Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, July 10, 1908, Zweiter Theil, Image 9

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    Nebraska
Staats— Anzeiger und J set-old.
Jahrgang M. Grund Jstand,Rcbr»10.Zuli 1903 (3weitcr Theil.) Nummer 46
Woher des Wegs-?
Von Wilhelm Nani.
Woher des Weg’s? muß ich Dich fra
gen
Du schöner, bunter Falter Du!
«Soll ich mich freuen, soll ich klagen,
Daß nirgends ich sind’ Rast und
Ruh?«
Woher des Wegs? so laß mich hören,
Du silberhelle Quelle Du!
»Von serneher —- mußt mich nicht stö
ren —
Der Ferne wieder streb’ ich zu.«
Woher des Weg'si o! laß mich's wis
sen,
Du edle Menschenseele Du! i
»Aus der Unendlichkeit gerissen, 1
i
i
Eil’ der Unsterblichkeit ich zu.«
Gewissen.
Von Julius Keller.
»Du, Oslar! Sieh mal bloß —- da
fährt eine Automobildroschle vori«
Die wackere Frau Meisterin der Be
sohlanstalt in einer Miethtaserne weit «
draußen im Norden tippte ihrem
Mann aus die Schultern und zeigte
durch das Ladenfenster.
»Na wenn schon,« gab der Meister
zurück, ohne von der Arbeit aufzusc
hen· »Der Tschausöhr wird denken,
's is ’ne Destillje hier« Js ja ooch
man bloß der reene Zufall, daß finf
Häuser lang teene is. Muß weiter
fahren bis Hanemanns."
»Nee Du, da steigt eener aus.
Nanui Das is aber ’ne seine Num
mer. Was will’n der hier bei uns?«
Wenige Sekunden später schon wur
de die Ladenthiir geöffnet, und der
Fahrgast aus dem Automobil erschien
auf der Schwelle . . . Ein herr etwa
Anfang der sechziger Jahre mit einem
üppigem weißen Bart und starken,
weißen Brauen iiber den kleinen, leb
haft blintenden Augen. Eine vornehme
Erscheinung voll natürlicher Würde.
Nun wurde auch die Aufmertsamteit
des Meisters rege, und er blickte den
oornehm gelleideten Besucher halb neu
gierig und halb mißtrauisch an. Et
was zum Besohlen konnte der doch
nicht bringen!
Die Frau Meisterin aber war mit
eilsertiger Höflichkeit aufgesorungen
und fragte hastig nach des Fremden
Begehr.
»Entschuldigen Sie, lieve Frau
Meisterin," entgegnete jener freundlich,
»wenn ich Sie enttäusche. Jch bin tein
Lande« . . .
»heib’ ich mir selbst gedachi,« »
brummte der Meister, der andere aber i
sprach weiter: !
»Ich möchte nur um eine Auskunft »
bitten.« ;
»Aber gewiß, natürlich, mein Herr. I
Wenn ich dienen tann. Was wollen
Sie denn wissen?«
»Es soll hier — es soll hier eine ge
wisse Frau Rosa Kroner wohnen.
Stimmt das?«
»Frau Rosa Kroner? . . . Die alte
Rosa! . . . . herrjeit Nach die fragen
Stei«
Die Meisterin musterte den vorneh
men herrn vom Kopfe bis zu den
Füßen.
»Jawoll . . . die wohnt hier . . .
Und schon seit volle dreißig Jahre . . .
länger wie wir alle . . . Die alte Rosa
. . ach du lieber Jott.« . . .
»Was ist's denn mit ihr?«
»Na, ich meine man bloß . . . Das
is so ne jute, brave Seele . . . Wir
helfen ihr alle, so jut wir können, weil
se —- na, weil se so’n bißken — wie
soll ich sagen —- na hier oben —- so’n
bißken schußlig is.«
»Wo wohnt die Frau hieri« fragte
der Fremde weiter, ohne die auskläs
renden Bemerkungen der Austunftgei
bertn zu beachten.
