Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, July 31, 1908, Zweiter Theil, Image 9

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    Nebraska
Staats-Inzeiger und Ufer-old
Jahrgang W. Grund Island, Nebr» :kl. Juli l903. («.«kweiter Thciu Nummer 49.
Sommer.
Ilügge wird Alles,dder Sommer ist
Blüt-end stehn Wälder und Höhen
Was auch für Sorge und Leid die
ais-Hab
Draußen —- forl muß es —- verwe
den.
Wandern, o wandern hinaus in die
Welt!
Fort aus den Mauern der Slädte.
Daß unterm goldigen Aether gezeli
Schenelze die fesselnde Kelte
Daß sich die Seele mit Mnnegefühl
Schwinge empor zu den höhem
cchwinge empor aius des Staubes
Gewühl
hoch über Tod und Vergehen.
Wälder, ihr grünen ihr rufet so
hold;
Wohl denn ich loknme, ich eile.
Sttiime, ihr brausenden, leuchtend
wie Go ld,
Wohl denn, ich komme, ich weile.
—
Jtn Dorfe.
Eine tragische Sommergeschichtr.
Von Paul A. Kirstein
Wie gesagt, Arnalie, es geht
diesmal nicht anders. Jch tann nicht
so weit von der Stadt fort. Du
weißt, die Börse wanit und schwankt.
Ich rnuß sie irn Auge behalten. Wenn
wir wieder in den großen Luxusbib
dern berumtutschiren, lann wer weise
was siir ein Unglück« geschehen. Es
gebt also wirklich nicht! Beim besten
Willen nichti«
Frau Kommerzienrstbin Berghold
lieå die Mundwiniel "ngen und
schaute eörgert vor sich in.
»De- lb brauchen wir doch aber
nicht gleiO a ein Pers u ziehen!
Es gibt eine se netter "der unb
ankenebmer Karme, die nur ebenso
wet entfernt sind und die wenigstens
ktrvai Komqu und Zerstreuung bie
en.«
Der Kommerzienratb trat dicht
Zuefhsie zu und schob die Augenbrauen
o .
»Das ist es eben, was ich vermei
den möchte. Diesen Komsori und
diese Zerstreuungen, wie du es
nennst. Sieb dir unsere Tochter Im.
Achtzehn Jahre ist sie alt und blüht
schon ab. Und alles nur von dein.
was du Romfort und Zerstreuunn
nennst. Ich will aber nicht, das-.
mein einziges Kind blasirt nnd matt
mache Leben läuft. Eine ordent
liche Frau soll sie werden —- und
deshalb entziehe ich sie dem Leben,
das sie nur allzu früh tennen gelernti
han« l
»Meinst du nicht« dasz es auch stillej
Bader aibt, wo sie dem ebenfalls ent .
zogen wäres« »
.Nein!« Ziemlich brüöl kam es Jus
dem Munde des Herrn Rath. «llebee
all in diese offiziellensVersammlungs
stiitten des-Sommers schleicht sich die
Lalchheit ein und dieOberflächlichleit.
Ueberall-——wenn auch vielleicht etwas
lleiner-—«hebt das Leben »m, das mir
hier schon mehr als verhaßt war» und
das die jungen Menschen für die
Welt verdirbt, noch ehe sie sie kennen
gelernt haben. Jcki aber will mein
Kind zur Natur, zur Einfachheit zu
rückführen, dass ei Freude und Ge
nuß, wirllichen Genuß vom Dasein
hat. Denn ich habe sie lieb, und ich
achte die Pflicht, die den Eltern auf
erlegt. im richtigen Sinn iiir das
Wohl und Wehe ihrer Kinder zu sor
gen. Das ift mein letztes Wort und
mein seitester Gntsehlusz
»Na ja —- du den-ist an eine neue
Erziehung, aber Freude und Genuß.
