Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, June 05, 1908, Zweiter Theil, Image 9

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    Nebraska
ScaatssiisÄnzeiger und Jceroldx
Jahrgang 23. Grund Island, Rot-tm 5. Juni imm. mweiter Theiu Nummer 41 .
Einsame Seelen.
Von Adelheid Stier.
Seltsam sehnende Augen
Mitten im Menschengewiith
Das sind die einsamen Seelen ’
Mit dem heimlichen Fremdlingsgesiihi. ;
Sie kommen aus weiten Fernen
Und wissen nicht woher.
Sie sehnen sich nach den Sternen
Und tragen am Leben so schwer.
Der Welt verworrene Weisen,
Die lauten, umklingen sie,
Doch lauschen sie still der leisen,
Inneren Melodie.
—-·.—--—
Vrei Begegnungen.
l
l
l
Novellette don B. Rittweger.
Dr. Erich Lindner ist noch Jungge
selle trotz seiner sünsunddreißig Jahre
und seiner glänzenden Praxis und
trotz seiner Neigung zum Familienle
ben. Er bedauert es lebhaft, daß er
keine Frau hat, aber er weiss nicht, wie
er zu einer kommen soll. Er weiß es
wahrhaftig nicht, und das macht ihn
bisweilen förmlich unwirsch. Nicht.
daß es ihm an »Gelegenbeit zu Da
menbelanntschaften« gefehlt hätte, wie
es in Heirathsgesuchen so schön ausge
drückt zu werden pflegt. Jm Gegen
theil, man riß sich um ihn in feinem
Kreise. Er hätte jeden Abend in einer
anderen töchtergesegneten Familie den
Liebenswiirdigen spielen, hätte im
Winter tanzen und schlittschuhlaufen.
im Sommer Tennis spielen und ra
deln tönnen -— an freundlichen Aus
sorderungen dazu fehlte es wahrlich
nicht. Aber Dr. Erich Lindner hatte
zu solchen Amiisements leine Zeit und
reine Lust. Unter· all den jungen
Dämchen hätte er wohl auch kaum sein
Jdeal gesunden: das schlichte, ernst
haste Wesen, das bereit gewesen wäre,
auf diese Vergnügungen klaglos zu
verzichten, um an seiner Seite ein Le
ben voll Aufopferung siir die leidende
Menschheit zu führen. Denn, daß
seine Frau thatkräftigsien Antheil
nehmen mußte an dem, was die
Hauptsache in seinem Dasein war, an
seinem schweren und doch so herrlichen
Beruf, das stand bei ihm fest. Und
dafz sich das nich vertragen würde mit
lebhafter Geselligkeit. mit den Zer
streuungen, wie sie gerade dem Theile
der jungen Damenwelt, mit dem ihn
seine soziale Stellung in Verbindung
bringt, Bedürfnis ist« das scheint ihm
gleichfalls sicher. Das ist seine An
sicht, und so würde er wohl niemals
zu einer Frau kommen, sondern sich
mit der alten Dörte begnügen müssen,
die schon seiner verstorbenen Mutter
gedient hat, die seinen haushalt im
stande hielt und Süppchen siir seine
ärmsten Patienten kochte. aber schrei
end diimlich sich zeigte, wenn’s galt,
bei irgend einer kleinen Operation
Handreichung zu thun. Für »ihren«
Doktor sorgt sie allerdings musterhaft
in leiblicher Beziehung, trotzdem sehnt
sich Dr. Erich Lindner aber doch oft
nach einer jungen Gefährtin, einer
verständniszvollen Gehilsin, einer
Seele, mit der er alles theilen könnte.
Auch eben jetzt, als er durch den
weiten Park schreitet, rasch, tote einer.
der nicht viel Zeit hat« überdenkt er die
wichtige Frage mit leisem Seufzer.
Kinder laufen ihm vor die Füße
und stören seine Betrachtungen Jn
seiner Nähe ertönt lautes Weinen —
zwei elegant gekleidete Jungen bear
beiten ein ärmlich aussehendes kleines
Mädchen, das aus Versehen in den
zum Spiel gezogenen Kreis getreten
ist, mit den Fäusten und schimpsen
dabei aus Leibestriiften. Ehe Dr.
