Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, September 14, 1906, Sweiter Theil., Image 9

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    — I
Tiefe-Rast
Von Anna Hinckeldeym
Auf Deine Hände laß das Haupt micl
legen,
- Die Augen schließen, die von Thränei
schwu.
Ansrastend tief in Deiner Lieb·
Segen,
Schweigi aller Erdenwiinfche ruhlok
Heer,
Und Dämmerfriede will mich weick
umfangen,
Der lange schon aus meinem Leber
"fchtvand,
Vorbei der Sehnsucht immer quelleni
Bangen: -
Der Seele Sonntag trat in’s All
tagsland.
Der Weg zum Glück.
Novellette von L a r s D i llin g.
Frau Rambet war eine Beamten
wittwe, die von »Halb- und Voll
Pensionären lebte. Gegenwärtig ge
nossen nur zwei Sterbliche, der tand
phil. Stein und Fräulein Lisbeth
Hansen, das Glück voller Pension, d·
h. sie erhielten Morgens und Abends
eine Tasse wässerigen Koffee oder
Thee und ein paar dünne Brotfchnitte
mit problematischem Butteranftrich
und zu Mittag homöopathische Por
tionen Klops, Saftsuppe- Schellfisch,
Milchfuppe und ähnliche Gerichte, die
mit dem trefflichen Namen »Don-s
- mannslost« beehrt werden.
Kandidat Stein genoß Aüberdies-E
noch eine andere Gunst eraulem
Klara, die einzige Tochter des Hau
ses, hatte nämlich ihr zärtliches Herz
zu seiner Disposition gestellt, und der
Kandidat lonnte daher von allen An
nehmlichkeiten und Unannehmlichtei
ten des Bräutigamsstandes profitiren.
Bei früheren Gelegenheiten hatten
ein Kandidat der Theologie, ein Leut
nant und ein königlicher Selretär die
selben Privilegien — inllusive Fräu
lein Klara’s Herz —- besessen, aber sie
hatten sich sämmtlich bewogen gesehen,
zu verziehen, da Frau Rambel den
sehr logischen Schluß gezogen, daß
Klara demjenigen, dem sie »alles« Im
Leben sein sollte, auch »alles« im
Hause sein müßte, weshalb die B
trefsenden sür ihr Geld fast nichts an
deres erhielten.
Bald nachdem der iänigliche Seer
tär sein Logis im ause der Mutter
und irn Herzen der wochter geiiindigl«
hatten Stein und Klara —- bei Ge
legenheit englischer Vorlesungen in
der Universität —— einander lennen ge
lernt. Sie hatten nebeneinander ge«
sessen, in dasselbe Buch gesehen, ein
ander Bleistifte geliehen, und am
Schluß des Quartals hatte Frau
Rarnbet einen neuen Miether und
Klara einen neuen Bräutigam.
Der zweite Pensionär war ein ver
waistes junges Mädchen, eine Kon
toristin, die Abends Stickereien ser
tigte, um ihren Unterhalt bestreiten zu
können.
Es war Abend. Der Theetisch war
gedeckt und die Lampe angezündet.
Frau Rambel und Tochter, beide
in Gesellschaftstoilette, da sie von Ver
wandten Theaterbillets geschenkt er
halten hatten, saszen voll sichtlicher
Ungeduld auf dem Sosa, während
der Kandidat in einem Schautelstulzl
lag und die Gipsornamente der Decke
studirte.
»Nun ist die Uhr bald sieben, und
Fräulein Hausen ist noch immer nicht
da, wiewohl ich sie gebeten habe, heute
möglichst früh zu kommen, da das
Mädchen große Wäsche hat, sodaß
während unserer Abwesenheit Nie
mand da ist, um das Haus zu hüten
und —- falls Jemand läutet —- die
Flurthiir zu öffnen,« bemerlte Frau
Raknbet verstimmt.
