Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, July 27, 1906, Image 5

Below is the OCR text representation for this newspapers page. It is also available as plain text as well as XML.

    Ver Eifenbahndieb.
humokesie von Auguste Weinen
Während die rau Hoftäthin noch
mit behaglichet msiändlichkeii früh
fiüctie und das Töchiekchen schnell eins
pack Ansichtskatten an zu Haufe ge
bliebene Freundinnen vollikitzelie,
warf det Papa rasch einen Blick in
die vom «Kellner gereichte Zeitung.
Doch kaum hate er sie ein Weisen
mit Amismiene siudirt, so fuhr ·
schon fein Kopf in die Höhe. »New
— Da haben wit’ö!«
·,,Was denn-" frug die Frau Hos
riithin, ohne sich in der gemächlichen
Bestreichung eines Butterbrötchens zu
unterbrechen. Auch das Töchterchen
sah nur flüchtig fragend aus dens
Papa, doch dieser bannte die beidenj
Damen «durch einen förmlich trium
phirenden Blick. »Wiedee ein Eisen
bahndieb«, sagte er mit ordentlichen
Genugthuung »Da könnt ,ihr’s se
hen, ob ich nicht Recht habe, wenn ich
immer sage: Vorsicht, Vorsicht! Jhr
solltet Euch viel einfacher kleiden, ohne
Schmuck.« Er wies tadelnd auf die
Uhrtetten der Damen und auf die
werthvolle Brosche seiner Frau. »Es
ist teinemMitteisenden mehr zu trauen,
besonders, wenn er ein Taschentuch ge
braucht.«
»Aber hoftath!« lächelte die Gat
tin.
»Aber bitt’ schön, was denn? Eben
mit dem Taschentueh wird’s gemacht
— die Betäubung nämlich«, fügte er
ertliirend hinzu. »Der Mensch da«,
er tippte auf die Zeitung, ,,hat mit
seinem von einer nartotischen Flüs
sigkeit durchträntten Taschentuch her
umgewedelt, sodaß seineMitreisenden,
zwei Damen, eingeschlummert sind
Dann hat er die Betäubung vielleicht
noch verstärkt —- turz, als die Da
men nach Stunden erst erwachten,
war ihr Reise esährte verschwunden
und mit ihm isre Geldtäschchen und
ihre Schmucksachen, Uhren, Broschen,
sogar die Ringe von den Fingern!
Der Mensch soll das Aussehen eines
elegant getleideten Kavaliers gehabt
haben.« Der Hofrath sah bei den letz
ten Worten seine beiden Damen be
deutungsvoll an und ließ dann seine
Augen mit unaussälligem, aber schar
sem Blick durch den kleinen Saal glei
ten. wo an verschiedenen Tischchen die
Hotelgiiste sriihstiieiten.
s.,,Wundert mich, daß er nicht hier
it.«
»Wer denn? Der Eisenbahndieb«e«
srug sehr erstaunt die Gattin.
Das Töchterchen lachte.
»Wer? Der Mensch, der uns seit
24 Stunden —— seit gestern Morgen
—- wie ein Schatten verfolgt!«
Die Hofriithin schüttelte den Kopf,
ais begriffe sie nicht.
»Seit gestern Morgen«, betonte der
Hofrath »Der in denselben Zug, in
denselben Wagen, in dasselbe Kupee
wie wir steigt, der denselben Mittags
aufenthalt nimmt, in demselben Gar
tenrestaurant speist, seinen Kaffee in
demselben Kaffeehaus trintt und nach
dreistiindigem Aufenthalt ausgerech
net wieder denselben Zug wie wir be
steigt, wieder denselben Wagen. nur
nicht dasselbe Kupee. weil zufällig
tein Platz mehr war. Dafür hat er
sich draußen im Gang herumgetrieben
und auffallend oft hereingeschaut.
Uebringens, Märchen«, wandte er sich
an seine Tochter und sah sie scharf
an, »du warst auch eine Zeitlang
draußen. Der Mensch hat dich doch
nicht etwa angesprochen?«
Märchen wurde roth.
