Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, August 28, 1908, Zweiter Theil, Image 9

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    Nebraska
Staats— Anzetger und I cerold
Jahrgang Au UUg Ust 90·8 Givei rThei l) Nummer I.
Abend
Der Abend naht. Da faltet seine
Scheins-en
Vom stolzen Sonnenfluge mäh, der
TM
Nur hier nnd da unoch leises Vogel-:
Ein später chltern fchwebi noch
km W
Im Roggenfeld verstummt der Gril
len Geigen,
»Die gold’nen Besten schlafen leise
e n:
Rings Stille. Ustn dasi andachtsvolle
gen
Hängt einen Puepnettanz deand
schein.
Johannes Weimer
—
Schtuß dek Saite-«
Novellette von Clata Aulepps
Städt
Wenige Minuten vor Abgang ei
nes Schnellzuges war es. Von dem
hohen Glaödach iiber dem Perran
des Bahnhvses der Residenz wieder
hallte nerbenerreqendes Säbeltlirrem
Lachen und Sprechen zwischen lei
sem, unterdrücktem Weinen Abschied
nehmender. Eine Gruppe Ossiiere
stand vor einem Kupee der l. ha
Czentlassr. Lisa von Karstedt lehnte
in der eösneten Thiir und griiszte
rnit gro en, wehmuthivotlen Augen«
Sie hatte die Hände voller Blumen
und betam mehr und mehr, die sie
mit dsntendem Lächeln in Empfang
nahm. Zuweilen schweiste ihr Auge
voller Spannung iiber die Menge.
Sie wartete, und ihr Antlitz wurde
bleich dabei. Dicht bar ihr, zwischen
den Ossizieren, standen zwei junge
Damen. »Ich hasse, wir sehen dich
bald wieder. liebe Lisa,« sagte die
eine, während die andere sich leicht
aus das Trittbrett schwang und der
sich ihr zuneigenden Freundin u
raunte: »Griirne dich nicht. Lisat
Vergiß Eggenbural Du siehst, er ist
nicht gelammenz der beste Beweis,
daß das Geritcht wahr ist. —- du
verstehst doch -—?«
,Gniidiges FräuleinP Warnende
Stimmen, die Billets wurden nach
gesehen, die Ttiiren geschlossen, Lisa
mußte an das herabgelassene Fenster
treten. Sie hielt Rosen in der einen
Hand, das Taschentuch in der an
deren —- sie weinte. Sie sah alle wie
in einem Nebel. Die bewegten, zn
ihr emporgewandten Gesichter —- sast
jedes erinnerte sie an einen fröhlichen
Augenblick bei Ballen, Diners, beim
Schlitischuhlaus, Schlittenpartien
und kleinen-, intimen Gesellschaften
Aber sein Gesicht war nicht darunterw
Ihr junges dessen und Lieben war
grausam zerstört. Und die helle
Glückseligkeit, die ihr ganzes Wesen
durchleuchtete, ausgewetzt durch den
brennenden Schmerz aualballer
Entiäuschung. »O mein Gott,« dachte
sie verzweifelt, »wie sann er mir das
anthun?«
Der Zug hatte sich in Bewegung
besetzt, die auf dem Perron Stehen
den zogen sich ein oder wei Schritte!
zurück. Man grüßte wie r und wie-»
der. Doch die Fahrt ward schneller,
und man fah noch einen Augenblick
Lifas weißes Iuch wehen, dann ver-l
hiillte der Dampf auch das.
Lisa dankte dein Himmel, daß siej
allein war. Sie sanl auf das Pol-«
ster. Arn liebsten hätte sie laut auf-s
geschrieen vor Zorn und Schmerz.