Ich glaube nicht, daß unser Kind die
aus dem Dorfe finden wird«
»Dann wird es lernen, sie dort zu
finden. Und übrigens-, was feinem
Vater sein halbes Leben lang nichts
eichadet — glaube nur, das wird
ihr auch nichts in den zwei Monaten
anhaben können. Ich bin·nun drei
mal so alt wie sie. und mir scheint
fast, ich sehe fest noch jiinger aus als
sie. Gesunder in jedem Fall.« Er
reckte seine hohe, kräftige Gestalt.
dann wandte er sich ab, um in sein
Bureau zu gehen.
Auch seine Gattin erhob sieh, aber
schwertiillig und eestgnirt. Jhr war,
tm Grunde genommen die Reise auf's
Darf am unangenehmsien Sie wußte
da nie was sie mit sich anfangen soll
te, und wo ihr Gatte thllen und
himmlische Ruhe sah. da gähnte site
sie nur Cinfsrmi lett und Lange
weile. Aber sie annte ia die Var
liebe ihres Gatten. Seitdem er älter
und ruhiger geworden, zog ei ihn
wieder in die Verhältnisse zurück, in
denen er etnft groß geworden. gleich
sam als wäre er stolz darauf, eines
sauern Sohn zu fein. Arb. wie ost
hatte sie schon egan dieIeLeidensehatt
anliimpfen mit en! Wie sehr hatte
sie sich ansangs gesträubt, daß er die
Wohnung mit alten plump und der-b
geschniften Bauernmöbeln ballt-stopf
te. Ert als sie hörte, daß es wieder
modern und originell war, hatte sie
lächelnd geschwiegen und den Freun
den gegenüber aus der Noth eine Tu
gend gemacht.
Ueberhaupt die Freunde! Sie sah
schon wieder, wie sie spotten und lä
cheln würden, wenn sie von ihrer
Reise erzählen mußte. Aber diesmal
—- das siihlte sie nur allzu sehr —- gab
es kein Zurück. Jshr Gatte hatte es
zu sest sich vorgenommen.
Mißmuthig ging Frau Berghold
hinüber zu ihrer Tochter.
Also Eggi — es ist nicht zu än
dern Papa besteht daraus.«
Eggi lag blaß und miide aus der
Chaiselongue. Sie erhob sich auch
nicht, als ibre Mutter in das Zimmer
trat. Nur das Buch legte sie ein we
nig beiseite und blickte veririiumt und
ermattet aus.
,,Wor.rus, Mama?«
»Aus der Dorsreisr. Papa hält es
siir sehr gesund siir dich!
»Man«.a! ...« Eggi richtete sich
halb auf. »Das ist ja nicht mög
lich.«
«-. - ---.-- ·
»Na, glaubst du vielleicht, ich’
werde mit so ernsten Sachen scher-!
zenil Papa hält dich fiir trank und
abgespannt und meinte, daß dir diel
Natur am besten nützen würde, tät-l
perlich nnd seelisch-"
»Aber Mrma—in den meisten Bä
dern ist doch die Natur viel schöner.
Hast du Papa denn das nicht gesagt?«
Diebes Kind, ich habe ihm gesagt,
wag ich ihm nur sagen konnte. Jn.
vie Bade- wia et nicht, wen ihm dal
zuviel Trnbel und Zerstreuung iitJ
zuviel Stadtmmschen . . . rnit einem s
Wort: er will nicht. Mach du etwas
dagegen!«
»Gewiß. Mama, das will ich!"
Und sie sprang von ihrem Polster
herab und stand tampfbereit vor ihrer
Mutter. »Das wäre ·a noch schöner!
Man muß- sich ia vor feinen Freundens
schämen. Lieber fahre ich gar nichti
mit und langweile mich hier zudem-.
als da — da aunt Dorf, unter den.
Hühnern und Gänfeni«
Aber all ihr Kampfesmuih ihr
Schmollen and Tropen. ihr Schim
psen und Schelten half ihr nichts.
Als nach zehn Tagen Kisten und
Kasten gepackt vor der Thiir standen,
war ihr Wille gebrochen, und sie
mußte mit, ob ihr herz sie auch ganz
wo anders hinzoa.