»Nun?« Er hat nichts weiter ge
sagt«, stotterte Märchen, »nur die Na
men der Berge, die man fah.'«
»Siehst du Emilie«, wandte sich der
hofrath aufgeregt an seine Frau, »du
sollst das Kind nicht aus den Augen
lassen.« » ch kann ihr doch nicht auf
Schritt un Tritt nachlaufen, sie ist
doch kein Babh mehr.«
»Hu er dich ar nichts gefragt?«
inqu rirte der Oofrath weiter, »wohin
wir reisen, ob wir eine größere Sum
me Baargeld mit uns fuhren?«
Märchen lachte hellauf. »Aber Pa
pachen, der sah doch wirklich nicht aus,
alb ob —" »Der Spitzbube.« lag der
hofrath gediimpft aber ausdrücklich
vor, »hatte das Ausfehen und Beneh
men eines Kavaliers-«
»Aber warum sollte es denn so
einer erade auf uns abgesehen ha
ben?« Fragte die ungläubige Gattin.
»Er denkt sich leichtes Geschäft bei
unk, du schläfst fehr viel.«
d»,,tJeh?« sagte die Hofriithin belei
ig .
»Sobald der Zug im Jahren ist,
nickst du.«
»Du auch!«
»O bitte, bei mir fieht das nur so
kaut« Der hofrath lachte schlau.
--j Stab halte die Augen offen, auch wenn
i e anscheinend zumache.«
»Der Omnibus sieht bereit,« mel
T rete der Xellner.
Der hofrath schnellte empor. »Habt
» ihr alle« Emilie, dein Umhan —
Märchen, die Plaidrolle——eure our
padourb, Kissen, Schirme!«
Es war alles da und wurde vom
Hausdiener in den Omnibuö beför
dert, den Herr hofrath Krüger mit
Frau und Tochter bestieg gefol tvon
noch einigenFahrgästem is au einen
« Platz war a es besetzt, aber noch blieb
bie Omnibusthiire of en. Der Herr
Hofrath sog ungeduldg die Uhr. Auf
wen war ete man noch « «
Endlich erschien der hausdiener
nochmals, beladen mit sehr elegantein
s-f»:cizrbgsepiicl uni- gefolgt von einem
seht istinguirt aussehenden, jungen
Herrn, bei dessen Anblick der Herr
Hosrath nur mit Milbe einen lauten
Ausruf unterdrückte
Mit höflichem Gruß, zumal gegen
die hosräthliche Familie, nahm der
Fremde Platz, und der Omnibus rollte
davon, dem Bahnhof zu.
Es standen Züge nach verschiedenen
Richtungen bereit, aber es überreichte
den Hosrath keineswegs mehr, daß der
distinguirt aussehende, junge Herr, der
»in demselben Hotel wie sie übernackp
tet, auch denselben Zug wie sie bestieg
und selbstredend auch denselben Wa
gen. Doch ein anderes Kupee mußte
er nothgedrungen wählen, nicht weil
dasjenige, wo die Familie Krüger
Platz genommen, beseht gewesen wäre,
aber weil der Herr Hofrath, der zu
nächst der Eingangsthiire faß, zu
feindselige Blicke durch seine fun
kelnde, goldene Brille warf. Das
Töchterchen ivar an der entgegengesetz
ten Fensterecke plazirt, gedeckt durch
die umfangreiche Mama. Der Zug
war nicht sonderlich besetzt, und ge
rade darum hieß es »auf der Hut«
sein, wie der Herr Hofrath mit war-·
nend erhobenem Zeigefinger bemerkte.
Der Fremde war weiter gegangen«
nicht ohne einen langen Blick in die
Fensterecke zu werfen, wo hinter der
breiten pigur der Hofriithin ein
blaues Hirtchen leuchtete.
,,hast du bemerkt, Emilie,« flüstert-e
der Hofrath eifrig, »wie er soeben
deine Diamantbrofche in’s Auge
faßte? Sobald er sich verdächtig
ina t, laß ich ihn sestnehmen.« -
« ea’ dich nicht aut, Hofrath.«
mahnte die Gattin, die bereits mit
halbgeschlossenen Augen in den Pol
ftern lehnte...
Es wurde ein heißer Tag, und
nachdem die Neisenden im Speise
wegen dinirt und sich wieder in ihre
verschiedenen Wagenabtheile zurückge
zogen, senkte sich über sämmtliche Pas
sagiere eine Müdigkeit, die an Unwi
derstehlichkeit dem Zauberschlaf in
Dornrögchens Schloß nichts nachgab.
