Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, May 08, 1908, Sweiter Theil., Image 9

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    Nebraska
Wö«
Jahrgang 26.
Gkand Island, Nebr» EI. Mai IMM. (Zweiter TheZlJ
Nummer 37.
—
Unser Chan.
Willst du erst bei jeder That,
Was sie nützt, bedenken,
Wirst du nimmer edle Saat
In dein Leben senten.
Nicht um Lohn — aus wasrmer
Brust
Sollst du sein und schaffen
Und der Menschen Tabelluft
Mit Verachtung strafen.
Doch die Einsamkeit ist fchö n,
Wenn sie uns ds» Sollen
Zu versöhnen le ri verstehn
Mit dem eig'nen Wollen.
Leitei hö rn Geistes Licht
Unser T un u d Lassen,
Fehlen Freuden liithen nicht,
Auch auf öden Straßen
Fräulein
Stizze von Bettn,-Rittweger.
»Er-ten Morgen. Fräuleins«
»Guten Morgen, Herr Kreis
nmnn.« « ,
»Schsnes Wetter beutel«
»Ihr schönes-»Beste«
» meine, sie hätten da schon
Beilchen.« -
»Ja, die ersten. Für die gnädige
Frau.«
»Es gebt ihr doch gut?"
»Dan!e, ja. Sie hat sich schon wie
der ganz erholi.«
»Und das Kleine?«
» »O, das gedeiht prächtig. Es iit ein
reizendes Geschöpfchen-— dunlleHaare
bat’s, das ganze Köpfchen voll, und
große blaue Augen! Die Freude kön
nen Sie sich denken: nach den zwei
Buben nun endlich das langv ersehnte
Mädchen-« "
»Ja, fal« —- Herr Kreismanry der
Bureauborsteber des Rechtsanwalts
ckennt-r Moldenbauer, seufzt ein bis
n.
Das Fräulein sieht ibn sraaend an
und meinte »Ist-it Ihnen was, Herr
Kreismann?«
»Ach nein, nicht gerade, Fräulein
Und doch. vielleicht. Es ist nämlich«
-—- das blasse Gesicht des nicht mehr
jungen Mannes rötbete sieb—,,es ist
nämlich —der Herr Doktor bat mir
gestern gesagt, daß ich vom nächsten
Ersten ab Zulage betoxnme, eine ganz
bedeutende Zulage.«
»Aber deshalb brauchen Sie doch
nicht zu seufzen, Here Kreisnrann
Freuen Sie sich doch-«
»Ja, ja, das thu’ ich mich. Wenn
gleich—— sehen Sie, Fräulein, siir mich
allein batt' ich bisher schon genug,
mehr als genug. Ich tonnt' mich so
gar in eine Lebensversicherung auf
nehmen lassen. Mit sünstausend
Mart. Wenn ich 60 bin, bekomme
ich die Summe ausgezahlt Und wenn
ich jung sterbe, ich meine, wenn ich
nicht so« alt werde. dann lonii meine
Frau doch schon etwas damit anfan
gen, nicht »wah«r?'« · «
Das Frautein lacnen ein wei.iq:
»Aber Sie haben ja, io viel ich weiß.