»Woll’n Sie —- entschuldigen Sie,
gnädiger here —- woll’n Sie da rauf
jehn?«
»Allerdings, liebe Frau. Sagen Sie
mir nur, wo es tstl«
»Na ja — wenn Sie meinen. Drit
ter hof, Portal sechs, vier Treppen
link-, zweite Thür.«
»Dann Ihnen besten-X
Jetzt stand der vornehme Herr an
der bezeichneten Thür. Er schien zu
tauschen und zögerte lang, ehe et
klopfte. Alles blieb drinnen still . . .
Er tlopste zum zweitenmal . . . Tieser
Ernst lag auf seinen Zügen, und V
kleinen, beweglichen Augen sahen sast
mit einem Ausdruck von Angst nach
der Thür . . . Endlich legte, er die
hand auf die Klinke und versuchte es,
vorsichtig zu öffnen . . . Das Zimmer
war unverschlossen . . . So trat er ein.
Eine keine, tirmliche Stube, aber
durchsluthet vom hellen Morgenson
nenschein . .N.ur wenige alte morsche
PiöbeL . An dem schmalen Fenster
ein uralter Lehnstuhl und in dem
Lehnstuhl ein vorzeitig gealtertesMiit
terchen mit schneeweißem Haar . . . .
Krastlos in sich zusammengesunlen . .
Die dilrren Finger in dem Schoosz ge
saltet . . . Das welte runzlige Antlitz
überhuscht von Sonnenstrahlen . . . .
Mit geschlossenen Augen saß sie da,
als ob sie schtiesr.
Der Fremde blieb an der Thür ste
hen und bliclte zu ihr hin . . . Ein
leichtes Zittern durchlief seinen Kör
per . . . er fuhr sich mit der Hand iiber
die Augen. .dann aber gewann er
seine Ruhe wieder. Noch einen Augen
blick starrte er der Frau in das bleiche
Gesicht, dann räusperte er sich und trat
heftig aus. Sie schral nicht zusam
men bei dem Geräusch, sie rührte sich
auch nicht« aber sie öffnete die Augen.
Kein Zeichen der Verwunderung oder
Ueberraschung verrieth sich in ihren
leeren Blicken, als er vor sie hintrat.
«Guten Morgen, liebe Frau Kro
ner,« sagte er, und es war, als loste es
ihn große Ueberwindung, seinerStim
me ruhige Festigleit zu geben. »Er
schrecken Sie nicht . . . ich bin ein guter
Freund.«
Völlig theilnahmlos saß sie da. Hatte
sie seine Worte üebrhaupt gehört? s
Leise murmelten ihre blutlosenLipsI
pen: s
i
i
,,Ametila...ist weit weit.
sehr weit« . · .
»Es-treu Sie, liebe Frau Kronen ich
komme als guter Freund. Jch will
nach Ihnen sehen... wenn Sie ir
gend welche Wünsche haben«...
Sie achtete nicht auf seine Worte«
wie im Selbstgespräch slijsterte sie vor
sich hin: »Z« weit... zu weit ..... «
Nicht wiedertommen.«
Er guckte zusammen und trat be-«
trofsen zurück. Sie achtete nicht da
raus, was er that... Sie war ganz
mit si«ch allein, ganz mit einem einzi
gen Gedanken beschäftis
Endlich rafste er sich wieder zufam
men. Nun trat er ganz dicht zu ihr
heran und griss nach ihrer Hand»
Borsichtig —- langsarn — scheu. Sie
ließ alles willenlos geschehen...11nd
nun nahm er die schmalen, vertuschen
ten Finger und preßte sie an seine
Lippen.
»Verzeihe mir«, sagte er leise, »ver
zeihe mir.
Dann beugte er sich über und blickte
in ihre ausdruckslosen Angen
,.Rosa. .erlennst Du mich nichts
mehr?« fragte er eindringlich, und
sein heißer Athem drang in ihr Ge
ficht z
Nun erst schien sie ihn zu sehen, s
aber ohne jedes Zeichen der Ueber
rafchuna, der Verwunderung oder des
Schreckens. s
,,Guter Herr...raunte sie wieder
mit ihrer tonlosen Stimme, fast wie?
im Traum. ,,Guter Herr... so s
im Traum. ,,Guter Herr...tleinei
Gabe Amerika ist weit... so
toett.«
Er legte ihre Hand in ihren
Schooß zurück und richtete sich aus . ..