Auch im hofräthlichen Kupee machte
man teine Ausnahme. Die Mama
schlief mit wahrer anrunst, und
Märchen, welche ihr ütchen abge
nommen, ebenfalls siifz und fest. Der
Papa hielt sich noch ein Weilchen wach,
indem er des verdächtigen Fremden
gedachte, der im Speisewaaen wieder
auffällig zu ihnen hinübergestarrt,
aber verle en weggeguckt hatte, sobald
er, der Hosrath ihn scharf aufs Korn
genominen... Vielleicht war es bei
ser, die Augen offen zu halten, viel
leicht —doch sie fielen ihm bereits zu,
und nachdem er noch ein paar Mal
nach der Brustkasche gefühlt, in wel
cher sein Porteseuille stat, sant sein
graumelirter Fion borniiber, und auch
er entschlummerte, jedoch nicht fofest,
um nicht bei jedem Geräusch gleichsam
die Ohren zu spitzen...
Nur einer im Zug schlief nicht, und
dies war ein eleganter, junger Herr,
welcher draußen im Gang- stand, an
scheinend die Aussicht betrachtete, da
bei aber ein" ewisses Kupee im Auge
behielt und ich schließlich demselben
näherte, um einen vorsichtigen Blick in
den lleinen, verduntelten Raum zu
thun. Nachdem dieser Blick sich von
dem allgemeinen Schlafzustand da
drinnen überzeugt, blieb er ungenirt
in einer gewissen Ecke haften. Dort
schlumnierte das leibhaftige Dornröcs
chen mit rosigen Wangen, ein freund
Fges Lächeln auf dein reizenden Ge
i t.
Durch den blauen Fenstervorhaika
stahl sich ein tleiner Sonnenstrahl und
spielte auf dein blonden, noli-schnu
iiiernden Märchenhaar.
Das Auge des Fremden hing ibie
gebannt an dem lieblichen Bild,pliitzs
lich aber besorgt an einer großer-.
häßlichen Fliege, die ebenfalls hinter
dem blauen Vorhann hervorgekommen
war, den blonden Kopf umsummte
unds sich dann breit und frech auf
Dornröschens rothen, schlummernden
Lippe-i niederließ. Das junge Mäd
chen zuckte ein wenig zusammen,
machte aber nicht auf. Der fremde
Herr zog nach kurzem Besinnen sein
Taschentuch hervor, trat vorsichtig
über die Schwelle des Kupees, uno
wehte mit deni start duftenden Tuche
über die Köpfe der Eltern hinweg nach
derEcke zu, wo das Töchterchen schlief.
Wirtlich gelana es ihm, die Fliege zu
verfcheuckiem under wollte eben seinen
Arm zurückziehen, als er sich plötzlich
am handgelenl ergriffen fühlte und
sin donnerndes »Halt« an sein Ohr
önte.
Mit aller Kritt, deren er fährs,
hielt der von feinem Sitze aufgefprum
Hene Hofrath den iunaen Mann fest,
ten er in unzweideutiger Situation
betroffen.
»Bei der That ertappt,« ertlärte er
funfelnden Auges den furchtbar ers-«
fchroetenen Damen, »er wollte uns be
täuben.«
Die Hofräthtn stieß einen Schrei
aus. Märchen aber rief mit bebender
Stimme »Papn, du irrft dich,« und
in ihre großen, blauen Augen trat
eine Thräne, was zur Folge hatte,
tsaß der Fremde mit aufleuchtendem
Blick zu ihr hinfah und lich -dann
ruzig lächelnd allein Weiteren über
lie . Seiner einfachen Aufklärung
des Jrrthums glaubte außer Klärchen
leln Mensch. am wenigften der Hof
rath, der sich wie ein Held vortani.
Der Schaxfner erschien, Neugieriae
drängten ich heran-—die Aufregung
riff um sich. Ein Eifenbahndiebi
elche interessante Begebenheit! Ein
anwesender Chemiter priifte das Tuch»
des Fremden und konnte nur Kisten-i
fchei Wasser entdecken.
Der Zug hielt, und zwanzig Stim
men riefen nach der Polizei. Und es
kam ein Vertreter derselben in Be
gkeitung des Jnspettors und anderer
Bahnbediensteten. Und nian prüfte
die Legitimationen des Fremden und
gab sie ihm unter devotesten Verbeu
gun en zurück.
» ntschuldigen der Herr Baron
vielma1s!«
Achselzuclen, Blicke und Wort-e von
wenig schmeichelhafter Art trasen dtn
unseligen Hosrath, der sich so schleu
nigst wie möglich sammt Familie
durch das Gewühl drückte und in ei
nen Hotelwagen retiete. Daß dies
noch möglichst glatt abging, verdantte
er der gewandten Art des Fremden,:
dem es bald gelang, unmuthige Mie
nen in lächelnde zu verwandeln. ;
»O Hosrath, was hast du gemacht,« .
seufzte die Gattin, während Klörchen
stille Thränen weinte.