»Das sieht ihr ähnlich,« versetzte
Klara sin. »Wir behandetn sie nahe
zu verwandtschastlich, doch bitten wir
sie um einen kleinen Dienst — o Gott
bewahre! Das ist zu viel verlangt.'·
»Es wird ihr wahrscheinlich un
möglich ewesen sein, abzutommen,«
wandte r Kandidat ein. »Sie ist
doch sonst ein so angenehmes, hilfs
bereites Mädchen.«
»Ja, vertheidige sie nur, Du! Das
thust Duja jmnier.·»tl)»2am·a»und ich
T- »He-sk
mlsyanoclll sle Ia Iulayrccrlw, usu
hätte sie Dich nicht zum Ritter, so—-—««
»Hm-, Klara,« sagte der Kandidat
anmuthig, »verschone uns heute Abend
mit Disputen Jch gedenke nicht um
den Doktorgrad zu disputiren unt
tann Deiner Lettion in Dialektik da
her entrathen.«
Eine bitteee Antwort schwebte aus
Klarcks Lippen, doch ihre Mutter tacn
ihr zuvor, indem sie sie ersuchte, hin
auszugehen und nachzusehen, ob das
Fräulein mittlerweile heimgekommen
er.
Klara ging und kam sogleich wie
der, gefolgt von Fräulein Hansen, di(
ein wenig roth und verlegen aussah
»Jo, Mann-X tagte sie höhnisch
«Fröulein war richtig schon daheim
Und weißt Du, was sie that? Si·
stand draußen im Treppenslur unt
aß eine Apfelsine. Natürlich aus
Furcht, sie mit uns theilen zu müssen
falls sie sie mit hineinbriichte. F«
donet«
,.Wollen wir nun nicht Thee trin
ten?« unterbrach der Kandidat ernst
Der Thee wurde unter allgemeinen
Schweigen eingenommen, und alt
man sich vom Tisch erhob, sragtc
Nebraska
Staats-I Uzrjgrx UUU THUUUlU
Jahrgang 27.
H - -
Grund Island Nebr» 14. September 1906 (Zweiter Theil.)
No. 3L
Frau Rambet Fräulein Hausen in
ironischem Ton, ob sie es wagen
dürfe, Fräulein mit dem Ersuchen zu
beschweren, während ihrer Abwesen
heit das- Haus zu hüten, wozu Lieg
.heth sich gern bereit erklärte.
»Du bist wohl so gut, uns jetzt zum
Theater zu begleiten und uns Punkte
zehn adzuholen,« wandte Madame fuh
dann an den Kandidatem
Einige Minuten später hatten sie
das Haus verlassen und Liesbeth war
allein.
Bei seiner Rückkehr fand der Kan
didatsie mit einer Stickerei im Wohn
zimmer sitzen.
,,Fteißig wie immer," bemerlte er.
Ein ivehmiithigeö Lächeln erhellte
iljr blasses-, sympathisches Gesicht. ,
»Ja, man muß wohl, um den An
sorderungen des Dasein-s gerecht zu
werdet-. So leicht wie die Spatzen
und die Lilien aus dem Felde haben
trir Menschenkinder es nicht«
»Arn.es Mädchen,« dachteer, wäh
rend er sich in sein Zimmer begab.
»Sie verdiente ein besseres Geschick.«
Die Uhr schlug echt -—-- halb neun —
halb zehn-und Liesbeth saß und
nähte.
Da hörte sie den Kandidaten durch
den Korridor hinausgehen, wahr
scheinlich um die Damen aus dem
Theater abzuholen.
Doch ateich daraus vernahm sie von
der Treppe her einen schweren Fall.
Sie sprang empor und eilte hinaus-.
Am Fuße der Treppe lag Stein
mit blute:·.dem, zerschlagenem Kopf.
»Helf-en Sie sich Schaden gethan?«
fragte sie erschreckt, bemüht, ihm eins
porzgihelsm
» s hat nichts in sagen,« versicherte
es:. »Dein-. Hinuntergehen bin ich auf
tirgend einem aus der Treppe liegenden
J
Gegenstande ausgegmienk
»Ach, esist ein Stück der Schale
meiner unseligen Avselsine, das mir
vorhin entfallen sein muß,« sag-te sie
erschreckt nnd betrübt. »Mithin bin
ich die leidige Ursache Ihr-es Falles.
Aber Sie bluten ja "
»O, nur eine tleine Beute in der
Stirn nnd eine leichte Kontusion des
Ellbogens. Morgen ist altes wieder
« gut,« sagte er, während beide zum
Wohnziizmier zurückkehrtm
»Ich flirctste, Ihre Verletzung ist
schlimm-m als Sieisaestehen wollen,
und ich bin schuld daran.«
Thrijucn schimmerten in ihren
Augen.
,,Besie:-x Fräulein, ich weiss, ja, das;
Sie es nicht absichtlich gethan haben.