Dann trat er fort von ihrem Stuhl
nnd blieb in der Ecke des kleinen Zim
mers regungslos stehen... Er sah
nach ihr hin wie in verzweifelter Ge
wissensangst, erstarrt von dem Bilde
des Jammers, vor dem Anblick eines
vernichteten Menschenlebens
»Mein Gott! Mein Gott!« seufzte
er endlich auf... »Trieb das mich
so übermächtig her?«
Da ertönten draußen rasche Schrit
te. Dieser Mann hatte gelernt, sich
zu beherrschen Arg die Thür geöff
net ward, stand er in ruhiger Haltung
am Fenster.
Eine kleine, dralle Frau betrat die
Stube. Sie prallte erschrocken zurück,
als sie den Fremden sah.
,,Nanu!...Was soll denn das he
deuteni« fragte sie dann resolut.
»Wie kommt der Herr hier herein?«
»Die Thür war offen, liebe Frau,
und da aus mein Klopfen nicht ge
antwortet wurde« —
»Sie sind ein Herr Doktor, nicht
wahr?... Die Armendirettion hat
sie geschickt, nicht... Ja, ja, es geht
zu Ende mit unserer armen Rosa.«
»Nein, liebe Frau, ich hin tein
Doktor, und nicht die Armendirettion
hat mich geschickt. Ich bin —- ich bin
ein guter Freund des Mannes dieser
Frau?«
»Was —- lebt derSchuhbeiack noch?
Geht es ihm etwa gar gut da
drüben?«
»Ersreulichertoeise —- ja. Er lebt
und — es geht ihm gut. Das heißt
—- er hat Glück gehabt und ist ein
vermögender Mann geworden. Und
da mich geschäftliche Angelegenheiten
hierher führten, hat er mich heutig
tragt, nach seiner Frau zu sehen un ,
salls es nöthig ist, siir sie zu sor
en . . .
»Ah! Hat der Kerl —- Sie müssen
schon entschuldigen, mein herr —- hat
der Kerl vielleicht doch Gewissensbisse
wegen seiner Lumperei?.« Sein
Weib in Noth und Elend zurückzu
lassen, » einsach durchzubrennen.. ..
Wissen Sie, wie die Geschichte wart-«
,,So ziemlich... Er hat mirman
ches davon erzählt.«
»Na, alles gewiß nicht, alles wissen
wir ja selbst hier nicht mal. Richtig
ist jedenfalls, daß der Halnnie eines
Tages mit einer anderen auf und da
von gegangen ist. .. Kennen Sie die
andere vielleicht auch, was?«
»Ich habe sie gekannt... Sie ist
vor ein paar Monaten gestorben.«
»Das war wohl’n nettes Stück,
wies«
»Sie war eine schöne Frau ...und
sie hat ihn festgehalten. Sie hat es
durchgesetzt, daß er ein reicher Mann
wurde.«
»Er mußte arbeiten siir sie —- und
sie brachte ihm Glück... Sie verste
hen das nicht so, liebe Frau...der
Mann war wie verhert, er konnte
nicht los von ihr. Ach, er hat oft ge-«
nug- an diese —- an seine arme Frau
hier gedacht, aber — die andere nahm
ihm selbst seine Gedanken —- sie ließ
es nicht zu, daß er an die hier dachtet
....Er hat mir’s oft genug geklagt«
wenn er mal in die Stimmung kam
und wir beide mit einander allein
waren.... Aber sie ließ uns ja nie
allein.... Sie war immer gleich da,
und dann war’s vorbei mit seinen
Gedanken an die Heimath und —- an
alles andere... Aber —- tönnen Sie
sich das den-ten, liebe Frau —- als sie
starb, als sie plötzlich gestorben war,
da kam das Gewissen über meinen ar
men Freund und packte ihn ganz ge
waltig... Als er allein, als er von
dem Einfluß der anderen befreit war,
va«
»Das gönn’ ich dem A«erl... Or
dentlich muß es ihn schiitteln . . . Und
da hat er mit einmal daran gedacht,
daß hier eine was von ihm brauchen
tönnte?!.... Sehen Sie hin, was er
aus dem armen Weib gemacht hatt«
Er hatte den Blick nicht wieder au;
die Unglückliche gewendet. Nun sa
er hin... Sie hatte die Augen von
Neuem eschlossen und schien wiede s,
um zu chlasen. Nur flüchtig Meis
ten seine Augen das traurige Bild.
