Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, June 08, 1906, Sweiter Theil., Image 15

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    Des Vaterunser-d
Novellette un Michael sortssowitschi
Tichistjalom
Aus der Liiejnaja (Strasze in St.
Peterödurg), gerade gegenüber einein
Hause, das vom höchsten Wohlstand
sticht, siand ein szostschit (Lohn
tutscher). Sein Kastan war ganz von
Flicken bedeckt, und mir wollte es
dotlornrnen, als aingen diese Flicken
durch und durch und sähen wie gro
ße, geronnene Blutslecten aus. Doch
war er sauber und augenscheinlich
sorgfältig gereinigt. Der dünne
Bart des Bauern und seine slachåfar
denen, sozusagen traftlosenhaare, die
wie welke Zweige nach hinten hingen,
waren ordentlich gekämmt. Lian sah
deutlich, daß er zeigen wollte, seine
Armuth sei nicht die Folge vonFaul
heii und Nachlässigteit, sondern
schwerer, alles verschlingender Noth.
Wenigstens mir schien es so, und
deshalb blieb ich im Voriibergehen
unwillkürlich stehen und sah ihn mir·
genau an; dabei fiel mir der unend
lich traurige Ausdruck seines Ge
sichts auf und » derjenige seines
Pserdeö. Es war mager, sein Fell
rauh, und es stand mit gesenktem
Kopfe da; beide, das Pferd wie sein
herr, waren noch sung. Man zählte
den 14. April; schon wehten warme
Lüftchen, die Erde fing»an zu oth
tnen, und trotz der steinernen Nackt
heit des Straßenpßlasterc fühlte man,
daß draußen,in Feld und Wiese,schon
manches hälmchen aus der Erde
schaut aus der geheimnißvollen
Knospe das dustende glatte Blätt
chen hervorbricht; daß die Schneebiis
che an den Abhängen schweigen und
statt ihrer die hellen Stimmen der
hänflinge, der Ammern und der
Buchsinten erllingen. Alles rings-.
um voll Licht und jungem Griin und4
Wohlgeruch und frohem Lied; aberj
das Pferd und sein Besitzer, diese
Freunde der Erde, der Felder und
Wälder, standen traurig da, und ichi
stand neben ihnen.
Während dessen ging Jemand an:
uns vorüber: ein Mensch in einem
jener blauen, fettigen, sibirischen Rö
cle unter denen viele schmuhige Bank
noten zu stecken pflegen und noch
mehr schmutzige Gedanken nnd Ge-:
wohnheiten Er erblickte den Vanern
und rief ihm grob und besehlend lzu:
»Du da! Fährst Du mich siir fünf-·
zehn Kopeten?«
Der Bauer erwiderte mit einem ei
genthiimlichen Lächeln: »Mit einem
solchen Pferd, Bruder, fährt man
sogar fiir zwanzig Rodeken nicht
weitl«
»Bruder! Bruder!« sagte dcr Si
birjat, ärgerlich und verächtlich das
Wort betonend: »Bruoer, wohin
denkst Du? Zwanzig Kopeten2 Ja,
vor euch Kerlen muß man seine Ba
tzen wohl hiitenk Zwanzig Ropeten!«
wiederholte er, alg reiße man ihm
die Münze vorn Leibe weg.
Der Bauer wandte ihm den Rücken
zu, und während er that, als bringe
er am Geschirr etwas in Ordnung,
sagte er halblaut: »Beste nur, helle,
Hundeselll Kommst doch dem Wolf
noch in die Zähne!«
Ich fürchtete, daß der andere ihn
doch noch miethen würde, sobald sein
Aerger verraucht wäre, und sagte da
rum schnell: »Höre, Bruder, fahre
Du mich.«
»Gut, Väterchem aber das Pferd
. .« Er seufzte: »Hal) Nachficht,
mein Täubchen schnell kann ich nicht
fahren wirklich nichl!«
»Das thut nicht-! Komm nur; ich
habe teine Eile; mir liegt gar nichts
daran.«
»Steine Eile?" wiederholte der
Bauer mit einem mißtrauifchen Blick
auf mich·
Wir fuhren ab. Jch befahl ihm,
den Weg durch abgelegenr Straßen
zu nehmen« um mich besser mit ihm
unterhalten zu können. Hierbei, ich
gestehe es, hatte ich die Absicht, ihm,
nachdem ich eine Zeitlang gefahren,
etwas über den abgemachten Preis zu
zahlen. Ein richtiges Almosen ge
ben mag ich nicht gern; es ift, als
ob, indem man einem Menschen hilft,
man ihm zugleich eine Ohrfeige gibt.
