Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, July 10, 1908, Zweiter Theil, Image 10

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    Das Hundertfrankenstück ’
poss- III H. Orts.
(19. Fortsetzung)
«Ja —- alleedingi——« fagte er. »Ich
sitz nur der Meinung einein-. daß
- aulein Hunold einen fpäteren Zug
øsen würde. — Hat sie—hatsie
nach eine besondere Bestellung fiir
saKrnterlassenW
« r hak sie jedenfalls nichts für
den herrn Konfnl oder fiir sonst je
wand auf etragen. Aber wenn ich
nicht irre, ist sie kurz vor der Abreise
noch einmal in das Arbeitgzimmer
iinaufgegangem Vielleicht, daß sie
da einen Brief binterlegt bat. Es
schien mir, als hätte fie etwas Weißes
in der hand«
»Es ift gut, Frau Lorenz.« faate
der Konsul mechanisch. »Uebrigene
können Sie Lan zu mir hinauf
fchickeeu Ich —- ich habe dem Mäd
chen einen Auftrag zu ertheilen.«
»Sie macht eben ein paar Bespr
gungem und früher als in einer hal
ben Stunde kann sie kaum zuriiek
fein. Aber faroie sie kommt, schicke
ist fie natiirlieb hinauf-«
Sie W sich in ihre Küchenregionen
zurück, trak der kleinen Enttäufchuw
Fen, die ihr Brünings Selbstbebew
chung bereitet, nunmehr unerichiih
terlich überzeugt von der Richtigkeit
ihrer Vermutbung. daß es sich bei der
Aberftiirzten Abreise der Berbafzten
Im nicht anderes als um eine wirt
liebe Flucht gehandelt dabe.
Der Konful aber stieg schweren
Schrittes in sein Arbeits-immer hän
auf «- keiner anderen Empfindung
fähig. ali der dumpfen, lälnnenden
Gewißheit daß erst fest feine letzte
tbörichte Oeffnung kläglich in Trüm
mer zerschekit worden fei.
Mit dem ersien Blick. den er von
der Schwelle aus durch das Zimmer
irren ließ. gewahrte er den mitten
auf der Platte des Schreibtifches Zie
genden Brief. Aber er zögerte. nach
ean zu greifen, und dann hielt er
ihn wobl zwei oder drei Minuten
lang in der hand, ebeer sich zu dem
Entschluß aufraffen konnte, ibn zu
erwerben
Nun aber lag der zerrissene um:
schlag am Boden und die mit den
zierlichen Schriftziigen ihrer Hand
dedeckten Blätter waren vor ihm auf
der Tischdlatte ausgebreitet. Als
diirfe tein neugieriges Menschenauge
Zeuge sein des grausamen Schmerzes.
den diese bitterste Stunde seines Le
bens fiir ihn in Bereitschaft hatte,
ging Brüning zur Thür, um den Rie
gel dorzuschieben.
Dann erst begann er zu lesen:
»Mein theurer Freund! Noch ein
mal wage ich es, Dir diesen Namen
zu geben, obwohl ich ja weiß, daß ich
längst die Berechtigung dazu ver
wirtt habe. Denn ich war nicht das
liebenswerthe Geschöpf, das Deine
Zuneigung in mir gesehen. und Du
haft eine Unwürdige, eine feige, er
ltiirmliche Lügnerin in Deinem Her
ten gehegt
Jn diesem Augenblick, roo ich von
der tödtlichen Angst gepeitfcht werde,
daß Du zurückkehren könntest, ehe
ich Dein haus für immer verlassen
— in dieser Stunde der hoffnungs:
losen Verzweiflung und der tiefsten
Lebensüberdrusses kann ich Dir die
Geschichte meines Lebens und mei
ner Verirrung nicht mit der Aus
führlichteit erzählen. die mir viel
leicht eine mildere Beurtheilung
meiner Schuld gesichert hätte. Jch
muß mich vielmehr auf die nackten
Thatfachen beschränken, die zu er
fahren Du ein Recht hast, und deren
Kenntniß Dich für immer von mir
scheidet
Was ich Dir über meine hertunft
und iiber meine erste Jugend erzählt
habe, war die Wahrheit, denn da
b es nichts, das ich hätte ver
chkoeigen müssen. Aber daß ich Dir
meine Londoner Schicksale verbehlte,
das war oon dem Augenblick an, wo
Du mir Deine Dand anbotest. gleich
bedeutend mit dem schändlichen Be
Ma
Illt Mädchen hatte ich mich auf