dann seufzte er bedauernd und stag
e:
»Seit wann ist sie so?«
»Ach, wohl schon ’nJahr lang· Und
vorher war’s ja auch nicht so aanz
richtig. Immer derselbe Gedanke
spurite ihr im Kopf herum: »Di) er
wohl wiedertommt?« —- Zuerst — so
erzählten sich die Leute — als die
Niederträchtigkeit geschehen war, da
hielt man sie für ganz blödsinnig,
aber sie erholte sich wieder.«
»Und wodurch — ernährte sie
sich-Ye
»Hm. Wer das so aenau wüßte!
Durch allerlei. Zuerst durch Nähenf
Flicken und so was. Dann soll sie»
auchStreichhölzer verkauft haben. Na.
und immer fanden sich mitleidigeLeu
te, bis endlich auch oieArtnendirettion
eingriff.«
»Und sie wohnte immer hier?«
»Jmmer!...DaH war ihr einziger
Eigensinn...Sie wollte das Grund
stück hier nicht verlassen. Hier, ais
blos erst das Vorderhaug stand, hat
te sie den Kerl ja geheirathet, hier
hatten sie vorn unterm Dach gewohnt
Aber wie’s auch lam, sie bat und bet
teite, sie hier irgendwo wohnen in
lassen, und immer wieder sagte sie:
»Er muß mich doch finden. wenn er
zurücktommt Aber natürlich! Der
hütete sich, zurückzukommen!«
Sie musterte denFremdeir mit nich:
sehr freundlichen Blicken.
»Na und Sie, Herr — Sie brin
gen nun Nachrichten von ih1n?«
Matt-richten nicht — sondern —-—
sondern Geld, damit der Lebensabend
der Unglücklichen sich freundlicher ge
stalten tann· Wollen Sie« —- —
»Mich lassen Sie mit der Sache
ungeschoren!«.. Ich thue, was ich
kann, aus Mitleid. Gehen Sie zu
unserem Hauswirth, der steht auch
mit der Armenlommisison in Ver
bindung. Da können Sie alles be—
stellen, was Ihr sauberer Freund
aus dem Herzen hatt«
Der Fremde lnöpfte hastig seinen
Ueberzieher zu, und es war, als ob
seine Hände dabei ein nervöses Zit
tern durchlief.
»Gut... Ich danle Ihnen, liebe
Frau. Jrh werde das sofort besorgen.
Sie können mir glauben, es hat mich
Zie; erschüttert, was ich hier gesehen
a e.« . . . .
»Na —- erzählen Sie’s nur hübsch
ausführlich Ihrem Freund, wennSie
wieder riiberlommen.... Bis dahin
wird das Elend ja wohl vorbei sein,
und wenn die arme Rosa Kroner« —
Noch während sie sprach, schritt der
Fremde an ihr vorüber aus dem
Zimmer hinaus, und sie hörte seine
hastigen Tritte aus der Trepve....
Ohne noch einen Blick auf das un
glückliche Weib geworfen zu haben,
war er gegangen. Unsd die Zurück
bleibende hörte, daß seine Schritte
immer eiliger wurden... fast wie die
eines Fliehendern
si- «
Zwei Tage darauf verzeichnete der
Polizeibericht den Selbstmord eines
Mr. Crvwner aus Chicago. der sich
in einem der ersten Berliner Hotels
Nachts eine Kugel in die Schläfe ge
jagt hatte .....
Rheinweine.
