Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, July 05, 1907, Sweiter Theil., Image 10

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    Im Izeidedotf.
- Roman von g. von der Zwe.
2 (6. Fortsetzung)
Allein all mein Beschiinigen und
mein herausreden half mir wenig ge
n den Gram. Jch hatte einen guten
ann, den ich zärtlich liebte, ein ge
gundes Kind und mein gutes Aus
ommen, es sraß aber innerlich doch
etwas an mir.
. Es trieb und drängte mich und ließ
» Inir keine Ruhe, und so schrieb ich
goch einmal an meine Schwester, ich
- » Mashlte ihr von Dir, mein Kind. und
" II ich mich nach dem Vater sehne.
stehen aus den Umfchlag schrieb ich
meine Adresse und wartete nun wie
ein Verurtheilter, der Begnadigung
hofft. Der Brief kam mit dem Post
vermerl zurück: Annahme verweigert.
Das gab mir einen Stoß gerade
ins Herz hinein, mir schien, als sei
etwas in mir zerbrochen. und ich fühlte,.
daß ich von rasendern Heimweh gefol
tert und umhergeirieben werde. Hätte
ich nur selbst hin etonnt, aber ich
traute mich nicht, ater ist zu streng.
Jn dieser Zeit, etwa vor einem Jahr,
ais ich anfing krank zu werden, tras
ich zufällig aus der Straße ein Mäd
chen aus meiner Heimath, sie dient
hier« und wenn sie auch jünger ist als
ich, und wir uns nur ein paarmal ge
hen hatten, so erkannten wir uns
gieich. Lin-e mußte mir von al
lem erzählen. Jch hörte nicht aus« sie
auszufragen
Mein Vater lebte noch, er mußte
an die Siebzig fein, die gute Ritei
war bei ihm geblieben. Sie wohnten
nun aus dem kleinen Hose, und Trinas
sz mit den Ihrigen aus unserem Platz,
" der jeht Beermannshos hieß. Aber
Trinas Mann war voriges Jahr ge
storben; doch wußte sie sich zu helfen,
da ihre Söhne gut einschlagen, die
konnten nun schon in den Zwanzi
gern sein —- dies und noch vieles an
dere, was sich in alle den Jas« en bei
uns begeben hatte, mußte Line mir
I erzählen.
- Zuerst schien es mir, als würde mir
besser, wie einem, der lange gedurstet
intd endlich getrunken hat, aber der
Durst lam wieder, und da ich in mei
ner Aufregung vergessen hatte, Line
zu fragen, bei welcher Herrschaft sie
hier sei, und da ich mich auch nicht
einmal aus ihren Vaternaiiien besin
nen konnte, so war mein Brunnen
versiegt und verschlossen. Jch habe sie
manchmal, von Angst und Unruhe ge
trieben, straßaus und straßab gesucht,
da wo ich einmal mit ihr zusammen
geirossen war, aber nie mehr gesun
den.
Dann wurde ich krank und kränler
und konnte nicht ausgehen, und da
dachte ich: schreib alles aus sür Ma
rie, einen Brief von ihr. in dem mei
ner einliegt, wird Vater annehmen,
- und über das Grab hinaus wird er
seinem versioßenen Kinde keinen Groll
nacht-tagen
Vielleicht kannst Du, meine liebe
Tochter-, es auch einmal möglich ma
chen, nach Haiddors zu reisen, und
wenn Du hinlonimst, mußt Du sür
Deine arme Mutter beim Großvater
um Vergebung bitten. Wenn er mir
seinen Segen dann endlich noch gibt,
so glaube ich, daß die ewige Selig
keit dadurch vollkommener wird.
Dir aber, meine Marie, wünsche ich
ein ungetrübteres Glück, als- es mir.
sn theil geworden ist Jch hoffe, ichs
habe Dich so erzogen, daß Du Dir zul
helfen weißt; und daß Deine Tuch I
tigteit Dir vor der Noth des Lebens
schützt. Möchte der volle reiche Se
gen, den ich vor Gottes Thron fiir
Dich erflehen will, Dir zu theil wer
den, möchte Deine Liebe einst ohne
alle die Noth sein die die meine über
mich gebracht bat! Lebewohl, mein
Kind, gedenke treulich Deiner Mutter-.