Lindner die Sachlage recht erfaßt hat,
eilt ein junges Mädchen in schlichtem
Anzug herbei, gibt jedem der Buben
einen kräftigen Stoß und beugt sich
dann liebevoll zu der kleinen Proleta
rierin nieder, ihr tröstend zusprechend.
Die Helferin ist offenbar Kinderfriius
lein, denn zwei weißgeileidete entzü
ckende Püppchen mit wallenden blon
den Haaren laufen ihr nach und das
größere ruft: »Iriiulein lassen Sie
doch das schmufige Ding laufen und
erzählen Sie uns die Geschichte weiter.
Es ist« sa nur ein Mlmiidchen.«
»Pfui, Glie. schäme Dicht Wie kannst
Du so häßlich redeni Als ob das
Kleid den Menschen machte! Wer
weiss« ob das arme Ding nicht ein viel
besseres Mnd ist als Du.« Dr. Lind
ner hbrt die empörten Worte des jun
gen Mädchens und lächelt zufrieden
vor sich hin. Das geschieht alles mit
so viel natürli r Unmuth, so voll
Gitte, daß das iibsche Bild den Arzt
noch lange begleitet. Und als er das
tleine Erlebnis sast vergessen hat, da
sorgt ein Zufall, daß es ihm wieder
in Erinnerung kommt. An einem
Sonntagmorgen, als die Glocken zum
Frühgottesdienst läuten, hat Dr.
Lindner schon vor seiner Sprechstunde
einen dringenden Besuch zu machen, in
einem Haus gerade gegenüber der Lu
therlirche. Als er aus feinem Koupe
springt, fällt seinBlick auf eine alte
Frau in selsamer, einer längst ver-«
gangenen Mode angehöriger Kleidung.
Sie humpelt an einem Stock, in der
anderen Hand hält sie das Gesang
buch und eine Tasche —- es wird ihr
sichtlich fchwer, sich bei dem heftigenJ
Wind fortzubewegen. Am Portal der »
Kirche steht sie hilflos, ängstlich dies
paar Stufen messend. Das Gesang-:
buch entfällt ihrer Hand, als sie ihren »
langen Rock aufnehmen will. Ein paar i
Gassenbuben stehen grinfend dabei
und weiden sich an der Verlegenheit!
der lomischen alten Frau. Aber schon ;
ist hilfe nahe. Ein weibliches Wesen’
mit einem Körbchen am Arm tritt zu j
der Alten« hebt ihr das Buch auf,!
führt sie sorgsam die paar Stufenl
hinan und öffnet die Kirchenthiire, sie !
so lange haltend, bis die unbehilfliche ’
Person eingetreten ist. Dann geht sie
ihres Weges weiter, dem Arzt, derk
immer noch neben seinem Wagen fteht,l
einen Augenblick ihr Antlitz voll zu-:
wendend. Der zuckt erstaunt zusam-l
men -----es ist das junge Mädchen, das»
sich vor Wochen im Pakt des mißhan
delten Kindes angenommen hatte. ;
Dr. Erich Lindner geht in der nächs !
ften Zeit auffallend oft durch den’
Parl, wenn feine Zeit eo irgend ge
stattet. und ebenso oft macht er sich in
ausnah- dek Luthkkikche zu Winkel
Doch has ek kein Gute-· Nicht einmal!
wieder trifft er seine junge Bekannte»
an die er fortwährend denien tnitß.l
ifs macht ibn ganz ärgerlich, das; er
die Erinnerung nicht los werden lann
nnd den Wunsch nach einem Wieder
sehen. JedesmaL wenn er vergeblich
denPari durchauert und alle Kinder
färuleins aufmerksam gemuftert hat,
iiiiklt er eine neue Enttäuschung. Au
letzt zwingt er sich gewaltsam, den;
Pakt eu meiden, und gar nicht mehrs
an das Mädchen zu denken. Es ist ja(
auch zu lächerlich! Gewiß hätte ihn
eine dritte Begegnung aus allen sei
nen Himmeln gerissen. Vielleicht hätte
er die hiische Kleine an der Seite
eines verliebten Jünglinge-« getroffen.
