchte die Zeit abwarten, wo man ent
weder die rufsische Initiative heran
dringen sieht oder doch solche Nationen,
die teine politischen Befürchtungen in
jenen Zonen erregen: vor allem Deut
sche, Franzosen und Engländer.
Sicher ift eins-: ein Lebensftrom be
ginnt sich nach Ruffisch-Asien hinein
zuergieszenx Menschenarbeit und Lapi
tat. Die ängstlich verrammelten Reich
thümer werden frei, die llobigenRiegel
eines engen Polizeigeiftej fallen. Das
ruffifche Voll gewinnt seht erst jene
Riefenftreaen unterworfener Länder zu
seiner freien Entfaltung; dein auslän
dischen Kapital aber öffnet sich ein ge
waltiges Arbeitsfeld in einem noch fast
;jungfriiulichen Lande. -
i G.Proforoff.
. Nachdem sich die D ettendiva
sFrthi Scheff.von ihrem er ten Gatten,
einem ehemaligen Uhlanenleutnant,
hat scheiden laffen, will sie seht einem
amerikanischen Literaten die dand
zum sogenannten ewigen Bunde rei
chen. — Frau Fritzi glaubt demnach
an die Wahrheit des Ausfpruchei: Die
Feder ist machtiger als das Schwert.