Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, June 01, 1906, Sweiter Theil., Image 10

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    Malves Mitgift
Roman von Gurt Darm-darf.
« (6. Fortsetzung.)
»Du weißt nicht, wie ich mich nach
Dir gesehnt habe, mein Her ensweib,«
zagte er, »und nur die Freu e war es,
ie mich für einen Moment überwal
tiaen wollte. Nun ist ja das-Schlimmste
überstanden und nun wird alles wie
der gut.«
»Ja, es wird alles wieder gutwer
den,« wiederholte sie mit der matten,
tonlosen Stimme, deren veränderter
Klang etwas so unsagbar Beängsti
gendes für ihn hatte. »Ich bin ja auch
anz ruhig und gefaßt. Und deshatb
can-W Du mir nichts zu verschwei
gen. Du kannst mir alles sagen. Jiks
ver-sichere Dich, Herzensmann, es werd
mir nichts schaden«
Er wollte ausweichen, wollte sie auf
eine spätere Stunde vertrösten, abcr
der Ausdruck der Unruhe aus ihrem
Gesicht und das unstete Flacketn in
ihren Augen mußten ihn darüber be
lehren, daß er nicht gut daran that,
und daß es jedenfalls das beste war,
ihrem Verlangen nachzugehen. .
»Es ist so wenig, was ich Dieser-«
gen könnte, mein Herz! Jch selbst have
ja nur kurze Nachrichten erhalten !««
Ungliiubtg bewegte sie den Kopi.
»Du kannst mich nicht täutchen,
VerndL Jch weiß ietzt, daß ich schon
seit vorgestern in diesem Hause bin,
und es ist unmöglich, daß Du nickt
in wissen alles erfahren haben soll
tet-t. enn Du nicht willst, daß die
Un ewißheit mich noch tränter macht,
must Du mir’s sagen. Papa ist todt
und er ist freiwillig aus dem Leben
geschieden —- das brauchst Du mir
nicht mehr zu verheimlichen. Das
weiß ich ja aus der Depesche Deines
Bat-ers. Aber auch das andere, was
in jener schrecklichen Depesche stand
— es ist die Wahrheit, nicht wahr?
Sei barmherzig, Bett-d und lasse
mich’s wissen.«
»Wie sollte ich keurtheiien können,
was daran wahr ist und was Jer
thurn ist. Jedenfalls ist Dein unglück
licher Vater ein Opfer der jetzt in
«an Deutschland'herrschenden mitth
fchasilichen Mißverhältnisse gewor
den. Und wenn er in Wahrheit nicht
frei von Schuld sein sollte, so hat er
diese Schuld sicher schwer genug ge
büßt«
»Und Mama? Und Zigrid? Wie
Toben sie es getragen? Es ist so
urchtbar, daß ich nicht bei ihnen sein
tann.«
»Du wirst sie bald wiedersehen,
mein Liebling! Gedulde Dich nur noch
kurze Zeit und halte vor allem den
Kopf aufrecht. Gewiß wird sich bis
auf dies eine, was nicht mehr unge
schehen zu machen ist, alles noch zum
besten wenden.
»Für mich wird es wohl gut wer
den, Bernd,« sagte sie. indem sich ihr
Blick mit einem ganz unbescheeiblich
traurigen Ausdruck ur Decke des
Zimmers erhob. «A er Sigrid ist
noch so jung, und ich fürchte, sie hat
est niemanden, der ihr zur Seite
steht. -Darum wollte ich Dich von
anzem Herzen bitten, Liebsten noch
ute abzureifen. Jch werde erst ruhig
ein, wenn ich Dich bei meinen Ange
örigen weiß. Jch bin ein Weib und
ehöre nicht der Welt, sondern meiner
Familie an.«
»Aber wie soll ich es über-? Herz
bringen, Dich einsam hier zurückzu
lassen? Du hast ja hier in dem stem
den Lande keinen Menschen«
«Q,»i bin gut aufgehoben, Verndi
Man be ndelt mich hier so gütig.