Der Rheinwein ist der König der
deutschen Weine. Jm Rheingau
steht seine Wiege und erheben sich
seine Burgen. Jm Rheingau, je
nein gesegneten Himmelsstrich am
rechten Rheinufer von Bibrich bis
nach Lorch. Tertiiirer Thonschiefer ist
sein Lieblingsboden, wenn auch Mer
gel, Kalt, Keuper, Melasse und die
Diluvialgeschiebe der Lößformation
schöne Erzeugnisse hervorbringen. Die
Wurzeln saugen die Kraft dieser war
men, lustigen Erde und die Blätter
athmen in langenZiigen den lauseuchten
Odem ein, mit dem Sonne und Wel
len das enge Rheinthal erfüllen. Nur
mit der Gironde, welche den rothen
Rivalen, den Bordeaux, zeitigt, ver
gleichbar, ist die Lage des Rheingau,
von Ost nach West hinlaufend und nur
im Süden offen, wie geschaffen, ein
erlesenes Produit zu reifen.
« Zu diesen natürlichen Vorzügen ge
sellt sich der Fleiß und Ehrgeiz der Be
i wohner dieses Stückchens Eden Alte
Erfahrungen und modernste Technik
; vereinigen sich hier zur tundigsten Kul
»tur und Pflege und kein Wunder,
Jwenn unter dem Schutze aller dieser
s Genien des Rheingaus herrlicher Sohn
I ersicht.
; Fast allgemein ist der edle Riesling
lder betiebteste Rebsaft, den man gera
? de im Rheingau zu Varietäten geziich
stet hat. Um den König gruppiren
z sich die Höflinge: der Sylvaner, Tra
lminer, Weißelben, Klevner (Burgun
» der) und Ruliinder zu einem würdigen
, Hofstaat.
s Die Farbe des Rheinweins ist gold
gelb, wie sliissiges Sonnenlicht, sein
Geschmack trocken und von pitanter
Säure, die anfänglich reizt und ab
stößt zugleich, bis der Vollsie zu sei
! nen Gunsten entschieden ist« Her zun
Jgenlabme Südländer, zungenlahni na
türlich nur der Nerv, nicht der Mus
tel, liebt ihn wenig, die Siißlinge sei
ner Zone haben ihm den Geschmack ver
dorben. Ueber dieser pitanienHerbe des
Durchschnittgweines schwebt aber, wie
eineErinnerung an seineResedenbliithe
zeit, ein so liebliches Aroma, daß er
das beste und idealste Tafelgetränt bil
det. Jn den Hochgewächsen vereinigen
sich seineBestandtheile (Exirattivstvfse)
zu solch harmonischer Vollendung, daß
sie ganz in einander aufnehen und
undefinierbar werden. Das Bouquet
des Rheintveines ist unvergleichlich
und einzig unter allen Edelgeioächsen
der Welt. Man muß ihn lange stu
dirt und gekostet haben, um ihn ganz
zu würdigen.
Die Haltbarkeit des- Rheiniveines ist
beinahe unbegrenzt. Nach einer schul
gernäßen Pflege und Behandlung in
den jungen Jahren im Fasse, hält er
sich in den Flaschen Jahrhunderte lang
ohne krant oder trübe zu werden.
Die Weine deg Rheingau sind im
Allgemeinen schwer, sie bringen aber
nur ,,einen guten Rausch«, wie uns
Dr. Wilhelm Hamm in seinem be
rühmten Weinbuch belehrt, an das
wir uns hier vielfach anlehnten, ohne
den gefürchteten Jammer, natürlich
vorausgesetzt, daß seine Reinheit über
allen Zweifel erhaben ist. Für die
Alten ist er der beste Kraft- und Labe
wein, wenn er selber befahrt ist. Denn
in alte Schläuche soll man keine jun
gen Weine gießen, eine Weisheit, die
von unseren Altvorderen uns überlie
fert worden. ;
Die sRan ordnung der Weine des»
thingau iFt folgende:
1. Hochgewächse: Johannisberg,
Steinberg, Rauenthal, Gräfenberg,
Rüdesheim Marcobrunn, Aßmanns
hausen (roth).