Dorette Liebreich, gebotene Kruse.«
Tiefbewegt schaute Marie auf den
geliebt-en Namen. Es schien, als um-»
ichwebe sie in der stillen Nachtstunde;
, der Geist der theuren Verklärten. Sie«
entsann sich, wie oft sie ihre Mutter
in Thriinen gefunden, und wie sie
sch bemüht habe, durch ihre kindlichen
Liebkosungen den unbekannten Kum
. mer zu verscheuchen, welcher so schwer
-; set guten Mutter Herz bedrückte
Jest wußte sie, was die Arme ge
Mit hatte Das Bermächtniß und
in Auftrag, den sie so verspätet em
, Wangen foklte ihr heilig sein. Möchte
Noch ihr Großvater auch jetzt noch le
» den« damit sie die Seele der Abge
IJ Mdenen in der Weise entlasten
bunt-» wie sie es wünschte An ts
mslichen Bitten wollte sie es nicht
W lassen
Aber was sollte sie nun thun? Am
lieisen "ttefie gleichjetzt ihrer Mut
EDI- on den Großvater abge
Mnlleinsfie mußte doch dabei
« « » nnd sie fühlte, daß sie zu
W und benommen sei, um das
U dieser Stint-e zu können.
Ida dee Umschlas offen war, nahm
Mihret Mutter an
sie-even zur Dond und las die
Wdemäth Bitten der Ver
kstoßenen um Verzeihung. Sie klagte
Isich darin an, keine Geduld und tei
nen Gehorsam bewiesen zu haben,
»und glaubte gewiß, daß ihre schwere
lErkrankung und ihr früher Tod eine
Strafe Gottes fitr ihr unlindliches
Betragen sei. Sie schloß mit dir
Bitte, wenn ihre Tochter es einst er
möglichen, sollte, nach Haiddorf zu
reisen, sie gut aufzunehmen und dem
unschuldigen Kinde der Mutter Un
recht nicht nachzutragen.
Marie raffte alle Papiere zusam
men. Während ihrer sonderbaren
hochzeitsreise nach dem »Kaiserhof«
wiirde sie gewiß Zeit finden, das Ber
langen der theuren Verblichenen zu
erfüllen, und den Brief an ihren
Großvater mit einigen begleitenden
Worten abzuschicken. Zu diesem
Zweck wollte sie gleich die Papiere in
den Handtoffer legen.
Eigentlich war allerdings ihrer
Mutter Wunsch, daß sie selbst zum
Großvater reisen sollte. Wie gern
hätte sie das gethan! Sie begann die
Möglichkeit zu erwägen, nahm ein zu
fällig auf dein Schreibtisch liegendes
Heft Berliner Bahrpläne zur Hand,
Uelzen-Soltau. Wenn sie mit dem
Mitagszuge abfuhr, konnte sie schon
gegen Abend in Soltau sein, und von
da in einer guten Stunde nach Haid
dorf gehen. Das hing aber nun alles
von Goldammer ab. Sie wollte ver
suchen, ihm später einmal die Ein
willigung und das Reisegeld abzu
locken. Das war ihr ein angenehmer
Gedanke.
Jhre arme Mutter war elend ge
worden. weil sie des Vaters Segen
;aus ihrem Lebenswege entbehrt hatte.
JVielleicht ertrug sie- das Schreckniß
Jihrer Ehe ssciter leichter, da sie sich
Hsagen durfte, sie schließe diese Hei
:rath, um den Lebensabend ihres Va
ters sorgenfrei zu gestalten. Der Ge-.
dante sollte ihr helfen und sie überx
Jdcn Mangel an eigenem Glück hinweg- !
trösten.
Draußen war es stiller geworden,
die kleine Wanduhr schlug eben zwei.
Der Wind hatte sich aufgemacht und
stieß gegen die Fenster. Das Glas
’dach auf dein Atelier tiirrte lantJ
Das Licht der Lampe tnisierte und
qualmte und drohte zu verlöschen.
s Fröstelnd erhob sich Marie. Siel
nahm die Lampe, die mit üblem Ese- (
ruch erstarb, und tastete sich in die
Küche; hier ziindete sie Licht an und
ging in ihr Schlafzimmer.
Als die Vorbereitungen zu morgen
ihr in die Augen fielen, erschauerte
sie. Auf einem Stuhle stand der noch
aufgeklappte Handtoffer, der sie auf
ihrer wunderlichen Hochzeitsreiie be
gleiten sollte. Derselbe enthielt et
was Wäsche und ein schlichtes Kleid,
das sie sich aus einem noch guten ein
fachen Haustleide ihrer Mutter zu
rechtgefchneidert hatte. Sie wollte
nicht alles von ihrem Verlobten an
nehmen. Er hielt ihr zu oft seine
Freigebigkeit vor und die Unkosten,
die sie ihm mache. So hatte sie ge-;
trachtet, möglichst Vieles aus dem(
Nachlaß der Mutter und von ihren,’
eigenen Sachen für sich neu herzurich
thL - " !