Jeden Einwurf hatte ihr Vater ihr
ruhig und sicher abgeschnitten
»Versuch es erit einmal«, sagte er
immer, »ob es dir nicht doch Freude
macht. Du kennst das Landleben
nicht, und bei Sachen, die snan nicht
kennt, soll man nicht vorschnell urs
theilen«
So hatten sie sich denn anmahnch
in das Unabänderliche gesunden; doch
ihr Witz und ihr Lachen waren Gal
aenhumor. Sie thaten so, als sügi
ten sie sich einer Laune, die ihnen un
begreiflich war, der sie aber aus Gut
mitthiaieit nachgegeben hatten.
Und diese erhabene Art verließ sie
auch nicht, als sie endlich wirtlich in
das Dorf einzoqrm Es war freilich
einfach und von der Entwicklung der
Großstadi noch weit entserni. Das
Vieh wurde noch an den Häusern vor
beiaetrieben, und dir Straßen bestan
den aus Lehm und unbehauenen, un
gewalth Steinen, aber ein herrlich
dichterWald zog sich bis an die Woh
nungen heran. Hügel hoben ihn in
unermeßliche Fernen und kleine Bäche
rieselten munter von ihnen herab,
daß er im Sonnenschein wie mit sil
bernen Fäden durchzoan erschien
Doch die Frau Kommerzienriithin
und ihre Tochter sahen eg nicht. Ih
nen siel die lieblich im Winde schau
telnde Wäsche aus, die unmodernen
sitleider der Honoratiorensrauen und
; das ewia Gleichmäßige im Auf und
Ab des dörslichen Lebens.
»Und das ist Papas Jdnll!« Sie
licherten und lachten in sich hinein
mit überlegenem Spott und weltli
chekn Hohn.
Freilich, der Herr Kontmerzienrath
merkte davon nichts. Er schoelgte in
der Ruhe und dem Frieden des klei
nen Fleckchens Erde unsd träumte sich
in die Zeit zurück, wo auch ihm des
Lebens höchste Lust das Laufen ohne
Schuhe und Strümpfe war. Und
wenn sie Abends in der lautlosen
Finsternis in der ileinenLaube saßen,
di-, der Besitzer des hauses und des
Gartens nicht gerade iunstaerecht zu
sammenae immert, dann schwelgie er
in Jugen rinnerungen, die ihm wie
ein Ausathmen nach arbeitsvoller.
rastloser Lebensbahrr erschienen, sei
ner Frau und Tochter aber bald
aleichailtig, uninteressant und lang
weilig wurden.
Er aber achtete nicht daraus und
mertte es auch nicht. Ihm war es,
als zöae er aus seinem Leben die Bi
lanz — wie er ei im Geschäft itets
that —- als schriebe er sie nieder,
ebenfalls wie dort... nur daß statt
des Papiers die Seelen kalt und
farblos waren.
Jn seinem Sinnen und Träumen
merkte er auch nicht« wie in seiner
Tochter langsam und allmählich die
Freuden und Begierden ihres eigent
lichen Lebens wieder aufflackerte, wie
sie zuriickfiel in die alten Gewohnhei
ten, die er in der Stadt gehaßt, de
nen er sie hier entziehen wollte.
Schon nach kaum zehn Tagen sah
er sie durch »die Felder streichen, an
dem hohen, wogenden Getreide ent
langk das sich wand und bog, als-e
bereitete es sich zur Ernte vor.
Er lächelte in sich hinein. Kommt
sie doch zur Besinnung? Empfindet
sie doch FreudeY
Er wußte freilich nicht, daß dort
draußen stets in der gleichen Stunde,
wenn Eggi ging unsd lam, die Jn
spettoren waren, die das zierliche
Fräulein aus der Stadt tief und eh:
rerbietigst grüßten, die gefchnieichelt
waren, wenn die Kommer·zienraths
tochter mit ihnen sprach, und in ihrer
unverfälschten Derbheit linkifcher er
schienen, als sie es vielleicht in Wirt
lichteit waren·
chen Spaß! Das war einmal eine an
dere Art vonKourmacherei und Flirt.
als sie sie in der Stadt beim Tennis
oder im Ballsaal kannte. Viel ur
wiichsiger ehrlicknr... und dabei soj
komisch, so zum Lachen....