Iriistenkzie sich«alsd und verschaffen
Sie mir lieber etwa« Wasser und ein
paar Lapi-sen, damit ich mir talte Uni
« schläqr aus die Stirn machen lann.«
Liegbeth eilte hinaus und lehrte
alsbald mit dem Geiniinschten zurück.
»Gestk:tten Sie, daß ich Jhnen die
Umschlcige Inache,« bat sie.
»Dann müssen Sie sich aber setzen.
Sie können unmöglich so lanae
stehen-" .
Sie nahm ein TaboureH setzte es
neben seinen Lehnstuhl und begann
so leich init den Umschlägem die sie
beständig wechselte.
»Nun siihle ich mich bereit-«- besser,«
bemerkte er nach einer Weile. »Die
Geschwulst ist schon wesentlich zurück
gegangeu.«
Liesbeth wandte sich jäh und lies;
vor Schreck den Usnschlag fallen.
,,R’tlti, das muß ich sagen,« klang
des plötzlich-von der Fihiir her.
Jn der ksluriyur stand Franz-um
det, aschgkau vor Wuth, und hinter
ihr ward Mater-I ,«.orncntstellteg Llnt
litz sichtbar.
»So! Also dar-Im mußten Ivir in
dem zuaigen Vestibiile vergebens wars
ten und schließlich allein nach Haufe
gehen!« riesErstere außer sich. »Unt
daher finden wir die Feurthiir offen,
so daß Diebe und Räuber ungehindert
aus- und eingehen lönnent Der Her
Kandidzt und das Fräulein waren so
ersiillt von ihrer gegenseitigen Gesell
schast, daß sie darüber alles um sich
her vergessen haben."
»Juki-e Heuchelei!« wandte sie sich
dann an Liesbeth, ,,vergiltsi Du so
meine Wohlthatent Nun begreise ich,
warum sllara ihre Verlobten niemals
behalten tonute.«
»Schlange!« zischte das Fräulein
sinnt-bebend
»Ja, Schlange!« fiel die Mutter
ein, «S-.hlanqe. die sowohl den Theo
logen als den königlichen Setretiir
aus unserem tleinen Paradies ver
trieben l)at!«
»Schon zwei Vorgängers Na
dante!« :nurmelte der Kandidai
»Ich müßte nicht, was meine frühe
ten Beziehungen mit dieser Sache zu
thun haven!« sagte Klara in heftigem,
geteizteni Ton. »Und was das bit-li
sche Gleichnisz anbelangt, so muß ich
Dich dahin berichtigen, daß nicht die
Schlange. sondern der Engel die ersten
Menschen-aus dem Paradiese vertrie
ben hat-«
»Das ist mir ganz gleichgültig,
l
mein Engel. Aber eine Schlange ist sie, .
die nicht nur zwei Menschen, den tö
niglichen Setretär und den Theolo-:
gen, sondern auch den Leutnant, den
siiszen Leutnant, verführt hat«
»Du-ti« rechnete der Fundidat law-z
nisch. ·
»Nein· Mama, da möchte ich doch
behaupten, daß der Leutnant einen viel
zu guten Geschmeid hatte, um Fräu
lein Hansen mir( wessen-elfen sDn
weißt sehr wohl, dasz er nur deshalb
fortzog, weil er, wie er sagte, zwar
Von meiner Anmuth gefesselt dieser
halb jedoch nicht gewillt sei, von Ge
fängnißtost zu leben.«
»Es hilft nichts, Fräulein Hausen
in Schutz zu nehmen, Klara; sie soll
leine Minute länger unter meinem
Dache bleiben. Diesmal haben wir sie
jedenfalls auf frischer That ertappt.
Hinaus aus meinem Haus-P fuhr sie,
zu Liesbeth gewandt, fort. »Augen
biicklich hinaus, oder ich lasse Sie
durch die Polizei binauswerfenZ Und
ifvas ·Sie anbelangt, Herr Kandidat,
to — ro «— «
»So ist das eine Sache, die wir
beide mit einander abzumachen ha
ben,« sagte Klam, bemüht, möglichst
ruhig zu erscheinen. »Nach dem Vor
gefallenen ist selbstzedend alles aus
zwischen uns. Jch bin schändlich be
trogen. Hier ist Jhr Nin , geben Sie
mir den meinen zurückl« chloß sie mit
steigender Heftigieit
Der Kandidat hatte sich erhoben
und strich mit der Hand über seine
feuchte Stirn. Er war blaß, aber
vollkommen ruhig, wähernd Liesbeth
wie versteinert dastand.