An einem Kleiderstock hing das;
Reifetteid und as von duntelbtauer
Seide fürs andöamh elegante»
Gewänder, die Gold-immer ihr unter!
vielem Eigenlob geschenkt hatte. tin-J
akuthig wandte sie ihren Blick davon;
la : i
- a - es »- -«·o
s und nun tamihr zum Bewußtsein,
daß der 20 April, ihr hochzeitötag,
ja fchon angebrochen fei Der Ge
;dante überwältigte sie fofeht, daß sie
vor ihrem Bette in die Kniee faiil die
IStirn auf den Bettrand legend, und
Jihre Hände um den Kopf faltend in
heftiges Schluchzeri ausbrach. Jhr fiel
ein, was Qntel Hans über das Gellf
femane einer jeden Menschenfeele, in
jener schweren Stunde, als sie uerft
den Entschluß für ihr Opfer fassen
follte, ’gefagt hatte· Sie fühlte jet
noch bestimmter als damals, wie re t
er gehabt habe, und daß in siefer
furchtbaren Nacht sich noch einmal ihre
ganze Seele gegen das Gefordetteem
höre.
Wieder und wieder fagtee sie sich, daß
es nun kein Entrinnen mehr gebe, und
daß ihr einz s Heil in Etgebung
und Pflichterfllung zu suchen sei
Aber sie war noch zu jung, um leicht
zur ftillduldrnden Fügmig in das Un
dermeidliche zu eangen, gegen das
sich etwas natürlich Berechtigtez in
ihr immer wieder straubtr. Sie fühlte,
daß die fcheue Gegenwehr nicht eher
ein Ende finden werde, als bis sie
unwiderruflich an den Ungeliebten ge
bunden fei
Unter bitteren Seelenqualen ver
lebte sie die noch übrifen Stunden der
Nacht, die sie, angeleidet auf ihrem
Bette liegend, gut-reichte ·
Beim ersten Morgengrauen ftand sie
auf, um zum letzten Male ihre us
lichen Pflichten fiir Vater und nlel
zu erfüllen. Sie wollte doch
hauj, in dein fb fo la enachsritfs
teuqu hatte, in he r Ordnung
CL.
W
uriicklaffen. Sie wußte auch, daß
ie Arbeit ihr wohlthue, und dals sie
si durch rege Geschäftigteit ani, rich
te en iiber die Stunden hinweghelfe,
die sie noch von der Erfüllung ihres
Ge chicks lstrennten.’
ntel Hans war geftern wieder in
feines-Bruders Haufe gewesen, wo ed
noch viel zu ordnen gebe, wie er ge
sagt; fo tonnte M ihm nichts von
dem Briefe der utter mittheilen,
konnte ihr überdolles Derz nicht noch
einmal entlasten. Daß sie den Vater
nicht mit ihrer Noth beunruhigen
dürfe, fählte fie nur zu bestimmt.
9. K a p i t e l.
Schonfriih am Morgen laxn Gold
ammer herauf in Begleng einer
Gehilfin der Schneiderin, ie im gro
ßen Karton das Brautlleid trug und
Jeanne Duvernier mit dem Kranz
und Schleier. «
Die Französin fah fehr bedriickt
aus, seufzte viel und preßte manchmal
verstohlen ihr Tuch an die Au en.
Die ganze hriiutliche herr ichieit
wurde auf Maries Bett ausgebreitet,
und Goldammer ftand bewundernd
davor. Nachdem er die Schneiderin
mit einem Trinkgeld entlassen, fagte
er: »Aus-Z prima, fiinf Mark das
Meter!« Er ftrich glättend über den
aufgefchlagenen Saum. »Was? habe
mich doch hdllifch ins Zeug gelegt ftir
mein fiißes Herzcheni Nun thue mir
aber die einzige Liebe« Schatzlind, und
laß die Wehleidigleit. —- Hören Sie
mal zu, Madernoifelle —« und er de-’
gann der Duvernier an den Fingern
herzuziihlen, was die Brauttoillette
with-»und dann noch das Bulett.J
Alle Achtung! Man tann sie doch(
nicht nobler herausreißen?« ;
Marie stand daneben und biß fich
auf die Lippen, um nicht laut aufzu
fchreien; endlich sagte sie gepreßt:
»Ich glaube, es wird Zeit, daß ich
mich —- zum Standesami -——- an
lleide.«
en s ·-S.i.. ., e
: »Ja, ja, nur rein Verm-dein wir
sind Punkt zehn angemeldet Gib acht
Haß dein Vater auch fertig ist Unser
janderer Zeuge, mein Nachbar Ehren
zberg, kommt präzise dreiviertel mit
Idcm Wagen oorgefahrenf Er tat
Jschelte die Braut küßte sie und eilte
; sort.