Auch die Mutter mußte es sindenzi
denn sie lachte mit, wenn Eggi oons
ihren Fahrten erzählte; doch hob sie.
warnend den Finger.
tzGeh nicht zu weit, Eggi, hörst
du « I
Nur der Vater wußte davon nicht-.
Er tannte die jungen Männer wohl.«
denn auch er sprach und unterhielt
sich mit ihnen und lud sie beim Vor
übergehen in seinen Garten. Doch
bei ihm war alles Interesse und
Freude an den alten, halbvergessenenj
Dingen. Daß man mit diesen ur
tviichstgen Menschen leichtsertig spie
len tonnte tam ihm nicht in den
Sinn. ;
- Eggi freilich dachte darüber aus«-s
»ders. Da sie bisher des Beifalls ish
rer Mutter, ihrer wärmsten Stütze
sicher war, tonnte es ihr ja nicht seh
len. Erzählen wrllte sie in der Stadt
wenigstens können, unter Lachen und
unter Heiterkeit; der Unterschied war
ja schließlich auch sonderbar. Und
was hatte der Vater ihr bei den Ver
« handlunaen über den Sotnmeraufent
halt gesagt:
Wie sich so ein Mensch wohl bei ei
ner Liebeserllärung ausnehmen mai-,
te?!
In der Stadt war das immer
gleich. Gut gemeint und schnell und
ohne Groll vergessen; aber hier,
i)lier . . .
Und das machte qui so unendli-(
l
Der eine, der sie mit wasserblatxen
;?luaen immer anschmachtete Und um
s schwarmte —-- wenn sie den...?
Es war nicht allzu schwer. Der
arme Heinrich Fint war seines Her
»zens sowieso nicht sicher. Träume-nd
und sinnend schritt et durch die Welt.
Jedes Blatt am Baum, jedes Wölk
chen am blauen Himmel, jeder Thau:
tropfen in der Sonne und jeder Vo
glsansg waren ahm Anregung und
« Verllärung. Als eines Pastors Sohn
war er ohnehin innerlicher und gebil-«
deter als feine Freunde und Kolleaen
auf dem Dorfe. Und was die Natur
nicht in ihn hineingelegt, das hatten
Bücher und Schriften in ihm geboren
und verschoben. Keine Unterschiede
gab es für ihn; er fah nur Menschen
"—— Menschen auch in dem Aermsien
und Elendesten
Und als er das erstemal aus der
Laube des Kommerzienraths fort-Je
ganan war, lachte ihm heimlich in
der Brust ein goldener Zukunft-J
traum.
Wenn Eggi hinaus zu ihm auf lden
Acker tam, dann rötheten sich feine
derben Züge, dann klopfte ihm Das
Herz, bis an den Hals hinauf
dann schämte er sich fast seines Vlr
heils- seines Ehrenlleides.
Gern ging er mit ihr — in seinen
Feierstundem so nach fünf Uhr am
Spätnachmittag, durch die Felder;
denn er sah ja, wie sie sein Leben in
teressirte, und fühlte fast.·. wie ihr
herz zu ihm flog.
Armer Mensch
Denn als wieder einmal verpliirt
wie er, die Sonne unterging, mit ie
nem bluthrothen Schän, der wie die
Hoffnung auf neue, schönere Tage so
lange iiber die Erde zitterte, da hielt
die Bruft das Sehnen nicht mehr fest.
Sie hatte ihn doch ermuihigt, hatte
ihn etmuntert und an esporni — und
an dem schmalen Wie enrand, zu dem
herüber die Glocken des heimgetriebe
nen Viebes klangen, sprach er das
heimlich, lang oerhaltene Wort:
»Ich hab’ dich lieb, Eggi. Hab’ du
Eritis doch auch...nur ein wenig
e .«
Er zitterte und aus seinem Antlitz
wich die Farbe.