gar keine Frau, Herr Kreismonn.«
»Freilich nicht, Fräulein, nnd des
halb eben hab’ ich —- möcht’ ich ———"
der blasse Mann mit der etwas ge
beugten haltung aiebt sich einen ener«:
aiichen Ruck und fährt entschlossen
fort: »Nun und gut« Fräulein. ich
bin nur ein einfacher Mann, und Sie
sind viel zu iein iiit mich, ’ne Postp
rendTochter-——ich half damals all die
Meldunnen, die einlieien. durchsehen
müssen —- aber wenn Sie iich ent
ichließen könnten, meine Frau zu
werden, Fräulein —«
Die Anaerebete tritt unwillkürlich
einen Schritt zuriiet und- itainnielt:
»Ach, »Herr Kreismann—-— das kommt
so plößlickY ich hab' nie an io was
gedacht-ich weiß wirklich nicht ——«
»Bitte, Fräulein. antworten Sie
mir nicht gleich. Ueberlegen Sie sich
die Sache. Sagen Sie nicht sofort
nein. Ich-ich hab’ Sie schon lange
lieb, ich half Sie gleich von Anfang
an -—das sind fett zwei Jahre — und
nun die Anlage-—- Sie iollten’s gut
bei mir baden, Fräulein; bitte. sagen
Sie nicht gleich nein. oraen früh,
wenn ich aufs Burea gehe, dann
boiiis ich Sie wieder hier im Garten
zu finden, und dann geben Sie snir
Antwort. Und wenns nicht fein
« kann, io muß ist« verwinden.«
Mit Eisingen Schritten geht herr
streismonn dein Laus zu. Er ilt
durch einen Seitengang aetotnniem
der direkt in die Geichiiitiräiune
führt. »
Das ««Fräulein«. eine nicht mehr
ganz junge, ltiibs zierliche Blon
dine, steht eine le re un Dios,
dann schüttelt sie leicht den op? und
Beicht m Ich hin: Mtk ich nur so
. rt nein nein-at Ich tann ihn doch
nicht heirathen, lo ohne Liebe, den
guten. braven Menschenk«
« M aelit sie mit leichten Schrit
ten usn das Gebäude. herum und
tlopst am Eßzimmer an, wo die Herr
schast noch beim Frühstück sitzt. Die
Hausfrau nictt dem Fräulein gütig
zu, und Dottor Moldenhauer bewe t
hinter seiner Zeitung grüßend dn
Kopf.
»Ich wollte mich nur erlundigen,
wie gnädige Frau geschlafen hat.
Und ich dachte, die ersten Veilchen aus
dem Garten würden gnädige Frau
Freude machen.«
»O, wie reizend! Ich danke auch
sehr, Fräulein! Die Nacht war gut.
Babn ist erst um 6 Uhr gekommen,
denten Sie! Und setzt schläft? schon
wieder, sagte eben Frau Witting
Waren die Buben artia?«
»Ja, gnädi e Frau, sehr artig. Sie
waren zeitig eiih beim Anziehen nnd
Fräbstüaem da konnt’ ich ihnen die
Aufgaben noch einmal überhören. Es
ging wie am Schnürchen.« »
»Schön, Fräulein. Ach, wissen Sie,
was? Wie könnten setzt die Abrech
nung von den letzten vierzehn Tagen
vornehmen, wenn Sie eben Zeit ha
ben. Du bist ia doch sertia, Her
mann, und Baby —«
Doktor Moldenbauer fällt, die Zei
tung beiseite legend, seiner Frau in’s
Wort: «Babn —— Babts —- Babyi ’s
wird Zeit. daß das Kind einen Namen
trieat. Es war mir lieb, Ellen, wenn
Du Dich entschließen könntest Ich
muß ihn doch bald anmelden.«
»Gott, Herniann, dräng’ doch nicht
so schrecklich! Wir haben noch volle
acht Tage Zeit. Es ist wirklich nicht
so leicht. Ein Name ist doch eine wich
tige-Sache Und gar bei einem Mäd
chen! Da giebt’s viel zu bedenken.
Hübfcki soll er sein, sinnig soll er sein,
und doch nicht zu hübsch und nicht zu
sinnia ———«
»Na. da tverd’ einer draus klug!
Das iit ja Unsinn. Ellen.«
»llnfknn? Das nicht. Denk nur.