« »Ich helfe dir beim Ankkeiden, ma
chere,« sagte Jeanne. Sie hatte seht
den Beschluß gefaßt, sich auf jeden
Fall gut mit Marie zu stellen.
»Ich danke —- ich wrede schon allein
fertig-«
»Aber nachher Brauttranz und
Schleier, wer soll dir alles geschmacki
voll aufstecken-'·
»Wenn du denn meinst -——«
Die Französin guckte die Achseln.
»Wie gteichgiiltig du bist! Daß du
noch immer nicht gelernt hast, dein
Glück zu würdigenf
,,Vielleicht bin ich undankbar, aber
ich tann nicht anders." Sie barg ihr
Gesicht an der Schulter der Freundin,
die sich großmüthig darein gefunden
hatte, den Mann, welchem ihre eigene
»Neigung gehörte, ihr zu gdnnen.
Jeannes freundliche Hikssbereitschastl
beschämte Marie, und sie bat keu
rnüthig die Freundin, bei ihr zu blei
ben·
Nun wurde rasch ihre Toilette sin
das Standesamt beendet
»Wie gut dir das Spidenhiitchen
steht, man ange, ach, wenn er dich
erst modern frisirt hat, toirst du ihrn
noch viel besser gefallenf
Marie ging u ihrem Vater, der ihr
fertig entgegen am: »Wir ind nun so
weit, Papa, —2— o, wie ein herz
tlopft!« Sie-· wars sich an des Vater
Bruft, während ein Paar große Thes
nen ihr über die Backen liefen und
,vcrstohlenes Schluchzen ihren Körper
erschütterte.
»Mir still, nur ganz ruhig- meine
» Tochter —« er klopfte ihr den Rücken
’—- »ich will nachher eich inal im ho
"tel versprechen unde eben, ob der Blu
menschmuck der zeititafel auch
j wohl erathen ist« oldannner hat mir
das ii ragen.«
»Versäume dich nur nicht, du weißt,
wir fahren um zwölf zur Kirche«
»Sei unbesorgt, ich bin zur rechten
Zeit hier.«.
Florian kam gesprungen und rief:
;«Der Ba en tft hat«
« Marie chritt zur Treppe; ihr Vater
Eträftete den Teckel iiber fein Fortgehen
fohne ihn: »Sei httbe ruhig, mein
I wackerer Männe. herrchen kommt
bald wieder. Ganz artig, mein Lieb
ling!·« Er schloß die Vorplatzthiir,
hinter welcher der Hund trotzend und
bellend zurückblieb.
Sie ft· en mit dem Bräutigam zu i
Nachbar hrenberg,. dem Optiter, inj
den Wagen. ;
»An der ifcherbriicke liegt dasf
Standesamt itr die LeipzigerstraßefI
berichtete Gol antrner und sprach dann
Massen weiter mit den beiden gegen
übersitzenden Zeugen.
Maries herz zitterte vor Erregung4
und Embörung, daß die Männer ihr
wichtiges Vorhaben nicht ernster be
handelen. Sie unterhielten sich über
den nee, r noch einmal gefallen
war, einen ha vertan in der Nach
barschaft, und den Preis, den dies
und jenes Hotel für das Knorrt des
sochzeitöeffens gefordert hatte. Gold
amrner schien nicht einen einzigen Ge
danken auf Zweck und ·el khrer Fahrt
zu richten. Das erres e Mädchen be
griff eine folche Gleichgültigteit nicht
und fühlte sich tief davon verletzt.
Endlich war man da und betrat
einen fehmucklosen Gefchäftsraum, aus
drn ein eben Oerbundenes zärtlich an
einander setcbwivstes Paar ihnen ent
geaentann "
Goldammer z Maries Arm in
den seinen und flit erte ihr zu: »Was
mal auf, Kleine, im handumdrehen
bist du fest meine Frau.«
Etwas wie Erstarrung und Läh
mung bemächtigte sich des Mädchens,
Nur die Zähne zusammengebisseng nur
nichts Ausfiilliges thun, nur aushal
ten und durch! Wie in einem Rebel
gib sie dieSchranten mit der kleinen
bür, die sie von dem grünen Tische
trennten, an dem der Standesbeamte,
ein älterer here mit einer roßen
Glase, neben seinem Schreiber ciaß.