So fuhren, wir dahin, bald im
Schritt, bald im fachten Trab. Nach
dem ich, meiner Gewohnheit nach,
den Jstooftschit gefragt, aus welchem
Gouvernement und welchem Dorfe
er fei, was fiir einen Bach und was
für Wälder es dort gebe, ob das
Vieh und die Schafe gediehen lan
einigen Orten rechnet man bekannt
lich die Schafe nicht zum Vieh), ob er
Familie habe u. f. w., fing er an,
Vertrauen zu mir zu fassen. Seine
Seele wurde weich bei der Erinne
rung an die Iheimath, die fiir ihn
reich an armen, aber rührenden Hei
ligthiimern war, und auch ich gewann
ein reges Interesse für den Mann.
Zuletzt fragte ich ihn: »Du haft, wie
mir scheint, einen Kummers was be
drücke Dicht-«
»Ach, Väterchen«, erwiderte er,
«tag’ selber, wie fdllte ich nicht be
triibt fein? Was bin ich hier? Men
fchen gibts mehr als genug, und bin
doch allein; des Morgens fährt man
aus und weiß nicht, wohin man
tonrmt; dahin fiihrt man und dort
hin, bald gradaus, batd treuz und
quer, wie wenn Dich im Wald ein
Unhoid neckt —- manchinal tanzt alles
nur so vor den Augen« da man
ganz dumm wird und die L einafa
nicht mehr von der Gorochowaja un
Mcheidetz gewiß und wahrhaftig,
Du kannst mir’s glauben.« Bekannts
und doch unbekannt kommt einem ai
les vor, und was gewinnt man da
bei? Gar nichts. Abends bringt
man ein paar Kapeken heim; das
Pferd frißt, und selber ißt man auch
— und weg ift aller Verdienst, und
der Tag ist umsonst vergangen; nur
der Rücken thut vom langen Sitten
weh, und wenn man sich zum Schla
fen legt, dazu ziehen vor den Augen
die Straßen hin, eine nach der an
dern, langx lang und ohne Ende, und
in den Ohren brutnmt es. Und die
Leute im Haus ——- da iit der Wirth,
der schimpft, und die Wirthin
schimpft, und dann schimpft unser
eins wieder-; sie trachten danach«. wie
sie einen kränken könnten oder das
Pferd. . . Wie kann man da fröhlich
sein? Hier sind wohl aanz andere
Menschen als bei uns daheim; nicht
ein gutes Wort haben sie, und selber
wird man auch nuaut. Ach!« Er
seufzte tief auf.
»Dein Pserdchen sieht auch nicht so
recht vergnügt aus«
»Vüterchen, darüber rede lieber gar
nicht« Das Pferd hat mich in s Elend
gebracht, es ist ein Jammer. Es
siecht mir einfach dahin.«
»He-i es nicht genug Futter, oder
zu schwere Arbeit?«
,,,Rein das Futter ist es nicht;
Futter hat es genug. Lieber esse ich
weniger, damit es seinen Hafer be
kommt. Aber es schlägt nichts an
bei ihm.«
Meinst Du gar, man .habe es Dir
verhext?«
»Wie tannfk Du so reden, mein
Täubchenl Berherti Das haben dum
me Leute erfunden. Nein — es hat
auch so seinen eigenen Kummer.«
»Ein Pferd —-— und soll einen
Kummer haben?«
»Ja. herr, das Pferd da. Eures
gleichen kommt das freilich sonderbar
vor —- was tönnt Jhr davon wis
seni Jhr lebt in prächtigen Häusern
und wir in Schuppen, oft mit dem
lieben Vieh zusammen und lassen das
Vieh auch in die Jfba (Bauernhaus)
hinein; da wissen wir so etwas bes
ser.«
»Erz·cihle mir doch, bitte, davon.«
»Was ist da zu erzählen, Väter
chenZ Das ist ganz einfach; auf un-l
serm Hof, in unserer Familie, waren
zwei Pferdchen. Illtersgenoffem undi
beide, du lieber Gott! fo hübsch so
munter und flink und nun, ge
rade so rund wie junge Gürkcheni
Genannt wurden sie Sivla —--— Burta.s;
Von klein auf waren sie so aneinan
der gewöhnt, so defreundet, daß sie
immer zusammen liefen und gingen,
und standen lind wie standen sie?;
Zuweilen, weißt Du in der Som-!