Sind hin mai-non nun n- lcnds To.
«--».- - -s »s- --- - Inv-, I
daß auch ein Anderek zu Worte kom
men tann?« fragte er »Wir sind:
mit Ungehörigteiten überhäuft wor
den, warum, ist mir unklar· Jch fiel
von der Treppe und habe mir die«
Stirn zerschlagen, und Fräulein Han
sen war so freundlich, mir kalte Um
fchläge zu machen. Das ist unser
ganzes Verbrechen. Sie haben mithin
absolut keinen Grund, sie »stante
pede« vor die Thür zu setzen, meine
Gnädige. Gehen Sie in Jhr Zim
mer, mein Fräulein. Morgen werde
ich Jhnen bei einer Verwandten von
mir Logis besorgen.«
Liegbeth entfernte sich wortlos.
»Ein-as Vernunftiges hat Klara
heute Abend aber doch geäußert,« fuhr
er sodann fort; »nämlich, daß alles
aus sein muß zwischen ung. Jch habe
schon längst eingesehen, daß eg für
uns beide besser wäre, und hätte ich
gewußt, daß das Fräulein ihre Bräu
tigams wie Handschuhe wechselt, und
daß ich die Marcke »No. 4« getragen,
so hätte ich sie schon lange ersucht, sich
nach einer höheren Nummer umzuse
hen. Jch passe für ihre Hand nicht.
Hier ist mein Ring. Daß ich zugleich
mein Zimmer kündige, ist ja wohl
selbstredend, meine Gnädige. Und
nun dürfte uns allen Ruhe noth thun.
Gute Nacht.«
Frau Rambet murmelte etwas Von
Uebereilung, Mißverständnisz u. s. w.
»Gute Nacht, gnädige Frau.« wie
derholte der Kandidat talt und verließ
das Gemach.
»Da ging der Vierte!« rief Klara
weinend. »Das ist Deine Schuld,
Martia. Es hätte alles wieder gut
werden können, wenn Du ihm nicht
meine alten Bräutigams aufgetischt
hättest."
Am nächsten Tage verzog sowohl
der Kandidat als Fräulein Hausen.
Der Erstere miethete ein Zimmer in
einem Vorort, während Liesbeth bei
einer seiner Tauten, einer freund
tichen alten Dame Pension sand.
Der Kandidat kam oft dorthin und
fand das junge Maocyen jedesmal
liebenswürdiger nnd anziehender. So
lange er mit Klara vertobt gewe en,
war es ihm nicht eingefallen, i gend
welche zärtlichen Gefühle für Liesbeth
zu hegM,--doch seit-Frau und Fräulein
Nambet ihm diese Eventualität vor
oemonitrirt hatten, begann auch er sie
nicht sitt unmöglich zu halten. Und
eines schönen Abends fragte er Lieg-:
beth, ob sie Frau Stein werden wolle,
und das wollte sie von Herzen gern.
Bald daran erhielt der Kandidat
eine Anstellung an dem Gymnasium
einer Provinzialstadt und etwa ein
halbes Jahr nach dem verhängnißvoL
len Ereigniß mit der Apfelsinenschalel
las Klara Rambet eines Morgens un
ter der Rubrik »Verehelicht«: ,,Gnn1
nasiallehrer Albert Stein und Elisa
beth Hansen.««
Die Hochzeit wurde in aller Stille
bei der Tante Stein’s gefeiert.
Beim Dessert wurden Apfelsmen
servirt. i
»Daß Du mit aber keine Schale zu ;
Boden fallen lässest, Liesbeth,« scherzte
der Bräutigam.
»Bewahre, das könnte wieder ein
Unglück geben«
»Ein Unglück? Jch dächte, uns hat
es nur Glück gebracht.«
»Ja, Du hast recht. Wie wunder
bar sind doch die Wege des Geschickes!«
sagte sie danlessroh.
»Nicht wahr? Und der Weg zum
Gliick kann sogar über eine Apfelsi
nenschale führen.«
——-.
Unter unwiderstehlichem
Zwang·
Von Richard Deinmler.