Bei den üblichen Fragen nach Na
men, Alter« Beruf, die von Goldaw
mer läusig beantwortet wurden,
stand arie, vom Kopf bis zu den
Füßen erzitternd, am Geländer. Sie
klammerte sich mit beiden Händen an
die handieiste vor ihr, Halt suchend
wie eine Ertrintende, und wußte
nicht, mit weicher Verzweiflung im
Blick sie eradeaug starrte. Hatte sie
doch das fühl, als sinle sie ins Un
ergritndliche hinab.
Nur unklar empfand sie, daß der
würdige Beamte sie manchmal mitlei
dig ansah, während er eine tleine Rede
shielt, in welcher die Worte: Liebe,
»Steue, bis der Tod euch scheidet —
.voriamen. Sie glitten indes, ohne
seine andiichtige oder feierliche Stim
mung zu er engen, an den Ohren der
hörer vorii r, denen der Ort unddie
Form der Zeremonie tieinerlei Ein
druck machte·
Je t aber fühlte die Braut, daß
man br eine Feder in die Hand drücke
und hörte. daß man sie zur Unter
schrift ausfarderte. ·
Wie von einem Blitzstrahl erhellt,
erkannte sie plötzlich ihre Lage und die
furchtbare Tragweite dieser wenigen
Worte, die sie zu schreiben im Begriff
stand. Nein, nein, sie ionnte nichts
Schon meinte sie, mit einem lauten
Aufschrei die Feder hinwersen zu
müssen, als sie, verzweiflungsvoll
ausblickend, in das von trankhaiter
Biäfie bedeckte Gesicht ihres Vaters
sah, dessen Augen mit dem müden, er
loschenen Ausdruck, ihr noch nie so
muthlos und leer erschienen waren.
»Nein-— nein, unmöglich —————,
grausam, den armen hilflosen Mann
in neue Sorgen zu stürzen! Sie
durfte nicht zaudern, nicht versaaen.
wo es jetzt galt, ihre Pflicht zu thun,«
sie mußte sich ihm zum Opfer brin
gen.
Ullo Mit einem schnellen Entschluß
unterschrieb sie das Doturnent, das sie«
zu Anatol Goldarnmers Gattin
machte.
Allein nun war ihre Kraft er-.
schöpft, die Feder von sich werfend,
brach sie in einen Strom» van Thra
nen aus.
Goldamrner umsaßie sie und flü
sterte ihr, während auch die Zeugen
unterschriehen, allerlei Trost- und
Liebesworte zu, die wie das Brausen
des Straßenlärms unklar und ein
bruckslas an ihrem, Ohr vorüber
rauschten.
Endlich kam ihr die eigene Kraft
zu "lfe, und sie fand ihre Selbstbe
herr chung wieder.
Als man in den Wagen stieg, sagte
Nachbar Ehrmherg mit einein ver
schmiyten Lächeln, er habe hier herum
u thun, wolle das jung vermählte»
Paar nicht stören und empfehle fi . »
Liebeeieh meinte, es sei am’«»beten,
er gehe gleich von hier zum viel. Er
werde rechtzeitig zur Kirch ahrt zu
hause sein.
So sah sich Marie mit ihremManne
allein. Die belebten Straßen und
manch neu ieriger Blic, der sie irn
Vorübersa , n streifte, legten Gold
amrner ei e Zurückhaltung auf, aber
er nahm i e Id, streichelte und
tlozvste sie, hl Zelte sie verliebt an
un fand sin rgniigen daran, im
Gespräch: ine Frau — mein Weih
chen oder Madame Goldammer zu
sagst . —- .
--- -i'—
Marie vermochte sich in die Veran
derung, die mit ihe vorgegangen sein
sollte, nicht hineinzudenien Diese
Icrmalitiit s ien ihr nicht bindend,
heiligte teine E Bevor sie mii dem
Manne an ihrer Seite nicht vor Got
teö Altar gestanden und den Segen
öchsien ause» dem Munde des
Geist ichen ernfangen hatte, tonnte sie
sich nicht als Goldammers Frau an
sehen Ach, nur zu bald würde ja der
Riegel vor die kleine Hinterihiir ge
schoben sein, die ihrem Winden und
Wehren noch offen schien.
Endlich hielt der Wagen vor ihrem
use in der Leipzigerxtraßr. Florian
atte sie erwartet un srang auf
jauchzend seiner jungen utter um
den hals.