2. Geisenheiin, Hattenheim Dorf
Johannisberg, Winkel (Hasensprung)
und Vollrathsberg
Z. Erbach, Eltville, Eibingen, Kie
dr.ich, Mittelheim, Oestrich,Schierstein,
Wollus, Hallgartem Lorch (roth).
Der Schloß Johannisberger ist der
König der Könige. Schloß Johannis
berg, unschön vom architektonischen
Standpunkt, besitzt eine herrliche Lage.
Eine Viertelstunde vom Rhein ent
fernt erhebt sich der etwa 150 Fuß Hü
gel mit weitem Plateau, in das das
Schloß hineingebaut ist. Der Blick von
der Terrasse,-welche der Schloßfassade
vorliegt, hinunter nach Geiseuheim
und die gesegneten Striche des Gaues,
den der grüne Strom in mafestätischer
Ruhe durchfließt, bleibt jedem unver
geßlich. Man würde nicht mit dem
Olymp und der Götter Nektar tau
schen, wenn man dicht bei der Rampe
der weiten Piazza den Römer vor sich
und diefe weite, schöne Welt unter sich, ;
allein oder im Freundeskreise langest
Posto gefaßt hat.
Der glückliche, von so vielen schon
beneidete Besitzer dieses Juwels, ift die
Familie Metternich in Wien. Schloß
- ohannisberg wurde dein Fürsten
Metternich im Jahre 1816 für seine
Verdienste um dynastische Interessen
zum Geschenke gemacht.
Der Johannisberg gehörte seit 1106
sden Benedikiinern. Das Schloß, wie
es sich heute pröfentirt, baute Fürst
Adalbert von Walderndorf im Jahre
1717. Seiner Rangstellung entspre
schen die technischen Mittel, die Pflege
fund Kultur, welche man auf Johan
lnisberg dem illustren Sohne angedei
hen läßt. Keller und Kellerhaus sind
musterhaft eingerichtet und geführt.
Der Johannisberg kann als die hohe
Schule des Weinbaus und der Wein
pflege gelten.
. Das alleredelfte Gewächs, der
» Schloß - Johannisberger Kabinets
Iwein, hat die Familie Metternich in
begreiflicher Anwendung des ,,Charity
begins at home« ftets fiir sich, fiir die
Freunde und die befreundeten Höfe re
servit, ist auch laut Schenkungsur
tunde vorn Jahre 1816 verpflichtet,den
Zehnten an den KaiserL Hof in Wien
abzutreten.
Die Preise namentlich fiir Produkte
vorzüglicher Jahrgange aus Todten
beeren niit edelfaulen Trauben errei
chen oft eine phantastischeHöhe, die wir
Anderen uns nicht leisten können. Der
vortreffliche Jahrgang 1898 z. B
brachte es bis auf 820 die Flasche.
Die Schloß-Johannisberger Kabi
netsweine erklimmen den Höhepunkt
der charakteristischen Eigenschaften der
Rheinweine. Wie Wilhelm Hamm in
feinem schon erwähntenWeinbuch sagt,
zeichnen sie sich durch höchst angeneh
men, lieblichen Geruch und Geschmack,
sowie durch gewürzhafte Süße, Konsi
stenz und Stärke in unnachahmlichein
Einklang derartig aus, daß sie nur
durch die Prüfung der Zunge selbst
hinreichend gewürdigt werden können.
Das Areal, auf dem derEdle wächst,
ist imBerhöltniß zu feinem Renommee
ein kleines fetwa 65 Morgen; ein nas
sauischer Morgen ist etwas mehr als
ein halber Acre). Und es ift bei Leibe.
nicht alles Johannisberger, was unters
dieser stolzen Flagge segelt, was wohli
auch dein Naivsten ohne Weiteres ein
leuchtet.
Aber auch das Dorf Johannisberg
mit seiner weiten Umgebung und dem
Bergvorsprung, die kleine Klause, lie
fert noch einen sehr respeltablen Jo
hannisberger, dessen wir uns freuen
wollen, wann und wo immer auf dem
Erdenrund er uns echt tredenzt wird.