»Wenn ich diesen Menschen nur in
meinem Leben nicht wiedersehen
müßte,« dachte der zertnirschte Hos
rath. Vergeblicher Wunsch! Kaum,
daß man aus der köstlich stillen Hotel
terrasse saß und nach des Tages Last
und Hiye den Adendsrieden zu genie
ßen begann, tauchte— o Schrecken —
schon wieder die elegante Gestalt des
Unvermeidlichen auf, vom Kellner mit
tiefer Berneigung begrüßt. Und nun
genug, der Fremde schritt auf den
hofräthlichen - isch zu, bot dem Herrn
Hosrath lächelnd die Hand und ent
schuldigte sich in liebenswürdiger
Weise, daß er durch seine nnbedachte
Handlung ein derartiges Mißver
ständniß verursacht. Mit herzlichem
Lachen und Händeschiitteln wurde die
Angelegenheit beigelegt, der Fremde
nahm am hofräthlichen Tische Platz,
und aus Klärchcn’s blaßgewordenen
Wangen flammte ein Wiederschein
des Alpengliihens anf, sdas man ges
meinsam bewunderte. "
Als aber drei Wochen später der
Herr Baron Egbert von Wilhelmsi
dorf bei dem Herrn Hofratif Krüger
tun die Hand seines liebreizenden
Töchterleins anhielt, da gestand letzte
res ein« daß der ,,verd"cichtige Fremde«
ihr schon während der ersten gemein
samen Fahrt-— das Herz entwendet
habe. -
,.Also doch ein Eisenbahndiev!«
rief der Hosrath befriedigt aus. —
» — - ?
Bunger, Mutter . . Hunger . .
Skizze von ,21.v.Wartenber«i-,«.
Sonntag ivar’i5, uni die Mittag
stunde, lurz vor Liidenschliisz.
Jn der Delitatessenivaarenhand
liing von Karl Roderich, in deren
Auslagen die ersten Erdbeeren und
Kirschen vereint mit den letzteiiApfel
sinen, mit Riesenspatgel und appetit
lich hergerichteten Schüsseln Salat,
Jiiit gespickten Braten iind lockenden
Pasteten ein einladendes Stillleben
lsildeten, standen dicht gedrängt die
Häuser. Da hielt die Dame im Sei
denkleid geduldig aus neben der Aus
wartesrau, die ihr init dem Einhole
storb an das tnisternde Seidentleid
lstreiste. Und wenn der Herr im
TSchlapphut iind mit dem Künstler
Ifchlips auch nervös von einem Fuß
faus den andern trat, er ließ dem Nach
Jtarn doch den Vorrang, der, rundlich
iiiiid wohlgenährt, mit hellen Glacek
zan den Händen und weißer Weste über
»dem dicken Bäuchlein, einige Minuten
:sriiher rasch eithmend von der An
Jstrengung des Gehens in den Laden
getreten war, um sich noch schnell
einen erlesenen Leckerbissen siir den
»festtäglichen Tisch heimzutragen·
» Sie harrten geduldig-, sie wußten
»j« alle, wenn der eine hatte, tam der
andere heran, wußten, daß sie alle
.noch zur rechten Zeit ihre Wünsche bei
sfriedigt sehen würden.
Und hinter den Wurstbergen, die
aus der graumarmorirten Platte des
Ladentisches ausgeschichtet waren,
haiitirten der Liideninhaber und sein
sGehilse mit jener hastvollen Eile, die
nicht einen falschen Griff thut und die
niir die tägliche Uebung geben tan:i.
Das breite Messer fuhr haarschars
»durch die weiße Fettschicht und das
rosige leisch des getochten Schintens
: nnd be örderte die zarten Scheiben in:
zSchwunae aus die papierbelegte
.Waais. die mit zuckender Zunge das
sGetoicht angab. Das Einwiclelpapier
tnisterte. Die Bindfadenrolle drehte
sich und gab deii Faden her. Die Zahl
tasse tlapperte und tnaette unter dein
JFingerdrucL der den Taster traf, und
das Papierstrexschen sprang heraus-,
das aus weißem Gran die schwarz-:
Zahl zeigte. Das bla te Geld las
auf dem gerippten Zahlplättchen aus
bräunlichem Gutnmi.