»Jgnich,« sagte der jüngste Konzi
pient Heller am untersten Ende des
Juristentischeg, dessen Gesellschaft sich
cillabendlich im ,,Gsoldenen Löwen«
zum Viere einsam-. Man «fachssim
pelte« natürlich, war aus ,,mildernde
Umstände« und so auch aus den »un
Ioidersteblichen Zwang« zu sprechenng
komme-u »J"s nich«, sagte Richard
Zeller nochmals in jenem näselnden,
schnoddriacn Ton, den er siir beson
Vers »sein« hielt; er zoa dabei krampr
haft sein Miniatnrbärtchen in die
Höhe, und stieß den Rauch der Ciga
rette aus zum Kreise geöffnetem Mund
als kleine Ringel in die Lust.
»Nein, wirklich, in den meisten
Fällen herrscht ja doch ein moralischer
Desett :«,-:r,« wandte auch Doktor Horn
ein« eine-.- der älteren Herren, mit ei
nem smnpathischen, liebenswürdigen
Gesicht, »daß ein ganz normaler, ver
nijnlstiger Mensch Von Charakter ein
vcritables Verbrechen begehen wiirde,
init dem Milderuitgsgrund ,,unwider
stehlicher Zwang«, das ereignct sich
Loch not-lob nicht nllmnftsp »
»Aber doch manchmal,« warf der
Staatsanwalt Baron Kuttos eite,
während ein leises, lustiges Lachen wie
Sonnenschein sein gewöhnlich sehr
ernste-s Gesicht erhellte.
»Ske sagen das so sonderbar, Herr
Staatsanwalt, als hätten Sie Jhre
besonderen Erfahrungen?«
»Hab’ ich auch!«
»Sie altenbem daß ——- ——-«
»Ein Mensch ohne moralischen De—
fett, ganz niichtern und verniinstia,
ein Verbrechen begehen tann —-—ja,da-Z
glaube ich allerdings; inebr als da-«
« ich weiß es!«
»Ein Verbrechen?«
»Na, Gott, meine Herren, keinen
Mord, obwohl ich auch den Fall fiir
nicht ans-geschlossen halte -—-— aber im
merhin ein Verbrechen nach den Para
araphen unseres Gesetzbuches Jch
will Ihnen mal die Geschichte erzäh
len, sie macht mir heute noch Spaß.
Jch stand damals —--seg ift schon lange
her ----sani Beginne meiner richterlichen
Laufbahn, ein bischen Heißsvorn,
strean im Denken, rasax im Urtheil
wie unsere jungen Herren da unten.«
Sein lustiger Blick streifte Heller, der
sehr interessirt zuhörte. »Ich war jung
rerheirathet, sehr verliebt und ver
brachte meinen Urlaub mit meiner
Frau iu einer herrlicken Gebirg-Z
aegend. Der Sommer war auch
prachtvoll, fast zu heiß unt trocken,
und wir unternanmen täglich Aug
flöge in die herrliche Umgegend. Meine
Frau wir'sehr jung und sehr zart. Sie
hatte im Winter eine böse Jnflnenza
lebet-standen und der Arzt warnte mich
nor Eriältungen Sie selbst war noch
ängstlicher als ich, und so schleppten
wir trotz der Hitze getreulich Mantel
und Sturme auf all unseren Wegen
n:it, natürlich immer unniitzl Es
wurde weder tiibl -—— noch regnete ed.
Endlich trat mir das Mitschleppen
denn doch zu dumm. Eines Sonntaas,
wir hatten eine iiinaere Fußwande:
rnng ch, der Himmel war wolkenlos,
erklärte icb lateaorisch wird heute der
Ballast ’n::.l zu Hause gelassen! Alle
»wenn nnd aber« meiner kleinen Frau
blieben wirkungslos An einem bis
chenReaen wird man schließlich auch
noch nicht zu Grunde gehen, wenn einer
krnunt, aber er kotnmt nicht. Meine
Frau fiizite sich. Sie trua zu all unse
ren Partien das Dirndlgetoand der
Baubernuiiidchem kurzen Ziattunrork
und Ell-Fieber, weiße weite Leinenärmel,
Buseiituck, Schürze und großenStrohs
but. Sie sah allerliebst aug. Lufkig
traten wir unsere Tour an.
Gewitter im Hochgebirge sind beim
tiickischx die Wolken lauern hinter den
hohen Bergen, ein Windstoß jagt sie
hervor, und ehe man noch recht über
legen kann, hängt Alles voll schwerer,
schwarzer Nebelfetzem ein Orkan bricht
los-, ein Wollenbrus.t) stürzt nieder, es
blitzt und donnert —- und nach einer
Stunde oder zwei. als wär’s ein toller
Spuk gewesen, ist Alles vorüber, der
schönste blaue Himmel lacht den armen
durchweichten Tquristen aus.