merhitze wenn es aussieht, als rauchei
der frischgepfügte Acker, und es ist:
schwül und kein Lüftchen weht: dann
gehen die beiden untcr irgendeinen
Baum und stehen da; bald legt das
eine feine Schnauze auf den Hals
des andern, bald wieder das andere
diesem Grad in der Seele rührt es;
einen, wenn man sie so sieht; Herr- s
gott! dentt man: ’5 ist doch nur ein
Vieh, und wie es so dasteht! Wahr i
saftige- i
Hier hielt er einen Auaenblict in
ne, als werde es ihm schwer, feinen
Gedanlen den richtigen Ausdruck zu
geben. i
»Nun ja, fo wuchsen die beiden
auf und als ein Paar haben wir sie
auch eingesahren. Anfangs schlugen
sie wohl manchmal aus dabei: das·
eine von ihnen traf mich einmal mit
den Hinterhtifen auf die stähne soZ
daß ich bewußtlos vom Schlitten
i
auf die Furchen fiel —--- wir fahren
die jungen Pferde am Schlitten aufs
dem Acker ein --— nun, was lveiter?«
Das kommt vor. . .ein junges Thier
will nicht gern seine Freiheit aufge-l -
den. . . So fuhren wir sie »ein und;
singen all, nm tyurn zu Plluqrn, »zu«
eg en, alles, weißt Du, wie Gott eg;
beioblen hat; aber getrennt haben wiri
sie nicht mehr: ioo dag- eine arbeitete,F
da ließen Ioir auch das andere mit-l
arbeiten; ohne das tonr nichts mit;
ihnen anzufangen, auch ioenn man
sie noch so gehalten, ja wen-n man sieE
mit dem Messer gestochen hättei
Wenn man sie iu trennen versuchte,i
so wurden sie wild, schlugen aus«
wiederten und waren wie bescssenti
die Augen traten ihnen aus demI
Kapse, daß einem angst und banget
wurde dabei. So ließen tvir sie dennl
auch beisammen, und die Arbeit ging
dabei gut von statten. Aber es tameni
Mißher bald Kälte, bald Hitze,
bald schwere Regen, bald wieder eine«
so große Dürre, daß alle Brunnen
versiegten. Ein Jahr, zwei, brachten
wir uns noch zur Noth durch; im
dritten sagt der Alte zu mir: »«.)lndr
juscha, da hilstsnichtöz Du mußt in
die Fremde, in der Fremde Brot ver
dienen. Du siehst ia selber, es geht
schlecht: mit Brot hat uns Gott nicht
gesegnet; essen aber, das mußt Du,
das muß man doch.«
. »Mir stand das Herz still; die
Jst-a tanzte um mich herum, ich
xschleppte mich in den Krautgarten
und siel dort aus ein Beet. . . dort
Hinge ich ein Weilchen ganz still. . .
» r weißt Du, Väterchen, sei’s nun
ivon der heimathlichen Erde oder wo
Jvon ——-- in der Seele wurde es wieder
ibeller. Ich stehe wieder aus, bekreu
zze mich und denke: »Nun ja, soll ich
l spri, so soll ich eben sortt Umtonmien
ktverd ich nicht gleich und tann den
iMeinen vielleicht helfen; unser Herr
i
kgott wird auch einmal gute Zeiten
I
schicken, daß die Meinen wieder her
auskommen; dann tehr ich zurück·«
So komm ich denn zum Alten, die
Augen habe ich getrocknet und sage
ganz muthig: »Vater, Vater! Wann
soll ich denn fort?« ,,Wann?« sagt
er, und selber schaut er mich nicht
an, sondern macht sich in der Ecke
was zu schaffen: »Wann? Nun mor
gen, meinetwegen oder nein —— über
morgen.«
,,Einen Tag länger wenigstens
sollte ich noch daheim bleiben! »Nun
ja,« sag ich, ,,iibermorgen.« So hat
einer dem andern Muth gemacht, und
wir gingen zusammen Holz hacken;
dabei reden wir aber immer nur von
meinem Abschied. Da erst fiel es mir
ein: »Wie wird’s denn,« so sag ich
,,mit Sivla ——- Burka? Beide kann
ich wohl nicht mitnehmen?«
»Nein, eines brauch ich daheim.«
»Aber trennen kann man sie doch
nicht; weder mit dem einen noch
mit dem andern wird man einzeln
fertig.«
»Wie sollte man mit einem Pferde