Hundertmal hatte er schon solche
Fräuleins beobachtet, wie sie mit
glühenden Wanaen der Unterhaltung
eines Soldaten lauschend, kaum Acht
hatten auf ihre Pslegebefohlenencdn
Lindner hat keine allzuhohe Meinung
von der weiblichen Tugend. Zuviel
Oberflächlichkeit und Leichtsinn sind
ihm schon in seinem Leben, in feiner
Praris entgegengetreten Da ist er
zum Zweisler geworden, und es reizt
ihn, daß ihm die zierliche Geftalt des
ihm doch ganz fremden Mädchens inii
mer vor Augen schwebt.
Die Mittagsfprechstunde ist auch
heute, wie freilich in der Regel, start
besucht. Im Wartezimmer sind alle
Ziiihle besetzt von harrenden Patien
ten. Streng der Reihe nach tritt einer
nach dem andern in das Sprechziins
mer ein. Eine ärmlich aussehende
Frau mit einem leife wimmernden
Kind aus dem Arm blickt oft nach der
an der Wand hängenden llhr und
seufzt, wenn wieder sünf Minuten
herum sind. Jch muß um drei wieder
am Wafchen sein« sonst gibts Krach
mit der gnädigen Frau. Sie hat mir
nur ungern eine Stunde Urlaub gege
ben —— ach Gott, und eS dauert so
lange!'« So klagt sie einem neben ihr
sisenden Arbeiter, der den Arm in
der Binde trägt. Wieder öffnet sich
die Thür. »Wer ist an der Reihe-—
bitte fchnell.« Das duntle Auge des
Arztes über-fliegt die Wartenden. Ein
junges Mädchen tritt vor und spricht
fcbiichternx »Ach bitte, Herr Dottor,
wenn Sie statt meiner die Frau dort
erst nehmen wollten —- ich tann war
ten, ich habe Zeit.« Doktor Lindner
steht einen Augenblick ganz safsungs
los: das ist sie sa, die er so lange ver
geblich gesucht hatt Aber jetzt heißt's,
sich zufammennehmen... »Schön, wie
Sie wollen.« Er winkt der Frau mit
dem Kind in’s Wartezimmer und
spricht freundlich zu dem jungen
Mädchen: »Da Sie feine Eile haben,
bitte ich Sie, sich bis zuleht zu gedul
den. Es handelt sich höchstens noch
um eine Viertelstunde.«
»Gem, Herr Doktor.« Suse Hart
mann versteht zwar den Wunsch des
Arztes nicht, aber das kommt ja nicht
in Betracht. Wenn sie nur überhaupt
ihren Zweck erreicht! Endlich ist der
lehte Patient entlassen, und Dr. Lind
ner fordert das junge Mädchen zum
Eintreten aus. «Womit sann ich Ih
nen dienen —Sie sehen gar nicht aus
alsoob Sie ärztlichen Rath brauch
ten e«
»Um mich handelt es sich nicht, Herr
Doktor-, sondern um ein armes ge
kähmtes Mädchen in unserem Hinter
,
hause. Das bedauernswertbeGeschöpf
leidet so furchtbar, und dieMiitter ist
»todt, der Vater ein Trinker. Er ist
s nicht zu bewegen, einen Arzt zu holen.
Ich bin in Stellung im Vorderhaus
» beim Regierungsratb Schnell, und ich
tann’s nicht mehr mit ansehen, wie
sich die Anna quält. Möglicherweise
könnten ihr doch die Schmerzen etwas
gelindert werden. Wenn Sie die
große Güte hätten, Herr Doktor, ’mal
nach der Armen zu sehen ——«
»Selstverst·cindlich, liebes Fräulein.