Während Goldammer noch eine
Rücksprache mit dem Kutscher hielt,
lief Matie msch ins Haus, machte sich
von dem jungen Freunde los und flog
die Treppe hinauf. Jn ihr regte sich
kein anderer Wunsch alt der, den
zsiirtlichleiten des Mannes, dem sie
,nun angehörte, so lange wie möglich
j auszustreichen Unter dem Born-Fide,
»sich zur Trauung umkleiden n äs
Hen, lonnte sie sich in ihrem Zimmer
z einschließen.
’ Tief aufaihmend iarn sie oben an.
Als sie den Flur betrat, eilte ihr On
kel Hans entgegen. Der sonst so
bleiche Mann war start geröihrt, feine
Augen funteiiem und die Hand, mit
.der er die des Mädchens hastig er
griff, fühlte sich feuchi Und lalt. an.
Marie ging das herz auf, wie sie
ihn aus Theilnahme für sie foeeschiiis
tert sah. Sie fiel ihm um den als,
ihrem besten Freunde: »Ja, iel
Hans, ich bin nun seine Fest-, aber ich
Mast . wie ich ei iiderstehen
d
W
»Komm herein, Kind, komm —"
stammelte er und zog sie in sein Zim
mer. Sie sant hier, von einem plöt
lichen Gefühl ängstlicher Erwartung
ergriffen aus einen Stuhl und starrte
den tleinen Mann an. Was mochte
geschehen sein? Er blickte so verwirrt,
wie sie ihn nie gesehen hatte und er
tonnte ja laum Worte finden, mit ihr
zu sprechen
Mithsam brach es endlich von seinen
Lippen: »O gestern, wär-I nur gestern
gekommen —- Marie, mein armes
Kind, dann hättexich dich gerettet."
»Aber was s— was ist’z —- was
giht’ö?«
Er stand vor ihr und mußte sich
aus seinen Arbeitstifch itiikem so zit
terte er. »Dente dir, Marie, ich bin
reich. mein Bruder hat mir zwötstaus
send Matt bermacht, heute fanden wir
das Kodizill in seinem Schreibtische
nnd dabei einen Brief an mich aus
seinen legten Tagen. Er habe mich
bei der Theilung unseres väterlichen
Vermögens iiheroortheitt. Jch sei ja
immer so geschastsunlnndig gewesen
Bei meiner guten Pflege habe ihn sein
Gewissen gequält. Die Seinen hätten
doch genug. Wenn er bess werde,
wolle er mir mein Recht gebe , müsse
er sterben, solle ich das Geld erben.
Ich möge ihm verzeihen. —- O, der
gute Bruder!« , «
»Oui« hans Ontel hans —-«
jammerte Marie und hob die gefalle
ten sände empor
,,,Ja mein armes Mädchen —- ar- ;
mes Kind, ich tiinnte- nun alles an!
Goldammer abzahlen, könnte siir dei- ;
nen Vater sorgen, wenn-—- wenn die’
Erbschaft gestern getommen wäre. Es
iit ein Unglück, ein Elend — es ist
fchrecklich!« Er lief verzweislungsvoll
Hn dem tleinen Raum hin und her.
! Marie fuhr aus. Sie stand wie er
.starrt nnd war todtenblaß, in ihren
kMienen zucktees. Aus einem Wirbel
von Gedanken tauchte ihr eine Hoff
nung auf. Plötzlich sant sie in die
Irniee und streckte die gerungenen
Hände zu ihm empor.
I »O Hans, Onkel Hans, wenn du
mich liebst. so rette mich! Ich er
trag s nicht ich sterbe daran.
»Alles was du willst, Kind, Mal
les —
»Hm mik— ich muß fort —- ich
sliehe —- ich gehe ihm durcht«
»Aber wohin? Jch habe das Geld
noch nicht«
»Macht-It —- nachher! —- Sag nur,
Jl- du mir hilsstl«
»Alles, was du willst."
» Sie stürzte sort und in ihr Zim
mer. Hier fuhr sie erschrocken zurück.
Jeanne Duvernier stand im schön
sten hochzeitspug an den Bettpsosten
gelehnt, mit dem Taschnetuche vor den
Augen.
; »Feanne, Sie sind hier?«
; »Ja, Kind, ich worn- dik doch hei
? im«
« iFortsetzung solgi.)
«----—
Freiheitstämpser Karl Blind.