Aber in Egai hob sich der-Triumph
Das war ja prächtig, prächtig! Hatte
sie ihn doch so weit!!
Aber dann überfiel sie plötzlich eine
Scheu. Sie hatie nicht mehr — wie
in der Stadt — den Muth, ihm mit
Lachen und Scherz ein Nein zu sa
aen. Sie wurde selber plötzlich ver
legen, und beinahe änsastlich wies sie
ihn an ihre Mutter. Dann eilte sie
fort. —
Am Himmel stand noch immer der
bkxitrotheSchein der Abendsonne, doch
jetzt war es nicht mehr wie Hoffnung
in ihm —— es war wie Blut, wie jung
vergossenes Blut.
II sit II
Zwei Tage später lam erregt der
Firänrmerzrenrath aus dem Dorf zu
ru .
»Am-alle —- toas ist das?«
Er zeigte seiner Gattin einen un
gelenlen Brief
Sie laö..·.
,,—— Nun, ja, —- der unverschömte
Mensch war bei mir, um Egai anzu
halten! Natürlich hab’ ich ihn fort
getvresen.«
»Und du«, herrschte er seine Toch
ter an, ,,hast du ihn dazu aufgefor
dert, ihn ermuntertZ Sog ehrlich —
ja oder nein!«
»Gott, Papa . . . .«
,.Sag’ ehrlich —- ja oder nein!«
doch nur aus Spaß! Jch
hab’ mit ihm geslirtet — aus Un
sinn —- tveiter nichts!«
,,Geflirtet aus Unsinnl —- lind
dein prerfsand man unten im Bach
—- — v ui.!«
... .Kommerzienraths reisten so
fort in die Stadt zura. Aber auch
dort blieb ihr Haus den Freunden
und Bekannten geschlossen. Es war,
als ginge ein trübes Gespenst umher
...die Reue!
die Himmelskanone
Es war im Mai 1609, als
der berühmte italienische Physiker
und Astronom Galileo Galilei, der
damals an der Universität Padua
Mathematik lehrte, aus Holland die
Beschreibung eines optischen Instru
mentes erhielt, mittels dessen man im
stande sei, entfernte Gegenstände unter
einem größeren Sehtvinlel als mit
freiem Auge, also gleichsam näher ge
riiclt und vergrößert zu erblicken. Jn
mechanischen Arbeiten wohl erfahren,
ging er sofort an die Konstrultion
eines solchen Instruments, von dem er
sagte, daß es bei der Beobachtung des
Sternhimmelg unschätzbare Dienste
leisten müsse. Der Erfolg übertraf
seine lühnsten Erwartungen Schon
im Jahre 1610 konnte er den zeitge
snössischen Astronomen von einer Reihe
bahnbrechender Entdeckungen am Him
melszelt Kunde geben, die ihm im
Laufe nur weniger Monate gelun
gen waren.
Galilei erblickte damals als erster
dir Gebirge der Mondoberfläche, an
denen er bald darauf auch Höhenmes
sungen vorzunehmen begann, erkannte
die sichelförmigen, wechselnden Phasen
von Mars und Venus, er sah. wie der
anscheinend gleichmäßige Schimmer
der Milchstraße sich in ein unzähliges
Heer kleiner und kleinster Sterne auf
löste. Am Abend des 7. Januar 1610
aber sah er zum ersten Male die vier
helleren Monde des Juviterg, jenes
Modell des ganzen Sonnens1)stein5,
das auch die Gegner der von dem
Frauenburger Domherrn Feopernitusz
mit mathematischer Schärfe nachgetvie
scnen heliozentrischen Lehre durch den
Augenschein zu dertirtenntnifz bekeh
ren mußte, das; die meisten Zentralbes
wegungen im Weltall keineswegs um
Edie Erde als Mittelpunkt stattfinden,
wie man es bis dahin angenommen
hatte. Die Astronomie, die von nun
an in engste Beziehung zur Mechanils
trat, hatte das Werkzeug erhalten, mit l
dem der an der Erdenscholle klebende
Mensch in die entlegensten Fernen des »
Weltalls drang, von denen das Lichtl
tausende von Jahren braucht, um bis
zu uns zu gelangen.
