Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, July 27, 1906, Sweiter Theil., Image 11

Below is the OCR text representation for this newspapers page. It is also available as plain text as well as XML.

    Yeöraska
Staats-JEAN nnd THErolIc
Smnmetnacht.
Die No t ist mild und stille«
Die Lin nbäume biiih’n
Und hoch am Fiemamente
Die ew’gen Sterne glühn
Der Brunnen plätschert leise
in Silbetmondenschein,
ie Blumen neigen tiefer
Das Haupt und schlafen ein.
Jn weiter, weiter Runde
Mein Au einzig wacht —
Ruh’los end meine Tage
Und schcumtneklos die Nacht.
Du bist ja fortgezogen,
Nahmst mit Die all’ mein Gtiict,
O kehrtest Du mir wieder!
O teht’ mit Aiid zurück!
-W
Das Vogelnest.
Stizze von B. Rittweger.
Mutter, Mutter —- ach Mutter hilf
doch! Jammernd kommt der Ruf aus
dem Mund des gelähmten Kindes
Aber niemand hört. Die Mutter ist
in der Mansarde beschäftigt, die Ge-,
schwistet sind zur Schule, das Mäd
chen klappert in der weit abliegenden
Küche tnit dem Geschirr. Klein-Els
beth muß hilflos usehen, wie im
Garten unter ihrem z enster dasGrau
same ge chieht.
Seit oehen hat das kranle Kind
ein Iinkenpirrchen beobachtet, hat mit
Entzücken gesehen, wie dicht am
Stamm einer Hainbuche das Restchen
entstand, und dann hat es sich an dem
brütenden Weibchen gefreut und das
Männchen bewundert, das so eifrig
Nahrung beitrug. Mit immer wach
sender Spannung hat Elsbeth den
Tag erwartet, da die jungen Vögel
chen zum Vorschein kommen würden
Zwischen den Aesten durch konnte sie
gerade mit ihrem geübten Auge das
ieft erkennen, das siir flüchtige Blicke
fast unsichtbar war. Endlich guckten
die kleinen nackten Köpfchen heraus.
Das war eine Freude fiir Elsbeth,
wie kaum zu Weihnachten- Weihnach
ten, da bekommt man Puppen und
Bilderbiicher, das ist ja ganz schön,
aber ein Vogelnest mit lebendigen
Vögelchem das ist doch ganz ’was au
teresi
Elsbeth fühlte sich vollkommen
glücklich, wenn sie von ihrem Fenster
ptähchen aus das Nest beobachtete.So
etwas Schönes gab’s ja gar nicht wei
ter. Das Zwitfchern der hungrigeu
Finkensprößlinge dünkte ihr die lieb-»
lichste Musik, und ganz entzückend
wars zu sehen, wie nett die Alten fin
ihre Kinder forgten. Elsbeth weiss,
dasz es nicht immer so bleiben tanrhl
sie weiß, die jungen Finken werden !
siiigge werden und das Nest verlassen. :
Aber das schadet nichts. Sie weiß!
auch, die Jungen wachsen und bauen
im nächsten Jahr selbst Nester, und es
gibt dann viele, viele Bis-gelitten met-r
i-. der Welt. Und darüber freut sicb
das griibelnde Ftind, das so viel Zeit
hat zum Denken, am allermeisten.
Elsbeth hat in dieserZeit nur eine leise
Sorge: daß eine Katze iiber das Nest
kommen könnte So oft sie eine über
die Gartenwegc schleichen sieht,«stlopft
sie ans Fenster, oder ist es offen, dann
tlatscht sie in die schwachen Händchen,
freilich ohne Erfolg. Die jungen Fin
ten sind schon ganz groß, bald wer
den sie aussliegen können·
Und nun ach, das Schreckliche! Der
Garten gehört dein Nachbar, und der
Nachbar hat einen wilden Jungen, der
aber nur selten in dem stillen Garten
zu sehen ist. Vor einer Weile ist er
nxit einer kleinen Flinte in der Hand
aus der Ointerthiire des Hauses getre- (
ten und hat, sich erst scheu nach allenl
Seiten umschauend, nach dem Vogel
nest gespäht. Das Finkenmiinnchen
flattert ängstlich um die gainbuche —
der Junge legte die B« se an, einl
chwacher Knatt, und es iegt todt am
oden.· Aufgeregt schlägt-das Weib
chen mit den Flügeln —- ein zweiter
Knall und ein zweites Opferl Nun»
erklettert der Junge flink die Barth
und —- schaudernd, hilflos musz die
arme Elsbeth zuse en —- rnit teufli- »
scher Luft dreht er n jungen Vögel
chen die Kopfe ab und wirft sie aus«
die Erde. Dann ergreift er das Nest »
und steckt-B in seine Iafchr. -
Mutter, Mutter, so hilf doch! Un
gehört verhallt der Ruf. Zitternd an
allen Gliedern sin das gelähmteKind.