das den Dir ausgeschriebene Erzie
herinnengesuch gemeldet, und ich
hatte es mit gutem Gewissen thun
dürfen, denn daß ich vor dem Geseß
eine Frau, eine Wittwe war, küm
merte damals am Ende niemand
ais mich selbst. Jch hatte meinen
Mdchennsnen wieder angenommen,
« weil ich ja das Bewustsein hatte, ihn
sich tragen zu Nier denn der
Man-, der fiir eine kurze Zeit so ver
ÆL in mein Leben eingegris
, Du in Oahrheit niemals mein
«Iaäe ges-orden. Doch Du kannst ja
« das M nicht versieht-m wenn ich Dir
sitt-I Was der Genauig- ke
«sch mich Nähe-. ej so
Oe
. . Dis
. Ist-M time
» M Its-te Ue sich ne
» - - . M Fichte an
-—HIM« besaß sei unserer
MID ein Uti
.
Iman uns gesagt hatte. daß solche
Lebrträfte drüben viel besser bezahlt
würden. hatten wir uns ja entschlos
sen, Deutschland zu verlassen. Die
Verwaltung ihres aus einer Erbschaft
Eberriihrenden Besißthums aber hatte
sdie Tante einem deutschen Verwand
kten anvertraut. dessen Rechtschaffens
heit ihr so lange außer allem Zweifel
war bis uns eines Tages die vernich
tende Kunde ereilte daß er sein Leben
ldurch einen Pistolenfchuß geendet,
nachdem er neben anderen seiner Ob
Lhut übergebenen Geldern auch das
’kleine Vermögen feiner Verwandten
ibid auf den legten Pfennig in Speku
lationen verloren. Es war eine Aa
jtaftrophe, die uns alleinstehende und
sschuhlose Frrauen dem kläglichsten
TUntergange nahe brachte, denn aus
dem betrügerischen Gebaren jenes
’Menschen waren meiner Tante oben
drein Verpflichtungen erwachsen, die
nothwendig erfüllt werden mußten.
Es standen dafür keine anderen Mit
tel zur Verfügung als eine kleine Ven
sion, deren Opferung uns buchftäblich
dem Verhungern preisgaln Jn dieser
schrecklichen Wage konnte ich natürlich
keinen dringenderen Wunsch hegen als
den, durch meine Thötigkeit zu Ab
wendung des drohenden Verhängnis
ses beizutragen. Aber meine Ausbil
dung war noch nicht vollendet und an
die Erlangung gutdezahlter Unter
richtsstunden war dorderhand nicht zu
denken. An deutschen Gouvernanten
aber ist in England so großer Ueber
fluß, daß ich die Versuche, eine solche
Stellung zu erhalten, sehr bald alt
aussichtslos aufgeben mußte. Da war
es mein Gesangmeister selbst, der mir
eines Tages den Vorschlag machte,
als Sängerin ernsthafter deutscher
Lieder auf einer Varietebiihne auf
zutreten. Die Direktion eines sol
chen Etablifsernents hatte sich eben
mit dem Ersuchen an ihn gewendet,
eine junge Dame mit ausreichenden
Stimmmitteln fiir diese Programm
nummer ausfindig zu machen. Das
Donorar sollte allerdings ein ziem
lich bescheidenes sein, da solche Sän
gerinnen bei weitem nicht so glän-»
zend bezahlt werden, wie die übri-’
gen Sterne der Brettelwelt. Wohl
hatte ich den Vorschlag zuerst mit
Entriistung zurückgewiesen, aber in- "
nerhalb der nächsten vierundzwanzig
Stunden war ich anderen Sinnes
geworden, denn zu allem sonstigen Un
glück hatte sich inzwischen auch noch
eine ernste Erkrankung meiner Tante
gesellt, und fest wiire mir jede Be
denklichkeit, die nur die Sorge um
meinen Ruf und um meine Zukunft
zur Ursache gehabt hätte, geradezu als
ein Verbrechen erschienen. Jch stellte
mich dem Direktor oor und wurde un
ter Bedingungen engagirt, die für den
Augenblick geradezu eine Errettung
siir uns bedeuteten. Auch hatte ich
keine Veranlassung meinen Entschluß
zu bereuen. Von keiiier Seite wider
fuhr mir eine Kränkung, die mich
heute mit Beschämung an jene Zeit
zurückdenken ließe. Daß ich mich frei
lich in einer Thätigkeit, die meiner
Natur so wenig entsprach, grenzenlo
unglücklich fühlte, brauche ich Dir