Ich muß doch meinem Ruf Ehre ma
chen als »Kleineleutedottor«. Aber«
nun möchte ich erst wissen, wie es zu
geht, daß Sie so viel Zeit haben, da·
Sie doch in Stellung sind. Sie äußre-I
ten vorhin, Sie hätten leine Eile.« ;
»O, sonst wohl, aber heute nicht."
heute ist mein Ausgehtaa. Ich hätte"1
bis zum Abend gewartet, wen-US nö-i
thig gewesen wäre. Freilich, fiir dies
Anna freut’s mich, daß es nicht so"
lange dauert. Sie ist immer glücklich,
wenn ich ein paar Stunden bei ihr
sitze an meinen freien Nachmittagen.«
»Das ist aber sehr lieb von IhnenJ
Ihre Erholungszeit einer Kran en zu
opfern.«
»D, von Opfer ist da keine Rede.
Es ist ia gerade Erholung. etwas
thun. was man mag, nicht, was man
muß. Bei der Anna bin ich Mensch,
nicht »Fräulein«'. Obgleich, ich will
ja nicht klagen. Es geht mir ganz gut
bei meiner Herrschaft. Wie es einem
eben gehen kann, »ohne Familienan-’
schluß«. Aber das-half ich ja gewußt,
als ich die Stelle annahm, daß ich.
nicht zur Familie gerechnet werden
würde.« Es tlingt so resignirt, wie
sie das sagt, daß dem Arzt ganz son
derbar um’s Herz wird. »Wie konn:
ten Sie aber eine solche Stelle anneh
men, Kind, wie konnten Ihre Eltern
das zugeben?" »Ich habe teine Eltern
mehr. Und mein Vormund meinte.
ein armes Mädchen dürfe nicht wäky
lerisch sein. Es sei Zeit, daß ich ihm
von der Tasche ·täme—— es ist ein ents
fernter Verwandten ich hab’ nach Vag
ters Tod in seinem Hause gelebt unt
mich zur Stütze ausgebildet. Gro »
Ansprüche tann ich nicht m«act«en,,ohn i
höhere Bildung«. « i
»Was verstehen Sie unter höherer;
Bildung?" s
»Nun, fremde Sprachen fertig spre
chen, Musit treiben, malen, oder wenn
man das LehrerinnenÆramen ge
macht hat. Mein Vater hätte wohl
dafür aesorgt, er ließ mich die Töch
terschule besuchen --—eH war sein höch
ster Wunsch. seine Kinder etwas Tiich
ttges lernen zu lassen . Als ich vier
zehn Jahre alt war, starb er. Ta
was-I aus mit dem Lernen und mit
den Plänen. Meine Brüder kamen
in die Lehre. ich W nun, ich wuroe
eben »Fräulein'«. Nun will ich aber
Ihre Zeit nicht länger in Anspruch
nehmen« Herr Doktor. Vielen Dant,
daß Sie meine Bitte erfüllen wollen«
»Das ist selbstverständlich Die
Adresse?«
»Steinstrasie 28, Hinterhassk, drei
Treppen, Maurer Hatnmer.«
»Schön. Ich werde morgen gleich
- oder, noch besser, Fräulein
FIHUILM — jä. Ihren Namen wiisz
ich doch nun auch aern --
»Suse Hartmann.«
»Also, Fräulein Harimaan am
besten ist's, ich komme gleich mit. Wir
nehmen den Weg durch den Pakt uno
an der Luthertirche vorüber -—-«
»Aber das ist doch ein großer Um
weg —«
»Schadet nichts. Jm GeaentlteiL
Es handelt sich ja nicht um einen stu
ten Fall, und eg ist heute so herrlicher
Wetter. Sie haben ja Zeit und ich —
nun ich nehme mir welche. Sie sollen
nicht Jhren ganzen freien Nachmittag
am Kranicnbett sitzen. Das tann ich
als Arzt nicht zugeben. Und Sie
dürfen unbesorgt mit mir gehen,
Kind, wir sind sa schon alte Be
tannte.«
Und dann schreitet Suse Hartmenn
an des Arztes Seite durch den strart
im eifrigen Gespräch. und nachdem sie
lange die oerschlungenen Wege durch
kreuzt haben, führt Dr.Lindner seine
Begleiterin am Kinderspielplatz vor
über und da erzählt er ihr die erste
Geschichte und an der Luthettirche die
zweite, und Suse hört mit gesenktem
Köpfchen und ergliihenden Wangen
zu, und als die zwei Menschen am
hause Steinstraße achtundvierzig an
gekommen sind, da hat das »Mein-kein
ohne Familienanschlusz« eine Heimath
gefunden, und Dr. Erich Lindner
segnet die dritte Begegnung. Nun· ist
die schwierige Frage, wie er zueiner
Frau kommen soll, endgtltig gelöst.