»Besten Dant, gnädige Frau.«
»Empsehl’ mich, gnädige Frau.«
Eine seite, bekingte Yauenhank
strich geschöstsmäßig den etrag ein.
«Womit iann ich dienen, gnädige
Frau?« —
Es war die Dame im Seidentleid,
»die nun an die Reikx tam.
»I-; Pfund Lachs.«
; »Seht wohl. Was darf es denn
noch seini«
»Lebettvukst, aber bitte, von der
seingzenf
» iese gefällig?«.
»Haben Sie nicht Kalt-siebet mit
Trüssel7 ch habe Gäste heute, Sie
wissen ja, te Roderich, die Damen
vom Verein ur Akmenversorgnng . ..
zuk kleinen spitzung nur... ganz pri
va .« . . .
»Ah, jawohi, gnäbi e Frau! Da
muß es etwas Gutes ein. Vielleicht
noch etwas italienischen Samt Jch
habe auch frische hummetn bekommen
.. oder doch lieber Sardellen, zu et
was Sardellenbutter betrieben, sehr
» appetitreizend, gnädige Frau. « »
; Sie nickte und iiberlegte, mochte
wohl in Gedanken überschlagen, was
;zu dem vorhandenen Guten noch am
beften passen würde Und die neben
und hinter ihr, die geduldig zugehört
’gatten, warteten nun auch geduldig,
- is sie ihre Entfchliisse gefaßt haben
würde.
,,Hunger, Mutter . . . Hungeri« . . .
Eine Kinderstimme war’s, farb- und
tlanglos, die Von der Thiir her scholl
und alle Blicke aufzucken, alle Augen
sich dem Eingange zuwenden ließ.
Eine Frau ftand dort aiif der
Schwelle der offenen Ladenthiire, den
braunhaarigen, glatt gescheiteltenKopf
wie beschämt gesenkt. Ein kleines
Kind hielt sie iin Arm, das feft ine in
wollenes Tuch eincewickelt war.
,,.f)unger, Mutter. Hungeri«
Ein etwa fünfjähriger Knabe zog
die Frau an der blaubedruckten Kat
tiinfchiirze vor und griff mit der
Hand verlangend nach all den eßbaren
HerDrlichleiten iuf dem Ladentisch.
Die Frau trat nicht näher. Sie
fagte lein Wort, sie zog aber auch den
Knaben nicht zurück, dessen blasses
Gesicht sich zum Weinen verzog und
dessen schmale, trockene Lippen wieder
das: »Hunger, Mutter. .Hunger!«
fchluchzten.
TWie ein Eifchauern war das, was
iiker die Menschen hinging, die den
Laden füllten, fast wie ein Erstarren,
das die Größe des Kontraftes schuf,
dar- ihnen allen die da standen, uiix
Leckeres für sich einzutaufen, der Ar
inen gegenüber, die nicht einmal den
Hunger ihres Kindes stillen konnte,
etwas wie Schnldgefijhl gab. Da war
nicht einer, der angesichts des reinlich
getleideten Weibes, dem Kummer und
Noth ans dein a beehärmten Antlitz
sprachen, dag Wort: ,,Bettelvoli!«——
iiber die Lippen gebracht hätte.
»Jotie doch, fo ein armet Wurni!«
Die Frau aus dem Volke war S, die
sich zuerst gefaßt hatte. Sie langte in
ihren Einholetorb.
»Da Kleener, haft ne Semrnel! Dei
s was Juts vor dir «
Sie war zu dein Kinde hingetreten
und schob ihm das Milchbrod in die
gierig zupackenden Finger, die es eilig
zuin Munde führten.
Demut-Nun hatten auch nie an
deren begriffen, was hier noth that.
Ein Zehn-, ein Fünspsennigstüel
wurden dem Knaben in die Hand ge
drückt.
Die Dame im Seidentleid trat hin
zu. -
»Ich bin Borstandsdame vom Ar
nkendersorgunggrereim liebe Frau.
