Eise Meinst Mun- Ion Inn- sitt-e. Jrgendwa im Garten hliihte der Faulhaunu Aus tausend und aber tausend weihen Blüthen stieg-süßer Duft, ahr die von Feuchtigteit gesät tigte Luft ließ ihn nicht weiter drin gen, sie driirtte ihn immer wieder nie der und hallte ihn zusammen, da er wie eine Wolle iider dem Baum hän gen hlieh, f wiil und schwer. Bis der ind lam. —- Der war draußen, auf freier höhe, iiber Felder voll junger Saat geflogen, und wie er nun behutsam. mit eingezogenen Schwingen. zwischen den Bäumen des tiefer gelegenen Gartenz hinftrich, nahm er den Duft mit und trug ihn an das einzig erleuchtete k nfter des schweigenden hauset, das ensier der Stube, in der Consul heinrich Klie seinen Todestamps kämpfte Jm offenen Fensterrahmen stand Juge, die Lieblingstochter des sterben den Mannes, ein schmalschultriges Mädchen mit feinem, klarem Gesicht. Sie öffnete die Lippen ein wenig, als der hetiiubende hauch sich an ihr vor überdriingte, und that einen tiefen, zitternden Athemzug Jhre jun e Seele war voll Leid. Aber die heftigteit des ersten Schmer es war einer fast wahlthuenden umpfheit gewichen, Aufregungen und Nachtwachen hatten ihre Kräfte erschöpft —- wie in halbem Traume versah sie die Pflichten und Handrei chungen der Pflege, in die sie sich mit der Schwester theilte. Nur wenn der Kranle zeitweilig aus seiner tiefen Ilganie ausschreckte, zerriß auch der Bann, der ihre Sinne wohlthätig ver schleiertr. Dann strömten ihre Thränen von neuem, und der Schauer dar dem Unhegreif lichem mit jeder Stunde erbot-innigs , -e los Itahettommenven paare ste. Der Tod Was war dag? Wo tam er her? Jnges Augen starrten mit scheuer Angst in das Dunkel, als stünde da irgendwo zwischen Büschen und Bäumen lauernd eine seindliche Gestalt. Aber es regte sich nicht« als das Sehnen der Maiennacht, in der tausend Knospen zum Leben erwach ten, und ein heimliches Grüßen stieg aus aus jungem Laub und gesegneter Erde. Iriedlich und schön lag die Hei math vor ihr, aus der sie emporge wachsen war, die an ihr gebildet und gemodelt und ihrem Wesen den Stem pel ausgedrückt hatte! Ob auch alles seht in Dunkelheit gehüllt war — ste sah seden Weg und Steg des Gar tens vor sich, als läge er im hellsten Sonnenlicht; sie sah die hügelig aus und ab steigende Stadt mit ihren Thürmen und das weit sich dehnende Thal, das die Waldberge bläulich umrahmten. Wie sie das alles liebte! Es war ihre Welt gewesen bis heute, ihre stille, kleine, sreudevolle Welt, in der sie gespielt und geträumt hatte, in der ihr die Liebe begegnet war. Eine göttliche Weichheit tam über Jngr. Sie dachte daran, wie sie vor laum einer Woche mit Hans Degenhardt an dem Pförtchen gestanden hatte, das sur Rachbarvilla hinübersührte. Zum erstenmal hatte er ihr bis dorthin das Geleit egeben, und seine Augen wa ren ernslgewordem als er nach ihrem schönen aterhaus deutete und sie fragte, ob sie die heimath wohl lassen Könnte um der Liebe willen. Da mals hatte sie ein strahlendes Lächeln sür ihn gehabt —- sie wußte ja, er wollte ihr die Heimath nicht nehmen« nur schöner, reicher sollte sie werden durch ihn. Und nun forderte der Tod das Opfer. das sie dem Geliebten nicht hätte zu bringen brauchen. Der hei mathboden wantte unter ihren Füßen »helene«, ries sie leise und griss rnit der Hand zurück, um die Schwe ster, die lautlos näher schritt, zu sich heranzuziehen. Eng umschlungen standen sie neben einander, die siebzehnjährige Juge, die sich vor dem Alleinsein surchtete wie ein Kind im Dunkeln. und das nur tun wenige Jahre ältere Weib, dern sie Einsamkeit tiistlich