wir nennten unser Baby Its-schen, und
es würde mal so ein recht blasses, un
icheinbareå Mädchen —- dann wär’
der Name die reine Jroniel Oder
Brnnhilde, und Babn bliebe llein und
zart? Oder Beatr, und unser Mädel
würde ein rechter-, toller Wildsang?«
»Hm, allerdings-, so ganz unrecht
hast Du nicht«
»Gehst Du! Die Sache will reiflichl
überleat sein. Bei unseren Buben, da
hatten wir keine Wahl, da war’s Fa
milienbeschluß, daß der Aelteste nach
Deinem. der Zweite nach meinem
Vater heissen müsse. Aber bei Baby
liegt dieZache anders. Deine Mut
ter beißt Adelgunde, meine Mutter
Melanie, na, so nennt man heutzu
tage natürlich tein Kind. Das ver
langen die Großmütter auch gar nicht«
Ja, und nun 4ierbreche ich mir den
Kons, um einen recht hübschen, wohl
tlinaenden und dabei nicht zu ansi
spruchsvollen Namen sür unsereToch
ter zu finden. Jch bin unablässig
damit beschäftigt, seit Babn das Licht
der Welt erblickt bat. Weißt Du,
Hermamn der Name, das ist doch
wirklich nichts Unbedentendes im
Leben eines Menschen. Hättest Du
zum Beispiel Friedmann oder Michel
geheißen, ich alaub’ nicht« baß ich
mich in Dich verliebt hättet« ;
,.Kindstops!« ;
»..-.. sen-.- tzzm IV est-km Apis-»I
,,..«-, »W. ...». ..,..
»Nein, wirklich, Eltern tönnen nicht
sorgsam genug bei der-Wahl der Na
men siir ihre Spräßlinge zu Werte
gehen. Der Name ist ia der sicherste
Besitz eines Menschen. Alles lann er
verlieren: Geld und Ehre, Gesundheit
und Glück —- der Name mus-, ihm
bleiben! Und beim Mädchen, da ist
der Rusname besonders wichtig. Den
andern vertauscht sie ja doch später
mit dem des Gatten, aber der Rus
nante bleibt ihr siir alle Zeit, er ver
bindet sich ganz mit ihrer Persönlich
teit. Wie einst die Mutter sie geru
sen, so rast sie später der Gatte. Du
weißt, Hermanm daß ich’s nicht ank
stehen sank-» wenn Du mich mit
»Frau« anredest. Ich hab’ dann stets
das Gefühl, als meintest Du gar nicht
mich, als meintest Du iraend eine
Frau, aber nicht Deine eigenste El
len.«
Kleine Schwärmerim Ereiiere
Dich doch nicht so. Du bist ia ganz
ausgeregtl Wir wollen die Debatte
sch (eßen. und Du sollst recht behalten.
lieberdies wolltest Du ja eben mit
Fräulein abnchnen.«
»Ach ia so. Fräulein ist noch ba.
Na, schadet nichts. Sie geben mir doch
sicher auch recht, Fräuleins Ein Name«
das ist ganz was Wichtiges, Großes!
Sie Mja —saaen »Sie mal —-—Sie
müssen doch auch einen haben. Wie
heißen Sie eigentlich mit Jhrem Rus
narnenli Ich hab’ wirklich keine Ak
nung mehr. Also wie haben Jhre El
tern Sie aenanntt«
»Johanna, gnädige Frau.«
»Ach. welch hübscher Name! Or
dentlich schade darum, daß man ihn
nicht braucht. Nur —..Iräulein« ist
so viel bequemer! Aber weißt Du
was. Hermanns Wir nennen unsere
Tochter Johanna-C O ja. Johanna
und abaeliith Mana. das klingt
wunderhitbscht Etnverstanben?«
»Gewiß Ellen. Jch find’ ihn auch
nett, den Namen, und so langeBaby
ganz tleinift, tönnen wird- Häuschen
nennen.«
Frau Ellen tlctschte in die-Hände:
»Ach richtig, Häuschen! Das ist rei
zend. Welches Glück, Fräulein, daß
Sie einen so hübschen Namen haben!
Auf Johanna wär’ ich sonst ganz
sicher nicht gekommen! So, nun wol
len wir die Rechnerei vornehmen.
Nein, wie froh ich bin, daß ich nicht
mehr die Qual der Wahl habe!'«
Fräulein ist gar nicht recht bei der
Sache. Sie addirt zweimal falsch.und
sie vergißt einen ganzen Tag bei der
Zusammenstellung Wäre die gnädige
Frau nicht fo beglückt über den
brachtigen Namen für ihr Töchter-tm
dann würde sie wohl ungeduldig
werden. aber so hat sie fiir diese Ver
sehen nur ein nachsichtiges Lächeln.