Ein Schauder fliegt über seinen stör
per. Vernichtet, rnit roher Faust ver
nichtet, so viel heiliges Leben! Der
böse Junge schleicht sich davon, nach
dem er die todten Vögel unter einem
hauer Erde verscharrt hat.
Elibeth sift ganz starr, große
Thriinen lau en uber ihre Wangen,
ohne daß sich ihr Gesicht verziehn die
blossen Lippen nur zucken Rumpf
hqft So findet die Mutter ihr Feino.
Sie forscht zärtlich nach der Ursache
det- Jarnmers. O Mutter, der böte
oiunge hat das Fintenpiirchen todten
ichs-nen- Deu nein-u Vögeicheu hol
er die Köpfe abgedrehtl
Zitternd birgt Elsbeth ihr Antlit
an der Mutter Brust und lauscht den
beruhigenden Worten: Ein schlechter
Junge, herztind, ich will’s feinem
Vater sagen. daß er ihn ftraft. Nun
gib dich zufrieden, Elschen, es ist ja
doch nur ein Vogelnest.
« Nur ein Vogelnest! Für Elöbeth
eine Welt. Es dauert lange, ehe das
Kind den tiefen Kummer überwindet
Gesunde Kinder vergessen schnell iiber
neuen Eint-rücken Elsbeths Leben ifi
nicht so reich an Eint-rücken Eine
ganze Welt ift ihr mit dem Vogelneft
graufom zerstört worden. Und die
kleine Grüblerin fragt Vergebens:
Warum?
So oft der Junge den Garten be
ttitt, fährt Eläbeth schaudeknd zusa «
men. Uebrigens iste: straftos ausge
gangen. Die Mutter hat sich nicht mit
tiem Nachbar verfeinden wollen um
ein Vogelnest.
d- It
Viele Jahre sind vergangen. Aus
der kleinen Elsreth ist ern junges
Mädchen geworden, ein schon nicht
mehr ganz junges-. Fünfundzwanzig
ist sie jetzt alt und sie sitzt immer
noch, des Gehörvermiigens beraubt,
am Fenster der freundlichen Hinter
stube mit dem Blick auf den Nachbar
«-arten. Der hat sich sehr verändert.
in breiter Fahrweg geht jetzt mitten
durch, ein elegantes eifernes Gitter
schließt ihn ab.- Das Haus ist in an
dere Hände übergegangen. Ein rei-;
cher Fabrikbesitzer hat es seiner Toch-!
ter, die sich mit einem jungen OffH
zier verheirathete, ganz neu herrichten4
la en. Neben dem Wohnhaus ist ein »
Pkerdeftall und eine Remise gebaut
worden. Der Leutnant ist ein bild
hübscher Mensch mit fröhlichen blauen
Angen, die junge Frau ist ein ern-H
zückendes Geschöpf. Elsbetb hat vom
ersten Tag an ihre Fwde an dem
glücklichen Menschenhaar. Nach Ja!;-;
resfrist wird ein Kindchen im Garten J
umhergetragen, ein allerliebstes, lu
gelrun es Bübchen. Elsbeth gehti
anz auf in der Nachbarschaft Sie
sieht so gern glückliche Menschenllndf
diese sind glücklich, das ist leicht zu
erkenn-en. Jung, gesund, nichts wiss
send von gemeiner Daseinsnoth —
tein Wunder, wenn die junge Frau«
den ganzen Garten erfüllt mit ihre.n
hellen Lachen, ihren frohen Liedern.