wohl kaum zu versichern Ich sehnte
mich inbrünstig nach Befreiung und
fnach einer Rückkehr in Verhältnisse
zdie mir jede Berührung mit der mir
im innersten Herzen unsympathischen
Theaterwelt erspart hätten Wahr
scheinlich war es einzig diese Stim
mHing, die mich empfänglich machte siir
fdie Bewerbungen des Manne-, dessen
Namen zu tragen ich jeht bis an das
Ende meiner Tage verurtheilt sein
soll. Er hieß hugh Sehmour und ich
hatte ihn unter Umständen kennen
gelernt, die keinen Zweifel an seiner
Ehrenhaftigkeit und seiner geachte
ten gesellschaftlichen Stellung in mir
aufkommen lassen konnten. Die Art,
wie er sich mir zu nähern versuchte,
war so zartsiihlend und ritterlich, daß
ei mir, einein blutjungen, unerfahre
nen Geschöpf, wohl kaum ais ein Ber
brechen anzurechnen war, wenn ich
mich tiiuschen ließ und Vertrauen zu
ihm faßte. Ich sagte ihm daß ei
nicht Liebe sei, was ich siir ihn em
pfände, aber seine einschmeichelnde
Beredsamkeit wußte meine zaghasten
Bedenken zum Schweigen zu bringen
zumal er in meiner Tante eine eisrtge
Fürsprecherin gesunden hatte. Jch
kann mich heute Dir gegenüber weder
aus ihr Zeugnis berufen, noch aus das
seinige, und i habe mir ja vorgenom
men, mich au den Bericht der That
sacheii zu beschränken. Darum will
ich iiber das, was während meiner
kurzen stautschast in meinem Innern
vorging hier nicht weiter sprechen.«
«0euug. daß ich mein einmal ge
gebenes Wort nicht zuMnahins
fuhr Lonsul Brüniiig im Lesen von
War arethes Brief fort, »und daß
ich cecil Semnoiir in aller
Form echteni als sein cheweib an
getraiit wurde. Kaum eine Stunde
M IIIW EheschlW stilchs «
tete ich Zu ineiiier Taste zartiekJeim
in der Gewißheit meines seßhet
hatte er die Undorsichtigteit began
gen. zu frühe feine Karten aufzudecken
und die Jlluftonen zu zerstören, denen
ich mich über seine Person und seinen
Charakter hingegeben hatte. Er war
ein Abenteurer und kr hatte mich ge
heirathet, weil er in mir ein brauchba
res und willsähriges Werkzeug bei der
Ausführung seiner schwindeldaften
Pläne zu gewinnen hoffte. Voll na
menlosen Entsehens wandte ich ihm
den Rücken, feft entschlossen, ihn nie
wiederzusehen. Es wurde mir nicht
schwer gemacht, diesen Entschluß
durchzuführen, denn noch an dem
nämlichen Abend wurde er wegen per-·
übter Fälschungen berhaftet. Laß mich
hinweggehen iiber die fürchterliche
Zeit. die nun fiir mich folgte. Man
hatte mich in dem Verdacht, feine
Mitfchuldige gewesen zu sein, und
wenig fehlte, daß man auch mich
ins Gefängniß geworfen hätte. Dies
Aeußere blieb mir nspun freilich er
spart, aber es waren der Demüthi
gungen auch ohne das mehr, als ich
ertragen zu tönnen meinte. Ich
hatte durch einen Anwalt die Schei
dungstlage gegen meinen Mann
einreichen lassen. Jhre Verhand
lung wurde bis zur Entscheidung
seines Strasprozefsej hinausgescho
ben. Dieser Prozeß endete mit sei
ner Verurtheilung zu siinfjährigem
Gefängnis-. Vier Monate später soli
te der Termin stattfinden, bon dem ickk
meine Befreiung erhofste, aber er
wurde niemals abgehalten. Denn
vierzehn Tage vorher erhielt ich von
der Verwaltung des Gefängnisses die
Mittheilung .daß mein Gatte gestor
ben sei. Nun hielt mich nichts med
in England zurück. Ich fuhr mit nie
ner Tante nach Deutschland und ber
fuchte oon Berlin aus« wo wir uns in
einem billigen Pensionat eingemiei
thet hatten, irgend eine Anstellung als
Lehrerin oder Erzieherin zu erhalten
Das weitere brauche ich Dir nicht zu«
erzählen. Du gabst meiner Bewer
bung den Vorzug, weil Dir, wie Du
mir sagtest, mein Brief gefallen hatte.