nicht fertig werden! Wenn’s auch
ein Weilchen scheut und wild thut —
zuletzt hört’s von selber auf.«
,,Väterchen, denl Du an mich: das
gibt ein Ungiicl.«
»Ja, was ist denn da anders zu
thun2«
»Freilich —- was ist da anders
zu thun!«
»So sprachen wir. Man sing an,
alles für-meine Abreise zu richten,
aber weder Mutter noch Schwester,
noch der kleine Bruder sagen etwas;
Niemand weint, schweigend gehen wir
herum, und ein jedes thut seine Ar
beit; von Zeit zu Zeit schaut man
sich an, heimlich, furchtsam, und das
kleine Brüderlein geht immer hinter
mir her; wo ich bin, da ist es auch,
schmiegt sich an mich und hält. mich
am Kastan
»Sie tamen alle, als ich wegsuhr;
die Leute in unserm Dorf find so
gute, mitleidig-e; fast alle waren der
saminelt. Man sing an, Abschied zu
nehmen; da hielt es uns nicht länger,
nun ja, wie’s eben der Bauer nicht
anders thut —- geheult haben wir,
geheult. «
»Ich sitz aus dem Karten und will
schnell vom Hof absahren, um die
Seele nicht länger zu quälen. Aber
das Pferd, eben dieses da, steigt ter
zengerad in die Höhe, steigt und
wirst sich seitwärts und mit den
Hinterbeinen in die Lust. Alles ha
ben wir versucht -- ja, was ist denn
mit Dir, Mütterchen, Täubchen, um
Gotteswillen —-- waso --— Reiszt und
schlägt aus nnd will nicht vom Fleck
und wiehert, wiedert, als wäre der
Wolf hinter ihm her. Und das an
dere, was man in den Stall einat
sperrt hat, schlägt auch ans und wird
so wild, daß die Stallwand wackelt,
und wiehert fo, weißt Du, daß ihm
die Stimme überschnappt Nun tvur
den die Leute alle böse: einige grif
fen nach Stöcken und wollten es
schlagen. Nein, Brüder, sag’ ich, wa
rum denn schlagen? So ein Pferd
hat doch auch ein Herz! Nehmen wir
es lieber am Zügel und führen wir es
eine oder zwei Werst hinter dasDorsx
vielleicht wird es dann ruhig und
fügt sich—
»So führten wir es denn hinter
unfern..f,)iigel, führten es aus’s freie,
weite Feld; ich setzte mich aus, nahm
die Zügel sest in die Hand, strich
ihm eine über mit der Peitsche, und
wir fuhren ab. Wie es dahinraste,
immer weiter, weiter -— wohl an die
stins Werft weit ——— ganz mit Schaum
bedeckt! Der Dampf fteigt nur so
von ihm auf; dann beruhigte es sich
und ging langsamer. Nuhig blieb
es auch den ganz weiteren Weg über·
Wir tamen endlich in die Stadt. Jch
ließ mein Pferd ausruhen und sing
dann an, Fremde zu sahren. Doch
schon unterwegs hatte ich bemerkt,
daß eine Veränderung mit meinem
Pferdchen vorging: es wollte nicht
recht fressen, magerte ab, wurde trau
rig und seufzte viel. Jch dachte, das
komme don der Müdigkeit her und
hoffte, daß es sich erholen würde,
wenn wir an Ort und Stelle wären
und es sich aus-ruhen könne. Aber
nein, was ich auch thun mag, Du
siehst es ja selbst, es hilft nichts. Ob
es nun die Luft hier ist« oder ob dem
Thier die harten Steine weh thun,
oder ob es Heimweh nach dem freien
Felde und seinem Kameraden hat -
Gott allein weiß es! Jch habe schon
den Thierarzt geholt der hat ihm
in den Zähnen und in den Niiftern
herumgeftochert « hat Geld dafiir
genommen und ist wieder fortgegan
gen. Jch habe auch einen Wunder
doltor um Rath gefragt —— der gab
ihm jeden Morgen ein Stück Brot
mit Salz und hat für jede Brot
fcheibe ein ordentlicheg Stück Geld
verlangt. Als ich ihm aber sagte,
das sei zu theuer, da erwiderte er,
mit Wunderdottoren diirfe man nicht
handeln, sonst schlage die Kur nicht
an. Jch sagte von da an nichts mehr,
aber die Kur schlug doch nicht an.