Jm Stall stehen ein paar herrliche
Füchse, in der Remife ein leichter ele
ganter Wagen. Es ist für Elsbeth
ein wahrer Genuß, wenn das Ehepaar
ausfährt, wenn sie sieht, wie der Of
fizier feiner Frau beim Aufsteigen
biift, wie er unversehens dabei einen
Kuß auf ihre Lippen drückt, wie er
dann selbst Platz nimmt und die Zit
gel faßt und es hinausgeht in die
weite weite Welt! Als der tleineJunge
das erste Jahr hinter sich hat, wird er
auch manchmal zu diesen Spazier
fahrten mitgenommen. Dann sitzt er
zwischen Vater und Mutter und das
Bild ist nun noch hübscher-. Das Büb
chen ist uneefijhr drei Jahre alt. Da«
kommt eine Zeit, wo die Mutter nicht
mehr mit aus-fährt- Sie singt auch
nicht mehr so laut im Garten, sie
tollk nicht mit dem Kleinen. Jhre
Bewegungen werden langsamer»
schwerfälliger —— sie erwartet ein;
zweites Kind. Der Ausdruck ihres;
lieblichen Gesichtg ist aber fast nochl
strahlender alg früher. Stein Wust-H
der! Soll sich ihr Glück doch nortH
mehren! Am offenen Fenster hörti
Elsbeth wohl, wie die junge FrauJ
zu ihrem Bübchen spricht: ,,tiurti,’
bald bekommst du ’ein kleines Schwe
sterchen —- ein ganz kleines mit gro- .
ßen Guckaugen und winzigen Händ
chen!" Dann jauchzt der Bube laut»
auf. Der Offizier ist in dienstfreiecs
Stunden meist bei seiner Frau in.
Garten. Fürsorglich geleitet er sie in»
den Wegen hin nnd ber, und biswei- ’
len beugt er sich zu ihr und küßt sie!
aus den Mund, Sie denken nicht da- J
ran, die zwei Menschen in ihrem;
Glück, daß sie vom Hinterfenfter des ;
Nachbarhauses beobachtet wert-en kön-!
nen. Und wenn auch? Was schadethTJ
lLeider mag wissen, wie lieb sie sich
a en.
Elsteth lebt und webt in der Fa
milie, die sie doch nur vom Sehen
kennt. Wenn’s nur ein Mädchen
wird, so wünscht sie «—— das tväre doch
aar zu nett! Und wenns nur gut
vorübergeht! Warum sollte es nicht?
Die Frau ist jung und gefund, und
sie ist vorsichtiq, nimmt stets Rücksicht
aus ihren Zustand. ·
Ein herrlicher Nachmittag im
Frühherbst lslkbeth sitzt ans offenen
Fenster und athmet mit Entzücken die
warme, mit Blunienduit erfüllte Luft.
Die Geliihmte ist so geduldig in ihren
Leiden. Sie hat nicht viel Schmerzen
und ihre Eltern thun alles iiir sie,
würden noch mehr thun. wenn Ele
beth es verlangte. Aber sie verlangt
weni , ist so dantbar siir alle Liebe.
»Zufreden lebt sie in ihrer engbegrenz
ten Welt, in die nicht viel von außen
dringt. Ab und zu der Besuch eines
lieben Menschen, guteBiicher, eine ein
»in-he Handarbeit, die die schwachen
JHiinde gestatten, das sind ihre Freu
»den.· Visweilen auch eine Fahrt in’s
Freie. mehr den Eltern zuliebe. die ikr
damit etwas Gutes anthnn wollen.
. Am liebsten si t ie an ihrem Fen
ster, und immer ri st ein freundlicher
Blick den Eintretenden. Nie spricht sie
eine Mag aus, leichmäßige ruhige
Stimmung beherr cht sie in der Regel
Seit die glückliche Familie das Nach
b«arhaus bewohnt. sühlt sich Elsbeth
fotmlich reich. Faft bangt ihr vor
dem Winter-, der natürlich die Be
nutzung des Gartens nur selten gestat
tet. Besonders für die junge Frau.
Und das erwartete Baby wird wohl
auch im Frühlings erst an die Luft
kommen. Elsbeth muß selbst über
sich lachen, bei dem Gedanken, wie
sehr sie die Nachbarn beschäftigen, wie
der Anblick dieses fremden Glücks ihr
ganz unenbehklich scheint. Ah—jetzt
schirrt der Bursche die Füchse an den
Wagen. Das sieht sie so gern. Es
sind prächtige Thiere, jung und mu
thig. Wie leuchtendes Gold hängt ihr
glattes Fell im Sonnenschein! Nun
tritt der Ofsizier aus dem Haus.