Nun erzählen Sie einmal ohne Scheu,
damit ich weiß, was ich für Sie thun
kann. Wir hel en ja gern, wenn es
sich mit den Statuten nur irgendwie
vereinen läßt«
Leise und stockend, wie in Scham
vor der Masse der Zuhiirer, vor denen
sie ihr Elend preis-geben sollts, fielen
die Antworten von den Lippen der
Frau·
»Im Krankenhaus liegt Jhr
Mann? Ja, wenn Sie noch einen
Mann haben . .. ob sich da etwas
wird für Sze thun lassen. » Die Sta
tuten, die risen Statuten! Und keine
Arbeits Das Kleine auch lrant? Mein
Gott! Arbeit wird sich doch finden
lassen. Für zwei gesunde Hände gibt
eg doch überall Arbeits — Wo? Ja,
warten Sie mal, ich hab doch neulich
mal etwas gehört, ja . .. so im Augen
blick kann man das auch nicht sagen.
Sie müssen suchen, natürlich suchen...
Aber ich werde sehen, wag sich fü·r Sie
thun läßt, heut Abend, in der Sitz
ung. . .«
Und damit rauschte sie hinaus und
hatte es selbst vergessen, einen Zehner
zu spenden, vor all den wirbelnden
Gedanken, die ihr da Plötzlich irn Kon
herumgingen.
Die Sitzung heut . .. sie würde das
Wort ergreifen müssen und nach der
Begrüßung der Gäste, da wollte sie es
ihnen sagen, wollte sie reden:»
Dies. »Hunger, Mutter... Hun
aer!«
Wie ergreifend dies-: Szene qewesen
war! Wie das der Frau in’s Herz
acschnitten haben mußte, vor all den
Esnvaaren und Leckerbissen zu stehen
und nicht zufassen zndürfem um ihr
blind satt zu machen.
,,Hunger, Mutter . .. Hunge:!«
Wie das zünden würde heute Abend
an ihrem wohlbesetzten Tische, auf
dein zwischen den letter heraerichteten
Schüsseln die köstlichsten Blüthen in
schlanten Kelchoasen dnfteten. «
An die Herzen würde sie rochen,
rühren, begeistern! . ..
Die Mitglieder des Armenversdr
aungsvereins sollten mit ihrer Bor
standsdame zufrieden sein« Die Wie
derwahl war gewiß.
Aber plötzlich fiel es ihr ein: sie
hatte ja vergessen, die Adresse der Ar
men zu erfragen! . ..
Zu thöricht, diese Vergeßlichteit!
Nun, man müßte sich anch so zu hel
fen wissen.
Hatte w hl überhaupt einer im La
den der « elitatessenwaarenhandluug
Karl Roderich nach der Adresse der
Armen gefragt
Ver woyiveteiote Vere, oenen
Bäuchlein davon zu erzählen wußte,
wie gut ihm das Essen mundete, der
war mit gewichtigem Schritt vor die
Frau hingetketen und hatte so recht
vernehmlich gesagt: . ·
»Da haben Sie eine Mark, meine
Liebe, kaufen Sie sich etwas Gutes
dafür und kochen Sie Ihrem Jungen
einen ordentlichen Sonntagsfchmaus.«
Darnach war er befriedigt von dan
nen Wangen Er hatte, feiner Mei
nung nach, sein Theil.gethan.
Herr Karl Roderich aber, inter
seinem Ladentisch, der hatte mit einer
Frau nur einen Blick eweehselt, und
in dem Blick stand: ,, enn ich denke,
unser Junge« . .. Rasch hatte er zum
Rest des Schintens gegriffen, der
heute unter seinem Messeregeblieben
war. Abnehmer fand er wohl kaum
noch fiir diese in der Schwartezuriick
gebliebene Fettschicht. Seine Kunden
waren anspruchsvoller, aber für die
Arme ab das noch immer ein ordent-.
liches spittagessem —- und so ein tüch
tixes Stück, das ma te viel her —wie
er dsa hingab, das ah sehr gut aus
-—— vor den Kunden!
Es war da aber noch einer, dem
hatte das Wort: »Hunger, Mutter . . .
Hungeri« in die Seele gegriffen, denn
er kannte den Hunger, hatte ihn oft
genu selbst fühlen müssen. Der Herr
im Echlapphut und Künstlerschlips
war nicht einer von Herrn KarlRo
der-ichs Tageslunden, und das Fünf-»
zigpfennigstiick in seiner Westentasche,;
an dem die Finger wieder und wieders
ljerumgefiihlt hatten, als müßten sief
sieh vergewissern, ob es auch noch rich
tig in der Tasche stecke, das hatte ihm
heute einmal einen Extragenuß ver
schaffen sollen. Gerade solch Ceroc
latwurst, so roth und weich und fein
gewiegt, die hatte immer daheim auf
dem Abendbrodtisch seiner Eltern ge
standen. Er hatte schon oft mit ihr
geliebäugelt, wenn er hier am Schau
fenster vorüberging, und dann seiner
sonnigen Kindheitstage gedachte, die
vom Hunger nichts gewußt hatten.