Fräulein erfüllt ihre Obiiegenhei
ten heute wie im Traum. Der Antrag
des Vureauvorftehers und das Ge
spräch iiber die Namen mischen sich in
ihr zu einem wunderlichen Durchein
ander. Jhr ist, als fei fie nur deshalb
10 oFahre — so lange ist sie schon
,,’sriiulein" — oft so herzenseinsam,
so unglücklich gewesen, weil Niemand
sie mehr bei ihrem Namen nannte, wie
es die Mutter, die Brüder gethan hat
ten. Die Mutter todt —- die Brüder
in Amerika, wo ein Vetter sich ihrer
angenommen hat, und sie —- Fräu
lein! Nicht mehr Johanna, nur Fräu
lein. Die Dienstmädchen, die behal
ten ihre Namen, den »Friiulein«
wird er genommen. Es ist be
auemer fo. Und nun ist da einer,
der sie lieb hat, siir den sie nicht
,,Fräulein« ist. Wie eine warme
Welle üiiberfluthet sie das Gefühl, daß »
in Zukunft wieder ein Mensch, der sies
lieb hat« sie Johanna nennen würde.
Der gute Mensch! Der nicht danach
fragt, daß sie ein armes Mädchen ist,
der sich zu gering für sie dünkt, weil
sie eine Pastorentochter ist. Ach, lie
ber Gott! Wenn er wüßte, wie sie
alle, die Mutter und die drei Brüder-,
gedarbt hatten, nach des Vaters fris;
hem Todes-wie sie nicht einmal eine
höhere Schule hatte besuchen können.
Nein, nein, zu gut ist sie nicht für den
einfachen Mann. Und das mit der
großen Liebe? Ach, wie sollte sie. das
..«’friiulein«, zu einer großen Liebe
kommen? Die ist ja auch wohl nicht
nothwendig zu einem stiåen Glück
Sie wird Ja sagen morgen früh, Und
dann muß er sie »liebe Johanna«
nennen. Und sie wird ihm ein treues
Weib sein; sie wird sein Heim schmuck
halten und sie werden zusammen
spazieren gehen am Sonntag undsie
wird wieder ein Mensch sein« nicht
nur ,,«fräulein«.
,,Du«, »Er«, »Ihr« und ,,5ie«.
Unter diesem Titel wird gewöhnlich
der Roman eines Liebespaars verstan
den; ich meine aber weiter nichts als
die deutschen Anredefiirwörter Er und
Sie, die an Stelle des einfachen Du
getreten find, das Erzen und das
Siezen.
Das Er hat sich in Deutschland
schon wieder überlebt. Friedrich der
Große nannte bekanntlich noch jeden
Menschen Er; aber schon der alte Dot
ter heim verbat sich das von der
Prinzefsin Ferdinand von Preußen,
als sie ihn zum Leibarzt haben woll
te. Es sei nicht mehr zeitgemäß; er
nenne nicht einmal seine Stiefelvutzer
Er. Ebenso braucht man das Sie im
Singular nur noch ausnahmsweise,
etwa einer Bauersfrau oder einer Be
diensteten gegenüber. Das Sie im
Plnral, verbunden mit dem Verbum
in der dritten Person des Plnrals5s, ist
heute noch Regel.
Wie tommt man dazu, einen Men
schen in der dritten Person und noch
dazu im Plural anzureden? Warum
rennen wir uns nicht Du?
Jin Anfange duzten sich alle Men
schen, wie dies das Natürlichste ist,
und wie das auch die Kinder thun.;
Das Du ist eben dazu da, den Wien-l
J schen anzureden Wenn ihrer mehrere ;
;s·:nd, so sagt man Jhr, wie der Her-T
szogregent von Mecllenburg, der im?
September 1900 die zu einer militä
rischen Uebung einberufnen Lehrer
ihrzte; oder wie der Gras Mirbach,
der Oberhofmeister der Kaiserin. der
am Z. November 1900 an die beim
Bau des Augustastiftes beschäftigten
Arbeiter eine Ansprache hielt und sie
dabei mit Jhr anredete. Patriarchali
sche Bölter brauchen diese ehrwürdigen
Pronomina noch heute, zum Beispiel
die Tiroler, die Walachen und die Po
len. Die schwedischen Daletarlier sind
dafiir bekannt, daß sie selbst den Kö
nia mit Du anreden —- wir nennen
alle Menschen Du, nur Dich nicht,
versicherte so ein alter Talterl Seine
E Maiestiit den König Ostar den Ersten.