Und «ich verspreche Dir, daß ich ganz
tapfer sein werde, wenn ich Dich nur
be: den Meinigen weiß. Wenn Du
erst entbehrlich geworden bist, wirst
Du ja auch zu mir zurückkehren.«
Er machte noch weitere Einwendun
Vrn denn, seitdem er Maloe wieder
elxsen, war es ihm fast unmöglich
chienen, sich von ihr zu trennen.
A r er sah, daß seine Weigerung sie
aufregte. Und so versprach er»endlich,
da see immer wieder in ihn drang,
ihren Wunsch zu erfüllen.
Die Krankenschtvester, ein schönes-,
gethei- btvndeö Mädchen, dem man
soc-nehme klunft an den Augen
ablai, trat je t in das Zimmer der
Kranken und winkte Bernd mit den
Augen, daß es an der Zeit sei, die
Unterredung zu« beenden·
Er stand aus und beugte sich ubek
sein junges Weib.
»Soll ich meine Abreise nicht wes
nigstens bis aus morgen verschieden,
mein einziges Lieb, ich werde Dich
dann beruhigtet verlassen können«
Aber sie schüttelte trzurig dcn
Kopf, und um ihre Lippen zuckte es,
als ob ihr das Weinen nahe fei.
»Wenn Du mich lieb hasi,« fliisterte
Th« mußtDu noch beute gehen. Jch
be keine ruhige Siunde, »so lange
ich meine Mutter und Schwester so
verlassen weiß. Und Du wirst mit ja
täglich einen langen, langen Brief
schreiben Dann werde ich mir ein
biiden, daß Du hier an meinem Bette
st nnd mit das alles selbst erzähl
. Ach Bund, ich habe meine gute
uttee o lieb, darum gehe zu ikr
nnd its fie, ich bin jung, doch Ie
W mehr wie ich des Trostes.«
— « De gib er jeden weiteren Wider
M auf nnd tii De seine junge
« · M ans tien und Auge-.
s-. - mild-treue that ihm wohl.
W - M so Frei und Mi, und
wo die Treue aufhört gegen die Näch
sten, da steht vereinsamt das Men
chenherz.
»Da Du es durchaus willst, Malve,
so mag es denn sein. Aber ich werde
nicht tanng als ein paar Tage fort
bleiben. Wenn Deine Angehörigen
sich zu einsam und verlassen fühlen,
bringe ich sie mit hierher.«
Malve gab teine Antwort. Und
Bernd fah mit Bestürzuna, daß ihr
Gesicht sich eigenthiiinlich verzerrte.
Fhre Züge, die eben noch einen ge
nannten, fast lebhaften Ausdruck ge
habt hatten, wurden schlaf und ihre
Augen blieben halb gejchlo en.
»Es ist Zeit, mein »kr, daß Sie
fehens lii erte die Pf egerin ian in
ranzdsisckzer Sprache zu. «Die Pa
tientin ist erschöpft. Und wir dürfen
fte nicht hindern, einzuschlafcn.
Sie gab dem Eisumschlag auf
Maives Kopf eine andere Lage nnd
Male Mll gewallvlell, orqullamrn
ingern das Kissen zurecht. Bernd
stand noch eine kleine Weile unent
silktossem dann aber raffte er sich zu
sammen und ging. Draußen begeg
nete er dem leitenden Arzt des Kran
tsenhauses, und an ihn richtete er die
lFrage, ob er sich ohne Besorgniß auf
einige Tage von Stockholm entfernen
dürfe. Die Antwort lautete erniuthi:
gender, als er selbst zu hoffen gewagt
hatte.
»Ich glaube, diese Frage mit gutem
Gewissen bejahen zu dürfen. Es
scheint, daß wir es nicht mit der
chwersten Form der Krankheit zu
thun haben. Und selbst wenn diese
Voraus-ficht eine irrige sein sollte, ist
für die nächsten Wochen taum etwas
zu fürchten. Alle Anzeichen sprechen
dafür, daß wir in der ternigen Natur
der Patientin eine vortreffliche Bun
desgenossen haben nnd ich zweier
nicht, daß wir Jhnen Jhre Gattkn ge
sund zurückgeben werden«
Diese Erklärung gab für Bernd den
Ausschlag Jetzt würde er es für
schnöden Egoisrnug gehalten Haben,
wenn er sich der Erfüllung seines
Malve gegebenen Versprechens ent
zogen hätte. Und nicht ihr allein, son
dern auch seinem armen Schwieger:
vater daheim in Deutschland hatte er
ja ein Gelöbniß abgelegt. Tie Familie
des Geheimratlkk sollte mit dein Tage
seiner Hochzeit auch die seine fein, und
e: wollte jetzt fein Versprechen auch
einlösen.