Heute wollte er einmal leichtsiunigl
sein, heute hätte er’s gekonnt. I
Und nun kam der Junge mit seinem ’
,,:D11nger, Mutter... Hungeri« i
Wie Viele Bilder wurden da in sei
ner Seele wach! Still war er aus dem
Laden gegangen, ohne die feine Cer-:
Delatwurst noch mit einem Blicke zu
streifen, und im Hinausgehen hatte er
der Frau im geflickten Kleide das
Fünfzigpfeunigsliick heimlich in die
schlaff herabhängende Rechte gescho
deu, die sich zögernd darum schloß
wie als sei sie nicht gewohnt zu neh
men.
Dann aber ging er hin und machte
aus den Gedanken, die ihm aufge
wiihlt den Sinn bewegten, ein natu
ralistiscbes Drama und kegeisterte die
Leute.
Wenn sie es lasen auf dem Theater-—
zetlel, an den Anschlagsäulen nnd ir
der Zeitung:
,,Hunger, Mutter . . . Hunger,
dann sprachen sie von des jungenDich
ters jungem Ruhm. von der Kraft
seiner Worte, der Schönheit und Le
benswahrheit seiner Bilder, die er so
packendLZU gestalten wußte. Sie pries
sen ihn als den Apostel der Armuth.
Er aber hörte nnd lag, wag sie sag-—
ten und schrieben, und nahm es alS
schnldigen Tribut seines Könnens und
Schaffens. Er konnte jetzt immer am
Voll besetzten Tische niedersitzen, denn
die Tantiemen flossen ihm reichlich in
die Tasche.
Der Armuth aber, der Armuth
hatte er vergessen, und dachte er ein
mal ils-sen so wars mit jenemGrauen,
das das Erinnern fliehen möchte.
HO-—
Unter der Mai-te eines Arztes.
Einen neuartigen Telephonschwins
del hatte der angebliche klieiiende Ju
lius Masau in Berlin in Szene ge
setzt, der sich unter der Anklage des
wiederholten Betrugeg und der schwe
ren Urtundenfiilfchung vor der Straf
lkammer verantworten mußte. In den
fMonaten März Und April d. J. wur
jren eine große Anzahl Geschäftsleute.
Uns-besondere stolonialwaarenhöndler,
zdurch einen raffinirten Schwindler
Lin nicht unerheblicher Weise geschä
»digt. Zumeist kei hereinbrechender
Dunkelheit tlingelte plötzlich das Te
lephon. Es meldete sich ein in der
Nähe wohnendrr Arzt, der eine eiliae
Bestellung aufgab mit der Angabe-er
miisse schleunigst berreisen. Der bei
lreffende Kaufmaan iibcrzeugte sich
»aus dem Adreszbuch daß thatsächlich
tie angegebene Adresse existirte. Es
wurde ein Korb mit den bestellten
Waaren — Wärst-Im Schinten, Hol
ländertäse und sonstigen appetitlichen
Sachen —- bepaelt und mit dem Haus-:
diener an die angegebene Adresse ge
;schiclt. Als der junge Mann das
Haus betrat, kam ihm aus der halben
Treppe ein besser gekleideter Mann
«entgegen und ries ihm Von weite-n
»schon zu: »Na, endlich kommen Sie,
ich warte schon lange ausSie!« Der
Hausdienei wurde dann von dem
. «.Herrn Doktor« mit einem neuen Auf
;lrag nochmals weggeschickt. Als er
wiederkam, war der angebliche Arzt
I nnd auch der Korb mit den Eßwaaren
:verschwunden. Eine Nachfrage bei
idem in dem Hause lvohnhasten Arzt
Iergab, daß dieser keinerlei Waaren
xbestellt hatte. Der Betrüger hatte
Lvielmehr unter Benutzung des Nas
«
mens jenes Arztes den Kaufmann ge
prellt. Als durch Zeitungsnotizen vor
dem Treiben aetvarnt worden war,
gelang es bald, einer habhaft zu wer
den. Es war rAngetlaate, der be
reits wegen ähnlicher Betriisgereien
vorbestraft ist. Vor Gericht stellte
;Masau jede Schuld in Abrede und
konnte auch nur sehr schwer überführt
;werden, da ihn die Hang-Dienen die ihn
’nur aus dem dunklen Treppenflur ge
Hsehen hatten, nicht rekoanosziren
jkonnten Der Gerichtshof erkannte
unter Berücksichtigung des sehr ge
jährlichen und raffinirten Vorgehen-:
ides Angeklagten auf zwei Jahrr
Zuchthaus und drei Jahre Ehrverluft.