Ja, hatte er denn jenen sonnigen
Wintertag vergessen, als fie beide zu
ungewohnt früher Stunde sich aus
der Cisbahn trafen und mit glühen
den Wangen und tlopfenden Pulsen
Hand in band dahinflogen und süße
Geheimnisse tauschtew Dachte er
nicht mehr daran, wie er mit heißen
Liebesworten um sie geworden Pattei
Wie ungern schien er sich zu iigen,
als sie bat: ni t gleich zu ihren El
tern zu reisen, ondern bis nach ihrer
Heiwtehr zu warten. Sie wollte
ihre Eltern iiberraschen und feierte
auch lieber bei ihnen, anstatt in der
glänzenden Gesellschaft der Residenz,
ihre Verlobung. Er hatte so tief ge
seufzt: »Ja, wenn ich dadurch nicht
zu viel entbehren müsste! Doch bin
Ia dann in keiner Weise berechtigt,
o rnit dir zu verlehren, wie ich ei
gern möchte. Au erdem bedrückt
mich diese Dein-lichtes
»O, diese wenigen Wochen ber
geben doch fchnetl,' hatte sie lächelnd
gesagt. Und ihre Valtung hatte ihn
gezwungen, alles niederzukiirnpfem
was er ausserdem noch so stiirmisch
wünschte Sie schien die Bitte sei
ner oerlanaenden Augen nicht zu
verstehen. Aber er sah sie i, und
ein Mich ein höndedruci mu te ihm
vorläuft Ienllaen · ·
Getoi vorläufig Ia nur . . . Sie
dachte a aar nicht daran« sieh ihm
est eniz ben. Sie fühlte eh fa als;
n heiliges Eigenthum. ber hatte
er es aeachteti War er ihr in le ter
Zeit nicht geradezu aus dem g
gegangeni Stumm, wie vor den
Kops geschlagen war sie, als sie ge
stern zufällig von seiner bevorstehen
den Verlobung mit einer sehr reichen
Amerilanerin hörte. Des-halb -—
deshalb also .. . Ueber alles Maß
litt sie . . . von Zweifel, von Furcht.
von Ungewißheit grausam gepeinigt
. . . Am liebsten wiire sie glei ge
storben. Und so sollte sie heimie n?
So elend, so gedeiniiibgit —- o, es
war surchibarl
» Etwas von der heißen Freude
ihrer jungen Liebe mochte wohl zwi
lchen den Zeilen ihrer Briese zu le-j
sen gewesen sein, denn die Elternl
schienen von ihrem Glück zu ahnen
. . . Ach, die. Guten wußten nicht,
daß es grau-sank zerstört war.
Im dumpfen Brüten lehnte sie in
dem Polster. In gleichrniißigen Takt
schlägen rollte der Zug weiter, im
mer weiter, stundenlang. Lisa war
am Ziel. Die Wagenthiir wurde
ausgerissen, ein graubärtiges Män
nergesicht schaute herein.
) »Na, Lief-L da hist Du ic- wiedeke
lkornim lraxle mal heraus, mein
»Der-il Gut, daß Schluß der Sai
’son ist, du siehst mir wirklich ganz
ltniesia aus, Kleine. Wohl zu viel
getanzt, was? « Der Rittergutsbe
sitzer von Aar-steht hob Lisas Kinn
und drückte ihr einen herzhasten Kuß
»aus die Lippen. Da lchlana sie die
.Arme um seinen Hals. »Papa, lie
« ber, lieber Papa!«
s Der Papa horchte aus« ,,Nanu,
sdas klang aber nicht wie eitel Sr
:liateit.« dachte er verwundert. Und
jdadei war das Madel Loch Pupil
idic Blum des einzigen Wyllro Ies
i nee lieben Freundes, war das eine
iFreude für ihn gewesen, als sein
H alter Nachbar Eaaenbura so ein bis
;chen aus der Schule geschwthe hatte!
iUnb aut, iebr aut war das, nn da
Hatt ; man .doch bei Zeiten seinen
Seit eller ein bischen vervollständi
Laen können. Als Liia heimwärts
Huhr und eine lachende Sonne auf
Feld und Flur herniederftrahlte,
löste sich die fchmerzliche Spannung
ein wenig, und die Hoffnung sprach:
: Ersi warten, was an all dem Geredei
war, das über die Verlobung des
,Geliebten iurisirte Ja, aber wenn
nichts an dem Gerede war, warum
hielt er sich dann fern von ihr? Wa
rum war er denn nicht einmal am
Bahnhof2 Sie seufzte. Da schaute
der Papa ihr in das schmale, weiße
Gesicht, nahm ihre Hündchen und
ftreichelte das Handschuhieder. Nun
schoß all die Qual iund Ungewißheit
in ihr wieder jäh empor und drängte
sie zur Aussprache Aber die Scham
ioß ihr die Lippen. »Ich will der
ama faaen, was ist«, antwortete
sie auf alle Fragen.