Da geschah etwas Seltsames —— und
von da an begann es noch mehr zn
träufeln. Einmal Nachts gehe ich zu
meinem Pferdchen, um zu schauen, ob
ihm auch Niemand ein Leids anthut.
hier giebt es ja Leute unter dem
Boll, die immer nur auf Diebstahl
aus sind, Leute von unsrem Schlage,
dies—man schämt sich fast es zu fa
gen, Vöterchen —- sogar den Pfer
den das Futter wegstehlen. So komm
ich denn hinaus: da steht mein Pferd
chen, hat den Kon gesenkt, und ich
sche. daß es sein Futter kaum ange
,rlihrt hat. Leid thut es mir, ach —so
Ileidl Jch trete heran und streiche es
,und lieblose es und nenne es ,,Sivka
3—— Burta, Sivka —- Burta!« Jm
;selben Augenblick, wie absichtlich,
Hkomint ein neuer Bauer im Dunkeln
»auf denselben-Hof gefahren, und. sein
zjungeg Pferd wiehert hell auf.
L »Mein Pferdchen spitzt die Ohren,
»zittert am ganzen Leib, hat auch an
tgefangen zu wiehern, aber so, als
Tspringe ihm das Herz entzwei und
freißt sich plötzlich von der Kette los,
stvtrft sich zum andern, dem neuern
sgetonimenen Pferd, nnd fängt an, es
Izu befchnuppern; hat wohl gedacht,
Ider arme Tropf, es sei sein Kame
irad von daheim! ——— Ja, du liebe
JZeit derwar weit, weit weg, und
ialg mein Pferdchen eine Weile ge
zschnuppert hatte, ging es langsam
Jwieder weg, anf seinen Plan zurück,
» hing den Kopf und seufzte, so tief, so
’ recht aus Der Seele heraus-, daß mir,
» tkveiß Gott, das Wasser in die Augen
l AM.
, »Seit jener Zeit gehtg immer
schlimmer mit ihm, und wie Du sel
iber siehst, kann es jeyt kaum mehr
Idie Beine fortschleppen Eigentlich
müßte man es ganz ausruhen lassen
Aber ich und das Pferd müssen uns
jdoch irgendwie ernähren· Jch möchte
mich verdingen, Arbeit als Holzfä
ger suchen; wollte von Morgen bis
Abend schaffen bis zum Schweiß;
vielleicht könnte ich soviel verdienen,
daß eg fiir uns Beide reicht. Mein
Pserdchen aber soll unterdessen ra
sten, wer weiß, vielleicht erholt es sich
»Wieviel Futter braucht es denn
im Tage?«
»Wenn es nicht arbeiten muß, et
wa fiir 25 Kopeten.«
»Und verkaufen willst Du es
uicht2«
»Was Baterchen?«
»Dein Pferd da?«
»Das Pferd, das tranke? Bloö,
um es los zu sein? Es hat mich ge
fahren, ernährt, erfreut und jetzt —-—
nein, Herr, lieber soll es bei mir ver
enden; das wird ihm leichter sein,
und ich lade dann nicht die Sünde
auf meine Seele, daß ich es verlas
sen habe. Es ist ja auch das einzige
, von daheim,was mir bleibt. Wenn ich
eS anschaue,sällt mir alles wieder ein,
-— unsere Hütte, und die Felder, und
ldie Wälder, und die Stimmen in den
jWalderm wie Mutter und Vater und
die Schwestern einander rufen und
alles, alles. . . Und das Herz brennt
und thut weh!«
»Höre, Freund, wo wohnst Du?«
»Ja, jetzt immer aus der Straße-—
es« ist eine wahre Schande!«
»Nein, ich meine, wo Du über
2nachtest, wo Du Dein Pferd ein
’ stellst?«
»Ja der Jamstaja natürlich; bei
äunserm Arbeitgeber; da wohnen ja
jsast alle Kutscher.«
»Fahre mich dorthin.«
. »Warum denn, Väterchen? Willst
Du mich bei meinem Herrn verkla
«gen? Jch habe Dir doch nichts Un
rechtes gesagt. Und nimm mir nicht
iibel, was ich in meiner Bauern
’dummheit herausgeredet habe, und
lsage ihm davon nichts; ich bitte
E Er sagte es mit fast kindlicher
lch)iichternheit; augenscheinlich toar
’er ein Mensch mit tiefem und zartein
l.57mpfinden·und fürchtete sich vor
Scheltworten und Vorioiirfen.
»«5iirchte Dich nicht, mein Freund«
sagte ich; »Dein Herr geht mich nichts
an Jch möchte Dir helfen, damit
Dein Pferd aus-ruhen, sich augsiittern
und erholen kann, und Du wieder
»sröhlicher wirst «
Er ließ die Zügel hängen, drehte
sich nach mir um und sagte mit
seuchten Augen: »Was sagst Du?