Auch an die Erfindung des Fern
rohrs, die vor nunmehr 800 Jahren
glückte, heftet sich der Treppenrvitz der
Weltgeschichte. Daß eine Entdeckung
und Erfindung von überragendem
Werte meistens unter sehr prosaischem
Umständen gelingt, will der an komd-s J
dienhaften Anetdoten hängenden
Menge nicht in den Kopf. Man be
gnügt sich nicht mit Verschänerungen,
dte den wahren Sachverhalt nur ge
ringfügig abändern, sondern erfindet
geradezu Pointen, die ihrer Wirkung
auf naive Gemüther stets sicher sind.
Aus diesem Grunde spukt auch noch
heute selbst in Schulbüchern das Mär
chen, daß es Kinder gewesen wären, die
beim Spielen mit Brillengläsern zu
fällig auf die richtige Zusammenstel
lung der Glaslinsen gerathen seien.
Das artigeGeschichtchen ist, wenngleich
seine Möglichkeit auch nicht positiv wi
derlegt werden kann, schon deswegen
sehr unwahrscheinlich, weil seit der Er
findung des Mikroskops im Jahre
1590 verschiedene hervorragende Op
tiler sich um die Konstruktion eines in
die Fernen des Mateotosmos dringen
den Instrumentes bemühten, das als
Gegenstück zu dem die Welt des Klei
nen und Kleinsten auslösenden Mikro
skops sozusagen zu den Dingen gehört,
die die nächste Zukunft ersinden mußte.
Richtig ist allerdings, daß über die
ersten Anfänge der Erfindung noch
heute nicht völlige Klarheit geschaffen
ist. Zwei Optiker, die im Anfange des
17. Jahrhunderts in Middelburg in
Holland lebten, der Erfinder des Mi
kroskops Zacharias Jansen und Hans
Lippersheh, der mit dem Mathemati
ker AdrianMetius in enger Verbin
dung stand, haben sich die Urheber
schaft der Erfindung streitig gemacht,1
und ihre Nachkommen haben diesen»
Kampf mit Leidenschaftlichkeit fortge
setzt. Die neuere Forschung hat sichs
aber für Lippersheh entschieden; denn’
er ist ohne Zweifel der, der das erste«
Fernrohr anfertigte. Die zur Lösung
der Aufgabe führenden Versuche schei
nen von ihm im Frühjahr oder Som
mer 1608 vorgenommen zu fein; denn
schon am 2. Oktober desselben Jahres
konnte er das fertige Jnftrument dem
damaligen Statthalter der General
staaten, Prinz Moritz von Nassau vor
legen, der ihm durch Dekret vom 15.
Dezember desselben Jahres eine Be
lohnung von 900 Gulden anwies.
Das holländische Fernrohr, das, wie
schon erwähnt, von Galilei sofort nach
tonftruirt und zu astronomischen Be
obachtungen benutzt wurde, gestattet
aus hier nicht näher zu erörternden
Gründen der mathematischen Optik
keine besonders starken Vergrößerun
gen. Es fand aber namentlich des
wegen eine überraschend schnelle Ver
breitung, weil es sich wegen seiner ge
ringen Länge bequem handhaben ließ.
Schon im April 1609 war es in Pa
ris im offenen Handel und bald lie
ferte Lippershen auch das Binokular
fernrohr, das das gleichzeitige Sehen
nsit beiden Augen ermöglichte und noch
heute in Gestalt der Operngucker mit
zwei: bis dreimaliger Vergrößerung
und der Feldstecher in Gebrauch ist,
bei denen sich die Vergrößerung nicht
höher als bis auf das zwanzig- bis
dreißigfache treiben läßt.