Aber das, was seine Frau dem
Gutsbesitzer dann erzählte, iiberitiea
seiner Meinung nach doch alle Gren
zen. ,,So’n Windhund«. brach er
·.oö, »Römicke ioll anspannen; ich
will doch sehen, ob Ludewig weiß,
was er fiir ein iauberes Früchtchen
von Sohn hat-« «Aber, Mann, du
fährst zwei Stunden bis hin, über
lege. doch nur und warte bis mor
gen."
»Ach was, papperlapapp, wem
Gott, hätte ich den Jungen jetzt hier,
ich tönnte ihn gleich so....« Er
schüttelte wüthend die emporgehob
ienen Fäuste, ließ sie aber im näch
sten Augenblick wieder sinken und
starrte nach der -Thiir. Dort stand
Erich von Eggenburg Sein Gesicht
zeigte eine sehr starke Bewegung, er
schien befangen. Eis war einfach die
Unsicherheit dem Vater der Geliebten
gegenüber. Doch dem erschien es wie
Schuldbewußtsein Jsbm war, als sei
er ietzt zum Richter über diesen jungen
Menschen bestellt.... Ich will nur
erst wissen, nur erst der Wahrheit ins
Gesicht sehen, dann —- ——— Und gegen
; diese Gier nach Wahrheit lam die ru
; hige Ueberlegung nicht aus. Er srug
brüst: »den, Sie sind verlobt?«
s »Ja!« »Mit wem?« Der junge
sMsann sah erstaunt in das zornges
sröt te Antlitz, sagte aber ruhig und
»inn : »Mit einer jungen Dame, die
ich säbr liche!«
»Ja woll. das glanb’ ich ichOn",
höhnte der Gutsbesiser. Nun wurde
Eggenbura bleich. Er trat zurück.
»Herr von Karstedt — dieser Ton . ..
Sie gestatten, daß ich zu gelegener
Stunde wieder lomme.«
Denn mit der Schnelligkeit, in der«
ein Hirn in« schlimmen Momenten
denkt. wußte Eggenbur sofort, daßs
hier schwere Mißberstiin nisse vorm-s
gen. Mit einer lnabben Verbeugung;
wandte er sich zum Gehen. s
Manns Bleiben Sie nur nochs
eine-. Augenblick — ich bitte sebr da-I
rum«, ries Karstedt ausgebracht. »ich
habe noch ein Wörtchen mit Jhnen
zu reden!"
«»Pava, um Gotteswillem Pava!«
Eggenburg hatte schon bie Tbiirtlinte
in der hand, ieht drehte er sich aber
c
doch noch einmal um. Lisa hing am
Hals des Vaters und weinte. »Lisa«,
sagte er ernst, »ich verstehe das alles
nicht . . . .« Da suhr sie aus »und sah
traurig nach ihm hin.
»O. du verstehst es nicht? Dann
ist es wohl nicht wahr, daß du dich
mit einer Ameritanerin —-« sie kann-te
nicht weiter sprechen, der Stolz ließ
sie de tummen. Nun verstand er...
Und ein Antlitz strahlte sämtlich.
»Ach, ist es das?« sagte er erleichtert.
»Da hat freilich der Aufenthalt mei
» ner Verwandten in der Residenz zu
schweren Mißdeutungen geführt. »Ich
mußte mich selbstredend ihnen d
men und habe sie gestern auch gern
hier-der begleitet, da ich wußte, daß
heute endlich der Zeitpunkt gekommen
war, wo ich mir diese liebe Hand von
Jhnen erditten dürfte. Die -.Veimlirh
leit ist mir sehr schwer «gewvrden!«
Der junge Ofsizier hatte Lisa seine
band hingestreckt, und wenn auch noch
zitternd, hatte sie die ihre hinein ge
legt. So standen sie vor dem Vater.
»Und vvn dieser verflixten Heinr
lichleit rührt auch nun die ganze Auss
regung her —- na, nichts sür ungut,
Egaenburg... du bist mir der liebste
Schwiegersdhn, den ich mir wünschen
lonnte.« Die Herren schüttelten sich
die Hände, dann war das Brautpaar
allein . . . . »
Nun zog er Lisa an sich. Sie sah zu
ihm empor mit Herrllopsen . . .. und
fühlte die Seli· teit des ersten Kusses.