schien, weil es tn sreudlose Gemeinschast gebunden ist«-. Keine brach das Schweigen. — Sie sahen in den Garten, der in seiner heimli keit wie ein Marchen war, nnd sa n aus den himmel, an dein das Licht rnit der Finsternis kämpfte. —- Jn die Wolkenmassen war Bewe gung gekommen. Sie thürrnten sich aus und drängten gegeneinander, sie stiirniten vor und wichen wieder zu riickZ kleine, slatternde Zehen lösten sich von ihnen, und endlich war alles in wilder lucht var deen Mand, der wie ein Hei aus dein wogenden Kampfe trat und leuchtend und siegend den Schild erhob «Wie ist das schön!« sa te das Mädchen hingerissen. JWiei das wunderschön! —- Mir ist, als müßte das einen besser machen. als könnte Inan in solcher Nacht nur ute und reine Gedanken haben.« Un sie sah sur Schwester aus mit Augen, die ganz voll Andacht waren. — Heime tacht- eiu leise-, Me Lachen »Solche Nächte diirst’s gar nicht geben, du! Die sind wie Gift. Illen Willen und alle Kraft schliisern sie ein, und das Blut singt einein in den Adern, und die Lust ist wie ein Bad, in dem Nosenblätter schwim enen Man wirst sich hinein, und. arn Morgen wird man gewahr, daß man tin chrnuh elegen hat, in lau ter Schmuh und chlamni . . .« Sie brach ab und sah erschreckt in Jngei weißgewordenes Gesicht. »O du Liebe-I sliisterte sie reuig und strich mit sachten händen wieder und wieder iiber ihr dunkles Haar. »Nun hab ich dir etwas Schönes ver dorben! Aber hör nicht auf mich. Jngr, ich weiß ja selbst nicht, was ich rede. All diese Ausregungen. siehst du, dies Aus und Nieder von Hofs nung und Sorge, das macht einen miirbe ...« Vom Bette des Kranken her kam ein Stöhnen. Jnge stand schon neben ihm und beu te sich über das Antlih, dem der pleglos wachsende Bart ein ungewohntes, derwisdertes Aussehen gab. »Vater, lieber Vater ..." sagte sie und nach einer Weile« da das Stöhnen anhielt, noch einmal, inbrünstig: «Vater!« »Er hört dich nicht,« ries elene weich. »Er hat tein Bewu tsein mehr, weder von sich, noch von uns! Und es ist ja gut so. Wir wissen dann doch »daß er nicht leidet!" Das Mädchenschiittelte zweiselnd, ungetröstet den Kopf. »Wir wissen es nicht, Helene! Und wenn’s die Aetzte zehnmal versichern. Jch kenne sein Gesicht —- eö quält ihn etwas. Ganz gewiß, es quält ihn etwas." Und sie tonnte die Augen nicht los reißen von dein Gesicht, unter dessen geschlossenen Lidern es ruhelos zuckte. —Wie hatte sie auch nur einen Au genblich langan anderes denkentönnen als an dies schwere Sterben! Bin ich denn so liebte-Z? sragte sie sich ver zweifelt, so oberslächlich und undant bar, daß ich auch nur einen einzigen Gedanken an mich selbst verschwende, während hier schluchzend tniete sie nieder und drückte den Kopf in die Decke, die über den Sterbenden ge dreitet war. Helene hatte sich nun in den Sessel gesetzt, in dem sie nun schon die zweite Nachtwache hielt. Auch ihr Blick hing an dem Vater, aber es war ein selt sam unruhiger, wechseln-set Ausdruck darin. Erschiitterung und lang nie dergehaltene Kindesliebe rangen mit dem Groll, der seit Jahren zwischen ihr und dem Vater stand. Sie benei dete die Schwein fast um den reinen, rückhaltlosen Schmerz, um die Thrä nen, die so heiß über die jungen Wan gen strömten. Der Abschied, der jeIt an Jnge herantrat, den glaubte sie selbst lang hinter sich zu haben. Da mals, als die Hände, die jetzt so ziel los tiber die Decke glitten, sie gezwun gen hatten, einen oerhaßten Weg su. gehen, da hatte sie sich innerlich vom Vater geschieden! Nun war er ihr lange fremd. Wohl hatte in diesen letzten Jahren wieder und wieder