Langsam folgt ihm die junge Frau,
das Bübchen an der Hand führend.
Elsbeth hört die ilangvollc Stimme
ch Mannes: »Wir sind bald zurück.
Lieb —- in einer Stunde längsten-.
Rutti braucht- wohl teincn Mante«l«?«·'
——- »Wenn ihr nicht langer ausoieiok,
ist er so warm genug. Aber hier -—
für alle Fälle ist’s do besser." Sie
reicht ihm den leichten « hawl, der ihr
über den Arm hängt. Der Kleine
sauchzt laut aus-. »Baziensahn -—— ba
ziensahn2 Mit Papa danz allein."
Nach einer Minute rollt der W en
zum Garten hinaus. Der Bur ehe
schließt das Thor; die junge Frau
bleibt noch eine Weile stehen und hält
die Hand über die Augen-sie ver
folgt den Wagen wohl mit ihren
Blicken, bis er um die Ecke ist. Dann
wandelt sie langsam in den Garten:
wegen hin und her, ein glücklich, ver
sonnener Ausdruck liegt auf dem rei
zenden Gesicht. Sie bückt sich und
pflückt einen Strauß Reseda; dann
geht sie in’s Haus zurück, mit halber
Stimme ein Lied vor sicls hin sum
mend.
Zwei Stunden später bringt man
den Ofsizier als Leiche nach Hause.
An einem Bahnübergang haben die
Füchse geschenk, und die Jnsassen
wurden aus dem Wagen geschleudert
Das Kind lebt noch, ist aber tödtlich
verletzt. Noch an demselben Abend
thut es seinen letzten Athemzug. Jn
der Nacht tritt bei der jungen Frau
eine Frühgeburt ein. Ein todtes Mäd
chcn kommt zur Welt, und nach ein
paar Stunden stirbt die Mutter. Ein
aemeinsames Grab nimmt die drei
Menschen aus, die sich noch vor ein«
paar Tagen ihres Daseins freuten,
und mit ihnen wird das nicht zum
Lelsen gelangte Kindchen zur Ruhe
gebettet. ---— —
Das Geläute der Glocken ist ver
stammt, der Tragödie letzter Akt vor
über. Elsbeth sitzt am Fenster, den
Blict starr aus den Nachbargarten ac
richtet, der nun verödet ist, schon ehe
Schnee und Eis ihn decken.
Langvergessenes wacht in ihr auf:
das Voqelnest und die rohe Knaben
saust, die in brutaler Zerstörungswutt,i
hinweggesahren ist über die Fülle des-:
Lebens. »Nur ein Vogelnest«, so has
damals die Mutter getröstet. Und
»ein böser Bube hat’s gethan.« Und
l;eute? Welche Macht hat diese Men
srhenleben so jäh vernichtet? Wessen
Faust ist zerstörend hinweggesahren
über diese Fülle von Glück? Wasc
Gottes Land? Wass- ein blindes Un
gefähr, «ufall genannt? Das Schick
sal? Elsbeth findet teine Antwort aus
die Fragen. Auch nicht aus die an
I-dere: Warum bin ich da? Die teinem
nützt. Die verlümmerte Pflanze, dir
nicht Frucht bringt. Warum leb’ ich
und die da drüben sind todt? War
um? —- Nein, es gibt leine Antwort.
Elsbeth birgt ihr Antlitz in die
Hände und weint
Briefträger Pifke.
Novellette von Anne Marie
Hellmann.
Leutnant von Höhen stand in
blüthenweißen Hemdärmeln von sei
nem Toilettenspiegel und bearbeitete
sorgfältig ünd energisch sein krauses
braunes Haar mit zwei Bürsten von
hinten nach vorn. Es war Abends
sieben Uhr, und ein kalter, nasser
Frühlingsnebel legte sich aus die
Straßen. Jn dern grünen Kachel—
osen knisterte behaglich ein Feuerchen.
Aber die Stimmung des Ossiziers
schien dadurch durchaus nicht besser
zu werden. Zwischen seinen Brauen
lag deutlich eine bittere Falte, und
während der ganzen Prozedis des
Frisirens biß er wie gepeinigt auf
Iseiner Untetlippe herum.
i »Na, Piste, nu sei gemiithlich«,
smahnte sein Freund, der kleine sem
;metblonde Oberleutnant hurtig, »ich
jtann dir nur immer ,n-ieder den Rath
igebem alter Jugne, srag’ sie. Aus
Tod oder Leben, Korb oder nicht.