Papa Karste t aber sagte draußen
zu seiner Frau: »Das ist nur der
liebste — Schluß der Saison!«
Durch; laut
Von Ladwis Kittel·
Zu verschiedenen Zeiten hat eine an
dere Seite der Landschaft die Menschen
bewe t, ihrer innersten Stimmung ent
spr n. Einst verstand man jene nur
in der wilden Natur des Hochgebirges
mit gewaltig ragenden Vergriesen,
donnernden Wassersällen und tiefen
Schluchten ; dann wieder im romanti
schen Hügellande mit butgengelrönten
Bergen, ethiirmtenStiidten und rate-(
schenden äldern. Uns aber drängt es
ans unendliche Meer, in die weite
Ebene. Es ist das mehr als-« eine Mode
sache. Jn der erhabenen Ruhe und Ein
fachheit jener Natur findet die- Zersch
renheit unserer Zeit am ehesten ihr Gei:
gerne-erwirbt
Jn diesem Flachlande ist eine der
seltsamsten und stiinmunasvollsten Er
scheinungen das-Watt, jene eigenthiim
liche Bodenbilduna, die bald Meer,
bald Land von Holland bis Schleswig
die Nordseetiiste unt-säumt
se
Wir steigen zurFluthzeit den gewal
tigen Schutzwall Ostsrieslands, den
Seedeich, empor und unseren Bli
clen entrollt sich das mächtige, glän
sende, leise wogende Meer. Bot uns
in duftiger Ferne schwimmt ans ihm
wie ein Märchenland die Jnsel Balk
rum dagZiel unserersahrn mit roiben
Hänsern und weiß f immernden Dit
nen; weiter östlich grüßt mit weißem
Strand Langeoog, und ganz irnWesten
liegt im Wollenschaiten wie ein duftia
blauer Strich Nordernen mit ragen
dem Lenchtthurm Zwischen den Jn
seln, im »Seegatt", wo Meer und
Himmel zusanimenflieszem springen
wie weiße Punlte die Brandunggwel
len der vorgelagerten Riffe auf. Kleine
Küstenschise mit rothen und weißen
Segeln zie n langsam vor der Jnsel:
vorbei, eine lanae Rauchwolle am Ho
rizont liiszt die große Fahrftrafze»
transatlantischer Dampfek ahnen. Un .
anfhörlich rollen aus der duftigenT
Ferne vor dem frischen Weit lleinel
Wellen heran und verlaufen sich aqu
dem »Heller«, dem jüngst gewonnenen
saftig grünen Various-« das sich in ei s
ner durchschnittlichen Breite von 2004
Metern vor dem Deich hinziehi nnd mit «
giftitlöchem buntschecligen Vieh wie be
a I .
Wir lagern uns ans der Rappe des!
Deiches in Erwartung der Ebbe, unds
unsere Sinne wandern in die nnendli s
chen Fernem die sich nach allen Seiten .
aufthun, u. unsereGedanten schweifen
zuriick in vergangene Tage dieses meer«
entrungenen Landes. Wie friedlich und«
sonnig ist es ietzt hierJ Aber in eni »
losen, grauen Wintertagen und ewigen’
Winden und Stürmen erhebt sich dsgl
Meer und schwillt und rollt mit grau E
gelben Wogen den Detch hinan und
schleudert den weißen Gischt weit ins
tiese Land hinein. Das ist die Erneue
rung eines uralten Kampfes. Einst,
als noch Großbritannien mit dem Fest
lande zusammenhing, war die Gewalt
der Strömung- die nur von Norden her
in die Nordsee drängte, schon gebrochen,
wenn sie un ere Küste erreichte, und in
dein ruhigen asser konnten sich Schicht
um Schicht die breiten Marschslächen
ablagem Da rissen in der sogenann
ten cimbrilchen , luth die Wogen der
Atlantit von We ten her die Straße
Iwischen England und Frankreich.war
fen sich mit furchtbarer Wucht auf die
schutzlasen Küsten, zerrissen sie und
swiilztcn den Dünenfand auf den
fruchtbaren Boden. So entstanden die
Matten, und nur die lange Reihe der
Inseln blieb als Reste des Festlande-»
"zuriicl und als letzte Zeugen feiner
sWidersiandöiraft
Allmiihlich ist das Wasser ruhiger,
-.iriiber und dunkler eworden; hier und
Ida zeigen sich Strei en grauen Landes,
zdie größer werden, sich untereinander
zverbcndem bald ganze Flächen bilden.