Vergelte Ding Gott, Vätercheni Ja,
wie kann ich Dir denn genug dan
ten?«
Wir hielten vor einem schlechten,
unsauberen Häuschen Jch war da
mals noch jung und start, die Arbeit
ermüdete mich nicht; es schien mir,
alg verdiene sich das Geld von selber,
und ich sparte nicht damit. Darum
gab ich dem Bauern mehrere Rubel
fiir Futter, damit er sein Pferd ein
fpaar Wochen lang iin Stalle stehen
slassen könne. Er warf sich mir um
»den Hals. Die Vorübergehenden und
»die Kutscher, die aug- und entgin
Yaem mochten deuten, wir seien beide
»betrunten. Und wirklich, es mußte
isonderbar aussehen ein Bauer,
»und dazu noch in der Residenzstadt
tan der Straße, umarmt einen
) Herrn!
l ,,Nun«, fragte ich, «wirst Du Dei
Tnem Pferde Ruhe gönnen, es nicht
mehr fahren ?«
»Der Herr bewahre mich!«
»Was dentst Du denn nun zu
I thun'i«
! »Ich finde Arbeit genug! Wer
jweiß, vielleicht ist es Gottes Wille,
Isdaß von daheim bessere Nachrichten
eintreffen, daß dort gute Ermang
sichten sind, dann tehr ich, sobald ich
stetwas verdient habe, dorthin zurück
— auf’s Feld, auf den Acker, zu den
Meinigen! Wie werden die sich
freuen —- Du glaubst es tauin!«
Wir trennten uns. Einige Tage
später erfuhr ich, wo mein neuer Be
itannter Arbeit gefunden hatte, und
Iging eines Abend, nachzusehen, wie
» er sein Wort hielt. Jch kam zu den
Ufern der Nema, wo eine Menge
Holz zum Zersägen aufgestapelt lag.
fEö war schon dämmerig; die Bau
I
ern, in Gruppen ans Balken gela
gert, aßen fröhlich zu Abend. Nur
einer von ihnen schleppte noch Asstl
und Klötze und zerhaclte sie zu Klein
holz, da er allein nicht sägen lonntc:
lIes war mein szostschil, Der
Schweiß rann in Strömen an ihm
herab, sein Gesicht brannte, und St
schwang die Axt, als habe er gerade
erst begonnen.
,,Hör doch aus, Du!« rief ihm einer
der essenden Bauern zu. »Laß doch
,die Arbeit bis morgen!«
,,Red Du nur«, erwiderte jener.
»Was ich heut zustande bringe, das
ist morgen gethan!« Und er begann
mit neuem Eifer, die Holzblöae zu
zerhacten Mich sah er nicht in der
einbrechenden Dunkelheit.
I »Mein Geld ist in die rechten
Hände gerathen«, dachte ich und ging
mit den angenehmsten Gefühlen im
Herzen weiter. Die Newa glitzerte wie
Silber; in den Häusern glommen
Lichter aus; am Himmel begannen
die Sterne zu leuchten; der Lärm
und das Gerassel von Stimmen und
Wagen erstarb allmählich, und in die
ser Stille kam mir das Hacken der
einsamen Axt tvie eine fröhliche Mu
sik vor.
V
Etwa zwei Jahre später, auf einer
Reise durch Rußland, verließ ich die
große Straße und durchlreuzte, bald
zu Fuß, bald im Einspänner, die
reizende Landschast mit ihren düs
tenden Linden- und Ahornwäldern,
den üppigen Weizenseldern, deren!
Ränder von einfachen, aber lieblichenE
kBlumen, die murmelnden Bäche, diei
lvon den Höhen herabrauschten«, die:
trillernden Lerchen und Wachteln, der»
Ruf der Bachstelzen, die geschivätzi-»
gen Schaaren der Spatzen, alles das
· floß in eine einzige lebhafte Empfin
zdung ländlichen Genusses zusammen.
«Am Bach, auf gelbem Abhang, wa-l
l ren zerstreute Bauernhütten, und ob-i
jgleich altersschwarz und schief, ta-i
s men sie mir doch ungemein malerisch!
vor. ,,Willtommen, Herrl« sagte ein
weißtöpfiger, aber frischer, kräftiger
Alter zu mir. »Willkomrnen! Dies
Jahr, Gott Lob und Dant, können
wir gute Menschen bei uns aufneh
;men und ihnen etwas vorsetzen!«
Jch dankte ihm für seine freundli:
chen Worte und bat, im Heuschuppen
Iaus-ruhen zu dürfen.