die Reue an ihr Vers ge ilopst, und die Erlenntniß der eige nen Schuld hatte das Haupt erhoben und sie gemahnt: hast nicht du er zwingen wollen, was du den anderen zum Vorwurf machst? Aber der Glücks-banger in ihr, der sich aus bäumte gegen die targe Kost der Pflicht, das Joch« an dem sie sich wund rieb in täglicher, sreudloser Arbeit, ließen jenen leisen Stimmen der Gerechtigkeit nicht Raum. Bis seht, da sie den Vater, den sie als ei nen Starken, Energievollen getannt, als hilslosen Kranten wiedersah! Der Anblick seiner Schwäche entwassnete, erschütterte sie. All die sanften Jn stintte des Weibes wurden mächtig in ihr, das mütterliche Erbarmen, das die Frau Noth und Krankheit gegen über empsindet, zog sie unwiderstehlich zum Vater hin, machte ihre Hände weich, ihre Stimme innig und warm —.Jnge selbst hätte den geliebten Kranken nicht ausopsernder pflegen tännen, als sie es that. Und doch war's helene angesichts der schon vorn Tod gezeichneten Züge, als wiese eine strenge hand sie fort, als hätte sie selbst sich des Rechtes be geben, neben Jnge zu stehen in dieser Stunde, in die nur heilige Liebe hin einschauen dürfte! Jhr Schmerz war nicht rein, nicht frei von eigensiichtis gen Gedanken! Jmmer wieder mischte sich anderes hinein. Sie litt um sich selbst, um ihre betrogene, ge tnechtete Jugend . .. helene fuhr aus ihrem ruhlosen Grübeln empor, und auch Jnge hob lauschend den Kopf. — Durch den Garten hallte ein dumpfes, tlagendeö Geheul · »Der Hund« sagte das Mädchen erschüttert. »O helene, er fühlt, daß sein herr sterben muß.« Und von neuem ausweinend, schlug sie vie hände vvr’s Gesicht. »Arme, tleine Jnge.« helene suchte nach Trvftwvrten und Bstand sich voll Bitterkeit, daß ej der vrte nicht be dürfen würde, wenn ihr Herz mit dem der Schwester den gleichen Schlag schiiige in dieser schweren Stunde. — Dann fiel ihr etwas Glückliches, Ab ienkendes ein. »haft du heute schon einmal an «ihn« gedacht, Liebest« Einen Augenblick schien es, als wollte in Jnges verweinten Au en und auf dem zuckenden Mund ein ä cheln erwachen, ein Lächeln verschönt ten Glücks. Aber sie wehrte es heftig ab. »Ich will jetzt nicht an ihn denken, nicht an ihn und nicht an mich! Wie kannst du mich nur daran erinnern, Velenei Jeyt, wo Vater O helene, hast du ihn denn nicht liebli« »Nein ...« sagte das junge Weib rauh, während ihr Herz aualvoll da wider schrie. Und das Wort, das doch leise gesprochen war, klang hart und laut durch das Zimmer, in dem das große Schweigen sich schon ausbreiten wollte. —- Eö war, als würsen die Wände den Klang unwillig zurück, als weckte er in den Ecken ein viel fältiges zürnendes Echo aus, daß es dröhnend den miiden Mann aus seiner Ruhe ausstörte. Er sing an zu mur meln, hastige, sinnlose Worte, die tei ner verstand. »Komm«, sagte Helene zitternd, als er in seine Lethargie zurückgesunten war; und sie zog die willenlose Jnge mit sich fort. »Komm an’s Fenster. Jch will dir sagen, was Vater mir angethan hat. Vielleicht verstehst du mich dann ...« Und während draußen die Nacht immer verklärter ward und das sil berne Licht wie ein Frühlingssegen von Wipsel zu Wipsel glitt, brach aus einem verstörten und verbitterten Her zen ein Strom wilder Klage hervor-. »So eine Mainacht wie diese war’3, und ich war nicht älter als du, als ich mich mit Richard verlobte«« sagte helene tonlog. »Er hatte schon den ganzen Winter um mich geworben, mich bei jeder Gelegenheit mit Rosen, Süßigkeiten und verliebten Schmeiche leien überschüttet. Das machte mir Spaß. —- Wenn ich mit ihm geneckt wurde, lachte ich — wie so