Bernd rüstete sich zur Abreise mit
dem festen Entschluß, allen Rücksich
ten und feindfeligen Einflüssen zum
Troti fein Wort zu halten, wie·e5
einem Manne von Ehre, einem Offi
zier und Edelmann geziemte.
Ein trostloser Landregen rann in
gleichmäßigen, dünnen Fäden vorn
dleigrauen Himmel hernieder, als
Bernh von Degerndors das Bahn
hofsgebäude verließ und die Droschle
bestieg, die ihn in seine alte Woh
nung bringen sollte. Hunderlmal
während dieser langen, entsetzlichen
Heimreise hatte er seinen Entschluß
bereut, und oft genug war er nahe
daran, um ulehren, um an das Kran
kenlager keiner jungen Gattin nach
Stockholm zuriiclzueilen. Aber er war
doch standhaft geblieben und jetzt, wo
er fein Ziel erreicht hatte, war er
dieser Standhaftigteit froh. Tennes
war ihm inzwischen immer mehr zur
Erkenntniß gekommen, dafz es hier
unabweisbare Pflichten zu erfüllen
galt, die durch jeden Aufschub nur
schwerer und peinlicher werden konn
en.
Er hatte feinen Burschen durch eine
vorausgesandte Depesche angewiesen,
ihn in der Wohnung zu erwartet-» und
die erste Frage, die er an den verlegen
dreinschanenden, ·ungen Menschen
richtete, war eine rage nach inzwi
schen eingelaufenen Telegrammen
Denn er hatte die Leitung des Stock
holmer Krankenhauseå ersucht, ihm
zweimal täglich Nachricht zu zehen
über das Besinden seiner Frau. Es
la -n denn auch richtig schon zweiDe
pefzhen aus dem Schreibtisch- und sie
meldeten beide, daß bisher keine we
sentliche Veränderung im Befinden
iner Gattin ein etreten nnd kein An
laß zu Besorgnissen vorhanden sei.
·Bernd schrieb ein paar Wort nieder,
die Malve seine glückliche Ankunft an
zei ten und schickte den Burschen da
mi zuni Telegraphenamt. Dann klei
dete er sich eilig um nicht in Unt arm,
sondern in einen Ätnilanzug enn
sein erster Besuch sollte ja der Mutter
seiner Gattin ellen, und das natür
ltchste Tattg hl mußte ihm verbie
ten, dort in seinem Soldatenroel zu
erscheinen. -
Es begann schon zu dunkeln,
» die teppichbelegte reppe zutWohk
nung feiner Schwi ermattet empor
stieg. Schon der sonderbar neugie
rixe Blick, mit welchem der Pförtner
ihn gemuftett, hatte ihn Imangenehm
berührt. Es war doch etwas Pein
liches um das Bewußtsein,pl"ot31ich
der Gegenstand ämifchen Interesses
für die breiteste ffentlichttt gewor
den zu fein. Obwohl der Pförtner
ihn tespettvoll wie immer gegrüßt
hatt-, war dem tethertn unter fei
nem forfchenden lick das Blut ins
Gesicht gestie en. Und doch mußten
sich sagen, da ihm wahrscheiULich noch
viele petnvollete Dinge bei-erstanden,
Yals Radelstiche von so genngfiigiger
Art.
Er klingelte und nach einer kleinen
Weile wurde ihm geöffnet. Aber es
. war ni t der Diener, der ihn ent
pfing, ondern eines der Mädchen,
'eine ältliche Auson, die schon seit
einer langen eihe von Zagen nn
Dienst der Familie stand. ie war
schwarz gekleidet, und ihrem Gesicht
war es anzusehen, daß sie geweint
t:atte.