« «Ruh Dich nur aus, mein Täubi
; chen! Derweilen richten wir Dir ein
All-ermessen Andrjuscha! Llndrju
scha! Komm mal her und fiihre den
Herrn da zum Schuppen, damit er
laus-ruht, bis das Abendesseu fertig
l l! "
k Andrjnscha trat heraus-: wir sahen
seinander an, und ich rief: »Du bist
fes, Bruder! Mein alter Betanntert
fDaS ist ja eine wunderbare Benen
snung!« Auch er erkannte mich und
eilte auf mich zu. Wir umarmten
uns freundschaftlich Die ganze Fa
milie lief zusammen, es kamen auch
die Nachbarn. Jin Dorf war unsere
Geschichte längst bekannt. Einige
wunderten sich, andere wieder wein:
ten; an’c- Lachen dachte niemand.
Der Bauer denkt lange an eine ihm
erwiesene Wohltbat zurüct und sieht
nichts Lächerliches in der Herzlichteit
TJch brauche nicht zu sagen, wie be
reitwillig ich aufgenommen, wie gut
ich bewirthet wurde·
»Nun, und Dein Pferd«, fragte
ich, »lebt es noch?«
»Es lebt, Väterchen freilich! Und
es ist wiedkr wie früher, so munter
geworden, so gesund und ftart; es
arbeitet wie ich!'·
»Nun, gottlob!«
»Ja, gottlnb, und Dir, Herr, lau
send Dant! Wir sind setzt alle so zu
frieden und fröhlich, nnd nun hat
und zur Freude der Herr auch Dich
noch hergeführt!«
Jch blieb drei Tage bei ihnen zu
Gast und konnte mich auch dann noch
nnr mit Gewalt losreißen Als ich
fortfuhr, versammelte sich die ganze
Familie und begleitete mich weit vor
das Dorf hinaus. Andrjuscha hatte
natürlich das unzertrennliche Paar
Sivla —-- Burta eingespannt, und
ich sah mit Freuden, wie die beiden
Pferde, ohne Anstrengung, den grü
nen Weg dahinflogeu. Mein Freund
fuhr mich gegen siinfundzwanzig
Werst und hätte mich gerne noch wei
ter gefahren. Wir nahmen Abschied
wie Verwandte. Als ich ihn verlas
sen hatte, sah er mir noch lange nach
und grüßte endlich tief, bis aus die
Erde hinab.
Des PMU schlug schl
Jn einem Hotel im Süden fiel im
letzten Winter ein anscheinend alter
Herr auf, der trotzt-ein wunderbar
schönes, lodigeg dunkles Haar trug.
Ob sein eigenes oder eine Perriidsh
war nicht heraus zu Unden; war es
eine Perrücte, dann war sie minde
steng so wundervoll gearbeitet, daß
jede Schauspielerin ihn darum benei:
det haben könnte.
Schließlich beschloß eine Wundnachs
barin, die Wahrheit zu ergründen, es
koste nun, wag eg wolle.
Eines Nachts hätnmerte sie also an
Herrn Blanks Thiir nnd rief ihm
mit angsterflillter Stimme zu: »Ste
hen Sie schnell ans nnd retten Sie sich
— das Hotel steht in Brandt«
Sie hörte Herrn Blank aus dem
Bett springen, der Thür zueilen und
sah dann aus seinem Kopfe einen gro
ßen weichen Filzhut, der ties in die
Stirn und bis in den Hals hinunter
gezogen war. «
Die feinere pöflichseih
Ein der italienischen Botschaft in
Washington attachirter Conte, der
jetzt di: rchans gewändt und fast dia
lettlos englisch spricht, erzählte dieser
Tage-, daß eine Art falsche Höflichkeit
der guten Gesellschaft die Vervoll
komniuna in der englischen Conversa
tion sehr erschwert " :
,,Wiihrend Jtaliener rnd Franzo
sen einen Fremden, der sich bemüht,
ihre Sprache gut sprechen zu lernen,
auf etwaige Fehler freundlich und
verbindlich aufmerksam machen, ge
schieht hier nichts dergleichen. Jch
will Jhnen ein Beispiel geben. Jn
Newport lud mich eine Dame, die de
ren Hause ieh zu Gaste war, zu einer
Spaziersahrt ein. Jhre herrlichen
Pferde tanzten förmlich die Bellevue
Ave. entlang. Jch wollte ihr ein
Cornpliment über das schöne Ge
spann niachen, aber ich konnte nicht
aus das englische Wort für « nun,
Sie werden hören. Ich tlopfte also
auf meine Beine und fragte:
»Wie nennen Sie doch das?«
,,Trousers«, antwortete die Dame.
»Ja doch Und nun kann ich sa
gen, Jhre Pferde und überhaupt
amerikanische schwingen ihre Tron
sers wie eine Prima Ballerina«.