ZDazwifchen liegen mattgliingendes,
Iseichtes Wasser, dunkelgrüne Pflanzen
striche, Haufen blauer Muse-bein- Wir
,beginnen die Wanderung Dicht am
heller fliegt wie eine weiße Wolle ein
Schwarm Miiwen auf: hier sinken wir
bis über die Knöchel .in den zähen,
grauenSchlick. aus dem ein geheimniß
voller, sickernder Ton aufsteigt, bald
aber wird derBoden hart und glatt wie
eine Tenne, obgleich ihn noch einigex
Zoll Wasser bedecken, und leicht und
Frei gehen wir auf das Ostende der Jn
el zu.
Eine fcltfams Welt Umgibt Unsi
i Ningsum wölbt sich ein unermeßlichen
! glänzender Himmel über einer Fläche,
die wie ein mattgeschliffener Spiegel
nur eine tiefer getönte Wiederholung
des Himmels ist. Von ihren Rändern
steigen helle und duntle wnchtige Wol
len langsam zum mattblausen Zenith
empor. Alles ift in Licht und Luft ge
taucht, in eine flimmernde Helle, in der
wir zu schweben scheinen. Jeder Ge
, genstand gewinnt an Bedeutung auf
f
dieser Fläche, scheint näher gerückt, ver
größert. Man hat keinen Maßstab fiir
seine Entfernung Und ganz im Osten
heben fich in der warmen Luft wie eine
IFata morgana Landstreifen iiber den
those-sann die sonst von hier nicht sicht
i bar sind.
» Die frifche Brife ift ganz erstorben.
)«Durch die tiefe Stille zittern, von der
glatten, regungslofen Fläche weithin
! getragen, Glockentöne des fernen Fest
, landes herüber, dumpf grollt von Nor
f den her die Brandnng. Von der Jnfel
k challen gediimpft Menschenstimmen,
l er Schlag eines hemmt-T ein Schuß.
Wie ein hauch oerweht der Triller ei
» ner Lerche. Alle diese Töne verweben
sich zu einem weichen, geheimnißvollen
Allord, der unsichtbar über die Fläche
dahin-sollt Eine feierliche Stimmung
l
ergreift uns-; hinter uns ist das Fest- ·
land versunken mit feinen Sorgen und
Begierden, mit seiner grauen Alltäg
lichteit, freier athmet die Brust, und
feierlich nnd ernft klingt es in uns
wider in Anbetung der Natur, die
lsier so einfach und doch fo gewaltig
zu uns redet.
Der heisere Schrei eines Reihers
schreckt uns aus, der mit schwerem
Flügelschlaa hinter uns herstreichi.
Aus dem Boden steigt ein frischer,
scharfer Seegeruch aus. Hier zu un
sern Füßen thuen wir einentkinbliel in
die Flora und Fauna des Meeres. Da
sind ganze Hausen des bekannten See
grases, dunkelgrüner, langstriihnigek
Tangarten und sleischiger oder blasen
sörtniger Alaen. Dazwischen liegen
aallertartiae Quallen mit wundervol:
len sternförmiaen rothen und blauen
Zeichnunaem Seestetne, Seepserdchen,
Rocheneier und die verschiedenartigsten
Muschcln, die ost ganze Lager bilden.
Die eßbare Miesmuschel ist besondern
starl vertreten. Als »Schill« werden
diese Muscheln gesammelt und zu ei
nein vorzüglichen Mörtel ebrannt.
Der Boden ist jetzt vollständig trot
ten geworden, eine endlose,matte, graue
Fläche, von einigen glitzernden Strei
sen durchzogen, den »Prielen«, meist
schmalen Wasserrinnen, in denen auch
zur Ebbezeit einige Fusz Wasser stehen
bleiben. Jn ihnen schießen Ale« tleine
Fische und die belannten Garneelen
pseilschnell hin und her, eine willkom
mene Beute der zahlreichen Momen
arten. Strandläuser und Regenpseiser.