.Frag’ sie. Mehr wie nein kann sie
nicht sagen. Und morgen reist sie ab.
Jawth Unerbittlich. Bis in die
Heimath an Rußtands wüste Grenze.
Und du sitzt hier und kannst in’n
Mond gucken. — Also —«
»Qu81’ mich doch nicht mit diesem
Unsinn«, fuhr Erich von Höven auf
und warf trachend die Thiir seines
Kleiderschsrankes zu, ,,oder — würdest
du vielleicht einer Dame mit einer
Liebeserklärung kommen, einer Dame,
die dir auch nicht im mindesten ein
Zeichen der Ermuthigung gegeben
hat, ja, die dir-eher etwas wie aus
gewichen ist? —- Und weißt du, ei
nen Korb einst-stecken —- nee, mein
Junge, dazu bin ich nicht der Kerl,
weiß Gott nicht. Noch dazu von ei-·
nem Mädchen, das ich -— weiß der
Teufel, wie es kam —— von ganzen-.
Herzen lieb gewonnen habe! Lieber
nehme ich aus Wuth aus ganz gemei
ner Rache, irgend ein anderes liebes
Mädel, jawohl, irgend eine, meinet
wegen die kleine blonde Laßberg, die
iet. übrigens im Verdacht habe, das-,
sie mir die bewußte niedliche Rose
allwöchentlich am Montag schickt. Du
————— wahrhaftig — am letzten Montag
ist sie doch wieder mit militärischer
Viinttlichteit einaetroffen!«
Er lief an den Schreibtisch und
tramte drin herum. »Da —- sieh!
Jst das nicht niedlich?«
Hattig nahm lächelnd das rosafar
ljene Couvert und besah die Adresse.
»Verstellte Handschrift!« diagnosti
zirte er kopfschüttelnd «und blies es
auf. Ein einfaches Blatt Seidenw
piee lag darin, und zwischen dem
Blatt eine leicht gepreßte, weiße Rose.
Sonst nichts-. Kein Wort· Aber es
lag eine holde Podsie in der Sendung;
und in dem Schweigen trotz allein
eine zarte mädchenhafte Scheu.
»Ich möchte wirklich wissen, wer
das ist. Wahrhaftia!« sagte Höven
»Kann ich begreifen. Weißt dri,
fiiljl doch heute Abend mal der kleinen
Laßt-er« ohne weiteres auf ten Zahn.
Sag’ i r auf den Kopf zu, und be
kank’ dich!«
»Ach nee; das geht dth nicht. Wenn
sie’s ist, bin ich unzart, und ist sie’s
nicht, bin ich stech. Weißt du, —
verdammt, man soll wohl fiir solche
Liebenswiirdigtciten dankbarer seit-,
aber, — den Deibel auch, ——- ich gäb’
was brum, wenn’s die Hilde wär’,
die Hilde von Seesen!«
Seine Stimme klang bewegt, als
er den Namen der Geliebten aus
iiptach. , .
»Ja, --—- liebe Seele, da ist nun
schwer zu rathen«, erwiderte Hartia
und sprang auf.
»Alle Wetter, du, ’s ist halb acht;
sind deine Sachen schon hinaeschickt
worden zu Wangensts Thu mir nur
ten eenundzwanzigsten Gefallen,
Pifte, und mach’ nich’ so’n Butter
uiilchgesicht heute Abend. Die Aus
siihrung hat doch wahrhaftig genua
Mühe des Einstudirens aetostet, und
wenn du aus der Rolle flieast, steig’
ich Dir aufs Dach. Außerdem, —
es wäre wahrhaftig schade, denn ist-.
siehst fainos aus als Briesträger, und
die Worte, die du snit deinem Allers
weltstalent dazu geschrieben hast, sind
iiber jedes Lob,erhaben. Weiß Gott,
Kerl, wo du das nur gleich so kannst.
Da is’ ’n Polterabend, bei Regie
rungsrath, sie blondes Mäuschen, —
und da macht der Piske einen Versch
dazu, der einem vom Munde tollert,
wie.’n geölter Blitz. Bist «’n Haupt-:
terl.«
»Ich habe ja gar keene Lust dazu,
aber man tann ja nicht anders!« ent
gegnete Höven iibelgelauni.