»Ach, mein Gott. der Herr Ober
leutnant!« rief sie ganz erschrocken,
als sie Bernd von Degerndorf er
kannte. »Wie gut, daß Sie endlich
gekommen sind! Ich will gleich hinein,
ex- dein gnädigen Fräulein zu sagen.«·
Kaum eine Minute später stand
Sigrid vor ihm. Wäre er feiner jun-·
gen Schwägerin unvermutltet an ir
gend einem anderen Ort begegnet, so
würde er sie im ersten zlugenblici
taum erkannt haben. Es war nicht
das fchmuelloie, schwarze Trauertleid
allein, das diese Veränderung bewirkt
hatte. Ihr Haar, das sich sonst in
triftigen Löckchen über der Stirn nnd
an den Schlafen träufelte, war glatt
gestrichen und ließ ihren Kopfxdadurch
noch kleiner und kindlicher erscheinen
hr Gesicht aber hatte gar niÆts
indliches mehr. Es war schmalcr
und zugieich charattervoller geworden.
Leichte Schatten lagen unter den Au
gen und die Mundwintel traten ein
nenig berabgezoaen Mehr noch als
Gram und Herze-leid spiegelte sich auf
diesem Gsichte die herbe Entschlossen
heit, die aus 1enern Herzeleid etwa-«
sen Jvar. «
»Ich ahnte, das Du tomrnen wur
dest, Beriid,« sagte sie einfach. »Bitte,
tritt ein.'«
Er folgte ihr in den Salon, des
sen-seidene Polstermöbel ron grauen
Leineniiberzii en verhüllt waren. Auch
über die » tarmorgruopen in den
Ecken waren ähnliche iillen gebieitet.
Obwohl es bereits tart daminerte,
mackte Si rid doch tein Licht.
»Daß - u hier visi, ist ein gan
ftiges Zeichen für Malt-es Befinden
nicht wahr? Denn Du würdest sie
nicht allein gelassen halten- wenn sie
in Gefahr «iva·re."
Erst jetzt tam er dazu. ihre Hände
zu ergreifen.
»Ja, e; acht ihr den Umständen
nach erträglich und die Aerzte ben
mir versichert, daß iiir ihr Leben
nichts zu fürchten sei. Aber Du,
meine liebe Sigrid, wie hast Du alles
erirageni"
»Wie man eben ertragen muß, was
man ni ,t hindern tcnii, Bund-. Daß
ein Mensch so viel aushalten kann,
hätte ich vorher freilich nicht eglaudt.
Nun aber ist das Schiimmfie doch
wohl vorüber-«
Er war überrascht von dem einen
thiimlich harten Klensi1 in ihrer
Stimme und von der Leblosigteit, mit
dir ihre kleinen Hände in den seini
qen lagen. Wie viel mußte dies leben
svriihende, isinae Mädchen gelitten
t·abeii, um Eis zu eineni solchen Zu
stande innerer Gieichgiiiiigteit zu ge
langen. .
»Das wollen wir hoffen,«erwiderie
er, »denn jetzt bin wenigsten-J- ich da.
um Dir beizustehen. Und die Martia?
Oat auch sie sich inzwischen etwas ge
faßt?«
Sigrid schiittelte den Kopf.
»Ich fürchte, sie wird ei- niemals
ri:winden. Erst jetzt habe irr-erkannt,
wie innig sie den Papa geliebt hat.
Ich hätte rTe unter allen Umständen
daran verhindern rniifseii« heute mit
i-«.f den Friedhof zu fahren, denn jetzt
ist sie aanz gebrochen«
»Aus den Firedhof?« fragte er.
,Die Beisetzung ist also schon er
fo!gt?«
" «Wußtest Du das nicht? Ia, wir
haben den armen Papa heute begra
ben. Aber frage mich nicht daruber
»ich bitte Dich von her-»in darum!«
Jhre Stirnnse wollte nun doch der
saaen, und Bernh glaubte jetzt auch
zu verstehen, weshalb sie mit ihm lie
ber im Hakbduntel blieb. Er sollte
nicht sehen, wie schwer es ihr siel, diese
duszerliche Fassung u bewehren
Seinen Arm sanft um sie legend,
zea er sie neben sich auf das Sofa»
t«.kdek.