Mit Karl Blind, der in Londonj
plötzlich einem Herzschlag erlag, ist ei- l
ner der ältesten deutschen Freiheits- s
tämpser dahingegangen. Die Sache, ;
»siir die er einst mit jugendlicher Begri- ;
:sterung Gut und Blut und seine beste !
IKrast einsehte, ist damals unterlegen, l
Haber die Jdeale, Idie ihn und seine?
jgleichstrehenden Mitstreiter undGenos- j
Isen ersitllten, Deutschlands Freiheit i
! und Einheit haben sich, wenn auch in I
) veränderter Form, zu einem erheblichen
yTheil doch durchgesegt u. verwirklicht,.
gewiß nicht zuletzt auch zur Genug- i
thuung des nun Dahingeschiedenen.
Karl Blind, der am H. September ;
1826 inMannheim geboren, hetheitigte ’
sich schon aus der Universität Heidel- »
berg auf's etsrigste an der demotratis ’
schen Agitation und tniipste damals ?
die Verbindung mit heiter und Stru
ve, den Führern der späteren revolu- .
tionären Bewegung. Einige Paßt-ro
zesse, die er schon hier zu bestehen hatte, !
endeten mit seiner Ireisprechung. Jm «
herbst 1847 wurde er mit seiner späte
ren Gattin (geb. Ettlinger) verhastet
und mehrere Monate in Untersuch-:
ungshast gehalten. Beide sollten siir
die Verbreitung der damals Aussehen
erregenden Heinzenschen Broschüre
»Mutscher hunger und deutsche Für
sten« gewirkt und sich dadurch einer
Beleidigung König Ludwigs l. von
Bayern schuldig gemacht haben. Jn
dessen wurde das Versahren später ein
gestellt.
Der Ausbkuch der Bewegung des »
Jahres 1848 fand Blind in der vat
derften Reihe der Freiheiislämpfer.
Jn Karlsruhe, Feanifuti. Mannheim
und anderen Stadien ieai er bei den
Wahlen zum Botpatlameni als Red
ner auf, utn zur Bildung eines Exem
tivauifchusseö und eines Valtsheeees
aufzufordern. Als dann hecket im
Mai 1848 in Baden die Fahne des
Auffiandes erhob, irai Blind ebenfalls
in die Reihen dee Freifchiirlet und
iiim fie tapfer mit der kleinen Schaut-,
die chlieleich van der Uebecmacht über
den Rhein nach dem Elfaß gedrängt
wurde. Jn Straßburg trat er an die
Spihe des Flüchtlingsausfchusses, der
sich dort o anifiri hatte, wurde aber
auf Befehl åavaignaeT der damals,
mit diitatpeifchen Vollmachten be
kleidet, ander Spitze der französischen
Republii stand. verhaftet, in Ketten
gelegt und an die Schweizer Grenze
gebracht, wo er feine Freiheit wieder
ethielt Die milde Praxis, die das da
malige badifche Ministerium Beil
Brunnet der demokratischen Agiiatian
—
gegenüber zur Anwendung brachte, er
möglichte ei den Führern der republi
lanischen Partei, Blind und Strude,
im September von neuem den«qu
stand zu otganisiren. Da jedoch das
Militär damals noch nicht von den re
volutionäten Jdeen ergriffen war,
wurde die Bewegung rasch unterdrückt.
Um 24. September wurden die Auf
ständischen bei Staufen zerstreut,
Struve und Blind gefangen genom
men und nach Rastatt gebracht. Wie
durch ein Wunder entgingen damals
beide der fiandrechtlichen Erschießung;
von den juristischen Beiftsern wurde
vor dem Kreisgericht, vor das fie ge
ftellt wurden, ein Formfebler geltend
gemacht. der ihnen das Leben rettete.
s Blind wurde nur acht Monate in
iden Kasematten in Rastatt in harter
IGefangenfchaft gehalten, zu Anfang
zMai 1849 wurde er mit fetnemFreuns «
Hde Struve vor die Gefchworenen in
’Freiburg gestellt und gleieh diesem zu
sacht Jahren Einzelhaft verurtheilt. Er
Jhatte diese Strafe noch nicht ungetre
.ten, als der Anat-euch des Ra atter
HSoldatenaufstande im Mai I ism
Freiheit und Einf u wiedetgab. m
13. Mai wurde in von ei
ner großen Baltsverlamml ein
Landegausfchuß als eine Art proviso
rischer Regierung eingeseit, an dessen
Spitze der radikale Rechtsanwal ren
tano von Mannheim trat. Gras zog
Leopold verließ bei Nacht und Nebel
seine hauptftadi. Vom Landeöausp
fchusz als diplomatischer Bevollmäch
tigter nach Paris gesandt, wurdeBiind
wegen angeblicher Theilnahme an
Ledru-Rollins Putlch am 13. Juni
1849 im Widerspruch mit den sonsti
gen vötterrechtlichen Gepflogenheiten
verhaftet und zwei Monate lang fest
gehalten. Nur-mit Mühe entging er
der Auslieferung an Baden, wo die
Dreußifchen Truppen unter dem Prin
zen von Preußen (nachrnali·em Kat
ser Wilhelm l.) inzwischen n Aus
stand niedergefchlagen hatten. Doch
wurde er vom Präsidenten Louis Na
poleon stir immer aus Frantreich aus
gewiesen.