HON
Wenn eine Zeitung gehen foll, mußl
lie gehalten werden.
sein Standpunkt
— —
III
»Wie einer a’ Maler wer’n« kann,
is mir ganz unbegreiflich!... Wenn
man durchaus verhungern will, ist's
doch nicht erst nothwendig, daß man
Bilder malt!«
Ein historische-s Wahrzeiehem
Dvrsbader (zum Sommerfrischler):
»Im vorigen Jahr hatten wir einen
wirklichen Minister hier, den ich auch
mal rasirt hab’; (aus den Stuhl zei
gend) schan’ n Sie, dieser Blutsleck, der
rührt noch von ihm herl«
Von Prüfung zu Prüfung
Er: »Paula, freue Dich, ich habe
das Examen mit »gut« bestanden; nun -
werd-e ich Dich bald heirathen können.«
Sie: »Noch nicht, lieber Fritz, erst
mußt Du auch noch bei mir die Prü
fung »gut« besiehen.«
tildinstige Gelegenheit
Mann: »Ach, wie seh-ne ich mich zu
rück in die schöne Sommerfrischel Be
sonders geht mir das majestäiische
Rauschen des Waldbaches ab.«
Frau: »Wenn Du das Rauschen so
gern hörst. Männchen, so kunse mir
doch ein seidenes Kleid!«
Naiv.
Hausfrau (die das neue Dienstmäd
chen mit einem Soldaten in der Küche
antxifst): »Aber Marie, Sie mit ei
nem Soldaten hiert Das ist ja unerk
hört!«
Dienstmädchen: »Entsch-uldigen
gnädige Frau, den hat gewiß das vo
rige Mädchen stehen lassen.«
Lebensweishcit.
»Wie kommt das wohl, daß Sie sich
immer so ein richtiges Urtheil über die
andern bilden?«
»Seht einfach, gnädige Frau: ich
gebe viel auf das wenig »Gute, das die
Freunde sagen, und wenig auf das
viele Schlechte, das die Feindessagen.«
Im Frauenoereim
Frau A. (Abends um Zehn): »Wie,
Sie brechen,schon aus?«
Frau B.: »Ich komme wieder; will
nur ’n1al sehen, ob mein Mann schon
zu Hause ist!«
Schafft-litt
,,Sixt GirgL da kommt wieder so a
Hochzeitspaar per Automobil, das is
nur a Geldheirath! Wenn s’ aber mit
der Selundärbsahn kommen, die hanr
si’ gern!«
Beim Heirathsvermittleu
Fräulein: »Ein gut situirter, neitet
Landwirth wär’ mir der Liebste!«
»Damit wird’s wohl nichts werden,
Fräulein, ein Landwirth ist nicht gern
siir eine lange Dürre.«
Der Schmeichler
Förster: »Gestern sind Sie auch
wieder iiber den verbotenen Weg ge
gangen, Träuleinsp
Fräulein: »Jch?««
Förster: »Leugnen Sie nicht« ich
seh’«g ja an den Fußstapfen so eine
kleine Nummer haben wir in der gan
zen Gegend nicht«
Sei-leiht netauogeredet.
Richter: »Das ist ja ein insamer
Bestechungsoersuch; der Zeuge kriegt
von Ihnen ein Kistchen Cigarren zu
geschictt, oben drauf ein Hund«-Wart
schein, nnd als er es Jhnen zurückgibt,
senden Sie es zum zweiten Mal hin"!'«
Angellagter (tleinlaut): »Ich dachte,
er hätte es vielleicht an der verkehrten
Guter Lippe-litt
Tourist (in einem Landwirthshaustz
zur Wirthin): »Na, Frau Wirthin,
das muß ich schon sagen, der Braten.
den Sie mir da brachten, der ist wirk
lich ganz sainos!«
Wirthim »Na, schau’n Sie nur« wie
man seckirt wird, g’rad’ den hat
stern a Fremder zurückgegeben!«
Bescheidenheit ist eine Zier, doch weites
kommt man ohne ihr.
—
»Liebe Trau, darf ich Dich um des
Hausschtiidet bitte-w