und Dein haus wurde mir zu einer
heimath, wie ich sie mir fiir meine
fchiffbriichige Existenz taum mehr
hatte erträumen dürfen. Wohl hatte
ich mich mit einer Liige bei Dir ein
geführt, aber diese Lüge schien mii
verzeihlich bis zu der Stunde, wo ich
mir meiner Liebe zu Dir bewußt wur
de und wo Du selbst mir Deine Zu
neigung zu ertennen gabst. Da erst
begann meine Schuld, die Du mir
nicht vergeben tannst. wie ich selbst sie
mir niemals vergeben werbe. Gott
weiß ei, wie oft und wie schwer ich
mit dem Entschlusse getiimoft habe,
Dir alles zu offenbaren. wie oft iih
mir heilig gelobt habe, daß der tm
mende Tag der legte Tag der Liige
sein sollte. Aber iin entscheidenden
Augenblick entsank mir dann doch im
mer wieder der Muth. Jch fürchtet:
Dich zu verlieren, und diese Furcht
lähnite meine Kraft. Denn wenn
auch alles andere Lüge gewesen ist,
was Du in mir zu sehen geglaubt —
meine Liebe zu Dir war teine Lüge.
Sie war fiir mich der Jnhalt meines
Lebens, sie war mir das Leben selbst
geworden. Jhr zu entsagen, schien
mir schrecklicher all der Tod. Viel
leicht hatte ich bis zu dem Tag-, an
dein ich meine Tante wiedersah, auf
irgend ein Wunder gehofft, das mir
glücklich iiber die gefährliche Kata
robhe hinweghelfen würde, und erst
das Entsesern mit dem ihre unbe
stechliche Rechtschaffenheit das Ge
ständnis meiner Unwahrhaftigteit
aufnahm, öffnete mir die Augen für
die ganze Größe meines Verschul
dens. Jn der unglückseligen Nacht,
die die legte ihres Lebens fein sollte,
starben auch meine Glückshoffnuw
gen dahin. Nur meine Krankheit
und die hilflosigleit meiner Schwil
che konnten mich noch so lange in
Deinem hause zurückhalten Nun
aber kann das Unoermeibliche niait
noch weiter hinausgeschoben werden.
Ich muß das Verhängnis das ich
nicht mehr aufhalten kann, iåoer
mich hereinbrechen lassen« und- Jnusz
mich sur immer aus- Veinern uer
ferhannen Jch versuche nicht-'- zu
defchönigen, und ich flehe nicht um
eine Vergebung. die Du mir doch
nimmermehr aus vollem herzen ge
währen könnt-T Alles. was ich als
einen Beweis Deiner Großmuth und
Deines Mitleids erbitte, ist, daß Du
mich meines Weges ziehen läßt, ohne
nach meinem Verbleib zu forschen
und ohne Dich jemals wieder um
mich zu kümmern. Die Summe, die
ich mir in diesen anderthalb Jahren
von meinem Gehalt ersparen tonnte,
reicht vollkommen hin, mich vor
Entbehrung zu schiihem bis ich eine
andere Thätigleit gefunden haben
werde, die mich ernährt. Du brauchst
Dich also keiner Sorge um meine
Zukunft hinzugeben. Laß das lehte
Wort, das ich auf dieser Erde an
Dich richte. ein Wort des innigsten,
heißesien Dankes sein fiir all das
Gute und Köftltche, das Deine Liebe
mir gewährt hat —- und einen in
briinsti Wunsch fiir Dein künfti
ges El —- —«
Erst als sich das Klopfen zum
zweiten Male wiederholte, wurde
der Konful darauf aufmerksam, daß
jemand Einlaß begehrte, and erin
nerte sich daran, daß er die Thiir
vorhin zugefperrt hatte. Er öffnete
und sah die blonde Lina var sich
ßehen.