Istan iemer zjrenanung vegav sich
Blind zunächst nach London, dann
nach Brüssel, wo er seine Familie wie
derfand und wo er bleibenden Aufent
halt zu nehmen beabsichtigte. Da er
sich jedoch auch in Belgien politisch be
argmäbni lab, so verlegte er 1852 sei
nen Wohnsitz nach London. hier hat
er seitdem ununterbrochen gelebt und
mit allen Leitern der republilanifcheie
Bewegung ins Europa, Mazzini. Cari
baldi. Kossutb, Herzen, Louis Blaue
und vielen anderen freundschaftliche
und für die Zeitgeschichte in mancher
Hinsicht folgenreiche Beziehungen un
terhalten
Unter den im Auslande lebenden «
Deutsch-en, namentlich soweit sie aus
politischen Gründen ibrem Vaterlande
den Rücken gekehrt haben, hatte Blind
von jeher eine besondere und fast ein
zigartige Stellung eingenommen. Jn
nerlich und äußerlich — er hatte z. B.
die englische Staatsangehörigteit nie
erworben --- war er Deutscher geblie
ben; mit allen Fasern seines Wesens
Ivurzelteer in seiner Heime-tin Bei der
Unerschiiiterlichleit seiner demokrati
schen Ueberzeugungem denen er zeitle
bens unverbrüchlich die Treue gehalten
bat, hat er doch auckpseine patriotische
und nationale Gesinnung niemals ver
leugnet. Bei allen Krisen, dieDeutschi
lands Entwialung seit mebr als 40
Jahren zu bestehen hatte, in der schlets
wig-holsteinischen Frage, bei den Er
eignissen von 1866, vor allem während
des deu elf-französischen Krieges von
1870—— 1, bat er nie in seiner hal
tung geschwantt, ist er nie, auch nur
einen Augenblick, in seinem nationalei
Empfinden irre gerne-Ideen Wo immer
es galt. siir Deutschlands Größe und
Ehre eine Lange zu brecer war Karl
Blind gewiß einer der ersten auf dem
Plane. Mebr als einmal hat er in
seinem Adoptivvaterlande, publi istifch
oder aus andere Weise, Deuts land
Sache erfolgreich vertreten und dem
’De tschthum auf diese Weise vielleicht
me genügt, als ihm in der Heimath
selbst möglich gewesen wäre. Aber nicht
»blon als edlen und einsichtsvollen Pa
trioten, sondern auch als tapferenBori
stampfer und Förderer aller humanen
Bestrebungen, als unversöbslichenGegs
Jner alles Niedrigen und Gemeinen hat
isich der alte demokratische Lampe be
swiihrb
s Jn den fünfzig Jahren seines Lon
Zdoner Aufenthalts hat Biind eine pu
’blizistische und sonstige schristsiellerti
scheTbäiigteit entfaltet, von derenllms
sang hier kaum andeutungsweise eint
Vorstellung gegeben werden kann.
Zahlle sind die längeren oder kürze
ren Artikel und Abhandlungen, die er
in deutschenz englischen, amerikanischen
und italienischen Zeitschriften und Ta
gesbliittern iiber die verschiedensten
Fra en der Politik und der Zeitge
schi ie, nicht minder aber auch über
ältere Geschichte und Literatur. iiber
Sprachiunde, dergleichende Mit-tho
lvgie, tiassisches und germanisches Al
terihum veröffentlicht bat, und die,
wenn sie auch manchmal start von der
zunfttvissmschaftlichen Schablone ab
weichen, darum nicht minder antegend
und belehrend gewirtt haben.
Eintau ende Dame: »· möchte
Ihnen er iiren, wie meine he be
schaffen sei-c instit-up — Schuhw
ler: Oh, ich weiß schon, innen « grof
und auien klein.