· main-.
dans (mit seinem Vater im Ge
birge): Papa, dieser Berg ist wohl
schon recht alt?
Vater: Weiß nicht. Wieso meinst
du dac? »
Don-: Weil sein haupt so kahl ist.
«- ·
f ein-Flaschka krauses-ais bös-r —
I Von Fürst S. R. G.
In Rußland ist es Tradition, daß
der Herrscher über die Vorgänge in
’seinem Reiche nichts erfahren darf;
das geschieht, um ihm jeden Aerger zu
ersparen... Am Hofe denkt niemand
anders darüber, und die Bureaukratie
macht daraus direkt ein Gesetz.
Großsürstem Minister, Führer von
Heer und Flotte, Gouverneure und
Polizeichefs berichten ohne Ausnahme
dem Kaiser nur das, was ihm zu hö
ren anaenehm und vor allen — ihnen
selbst vortheilhast sein kann. Wenn
man ihnen Glauben schenken dürfte, ist
sliußland das bestreaierte Land, sein
Heer das am meisten gefürchtete, die
Vlnlkssmassen find die gliicklichsten.
Wenn der Zar auf Reisen ist, so sorgt
man dafür, ihm als Bauern - Dedu
tationen aut genährte, große, starke,.
sauber qekleidete und wohlgepslegte
Menschen vorzustellen Mit freudiger
Miene bieten sie ihm das traditionelle»
Brot und Salz dar —- aus kunstvoll:
verzierten Schüsseln mit schön gestick-l
ten Servietten bedeckt. Diese Bauern
briillen enthuscastisch Hurrah und ru-«
ien ihr dankbares Vivat dem vielge
liebten Väterchen zu. Es ist wahr,
von Zeit zu Zeit stött ein Mißton die
se idyllischen Kundgebungem Bald
spricht die Presse von einer Hungers
noth, die die Zahl der angelich so sat
tenUnterthanen verringert. Bald bricht
einSkandal in der hohen Verwaltung
aug, eine Diebstahlö-, Erpressungs
oder Unterschlagunxssassärr. Oder
ein politischer Mord geschieht, dem
ein Sensationsprozesz folgt, von dem
man selbst im Auslande spricht.
Was jetzt folgt, scheint aus dem
Reiche der Phantasie zu stammen, ist
aber viillig authentisch.
Not etwa zehn Jahren lebte in Pe- -
iersbura ein kleiner Beamter, nicht
mehr ganz jung, denn er hatte damals
schon graues Haar. Er war ein sehr
bescheidenen uneigennütziger und we:
nia bekannter Mensch und hatte einen
echt russischen und echt —- vulaiiren
Namen, er hies-. nämlich Klopoff. Aber
dieser Mann hatte das Zeug zu einem
Marquis Posa. Klopoff faßte den
ungewöhnlichen und naiven Plan
den Leiden seiner Landsleute lebilses
zu schaffen, die er wie eigene fühlte. s
Als echter ttinsse, der feinem Kaiser
aufrichtig ergeben mar, hatte er die
lleberzeuguncL dafz alles Unheil Ruf-,
lands daher ruhte, daß der Zar nicht
die Wahrheit erfuhr, und hielt es- fiir
seine Pflicht, sie ihm riiclhaltslos zu
entschleiern.
Wie sollte er es aber anstellen, um
bis zum Kaiser zu gelangen, ohne
Rang und Titel, und dazu noch mit
einem iibeltlingenden Namen behaftet?