IZum Kiinia sagen sie nämlich. tote
weiland Horaz zum Kaiser Augustus:
Deine Majestät.
Die Tiroler totettireni ein wenig
mit ihrem Du, besonders außerhalb
Tirolg; aber in den dortigen Dorf
sckulen wird selbst der Lehrer von den
Schülern Du genannt. Eines Tages
lrurde Jnspektion durch den Bischof
angesagt; damit die Kinder nicht etwa
auch diesen duzten, prägte ihnen der
Lehrer ein, daß sie: Eure bischöfliche
Gnaden zu sagen hätten. Als nun be
sagter Oberhirte einen Buben fragte:
Wie lautet das siebente Gebot? —
antwortete der Kleine: Eure bischöf
litt-e Gnaden sollen nicht stehlen! Das
erinnert daran, wie einmal der Kam
inerdiener des Königs Friedrich Wil
helm des Ersten, als er ihm den
Abendsegen vorlas, das Du durch Sie
ersetzen wollte. Er las: Der Herr
segne Sie und behüte Sie! —
Hundsfott,- lies richtig, schalt der Kö
nig, vor dem lieben Gott bin ich ein
Hundsfott wie Du! Auch einzelne
religiöse Se ten haben das Du zur
Uebung christlicher Einfachheit und
Brüderlichteit beibehalten oder viel
mehr wieder eingeführt So nament
lich die Quäler, die auch vor keinem
Menschen den Hut abnehmen. Sie
thun das, obgleich in England das
Wörtchen Thon zu den seltensten Aus
nahmen gehört. « «
Aber Europens übertiinchte Höflich
keit brachte nachgerade dieses- unter
schiedslosc, anbiedernde Duzen in
Verruf Mit der Zeit wird es so, daß
sich nur noch gesellschaftlich Gleich
stehende, sozusagen die Pairs unter
einander mit Du anreden. Alle
Monarchen duzen sich gegenseitig;
Kaiser Wilhelm redete nicht nur den
König Milan vor seiner Abdantung.
sondern auch den Fürsten Hohenlohe
in Briefen und Telegrammen mit Du
an. Er duzt neuerdings auch den
Reichskanzler Fürsten Bülow, und
wenn er sich im Kreise seiner Korb-Z
brüder, der Bonner Borussen befindet,
duzt er diese. Jm österreichisch
ungarischen Heere besteht die Sitte,
daß Offiziere, die ungefähr den
selben Rang bekleiden, einander
gleich bei der ersten Begegnung,
auch wenn sie sich nicht kennen, mit
dem vertraulichen Du anreden; diese
Gepflogenheit hat sich·auch das unga
rische Abgeordnetenhaus zu eigen ge
macht. Alle dessen Mitglieder reden
einander mit Du an, auch wenn der
eine Ministervräsident, der andre ein
bescheidner Advolat ist. Alle Schau
spieler duzen sich; die Mitglieder des
Deutschen und Oesterreichifchen Al
venvereins stehen auf Du und Du.
Bis zur Mitte des vorigen Jahrhun
derts redeten sich aus kleinen Universi
täten alle Studenten mit Du an, ob
Bekannte oder nicht. Was Wunder?
Sie waren Pairs.
Wenn dagegen ein tlnterschied be
stand, so hatte der geringe Mann den
gnädigen Herrn im Plural anzureden
und zu ihrzem dieser höfliche Plural
erscheint zuerst icn neunten Jahrhun
dert. Er sollte den großen Abstand
des Redenden von der geheiligten Per
son des Angeredeten martiren, die
gleichsam in der Mehrzahl vorhanden
war. Aus demselben Grunde sprachen
die römischen Kaiser seit Konstantin
dem Großen und danach die deutschen
Könige von sich im Plural, was man
den Majesiiitgplural nennt: Wir Lud
wig von Gottes Gnaden röinischer
Kaiser M. D. 15st:tf;). Der Unter-than
sagte clso zu seinem König Jhr und
gab ihm, wie eg der Jtaliener nennt,
dag l"»j, desgleichen sagte der Eng
länder Tun und der Franzose Var-k,
während der Herr dem Knechte gegen
über das Du beibehielt. Die Pairs
ihrzten sich gegenseitig, wenigstens so
lange der Höflichkeitstodex vorhielt.