Die praktifcheBeobachtungsthätiqkeit
d·’r Astronomen verlangte nach lei
stungsfähigercn Fernrohren, die mit
bedeutender Lichtstärke auch ein großes
Vermögen der Raumdurchdringung
und Auflösung verbinden. Die Lö
sung dieser Aufgabe gelang dem be
rühmten Kepler, der, damals als
Nachfolger Tycho Brahes in Prag im
Dienste des gespenfterglüubigen kaiser
lichen Astrologen Rudolf ll. stehend,
in einem 1611 erschienenen Werke die
Konstruktion des sogenannten astrono
mischen Fernrohrs angab. Er selbst
hat allerdings sein derartiges Instru
snent erbaut, dessen erste Ausführung
10313 durch Christian Scheiner, jenen
gelehrten, lsisls in Neifze gestorbenen
Jesuiten erfolgte, der als erster am 21.
März 1611 einen Sonnenfleck gesehen
hatte.
i
Auch mit dem astronomischen Fern
rohr, das die Gegenstände bekanntlich
verkehrt, nämlich oben mit unten und
links mit rechts vertauscht zeigt, war
dem Bediirsnisz des Laien selbstver
ständlich nicht Genüge geleistet, der mit
einer Landschaft, die aus dem Kopr
steht, nichts anzufangen weiß. Erst
1645 gelang es dem Kapuzinermönch
Anton de Rheitm das sogenannte ter
restische Fernrohr zu ersinden, indem
er das Bild des astronomischen Fern
rohrsz durch Einfügung von zwei wei
teren Linsen nochmals umkehrte.
Während hieraus die bekannten Ta
schenaugzugss und Reisefernrohre ent
standen, begann man zuastronomi
schen Zwecken wahre Goliathinstru
suente zu bauen.
Hungens tonstruirte 35 Fuß lange
Fernrohre. die eine hundertfache Ver-;
größerung gestatteten. Campani triebi
mit einem 17 Fuß langen Instrument ;
die Vergrößerung bis auf150 undl
Auzout schuf sogar ein Objektivglas
von 200 Fuß Brennweite, mit dem
eine 600fache Vergrößerung zu erzie
len gewesen wäre, wenn er die auch
beute noch unlösbare Aufgabe hätte er
fiillen können, eine von Durchtnirlun
gen freie und leicht lenkbar-e Röhre von
entsprechender Länge zu bauen. »
Aus diesem Grunde griff Newtonf
die schon 1616 von Zucchius angeregte(
Jdee aus, Fernrohre unter Benutzung
von großen Hohlspiegeln zu bauen und »
i
das von ihnen entworfene Bild durch
eine stark wirkende Lupe zu betrachten.
Das erste von Newton 1671 lon
struirte Spiegelteleslop stellte dieVok
theile dieser Instrumente, die Rein
lieit und Schärfe der lichtstarlen Bil
der und ihre Freiheit von störendet
Farbenzerstreuung in so helles Licht,
daß man sehr bald auch Spiegeltele
frove von riesiger Größe baute. . Ein
von Lord Rosse lonstruirtes Instru
ment, das 55 Fuß lang war, einen
Durchmesser von 6 Fuß hatte und
samintSpieg-el über 20,0()0 Pfd. wog,
gestaltete es, die lineare Vergrößerung
bis auf 6000 zu treiben, sodaß Gegen
stände auf dem Monde so groß erschie
nen, als ob sie sich nur in einer Entfer
nung von 50 Meilen befänden. Man
mußte dafür aber ein sehr langsames
Arbeiten an den ungeschlachten Roh
ren und die Gefahr mit in den Kauf
nehmen, dasz der kostbare Spiegel in
einer einzigen Nacht bei eintretendem
schlechtemWetter verdarb und that dies
auch, weil man sich durch Newton zu
dem Glauben verführen ließ, daß ein
astronomisches Fernrohr (Refraktor),
das von Farbenzerstreuung frei ist«
nicht konstruirt werden könne. New
ton hat sich hier in einem verhängniß
vollen-Jrrthum befunden, der die«Ver
vollkommnung des Fernrohrs durch
mehr als 50 Jahre aufgehalten hat;
denn erst im Jahre 1757, nachdem Eu
ler in der Verwendung von Gläsern,
die das Licht verschieden stark brachen,
das Mittel gefunden hatte, die Farben
zerstreuung aufzuheben, entstand unter
den Händen Dollonds das erste achro
matische Fernrohr, das den Spiegel
telefkoven das Zügenglöcllein läutete.