ein junges, dummes, eitles Ding eben lacht, wenn's seine Macht spürt. Eigentlich wußt ich von ihm weiter nichts, als daß er den besten Walzer tanzte schön gewachsen war und tadelloses Schuh wert trug! Was man so auf Ballen und beim Theaterspielen eben vonein ander merkt und siebt. —- Da gaben Freeses", sie suchte mit den Augen das Thürmchen einer Villa, das in gerin ger Entfernung schlank und weiß hin »ter den Baumgrupven ausstieg, »ier rsogenanntes .,Fruynngsfesr." Die Stimmung war von Anfang an über müthig. Es war viel junges Volk da —- die Sechsundsiebziger verkehrten vollzählig bei Freeses — und es wurde flott getanzt. Und zwischen den Tänzkn liefen wir —- erhitzt und trunken vor lauter Lust —- hinaus in den Garten. Da blühte alles. Jn der Fliederlaube, du kennst sie ja, schlug die obligate Nachtigall, und über dem Rasen lag das Mondlicht. Ganz unirdifch fah das aus —- gerade wie heut, sieh dir s nur an ...« Jnge hatte den Kopf an die Schul ter der Schwester gepreßt. Sie wehrte sich nicht mehr gegen die holden tröst lichen Gedanken, die ihre wunde Seele einlullten. Jhr Ohr lauschte der Er zählung einer fremden Brautzeit, ihr Herz träumte halb unbewußt den eige nen Liebestraum; sie spürte noch ein mal das Zittern vor der Entscheidung und jene bange, fast schmerzvolle Glückseligkeit der schrantenlosen hin gebung, die nur das Weib empfindet »Da tam es, helene2 »Ja, da kam es« fuhr die leise fpöttifche Stimme fort. »Der Mond ist ein arger Kuppler, Kind, der hat schon manches zusammengeschmiedet, was sich ewig hätte sernbleiben sollen. Wer weiß, was geschehen wäre, wenn’s damals zufällig geregnet hätte oder lichtlos und frostig gewesen wäret slüsterte sie in unaussprechlichem hohn. »Aber der Mond schien, so hell er nur konnte. Und die Sporen klirrten so ritterlich an den eleganten Lackfchuhen, und der ganze Mann, wie er so neben mir ging in dem weißen Glanz, tam mir verwandelt vor und über sich erhöht. Sogar seine Stimme tlang anders als sonst. Als käme sie aus weiter Ferne. Als wäre sie eine Antwort auf meine Sehnsucht, eine Erfüllung all des Unverstande nen, Süßen, das ich unter dem weißen Tülltleidchen mit mir herumtrug . . Ach Gott, Juge: wenn irgend ein an derer neben mir gestanden hätte in der Stunde — ich hätte ihn auch getüfztt Jch hätte mir jeden vertlärtl Daß der Mann zufällig Richard hieß und Oberleutnant mit Vermögen war und meinen Ku als einen Wechsel aus die Zukunft na m — daran hab ich wahr wenig nicht get-achr. »Helene,« sagte Jnge ganz sassungs los und riittelte die starre Gestalt, »du mußt ihn doch wenigstens im Ansang geliebt haben?« »Mag sein« Kind. Ich weiß es nicht mehr.« »Aber du hast doch um ihn ge tämpstt Du hast doch sterben wol len, wenn du ihn nicht betämst — Großmutiee hat’j mir mal erzählt, als ich mich wunderte, daß gerade ihr beide euch gesunden hättet.'· helene hob der Schwester das Kinn sacht in die höhe und sah ihr mit spöttisch funkelndem Blick in’g Auge. »Daß du als Kind mal etwas ver sagt betommen, Schaßi Und weißt du noch, wie ei dann im Preise stieg? Daß ich mich an diese sogenannte »Liebe« tlarnmerte. war Troß, nget Einsacher, tindischer Troß! ater wollte nichts von der Verlobung wis sen. Nicht, daß ihm Richard persön lich unangenehm gewesen wäre — du weißt ja« wie hoch er ihn stellt um sei ner Tüchtigteit und Sparsamkeit wil len —- aber er ahnte wohl, daß Wel ten zwischen uns lagen, daß meine Seele noch gar nicht ausbgewacht war. Und er wollte mich nicht lind in mein eigenes Elend rennen lassen ...