»Na siehste!« sagte Hartig.
«- sis s
Die Villa des Oberst von Wangen
war festlich beleuchtet. Aug jedem
Fenster des stattlichcn Baues strahlte
der Reslex eleltrischer Kronen, die
Thüren waren wie ossene Arme weit
zurückgeschlaaem und der neugieriaen
Menge-, die sich gaffend am Gitter
tbore aushielt, schlug lustiges Lachen«
stlirren von Geschirr und leise Tanz
musil an die Ohren. Unzähliae
Gunimicoupes fuhren vor, und inc
mer mehr zart bestrumvste Fäßchen
stiegen den Teppich der Freitreppe
empor·
Die Garderobe im Bestibiil war be
keits vollbeseszi. An den Messingbav
ten hingen in lustigem Durcheinander
helle, elegante Tuchmäntel und dunlle
Abendcrrpes. Das Fest hatte begon
nen, die Gäste waren vollzählig. Und
während die älteren Herrschaften iu
den vorderen Räumen Platz nahmen
nnd in liebenswürdiger Geduld den
Beginn der Ausführungen erwarteten,
ging ea unendlich lebhaft in einem
großen Zimmer des Parterres zu; da
zogen sich die jungen Mädchen zu den
Vorstellungen an; das war ein Rau
schen, Schwirreu und Poltern; unzäh
lige Garderobieren waren mitgebracht
worden und bemühten sich in emsigem
Eifer um ihre Schutzbesohlenen Hier
stand eine Tirolerin, da eine duftige
Fee mit weit alsgestrecktem Arme, daß
man sie nicht berühre, dort dellamiete
eine allzu ängstliche Schöne mit Herz
llopsen in der Stimme zum zwanzig
sten Male ihre Verse. Hilde von
Seesen stand mit stillem Ges t unter
all diesem« bunten Leben. «ie steckte
hier ein Band fest, besestigte dort Ro
sen im Haar.
Das Gedränge wurde stärker. Man
pusfte sich unzählige Male, entschul
»digte sich, erwischte falsche Hand
Ischuhe, falsche Puderquasten, ragte
sund schrie durcheinander. Ein älteres
Fräulein trat helfend ein.
,,Unbetheiligte möchten doch freund
s lichst die Garderobe verlassen!«
s Und: »Hilde Seesen, Erna Hoch
sstetten raus!« tönte, es aus vielen
jKehlen
l Hilde zog sich lächelnn zurück. Aber
Ysie ging nicht in die Gesellschafts
;räurne. Sie bummelte ein wenig in
» die frische Lust, in den Garten.
s Berstohlen schritt sie eine Hinter
trepppe hinunter, die nach einem Flur
führte, dessen Thüren zur Gesinde
stube und zur Waschtüche gehörten.
Aus einer der Thüren erscholl sast
gleicher Lärm wie oben. Die war die
Garderobe sür die Herren. Einen
Moment stand sie unschlüssig die
Hände ängstlich aus das pochende Herz
gepreßt und lauschte aus die verschie
denen Stimmen. Faule Witze flogen
hin und her. Aber die eine Stimme,
die sie suchte, die hörte sie nicht. Leise,
traurig ging sie weiter durch den
dämmrigen Flur. Sie war neugierig
aus die Ausführungen der Herren.
Sie thaten so geheimnißvolli Es war
kühl und dunkel hier. Dies that ihren
heißen Wangen wohl.
Da stand eine Thür ossen. Die
Thür der Waschlüche. Heute hatte
man den Raum dazu benutzt, die be
näthigten Bierfässee in großen Eis
bergen hier unterzubringen Trübe
slackerte eine ganz kleine Gasslarnme.
Hilde guckte mechanisch in den
Raum, fuhr aber zurück. Da saß ja
jemand. Aber es war ja nur ein De
peschenbote. Er saß da vor einem
Glase Bier aus einer Holzhanl und
hrütete vor sich hin.
Natürlich, der hatte Glückwunsch
depeschen gebracht und ein Glas Bier
dafür bekommen.
Und während Hilde noch den Mann,
der ihr den Rücken zudrehte, betrach
tete, da schoß ihr plötzlich ein Gedunte
durch den Kopf, und jäh zog sie aus
dem Aug-schnitt ihres Kleides ein rosa
Couvert.