Selbst in dein harten Boden regt sich
der Sandtvurm und wirst kleine roh
rensiirmige Häuschen aus« die den gan
zen Wattengrund bedecken.
Wir haben mehrere Prielen durch
tvatet nnd eines der Schiffe erreicht, die
jeyt hilflos auf dem Trocknen liegen
und sich duntel und wuchtig aus der
Luft abheben. Es ist eine holländifche
Tjalt. Ueber den hohen Bord lehnen
behaglich der Schiffer und feine Frau,
Kinderiachen ertönt —- ein dell auf
dem Meeresgrunde, mitten in der Ein
öde. Diese Holländer fahren jahraus
jahrein mit der ganzen Familie. Wir
tauschen plattdeutschen Gruß und Ge
gengruß und betrachten die stark ge
sehn-ungene. bauchige Form des Schif
fes, die so charakteristisch auf den
Schiffsbildern der alten holländischen
Kacheln wiedergegeben ist. Unterhalb
der Wasskrlinic ist das Holzwert mit
einer Kruste vcn Muscheln und Algen
bedeckt·
Einige Schritte weiter gelangen wir
an die «Balge«, die rölete und tiefste
sWasferrinne mit steten Ufern, die die
seigentliche Fahrftraße für die überj
s Watt fahrenden Schiffe bildet. Sie ist
durch eine Reihe von ,,Pricken« oder
»Balen«, schlanten Birtenstämmchen,"
bezeichnet, die in gewissen Abständen in
den Boden gesteckt sind, wo siesich fest
saugen. Jn dem start nach Westen
ströinenden Wasser watet bis über die
Lüften ein Jnsulanrr, mit einem
vpfbefen die seichtefte Stelle, also die
Wasserfcheide des Baltrusmer WItts,
bezeichnet, und sehen dann dem Fischer
zu, der, ein richtiger Seebär, triefend,
mit ungeheuren, tbranduftendenWas
ferftiefeln, die er an einemRiemen über
der Schulter hält, aus dem Wasser
hervorsteigt. Die Beute ist lohnend;
etwa siebzig Stück Schollen und But
ten hängen in den Maschen des Mehrs
Während wir mit dem Manne weiter
gehen, zeigt er Uns am äußersten Ende
des Watts einige schwarze Punkte, die
sein scharer Auge als Seehunde er
«lennt, und weiter nordwärts einen He
ringslogger, der wahrscheinlich bei
Nacht angetaumt und vor einigen Ta
gen dort gestrandet ist. Der ganze
Vorderfteven des noch neuen Schiffes
ist fortgerissen Das Schicksal der
Mannschaft ift unbekannt; in dem Ge
wirr von Netzen und leeren Tonnen
Fand man nur die Leiche eines Maiw
en.
Bei der Erzählung des Mannes um
weht es uns wie Romantik und Tragik
des Seemannsleben Es kommt uns
jetzt erst zum Bewußtsein, daß auch
wir uns im Machtbereich eines gewal
tigen, tückischen und unersättlichen
Herrschers befinden, und der Gedanke
an die Gefahr gibt unsrer Lage einen
eigenthüsmlichen Reiz. Jn einigen
Stunden ziehen da, wo wir jetzt gehen,
mit starken Wirbeln die Wasser und
begraben den Boden über zwei Meter
tief unter sich; und wenn sie uns jetzt
überraschten und wir flüchteten aufei
nen schnell ausgeworfenen Hügel, fo
wäre es doch unmöglich« dem starken
Strom stand-zuhalten
Näher und näher rückt die schim
mernde Dünentette. Der Sand wird
weiß und blendend für die Augen. Wir
halten uns jetzt mehr links auf das
Meftdorf zu, pafsiren die Rhede, wo
aus einigen Schiffen Buschwert und
schwere Basaltblöcke zur Befestigung
des Nordstrandes auf Loren geladen
werden, gehen an dem Feldbabngeleife
entlang und haben nun nach etwa zwei
Stunden dieJnsel erreicht, die hier noch
unberührt vom großen Touristenstrom
in Meereseinsamkeit ihre Tage ver
träumt und sich mit ihrem kleinen, fau
ber gestrichenen Häuschen und den san
-digen Wegen zwischen den von Treib
holz bunt zusammengeflickten Einfrie
digungen noch am meisten unter ihren
Schwestern ihren ursprünglichen Cha
rakter bewahrt hat.