Mitten am Wege, weit und breit
keinerlei Uiiterschlupf. eine Stunde
entfernt non der nächsten Bahnitation,
überraschte uns so ein nnertvartetes
Gewitter. Ein tvoltenbruchartiger Re
gen ging nieder, dein wir preisaegeben
waren, denn wir mußten einfach wei
tetgehen, hatten nichts zum Schutz, als
den rothen Sonnenschian meiner
»Frau! Als- wir das kleine Bahnhoss
restaurant erreichten, boten wir'einen
crbarmunaswiirdigen Anblick; wo wir
standen, lsildeten sich kleine Seen. Da
bei will ich von mir nicht sprechen;
nrein joasserdichter Lodenroch hielt
nohl das Gefühl der dampfenden
Feuchtiakeit nicht ab, aber doch die
effektive Rüsse. Meine kleine Frau
indessen! Vollständig aus-winden und
zum Trocknen aufhängen! Ein anderes
Mittel aab es nicht! Aber wir muß
ten fort! Der Zug, der in fünfzehn
Minuten vorübertam, war der letzte,
irir hätten in dem Neste sitzen bleiben(
müssen bis zum andern Morgen. Der
Gedanke, in einem der wenig einluden
den Bauernwirthshäuser zu übernach
ten, jagte meiner Frau Entsetzen ein,
und außerdem, meine Schwiegermama
erwartete uns Abends zurück, sie war
so überaus ängstlich« ein Telegramni,
daß wir nicht heimkämen, würde sie zu
Tode erschreckt-n —- nein, wir mußten
fort! Aber meine kleine Frau in dem
Zustand? Sie mußte sich erkläten.
»Weißt Du, Carlo,« sagte sie halb
lachend, halb schmerzlich, ,,alles Andere
macht nin gar nichts-, nur die nassen
AerrneL die mir so an den Armen kle
ben! Tas ist gräßlich! Wenn ich nurl
zwei trockene Tücher hätte, mit denen
i«.b mir die Arme umwinden könnte-,
daß dass Zeug nicht Co direkt aufliegt!«
Tücher! Herr des- Hiinrnels, wo
nimmt man in einem kleinen Bahn
bofsresiaurant Tücher her! Die Wir
tiun bitten! Ja, das wollte ich! Da
wurde Zum Einsteigen gerufen. Unser
Zug-. nnir mußten fort! Aber meine
Frau anderthalb Stunden mit-den
nassen Izlcrmeln im Conpee sitzen — ihr
Tod konnte das seir.! Was thun? Da
der liondukteur ruft: »Einsteigen!«
Der Kellncr ist gerade auf dem Person,
wir find allein —-- -— --— Zum Sernietk
tenkorb stiirzen, zwei Servietten er
greifen, meine ganz bestürzte Frau
packen, zum Wagen zerren, ssie ins
Coupee schieben —— das Alleg- war das
Wert einer Sekunde
Der Zug setzte sich in Bewegung,
außer Une« war Niemand im Coupee
gebliebe::. Jch wischte mir den
Schweiß bon der Stirne, schob dann ;
meiner nie erstarrt dasitzenden kleinen ;
Frau ganz ruhig die nassen Aermel in
die Höhe, bandagirte ibr die Arme
ganz regelrecht mit den trockenen Ser
riettten und ließ mich dann erschöpft
in die Kissen fallen.
»Carlo, Du hast gestohlen!« stöhnte
meine Frau.
Jch lachte Jaivol)t, ich hatte gestoh
len, da gab’s gar nichts-! Jch hatte
einen Augenblick des Alleinseins be
nützt, um mir u:1r-:chtniäßig fremdes
Eigenthum anzueignen --— das- stimmte
auf ein Tiipselchen! Aber —--- der Un
lriderstebliche Zwang! Meine Frau
inußte die trockenen Tücher haben, mir
blieb keine andere Wahl. Mein Plai
dener beruhigte meine Frau bald, wir
lachten weidlich dariiber, daß der Hiiter
des Rechts ein ganz gewöhnlicher Ser
viettendieb geworden, denn das war ich
doch, dariiber gab’s gar keinen Zwei
sel. Wir haben am anderen Tage die
Eervietten vünltlicb zurückgeschickL
und meine Frau verurtheilte mich
lebenslänglich zu Ueberroct und
Schirm —— als Sühne Ich habe aber
seitdem oie Macht des »unwiderstehli
eben Zwanges-« respektiren gelernt.