—
Mit einein Schritt stand sie bei
dem Manne·
»Briefträger, stotterte sie mit auf
geregt zitternder Stimme, »bitte neh
men Sie dochdiesen Brief mit, Sie
gehen doch gewiß gleich von hier aus
ganz pünktlich, nicht wahr? Und hier
fiir Jhre Mühe!«
Schwupp! hatte der Mann fünfzig
Pfennige in Hand, er konnte weder
danken, noch sonst irgend ein Wort
sagen, die Dame war weg. Wie weg
geblasen.
Erich von Höven stand wie verdon:
nert und sah an sich herunter. Dann
faßte er sich an den Kopf, um sich zu
vergewissern, ob er träume oder wache,
und plötzlich lachte er so laut und
herzlich, daß es an den Wänden des
Biertellers widerhallte. Das war ja
großartig!
Er entflieht dein Trubel der Her
rengarderobe, maust sich hier ein Glas
Bier, da kommt —- ein —- die Hilde,
das süße, schlanke Mädel, hält ihn
siir einen Briefträger und —- und —
vor Lachen schwankend tritt er zur
Gasflamme und schraubt höher. Bei
Gott, das hätte er nicht gedacht, daß
er heute noch so herzlich lachen muß,
wo ihm doch das Herz so voll Leid
war über die morgende Abreise dieses
herzlichenGeschöpses! Aber sehen muß
er doch, an wen sie geschrieben hat.
Gewiß an die Eltern, damit man sie
an der Bahn erwarte. Und in der
einen Hand hält er den Fünsziger, in
der andern das rosa Couvert. So
studirt er die Adresse.
Aber er kapirt sie nicht. Wahrhaf
tig, er lapirt sie nicht. Er ist wohl
verrückt g orden? Er liest nochmals.
Und wie er von vorn. Da steht:
Herrn Leutnant Erich von Hdven.i
Hier. Kaiserftraße Nr. 20, J.
Und mit ziternden Händen reißtl
er plötzlich das Couvertaaus Da ent
fällt ihm — eine Rose —- eine dunkel
rothe Rose —- und da ein Zettlchen:
Des Frühlings letzte Rose
Nimm hin als letzten Gruß,
Des Gartens strahlende Blüthe —
Des Traumes leidvoller Schluß ———!
Da sinkt er in stummem Jubel aus
die Bank, den Kopf in die Hände ge
stützt, sast sassungslos vor Selig
keit —-— —
Hilde ist doch ein wenig ängsttich,
ob der Bote den Brief auch besorgt?
Es ist doch besser, noch einmal nach,
ihm zu sehen.
Und scheu reclt sie das Hälschen
nach ihm durch die offene Thür. Da
sitzt er noch. Na nu?! Sie schöpft
Verdacht in Bezug aus das große
Biersaß, vor dem er hockt. Und etwas
scharf ruft sie ihn an. » , Ppstbcth
ist der Brief denn ordentl ch des-VAL«
Da reitet Erich von Höhen der
Uebermuth. Er ist zu selig. ·
»Aber natürlich! Schon abgege
ben!« ruft er ihr zu mit etwas frem
dem Tonfall.
,,Abgegeben? stößt sie erschreckt
hervor.
Er nickt.
»Iawoh1! Ich kenne nämlich den
Herrn schon ziemlich lange. Er wohnt
ganz in meiner Nähe.«
Und wie sie zornig auf ihn zuttitt,
wendet er ihr sein Gesicht voll zu.
»Hilde! Mädel!« schreit er jubelnd,
,,kennst du mich denn nicht? Sa ’ —
du hast mich lieb? Ja?, den einen
Schwerenöther!!«
Von draußen rufen Stimmen:
,,Leutnant Höhen! Briefträger
Pifke! Wo steckt der Kerl? Es soll ja
losgehen! — Man hat schon zum
zweiten Male getlingelt!«
«Briefträger Pifke?« fragt Hilde
fassungslos.
,,J-a!« sagt er und küßt sie aus die
schwellenden Lippen.