« Jnge griss jäh nach ihrer Hand. Wieder drang dasWinseln des Hundes durch die Nacht, unheimlicher als vor her. Die Schwestern hörten, wie er die hütte umtreiste, wie er verzweifelt an der Kette riß und zerrte unt-»sich dann röchelnd wieder niederductte und still ward. »Ich half- damals durchgeseht2« fuhr Helene fort. »Als erste von all meinen Freundinnen verlobt zu sein, und zwar mit einem »Oberleutnant«, der nicht allzu weit vom »Haupt mann« stand — das war schon etliche Thränen und Scenen werth! Uebri gens: solange ich um ihn kämpfte, so lange glaubte ich auch, ihn zu lieben! Und die romantischen heimlichleitem die verstohlenen Zeichen und angstvoll flüchtigen Stelldicheins —- all das hatte seinen Reiz für mich! Erst als ich ihn mir glücklich erobert hatte, als das »goldene Ringlein« fest am Fin ger saß, da kam das Erwachen .. .« Ein Schauer lies iiber sie hin, als störe sie, und ihre Stimme wurde fast unhörbar vor Scham. Dennoch sprach sie weiter, als wäre es eine Wohlthat, die stumm getragene Last einmal her nnterzureden vom Herzen. »O diese Tage damals — diese ent setlichem angstvollen Tage! Geslohen bin ich vor seiner Stimme und habe die Thiir hinter mir zugeriegelt, wenn ich ihn kommen sah! Daß er mich titssen durfte, war mir wie ein Schimpf »- ich begriff es nicht, daß der fremde Mann ein Recht aus mich haben sollte Und die Hochzeit rückte immer näher . . ." »O Helene, warum hattest du kein Vertrauen?'« rief Jnge ganz außer sich, die Schwester mit beiden Armen umschlingend. »Warum bist du nicht zum Vater gegangen und hast ihm deine Noth gezeigt! Er hätte dir doch geholfen!« »So? Meinst du«-« fragte die an dere hohnvoll und stieß die zärtlichen Arme zurück. »Auf den Knien habe ich vor ihm gelegen an dem Tag, an dem ich getraut werden sollte! Nichts habe ich verschwiegen und nichts be mäntelt — nur immer gebettelt und gefleht: Vater hilf mir! Laß mich nicht so elend werden, ich bin ja noch so jung .. .« »Und er, Helene?« Jnges Stimme llang leise vor Erregung Jhr war, als grübe sich in des Vaters geliebtes Bild ein fremder, entstellender Zug. »Er?« persiflirte Helene, und die feine Falte zwischen den Bronnen, die ihr junges Gesicht oft so finster er scheinen ließ, vertiefte sich. »Er hat gesagt, sein Name wäre ihm zu gut, um durch den Mund der Leute ge schleift zu werden! Was ich mir ein gebrockt, müßte ich ausessen —- einer lei, ob’s gut schmeckte oder nicht. — Da bin ich ausgestanden und an ihm vorübergegangen wie eine Fremde. Jch habe mich zum Standesamt sah ren lassen und habe zum erstenmal den Namen des Vaters als etwas Abge thanes unter meinen Frauennamen gesetzt — und wußte nicht, welcher mehr Schmerz und Schmach fiir mich bedeutet hat: der neue oder der alte! Und ein paar Stunden später habe ich in Brautlleid und Schleier vor dem Altar gestanden und die große Lüge mit angehört, daß »Gott« uns zusam mengefügt hätte ...« Helene schwieg. Die Erregung, in die die Gewalt der anllagenden Erin nerun en sie hineingerifsen hatte, wich einer iesen Trostlosigteit. Wie er loschen waren die Augen, die eben noch in Zorn und Empörung geleuchtet ychlL Ein heißes Mitleid mit der Schwe ster ergriff Jnge und eine Ahnung der geheimnißdollen Mächte, die freundlich oder feindlich in jedem thätig sind, ihn verstricken in Schuld und Sünde und unzerreißbare Knoten schürzen aus feinstem Gespinst. »Helene«, sagte sie beschwörend mit ihrer warmen jungen Stimme, »ich weiß nicht, was Vaters Leben einft zerstört hat —-- wir waren ja Kinder, als Mutter von uns ging —- aber ich weiß; daß er unsiiglich gelitten haben muß, um so hart gegen das eigene Kind zu werden« .Gibt eigener Schmerz ung ein Recht, Unschuldige leiden zu lassen?