Abends beim Grog —- denn hier sind
zuweilen auch die Sommerabende emp
sindlich tiihl —- wurden Wattgescljich
ten aufgetischt. Nicht immer ist solche
Wanderung so bequem und gefahrlos
wie am hellen Sommertage. Wenn in
grauer Winterszeit bei start anhalten
den Westwinden das Wasser nur wenig
abebbt,wenn unverhofft früh die Däm
merung hereinbricht, wenn plötzlich
schwere, graue Nebel dem Boden ent
steigen und jede Fernsicht verschleiern,
hat schon mancher im Watt ein schauer
liches und qualvolles Ende gefunden.
Wieder hörte ich die Geschichte von dem
jungen Jnsulaner, der von der Steuer
mannsichule kommt, um Weihnachten
zu Hause zu feiern. Es ist Weih
nachtsmorgenz ein undurchdringlicher,
eisiger Nebel lagert über der Küste,tnan
kann kaum einige Schritte weit sehen.
Trotzdem erbieten sich einige Schiffer
von Dotnumersiel, ihn mit dem Boot
an das Ostende der Jnsel zu bringen,
wo sie ihn nach ihrer Meinung auch ab
setzen. Er wandert weiter,"wird aber
plötzlich durch Wasser gehemmt. Er
wendet sich seitwärts, wieder kommt er
nnWasser, und bald wird es ihm zur
furchtbaren Gewißheit, daß er statt am
Ende der Jnsel auf einer Sandplate
gelandet i st. Ringsum braut und
wallt der Nebel und erstickt sein Schrei
en und Rufen. Das Boot ist schon weit
fort. Leise beginnt es unter ihm zu
gurgeln und zu zischen, das Wasser
steigt, scheint aus dem Boden zu quel
len, sich aus dem Nebel zu verdichten.
Es umspiilt seine Füße, seine Knie,
steigt höher und höher —- wer hat solch
grausigen Todeskampf gesehen! Nach
einigen Tagen trieb ein Notizbuch an,
in das der Unglückltche von Stunde zu
Stunde sein Schicksal geschrieben:
,,. . . Jeht geht mir das Wasser bis
an die Brutt, . . . ich höre die Weih
nachtsglocken . . . lebt wohl . . .«
Jm Winter bei starkem« anhaltenden
Frost ist das Watt ein einziges, großes
Trümmerfeld von Eisschollen von fast
arktischem Charakter Wenn dann
wochenlang die Schiffahrt unterbro
chen ist, wagen die Jnsulaner eine tin
ßerst onstrengende und gefährliche
Fahrt zur Verbindung mit den-. Fest
lande. hierher gehört ein E"rlebnisz,
» das mir einer der Betheiligten einmal
aus Langeoog selbst erzayue. Da war
mitten im Winter ein Schorner auf
Langeoog gestrandet, die Besinnung ge
rettet. Tsics Jnsel war vom Festlande
vollständig abgeschnitten, Ja das Matt
voll Treibeis ging. Aber der geretteie
Kapitän, seine Frau und einer der
Matrosen wollten durchaus hinüber,
und endlich fanden sich zwei Jnsulaner.
die cz istcrnahmem sie übers Watt nach
Bensersiel zu führen, einen We , Zur
schon unter gewöhnlichen Umstand-en
wegen feiner tiefen P selcn ge ährlich
nnd wenig begangen ist. Es beginnt
eine Fahrt, die geradezu an eine Polen
expedition erinnert. Sie klettern nnd
springen über wild durcheinander ge
worfene Eis-schallen« überschreiten gan
ze Strecken kleiner, spitzer Eisstücke, die
das Schuhwerk zerschneiden müssen
größere Eisstauungen umgehen und
kriechen mühsam über spiegelglatte,
schrägeliegende Eisflächen Dann wie
der geht’s durch das eisige Wasser der
breiten Priele. So kommen sie trog
aller Eile nur langsam vorwärts, und
als sie endlich ganz erschöpft den letzten
Priel schon nahe dem Festlande errei
chen, ist derselbe bereits so weit mit
Wasser gestillt, daß es unmöglich ist,
ihn zu durchwaten. Schon dämmert
es, und bei dem trüben, unsichtigen
Wetter gelingt es ihnen nicht, sich aus
dem Festlande bemerkbar zu machen.