Klopoff schral aber vor den Schwierig
keiten nicht zuriiau Zuerst fand er ein
Mittel, um eine Audienz bei den;
Großfiirsten Alexander Michaelo
mitsch, dem Vetter nnd Schwager des
Kaiserg, durchzusehen Dieser fand
an ilnn Gefallen und versprach seinen
Beistand, da ihn die Aufrichtigkeit dec
Mannes und die Größe seines Planes
gefangen nahm. Aber mehr als ein
Jahr verstrich, bis Klopoff dem Kai
ser voraestellt wurde. Die Begegnung
fand endlich statt — ganz im geheimen·
Der Zar, der lernen wollte, und Klo«
poss, der ihn aufzuklären wünschte,
verstanden einander ausgezeichnet Der
moderne Marquis Posa entwars ein
Bild von den schweren Sünden, unter
denen Rußland leidet. Von seiner
Begeisterung hingerissen, fügte er hin
zu« das; das Heilmittel in der Hand
des Kaisers liege. Er allein könne
seinem unermeßlich großen Reiche den
Frieden wiedergeben, dem Strome der
Revolution Halt gebieten, seinen Un
terthanen wirthschastliches Gedeihen
schaffen, die llnzusriedencn beruhigen
und die traditionelle Liebe zum Hause
Romanons durch weise und glückliche
Reformen wecken und erhalten. Unter
diesen Reformen stand die Prefzsreiheit
obenan; vie Presse miißte die Lügen
und die Tyrannei der Beamten aller
Rangllassen zunichte machen. Wenn
die Zeitungen frei würden reden dür
fen, wurde der Zar altes erfahren!
Das war Kloposfg Plan.
Um diese Zeit wüthete unter den
Bauern Mittelrußlands eineHungers
noth. Der Kaiser wußte nichts da
von. Klopoff entwars ihm von die
sem Zustande in Centralrußland ein
Bild.
»Soviel Lügen, großer Gott!'« rief
der Zar aus. »Wohin soll das füh
rent«
Da faßte Nikolaus Il. einen gehei
men, aber festen Entschluß. Er ent
sandte Klopofs in die Provinz mit dem
Auftrage, sich mit den ihm gleichge
sinnten Kreisen in Verbindung zu set
zen. Er sollte die Gesinnung der Leu
te, die Bedürfnisse des Landes und be
sonders dieRothlage der Landbevölte
rung studiren. Bei seiner Rückkehr
sollte er dann dem Kaiser schriftlichen
Bericht erstatten·
»Mit diesem Dolument,« dachte der
Kaiser, ,,werde ich alle Lügengetvebe
der Minister und Gouverneure zerrei
ßen.«
,,Aber,« befahl erKlopoff, als er ihn
verabschiedete ,,Niemand darf wissen,
daß Sie von mir kommen. Das bleibt
ein Geheimnisz zwischen uns. Sonst
könnte es uns beide gereuen,« fügte er
mit seinem gutmüthigen Lächeln hin
zu.
Klopoff verließ mit dem geheimen
Befehl des Zaren Petersburg zu einer
weiten Reise. Ueberall, wo er sich
aufhielt, schuf er ganz im stillen Co
mites die aus ernsten Männern und
aufrichtigen Patrioten bestanden, die
von dem großen Gedanken, an der Re
formation ihres Vaterlandes mitzuar
beiten, begeistert waren. Jch konnte
mich über die Art seiner Schritte durch
einMitglied dieser Comites genau in
formiren. Der, dem ich diese Einzel
heiten verdanke, ist lein anderer als
Sergius Tolstoi,der Sohn des bekann
ten Schriftstellers. Man hielt Ver
sammlungen ab, distutirte, entwarf
Statistiken protollirte schreiende
Mißbräuche in der Verwaltung und
faßte sehr gemäßigte, aber kluge, nütz
liche und äußerst nothwendige Be
schliisse.
Als er seine Aufgabe beendet hatte-,
lehrte Klopoff nach Peteröburg zurück,
erhielt eine neue Audienz beim Zaren
und überreichte ihm seinen Bericht.
Jetzt hieß es handeln.