« fragte die Aeltere heftig dagegen. »Und ich war unschuldig, denn ich wußte nicht« was ich that! —- Gott im himmel, was weiß man denn mit sieh ehn Jahren vom Leben! Vater mu te fe bleiben, als ich mein Un glück von ihm verlangte! Er mußte mich gegen mich felber schützen!« »Wir beide dürfen nicht Richter sein, Helene ..." Der Kranke ward wieder unruhi ger. Er warf das Haupt in den Kis sen hin und her, und die Lippen, die briichig waren von der Fiebergluth öffneten sich lechzend. Behutsam ver suchte helene, ihm ein paar Tropfen Wasser einzuflöfzem aber sie rannen an den Mundwinleln nieder —- er schluckte sie nicht. Da tauchte sie ein Tuch"in’s Wasser und netzte leise den armen Mund. Es schien ihm wohlzuthun. — Gleich einem Auf-ruhen ging es über die durchfurchten Züge und nahm ihnen den Ausdruck qualvoller Span nung. So lag er ganz still, indeß die Schwestern lanm zu athmen wagten. Und plotzlich thaten diese Augen, die seit Tagen an nichts erischem mehr gehaftet hatten, sich groß auf und richteten ihren ruhevollen Blick auf Heleneng überwachtes Gesicht. Jst das rüctfluthendes Leben —- ist es das, Aufflackern vor dem E - löschen? dachte sie zitternd, währe d sie unter dem Bann dieses Anschauens in die Knie sank, halb ohnniächti vor seelischer und körperlicher Erschöpiiung Und ihr war. als dränge der leuch tende Blick durch all die tilnsilich fest gehaltenen Schleier der Selbsitiiui schung und des Trotzes bis in ihr Innerstes, um die Kindesliebe zu be freien, die jahrelang dort gefesselt war. Stockend erst und dann in hastigen Flüsterlauten, als bräche ein lan aus Igesammslter Quell jäh hervor, sprach sie dicht am Ohr des Kranken, dessen Augen sich wieder geschlossen hatten, so wie sie nie mehr zu ihm gesprochen seit ihrem Hochzeitstag » Dann hob Jnge die Zusammenge sunlene aus, und sie setzten sich, eng aneinandergeschmiegt, zum Fußende des Lagers, ein jedes in seine Gedan len dersintend. »Gertrud« . . . Wie ein Hauch, und doch llar und deutlich, strich das Wort über die Lip pen des Sterbenden. Die Schwestern sahen einander an, staunend, ob sie auch recht gehört, ob diese seltsame Nacht ihren überreizten Nerven nichts oorgaulle. Denn der Name der Mutter war todt gewesen aus des Vaters Gebot, seit langen Jahren durste ihn Nie mand nennen. Und nun gewann er auf einmal wieder Leben und Gestalt! Er stand zu Häupten des Bettes und sah aus dunllen Frauenaugen still aus das abgezehrte Gesicht, er schritt durch die Stuben und zögerte an der Stelle, wo einst die Kinderbettchen der Schwestern gestanden hatten, er glitt treppauf, treppab in dem Hause, in dem er einst geherrscht. — Hörte der Konsul in Wahrheit die" lang verschollenen Schritte? Ein Lauschen schien über ihn gekommen, er lag und rührte sich nicht, nur der Athem ging mühsam und schwer durch die geöffneten Lippen. Sie fühlten es beide, die Hand in Hand seinen Schlummer bewachten: die Vergangenheit war bei ihm in sei ner letzten Stunde. Nicht die Ver gangenheit, deren Erinnerung ihn vor der Zeit alt gemacht, mit der er ge ziirnt und gehadert hatte, sondern die, in der er jung und glücklich gewesen war! Ein heller Schein ging über fein Gesicht — ergriffen ahnten die Frauen, für die der Name der Mutter nur etwas Blutloses, Schattenhaftes heraufbeschwor, welche Macht er für den Vater bedeutet hatte, und daß er, den sie so ganz zu kennen gemeint, an ihrer Seite ein heimliches Leben für sich gelebt! Ein Leben voll Liebe und Schmerz und Verzweiflung, an dem sie