So tlassificirt sich der Johannisber
ger in Kabinet, Schloß, Klause und
Dorf, alle ausgezeichnet durch die cha
rakteristischen Merkmale der edeln
Rheinweine, die nur in verschiedener
Prononcirung, mehr oder weniger in
tensiv, den Geschmack und Geruchsnerv
in so angenehmer Weise treffen.
Gleich neben den Johannisberger
verdient der Steinberger gereth zu
werden. An Kraft und Feuer ist er
ihm in sehr guten Jahrgangen sogar
überlegen, wenn auch seine-Blume nicht
die Vollendung des Johannisberger
erreicht. Der Steinberg war früher
»Großherzoglich Nassauische Domäne
; mit einem etwa 80 Morgen großen
Areal. Er liegt zwischen Haitenheim
und Hallgartem eine Stunde vom
Rhein entfernt, und besteht in telluri
scher Hinsicht aus verwittertem Schie
fer, welcher für den Riesling Rebsatz
einen besonders günstigen Nährboden
bildet. Der ,,goldene Becher«, der
,,Rosengarten« und das »Zehntstiick«
sind die Lagen, die den besten Stein
berger hervorbringen. Auch seine
Preise erreichen in auserlesenen Jahr
gängen eine Höhe, daß gewöhnliche
Sterbliche, auch wenn sie noch so sehr
für ihn schwärmen, nicht mitthun tön
nen.
Es war 1868er Steinberger, wel
cher die Versöhnung Kaiser Wilhelms
mit dem Fürsten Bismarck hätte be
wirken sollen. Aber sei es, daß die
Flasche zu klein oder der Zorn des ei
sernen Kanzlers zu groß war, Thatsa
gie ist, daß derZweck nicht erreicht wur
e.
Der Rauenthalerberg folgt diesen
beiden als der Dritte im Bunde.
Rauenthal liegt in einer Bergmulde,
an der Straße von Walluf nach
Schwalbach, mehrere Stunden vom
Rhein entfernt. Seine Güte verdankt
er der außerordentlich giisnstigen Lage
dieser Höhensentung, we che die Wär
me bei genügender Feuchtigleit festhält
und so ein Edelgewächs, den »Fürsten
wein«, zeitigt, der seinen Namen dem
Umstand verdankt, daß er auf dem
deutschen Fürstentongreß in Frankfurt
am Main im Jahre 1863 von der
Stadt den erlauchten Gästen als Ta
felwein vorgesetzt wurde.
Der Marcobrunner wächst dicht am
Rhein zwischen Erbach und Hatten
heim und hat sich durch sein Bouquet
und seine Stärke, die sich besonders im
Alter entwickelt, den vierten Platz in
der Reihe der Hochgewächse erworben
Es mußte s. Z. der Nassauischen
Staatsbahn ein gutes Stück dieses
werthvollen Gebäudes geopfert werden
und konnten sich die alten Rheingauer
lange nicht versöhnen mit diesem Ein
griff des prosaischen Verlehrswesens
in die Schönheit und den Nutzen dieser
fiir den Weinbau nun brach gelegten
Landstrecken.
Einem Brunnen aus der Grenze der
Feldmarlen Hattenheim und Grbach,
und Erbachs Eigenthum, schuldet der
Marcobrunner seinen Namen. Als im
Jahre 1863 den Brunnen renovirt
wurde, ließ die Gemeinde Erbach die
Inschrift daran anbringen: Marco
brunn-Gemeinde Erbach
Da aber der größere Theil des be
rühmten Weinbezirkes in die Gemein
de Hattenheim fällt, glaubte sich diese
in ihremRecht undVortheil beeinträch
tigt nnd rächte sich durch folgende an
der Jnschrifi: »So ist es recht und so
soll es sein, für Erbach das Wasser,
für Hattenheim den Wein.«
Der Gräfenberger, der an nächster
Stelle steht unter den Edelsorten des
Rheine-s, ist den kleineren Johannis
bergerweinen sehr ähnlich. Er gedeiht
beiKiedrich auf dem verwittertenThon
schiefer eines sattelsörmigen Vorhä
gels. Sein Produktionsgebiet umfaßt
nur wenige Morgen.