,,Meine«tc.viere, ticiite Sigrib2
Ell-Träne liebe ? itrreiterl T-rn ron nun
sollst Du mich als-» Deinen Bruder
gniehen Du Ind Malve nnd ich, wir
wollen treulch zusanirnenkplten Und
es müßte dort wunderlar zugehen,
nenn wir den Kampf mit Dieser herz
tosen Welt nistt siegreich beständen.«
Er beqrifs nicht, weåinlb sie sich
il,rn plötzlich entzog.
»Ich danke Dir für dir gute Ab
sicht, aber Tit solltest noch nichts der
artiges versprechen. Hast Du Dich
kenn über die Verhältnisse unterrich
tet? hast Du seit Deiner Ankunft mit
irgend jemandem dariLber gespro
chen?«
»Nein, ich fuhr direlt vom Bahn
toi in meine Wohnung und von dort
blerber. Abe: mit wem ich auchinp
ner gesprochen haben könnte, welchen
Einfluß sollte das auf miser inniges
Verhältniß zu einander haben?«
Sie vermiet- es, ihm eine direkte
Antwort zu geben; aber nach kurzen-.
Schweigen tagte sie:
»Du weißt rriloh noch nicht, Bernd,
Lß wir arm sind —- ganz arm —
littelartm deß wir diese Wohnung
verlassen werdet-, ohne etwas anderes
mitzunehmen als die Kleider, die wir
ans dein Leibe tragen.«
«Wat für eine dee ist das, Sig
ridi Wer hat es it is setz gebracht,
Dich durch eine so wakntinnige Vor
stellung in ericheeckeni
»Es ist nicht wahnsinnig sondern
bristlich so, wie ich ei Dir sage.
Ich be witLeaieu AMICI-» Mel
wk en müssen nnd sie haben mir liber
e:n immend erklärt, daß man über
kurz oder lang hier alles mit Beschlag
lele en würde, um Dich an Papas
It: laß ,weni.,slens teilweise schad
los zu halten süt die Verluste, welche
tske Aktionäre der Bank durch seine
Schuld erlitten heben sollten«
Angenommen selbst. daß es so
wäre, müßte man dazu doch erst den
Prozeßweg beschreiten, und man
würde schwerlich berechtigt sein, euch
clles zu nehmen. Jedensalls hnst Du
noch nicht die mindeste Veranlassung,
meine liebe Sigrid, Dich wequ dieser
Dinge zu rennruhigm Vorläu ig
denkt doch ganj gewiß niemand da
ran, euch von hier zu vertreiben«
»Glauhst Du, daß wir es daraus
ankommen lassen werden? Wenn die
Leute mit ihrer Forderung im Recht
sind-—und sie müssen wohl im Recht
sein, da alle Welt es doch behauftet
—- so ist es -acnz selbstverständich,
Lasz ihnen aller- ausgeliesert wird,
was wir besitzen. Und je chneller es
gschieht, desto besser ist es siir uns.
Sobald das Besinden Mamas es ge
stattet, werd-en wir uns eine Zu
slnchtsstätte suchen, am liebsten weit
vcn hier in irgend einer kleinen
Stadt.«
»Ist das auch die Meinung Deiner
Mutter, Sigrid?'«
»Jawohl. Sie ist darin ganz mit
mir einverstanden. Man soll nicht
von uns sagen dürfen, daß wir von
--—von fremdem Gute leben.«
Bernd war zusammengesahren, als
oh ihm jemand einen« Schlag versetzt
hätte. Nichts hatte ihm die ganze
Trostlosigteit der Situation in einem
so grellen Lichte gezeigt. als dies
Wort, das mit selbstquäleriscker Er
lsarmungslosigteit die Dinge beim
rechten Namen nannte. Er wußte
nicht, was er ihr antworten sollte.
Aber war es denn nicht überhaupt ein
Verbrechen, mit diesem Kinde über
solche Dinge zu reden.
»Willst Du nicht Deiner Mutter
sogen, daß ich da bin?«
«Es wiirde in diesem Augenblick
laum einen Eindruck aus sie machen,
Terndl Und Du würdest sie doch nicht
sehen können. Jch darf Dich heute nicht
zu ihr lassen, und ich muß jetzt auch
zxu ihr zurüatehren, denn ich habe
keine Ruhe, wenn ich sie allein weiß-«
Sie war ausgestanden und erfolgte
ibrem Beispiel.