Mit einem Ungestüm. das die
Kleine in den heftigsten Schrecken
versetzte« erfaßte er ihren Arm und
zog sie ins Zimmer hinein. »Sie
haben Fräulein hunold vorhin zum
Babnhof begleitet. Hat sie Jhnen
noch irgend einen Auftrag siir mich
ertheilt?«
»Nein —- gewiß und wahrhaftig
nicht« herr KonsUl!«
»Aber Sie wissen« wohin sie ge
reift ist? Versuchen Sie nicht« es in
Abrede zu stellen! Sie diirsen seht
nicht liigen T hören Sie« Sie dile
fen nicht! Es ist ein Menschenschul
sal« nein« es ist das Schicksal zweier
Menschen« das von Ihrer Wahrhaf
tigkeit abhängt· Jch frage Sie auf
Ihr Gewissen: Haben Sie gehört.
wobin Fräulein Hunold sich zu be
geben gedachte?«
lieber das runde Gesicht des Mäd
chens rollten fchon wieder die fo
leicht zum Fließen gebrachten Thra
nen. »Ach du mein lieber Himmel
—- wenn ich blos wüßte« warum die
Menschen gerade mich so quälen!
Jch habe doch dem Fräulein heilig
versprochen« daß ich es leinenr Men
schen sagen werbe. Was soll ich
denn nun ble thun?«
»Die Wahrheit sollen Sie sagen
—- die lautete Wahrheit. Als Fräu
lein Hunold Jhnen Schweigen auf-—
erlegte« war sie in einem Jrrthum«
sie hatte da noch teine Kenntniß von
Dingen« die sich inzwischen ereignet
baden, und die ihr aus der Stelle
mitgetheilt werden müssen. Wenn
Sie es gut mit mir meinen, miMen
Sie ihr zuliebe das gegebene Ver
sprechen brechen. » Mein Gott« Sie
sehen doch« wie viel mir daran
liegt-J
Die blonde Lina arbeitete wie ver- I
zweifelt mit dem Schürzenzipfel in
ibrem rothen Gesicht herum. Der
Seelenlampf, den sie in diesem Wi: s
derstreit der Pflichten zu destehenj
hatte« war offenbar einer der schwer- j
sten ihres Leben-. Da aber Brit
ning nicht miide wurde. in den drin
gendsten Worten aus sie einzuspre
chen, fiegte der Respekt vor dem
Dienftherrn endlich iiber die zur
Verschwiegenheit mahnende Stimme
ihres Gewissens »Aber ich weiß doch
auch weiter nichts, as daß sie nachl
Berlin gefahren ist«, brachte sie un-«
ter vielem Schluchzen heraus. »Ich
hatte sie gebeten, mir ihre Adresse zu
sagen, damit ich an sie schreiben
tönnte« weil ich das Iriiulein doch
immer so gern gehabt hatte --— und
weil ich doch eigentlich blos ihret
wegen so lange in diesem unheimli
chin Haus geblieben bin —- und weil
es schändlich ist« ein armes Mädchen «
so zu quälen« die leinem Menschen;
nichts gethan hat —- und weil —«
»Aber so fangen Sie doch um des
himmels willen nicht an zu weinen!
Es tommt ja weder mir noch sonst
jemand in den Sinn, Sie zu quälen.