Am Vorabend der Schlacht von
Schar-.
Jn einem demnächst in Paris er
scheinenden Buche »Notes et Sonde
nirs« berichtet der bekannte Oberst
Ch. Corbin über eine ebenso interes
sante wie bedeutunggvolle Episode im
französischen Hauptquartier am Vor
«c«--)- k-- HEXE-Js- ksps C-h«» Es
kM »I- ·, VI »Hu-· »» ppppp
kein großen Saale der Unterpräfektuscl
saß Napoleon der Dritte in der Uni
form eines Divisioiisgeneralss vor
einem mit Brit-sen und dechiffrirten
Depeschen bedeuten Tische und lies;
zerstreut seine Blicke über ein-e Karte
sakweifein die ausgebreitet vor ihn-.
lag. Trotz der scheinbaren Gleichaiil
tigteit und Ruhe vermochte er doch
nicht den Ausdrucks tiefen feelifchen
stumm-ers zu verbergen, der seine kör
Perlichen Leiden nur noch unerträg
licher machte. Von düsteren Gedanken
röllig erfüllt, in der Hanid eine erlo
fchene Zigavette haltend, blickte er
theilnabmslos auf seine Umgebung,
die sich nur im Flüstern-ne zu unter
kialten wagte. Die wenigen Lampen,
die in dem aroßen Saale brannten,
warfen ein bleiche-s Licht auf die fah
len Zijae des französischen Kaisers.
In seiner Nähe befanden sich seine
Adjutanten Castclnau und Ney, ans
dere Generäle standen zerstreut im
Saale umher, als ein Ordonnanzofsii
zier eintrat und mit leiser Stimme
dem Kaiser einige Worte sei-ate, die
dieser mit einem leichten Kopinielen
erwiderte. Daraufhin traten etwa
zehn Generiile ein, an ihrer Spitze
Mars-Mahom dann Ducrot, FetDouaL
Wimpfien, Lebt-un, Foraeout u.a.
Nachdem Napolcon sie zum Sitzen ein-—
M
geladen hatte, wandte er sich an Mne
Mahon und sagte ihm, daß et die
Verhältnisse fiir sehr ernst halte und
lrohl wisse, das; die Entscheidung dec
Liirieges nahe. Trotzdem wolle er nicht
wieder den Oberbefetkl ergreifen- (den
er dem Marschnll abgetreten hatte),
aber er bitte ihn doch, ihm seine Auf
sassung der Lage mitzutheilen und die
Pläne, die er fiir die Fortsetzung des
Lriegecs und fiir die bevorstehende
Schlacht ergriffen·habe. Mit sichtlicher
Anstrengung hatte Napoleon gespro
chen und seine anfangs laute Stimme
endete völlig tonlos. Als dann Mac
-tahon seinen Schlachtplan entwickelt
hatte, der mit der Aussicht auf einen
völlig-en Sieg endete-, bemerkte der
Ziaisen »Gott möge Jhre Hoffnungen
erfüllen ——« aber sein Gesichtsausdruck
verrieth daß er nicht mehr daran
glaubte. Als sich daran die Ver
sannnlung erhob. um sich zurückzu
ziehen, hörte man plötzlich aus einer
Ecke des Zimmers eine bittende Stim
xnerufem »Gnade, Sire!« Zugleich
sdrängte ein junger Osfizier die ihn
nmgebenden Generäle zur Seite und
suchte an den Tisch des Kaisers zu ges
langen. Napoleon sah erstaunt anf,
als er die Stimme vernahm, und er
blickte einen ausgezeichneten Kavalle
rieoffizier, den er wegen seiner hervor
ragenden Fähigkeiten außer der Reihe
zum Schwadronschef ernannt hatte.