Eine furchtbare Lage! Der Versuch, die
Jnsel wieder zu erreichen, ist aussichts
los-, nnd doch ist das die einzige Mög
lichkeit einer Rettung. Wieder begin
nen sie, von Todesangst getrieben, das
tolle Klettern und Laufen, aber als sie
den zuletzt durchquerten Priel erreichen,
ist er ebenfalls nicht mehr pafsir"bar.
So sind sie nun mitten in der starren,
einsamen Eiswüste gefangen und lang
sam mit der eintretenden-Fluch nähert
sich der unentrinnbare Tod«
Eine dunkle, eisige, unendlich lange
Winternacht sinkt langsam hernieder.
Allmählich beginnen die Eisfchollen
sich zu bewegen und zu treiben; sie sto
ßen sich, reiben sich lnirfchend aneinan
der und erfüllen die Dunkelheit mit ei
ner fchauerlichen Musik. Mit ihrer leh
ten Kraft kriechen die Unglücklichen auf
eine große Scholle, aber dieselbe zer
bricht nach kurzer seit in zwei Stücke
und trennt die bei en Jnsulaner von
den übrigen, die sie auch bald aus den
Augen verlieren. Eng aneinander ge
drängt, heiser vom Schreien, in nas
sen Kleiderm von Kälte durchschauert
und von der furchtbaren Anstrengung
und Aufregung völlig erschöpft, lauern
nun beide Parteien auf ihren Schollen.
Gegen Mitternacht merken die Jnfula
ner an der stärker werdenden Dünung.
daß sie vor der wiedereingetretenen
Ebbe durchs Seegatt ins offene Meer
treiben. Zum Glück ist es windstill·
Wieder setzt dieFlsuth ein und als end-i
lich, endlich der Morgen dämmert, se
hen sie, daß sie denselben Weg zurück
ins Watt gezogen werden. Inzwischen
war man in Neuharlingessiel von der
Jnscl aus telegraphifch benachrichtigt,
und als es völlig Tag geworden war,
gelang es dem Rettungsboot nach gro
ßen Anstrengungen, beide Schollen zu
erreichen und die fast erfrorenenSchiff
briichigen zu retten.
Afhcmühuiich M dck SOUcco
Aus Paris wird berichtet: Die hö
here Knabenfchule in der Rpue Cambon
ist in den letzten Wochen Gegenstand
eines interessanten Versuch-es gewesen,
desse außerordentlicher Erfolg leb
haftes Aussehen erregt und von der
französischen Wnterrichtss-"Verwaltung
wohl bald allgemein aufgeariffen wer
den wird. Dr. Maraae hatte die Ge
nehmiquna erhalten, mit den 200
Schülern täglich während der Schul
ftunden Athemübungen vorzunehmen.
Es sind außerordentlich einfache Be
wegungen, ihrer nur drei, die täglich
530 Mal wiederholt werden und im
Ganzen kaum 10 Minuten in An
spruch nehmen. Nach einigen Wochen
hat man ietzt an den Schülern Mes
sungen vorgenommen und tonnte fest
stellen, daß infolqe dieser systemati
schen Förderung der Lungenthätigteit
der Brustumfana der Kinder fast
durchweg von zwei bis zu sechs Centi
metern zugenommen hatte. Das Un
terrichtsministerium beabsichtigt setzt.
das Versuchsfeld auf eine größere An
zahl von Schulen auszudekynen
Unqngcnehm. .
Wirihin: »Herr Spund, soeben ist
der Geldbriefträper da und bringt
Jhnen eine Poftanweifunq von Ih
rem Onkel überzwanzig Makk!«
Student: ,,-Dvnnerwettet, das ift
aber seht fatal!«
Witthint »Nami, darüber müssen
Sie sich doch freuen?«
Student: »Ach, was wissen Sie
denn; ich wollte ihn doch eben um
fünfzig Mark anpumpen und nun
fchicki er mit freiwillig zwanzig!«