keinen Theil gehabt. »Einmal habe ich ihn weinen sehen«, sagte Jnge leise, aus solchen Gedanken heraus. »Einrnal, an ei nem wunderschönen Frühlingstag« Helene antwortete nicht. Wie der Blitz mit jäher Klarheit eine dunkle Landschast erhellt, so sah sie in der Erkenntniß dieser Stunde des Vaters Fühlen und Denken vor sich. Sie wußte jetzt, wie furchtbar der stolze Mann darunter gelitten haben mußte, den großen Schmerz seines Lebens nicht heimlich tragen zu dürfen, son tern ihn von der Neugier und Sen sationsluft der anderen betastet zu sehen! Sie begriff, daß er es nicht ertragen hatte, den kaum zur Ruhe Gekommenen durch ihre kindische Thorheit noch einmal hervorzerren zu lassen, daf; er hart habe bleiben müs sen aug Selbstachtung! Und sie wußte, daß sie nun, da der Tod ihr die Thiir zu der oft so heiß ersehnten Freiheit öffnete, nicht mehr den Muth haben würde, die Schwelle zu über schreiten. Nein, nein — sie zeigte nicht auf die Wunde, die der Arme dort schweigend mit beiden Händen zuge deckt! Ruhe sollte er haben. Tiefe Ruhe! Und Helene beugte sich und küßte die Hand, die keinen Ring mehr trug, und tiißte das Herz, das doch die Treue gehalten. —- Löschte so leise aus, was uns mit seinen Stürmen ängstigte und schreckte? War dies der Schluß alles Sehnens und Bangens? Die Schauer der großen Einsamkeit tiihrten sie an. Sie sah die Leere gähnen, die jeden umlauert. Und das Meer oon Leid, in dem die Thrä nen des einzelnen nur Tropfen sind. .. Jhre eigene Noth ward klein, an der der anderen gemessen — Jn den Bäumen draußen hob ein Rauschen an — der Tag wollte kom men. Graue Dämmerung war dem Mondglanz gefolgt, zitternd und frö stelnd standen die Büsche beisammen« und über den Rasenplätzen wogte ein weißlicher Dunst. Jnge trug das Licht zum enster und löschte es dort, damit sein s-chwe len den Kranken nicht störe. Da schlug ihr die Morgenluft herb entge gen, und der Thau hing ihr Perlen in’s haar. —- Die Farben des Gar tens wachten mählich aus, die Tulpen züngelten wie Flammen von den Bee ten, und der Kies der Einsahrt sing zu glihern an. Das Mädchen bog sich plötzlich weit über die Brüstung: iin Nebel stand etwas Drohendes, Ragendes, das ihr das Blut in den Adern gesrieren ließ...· Nur einen Herzschlag lang hatte der Spuk gedauert —- sie suhr mit der Hand über die Augen« da wallte der Nebel wie vordem hin Und her. Aber vom Hause her raste in gro ßen, sedernden Sprüngen der Hund; die zerrissene Kette schleifte hinter ihm drein und tlirrte gegen die Steinstu sen der Treppe. Muts-« tief Jw zärtlich. »Pub. ,..——,-— mein altes, trenes Thier! Haft du dich frei gemachti Wolltest du u uns tommen, mein Alter·i« Und iie nickte ihm zu, wie er sich niederlegte nnd aus großen, schwimmenden Augen zu dem Fenster ausschaute, hinter dem er seinen herrn wußte. Langsam ging die Zeit. — Sie strich mit dem Finger iiber die Wollenränder, da wurden sie golden —- sie strich üher das Antlitz des mü den Mannes, da wurde es seltsam feierlich. Sie weckte draußen tausend zwitschernde Stimmen und löschte drinnen die eine Stimme aus. — — Von der großen Stille erwachten die Schwestern, die ein kurzer Traum der Wirklichkeit entrückt hatte. Angst ooll traten sie wieder an das Lager, von dem kein Röcheln mehr kam. — ,,Vater!