»Ich werde also morgen wiedertom
men. Und Du versprichst mir, liebste
Sigrid, daß ihr nichts thun werdet,
ohne euch mit mir zu berathen. Hier
steht zu viel aus dem Spiele, als daß
itir der ersten Eingebung folgen dürs
tet, wäre sie auch noch so edel uiid
hkchherzig.«
»Wenn es der Verzicht aus den
Nachlaß des Papaist, den Du damit
neinst, so tommt Deine Mahnung zu
spät. Die Mama hat schon gestern on
den Aussichterath der Handelgbanl ge
schrieben, daß sie den Attionären al
treg zur Verfügung stellt, wag sie be
s:v t.«
Er erschrat, und doch war er in
Versuchung dem tapferen Mädchen,
das er bieher so wenig gekannt hatte,
bewundernd die Hände zu küssen.
»Sie that es aus Deine Veranlas
sung« Sigirid?«
»Sie würdees nach ruhiger Ueber
legung auch aus eigenem Antriebe Fe
than haben. Sei unbesorgt; ich in
gewiß, daß es ihr niemals leid wer
den wird.·«
Dieselbe Zurückhaltung die sie ihm
während ihres ganzen Gespräches be
zeigt hatte, lag auch in der Art, in
der sie sich von ihm verabschiedete. Er
siihlte deutlich genug das Mißtrauen
das sich dahinter verbarg. Aber er
hielt es nicht siir angebracht, ihr die
Grundlosigteit desselben anders als
durch Thaten zu beweisen.
Wenn er vorher in seinen Ent
schliissen noch schwankend und unge
wiß gewesen war, so hatte die kurze
Unterredung mit Sigrid ihm llar und
bestimmt den Weg vorgezeichnet, den
er zu gehen hatte. Nun fühlte er sich
gewappnet, seinem Vater gegenüber
eutretem «und ohne Zögern lenkte er
eine Schritte nach dein HoteL wo er
sicher war, ihn zu finden.
s
»Der Herr Baron ift noch im
Speifefaal,« berichteie ter Pförtner,
den Vernd befragte, »iiiii der heute
angelominenen T-anie.'·
»Mit einer Daine?« erkundigte sieh
Bernd verwundert. »Wissen Sie auch
ihren Namens«
«Batoneffe von Thhrnau lautet die
Einiragung in das Freuidenbuch.«
Bernh runzelte die Stirn. Nichts
konnte ihm gerade im ge enwäitigen
Augenblick weniger erwünscht fein als
dies Zusammentreffen Aber es wäre
ein ebenso thörihtee als vergebliches
Bemühen gewesen, ihm ausweichen zu
wollen. Deshalb öffnete er nach tur
m Zaudern die Thiir des Speise
aaleö und ging auf das Tifchchen zu,
an dem er den Obersten und seine
Be leiterin sign fah.
ie ·un e ame gewahrte ihn zu
erfi. Ein eröthen ging über ihr Ge
icht. Jm nächsten Augenblick ftanb
ernb vor ihnen.
»Das ifi eine großeUeberrafchung,«
fagte er, »ich wäre auf nichts weniger
vorbereitet ewefen als darauf, Dich
hier zu ireffenk «
Sie hatte bie kleine Verwirrung,
die bei feinem Anblick über sie gekom
men war, schon wieder abgestreift
»Es war allerlei Gefchäftlicheö, das
mich ge en meinen Wunsch zu biefer
Reife n thigtr. Aber fage mir vor al
lein, Bereit-: wie ehiei Deiner Frau?
hörte zu nie nein Bedauern von
ineni Vater, das sie fein fchwer
ertranki fei.« ·
Esaus fiir bie Theilnahme. Lbdiai
Verfehlu- Ermahnung
—- »Sck,ämst fdu dich denn nicht« du großer Jung-, daß du deine kleine A
Schwester schlögst?«
—- »Ach mat, nich in de Täte; Vater schämt sich ja ooch nich, wenn
et mit verbann«
—Ja, ich mußte sie schweektank in
Stockholm zurücklassen. Aber die
Aetzie sagen, es sei keine unmittel
bare Gefahr für ihr Lebens«
Etwas eigenihümlich Berhalienes
und Gegwungenes war m Rede nnd
Gegente e gewesen und sie hatten
einander dabei nickt in die Augen
gesehen.