Tief erregt stand der junge Offizier
ror ihm und sagte, daß er sich der
Tragweite siner Disziplinlosigkeit
wohl bewußt sei; er wisse, daß ein
-kriegsziericht über ihn zusammentreten
werde, er selbst werde es beantragen,
aber unbekümmert um alle Folgen
flehe er den Kaiser noch einmal an,
ihm Gehör zu schenken. Mit angst
lichem und gespannten Erstaunen hatte
der Kaiser ihm zugehört und gab ihm
dann die Erlaubniß, zu reden. Und
nun setzte ihm der junge Ossizier aus
einander, wie das französische Heer
der fitrkbtltarsien Katastmhlie entom-n
gehe, da der Angriff der Deutschen
zweifellos in aller F"riihe««ersolge, um
dem von langen Märschen erschöpften
Feinde keine Zeit zur Ruhe und zur
Erholung zu gönnen. Keine siebzigtau
send, sondern zweimalhunderttausend
Deutsche hielten die umliegenden
Höhen besetzt, denn nicht nur die Ar
rnee des Kronprinzeu, sondern auch
die zweite Armee stehe vor Sedan und
der König von Preußen befinde sich
an ihrer Spitze. Und neben der nn
merischeu Ueberzahl besäßen die Deut
schen auch jene frohe Siegeszuversicht,
die deu Sieg verleihe. Um diesen
Vortheilen in der Hand eines furchts
baren Feindes entgegentreten zu kön
nen, intisse das iranzösische Heer we
niastensks gute Stellungen inne haben,
aber diese Stellungen besäße das Heer
nicht. Bei aller Verehrung fiir den
YJiarseh all, unter dessen Fahnen er sich
kir ersten Lorbceien in Der Krim ge
holt habe, und dem er in kindlicher
Treue anhänge, müsse er dem von ihm
entwickelten Kriegsplan doch wider
sprechen. Als Knab-e habe er in Se
dan gelebt, sei zweimal als Offizier
dorthin Versetzt worden. keine Terrain
falte, keine Hecke, kein Baum-—niehsts
sei ihm unbekannt geblieben und alle
natiiriichen Vortheile seien in preußi
schen Händen· Mit fteigender Unge
duld hatten die Geueräle ihm zuge
hrt, Wimpffen lnurrte mit halblauter
Stimme, aber doch deutlich genug, um
gehrt zu werden, daß er nicht zue
Armee gekommen fei, um sieh voi:
einein Schwadronschef Vorlesungen
iiber Siriegswissenschaft halten zu las
sen, aber MacMahIn rief ihm zu,
den Offizier reden zu lassen, wenn
der Kaiser es gestatte, da eine solche
Geländekenntniß dem französischen
Heere nur von Nutzen sein könne. Und
während der Kaiser dem Marschall
beistimmte, entwidelte der junge Ritt
meister in feurigcr Rede die Vortheile,
die ein Rückzug nach Mczieres bring-en
werde, und schloß in tiefer Erregung,
während der Kaiser ihm gnädig die
Hand reichte. Dann wandte sich Na
poleon an Mac Mahon und fragte ihn
um seine Ansicht Der Marschall
mußte zwar zugeben, daß die eben erst
ins Inihmnk einnesiiekten vaven
miide nnd erschönft seien, betonte aber
auch, daß jede Veränderun ihrer
Stellung zu so später Stunde große
Unordnung nach sich ziehen werde und
gab wiederholt der Zuversicht Aug
drurk, daß die drohenden Schwierig
keiten nnd Gefahren wohl zu überwin
den seien, wenn jeder seine Pflicht
thue. ,.Möge der Kaiser entscheiden
Wenn er glaubt, daß die neuen Vor
schlage den meinen, die auf einer we
niger zjenauen Kenntniß des Geländer
beruhen, vorznziehen seien, so werde
ich sofort die nöthian Befehle geben
nnd ihre piinktliche Befolgung so viel
an mir liegt, wird gesichert sein«
Dann wandte Mac Mahon sich zu den
übrigen Korpsiommandantem die sich
schweigend verneigten, und fiigte hin
zu: »Diese Herren denken wie ich, ihr
Gehorsam ist dein meinen gleich. Der
Kaiser möge besehlen, wir folgen
ihni.« Napoleon ließ aus diese Worte
Machtahons hin seinen Kon in di:
Hand sinken und eine Welt von Ge
danken schien ihn zu durchstiirmen.
Dann sagte er: ,.Lieber Marschall,
lassen Sie die Dinge wie sie sind« . ..
— w
Daß China eine Million Soldaten
aus-bilden läßt, ist nicht wunderbar,
wohl aber, was es mit ihnen zuerst
anfangen wird.
III Il· sit
Das Jdeal der Ente ist nicht der
Schwan, sondern der Enterich.