« schrie Jnge auf. Und sie neigte ihr blühendes Gesicht tief über das weiße, feierliche . . . Da spürte sie die Kälte, die tren nend von ihm ausging, und sah das Lächeln auf seinem Mund. Der hier lag, gehörte ihnen nicht mehr. Es war ein anderer als der, den sie gekannt! Der Tod hatte aus ihm hervorgeholt, was das Leben so ängstlich gehütet hatte: all seine Sehnsucht und seine Hoffnung, all seine Kämpfe nnd seine Siege. Sie woben eine Glorie um seine Stirn, vor der das Weinen seiner Kinder ver stummte. — Ein Urtheil über vie früheren pe tvohner Verans. Daß die Berliner viel besser sind, als ihr Ruf, wird wohl allgemein zugegeben-. Das Schicksal, ungerecht und zu schwarz beurtheilt worden zu sein, scheinen sie übrigens von jeher gehabt zu haben. So schrieb z. B. am 20. Oktober 1505 der gelehrte Herr Johannes Tritheim, Abt des Klosters St. Martin zu Sponheim, welcher zu Ende des fünfzehnten und zu Anfang des sechzehnten Jahrhun derte lebte und wirkte —- er starb 1516 — und ein vertraiiter Freund des Kurfürsten Joachim von Bran denburg war, folgendes Urtheil über die damaligen Bewohner Berlin Cöllns nieder: »Die Einwohner von Berlin sind gut, aber zu rauh und ungelehrt, sie lieben mehr die Schmau sereien und den Trunk, als die Wis senschaften. Selten findet man einen Mann, der die Bücher liebt, sondern aus Mangel der Erziehung und der Lebensart ziehen sie die Gesellschaf ten, den Müßiggang und die Polale vor. Indessen gefällt mir ihre Fröm migkeit und Religion, in der sie an dächtig Und eifrig sind. Sie gehen fleißig in die Kirche, feiern die Feste der Heiligen mit Ehrfurcht, halten die Fasten strenge und sind in der Reli gion um sc viel eifriger, da bekannt ist, daß sie unter allen Völkern die letzten gewesen, die den christlichen Glauben angenommen haben. Die Ausfchweifung im Trinken wird von ihnen nicht für ein Laster gehalten, doch gibt es auch viele, die sich dessen enthalten, und nur die Einwanderer aus Franken und Schwaben, wie ich oft bemerkt habe, sind mehr dein Trunle ergeben, als die Lande-sein nohner.« » -f-——-- , Das Kiebitz-einfachen tu Nord deutschlemtk XI Wenn der Frühling ins Land zieht, dann finden sich in Norddeutschland-. aus sumpsig-seuchten Wiesen und tief-" gelegenen Aectern die ersten kostbaren ,,theuren« Gaben des Lenzes-: die Kies bitzeier, die der Großstädter nur in den mit Sägespähnen gefüllten Kist chen der geschmackvoll dekorirten« Schausenster besserer Delitateszhand lungen kennen lernt. Das Kiebitzeiers suchen selbst hat seine eigenartigen Reize. Die ersten dieser Frühlings boten, die sogenannten ,,Märztiebitze«, tressen bereits in der ersten Hälfte des Lenzmonats ein. Nach kurzer Paa rungszeit beginnen sie den Bau ihres einfachen Restes-: ein slaches Erdloch, ausgelegt mit Stroh- oder Grashal men. Ende März liegen schon vier birnensörmige Eier darin, die aus schmutzig - olivengriinem Grunde schwarze Punkte und Striche zeigen. ,,Märztiebitze« waren es auch, die all jährlich den »Getreuen von Jever« 101 Kiebitzeier als Geburtstagsges schent siir den Altreichstanzler liefer ten. Mit Frühlingsansang erscheint der Hauptschwarm der Kiebitze, deren Gelege in den ersten Apriltagen die üblichen vier Eier ausweist. Das Kie bitzeieriuchen ist äußerst schwierig, da das Männchen aus einem erhöhten Platze beständig Wache hält, wenn »sie« aus den Eiern sitzt. Naht der Brutstätte Gefahr, dann erhebt sich das beschopste Familienoberhaupt, warnend »tiwitt, tiwitt!« schreiend, in die Lust, und kaum wahrnehmbar sliegt das unbeobachtete Weibsten et wa 100 Meter von den Eiern fort. Mitunter stellt sich der alte Kiebitz lahm und läust am Boden eine kurze Strecke hin, um den Sammler zu täuschen und von der Brutstätte ab zulenlen. Die Kiebitznester sinden sich meist an den höher-gelegenen trockenen Stellen der seuchten Wiesen und aus - ten »tiefen« Weizen-, Klee- und Brachseldern-.