— Fräulein hunold hat Ihnen also
ihre Berliner Adresse nicht mitge
theilt?«
»Sie wußie ja selber noch nicht,
wo sie hingeben sollt. Und die Hand
hat sie mir gegeben und geweint hat
sie —— und — und —«
»Hm sie Ihnen denn nicht wenig:
ftens eine Andeutung gemacht, irgend
einen tleinen Fingerzeig gegeben, wie
man es anfangen könnte, ihren Auf
enthalt zu ermitteln?« »
»Wenn hat sie nichts gesagt -s— ich ’
kann es hoch und heilig beschwören, »
ren. Herr Konsul!«
»Es iit gut -—— Sie tönnen gehen!
—- Dvch halt, warten Sie noch einen ;
Augenblick!« :
Er stand schon wieder am Schreib- z
tisch und dliitterte mit behenden Fin- -
gern in dem Kurshuch das er ha-;
stig ausgerissen hatte. Dann tehrtes
er sich aufs neue dem Mädchen zu. .
«Jn« vierzig Minuten geht der
nächste Schnellzug nach Berlin. Sor
gen Sie, daß in in einer halben
Stunde eine Droschte vor der Garten
thiir findet«
. 28.
Jn dem niedrigen Gastzimmer des
Weisdiertelleri ging es sehr laut
und lustig zu. Die aus Tabates
qualen, Küchengeriichen und dem
schalen Duft der Bierreste gemischte,
durch die ängstlich geschlossenen Fen
ster sorgsam festgehaltene Atmosphä
re mochte den Stamingiisten des ge
mächlich von Tischvzu Tisch wandeln- «
den, gutmüthig dreinschauenden Va
ter Gottlieb just als die rechte Le
bensluft er cheinen, denn sie rätelten
sich so be sglich aus ihren harten;
hölzernen St hlen, als wären alle
irdischen Sorgen und Kümmernisse
ganz und gar oon ihnen abgethan.
Und doch war es auf den hager-en,
blasen Gesichtern dieser Männer
deutlich zu lesen, dass ihnen das
Schicksal eine reichliche Menge solcher
Sorgen und Kümmernisse sugernesi
sen. Vater Gottliebe Characteristi
lnrn retrutirte sich fast ausschließlich
aus den Bewohnern des hause-, et
net jener gewaltigen Miethtlasernen,
deren der Berliner Norden schier un
zählige auszuweisen hat, und die vorn
Ieiler bis zum Dachgeschloß hinaus
vollgestopft sind nett hunderten oon
Parteien, Asterrniethern und Schlaf
angern Es ist entsetlich viel Ar
s
imutlf und Elend in diesen riesengro
sen Karawanferaien aber es geht da
rin bei weitem nicht immer so wsisi
und schlimm zu, als sich s diePIrutai
fie des im gemächtigen Ueberflu
binlebenden Bürgers auszumalen
liebt. Der Besißer des Haufei in der
Müllerfiraße, darin Vater Gottlieb
nun schon seit siebzehn Jahren feine
gaftliche Thätigteit ausübtr. hatte
alle seit darauf gehalten, daß Laster
und Verbrechen sich unter feinem
Dache keine Schlupfwintel einrichten
durften. Was biet Untertunft gefun
den, gehörte in der Mehrheit dem ehr
lichen Arbeiterstande an. und wenn's
auch von Untermietbern und Schlaf
burfchen'ein und aus schwirrte wie in
einem Bienentorb, so gefchah's doch
nicht allzuoft, daß die Polizei da
runter einen liebevoll gesuchten alten
Bekannten erwifchte.
An Nachforschungen in diefer Din
sicht fehlte es freilich nicht. Der
blante Schutzmannsbelm tauchte bei
nahe täglich auf einem der von läc
menden Kinyrschaaren erfüllten drei
höfe auf, und die Kriminalbeamten
des Reuters waren den dawider-Iph
nern ebenso bekannte Erscheinungen
wie der Steuereinnehmer und der Ge
richtsvollzieher.