Von diesem Zeitpuntt an schreitet
- die Vervollkommnung des Fernrohrs
imit Riesenschritten vorwärts, seltsa
merweise sind es aber nicht die gelehr
ten Astronomen, denen die Glastechnik
und rein optische Fragen ja auch ziem
lich fern liegen, oder die gelehrten
Professoren der Physik, die in Verbin
dung mit der Chemie der Glasfliisse
berufen wären, Praxis und Theorie in
nutzbare Verbindung zu bringen, son
dern Praktiker und Empirriker. Erst
die allerneueste Zeit hat durch Begrün
dung des Glastechnischen Laborato
riums in Jena durch Abbe und Zeiß
den Weg gezeigt, wie der theoretische
Gelehrte am sicherften an der Hand der
Praxis vorwärts schreitet. Durch volle
zwei Jahrhunderte aber bringt die Ge
schichte des Fernrohrs (wie diejenige
des Mikroskopes) zahlreiche Beweise
dafür, wie der wissensstolze Gelehrte
es zum Schaden der Sache verschmäht,
mit dem Praktiker Hand in Hand zu
arbeiten.
Während die praktischen Optiker
deshalb mit den nach den Vorschriften
der abstrakten Theorie berechneten
Linsen zahllose Mißerfolge erzielt ha
ben, entwickelte sich Josef von Fraun
.hofer in München aus seinen Anfän
- gen als Lehrling bei einem Spiegelma
; cher und Glasschleifer zu einem opti
sschen Genie, das die Pendelschleifma
»fchine erfindet, Fernrohrlinsen von na
» hezu mathematischer Genauigkeit her
Jstellt, fast fämmtlicheGrundlagen fiir
die vollkommensten Refraktoren der
Gegenwart schafft und auch auf rein
theoretischen Gebieten der Optik bahn
brechend wirkt.
Die Astronomie der Gegenwart, der
svon staatlicher Seite wie von Seiten
privater Mäzene reichliche Mittel zur
Verfügung gestellt werden, verfügt
selbstverständlich über noch viel lei
stungsfähigere Instrumente als die
Fraunhofer seinerzeit liefern konnte.
Nur ist das größte keineswegs immer
dac« beste. So war das Riesensern
rohr der letzten Pariser Weltaugsteb
lung, von dem Verlogenheit der Nella
me zu behaupten wagte, daß es den
Mond bis auf die Entfernung von 3
Fuß heranrücke, wenn man sich höflich
ausdrückt, ein schmählicher, aus die
Dummheit der Besucher berechneter
Jahrmarltsschtvindel Abgesehen,
das-, eEL sich hier um ein Spiegelteleslop
von sehr mangelhafter Beschaffenheit
handelte, leisten kleinere Fernrohre,
Instrumente von 10 bis 15 Fuß Län
ge und zehn bis zwölf Zoll Linsenöff
nung, wie sie schon um 82500-—84000
hergestellt loerdeu, hinsichtlich der De
finition, d. h. der Genauigkeit des Bil
des, mehr alg Riesenfernrohre, die eine
Viertel Million und mehr kosten.
Gleichwohl rechtsertigi sich der Bau
von Riesensernrohren aus anderen
Gründen· Nur bei ihnen ist nämlich
die Lichtstärke so groß, daß auch die
entferntesten Sterne und Nebelslecke
sichtbar werden. Es ergibt sich aber
dabei die dem Laien als Widerspruch
erscheinendeThatsache, daß ein Riesen
sernrohr, das die winzigen Marömom
de Deimos und Phobvs zeigt, die
wahrscheinlich nur einen Durchmesser
von f; Meilen haben, gegenüber den in
jedem besseren Zehnzöller sichtbaren
Marökanälen völlig versagt.
Dr. Curt Rudolf Kreuschner.