Die Dame verzog keine Miene.
Am nächsten Tage hatten wir ein
Picnic auf den Klippen iiber dem
Meeresstrande. Madame tranchirte
ein Huhn und fragt mich: »Was siir
ein Stück kann ich Jhnen geben?« ·
»Eins von den Trousers, wenn ich
bitten «darf.«
»Da konnten sich einige junge Da
men nicht enthalten laut aus-zulachen.
Die ganze Gesellschaft stimmte ein,
und ich erklärte. — Wäre es nun
nicht eine feinere Höflichkeit gewesen,
wenn jene Dame meinen Irr-wund
sosort eorrigirt hätte?« s
Salt-aberm
Daß dieser- Wort so riel wie lang
weiligen, unnützen Schwatz führen
heißt, ist bekannt; nicht so allgemein
bekannt dürfte jedoch seine Herkunst
sein. Es sind nunmehr fast dreimal
hundert Jahre verflossen, da wohnte
in Jena am Mühlbache, auch »die
lleine Saale« genannt, ein Bartschee
rcr oder Bader, der seine Kunden«
während sie sich von ihrn bedienen lie
ßen, durch allerlei lustige Einfälle
und Schimrren zu unterhalten pflegte
nnd bei dieser Art der Unterhaltung
naher nugschließlich dasWort führte.
Man nannte den Mann nun nicht,
wie jeden anderen, Hinz oder Kunz,,
sondern auf Grund seines Berufs
und der Lage seiner Werkstatt einfach
den ,,Saalbader«, und später so jeden,.
der immer vielerlei zu reden hatte
und teiiien andern su Wort tonunen
lief-» Aktion darf wean dieser festste
henden Abstammung deg Wortes denn
auch niclitEnlbaader, salbandern aus
sprechen, sondern es heißt richtig
Saalbader, saalbadern.
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Eine nettes Mieter-wurzelt Unetdoth
Mitterwurzer gastirte in Mann
heim alg Geßlen Ein biederer Sohn
des Lande-j, der auf der Bithne ein
ebenso reines-I Hochdeutsch, wie im ge
wöhnlichen Leben reinen Dialekt
sprach, gab, wie seit 25 Jahren, den
Reiter-, der im vierten Alt zu mel
den l)at, das; sein gnädiqu Herr, der
Landoogt, dicht liinter ihm geritten
komme Ijtitterzvurzir, dcsr nie ein
Pferde bestiea machte den Darsteller
darauf aufmerksam und ersuchte ihn,
die Anliindiauna dementsprechend zu
ändern. Bei der Probe deraasz der
Herr zwar, daraus zu achten, der
sicherte aber, daß Iliitterwnrzer sich
Abends döllia aus ilm dertcxisen tön
ne. Der Abend ils-sinnt Der Lands
tnecht stiirzt auf die Ecene nnd mel
det prompt, das; der Lnndoeqt hin
ter ihm aeritten komme Aus der
Coulisse zischt eine Fluth von Grob
heiten: »Schafgtops! - — Sperlirigs3-"
hirn! Was mache ich nur? ---—
Hornviel)!« usw« Einen Moment ist
der Vergessliche verdutzt. Dann
schaut er noch einmal wie spähend
zurück. wendet sich zum Publikum,
und· im schönsten Ipliannlseimer Dia
lelt ertönt eg: »Allen):il steigt et
ab!«
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Todesntfache festgestellt.
Ein Automobilift iiberfnhr und
tödtete auf einsamer Landstraße ein
Huhn Als er eine Stunde später
denselben Weg zurückfithr, ftnnd ein
Mann mit dem sonvetänsten Ausdruck
der Todegverachtung mitten ans dein
F Weg und gab ihnisSignate, zu hinten
m izielt an nnd der Mann deutete
ischweigend ans das Hunn, das nicht
mehr znrtte, aber seinen letzten, inn
florten Blick zum Himmel aufgethan
hatte.
»Ich möchte Sie fragen, wer dieses
Hahn überfahren hattm fragte der
Mann.
»Ich setber,« antwortete der Autler
etwas benommen »Und ich bin be
reit, den Schaden zu ersetzen. Wieviel
verlangen Sie?«
»Oh, das ift schon recht. Sie müs
fen wissen, ehe ich das Hahn heim
nehme, wollte ich wissen, wie es ge
storben ist. Es könnte ja Alters
fchwäche gewesen sein. Ader wenn Sie
c- überfahren haben, wird es tot-til
noch weich zu kochen sein. Laffen Se
sich nicht weiter aufhalten.«