Das Niederwalddenkmal hat Ril
desheim wohl zum bekanntesten Wein
stapelplatz des Rheingau gemacht. Sei
ne Erzeugnisse ersten Ranges wachsen
in den Lagen: Berg, Hinterhaus,Rott
land undBischofsberg aufThonschieser
mit Quarz. Die Rüdesheimer sind
kräftige, bouquetreiche Weine, von al
tersher berühmt und stets sorgsam kul
tivirt und veredelt.
Am südlichen Fuße des Niederwal
des und wie Rüdesheim dicht am
Rhein liegt Aßmannshausen, neben
dem Lorcher der einzige rothe Rhein
wein und im Kreise der Kenner au
ßerordentlich geschätzt. Der sogenann
te Höllcnberg bringt ihn aus blauen
Burgundertrauben hervor. Ein cha
rakteristischer Mandelgeschmack und ei
ne oft iiberraschende Aehnlichkeit mir
dem Chambertin-Burgunder bei viel
geistigem Gehalt zeichnen ihn aus.
Der Aßmannshäuser ist der beste deut
sche Rothwein und inAmerila sehr be
liebt, wohin alljährlich große Quanti
täten verschifft werden. —
US war in oer alten zerone in sus
mannshausen, welche jetzt Privathaus
ist, wo der Dichter Ferdinand Freili
grath im Jahre 1844 fein politisches
Glaubensbekenntniß verfaßte und
druckfertig machte. Es war in der
Krone gedichtet und gegen die Krone
gerichtet. Seine Büste in weißem
Marmor sieht auf dem Dache des ein
ftöckigen Hauses unter einem niedern
Giebel, welcher in das Schieferdach
hinein-gebaut ist und gibt den pietätlo
sen Studenten auf den vorüberfahren
den Rheindampfern Anlaß zu dem de
kannten Canius:
Auf dem Dache sitzt ein Greis
Der sich nicht zu helfen weiß.
Außer Freiligrath sangen und tran
ken in der alten Krone noch viele deut
sche Poeten: Mathias Clauditte-, Ema
nuel Geibel, Ernst Scherenberg, Josef
Lauffs und viele Andre. Von Emil
Rittershaus stammt der Vers:
Ein triftig Leben ist am Rhein.
Ach sing«s in hellem Tone
EEI ist der Aszmanushciuser Wein
Rubin in Rheinlands slroncn
Es liegt eine Fülle von Poesie und
Aesthetik im Genuß des echten rheini
schen Gewächses. Die Wurzeln der
Rede greifen tief in den Grund und
sammeln dort die Wärme nnd die mi
neralifchenBestandtheile, deren dieBee
re oben bedarf, die grünen Blätter, die
Lungen des Weinstockes, auf deren Er
haltung der Winzer alle Sorgfalt ver
wendet, trinken dieSonnenstrahlen ein,
welche dem Weine Kraft, Geist und die
goldgelbe Farbe verleihen. Wenn im
Juni, zur Hollunderzeit, die Rede
blüht, so tündet der zarte Residen
duft, welcher den Weinberg erfüllt. die .
»Blume«, das Bouquet, der Zukunft
an. Die größten deutschen Lhtiler,
vom Altmeifter Goethe (Drum Brü
derchen Erz-en lpjisnnnlsy bis zu Frie
drich Bodenftedt, dem lied- und liebe
frohen, haben den Rheinwein im Liede
gefeiert. Nur Heinrich Heine hatte
keine Saite für ihn auf feiner Leier.
Ein goldener Wein in fein geschlif
fenem Glase, umschwebt von den Ge
nien des sonnigen Aethers über die
Zunge gleiten zu lassen, langsam und
verständnißinnig, wem leuchtet nicht
das Auge bei dem Gedanken! Aber na
türlich! Alles Ueber ist vom Uebel. und
zum Ueberdruß führt der Uebergenuß,
wie uns die trockne Weisheit des Brah
manen lehrt, die Friedrich Rückert un
überliefert hat.
Karl Stigler.