Kaiser Friedrich Barbarossa ihrzte
den Papst Alexander; wenn er aber ge
lehrt der Papst das Jshr gebrauchte,
wenn er dem Kaiser schmeicheln wollte.
Das geschah im zwölften Jahrhundert.
Jn England und in Frankreich ließ
man es nun bei Vons Und You be
wenden; in Deutschland und in Ita
lien ging die Höflichkeit und die Un
terthäniqteit noch weiter. Hier tam
Ende des sechzehnten Jahrhunderts
eine neue Anrede aus, die die Kluft
szischen den beiden Personen noch er
weiterte: statt des Du erschien das
Er, oder, wenn man einer vornehmen
Frau gegenüberstand, das Sie« Also
die dritte Person Singularis, verbun
« den mit dem Verbum in der dritten
Person Sinaularis. Es ist tlar, daß
« diesePronomina dieTitel, zu den-en die
Pronomina die Titel, zu denen die
dritte Person einentlich gehört, und
die man nicht immer wiederholen will,
vert sten: das- Er vertritt ein respekt
volles: der Herr, das man ja heute
noch gern fiir die angeredete Person zu
sehen pflegt, indem man von ihr wie
von einer dritten Person spricht:
Wünscht der Herr noch etwai? Jst der
Herr Doktor schon in Wien gewesen?
Das Sie steht für die Gnädige Frau
oder die Madame. Man kann von sich
selbst in der dritten Person sprechen,
dann thut man es aber, ucn sich klein
zu machen, als armer Mann oder als
ergebenster Diener-; ein armer Mann
bittet um eine kleine Gabe, sagt der
Bettler. Es wird also mit Er und Sie
nur fortgefahren, nachdem ein Haupt
s wort vorausgegangen ist; diesesHaupt
wort wird wenigstens stillschweigend
; vorausgesetzt Jm Jtalienischen ist der
stehende Begriff, der sür jede Person
von Stande, Herr oder Dame, gesetzt
zu Werden pflegt, Lasignoria sua oder
vostrn, Jhre oder Eure Herrlichkeit,
woraus dann korrekterweise mit Blla
oder Lei, das heißt mit Sie fortgefah
ren wird: ias bei gilt in Italien siir
; vornehmer als das Vot, man gibt es
E sogar den Heiligen. Jn Spanien setzt
i man für die angeredete Person Usted,
» wörtlich: Eure Gnade (Vestra
; Niemde eine Vertretung durch Ell-r
» findet hier nicht statt.
; Er uno IDie gehorte arso ursprung
» lich durch us zum guten Ton, bis es
jin den le ten Jahrzehnten des sieb
- zehnten Jahrhunderts auskam, den
Menschen mit Sie im Plural anzure
den, was man am besten als Vertre
tung des sehr gewöhnlichen Plurals
Eueanaden auffaßt; natürlich mußte
auch das Verbum in Plural dazum
ten. Seitdem sank das Er oder das
Sie im Singular zu einer gering
schätzigen Bezeichnung und zu einer
Anrede herab, die der Pfarrer einst
dem Schulmeister gegenüber brauchte,
s und deren man sich noch heute bedient,
T wenn man mit Kindern und Hunden
spricht. Will er wohl! Will er gleich
pariren! Wenn Friedrich der Große
zu dem Dichter Gleim in einer Au
dienz, die er ihm ertheilte, sagte: Er
ist wohl nicht stolz? Grüß Er mir den
. Domdechanten! so brauchte der arme
Gleim wahrlich nicht stolz zu sein, ob
gleich er versicherte, daß er es in diesem
Augenblicke wäre, denn Friedrich der
Große stellte ihn unter seine Wind
hunde, die der Bediente Sie nennen
mußte. Mit Er wurden zu Friedrichs
des Großen Zeiten. wie schon gesagt,
Personen von Stande nicht nrehr au
geredet. Für diese gehörte sich die An
rede mit Sie in der dritten Person des
Pturals, das Siezen im Plural. Jm
September des Jahres 1787 trat Frie
drich Perthes bei Adam Friedrich
Böhme auf der Nikolaistraße in Leip
zig als Lehrling ein. Die Lehrlinge
wurden nicht nur vom Prinzipal selbst,
sondern auch von den Kindern des
Prinzipals-, dem Dienstmädchen und
den Martthclfern mit Er angeredet.