Aber der oberste Herr im Lande,
dem man eine absolute Macht und un-«
begrenzte Rechte gewährt, der nur zu
wollen braucht, damit sein Wille in
Erfüllung geht, der Zar und sein un-?
eigenniitziger Mitarbeiter hatten die:
Rechnung ohne —— die GeheinvPolizeiT
gemacht. Nicht nur die Leute mit um
siiirzlerischen Jdeen werden in Nuß
land aussvionirt und Schritt für
Schritt verfolgt. Der Kaiser und die
die sich ihm nahen, werden noch mehr
als andere mit den Fangstricken der
politischen Polizei umsponnen. Jn
dem Augenblick, wo der Zar, Groß
fiirft Alexander Michaelowitsch undI
Kloposs glaubten, die alleinigen Hüte:4
des Geheimnisses zu sein, wußten schon
die Polizei und durch sie alle die ein
Interesse daran haben konnten, davon.
Und alle schworen es sich zu. die Ein
dringlinge zu vernichten und ihr Wert
ans immer zu vereiteln.
Man erreichte das aus die einfachstel
Weise. Um diese Zeit kehrte der Ge
neral:-Adjutant des Zaren von einer
Reise nach seinen Gütern zurück. Der
Kaiser, der wußte, daß jener mit dem
Minister des Jnnern auf sehr schlech
tem Fuße stand, befahl ihn zu sich und
fragte ihn in unaussälliger Weise nach
Der Hungersnoth von der Klopofs in
seinem Bericht gesprochen hatte, der
genau die am schwersten heimgesuchten
Orte aufzählte. Dazu gehörte auch
das Gouvernement Tula. Und der
Gouverneur dieser Provinz war, wie
der Zar ebenfalls wußte, ein Freund
des Adjutanten.
Aber der General Cheremetieff, der
iider Klopoffs Mission unterrichtet
war, antwortete einfach:
»Nein, in Tula gibt es keine Hun
gersnoth Jch tomme ja daher. Auf
dem Bahnhos sah ich meinen Freund
Urusofs. Er hätte sicher darüber mit
mir gesprochen. Aber imGegentheil, er
versicherte mir, daß dort alles in Ord
nung sei.«
Klopoffs Erzählungen waren also
Lügen. Armee Marquis Posa! . . . .
Dann kamen Klagen von allen Seiten.
Ein gewisser Klopoff, hie-f; eg, reist
durch ganz Rußland, behauptet, vom
Zaren entsandt zu sein, mischt sich in
Dinge, die ihn nichts angehen, sät um
stiirzlerischeBewegungen, erweckt schäd
liche Hoffnungen .....
Und Klopoff wurde vom Kaiser fal
len gelassen .....
.,Wem soll ich in Zukunft Glauben
schenken«, dachte der Zar
So schlug der Wunsch Nikolaus kl.
fehl, sich direkt zu informiren, außer-:
halb des gewöhnlichen Fahrwassers der
,,Tschinowniks.« Da er Niemand trau
en kann, schwankt Nikolaus Il. zwi
schen dem Mystizismus der Religion
und dem eines Philipp von Lyon hin
und her.
»Ich bin ein konstitutioneller Herr
scher,«« sagte der Zar am Tage nach der
Auslösung der ersten Duma zu den
Schmeichlern, die von einer Restaura
tion sprachen. Soviel ist sicher: Von
der qesammten ofsiziellen Welt in
Rußland wünschen nur der Zar und
sein Premier-Mtnister dem neuen
Regirne wirklich Erfolg.
Eine sonderbare Quelle
giebt auf der Erde Seen, die abwech
selnd süßes und salziges Wasser ent
halten, und darin steckt kein beson
deres Naturwunder. Als Beispiel
läßt sich der Tschilka-See in Jndien
nennen, der in Verbindung mit dem
Meere steht, aber zur Sommerszeit
vom Lande her so ungeheure Wasser
mengen von den angeschwollenen
Flüssen empfängt, daß sein eigenes
Wasser fast völlig ausgesiißt wird.
Eine Quelle aber, die süßes und sal
ziges Wasser nicht nur nacheinander,
sondern gleichzeitig abgiebt, ist wohl
als eine einzigartige Merkwürdigkeit
zu bezeichnen, und man würde an die
Möglichkeit, zumal sich eine solche
Quelle in Amerika befinden soll, viel
»leicht gar nicht glauben, wenn ihre
sEntdeckung nicht von einem Mit
gliede der Geologischen Landesunter
suchung der Vereinigten Staaten,
also einer Anstalt von einwandsreier
wissenschaftlicher Bedeutung, stammte.