Nun erst wandte sich Bernd teinem
Vater zu. Der Händedruck, den sie
tauschten, war vielleicht nie vorher
liibler und stilchtiger qetoesen als bei
diesem Wiedersehen.
»Guten Abend, lieber Vater.«
»Guten Abend, Bernd! Ich dachte
mir«"5 wohl, daß Du dies überlegen
und doch norh kommen würdest. Nimm
bitte Platz und trinke ein Glas Wein.
Du siehst angegriffen aug. Natürlich,
Tu hist Tag und Nacht gesahren.«
,,» a.«
»Ls muß eine beschwerliche Reise
gewesen sein. —- Iiellner —- noch ein
Gmel-»Aber, was heißt das-, Ly
dia? Du willst doch nicht aehen?«
»Ich habe eine dringende Beior
gnug u machen. lieber Onlell Viel
leicht sehe ich Dich später am Abend-«
noch auf ein Viertelstündcken."
Sie hatte sich erhoben, nnd wie sie
jetzt zwischen den beiden Herren stand.
zeigte sich’·g, daß sie ihnen an Größe
fast gleich war. Jhre stauenhast reife
Gestalt war von tlassricher Schönheit
der Formen. Und von tlassis e:
Schönheit war auch ihr Gesicht, de en
Schnitt an die edlen Prosillinien der
riechischen Bitdwerte erinnerte. Eine
önigin konnte den Kopf nicht ho
heitsooller und stolzer tragen, als er
aus diesem s lauten. schneeweiß aus
der dustigen epitzenriische hervortau
chenden alse ruhte. .Mit dem ersten
Blick au die hohe. vornehme Mäd
chenerscheinung mußte man den Ein
druck fgetoizinem eine flart ausge
prägte Personlichteit vor sich zu haben.
»Wie ich mein Fräulein «"Nichte
kenne, würde nach solcher Ertliirung
alles weitere Zureden verlorene Liebes
rniihe sein,« sagte der Oberst. »Natür
lich sehen wir uns nachher hier wie
der. Und Du gestattest wohl, daß ich
Dich hinausgeleite.«
Aber sie lehnte mit freundlicher Be
stimmtheit ab. «
»Du weißt, daß ich gewöhnt bin,
mich ohne männlichen Ritterdienst zu
behelfen. Auf später also, meine
Herrent«
Ein leichtes Neigen des Kopfes ge
gen Beend, dann verließ re raschen
Schrittes den Saal, in je r Bewe
gung ein Bild sieg aster Schönheit
und selbstbewußten tolzes.
»Ich tonnte nicht ahnen, daß ich
Dich einer so angenehmen Gesell chast
berauben würde, Vater « ia te Bernd
nicht ohne Sartasiniig, als ieThiir,
die der Kellner diensteisrig vor ihr ge
össnet, sich hinter Lydia von Thnrnau
eschloisen hatte. ,Jcl) würde Dir
onst ein Zusammentreffen an ande
rem Orte borgeschlagen haben. Denn
ich glaube, die Vegegniing war ihr
nichtJ weniger unerwiinictit als mir.'
chselbsi bin durch ihr plotzliches
Ericheinen überrascht worden, und-s
war ein Zufall, daß sie in demselben
Hotel Wohnung genommen hat. Aber
Du brauchst nicht zu fürchten, daß ihr
Deine Gesellschaft unanaenehin ist
Sie hat vorhin ganz unbefangen und
sehr freundlich von Dir gesprochen«
»Wirtlich? Thatsie daai Sieweiß
natürlich schon alles-W
»Wie tönnte ihr verborgensk eblie
beii sein, wovon it ineg reren Argen
alle Zeitungen vo sinds Uebrigens
ist sie init bewunderungsiviirdigein
Tattgesiihl darüber hin-weggeganng
,,,Nun es toinnit wohl auch nichtl
viel daraus an, was sie dentt oder
thut. Aber wir können unmöglich
hier in dem iisssentlichen Restaurant
miteinander reden, Vater! Wollen wir
auf Dein Zimmer geben oder siehsti
Du es vor, mich in meine Wohnung
n begleiten, wo wir noch Ungeförtet
fein würden?«
»Wir sindes auch hier. Gehen wir
also himqu
Als sie das einfache Hotelzimmet
betreten hatten, vertiegelte der Oberst
hinter sich die Thür.