Und sie erfreuten sich ungefähr der
nämlichen Beliebtbeit wie diefe niip
lichen Organe der öffentlichen Ord
nung. Ob sie ihr miihfeliges, freu
derrarmes Leben mit unschuldsweis
Ißem oder mit nicht ganz fleckenlofem
fGewissen durchwandern mochten in
ihrer tief eingewurzelten unüber
zwindlichen Abneigung gegen die Po
lizei sind die Stieflinder des Glückes
doch alle eines Sinnes, und der
Schutzmaan der bei feinen Nachfor
iebungen auf ihr woblwollendes
Entgegenkommen rechnen wollte,
wiirde der Thorbeit feiner Jllusionen
sehr bald in fchmerzlichser Enttiius
fchung bewußt werden. ,
Das hatte auch der uniformirte
Polizeibeamte erfahren müssen. der
vor einer Viertelstunde Vater Gott
liebs Gaftzimmer einen Besuch ab
gestattet hatte. um sich nach einem
wegen fchwerer Körper-verletzung ge
fuchten jungen Manne zu ertuni
gen. Da, wo man feinen Fragen
nur ein eisiges Schweigen entgegen
gefth hatte, war er noch am glimpf
lichsten fortgetomrnen, zumeift aber
hatte er allerlei mehr oder weniger
anziigliche Bemerkungen einstecken
müssen, gegen deren scharfe Spihen
nur eine in langer dienstlicher Eri
fahrung mühsam anerzogene Schwer
hiirigteit die bedauernswerthen Diener
der allgemeinen Sicherheit hinlänglich
zii wabpnen vermag.
Nun war er gegangen -— unver
richteter Dinge natürlich; aber die
unmnthige Eingang dies sein Er
scheinen bervorgerusen hatte, llang
noch in den Gesprächen nach. die an
den verschiedenen Tischen geführt
wurden.
»Ich tenne den Menschen nicht«
nach dein er gefragt hat«« sagte ein
graiihaariger Mann in Arbeiter
lleidung zu seinem Nachbar-. »Aber
wenn ich was von ihm gewußt hätte.
dem Blauen hätt· ich’s gewiß nicht
aiif die Nase gebunden. Sie tollen
die Augen aufmachen und sollen zur
rechten Zeit bei der band sein, aber
sie sollen nicht verlangen, daß un
sereins sür sie den Spiyel macht.
Weiß man doch nie, ob man mit sol
cher Angeberei nicht einen armen
Teufel ans Messer liefern würde, der
»sich vielleicht blos wie ein rechtschaf
sener Mann seiner Haut gewehrt
hol-«
Der Angekedete nickte zustimmen-.
Er war eine neue Erscheinung hier
:im Keller, nnd weil er niit einer Art
;von schädiger Eleganz getleidet war,
Ihatte man ihn anfangs mit einigem
iMißtraiien betrachtet. Aber es war
’ihm bald gelungen, es zu verscheu
chen, nachdem er seiner Umgebung
erzählt hatte, daß er ein Heilung-lo
ser,Kaiifmann sei, der sich jeht als
Stadtreisendee siir Oeldruabilder
durchsnschlagen suche. Daß das ein
mühseliges iind schlechtes Geschäft
sei,- wußten sie alle, nnd darum be
trachteten sie ihn trog seines schwar
zen, speckig glänzenden Rades als
Iihresgleichm Er war gestern zu
ieiiiem iin zweiten Hinteegebiiiide
wohnhafteii Fliitschiister in Schlaf
stelle gezogen, aber er hielt sich with
rend eines großen Theiles des Tages
ieu see-s Sonne-e gesenkt-nehm Gan
zimnier auf, wo er bescheiden und
manirlich, mehr zuhörend als schwa
hend, hinter seinem Weißhierglase saß.
»Ja«, sagte er, »Sie haben ganz
recht. Die von der Polizei brauchen
nicht alles zu wissen. Jch hab« im
mer mein Vergnügen daran, wenn
tch in der Zeitung lese, wie oft sie
sich blamiren. Die Geschichte mit der
Kiste, die mir mein Logiswirth er
zählt hat, hat mir unbändigen Spaß
gemacht."
»Was für ’ne Kistengefchichtei«
fragte einer vom anderen Ende.
Der Stadtreisende gab artig zu
rück: »Sie wohnen wohl nicht hier
im hause, da Sie nichts davon ge
hört haben? Die Polizisten sollen
ja ein paar Tage lang überall her
umgeschniiffelt haben, um den Ei
genthümer 'rauszubrangen.'·
»Ach sol« sagte der Graubaarigr.