Wenn sie ausgelernt hatten, sagte der
Chef: Hiermit ernenne ich Sie vom
Lehrburschen zum Buchhandlungsdie
nei. «
Ganz untergeordnete Personen wur
den dagegen Von ihren Vorgesetzten
nach wie vor Du genannt. Bis 1850
pflegten die Osfiziere die Mannschast
zu duzenx bis 1866 genossen in Bayern
nur die Fahnenjunker die Auszeng
nung, mit Sie angesprochen zu wer
den, während sonst Du bei den Vorge
setzten gegen Untergebene und bei die
sen unter sich Vorschrift war. Der
Kaiser nennt alle Gemeinen Du, zum
Beispiel den Gefreiten Luectz in An
erkennung Deines korrekten Beneh
mens auf Posten . . . . Der Zur duzt
sogar seine Generale, sogar die Aerzte.
Kaiser Nikolaus der Erste wollte es
nicht Wort haben, daß jemand im
Reiche Hunger leiden könne. Einmal
besuchte er ein Hospital und trat an
das Bett eines Typhus-tranken Der
Arzt sollte ihm sagen, was das fiir
eine Krankheit sei; der Unglückliche
meinte: Hungertyphus Der Kaiser
blickte ihn finster an und ging weiter:
beim Abschied trat er nochmats auf
den Doktor zu und sagte: Du, nimm
Dein Maul besser in acht! Am näch
sten Tage hatte der Arzt seinen Posten
verloren.
-- -
Das Ist die patriarchalifche Gepflo
genheit der alten Grand Seigneurs;
der verftorbne Fürst Johann Adolf
Schwarzenberg nannte ebenfalls alle
feine Beamten Du, vom-Hofrath ange
fangen. Der alte Pastor nannte alle
feine Pfarrlinder Du; im Hause wur
den die Kinder und die Dienstboten ge
duzt. Die Eltern dagegen von den
Kindern noch im vorigen Jahrhundert
Sie genannt. Gargantua in einem
Briefe an seinen Sohn Pantagruel das
Tu Pantragruel nennt seinen Vater
Mari; dieses Verhältnis-, besteht in
Frankreich noch heute. Die Dienstbo
ten werden von der Herrschaft länast
nicht mehrDsu genannt. Sogar Ebe
leute duzten sich in früherer Zeit nicht
immer: aus einemGefvräche vorn Juli
des Jahres 1527 geht hervor, daß
Luther zu Käthe Du, Käthe aber
»Mein lieber Herr Doktor« zu ihm
sagte und ihn ihrzte.
Jn den deutschen Gefängnissen be
steht die Vorschrift, daß Personen un
ter achtzehn Jahren mit Du angeredet
werden. Zuchthäusler werden ohne
Unterschied Du genannt. Bekanntlich
nannten die Berschworenen in Belgrad
den König Alexander Du, als sie thn
im Juni 1903 ermordeten. Alexander ,
Obrenowitsch danke ab und unter
schreibe die Abdankungsurkunde, die
wir in Händen haben!
Ein Laufbursche, der die Fort
bildungsschule besucht hat, nennt
nach seiner Entlassung einen Oberleh
rer DU, wie ihn dieser zur Ruhe ver
mahnen will. Vor ein paar Jahren
ist folgendes vorgekommen: Ein Lehrer
züchtigte einen kleinen Jungen Als
ob er gebissen worden wäre, ries der
Schlingel: J, Du Luder! Und dabei
werden die Schüler in Frankreich von
ihren Lehrern immer mit Tons ange
redet, in Deutschland werden sie ge
wöhnlich nach der Konsirmation, vom
vierzehnten Jahre ab, aus den huma
nistischen Gymnasien vonUntersekunda
an gesiezt. Auch das Du wird immer
unterlaufen, trotz aller eingebleuten
Anredeformen. R. K.