Mit einem Griff drehte er die elek
trischen Lampen an und wandte sich
danhn mit tiefernster Miene an feinen
So n:
,,Nun? Ein unerhörtcr Standal———
nicht wahrt Was sagst Du je i zu
Deinem Schwiegervater. dem Herrn
Geheimes-th? Und Du gehörst jetzt zu
seiner Familie! Jst es nicht, um
wahnsinnig zu werdens«
»Lassen wir vorerst den Todten
;uhen, lieber tthaten-. An dem, was
geschehen ist« Linnen wir nichts mehr
ändern. Und Deine Errettung hat
wahrlich schon Unheil genug ange
richtet.«
Tcr Oberst zog die Brauen zusam
men.
»Soll das ein Vorwurf sein?«
»Das Unglück wollte, daß Dein
Telegramm zuerst meiner Frau in die
Hände fiel. Der Auebruch von Mal
ves Krankheit ist dadurch ohne Zwei
fel beschleunigt worden«
Der Freiherr zuckte die Achseln. .
»Das hatte ich selbstverständlich
nicht beabsichtigt Aber erfahren hätte
Malve es ja doch. Und ich meine, wir
sollten uns seht nicht mit allzu viel
übersliissigem Mitleid aufhalten. Da
mit kommen wir nicht weiter."
»Du solltest doch nicht vergessen,
Vater, daßes meine Frau ist, von der
Du sprich .«
Das Gesicht des Obersten röthete
sich usehends.
»DeineFrau, in deren Nehm- man
Dich gelockt hat. chh will zu ihrer
Ehre annehmen, da ie nichts davon
wußte. Aber an der Sache selbst wird
dadurch nichts geändert. Was willst
Du denn nuri ei enilich thun?«
»Was die Umstände ebieten. Ich
werde noch heute mein L bsichedsgesuch
einreichen.«
»Wie soll ich das verstehen? Du bist
doch hoffentlich entschlossen, Dich
scheiden zu lassen-? Die falsche Vor
piegelung, durch die man Dich zu
dieserse rath veranlaßt hat, ist nach
der ersicherung des Justizratht
Grund genug, eine Auflösung der
Ehe zu rechtfertigen.«
»Wofiir hältst Du mich, Vater?Du
es nicht Maer war, die mich betr ,
,ibteö site mich auch teine Veranla -
ung zu solchem Schritt. ch habe
azis Liebe zu meinem Wei gema t,
und ich wäre der Dhrloseste Mann un
tet deiSonne, wenn ich iie um ihres
Un liicks willen "etzi aufgeben könnte.«
t Oberst itiitzte sich mit beiden
Händen auf den Tisch, der zwischen
ihm und seinem Sohne tand und
starrte mit voigenei»teiii öipee dem
Spiechenden ins Ge icht.
- »Du kannst es aifo nicht über Dich
gewinnen, auf die Mitgift zu verzich
ten?« iagteet halblaut, aber mit
zctnbebendei Stimme. »Eine Million
ist Dir mehr wetth als die Ehre un
feies alten Namen5!«
»Vater! Wenn ein anderer gewagt
hätte, mir das zu sagen ———! Aber ich
habe mit vorgenommen, mich in Ruhe
mit spie auseinandekzufetzem Datum
will ich das häßliche Wort als unge
speochen ansehen. Als Antwort aber
wird Dir hoffentlich genügen, daß
diefe Million nach meiner Uebetzem
agng nicht mir und nicht Malve ge
hoit. Ich werde nicht einen Pfennia
von dem Gelde.behalten.«
CFottfehungi folgt-)
-—-.--.---—
Dein armen Sultaii wird von John
Ball energifch auf die Dithnetaugen
getreten. Mit dein »Sei-en in Saus
und Braut« ists vorbei und fest het
es nur noch: »Ich möchte doch u
Sultan sein«