»Ja, bei mir haben sie auch nachge
fragt. Aber was war es denn eigent
lich? Es soll ein Mensch in der Kiste
gewesen sein, ein Einbrecher, sagte der
Kriminalschuhmanm oder vielleicht fo
gar ’n Mörderi«
Da mischte sich vom Nebentisch her
iiher ein Gast im Arbeitsanzuge ei
nes Maurers in die Unterhaltung,
indem er dem Alten laut auflachend
zurief: »haste am Ende ooch an den
Quatsch jejjloobt, Wehmeherf Jc
hah’ mir ja bucklich jelacht, wrr rnit
die Kerls mit die Mordsjefchichte »
kommen sin, blos weil sie da ,
se wirden mir damit zum Rosen
bringen« Dei Kistendings hat alm
lich seit ’ne Ewigleit in mein’n so
denverschlag jestanden. Un nu ssk «
lck durchaus sagen, wem se jeUrt
hätte. Natierlich hab’ ick mir dnsnr
jestellt wie ’n Trampelthier. Mr
hiafse Ahnung, sag’ ich un macht so
’n Jesichte, det der WachtmetIer
meent: »Na, man tann et Sie ja
ansehen, del Se nischt nich wissan
— Ei war ’n Feez zum Kaholzschies
fzen.«
Alles lachte, am lautesten Isd
herzlichsten aber lachte der Stadtrei
sende. »Ja-nos! Das haben sie
wirllich fein gemachtl Die tönsen
lange herumfragen, ehe sie was her
ausbringen. Ja, wenn sie noch eine
Belohnung ausgefeht hätten —- aIer
so, site nichts und wieder nichts —
da müßte man ja ein Narr seini«
Der Maurer drehte sich nach Im
um und maß ihn mit einem nicht
allzu freundlichen Blick. «Sind Sie
eener von die Sorte? Also for Jeld
tann man nach Ihre Meinung zum
halunten werdens Pfui Deihell
Der Schasler is mir heute noch schs
Mart un vier Jroschen schuldig.
Aber ehe det ick iesagt hätte, det ihn
die Kiiie jehsrt, eher hätt’ iet mir die
Zunge abgebissen.«
szortsehung folgt.)
Ob aus der soeben in Sturm-II er
öffneten Ansstellung siir Studenten
tunst auch einige Niesenkater zu sehen
sein werden?
i I I .
Ein gelehrter Doktor erklärt, daß
man vom übermäßigen Wassergenuß
auch einen Rausch bekommen tönne.
Wenn tünftig also ein Trunkenbold
dem Polizeirichter vorgesithrt wird,
so braucht er nur zu sagen, er bade ei
nen Wasserkausch
If O I
hat Amerika bis jest eine eigene
Literatur beroorgebrachti fragt ein
Boftoner Blatt. Gewiß! Erst kürz
lich ist ja eine Lebensgeschichte der
Massenniiirderin Gunnesz erschienen.
I i I
Großes Aussehen erregte das Nicht
erscheinen des deutschen Kaisers beim
Gabelsriibftiiek des Provingial - Land
tags i Frankfurt Vielleicht ist der
dentschtel aiser dem Frilhstiia fertige
blieben, weil er keinen Appetit hatte.
I I f
Jn fünfzehn Millionen Jahren
wird der Wasservorrat der Erde, nach
den Berechnungen des Professor
Lowell. erschöpft fein· Da wird es
wohl bald seit, an einen passenden Cr
sah zu denken.
·- - «
Man streitet sich in gewissen Kreisen
darüber, ob der .hochadel« von New
orl auf 300 oder 400 Angehörige be
chriinkt werden soll. Ob 3 oder it,
ie Rullen sind ja doch die Haupt
suchet
Durchschn-tx- f f
Mittr:«Nun,Ma1-el,du freust dich wohl seht über die Bilder?«
Gretchen: »Nein, Mutter, der thut bloß so, und man du in s Buch siehst,
r: mmt er sich Zucker aus ver Dosef