Einer der Geologen dieser Anstalt
stellte bei Gelegenheit von Untersu
chungen über die Grundwasserver
hältnisse im Staate Ohio, in der
Nachbarschaft des Ortes New But-m
ington, eine Quelle fest, die gleichzei
tiq süßes Wasser und Salzwasser
führt. Die Quelle wird von zwei
Brunnen angezapft, die dicht neben
einander stehen, von denen aber einer
ein ausgezeichnetes Trinkwasser lie
fert, während das Wasser des ande
ren mit verschiedenen Mineralsalzen
so stark beladen ist, daß es fast die
Eigenschaft einer Salzsole besitzt,
übrigens auch von« Aerzten als werth
voll für die Behandlung gewisser
Krankheiten empfohlen worden ist.
Als dieser Brunnen zuerst gegraben
wurde, erregte er unter der Bevölke
rung der Gegend großes Aufsehen,
und die Leute kamen in Schaaren zu
sammen, um sich von der sonderbaren
Beschaffenheit des Wassers zu über
zeugen. Die Erklärung des Räthsels
liegt in der Thatsache, daß der Brun
nen, so unmöglich es erscheinen mag,
doch von verschiedenen Wasseradern
gespeist wird, die durch eine Kalk
schicht von einander getrennt sind,
und zwar liegen die biiden Wasser
adern über einander. Die Röhre der
Trinkwasserpumpe ist nur 5 Meter
lang, während die der Salzwasser
pnmpe über 10 Meter in die Tiefe
reicht. Da das Salzwasser schwerer
ist, als das Süßwasser, vermischt es
sich mit diesem nicht, sondern bleibt
auf dem Boden des Brunnens.
Wiss-ironisch
Eine Anetdote, die auch wahr fein
kann, » wird in Moskau von L. N
Tolstoi erzählt. In das Haus des
Grafen in Chaniowniki kommt ein
Holzhandler. Das Bäuetlein sieht
einen alten Mann im Bauernhalbpelz
im Holzfchuppen des Hauses Brenn
holz backen und sägen und wendet
sich an ihn mit der Frage: »Nun,
Großvaterchen, sag’ mir mal, hat der
Graf nicht Brennholz nöthig? —,,Jch
weiß es nicht,« Jntwortet in sanftem
Tone der alte Mann, ,,geh’ insHaus
und frage dort nach!«—Der Händ
ler geht ins W«ohnhaus, wo ihn ein
Latai imVorzimmer empfängt.«Was
willst Du?« fragt ihn der Diener
Der Holzhändler verneigt sich tief und
fragt: »Brauchen Eure Durchlaucht
vielleicht Brennholz?« — »Ich weiß
nicht,« anttoortet der Lalai, ,,frage
doch den Grafen.« ——- ,,Wo ist denn
der Graf?« — »Er ist im Schuppen
und sägt Holz!« —- Der Holzhändler
geht schweigend und kopfschüttelnd
hinan-Z, blickt argwöhnisch im Vorbei
gehen m den Schuppen und wendet
sich dann an seine draußen stehenden
Kameraden: »Nein, hier ist etwas
nicht richtig! Man kann hier viel
leicht nur sein Geld verlieren! Lieber
läßt man sich mit den Leuten nicht
int«
e ——--—-«———
Von l bis m.
Eine Elliarinezeitung aus demJahke
1R4R, die allerdings ihr Leben nur
kurze Zeit fristen konnte. brachte un
ter obigem Titel folgendes den Geist
jener Zeit lennzeichnende Gedicht:
An Deutschlands bald’gei lheit
Da 2fle ich noch sehr.
Jct jebe keenen Zer
4 diese Hoffnung her.
5 Nationalitxiten
Sind, wo 6 Deutsche stehn,
Die alle abzu7,
Gebt 8, det wird nich jehn:
Viel sind dem 9 noch ab·hold,
Vom Scheitel bis zum 1().
Kindliche Nin-ht.
»Du, Mama, die Kuh da« auf der
Weide schaut aber finster drein, das -
ist gewiß die, welche die sa u r eMilch .
gibt!«