W
,
Der kluge Theateruntemehmerr
Jn der »Perserveranza« klagt Ugo
Pesci darüber, daß in Italien Schau
spieler und Sänger so schwer zu ih
rem Gelde gelangen können; es giebt
Theaterdireltoren, die ihrer Künstler
schaar die höchsten Gagen versprechen,
aber, sobald es an’s Zahlen geht, sich
ihren Verpflichtungen durch- alle er
denllichen Schliche zu entziehen suchen.
Vor einigen Tagen, so erzählt Pesci,
mußte ein Jmpresario sein Theater,
das er erst kurz vor Beginn der Fa
schingszeit eröffnet hatte, wegen
dauernden Zuschauermangels wieder
schließen; die Operngesellschaft saß
plötzlich auf dem Pflaster und wußte
sich nicht zu rathen und zu helfen. Zu
den Opfern gehörte auch die Prima
donna X.; der Gatte dieser Dame, ein
sehr energischer Herr, suchte seine
Frau zu beruhigen und sagte: »Mach
dir nur keine Sorge; ich werde schon
Mittel und Wege finden, dir zu dei
nem Gelde zu verhelfen.« Sprach’s,
nahm seinen Stock und eilte in das
Haus des Direktors; man suchte ihm
den Eintritt zu verwehren, aber ,,er
wußte sich durchzusetzen«. Der Di
rektor saß sorgenvoll am Schreibtisch
auf dem ein Revolver lag. Herr X.
war iiberaus lampslustig: bevor er
aber noch zu Worte kommen konnte,
sagte der Jmpresario mit ,,vibriren
der« Stimme: »Ich weiß, daß Sie
gekommen sind, um mir eine Szene zu
machen, und ich muß gestehen, daß
Sie in Jhrem Recht sind. Sie dürfen
thun, wag Sie wollen, ich werde mich
nicht wehren! Aber wenn Sie Mit
leid mit mir haben, so prügeln Sie
mich nicht durch; nehmen Sie lieber
diesen Revolver und schießen Sie mich
nieder. Jch kann all’ mein Leid nicht
mehr tragen, habe aber nicht den
Muth, mich selbst zu tödten. Sehen
Sie her; ich erkläre hier schriftlich,
das-, ich mir selbst das Leben genom
men habe, und Sie werden nicht die
geringste Unannehmlichkeit haben.«
Und der Jmpresario begann wirklich
zu schreiben; aber der Gatte der Pri
madonna nahm rasch Hut und Stock
und lief davon. Der Jmpresario aber
erhob sich eine Minute später vom
Schreibtisch und rieb sich vergnügt die
Hände: er hatte auch allen Grund
zur Freude, da er nicht nur einer
Tracht Prügel entgangen war, son
dern auch noch ein hübsches Stimm
chen gespart hatte.
——-—-O—.--—
Der Papierverbrauch der
Zeitungen.
Die 40,000 Tageszeitungen der
Welt, die in Millionen von Nummern
gedruckt werden, verbrauchen nach den
Berechnungen eines französischen
Statistikers alltäglich etwa 1000 Ton
nen Holzteig, und da außerdem irn
Durchschnitt 200 Bücher täglich er
scheinen, so beträgt der Jahresver
branch siir Druckpapier etwa 375,000
Tonnen Papierbrei. Dabei ist aber das
Schreibpapier, das Packpapier u. s. w.
nicht berechnet. Um nun diese wage
heure Menge Holzteig zu produzirem
müssen ganze Wälder niedergeschkagen
werden. Jn jedem Jahre verschwinden
so 1250 Millionen Rubiltneter olz,
die der geistigen Nahrung des en
schen dienen. Amerika hat dabei einen
noch stärkeren Bedarf als Europa; es
braucht fiir sich allein 900 Millionen
i«
— ZW««W—N».»sz·:;;:se-szsp-sx— .
il
Kabitcneter Holz, während Europai
nur die übrigbleibenden M Millio
nen verwendet.