Gottesmtljeue auf der Staatssach
tuscb
Auf der heiligen Stätte, um deren
Besitz England und die Türkei bei
nahe in Krieg verwickelt worden wä
ren, herrscht noch allgemein — wie
Lord Cromer in seinem eben veröf
sentlichten Bericht über Aegypten er
zählt —— das Gottesurtheil als letzte
Entscheidung im Gerichtäversahsren
vor· Fehlt es in irgend einem Kri
rninalsalle an Zeugen, so setzt der
Richter —- El Mabashaa —- den An
geklagten der Probe durchs Feuer,
Wasser oder Tra» aus. Bei der
Feuerprobe wird ine eiserne Pfanne
rothglühend gemacht und dem Ange
klagiten vor’s Gesicht gehalten. Er
muß sie nun dreimal mit der Zungen
spitze berühren. Zeigt diese Brand
slecke, so gilt die Person als über
sijhrt. Möglicherweise hatd ie e Pro
zedur eine physiologische U .erlage:
fühlt sich nämlich ein Mensch unschul
dig, so bleibt er ruhig und seineZunge
feucht, und diese Feuchtigkeit hemmt
die Wirkung der Gluth, während dem
durch sein« Sch::i:l:ewußtsei11 Geäng
stigten die Zunge un Munde verdorrt
und trocken wird und sofort Brand
wunden empfängt.
Die Wasserdrobe wird folgender
maßen ausgeführt: Der Richter setzt
sich mit dem Angellagten und den
Zuschauern im Kreise um einen Krug,
der in -der Mitte Placirt wird. Alle
starren das- Wassergesäß an, bis es
durch die den Augen entströmende
nsagnetische Kraft in Bewegung ge
räth. Von Person zu Person beginnt
niin der Krug zu wandern. Macht
er vor dem Richter Halt, so gilt das
ali- ein Zeichen der Unschuld des An
geklagten, hält er aber vor dem letz
teren still, so hat dieser die ihm zuge
schriebene That verübt. Bei der
Trnumprobe wird dem Mabashaa in
Schlaf die Wahrheit offenbar. Welch-:
don den drei Alten zu wählen sind,
liegt im Ermessen des Richters. Miß
traut er der Pfanne nnd dem Krug
und hat er von sich und seinen Träu
men eine hohe Meinung, wie das so
manchmal bei beditiniscken Mabashaag
der Fall sein soll, so hält er sich an
seine Erleuchtung im Schlummer«.
Jndtanerwasse aus Europa.
Der Tomahawk hat seine grausige
Rolle so ziemlich ausgespielt, und un
ter den heutigen Verhältnissen ist es
wahrscheinlich bei Vielen ganz in
Vergessenheit gekommen, daß alle
in e t a l l i s ch e n Streitäxte der Jn
dianer aus Europa stammten!
Denn die ursprüngliche Indiana
Streitaxt war allemal von Stein.
Aber schon tief in die ersten amerika
nischen Colonialzeiten hinein, als
Engländer und Franzosen auch Jn
dianer gegen die Spanier ausspielten
— und ebenso Umgekehrt —- geht der
Handel mit stählernen Tomahawks,
welche von Weißen für die Rothhäute
angefertigt wurden.
Sowohl in England, wie inFranti
reich widmete man sich diesem Ge
schäft ziemlich schtvunghaft. Die
Tomahatoks wurden ganz nach den
Wünschen der Jndianer angefertigt.
Niemals wurde ihre Schneide beson
ders scharf gemacht: die Jndianer ze
gen eine ziemlich stuknpfeSchneide fijr
Kriegszwecke stets vor, da eine scharfe
eher stecken blieb, wenn sie auf einen
Knochen aufschlug! Manche derStreit
iirte zeigen zugleich einen stählerncn
Pfeifentopf angeschweißt, welcher in
den hohlen Stiel der Streitaxt mün
det. Jn allen Fällen kam diese Waffe
ten Jndianern theuer!
-.-——.—.
»Wenn alle Leute wär-en gleich und
waren allesammt auch reich, und
waren alle zu Tisch gesessen, wer
wollt-e auftragen, trinken und essen?
si- se si
Feueerrackers sollen nach ärztlicher
Ansicht viele tötliche Bazillen enthalten.
» gium man koche den Feuer-Cracker vor
; er.
l
is- « st
L Der Gaetwat von Baroda hat sich
geweigert, eine Ansicht über die Chi
cagoer Schlachthöfe zu äußern. Wahr
scheinlich fürchtete-er, sich nicht Parla
I mentarisch ausdrücken zu können
si- -s· si
Was ein Mann un eine Frau zu
ihren Gästen sagen un was sie später
sagen, wenn sie sort sind, ist sehr ver
schieden.